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Frank Esser

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Beschreibung

***BÖSE, GEMEIN UND NERVENKITZEL PUR***

Eine Leiche, ein Messer, ein Symbol.

Gerade hat der Obst- und Gemüsehändler noch in seinem Laden gearbeitet, doch jetzt ist Patrice Mvumbi tot. Grausam wurde er mit einem Messer verstümmelt, in seine Brust ein mysteriöses Symbol geritzt.
Lukas Sontheim hat mit seinem aktuellen Fall alle Hände voll zu tun, als plötzlich die Tür zu seiner Privatdetektei auffliegt und zwei Kommissare von der Mordkommission vor ihm stehen. Sontheim war die letzte Person, die Patrice Mvumbi lebend gesehen hatte, ein Umstand der ihn hellhörig werden lässt. Zwei Geschäftsinhaber und direkte Nachbarn des Mordopfers, ebenfalls Immigranten, werden seit mehreren Wochen von einem Unbekannten bedroht. Dabei nehmen die Drohungen stetig an Intensität zu. Schnell vermutet Sontheim, dass Fremdenfeindlichkeit das Motiv des Mörders ist, doch was hat das Symbol zu bedeuten? Während Sontheim an seinen eigenen Recherchen arbeitet, bringen die Ermittlungen der Mordkommission einen weiteren Mord ins Spiel. Einige Wochen zuvor wurde ein belgischer Geschäftsmann in Antwerpen brutal getötet. Eine weitere Leiche, dasselbe Symbol.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Epilog
Nachwort
Weitere Veröffentlichungen

Frank Esser

Das Symbol

Über das Buch:

 

Eine Leiche, ein Messer, ein Symbol.

 

Gerade hat der Obst- und Gemüsehändler noch in seinem Laden gearbeitet, doch jetzt ist Patrice Mvumbi tot. Grausam wurde er mit einem Messer verstümmelt, in seine Brust ein mysteriöses Symbol geritzt.

 

Lukas Sontheim hat mit seinem aktuellen Fall alle Hände voll zu tun, als plötzlich die Tür zu seiner Privatdetektei auffliegt und zwei Kommissare von der Mordkommission vor ihm stehen. Sontheim war die letzte Person, die Patrice Mvumbi lebend gesehen hatte, ein Umstand der ihn hellhörig werden lässt. Zwei Geschäftsinhaber und direkte Nachbarn des Mordopfers, ebenfalls Immigranten, werden seit mehreren Wochen von einem Unbekannten bedroht. Dabei nehmen die Drohungen stetig an Intensität zu. Schnell vermutet Sontheim, dass Fremdenfeindlichkeit das Motiv des Mörders ist, doch was hat das Symbol zu bedeuten? Während Sontheim an seinen eigenen Recherchen arbeitet, bringen die Ermittlungen der Mordkommission einen weiteren Mord ins Spiel. Einige Wochen zuvor wurde ein belgischer Geschäftsmann in Antwerpen brutal getötet. Eine weitere Leiche, dasselbe Symbol.

 

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

Frank Esser

Das Symbol

 

Ein Lukas-Sontheim-Thriller

Band 5

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Oktober © 2024 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Christine Weber – https://www.textomio.de

Korrektorat: Heidemarie Rabe

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 173083379, 854108051

Prolog

 

Du sollst nicht töten.

So hatten es ihn seine Eltern gelehrt. Sie waren gläubige Christen und gute Menschen. Doch schon früh hatte er erfahren müssen, dass das fünfte Gebot der Bibel nichts als leere Worte umfasste, die bedeutungslos für ihn blieben. Bereits in jungen Jahren war er zum Herrscher über Leben und Tod geworden. Ein Menschenleben bedeutete nicht viel in einer Welt, in der es nur darum ging, selbst zu überleben. Sie hatten ihn zu einer Killermaschine gemacht. Damals hatte er nicht aus Überzeugung getötet, sondern weil sie ihn dazu gezwungen hatten. Seine Seele hatte dabei definitiv Schaden genommen.

Jetzt saß er in der Mietwohnung in Köln-Nippes und wartete. Zwei verdammte Monate hatte er gebraucht, um Patrice Mvumbi ausfindig zu machen, der sich mithilfe gefälschter Papiere eine neue Existenz aufgebaut hatte. Mvumbi war nicht der richtige Name des Mannes, in Wahrheit hieß er Jospin Lokua und besaß mittlerweile einen kleinen Obst- und Gemüseladen in der Neusser Straße. Natürlich war das Geschäft nur eine Fassade für die eigentliche Ware, die dort zwischengelagert und weitertransportiert wurde, wie er herausgefunden hatte. Lokua war und blieb eben ein Verbrecher.

Seit knapp einer halben Stunde saß er in der Dunkelheit des Wohnzimmers auf dem Boden und wartete. Lokua war spät dran, aber er hatte es nicht eilig. Er hatte gelernt, geduldig zu sein. Seine billige Plastik-Armbanduhr zeigte 19:41 Uhr, als er hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen und geöffnet wurde. Irgendein Lied pfeifend knipste Lokua das Licht im Flur an und näherte sich dem Wohnzimmer.

Er spannte die Muskeln an, erhob sich vom Boden und brachte die Glock mit dem aufgesetzten Schalldämpfer in Anschlag. Wenige Sekunden später öffnete der knapp eins neunzig große, kräftige Mann die Wohnzimmertür, betrat den Raum und schaltete auch hier das Licht ein. Als er ihn mit der Waffe in der Hand erblickte, riss Lokua die Augen auf und verharrte in der Bewegung, wie zur Salzsäule erstarrt.

»Was zur Hölle …« Doch weiter kam der Hüne erst gar nicht.

Ein Schuss in den Bauch, außerhalb der vier Wände nicht zu hören. Sofort schrie Lokua auf. Das Gesicht schmerzverzerrt packte er sich mit seinen prankenartigen Händen an den Unterleib. Dann sackte er auf die Knie, Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch. Ungläubig und mit schmerzerfülltem Blick starrte er ihn an.

»Du weißt ja, was es bedeutet, wenn ein Projektil den Darm oder den Magen zerfetzt. Falls dir nicht zeitnah geholfen wird, ist das ein sicherer langsamer, qualvoller Tod. Müßig, zu erwähnen, dass dir niemand helfen wird.« Lächelnd steckte er die Pistole zurück in den Hosenbund. Dann machte er zwei schnelle Schritte nach vorn und versetzte dem schwer verletzten Mann einen gezielten Faustschlag gegen die Schläfe. Wie ein nasser Sack kippte Jospin Lokua zur Seite. Er keuchte, als er den massigen Körper des Bewusstlosen durchs Wohnzimmer Richtung Fenster schleifte. Dabei hinterließ Lokua eine Blutspur auf dem Teppich.

All dies geschah im Verborgenen, die Rollläden hatte er zuvor bereits heruntergelassen, um vor neugierigen Blicken der Nachbarn aus den gegenüberliegenden Mietshäusern geschützt zu sein. Als Erstes fesselte er die Hände des Mannes mit Panzertape an den Heizkörper unterhalb des Fensters. Anschließend verschnürte er die Füße und knebelte den Mann mit einem Lappen, den er zuvor in einer Schublade in der Küche gefunden hatte. Die Nachbarn sollten die Schreie nicht hören, wenn dieses Schwein wieder aufwachte. Als Nächstes ging er ins Bad und füllte einen Eimer mit kaltem Wasser, das er dem Bewusstlosen schließlich ins Gesicht schüttete. Lokua riss die Augen auf. Fast zeitgleich stöhnte er auf, zerrte schmerzerfüllt an den Fesseln und wand sich wie ein Aal – allerdings nur für einen Augenblick, bis ihn die Schmerzen der Schusswunde innehalten ließen. Wieder ächzte er auf.

»Na, tut´s weh?«

Lokua verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Das reichte ihm als Antwort. Dann versuchte der Mann, etwas zu sagen, aber mehr als dumpfe, undefinierbare Laute waren durch den Knebel nicht zu vernehmen. Er quittierte es mit einem breiten Grinsen. Dann zog er das Bundeswehr-Kampfmesser aus dem Holster, das er seitlich am Gürtel befestigt hatte, und kniete sich neben Lokua. Der zuckte beim Anblick der Waffe mit der siebzehn Zentimeter langen schwarzen Tantoklinge zusammen.

»Weckt das Messer Erinnerungen bei dir?« Er hielt die Spitze der Klinge demonstrativ nah ans linke Auge des wehrlosen Mannes. Wieder ein Grummeln durch den Knebel. »Dachte ich mir.« Und ehe er die Worte ausgesprochen hatte, packte er Lokua am Kinn und setzte das Kampfmesser an dessen linkem Ohr an. Welch ein erhabenes Gefühl, als die scharfe Klinge durch die dünne Haut und die darunterliegenden Knorpel fuhr wie ein heißes Messer durch Butter.

Lokua schrie währenddessen laut auf, was durch den Knebel aber kaum wahrzunehmen war und eher wie ein gutturales Gurgeln klang. Dabei verdrehte er die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, die Beine zuckten krampfartig. Aufgrund der zusätzlichen Bauchwunde musste in diesem Moment der reinste Schmerztsunami den Körper des Kongolesen durchfluten. Wie eine Trophäe hielt er das Ohr eine Sekunde später in die Höhe und betrachtete es.

Und siehe da, kurz darauf fiel der Wichser in Ohnmacht. Er zog einen Gefrierbeutel aus der Hosentasche, verstaute das Ohr darin, griff nach dem Eimer und ging hinüber in die Küche, um ihn noch einmal mit Wasser zu füllen. Abermals holte er kurz darauf das Dreckschwein ins Leben zurück. Klatschnass wie ein Fisch lag der wehrlose Hüne ächzend zu seinen Füßen. Lokuas Augen wirkten mittlerweile leer und ausdruckslos, als hätte er sich mit seinem unausweichlichen Schicksal abgefunden. Ein Mann, der wusste, dass er schon bald seinem Schöpfer gegenübertreten würde.

Er kniete sich auf die Oberschenkel seines Opfers und nahm das Kampfmesser in die Hand. Die Klinge glitt durch den Pullover und das Shirt. Als er Lokuas Oberkörper entblößt hatte, hielt er inne. »Wusstest du eigentlich, dass ich gerne male?« Keine Reaktion. »Natürlich nicht, woher auch? Was weißt du schon über mich …« Der Blick des Mannes war jetzt starr auf ihn gerichtet. Es war offensichtlich, dass er größte Qualen durchlitt. Gut, so sollte es auch sein. »Ich bin sicherlich kein allzu begabter Künstler, aber egal. Es wird schon seinen Zweck erfüllen«, sagte er mit ruhiger Stimme. Er ließ die Spitze der scharfen Klinge tief in das muskulöse Gewebe von Lokuas Brustkorb fahren, um mit seinem Werk zu beginnen, bevor er eine Viertelstunde später die Wohnungstür in Nippes zuzog und den Mann seinem unausweichlichen Schicksal überließ.

Kapitel 1

 

Lukas Sontheim saß gedankenversunken hinter seinem abgenutzten Schreibtisch, den er vor knapp zwei Jahren günstig im Internet zur Eröffnung seiner Detektei in der Höhenberger Straße erstanden hatte. Sein aktueller Fall bereitete dem fast neunundvierzigjährigen Privatermittler Kopfzerbrechen. Zwei Ladenbesitzer aus Nippes hatten sich zusammengeschlossen und ihn beauftragt, die Person oder die Leute zu finden, von denen sie seit knapp sechs Wochen bedroht wurden. Die Liste der Drangsalierungen reichte von schriftlichen Beleidigungen bis hin zu diversen Sachbeschädigungen: zerstochene Reifen an den Autos, Tierkadaver, die per Paket zugestellt worden waren, eine mutwillig zerstörte Schaufensterscheibe bei einem der Ladeninhaber. Zwar ermittelte die Polizei in sämtlichen Fällen, aber nach Auffassung der Klienten höchstens halbherzig. Sie waren überzeugt, dass die Ermittlungen nicht mit dem nötigen Ehrgeiz durchgeführt wurden, weil sie Ausländer waren. Die Auftraggeber stammten aus der Türkei und Syrien.

Sontheim war weit davon entfernt, den Kriminalbeamten schlampige Arbeit zu unterstellen, nur weil es sich um Opfer mit Migrationshintergrund handelte. Ausschließen wollte er es aber auch nicht. Während seiner Dienstzeit bei der Kölner Polizei war der ehemalige Leiter der Mordkommission manchem Kollegen begegnet, der durchaus mit despektierlichen Äußerungen gegen Menschen mit anderer Hautfarbe und Herkunft aufgefallen war. Er bezweifelte, dass sich knapp zehn Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst daran etwas geändert hatte.

Unabhängig davon, dass der Fall sein Interesse geweckt hatte, war er dringend auf die Kohle angewiesen. Die Auftragslage in der letzten Zeit konnte man nur als »bescheiden« bezeichnen. Seit einer Woche beschäftigte er sich mittlerweile mit seinen Recherchen, einen nennenswerten Fortschritt konnte er jedoch noch nicht erzielen. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund war mehr als wahrscheinlich.

Er hatte seinen langjährigen Kumpel Ali darum gebeten, im Netz nach Hinweisen zu seinem Verdacht zu suchen, dass die Geschäftsleute von Neonazis ins Visier genommen wurden. Aber fündig geworden war Ali, der Computerfachmann, der mit vollem Namen Andreas Lichtenstein hieß, nicht. Jedenfalls deutete nichts darauf hin, dass die bekannten Aktivisten der rechten Szene für die Attacken auf seine Auftraggeber verantwortlich waren. Entweder war hier eine neue, noch behördlich unbekannte Gruppierung am Werk, oder eine politisch verblendete Einzelperson tobte sich an seinen Mandanten aus. Zum selben Ergebnis waren die Ermittler der Polizei gekommen, wie er wusste, weil sich Ali ins polizeiinterne Datennetz gehackt hatte. Sein Kumpel nutzte von Zeit zu Zeit, vor allem aber auf sein Drängen hin die eigenen Fähigkeiten, um ihm bei den Recherchen zu helfen. Ali hatte ihm schon manches Mal wichtige Erkenntnisse geliefert und in der Vergangenheit sogar sein Leben gerettet.

Er nippte gerade am mittlerweile kalten Kaffee, als die Glastür zu seinem Büro aufschwang, das er in einem ehemaligen Kiosk eingerichtet hatte. Jürgen Brenner, der Leiter der Mordkommission Köln, betrat gefolgt von seiner neuen Partnerin Franziska Schrader den Raum. Der glatzköpfige Ermittler mit dem markant geschwungenen Schnurrbart trug wie immer Anzug und Krawatte. Darüber einen leichten Mantel, den er nicht zugeknöpft hatte. Schon früher hatte Sontheim seinen ehemaligen Partner damit aufgezogen, dass er mit seinem äußeren Erscheinungsbild aussah wie ein Versicherungsvertreter. Die junge Kollegin, die erst seit wenigen Monaten an Brenners Seite ermittelte, war kleidungstechnisch der krasse Gegensatz: Die Endzwanzigerin mit dem blonden Pagenschnitt trug Jeans, darüber lässig ein Longsleeve und Lederjacke, dazu sportliche Sneaker. Brenners Gesichtsausdruck sprach Bände. Den hängenden Mundwinkeln nach zu urteilen, war er nicht sonderlich gut gelaunt.

»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Sontheim lächelte.

»Eine messerschwingende«, brummte der Ermittler nur, während hinter ihm Franziska Schrader die Tür ins Schloss warf.

»Und was habe ich damit zu tun?«

Brenner nahm unaufgefordert auf einem der beiden Besucherstühle vor Sontheims Schreibtisch Platz, seine Partnerin tat es ihm gleich. Der Leiter der Mordkommission taxierte ihn mit seinen blauen Augen. Sontheim kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass mehr hinter der Antwort steckte.

»Tja, gute Frage«, erwiderte Brenner mit sonorer Stimme. »Vermutlich nichts, dennoch haben uns die Ermittlungen geradewegs zu dir geführt.«

Sontheim lehnte sich zurück. »Du sprichst in Rätseln, alter Freund. Kann ein Kaffee deine Laune aufhellen?« Brenner nickte. »Für dich auch?«, wollte er nun von Franziska Schrader wissen, die ebenfalls mit einem Kopfnicken antwortete. Sontheim erhob sich und ging die paar Meter hinüber zu dem Sideboard, auf dem eine Senseo-Maschine stand. Kurze Zeit später stellte er die beiden Tassen mit dampfendem Kaffee auf dem Schreibtisch vor seinen Besuchern ab. Milch und Zucker platzierte er daneben. »Also?«, meinte er nur, als er sich wieder setzte.

»Was hast du mit Patrice Mvumbi zu schaffen?«, kam Brenner ohne Umschweife zur Sache.

Sontheim legte die Stirn in Falten. »Ich habe ihm gestern im Rahmen meines aktuellen Falls einen Besuch abgestattet. Warum fragst du?« Im Grunde hätte er sich die Nachfrage sparen können, er konnte sich die Antwort bereits denken, schließlich arbeiteten die beiden für die Mordkommission.

»Was ist das für ein Fall?« Brenner sah ihn neugierig an und nippte vorsichtig an seinem Kaffee, während seine Partnerin vier Stücke Zucker in ihrer Tasse versenkte.

Sontheim fasste in kurzen Worten zusammen, woran er arbeitete.

»Und was hat Mvumbi damit zu tun?« Brenner hob die linke Augenbraue.

»Ich wollte wissen, ob er auch bedroht wurde so wie meine beiden Klienten.«

»Und, wurde er?«

Sontheim schüttelte den Kopf. »Er hat wohl nur davon gehört, ist aber selbst nicht Opfer der Attacken geworden.«

»Glaubst du ihm?«

»Um ehrlich zu sein, nein. Sein Laden befindet sich im selben Gebäudekomplex direkten neben den Geschäften meiner Auftraggeber. Mvumbi ist Afrikaner, wie wahrscheinlich ist es, dass man sich für ihn nicht interessiert?«

»War das der Grund, warum Sie so aufgebracht aus dem Laden gestürmt sind?«, war es jetzt Franziska Schrader, die nun zum ersten Mal mit angenehm warm klingender Stimme selbst eine Frage stellte. Erwartungsvoll starrte sie ihn aus grünen Augen an.

»Wir waren doch schon beim Du«, erwiderte er augenzwinkernd, worauf die junge Frau leicht errötete. »Und um deine Frage zu beantworten, ich war nicht wirklich aufgebracht. Geärgert habe ich mich über den Kerl. Es war offensichtlich, dass er gelogen hat. Ich verstehe nur nicht, warum … Ich nehme mal an, ihr seid nicht nur hier, weil ich auf den Aufnahmen der Überwachungskameras zu sehen war. Nun rück schon mit der Sprache raus, Jürgen. Was ist passiert?«

Der Hauptkommissar räusperte sich kurz. »Patrice Mvumbi wurde gestern Abend in seiner Wohnung erschossen.«

Sontheim sog geräuschvoll Luft ein, schon fuhr Brenner fort.

»Doch bevor der arme Kerl verblutet ist, hat sich jemand mit einem Messer an ihm zu schaffen gemacht.«

Genauso lautstark atmete der Privatermittler jetzt wieder aus. »Und nun glaubst du, dass sein Tod etwas mit meinen Ermittlungen zu diesen seltsamen Drohungen zu tun hat?«

»Wenn du mit deiner Vermutung richtig liegst, dass Mvumbi bedroht wurde, wirft das jedenfalls ein neues Licht auf den Fall. Allerdings haben wir bisher keinen Hinweis darauf gefunden, dass ihm Ähnliches widerfahren ist wie deinen beiden Klienten. Aber wir stehen ja auch erst ganz am Anfang der Ermittlungen. Die KTU wird noch ‘ne Weile in der Wohnung und im Laden beschäftigt sein. Mvumbis Leiche wurde erst vor ein paar Stunden entdeckt.«

»Ich nehme mal an, du verrätst mir nicht, was genau ihm mit dem Messer angetan wurde.«

Brenner schwieg einige Sekunden, trank erst einen Schluck Kaffee und blickte ihn dann durchdringend an. »Ihm wurde ein Ohr entfernt. Außerdem hat man seinen Brustkorb mit der Klinge traktiert. Irgendein Symbol, das wir noch nicht deuten können. Mehr musst du nicht wissen. Und wag es nicht, Ali auf die Sache anzusetzen.«

Sontheim rieb sich das glatt rasierte Kinn. »Habt ihr das Ohr in der Wohnung gefunden?« Brenner verneinte. »Ein Trophäensammler also. Klingt jetzt nicht nach einem typischen Mord von einem Mitglied aus der rechten Szene.«

»Hm, zieh mal keine voreiligen Schlüsse. Auch da gibt’s Psychopathen.«

Da hatte sein alter Freund sicherlich recht, dachte Sontheim.

»Hast du jemanden im Visier, der deine Mandanten bedroht?«, riss ihn Brenner aus den Gedanken.

Er schüttelte den Kopf. »Ich tappe im Dunkeln, wie eure Kollegen.«

»Sollte sich das ändern, weißt du ja, wo du mich erreichen kannst.« Der Hauptkommissar erhob sich und strich sich die Anzughose glatt.

»Selbstverständlich«, antworte Sontheim.

»Ich mein’s ernst, Lukas.« Der finstere Blick, den sein Freund ihm zuwarf, sprach Bände.

Er salutierte, was Brenner mit einer wegwerfenden Handbewegung quittierte, bevor er mit Franziska Schrader das Büro verließ. Sontheim sank auf seinen Bürostuhl, lehnte sich zurück und dachte über den Mord an Patrice Mvumbi nach.

Kapitel 2

 

Als er den Kastenwagen in die Neusser Straße steuerte und schon von Weitem den Polizeiwagen vor dem Obst- und Gemüseladen erblickte, schwante ihm Böses. Der breitschultrige uniformierte Beamte, der vor der Eingangstür von Patrice Mvumbis Laden postiert war, verstärkte das Gefühl.

Er lenkte den Mercedes in die erstbeste Parklücke in der Nähe des Geschäfts und stellte den Motor ab. Was sollte er jetzt tun? Stirnrunzelnd nahm er sich eine Marlboro aus der Packung, die in der Mittelablage bereitlag, und zündete sich erst mal eine Kippe an. Er inhalierte tief und ließ den Rauch Sekunden später in Kreisform wieder entweichen. Eine Marotte, die er sich schon als junger Mann angewöhnt hatte. Nach drei Minuten drückte er den Zigarettenstummel im Ascher aus. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er öffnete die Fahrertür und sprang aus dem Sprinter, bevor er zielstrebig auf den Polizisten in der blauen Uniform zuhielt.

»Mahlzeit, Meister«, sagte er, als er dem Gesetzeshüter gegenübertrat. Der Typ überragte ihn um fast eine Kopflänge. Das war allerdings auch nicht sonderlich schwer, da er mit eins fünfundsechzig für einen Mann nicht sonderlich groß war. Der Uniformierte verzog keine Miene, starrte ihn ernst an.

»Ja?«, brummte der Mann mit dunkler Stimme schließlich.

»Ich hab eine Obstlieferung für Patrice Mvumbi«, sagte er und versuchte, einen Blick in den Laden zu werfen, was angesichts der Körpermaße des Kolosses vor ihm gar nicht so einfach war. Dennoch konnte er eine Person in weißem Schutzanzug im Ladeninneren ausmachen. Wahrscheinlich war die Spurensicherung zugange.

»Das ist leider nicht möglich.«

»Is’ was passiert?«

»Ich bin nicht befugt, Ihnen Auskunft zu erteilen.«

»Hm, ich hab verderbliche Ware in meinem Wagen.«

»Wie gesagt, die Lieferung kann heute leider nicht zugestellt werden«, erwiderte der Polizist freundlich. »Aber wenn Sie bitte so nett wären, mir Ihre Personalien mitzuteilen«, fuhr er fort und zog einen Notizblock aus der Innentasche seiner Uniformjacke.

»Kein Problem.« Auf diesen Fall war er vorbereitet. Er rasselte die Adressdaten runter, und der Polizist schrieb eifrig mit. Bis die Bullen merkten, dass der Name und die Anschrift samt Telefonnummer der Firma gefälscht waren, würde er längst über alle Berge sein.

»Danke, Herr Össwein«, meinte der Mann nur. »Die Kripo wird sich so schnell wie möglich bei Ihnen melden. Aber jetzt muss ich Sie leider bitten zu gehen. Schönen Tag noch.«

»Mein Chef wird nicht begeistert sein. Aber na ja, ist nicht mein Problem.« Er lächelte und machte auf dem Absatz kehrt. Damit hatte er nicht einmal gelogen, auch wenn im Fond seines Wagens alles andere als verderbliches Gemüse für eine Übergabe an Mvumbi untergebracht war.

Als er sich außer Reichweite des Polizisten befand, zückte der Mann sein Handy und wählte die Nummer der Kurzwahltaste eins. Nach dem dritten Klingeln wurde abgenommen.

»Ja«, knurrte der Angerufene.

»Sieht ganz danach aus, dass wir ein größeres Problem haben, Chef. Wenn du mich fragst, sogar in demselben Ausmaß wie in Antwerpen.«

Während am anderen Ende der Leitung einen Moment Stille herrschte, entriegelte er den Mercedes mit der Fernbedienung und öffnete die Tür.

»Wie gesichert ist das?«

»Mvumbi ist nicht ans Telefon gegangen, als ich vorhin versucht habe, ihn zu erreichen. Keine Angst, die SIM-Karte ist schon entsorgt. Der Laden ist von der Polizei dichtgemacht, und wenn ich richtig gesehen habe, wuselt die SpuSi auch da rum.«

Er hörte, wie der Mann am anderen Ende der Leitung schwer atmete. »Verdammte Scheiße! Wir müssen unbedingt rausfinden, was mit Patrice los ist. Dann sehen wir weiter. Du fährst erst mal nach Leverkusen zu unserem anderen Kontaktmann und versuchst, die Ware dort loszuwerden. Ich ruf da an und kümmer mich darum, dass du keine Scherereien bekommst.«

Ein Klicken, dann war die Leitung tot. Er legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. »Was zur Hölle geht hier vor sich?«, brummte er, als er den Kopf wieder senkte und den Motor startete. Nächster Halt: Leverkusen.

Kapitel 3

 

Patrice Mvumbi war ermordet worden. Seit Brenners Besuch hatte Sontheim an nichts anderes mehr denken können. Warum war der Kongolese nur wenige Stunden, nachdem er ihn befragt hatte, auf so grausame Weise getötet worden? – Zufall? Oder steckte mehr dahinter? Schwebten seine Klienten möglicherweise ebenfalls in Gefahr? Schon allein vor dem Hintergrund hatte er die Sache nicht auf sich beruhen lassen können. Kurz nachdem die beiden Ermittler seine Wohnung verlassen hatten, war er nach Nippes aufgebrochen, um mit seinen Auftraggebern zu sprechen.

Ihre Geschäfte lagen in unmittelbarer Nähe zu Patrice Mvumbis Lebensmittelladen, deshalb war ihnen der Polizeieinsatz natürlich auch nicht verborgen geblieben. Baschar Khaled, der syrische Inhaber eines Süßwarengeschäftes, war zusammengezuckt, als er ihm erzählt hatte, dass Mvumbi einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Mit Panik in den Augen hatte der Mann ihn angestarrt und gefragt, ob er in Gefahr schwebe. Wahrheitsgemäß hatte Sontheim geantwortet, er wüsste es nicht, was nicht unbedingt zur Beruhigung seines Auftraggebers beigetragen hatte.

 

Nicht sonderlich anders verlief nun das Gespräch mit Dogan Kadioglu, dem Betreiber des Schnellimbisses gleich nebenan.

»Ermordet?« Kadioglu ließ das Messer, mit dem er gerade Gemüse schnitt, auf den Tresen sinken. Ihm wich die Farbe aus dem Gesicht, er musste sich an der Kante festhalten. »Schwebt meine Familie in Gefahr?«

Sontheim schüttelte zaghaft den Kopf. »Ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an dem Mann und den Drohungen gegen Sie gibt«, gestand er schließlich. »Er hat vehement abgestritten, bedroht zu werden, als ich ihn sprach. Ich wollte nur, dass Sie von mir hören, was passiert ist. Früher oder später hätten Sie es ohnehin erfahren.« Streng genommen überraschte es ihn, dass das noch nicht der Fall gewesen war. »Halten Sie auf jeden Fall Augen und Ohren offen. Beim kleinsten Verdacht, dass etwas nicht stimmt oder Ihnen eine Person suspekt erscheint, informieren Sie mich. Besser noch, Sie rufen die Polizei an, die sind schneller vor Ort.«

Kadioglu nickte und atmete schwer. »Was für eine verdammte Scheiße«, fluchte er dann laut. »Am liebsten würde ich meine Familie wegschicken, damit sie in Sicherheit ist. Aber das geht nicht – die Schule …«, fuhr er schulterzuckend fort.

»Ist das junge Paar aus der Wohnung über Baschar Khaled mittlerweile aus dem Urlaub zurück?«, wollte Sontheim wissen. Er hatte vorhin vergessen, Khaled danach zu fragen. Der syrische Ladeninhaber lebte mit seiner schwangeren Frau und seinem Sohn wie Kadioglu in einer Dreizimmerwohnung über dem Geschäft.

Der Mann mit den dunkelbraunen Augen und pechschwarzen Haaren nickte. »Sind gestern zurückgekommen.«

»Dann werde ich dort mal mein Glück versuchen.«

»Die wissen eh nix.« Kadioglu winkte ab und griff wieder nach dem Messer. Sontheim wollte nicht mit der Zwiebel tauschen, die der Mann dann energisch zu zerhacken begann. Er verabschiedete sich und verließ den Laden.

 

Er hatte Glück. Der Türsummer ertönte unmittelbar, nachdem er geklingelt hatte. Eine junge Frau mit unscheinbarem Gesicht und dunkelblondem Haar, das zu einem Zopf zusammengebunden war, öffnete ihm. Sie stellte sich als Kira Franzen vor und führte ihn ins Wohnzimmer, wo ihr Freund breitbeinig auf dem abgewetzten Sofa saß und Fußball auf der Playstation zockte. Er sah kurz zu ihm auf, hielt inne, warf ihm einen fragenden Blick zu und legte dann den Controller auf die Lehne. Die Unterarme zierten aufwendige Tattoos, aus denen ein Sensenmann herausstach, den gelbrot leuchtende Flammen umzüngelten. Kira setzte sich neben ihren Freund und bot Sontheim den Sessel rechts neben dem eckigen Couchtisch an.

»Mein Name ist Lukas Sontheim, Privatdetektiv. Ich habe ein paar Fragen und hoffe, dass Sie mir weiterhelfen können«, stellte er sich vor.

»Markus Schreiner«, erwiderte der junge Mann mit schnarrender Stimme. »Geht’s um die Drohungen gegen Dogan? Die Bullen haben uns doch schon befragt.« Er warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.

»Richtig, darum geht’s. Herr Kadioglu und Herr Khaled haben mich beauftragt, in der Sache zu recherchieren«, bestätigte er. »Haben Sie irgendetwas von den Vorfällen mitbekommen?«

»Nö«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Zu schnell nach Sontheims Geschmack. Auch der verkniffene Gesichtsausdruck seines Gegenübers, der die Lippen fest zusammengepresst hatte, ließ ihn am Wahrheitsgehalt der Aussage zweifeln.

»Wirklich nicht? Immerhin wurde die Schaufensterscheibe der Dönerbude eingeworfen.«

Schreiner griff nach der Zigarettenschachtel, die auf dem Wohnzimmertisch lag, und zündete sich eine Kippe an. »Na klar haben wir das gehört. Hat ganz schön gescheppert. Aber was sollen wir dazu schon sagen? Wir haben nicht gesehen, wer’s war.«

Sontheim entging nicht, dass der Mann unruhig mit dem Fuß auf und ab wippte, als würde er dem Takt einer Musik folgen, die nur er hören konnte. Seine Freundin legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel, vermutlich, um ihn zu beruhigen.

»Sie wirken ein wenig nervös auf mich. Gibt’s ’nen Grund dafür?«

Markus Schreiner lachte gekünstelt auf. »Sie sollten an Ihrer Wahrnehmung arbeiten.«

»Daran wird’s wohl liegen«, erwiderte Sontheim lächelnd. »Wirklich schade, dass Sie nichts gesehen oder gehört haben, was mir weiterhelfen könnte. Dann will ich Sie auch nicht weiter stören.« Er schlug die Hände kurz auf die Oberschenkel und erhob sich. »Sie sollten aber auf jeden Fall wachsam bleiben. Meinem Klienten wurde damit gedroht, ihm den Laden abzufackeln. Und Ihre Wohnung liegt nun mal im selben Haus«, sagte er beiläufig, zum Gehen gewandt. Das mit der Drohung stimmte zwar nicht, schien ihm aber eine angemessene Notlüge zu sein, um das Paar aus der Reserve zu locken. Er war sich sicher, dass sie etwas verheimlichten. Es entging ihm nicht, dass die Gesichtszüge der beiden jungen Leute regelrecht entgleisten.

»Davon hat Dogan gar nichts erwähnt«, meinte Schreiner und riss die Augen weit auf.

»Na ja, man geht ja auch nicht mit allen Details hausieren. Ich finde dann allein hinaus.«

»Fuck«, murmelte Schreiner und wippte auf der Couch vor und zurück. Er sah aus wie ein Junkie auf Entzug. Sontheim, der schon im Begriff war, das Wohnzimmer zu verlassen, stoppte abrupt. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Langsam drehte er sich um und taxierte das Pärchen, das immer noch auf der Couch saß.

Markus Schreiner schnaubte und zog ein weiteres Mal forsch an der Zigarette, um sie anschließend ebenso energisch im Aschenbecher auszudrücken. Dann warf er ihm einen unsicheren Blick zu.

»Wollen Sie mir vielleicht doch noch irgendetwas erzählen?«, munterte er den jungen Mann auf, sich ihm anzuvertrauen, und trat wieder näher. Gleichzeitig setzte er sich wieder in den Sessel.

»Ach scheiße, ich kann einfach nicht mehr die Klappe halten«, brach es dann aus ihm heraus. »Es ist knapp drei Wochen her«, stammelte Schreiner. Kira Franzen schaute ihn entsetzt an. »Hatte Spätschicht und konnte danach nicht pennen. Na ja, und gezockt hab ich auch noch.« Er deutete mit dem Kinn auf die Spielkonsole. »Dann waren die Kippen alle. Bin noch mal los, Zigaretten holen. An der Ecke am Ende der Straße ist ein Automat. Auf dem Rückweg hab ich diesen Typen gesehen, der sich gerade an Dogans Wagen zu schaffen gemacht hat.«

»Sie sprechen von der Nacht, als man seinen mit Graffiti beschmierten Wagen fand, bei dem die Reifen aufgeschlitzt worden waren.« Verpiss dich aus unserem Land, war mit roter Farbe auf den Bulli des türkischstämmigen Mannes geschmiert worden. Schreiner nickte. »Wissen Sie noch, welcher Tag das war?«

Der Mann schaute zu Kira Franzen rüber, die blickte aber nur zu Boden. Der Befragte zuckte mit den Schultern. »Montag oder Dienstag. Weiß nicht mehr genau.«

»Wie viel Uhr war das etwa?«

»Gegen zwei glaub ich. Auf einmal stand der Typ vor mir. Ich hab ihn erst gar nicht gesehen. Hatte die EarPods im Ohr und war total in Gedanken. Plötzlich fuchtelt der Kerl mit einem Messer vor meiner Nase rum. Hab vor Schreck mein Handy und die Kippen fallen lassen.«

»Können Sie ihn beschreiben?« Sontheim hob erwartungsvoll die Augenbrauen.

Doch Schreiner schüttelte den Kopf. »Hatte ‘ne Sturmhaube auf. Abgesehen davon … na ja, da … war die Klinge. Ich hab mir fast in die Hose gemacht vor Angst.«

»Hat er irgendwas gesagt?«

»Gedroht hat er mir. Die Stimme war Furcht einflößend. Der Kerl hat mir klargemacht, dass ich meine Schnauze halten soll, ansonsten würde er mich und meine Kleine aufsuchen.« Er warf einen liebevollen Blick zu Kira hinüber, die stumm wie ein Fisch neben ihm saß, den Blick weiterhin auf den Boden gerichtet.

»Ist Ihnen sonst noch was aufgefallen? War der Typ Deutscher oder eher ein Ausländer? Groß, klein, dick, dünn? Irgendetwas, das mir weiterhelfen kann?«

»Puh.« Schreiner blies die Wangen auf und ließ die Luft langsam entweichen. »Deutscher würde ich sagen. Kräftiger Typ, Marke Kleiderschrank. Aber sonst …« Er zuckte die Schultern.

»Warum haben Sie Ihr Schweigen nicht eher gebrochen? Warum reden Sie erst jetzt?« Sontheim versuchte, nicht zu vorwurfsvoll zu klingen, was ihm nur bedingt gelang.

»Ich wollte nichts mit der Sache zu tun haben. Die Drohung von dem Typen und so. Na ja, wir sind ja dann auch in den Urlaub gefahren. Wir sind gestern Abend erst zurückgekommen aus Holland. Und plötzlich standen Sie vor der Tür, und da ich ohnehin mit dem Gedanken gespielt habe, zur Polizei zu gehen … Hören Sie, ich bin nicht stolz auf mein Verhalten, aber Dogan und seine Familie haben das einfach nicht verdient.«

Sontheim nickte. »Gute Einsicht, besser spät als nie. Ich würde an Ihrer Stelle trotzdem darüber nachdenken, eine offizielle Aussage zu machen.« Dann sah er zu der Frau hinüber. »Sie sind so schweigsam, Frau Franzen.«

Sie hob theatralisch die Arme. »Was soll ich auch dazu sagen? Ich war nicht dabei.«

Sontheim nickte und beließ es erst mal damit. Das Verhalten von Kira Franzen warf dennoch Fragen auf. Oder er hörte die Flöhe husten …

Kapitel 4

 

Der Besuch bei dem jungen Paar hatte einen ersten Anhaltspunkt geliefert, wenngleich dieser auch derart vage war, dass es ihn nicht wirklich weiterbrachte. Deswegen hatte Sontheim jetzt ein neues Ziel: Als Nächstes wollte er der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt und Rechtsextreme, die aus der Szene aussteigen wollten, einen Besuch abstatten. Den Tipp hatte er von Ali erhalten: Als er mit seinem Kumpel darüber nachgedacht hatte, wo er mit den Ermittlungen ansetzen konnte, war das dessen erster Gedanke gewesen. Das Büro gehörte zu Alis Kundenstamm. Die sensiblen Daten, die dort gespeichert wurden, galt es ganz besonders zu schützen. Also machte sich Sontheim auf den Weg nach Zollstock, in der Hoffnung, dass man ihm diesmal weiterhelfen konnte.

Der erste Besuch vor ein paar Tagen war nicht von Erfolg gekrönt gewesen und hatte ihn kein Stück vorangebracht. Dennoch wollte er noch einmal sein Glück versuchen, da er nicht wirklich davon überzeugt war, dass man ihm in der Beratungsstelle nicht weiterhelfen konnte.

Als er das Büro betrat, schaute ihn Paul Gerhardt missmutig über den Rand seiner Brille an. Der ehemalige Sozialarbeiter mit dem ergrauten Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, schien alles andere als erfreut über seinen neuerlichen Besuch.

»Sie schon wieder«, sagte Gerhardt mit seiner nasalen Stimme, noch bevor Sontheim ihn begrüßen konnte. Der Tonfall passte zu dem Gesicht, das der Mann aufgesetzt hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---