Schismatrix - Bruce Sterling - E-Book

Schismatrix E-Book

Bruce Sterling

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Beschreibung

Jenseits aller Ideologien

Der Homo sapiens der Zukunft hat zwei Möglichkeiten, um über sich hinauszuwachsen: Entweder er ist ein Former und lässt seine Gene gezielt manipulieren, oder er ist ein Anhänger der Mechs, die ihre Körper durch implantierte Chips und Cyborg-Modifikationen aufrüsten. Beide Gruppen führen seit Jahrzehnten einen Kampf darum, wessen Technologie die bessere ist. Abélard Lindsay, ein Mech, der bei den Formern ein diplomatisches Training absolviert hat, lehnt sich gegen die Dogmen beider Gesellschaften auf und wird auf dem Mond ins Exil geschickt. Durch seine Ausbildung fällt es ihm nicht schwer, sich in eine günstige Position zu bringen – doch eine emotionale Entscheidung lässt ihn alles über Bord werfen und ins All aufbrechen, wo sich das Schicksal der Menschheit entscheiden wird …

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BRUCE STERLING

SCHISMATRIX

Roman

Inhalt

Auftakt

Erster Teil – Sundog-Gürtel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Zweiter Teil – Die Korporativ-Anarchie

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Dritter Teil – Kladokinese

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Nachwort – Unser Spiel ist Wirklichkeit

Bemalte Flugmaschinen glitten um die Zentralachse der Welt. Lindsay stand im knietiefen Gras und verfolgte, den Kopf im Nacken, gespannt ihre Bewegungen.

Wie zerbrechliche Papierdrachen sanken und stiegen hoch droben die von Tretpedalen getriebenen superleichten Maschinen durch die Freifallzone. Jenseits davon, am anderen Ende des Durchmessers der Zylinderwelt, leuchtete die Krümmung der Landschaft vom Gelb und dem gesprenkelten Grün der Weizen- und Baumwollfelder.

Lindsay beschattete mit der Hand die Augen gegen das Sonnenblitzen in einem der Langfenster der Welt. Ein Flieger, dessen Tragflächen die elegante Zeichnung von blauen Schwungfedern auf weißem Grund aufwiesen, stieß durch den Lichtbalken lautlos zu ihm herab. Er sah das lange Haar der Pilotin hinter ihr wehen, während sie sich wieder aufwärtsstrampelte. Er wusste, dass sie ihn gesehen hatte. Er hätte ihr gern etwas hinaufgerufen, wild mit den Armen gefuchtelt, doch er wusste ja, dass er beobachtet wurde.

Seine Kerkermeister holten ihn ein: seine Frau und sein Onkel. Die zwei Altaristokraten bewegten sich mit schmerzerfüllter Langsamkeit. Das Gesicht seines Onkels war gerötet; er hatte seinen Herzschrittmacher beschleunigt. »Du bist gerannt«, sagte er. »Gerannt!«

»Ich wollte mir ein bisschen die Beine vertreten«, sagte Lindsay kühl und höhnisch. »Vom Hausarrest bekomme ich Muskelkrämpfe.«

Sein Onkel spähte nach oben, legte die altersfleckige Hand über die Augen, folgte Lindsays Blicken. Das Pedalopter mit der Vogelzeichnung schwebte mittlerweile über der Sauermarsch, einem versumpften Stück Land inmitten des landwirtschaftlich genutzten Paneels, wo die Bodenkrume verrottet war. »Du beobachtest anscheinend die Sauermarsch, he? Wo dein Freund Constantine arbeitet. Man sagt, er gibt dir Signalzeichen von dort.«

»Philip betreibt Insektenforschung, Ehrenwerter Onkel. Nicht Kryptographie.«

Aber Lindsay log. Er war während seines Hausarrests durchaus auf Constantines heimliche Signale und Informationen angewiesen.

Er und Constantine waren politische Kampfgefährten. Nach dem großen Knatsch hatte man Lindsay auf den Besitz seiner Familie in Quarantäne geschickt. Philip Constantine hingegen verfügte über unersetzliche ökologische Fähigkeiten. Also war er noch auf freiem Fuß und durfte in der Sauermarsch arbeiten.

Die lange Internierung hatte Lindsay zur Verzweiflung getrieben. Er war in Höchstform unter Menschen, wo er mit seinem diplomatischen Geschick brillieren konnte. Seit seiner Isolationshaft hatte er an Körpergewicht verloren: die hohen Wangenknochen stachen in kantigem Relief hervor, in seinen grauen Augen glomm ein mürrischer, rachsüchtiger Schimmer. Der plötzliche Spurt hatte ihm die modisch gekrausten schwarzen Locken zerzaust. Lindsay war großgewachsen und schlank, und er besaß auch das lange Kinn und die hochgeschwungenen ausdrucksstarken Augenbrauen des Lindsay-Clans.

Alexandrina, seine Frau, ergriff ihn am Arm. Ihre Kleidung war der neuesten Mode entsprechend: ein langer Faltenrock und ein weißer Arztkittel. Der reine, aber fahle Hautton verriet Gesundheit ohne Vitalität, als wäre ihre Haut perfekt, aus perfekt bedrucktem Kunstdruckpapier. Mumienhafte Schmachtlöckchen zierten ihre Stirn.

»Du hast mir versprochen, du redest nicht über Politik, James«, sagte sie zu dem älteren Mann. Dann blickte sie zu Lindsay empor. »Du bist ganz blass, Abélard. Er hat dich aufgeregt.«

»Bin ich blass?«, sagte Lindsay. Er griff auf den Fundus seiner Shaper-Ausbildung zum Diplomaten zurück. Seine Wangen färbten sich rosig. Er ließ die Pupillen seiner Augen größer werden und lächelte zähneblitzend. Sein Onkel trat mit verkniffenem Gesicht zurück.

Alexandrina hängte sich an seinen Arm. »Ach, wenn du das doch bloß lassen könntest«, sagte sie zu Lindsay. »Du machst mir Angst damit.« Sie war fünfzig Jahre älter als er, und sie hatte gerade kürzlich erst beide Kniescheiben ersetzt bekommen, und diese Mechano-Prothesen aus Teflon bereiteten ihr noch immer Kummer.

Lindsay verlagerte sein Exemplar des zum Buch gebundenen Printout in die linke Hand. Im Verlauf seines Hausarrests hatte er Shakespeares Werke in modernes Zirkumsolar-Englisch übertragen. Die Ältesten des Lindsay-Clans hatten seine Bemühungen eifrig unterstützt. Wohl weil sie hofften, seine historisch-antiquarischen Hobbies würden ihn davor bewahren, weiter gegen den Staat zu konspirieren.

Zur Belohnung wollte sie ihm sogar gestatten, seine Arbeit dem »Museum« zu überreichen. Und er hatte die Gelegenheit benutzt, um wenigstens für eine kurze Weile seinem Hausarrest zu entrinnen.

Das »Museum« nämlich war eine Brutstätte der Subversion. Es wimmelte dort von Lindsays Freunden, den »Konservationisten«, wie sie sich nannten. Eine reaktionäre Jugendbewegung mit romantisch-gefühligen Verhaftungen an die Kunst und Kultur der Vergangenheit. Und das Museum hatten sie zu ihrer politischen Festung umfunktioniert.

Die Welt, auf der, oder vielmehr, in der sie lebten, war die MSCCR (»Mare Serenitatis Circumlunar Corporate Republic«), ein zweihundert Jahre altes künstliches Satelliten-Habitat in Umlaufbahn um den Terra-Mond. Und da es sich dabei um einen der ältesten Nationalstaaten der Menschheit im Weltraum handelte, war es ein traditionsgeschwängerter Ort voller alteingefahrener bodenständiger Kulturtraditionen.

Dennoch war die Veränderung über diese Welt hereingebrochen, sie hatte sich wie Sporen von den jüngeren, stärkeren Welten im Asteroidengürtel und in den Saturn-Ringen her ausgebreitet. Die »Mechanisten«- und »Shaper«-Supermächte hatten ihren Krieg in diesen friedlich-stillen Stadtstaat exportiert. Die Spannung hatte zur Aufsplitterung der Bevölkerung in feindliche Parteien geführt: die »Konservaten«, zu denen Lindsay gehörte, gegen die »Radikalen Alten«, kurz: aufmuckende revolutionssüchtige Plebejer gegen die wohlhabenden Aristos.

Sympathisanten des »mechanistischen« Systems hielten in der Republik das Heft in der Hand.

Die Altradikalen übten von ihren Regierungskrankenhäusern her die Macht aus. Diese hochbetagten Aristokraten (jeder davon mindestens ein Jahrhundert alt) waren aus der progressivsten prothetischen Mechano-Hardware zusammengeflickt und ihre Lebenserwartung durch eben diese importierte Ersatzteil-Technologie gesteigert. Allerdings trieben die medizinischen Versorgungskosten die Republik in den volkswirtschaftlichen Ruin. Das Land war gegenüber den Medico-Kartellen der Mech-Welten bereits hochverschuldet. Und die »Republik« würde in kurzer Zeit ein von den Mechanos abhängiger quasi-kolonialer Satellitenstaat sein.

Die Shapers hingegen setzten ihr eigenes Verführungspotenzial ein. Vor Jahren bereits hatten sie Lindsay und Constantine ausgebildet und indoktriniert. Und über diese beiden Kampfgenossen und Freunde, die Führer ihrer Generation, hatten die Shaper die Möglichkeit gewonnen, sich den Zorn der Jugend zunutze zu machen, die erkannte, wie man ihr das angestammte Recht vorenthielt, damit die Mechanisten Profite machen könnten.

Die Spannung in der Republik war bis zu einem solchen Grade angestiegen, dass eine kleine Beiläufigkeit zur Explosion führen konnte.

Der strittige Punkt hieß: Leben. Und den beweiskräftigen Schlusspunkt sollte der Tod setzen.

Lindsays Erhabener Onkel schnaufte heftig. Er tippte auf seinen Armbandmonitor und senkte seine Herzfrequenz. »Keine weiteren Eskapaden mehr«, sagte er. »Man wartet im Museum auf dich.« Er runzelte die Stirn. »Und denk daran, keinerlei extempore Ansprachen. Halte dich an das vorbereitete Skript.«

Lindsay starrte noch immer nach oben. Der Ultraleichtflieger mit den Vogelschwingenmustern setzte zu einem heftigen Sturzflug an.

»Nein!«, schrie Lindsay. Er warf sein Buch weg und begann zu rennen.

Das superleichte Aerocycle krachte außerhalb der steinernen Sitzreihen eines Open-Air-Theaters ins Gras.

Der Flieger lag mit zierlich zerschmetterten verdrehten Schwingen auf dem Boden. »Vera!«, brüllte Lindsay.

Er zerrte sie aus dem zerknautschten Wrack. Sie atmete noch; aus Mund und Nase schoss pulsierend das Blut. Ihre Rippen waren gebrochen. Sie röchelte, als ersticke sie. Lindsay zerrte an dem ringförmigen Halskragen ihres Konservisten-Dress. Der Draht im Kragen zerschnitt ihm die Hände. Der Dress war nach dem Muster von Astronautenanzügen gestyled; die Harmonikafalten an den Ellbogen waren zerquetscht und fleckig.

Aus dem hohen Gras stiegen kleine weiße Mottenfalter auf. Sie kreisten umher, als würden sie vom Blut angezogen.

Lindsay wischte einen Falter von ihren Lippen und presste seinen Mund auf den ihren. Der Puls an ihrem Hals brach abrupt ab. Sie war tot.

»Vera«, stöhnte er. »Liebstes! Sie haben dich reingelegt …«

Ein Schwall von Trauer und Hochgefühl schoss über ihn hinweg. Er fiel in das sonnenwarme Gras, schlang die eigenen Arme um sich. Weitere Mottenfalter wirbelten empor.

Sie hatte es getan. Jetzt auf einmal erschien es als sehr leicht. Hundertmal hatten sie beide darüber gesprochen – bis tief in die Nacht hinein, im Museum, im Bett nach der ehebrecherischen Liebe. Selbsttötung – der letzte, äußerste Protest. In Lindsays Kopf öffnete sich die unermessliche Szenerie einer schwarzen Freiheit. Er hatte plötzlich und ganz widersinnig ein Gefühl starker Freiheit und Lebendigkeit. »Liebste, es wird nicht lange dauern …«

Er kniete da, als sein Onkel zu ihm trat. Das Gesicht des alten Herrn war grau. »Oh«, sagte er. »Das ist böse. Was hast du getan?«

Lindsay wuchtete sich schwankend auf und stand. »Komm nicht näher an sie heran! Verschwinde!«

Sein Onkel blickte starr auf die tote Frau. »Aber, sie ist ja tot! Du verdammter Narr, sie war doch erst sechsundzwanzig!«

Lindsay zerrte einen langen Dolch aus großpunziertem Metall aus seinem Harmonika-Ärmel. Er zückte ihn mit der Spitze nach oben, auf die eigene Brust gerichtet. »Im Namen der Humanität! Und für die Erhaltung humaner Werte! Ich wähle und beschieße hiermit freiwillig …«

Sein Onkel packte ihn am Handgelenk. Einander mit wütend funkelnden Blicken in die Augen starrend, rangen sie kurz miteinander, dann ließ Lindsay den Dolch fallen. Sein Onkel hob die Waffe aus dem Gras auf und verstaute sie in seinem Laborkittel. »Das ist gesetzwidrig«, sagte er. »Du musst mit einer Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes rechnen.«

Lindsay lachte. Ziemlich brüchig. »Ich bin zwar dein Gefangener, aber du kannst mich nicht daran hindern, wenn ich mich zum Sterben entschlossen habe. Jetzt oder später – was spielt das für eine Rolle?«

»Du bist ein fanatischer Trottel.« Sein Onkel betrachtete ihn mit verächtlicher Bitterkeit. »Die Shaper-Indoktrination hält anscheinend bis zum bitteren Ende stand, wie? Deine Schulung hat die Republik ein Vermögen gekostet … und du, du benutzt das – um Weiber zu verführen und zu ermorden.«

»Sie ist sauber gestorben! Es ist dem Menschen besser, dass er in einem lodernden Knall für die Gute Sache sterbe, als dass er zweihundert Jahre lang als ein Verdrahtschädel der Mechanisten weiterlebe!«

Lindsay senior blickte stier auf den Wirbel von weißen Flugmotten, die über der Kleidung der Toten schwirrten. »Irgendwie werden wir dich dafür drankriegen. Dich und diesen plebejischen Emporkömmling Constantine.«

Lindsay konnte es kaum fassen. »Du verblödeter Mech-Idiot! Schau sie dir doch an! Kannst du nicht begreifen, dass ihr uns bereits ermordet habt? Sie war die beste Kraft, die wir hatten! Sie war – unsere Muse, unsere Inspiration.« Der Onkel runzelte erneut die Stirn. »Woher kommen diese ganzen – Insekten?« Er beugte sich vor und verscheuchte mit einer Schrumpelhand die Schwebmotten.

Lindsay griff plötzlich zu und riss ein Medaillon in Goldfiligran vom Hals der Toten. Der Onkel packte ihn am Ärmel.

»Es gehört mir!«, schrie Lindsay. Sie begannen ernsthaft um das kleine Ding zu kämpfen. Der Onkel brach Lindsays ungeschickten Würgegriff und traf ihn zweimal in den Bauch. Darauf ging Lindsay in die Knie.

Der Onkel hob das Medaillon auf und keuchte pfeifend: »Du hast mich angegriffen!« Er klang zutiefst empört. »Du hast dich körperlich gewalttätig gegen einen Mitbürger betragen …« Er klappte das Medaillon auf. Über seine Finger triefte ein dickflüssiges Öl.

»Was, keine Nachricht?«, murmelte er überrascht. Er schnüffelte an seinen Fingern. »Parfüm?«

Lindsay kniete noch immer. Er hechelte, um die Übelkeit zu überwinden. Dann kreischte sein Onkel auf.

Weiße Schwirrschmetterlinge stießen auf den Mann zu und hefteten sich an die ölbedeckte Haut an seinen Händen. Dutzende waren es.

Sie griffen ihn an. Wieder schrie der Mann auf und schlug sich die Hände ins Gesicht.

Lindsay rollte zweimal um seine Achse ab, von seinem Onkel fort. Dann kniete er zitternd im Gras. Der Onkel lag auf dem Boden und wand sich in konvulsivischen Zuckungen wie ein Epileptiker. Lindsay kroch rückwärts auf Händen und Knien weg.

Am Handgelenkmonitor des Alten Onkels blinkte das grellrote Signal. Dann bewegte er sich nicht mehr. Die Flugmotten krabbelten noch eine Weile über ihn hinweg, dann schwirrten sie nacheinander ab und verschwanden im Gras.

Lindsay stand taumelnd auf. Er warf einen Blick zurück, über die Wiese hin. Durch das Gras kam seine ihm legal angekoppelte Frau langsam auf ihn und die zwei Toten zugeschritten.

ERSTER TEIL

1. Kapitel

THE MARE TRANQUILLITATIS PEOPLE'S CIRCUMLUNAR

ZAIBATSU{1}: 27-12-'15

Sie expedierten Lindsay in der billigsten Art von mechanistischem Schlepp ins Exil. Zwei Tage lang war er taub und blind, von Drogen betäubt, war sein Körper in eine dichte Matrix von Dezelerationspaste eingeschlossen.

Nach dem Abschuss vom Frachtausleger der Republik war der Schleppsack mit kybernetischer Genauigkeit in den Polarorbit eines anderen Zirkumlunars getrieben. Es gab insgesamt zehn dieser Welten in Mondumlaufbahn, und sie waren nach den lunaren Maria und Kratern benannt, aus denen die Rohstoffe zu ihrem Bau stammten. Sie waren als erste Nationalstaaten dazu übergegangen, sämtliche Beziehungen zu der erschöpften, ausgeplünderten Erde (Terra) abzubrechen. Ein Jahrhundert lang war ihre Lunar-Allianz Symbol zivilisatorischer Verflechtung, war der merkantile Verkehr zwischen diesen »verketteten« Concatenatenwelten sehr dicht gewesen.

Seit jenen Tagen der Herrlichkeit allerdings war die Concatenation immer mehr von den jüngeren Vorstößen in größere Tiefen des Weltraums in den Schatten gestellt worden, und der Lunarbereich war mehr und mehr zu provinziellem Stillstand verkommen. Die Allianz war zusammengebrochen, verdrießlicher Isolationismus und technischer Verfall hatten sich ausgebreitet. Die zirkumlunaren Welten waren aus dem Stand der Gnade gefallen, und keine davon in stärkerem Maße als jene, die man Lindsay als Exil bestimmte.

Seine Ankunft wurde von Kameras überwacht. Nachdem ihn die Andockschleuse seines Luftsacks ausgespuckt hatte, schwebte er nackt und schwerelos in der Zollstation des Zirkumlunaren Volks-Zaibatsu des Meeres der Stille. Die Kammer bestand aus stumpfem Lunarstahl mit Streifen zerfressenen Epoxydklebers, wo man die Vertäfelung weggerissen hatte. Früher einmal war das eine Flitterwochensuite gewesen, in der sich Neuvermählte fröhlichen Aktivitäten in der Schwerelosigkeit hingeben konnten. Nun war der Raum zur kahlen bürokratischen Kontrollstelle umfunktioniert.

Lindsay war nach seinem Trip noch unter der Einwirkung der Drogen. An seiner rechten Armbeuge hing ein Tropfschlauch, durch den er wiederbelebt werden sollte. Schwarze Adhäsionsplättchen, die Biomonitoren, sprenkelten seine nackte Haut. Er teilte den Raum mit dem Brummen einer Kamera. Das Zero-G-Videosystem verfügte über zwei Paar kolbenbetriebene kybernetische Arme.

Lindsays verschwiemelte graue Augen öffneten sich. Auf seinem hübschen Gesicht mit der reinen blassen Haut und den elegant geschwungenen Brauen lag der schlaffe Ausdruck der Betäubung. Die scharfgekrausten Haare fielen ihm über die hohen Wangenknochen, auf denen noch Spuren eines drei Tage alten Rouge zu erkennen waren.

Seine Arme zuckten, als die Stimulantien zu wirken begannen. Dann war er plötzlich wieder bei Sinnen. In einem wogenden Schub körperlicher Energie setzten seine Trainingsreflexe wieder ein, so heftig, und plötzlich, dass der Krampf ihm die Zähne schnattern ließ. Seine Augen streiften durch den Raum. Sie glitzerten vor unnatürlicher Wachheit. Die Gesichtsmuskulatur bewegte sich, wie sich kein menschliches Gesicht sollte bewegen dürfen, und auf einmal lächelte er. Er betrachtete sich, dann lächelte er ungezwungen und mit weltgewandter Nachsicht in die Kamera.

Sogar die Luft schien im Strahlen seiner Netter-Kumpel-Masche wärmer zu werden.

Der Schlauch in seinem Arm löste sich und schlängelte in die Wand zurück. Die Kamera begann zu sprechen.

»Du bist Abélard Malcolm Tyler Lindsay? Aus der Mare Serenitatis Circumlunar Corporate Republic? Du erstrebst politisches Asyl? Du führst in deinem Gepäck oder als Implantat deiner Person keinerlei biologisch aktive Stoffe mit? Du importierst keinerlei Explosivstoffe oder Software-Angriffs-Systeme? Deine Intestinalflora wurde sterilisiert und durch Mikroben nach Zaibatsu-Standard ersetzt?«

»Ja, das trifft genau zu«, antwortete Lindsay in eben dem Japanisch, das die Kamera gesprochen hatte. »Ich habe kein Gepäck.« Er konnte sich geläufig in der modernisierten Form dieser Sprache ausdrücken, die ein mundschlüpfiger Merkantildialekt war und sämtlicher ehrender Höflichkeitsfloskeln entbehrte. Geläufigkeit in Fremdsprachen war Teil seiner Ausbildung gewesen.

»Du wirst sehr bald in einen Bezirk entlassen, der ideologisch entkriminalisiert wurde«, fuhr die Kamera fort. »Ehe du den Immigrations- und Zollbereich verlässt, müssen wir dich darauf hinweisen, dass es bestimmte Beschränkungen für deine Aktivitäten gibt, die du akzeptieren musst. Ist dir der Grundsatz der Bürgerlichen Rechte vertraut?«

Lindsay blieb vorsichtig. »In welchem Zusammenhang?«

»Zaibatsu erkennt ein Bürgerrecht an: das Recht auf den Tod. Du kannst dieses Recht jederzeit und unter allen Umständen beanspruchen. Es genügt, es einfach zu verlangen. Unsere Audiomonitoren befinden sich überall im Zaibatsu. Wenn du dein Bürgerrecht beanspruchen willst, wirst du unmittelbar und schmerzlos terminiert. Ist dir das klar?«

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