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Jeder zweite Deutsche hatte in den letzten zwölf Monaten Gelenkschmerzen, 15 Millionen leiden an länger andauernden oder wiederkehrenden Beschwerden und 28 Prozent haben chronische Schmerzen. Doch die wenigsten wissen, dass Schmerz im Gehirn entsteht. Um optimale und nachhaltige Erfolge bei der Behandlung zu erzielen, ist es deshalb essenziell, den Fokus auf das Nervensystem zu legen. Neurozentriertes Training – vorwiegend bekannt aus dem Spitzensport – ist dafür ideal geeignet, da es gezielt den Schmerz-Output des Gehirns reduziert. Die Neuroathletiktrainer Lisa und Andreas Könings erklären, wie Wahrnehmung und Entstehung von Schmerz mit dem Nervensystem verbunden sind und wie sich Betroffene selbst helfen können. Über 80 detaillierte und bebilderte Übungen aus dem neurozentrierten Training sind dabei unterschiedlichen Beschwerdebildern zugeordnet: von Gelenkschmerzen in Hüfte, Knie oder Schulter über Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen bis zu viszeralen und chronischen Schmerzen. Die Autoren zeigen außerdem, wie die Ernährung das Gehirn und somit auch Schmerzen beeinflusst und welche Nahrungsmittel für mehr Energie und gesunde Gelenke, Muskeln, Faszien und Bänder sorgen. Dieser ganzheitliche Ansatz ermöglicht es jedem, aus der Schmerzspirale auszubrechen und die eigene Lebensqualität zu verbessern.
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Seitenzahl: 254
Veröffentlichungsjahr: 2023
Andreas Könings | Lisa Könings
Schmerz ist Kopfsache
Andreas Könings | Lisa Könings
Schmerz ist Kopfsache
Mit neurozentrierten Übungen Beschwerden in den Gelenken, im Verdauungstrakt und chronische Schmerzen selbst behandeln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
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Originalausgabe
1. Auflage 2024
© 2024 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
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Redaktion: Susanne Schneider
Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt/Marc-Torben Fischer, riva Verlag
Umschlagabbildungen: Nils Schwarz, Shutterstock/Printstocker
Bildnachweis: siehe Seite 283
Models: Daniela Dihsmaier von FREISTIL Sportmodels, Hamburg, Nicky Laungani
Layout und Satz: Ortrud Müller – Die Buchmacher, Köln
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-7423-2448-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3 7453-2220-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-2219-4
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Die neurologische Lücke schließen
Kapitel 1: Die Ursache von Schmerz
Was ist Schmerz und wie entsteht er?
Die Schmerzspirale
Schmerz – ein multifaktorielles Phänomen
Schmerz hat viele Gesichter
So nutzen Sie dieses Buch
Kapitel 2: Neuronale Grundlagen – der erste Schritt zur Schmerzfreiheit
Die wichtigste Aufgabe des Gehirns
Aufbau und Funktion von zentralem und peripherem Nervensystem
Das periphere Nervensystem – Kommunikationsweg zwischen Körper und Gehirn
Die Funktionsweise des Nervensystems
Die informationsgebenden Systeme für das Gehirn
Ohne Energie geht’s nicht
Kapitel 3: Testen als Grundlage für Ihren Erfolg
Die richtigen Übungen für das gewünschte Ziel evaluieren
Die einfachste Bewertungsmethode – Beweglichkeitstests
Sehen als Testmöglichkeit
Machen Sie Ihren Schmerz messbar
Führen Sie ein Schmerztagebuch
Kapitel 4: Neurozentrierte Ansätze bei verschiedenen Schmerzbildern
Wie Sie neurozentriertes Training erfolgreich umsetzen
Gelenkschmerzen – vom Sprunggelenk bis zum Kopf
Viszerale Schmerzen
Chronische Schmerzen
Kapitel 5: Neurozentrierte Übungen bei Schmerzen
Sensorische Rehabilitation
Mobilisationsübungen nach dem Spiegelgelenkkonzept zur Schmerzlinderung
Nervenentspannung – die Informationsübertragung verbessern
Augentraining für mehr Sicherheit
Gleichgewichtsübungen
Atemübungen
Übungen für die Innenwahrnehmung
Kapitel 6: Basics für eine gesunde Ernährung
Der Einfluss von Ernährung auf Schmerzen
Das Testprinzip für eine optimale Ernährung
Eine gesunde Basis
Die Gelenkgesundheit von innen unterstützen
Kopfschmerzen und Migräne – das Gehirn in der Energiekrise
Viszerale Schmerzen mit einer darmfreundlichen Ernährung lindern
Über die Autoren
Dank
Weiterführende Literatur
Verwendete Materialien und Apps
Überblick über die Übungen
Es ist an der Zeit, dem Nervensystem im Training, in der Therapie und in der Medizin einen festen Platz einzuräumen. Das klingt möglicherweise so, als ob das Nervensystem bisher ignoriert worden wäre. Einerseits stimmt das nicht, denn bei Störungen wie einem Schlaganfall oder der Demenz denkt man sofort an das Nervensystem. Andererseits stimmt das schon, da das Nervensystem bei allen anderen Störungen oder Erkrankungen bisher nur sehr bedingt oder gar nicht berücksichtigt wurde. Sämtliche Körperfunktionen werden jedoch vom Gehirn und vom Nervensystem gesteuert. Deshalb sollte man bei allen Störungen der Körperfunktionen, auch bei Schmerzen, immer daran denken.
Die Anatomie und Funktion des Nervensystems werden seit Jahrhunderten erforscht. Bereits Galen (ca. 130–200 n. Chr.) lenkte die Aufmerksamkeit auf die Funktionen des Gehirns und des Nervensystems. Trotzdem wurden bei Beschwerden, wie zum Beispiel bei Schmerzen am Bewegungsapparat, bisher im Wesentlichen Gelenke, Muskeln und Faszien in den Mittelpunkt von Therapien gestellt. Begründet wird dies oft mit Verkürzungen der Muskeln, Sehnen und Faszien – und so wird gedehnt, was das Zeug hält. Klassisches Dehnen, Fasziengymnastik oder Mobilisation durch den Therapeuten können durchaus hilfreich sein. Insbesondere nach Verletzungen und Operationen kann es zur Narbenbildung und damit zu einer eingeschränkten Funktion des Gewebes kommen. Liegt aber Derartiges nicht vor, ist eine tatsächliche Verkürzung des Gewebes eher unwahrscheinlich. Trotzdem ist eine im wahrsten Sinne des Wortes umfangreiche Bewegung in Form von Gymnastik oder anderen Leibesübungen immer sinnvoll, um eine gute Beweglichkeit ein Leben lang zu erhalten.
Eine andere Begründung, die für Beschwerden am Bewegungsapparat oft zu hören ist, ist eine unzureichende Kraft der Muskulatur. Das kann tatsächlich eine Ursache sein, denn der Alltag bietet meist zu wenig Bewegung. Knochen, Bindegewebe und Muskeln brauchen aber eine ausreichende Belastung, damit sie funktionstüchtig bleiben. Kraft- und Gewichtstraining werden deshalb zu Recht immer beliebter, gestützt durch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, nachdem jahrzehntelang hauptsächlich Ausdauer- und Herz-Kreislauf-Training für die Gesundheit propagiert wurden. Lokale Behandlungen von Gelenken, Muskeln und Faszien und einfaches Bewegungs- und Krafttraining helfen aber nicht immer oder verursachen manchmal sogar mehr Beschwerden. Es müssen also noch andere Ursachen vorhanden sein.
Den Blick auf das System zu richten, das alle Körperfunktionen steuert, ist die logische Konsequenz. Die Funktionen des Nervensystems müssen klar sein, um neurologische Prinzipien anwenden zu können. Die wichtigste Funktion ist Bewegung – wir müssen uns zur Nahrungsbeschaffung bewegen –, aus der Neurowissenschaft ein, wenn nicht der Grund, warum wir ein Gehirn haben. Zeitgleich muss das Gehirn die aktuelle Situation inner- und außerhalb des Körpers permanent bewerten, um den Körper vor Gefahren schützen zu können. So sichert das Nervensystem das Überleben und sendet bei Gefahr Signale, zum Beispiel Schmerzen.
Eine zentrale Funktion bei Bewegung ist die Koordination, was unter anderem im Abschnitt »Das Kleinhirn – ein wichtiges Integrationszentrum« (ab Seite 36) genauer betrachtet wird. Koordination sorgt dafür, dass aus mehreren hochspezialisierten Systemen und Funktionen wie dem Sehen, dem Gleichgewichtssinn, dem Bewegungssinn und der Bereitstellung von Energie eine gut funktionierende Einheit wird. Die Augen erfassen die Umgebung, in der die Bewegung stattfinden soll. Der Mensch verfügt außerdem für die Fortbewegung nur über zwei, im Vergleich zum restlichen Körper, winzige Flächen: die Füße. Damit der aufrechte Gang trotzdem möglich ist, ist ein gut funktionierendes Gleichgewichtssystem notwendig. Der gesamte Körper meldet zudem ständig an das Gehirn, wie sich eine geplante Bewegung tatsächlich ausgewirkt hat. Nur so kann diese sofort an sich verändernde Umstände angepasst werden. Für diese Funktionen brauchen sowohl der Körper als auch das Gehirn Energie. Dafür muss Nahrung aufgenommen und verdaut werden. Die Atmung liefert den nötigen Sauerstoff. Währenddessen wird von bestimmten Bereichen des Gehirns die gegenwärtige Situation permanent bezüglich der Sicherheit bewertet. So tragen verschiedene Teile des Körpers im Zusammenspiel mit dem Nervensystem dazu bei, dass wir uns sicher durch die Welt bewegen können.
Warum ist aber ausgerechnet das Nervensystem in den letzten Jahren so in den Mittelpunkt gerückt? In der Vergangenheit fehlten schlichtweg direkte und einfache Anwendungen der neurologischen Prinzipien. Diese stehen heute zur Verfügung, die neurologische Lücke kann somit jetzt geschlossen werden.
Ihr
Dr. med. Philip Eckardt
Schmerz wird als »ein unangenehmes sensorisches und emotionales Erlebnis, das mit tatsächlichem oder potenziellem Gewebeschaden verbunden oder dem ähnlich ist«, definiert. Diese vor Kurzem überarbeitete Definition von der International Association for the Study of Pain (IASP) betont bereits, dass Schmerz immer eine persönliche Erfahrung ist und von vielen Faktoren beeinflusst wird. Hierzu zählen unter anderem biologische, psychologische und soziale Faktoren, wie ein inaktiver Lebensstil, eine ungünstige Ernährungsweise, Einsamkeit, negative Lebensereignisse, chronische Stressoren, aber auch persönliche Erfahrungen, unter anderem mit Schmerzen, die jemand im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Was Schmerz bedeutet und die Art und Weise, wie Schmerz empfunden wird, ist also bei jedem individuell. Es ist wichtig, Schmerzsignale wahrzunehmen und zu respektieren, anstatt sie zu ignorieren oder »wegmachen« zu wollen. Doch warum sollte man etwas so Unangenehmes respektieren?
Auch wenn Schmerz unangenehm ist und jeder von uns ihn am liebsten vermeiden möchte, ist er grundsätzlich ein wichtiger und nützlicher Mechanismus unseres Körpers. Dabei erfüllt Schmerz zwei Funktionen: zum einen eine sensorisch-diskriminierende Funktion (das heißt, die Fähigkeit, Reize einzuordnen und zu bewerten), um den schädlichen Reiz zu beurteilen. Wo ist der Reiz? Welche Art von Reiz ist es? Wie stark ist der Reiz? Zum anderen generiert Schmerz unangenehme Emotionen, die die Grundlage für zukünftige Vermeidungsreaktionen bilden können und Erinnerungen hervorrufen, die dabei helfen sollen, vergleichbare schmerzhafte Situationen in Zukunft zu vermeiden. Schmerz soll uns dementsprechend über mehrere Wege vor potenziellen Schäden schützen.
Für Sie ist wichtig zu verstehen: Schmerzen sind ein Signal, das Ihr Nervensystem sendet, um Sie auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen und um Ihnen zu verdeutlichen, dass irgendetwas nicht stimmt. Es kann ein unangenehmes Symptom für viele Zustände sein. Letztendlich entstehen Schmerzen immer dann, wenn sich Ihr Gehirn einer realistischen oder potenziellen Bedrohung ausgesetzt sieht. Verstehen Sie Schmerzen daher als eine »Meinung« Ihres Gehirns zu Ihrer aktuellen Situation. Diese Meinung bildet sich aufgrund der Verarbeitung und Interpretation der eingehenden Informationen. Dies hört sich für Sie im ersten Moment vielleicht etwas kompliziert und verwirrend an, dabei ist es jedoch im Grunde recht einfach. Schmerzen entstehen im Gehirn. Wie sie zustande kommen und was Sie dagegen tun können, möchten wir Ihnen in den folgenden Kapiteln näherbringen. Lassen Sie uns starten!
Schmerzen stellen ein Aktionssignal des Gehirns dar. Ihr Gehirn möchte, dass Sie aktiv werden und etwas ändern. An dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, dass Schmerzen ein Ausgangssignal des Gehirns sind. Eine Reaktion auf eine bestimmte Situation. Schmerz ist kein Eingangssignal und keine Sinneswahrnehmung. Dies wird häufig missverstanden. Sinneswahrnehmungen werden von Sinnesrezeptoren ermöglicht. Diese Rezeptoren leiten die entsprechenden Signale über das Fühlen, Riechen, Hören, Sehen und Schmecken an das Gehirn weiter.
Es gibt jedoch keine Schmerzrezeptoren im Körper, sondern lediglich Gefahrenrezeptoren. In erster Linie sind dies Nozizeptoren, über die Sie auf Seite 109 noch mehr erfahren. Über diese Gefahrensensoren können Sie verschiedene Gefahren wahrnehmen. Dies ist ähnlich wie bei den Sinneswahrnehmungen, aber nicht das Gleiche. Hier einige Bespiele:
Stellen Sie sich vor, Sie berühren versehentlich eine heiße Herdplatte. Die Nerven in Ihren Fingern senden ein Signal an Ihr Gehirn, um Sie zu warnen, dass etwas nicht stimmt. Dieses Signal löst zumeist eine Schmerz- sowie auch eine Reflexreaktion aus. Der Schmerz sorgt dafür, dass Sie Ihre Hand sofort automatisch zurückziehen, um weitere Verletzungen zu vermeiden. Das ist ein Beispiel dafür, wie Schmerz uns vor potenziellen (größeren) Schäden bewahrt.
Im Fall einer Entzündung senden die entzündeten Zellen in Ihrem Körper Gefahrensignale aus, um Ihr Gehirn zu alarmieren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dies kann zu einem anhaltenden Schmerzgefühl führen, das schwer zu ignorieren ist und Sie dementsprechend zu einer Handlung auffordert.
Chronische Schmerzen dagegen können sogar völlig unabhängig von der Aktivierung von Gefahrenrezeptoren auftreten. Wenn Ihr Gehirn entscheidet, dass eine Bedrohung besteht – welche auch immer das sein mag – und Ihr Überleben gefährdet ist, erzeugt es ein Schmerzsignal, um Sie zu warnen.
Das Verständnis über die Ursachen von Schmerzen und wie sie durch Veränderungen der Eingangsinformationen oder der Gehirnverarbeitung beeinflusst werden können, trägt dazu bei, dass Sie besser verstehen, was in Ihrem Körper geschieht und wie Sie Ihre Schmerzen lindern können.
Die Entstehung von Schmerzen läuft meist nach einem bestimmten Schema ab, das auch unter dem Begriff »Furcht-Vermeidungs-Modell« bekannt ist. Dieser komplexe Kreislauf trifft insbesondere bei chronischen Schmerzen zu und ist fundamental an der Aufrechterhaltung von Schmerzen beteiligt. Sich dieses Ablaufs bewusst zu sein und ihn zu verstehen, ist ein Schlüssel dafür, den Kreislauf zu durchbrechen. Lassen Sie uns nun einen genauen Blick darauf werfen, wie sich die verschiedenen Aspekte gegenseitig verstärken und einen Teufelskreis bilden:
Schmerzen:
Am Anfang stehen Schmerzen, die akut oder chronisch sind und in verschiedenen Körperbereichen auftreten können. Sie bilden das Ausgangssignal des Kreislaufs und senden Ihnen ein Warnsignal, das Ihre Aufmerksamkeit einfordert.
Angst vor Verletzungen:
Nicht selten rufen Schmerzen Ängste hervor, insbesondere die Angst vor weiteren möglichen Verletzungen oder einer Verschlimmerung der bestehenden Schmerzen. Diese Ängste können sich negativ auf Ihr Denkmuster auswirken und Ihr Handeln beeinflussen.
Angst, sich zu bewegen:
Eine mögliche Folge der Angst ist, dass Sie Aktivitäten oder Bewegungen meiden, um sich selbst zu schützen. Dies kann zu einer generellen Angst vor Bewegung führen. Betroffene Menschen können sich unsicher fühlen, wenn es darum geht, sich zu bewegen oder an Aktivitäten teilzunehmen, selbst an solchen, die ihnen Freude bereiten. Hieraus kann ein eingeschränkter Lebensstil und sozialer Rückzug resultieren.
Bewegungsreduktion:
Mit der Angst vor Bewegung geht häufig eine generelle Verringerung der körperlichen Aktivität einher. Die Reduzierung der Bewegung aufgrund von Schmerzen und Ängsten führt Sie weiter in den Teufelskreis, denn sie hat Folgen. Bewegung ist essenziell für ein gesundes Nervensystem.
Körperlicher und geistiger Abbau:
Die Einschränkung Ihrer körperlichen Aktivität setzt weitere degenerative Prozesse (auch im Gehirn) in Gang und Ihre allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit nimmt ab. Dies kann in Muskelverspannungen, Steifheit und einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit resultieren. Gleichzeitig können Symptome wie Depressionen, Angstzustände und Schlafstörungen hinzukommen, die wiederum Ihren Zustand weiter verschlimmern.
Die Schmerzspirale beschreibt einen Teufelskreis aus Schmerzen, die Verhaltensmuster nach sich ziehen, welche dafür sorgen, dass sich Schmerzen verstärken und fortsetzen können.
Der Kreislauf schließt sich, denn der körperliche und geistige Abbau verstärken wiede-rum Ihre Schmerzen und befeuern Ihre Ängste nur noch mehr. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es wichtig, geeignete Schmerzbewältigungsstrategien zu erlernen, die Schmerzen kontrollieren, Ängste reduzieren und die Ihre Bewegungsfreiheit wiederherstellen können.
In diesem Buch stellen wir Ihnen solche Schmerzbewältigungsstrategien vor und helfen Ihnen, sie zu erlernen und damit Ihre Schmerzspirale zu durchbrechen. Ein relevanter Faktor dafür ist, dass Sie die Warnsignale beziehungsweise bestimmte Merkmale kennen, die auf das Risiko der Entwicklung einer vor allem chronischen Schmerzerkrankung hinweisen können. Dazu zählen die folgenden Faktoren:
Pessimistische Einstellung gegenüber Schmerzen:
Schmerzen sind grundsätzlich dazu da, Ihr Überleben zu sichern, und gehören bis zu einem gewissen Maß zum Leben. Sie sind also per se nichts Schlechtes, sondern eher etwas Positives, denn sie übernehmen eine wichtige Schutzfunktion. Eine negative Einstellung gegenüber Schmerzen und die Erwartung, dass Ihre Schmerzen anhalten oder sich verschlimmern, können dabei die Wahrscheinlichkeit einer Chronifizierung erhöhen.
Übermäßige Angst vor Bewegung und Aktivität:
Diesen Punkt haben Sie bereits bei der Schmerzspirale kennengelernt. Die Furcht vor Schmerzen kann dazu führen, dass Ihr Lebensstil zunehmend inaktiver wird und Sie dadurch umso eher in der Schmerzspirale landen können.
Wenig Hoffnung auf Besserung:
Sie glauben, Sie sind ein hoffnungsloser Fall, oder sind fest davon überzeugt, dass Ihre Schmerzen unvermeidlich sind. Diese Einstellung kann die Aussicht auf eine positive Veränderung beeinträchtigen.
Unzufriedenheit und Konflikte:
Stress und Konflikte im beruflichen und privaten Umfeld, insbesondere wenn sie dauerhafte Begleiter Ihres Lebens sind, können sich negativ auf Ihre Schmerzwahrnehmung auswirken und Ihre Genesung erschweren.
Psychische Erkrankungen:
Depression oder Angststörungen können nicht nur eine Folge von Schmerzen sein, sondern tragen auch dazu bei, die Schmerzwahrnehmung zu verstärken und die Bewältigung von Schmerzen zu erschweren. Sie sind ein Teil der Schmerzspirale.
Wunsch nach passiver Behandlung:
Sie bevorzugen passive Behandlungsansätze wie Medikamente, Massagen oder Operationen? Dieser Wunsch kann Ihre tatsächliche Bewältigung von Schmerzen behindern. Niemand kann Ihren Schmerz besiegen, außer Sie selbst, und dazu gehört aktiver Einsatz.
Missbrauch:
Frühere traumatische Erfahrungen, gleich ob körperlich, emotional oder sexuell, können Ihre Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung negativ beeinflussen.
Drogenabhängigkeit:
Der Missbrauch von Drogen kann sowohl Ihre Schmerzwahrnehmung verstärken als auch Ihre Fähigkeit zur angemessenen Bewältigung von Schmerzen beeinträchtigen. Dazu zählt auch der Konsum von Alkohol.
Nun, da Sie diese Warnsignale kennen, prüfen Sie, ob und, wenn ja, welche auf Sie zutreffen. Sie allein haben es in der Hand, auf diese Faktoren einzuwirken und damit aktiv Einfluss auf Ihr Schmerzempfinden zu nehmen.
Ein wichtiger Faktor, um Schmerzen zu reduzieren, besteht darin, Schmerzen besser zu verstehen. Durch gezielte Aufklärung und Informationen können Sie ein besseres Verständnis für die Funktionsweise des Schmerzsystems entwickeln. Allein das Lesen dieses Buches trägt dazu bei und kann Ihnen helfen. Wie Schmerzen aus neuronaler Sicht entstehen, erfahren Sie in Kapitel 2 ab Seite 26. Zusätzlich möchten wir Ihnen dazu folgende Gedanken als Hilfestellung an die Hand geben.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Ihre Schmerzen auf zentralen Prozessen in Ihrem Gehirn beruhen und nicht unbedingt auf strukturellen oder körperlichen Problemen. Hieraus ergibt sich eine hervorragende Nachricht: Schmerzen sind umkehrbar! Immer. Für Sie als Betroffener ist es wichtig, Ihre Schmerzempfindungen bewusst wahrzunehmen und sie in einem Kontext der Sicherheit zu bewerten. Sehen Sie Schmerz nicht als Bedrohung, sondern als Signal Ihres Körpers. Der Sicherheitsaspekt spielt dabei für Ihr Gehirn eine außerordentliche, um nicht zu sagen die wichtigste Rolle.
Sammeln Sie für sich persönliche Beweise, dass auch Ihr Schmerz ein zentraler Prozess ist, und notieren Sie sich diese. Das Schmerztagebuch auf Seite 75 wird Ihnen dabei eine gute Hilfe sein. Im Folgenden finden Sie einige Anhaltspunkte, die für Sie Beweise darstellen können, die zentrale Natur Ihrer Schmerzen zu erkennen:
Inkonsistenzen in der Art und Weise, wie der Schmerz auftritt
Schmerzen ohne eine spezifische Verletzung, dazu zählen auch unauffällige Befunde bei Röntgen- oder MRT-Untersuchungen
Schmerzen während stressiger Zeiten
Soziale Kontexte als Schmerzauslöser: Einsamkeit, Unzufriedenheit, Arbeitsplatzsituation
Situationen, in denen der Schmerz trotz Ausübung von körperlichen Positionen oder Aktivitäten, die normalerweise Schmerzen verursachen, nicht vorhanden ist
Vorliegen anderer Schmerzsyndrome in der Vergangenheit
Wie bereits erwähnt, spielen auch emotionale Bedrohungen wie Angst, Stress, Depression oder Traumata eine wichtige Rolle und können mit Schmerzen einhergehen. Gehen Sie diese Faktoren an. Die Bewältigung kann Ihre Schmerzwahrnehmung positiv beeinflussen.
Als letzte Komponente ist es enorm hilfreich, sich auf positive Gefühle und Empfindungen zu konzentrieren. Stellen Sie positive Erlebnisse in den Vordergrund und rufen Sie sich diese immer wieder in Erinnerung. Notieren Sie sich die positiven Erlebnisse in Ihrem Schmerztagebuch (Seite 75). Mit dieser Veränderung Ihres Mindsets können Sie Ihre Aufmerksamkeit von den Schmerzen weglenken und Ihr Wohlbefinden verbessern. Zudem hilft es Ihnen, aus der Schmerzspirale auszusteigen.
Gut zu wissen:
Was Schmerz nicht ist
Es gibt verschiedene Mythen und Glaubenssätze im Zusammenhang mit dem Schmerzverständnis. Diese halten sich auch bei Medizinern und Therapeuten hartnäckig. Wie Sie bereits wissen, ist ein richtiges Verständnis von Schmerzen ein wichtiger Bestandteil für die Genesung. Einige Mythen wollen wir nun aufklären.
Schmerzen entstehen im Körper
Wie schon zuvor beschrieben, sind Schmerzen eine Art Meinung Ihres Gehirns. Somit entstehen Schmerzen auch nur im Gehirn. Aus Ihrem Körper empfängt Ihr Gehirn »lediglich« verschiedene Signale, die zu einer Schmerzreaktion führen können, jedoch nicht zwangsläufig müssen.
Schmerzen gehen mit einer Verletzung einher
Ihr Gehirn reagiert immer dann mit Schmerzen, wenn es sich »bedroht« fühlt. Diese Bedrohung kann durch eine reale Verletzung entstehen (Sie haben sich in den Finger geschnitten), sie kann jedoch auch völlig unabhängig davon auftreten. So kann sich Ihr Gehirn auch bedroht fühlen, wenn es fehlerhafte oder unzureichende Informationen durch Ihre Sinnesorgane erhält. Ihr Knie schmerzt beispielsweise beim Treppensteigen, weil Ihr Gleichgewicht beeinträchtigt ist.
Je größer der Schmerz, desto schlimmer die Verletzung
Schmerzen sind immer vom Kontext abhängig. Dies wollen wir Ihnen anhand von zwei Beispielen erläutern: Für einen Pianisten kann ein Bienenstich im Finger am Abend vor einem großen Auftritt unvorstellbare Schmerzen bedeuten. Der Stich kann sich negativ auf die Leistung und somit auch auf das zukünftige Leben sowie seine Karriere auswirken. Somit ist dieser »Beeinträchtigung« nun höchste Aufmerksamkeit zu widmen, was das Gehirn in Form von intensiven Schmerzen mitteilt. Dementgegen kann eine »lebensgefährliche Verletzung« wiederum keine Schmerzen auslösen, wenn Sie sich in einer noch bedrohlicheren Ausnahmesituation befinden, der es zu entfliehen gilt, um zu überleben. Ein angeschossener Soldat spürt seine Verletzung nicht, bis er aus der lebensgefährlichen Situation, etwa weiterhin andauernder Beschuss, entkommen ist. In dieser Situation lässt das Gehirn schlichtweg keinen Schmerz zu, um sein Überleben zu sichern.
Ihr Körper strebt nach einer dynamischen Balance und Schmerz fungiert als Ventil, um auf Ungleichgewichte hinzuweisen. Es gibt eine große Anzahl an Einflussfaktoren, die täglich auf Sie einwirken und für Ihr Befinden verantwortlich sind. Stellen Sie sich vor, in Ihrem Gehirn befände sich ein Fass, das sämtliche Informationen sammelt: Sinneseindrücke, Bewegung, Schlaf, Arbeit, Beziehungen und Ernährung, um nur einige Aspekte zu nennen. Diese Informationen laufen in das Fass hinein und befüllen es.
Ihr Körper befindet sich in einer Balance, wenn dieses Fass weder zu leer noch zu voll ist. Ein leeres Fass bedeutet, dass Ihrem Gehirn wichtige Informationen fehlen, um Bedrohungen richtig einzuschätzen. Zum Beispiel können Rückenschmerzen auftreten, wenn Sie für eine längere Zeit gesessen haben und physisch inaktiv waren. Das Schmerzsignal erinnert Sie daran, sich zu bewegen und aktiv zu werden. Ein volles Fass wiederum bedeutet, dass Ihr System überlastet ist. Im Extremfall kann es sogar dazu kommen, dass das Fass überläuft.
Auch in diesem Fall signalisiert Ihr Gehirn durch Schmerzen, dass Sie Ihr Verhalten oder auch Ihre aktuellen Umstände verändern sollten. Ziel dieses Signals ist es, Sie auf Ungleichgewichte hinzuweisen und die Balance wiederherzustellen. Sie erinnern sich daran, dass Schmerzen einen Schutzmechanismus darstellen.
Das Gleichgewicht in Ihrem Körper kann durch verschiedene Maßnahmen wiederhergestellt werden. Eine gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, positive soziale Kontakte und Stressabbau sind entscheidende Komponenten. Wenn das Fass kurz vor dem Überlaufen ist, ist es wichtig, bewusst auf die verschiedenen Stressoren, die das Fass füllen, Einfluss zu nehmen und sie zu reduzieren. Das kann bedeuten, dass Sie sich Zeit für Entspannung nehmen, gesunde Bewältigungsstrategien entwickeln und auf sich selbst achten. Sowohl die Menge der Stressoren als auch deren Intensität beeinflussen Ihre Schmerzempfindung.
Das Gefahrenfass beschreibt unsere Kapazität, mit Stress umzugehen. Ist diese überschritten, hat dies negative Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit.
Jeder Mensch hat dabei eine individuelle Stresstoleranz und kann unterschiedlich viel Stress vertragen. Was Stressoren sind, ist für jeden individuell. Für einige kann es Lärm sein, grelles Licht oder viele Menschen, während für andere eine dunkle Umgebung oder wenige Menschen Stress auslösen. So können verschiedene Menschen auf dieselbe Situation unterschiedlich reagieren. Hinzu kommt, dass manche mit hohem Stress sehr gut umgehen können und schmerzfrei bleiben, während andere bereits bei geringem Stress Schmerzen verspüren. Es ist wichtig, dass Sie Ihre individuelle Stress-toleranz erkennen und respektieren und Wege finden, um Ihr persönliches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Indem Sie sich selbst besser kennenlernen und die Bedürfnisse Ihres Gehirns berücksichtigen, können Sie aktive Schritte unternehmen, um Ihre Schmerzen zu lindern. Hierbei hilft Ihnen dieses Buch.
Die Optimierung der Sinneseindrücke, die Ihrem Gehirn als Informationsgeber dienen, ist ebenfalls von Bedeutung. Indem Sie bewusst sensorische Informationen wahrnehmen und modulieren sowie ein angenehmes Umfeld schaffen, können Sie Ihre Belastung reduzieren. Zum Beispiel kann ein ruhiges und angenehmes Umfeld visuellen und auditiven Stress verringern. Übungen zur Verbesserung der Körperwahrnehmung, wie die in diesem Buch aufgeführten Mobilisationsübungen (ab Seite 115), sowie Achtsamkeitsübungen zur Verbesserung der Innenwahrnehmung (ab Seite 222) können ebenfalls hilfreich sein. Durch diese Maßnahmen lernen Sie, Ihren Körper bewusster wahrzunehmen und frühzeitig auf mögliche Ungleichgewichte zu reagieren.
Sowohl bei der Bewertung von Situationen als auch bei der Schmerzwahrnehmung spielt die allgemeine Lebensführung eine wichtige Rolle. Ein gesunder Lebensstil, der ausgewogene Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität und ausreichend Schlaf umfasst, verbessert nicht nur Ihr allgemeines Wohlbefinden, sondern auch Ihre Schmerzwahrnehmung positiv. Darüber hinaus ist es hilfreich, allgemein anerkannte negative Stressoren wie Nikotin, Alkohol, Drogen und übermäßigen Koffeinkonsum zu reduzieren oder gänzlich zu vermeiden. Hinzu kommt, dass jeder Mensch individuelle Prägungen und Erfahrungen erlebt hat, die seine Schmerzwahrnehmung beeinflussen können – zum Beispiel, wie Ihre Bezugspersonen reagiert haben, wenn Sie sich als Kind verletzt haben oder Schmerzen hatten. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch im Hier und Jetzt sind soziale Reaktionen wie etwa Verständnis und Empathie von großer Bedeutung. Der Austausch mit anderen Betroffenen, sei es in einer Schmerz-Selbsthilfegruppe oder durch anderweitigen Kontakt zu Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, kann eine wertvolle Unterstützung bieten.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Schmerzen eine komplexe Erfahrung sind und von verschiedenen körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Faktoren beeinflusst werden. Daher ist es notwendig, eine ganzheitliche Herangehensweise an die Schmerzbewältigung zu wählen, die auch das Nervensystem beziehungsweise das Gehirn als alles entscheidende Instanz einbezieht.
Das alltägliche Umfeld kann ein erheblicher Stressfaktor sein. Dieser wiederum hat einen maßgeblichen Einfluss auf Ihr Schmerzempfinden und kann dieses negativ beeinflussen.
Ebenso wie die Ursachen von Schmerzen kann auch das Erscheinungsbild sehr unterschiedlich sein. In erster Linie wird zwischen somatischen, viszeralen sowie neuropathischen Schmerzen unterschieden. Diese drei Schmerzarten differenzieren sich vor allem in ihrer Erscheinungsform und teilweise auch in ihren Auslösern.
Ein
somatischer Schmerz
wird häufig als scharf, dumpf, stechend oder brennend beschrieben und ist meistens auf einen bestimmten Körperbereich begrenzt. Ein Beispiel für somatische Schmerzen sind Gelenkschmerzen. Sie verstauchen sich den Knöchel und spüren an dieser Stelle einen scharfen Schmerz. Innerhalb des somatischen Schmerzes lässt sich noch zwischen einem Oberflächen- oder Tiefenschmerz unterscheiden. Bei einem sogenannten Oberflächenschmerz reagieren die Rezeptoren in den oberflächlichen Hautschichten oder Bandstrukturen auf eine tatsächliche oder potenzielle Bedrohung, wie zum Beispiel eine Gewebeschädigung. Der Tiefenschmerz hingegen wird durch Signale aus Rezeptoren in tiefer liegenden Gewebsbereichen, wie zum Beispiel der Knochenhaut oder den Muskeln, ausgelöst. Diese Art des Schmerzes ist meist schwieriger zu lokalisieren, als es beim Oberflächenschmerz der Fall ist.
Viszeraler Schmerz
bezieht sich auf Schmerzen, die von den inneren Organen, wie dem Magen, dem Darm oder den Blutgefäßen, ausgehen. Diese Art von Schmerz entsteht durch die Stimulation der Rezeptoren in den Organen und auch der umgebenden glatten Muskulatur. Ein Beispiel für viszeralen Schmerz sind Magenschmerzen oder der Schmerz bei einem Herzinfarkt. Manchmal ist es schwierig, den genauen Ort des Schmerzes zu lokalisieren, da viszeraler Schmerz oft diffus und schwer zu beschreiben ist. Mehr zu viszeralen Schmerzen und Trainingsansätze, die dazu beitragen, dieser Art von Schmerzen entgegenzuwirken, erfahren Sie in
Kapitel 4
ab
Seite 98
.
Neuropathischer Schmerz
wird durch die Schädigung oder Fehlfunktion eines Nervs oder mehrerer Nerven verursacht. Im Gegensatz zu den anderen genannten Schmerzarten kann neuropathischer Schmerz auch ohne jegliche äußere Reize auftreten. Ein Beispiel für neuropathischen Schmerz ist das Gefühl von Nadelstichen oder elektrischen Schocks, die durch eine Nervenverletzung oder -entzündung verursacht werden können. Zu dieser Schmerzart zählen auch Phantomschmerzen, bei denen Schmerzen in einem Körperteil empfunden werden, der nicht mehr vorhanden ist, wie nach einer Amputation. Neuropathischer Schmerz kann auch durch chronische Erkrankungen wie Diabetes, Multiple Sklerose oder durch Infektionen verursacht werden.
Schmerzen sind so vielfältig in ihrem Erscheinungsbild wie in ihren Ursachen. Wenn Sie regelmäßig üben, können Sie sich aus der Schmerzspirale befreien.
Darüber hinaus lassen sich die genannten unterschiedlichen Schmerzarten in die Bereiche akute Schmerzen und chronische Schmerzen unterteilen. Akutschmerz tritt plötzlich und intensiv auf und ist in der Regel auf eine akute Bedrohung wie zum Beispiel eine Verletzung oder Erkrankung zurückzuführen. Dieser Schmerz dauert meist nur wenige Sekunden bis zu einigen Tagen. Er kann auch von weiteren Symptomen begleitet sein, wie Schwellungen, Rötungen oder Fieber. Dauert der Schmerz jedoch länger an, wird er als chronischer Schmerz bezeichnet. Mehr über das Thema chronische Schmerzen und wie Sie diese überwinden können, erfahren Sie in Kapitel 4 ab Seite 100.
Sie haben nun bereits erfahren, was Schmerz genau ist, welche wichtige Funktion er hat und dass Ihr Nervensystem einen maßgeblichen Einfluss auf Ihre Schmerzwahrnehmung hat. Wie Gehirn und Nervensystem genau funktionieren und welche neuro-nalen Bereiche im Schmerzkontext relevant sind, folgt in Kapitel 2. Wir haben uns darum bemüht, Ihnen das komplexe Nervensystem so einfach wie möglich vorzustellen. Es geht nicht darum, dass Sie einzelne Fachbegriffe lernen, sondern vielmehr um ein Grundverständnis über den Aufbau und die Funktionsweise des Nervensystems. Dieses Verständnis wird Ihnen dabei helfen, aktiv Einfluss auf Ihr Schmerzempfinden zu nehmen und dieses nachhaltig zu verändern. In Kapitel 3 ab Seite 62 erhalten Sie eine konkrete Anleitung, mit der Sie selbst zu Ihrem eigenen Schmerzexperten werden. Sie erfahren, wie Sie die Reaktion Ihres Nervensystems eigenständig testen können. Dieser Ansatz bildet die Grundlage zur Erstellung Ihres individuellen Trainingsplans.
In Kapitel 4 finden Sie weitere Informationen zu ausgewählten Schmerzbildern sowie eine empfohlene Übungsauswahl, die Sie für sich testen können. Jedem Schmerzbild ist ein Icon zugeordnet, das Sie in Kapitel 5 ab Seite 108 bei den einzelnen Übungen wiederfinden. Kapitel 5 bildet das große Übungskapitel, welches in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt ist, um sowohl die Exterozeption (Seite 53) als auch die Interozeption (Seite 50) zu trainieren. Zu jedem Übungsbereich finden Sie weitere allgemeine Informationen sowie konkrete Trainingsempfehlungen zu allen Übungen. Betrachten Sie sowohl die Übungsauswahl als auch den Übungsumfang nur als Orientierung. Testen Sie die Wirkungen immer für sich selbst.
Ziel der Übungen ist es, Ihrem Gehirn gute Informationen zu liefern und sein Sicherheitsempfinden zu erhöhen. Und wie Sie bereits wissen, ist dies individuell ausgeprägt. Vielleicht mag Ihnen die eine oder andere Übung zuerst unbekannt oder gar seltsam vorkommen. Wir möchten Sie dazu ermutigen, offen zu sein und neue Wege fernab von konventionellen Therapieansätzen zu gehen, mit denen Sie Ihre Beschwerden erfolgreich behandeln können. Es lohnt sich!
Das abschließende Ernährungskapitel soll Sie zusätzlich unterstützen, eine für Sie geeignete Ernährung zu finden, die Sie ausreichend mit Energie und Nährstoffen versorgt und sich positiv auf Ihren Körper und Ihr Nervensystem auswirkt. Hier zeigen wir Ihnen verschiedene Faktoren auf, die die Basis für eine ausgewogene Ernährung bilden, sowie ergänzende Maßnahmen bei verschiedenen Schmerzbildern.
Die einzelnen Kapitel bauen inhaltlich aufeinander auf. Wir empfehlen Ihnen daher, das Buch Kapitel für Kapitel durchzugehen und den Theorieteil nicht zu überspringen. Wie bereits beschrieben, hat das Wissen über Schmerzen einen Einfluss auf deren Entstehung und Linderung. Lassen Sie dieses Potenzial nicht ungenutzt, indem Sie direkt mit den Übungen beginnen.
Ihr Nervensystem passt sich zeitlebens immer wieder neu an, was bedeutet, dass Sie Ihren Schmerzen nicht ausgeliefert sind, sondern diese selbst modulieren und lösen können. Dies ist doch eine wundervolle Nachricht, finden Sie nicht auch?
In der Schmerzforschung gibt es immer wieder viele neue Erkenntnisse und die Rolle des Nervensystems rückt mehr und mehr in den Vordergrund. Bis sich neues und aktuelles Wissen jedoch verbreitet, bedarf es häufig einer gewissen Zeit. Dies bedeutet auch, dass manche Therapie- oder Trainingseinrichtungen nicht auf dem aktuellen Wissensstand sind. Wundern Sie sich daher nicht, wenn Ihr Arzt, Therapeut oder Trainer mit dem Wissen aus diesem Buch nicht vertraut ist.
Wichtiger Hinweis!
Abschließend sei jedoch noch angemerkt, dass dieses Buch keinen Ersatz für eine medizinische Behandlung oder Therapie darstellt. Es kann auch ein zielgerichtetes Training durch Fachpersonen nicht ersetzen. Wenn Sie unter Schmerzen leiden, sollte der erste Schritt immer eine medizinische Abklärung der akuten Situation sein. Konsultieren Sie im Zweifelsfall bitte einen Arzt. Dies gilt auch, wenn bei Ihnen während des Trainings Überlastungsanzeichen wie Schwindel, starkes Schwitzen oder Ähnliches auftreten. Hören Sie auf Ihren Körper und nehmen Sie seine Signale ernst!