Schmetterlinge im Rollstuhl - Martina Guderjahn - E-Book

Schmetterlinge im Rollstuhl E-Book

Martina Guderjahn

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Beschreibung

Schmetterlinge im Rollstuhl Ein Roman über Mut, Liebe und das Leben mit besonderen Herausforderungen Als Miriam erfährt, dass ihr Sohn Simon an spinaler Muskelatrophie leidet, beginnt eine Reise voller Zweifel, Ängste – aber auch voller Hoffnung. Allein gelassen vom Vater ihres Kindes, wächst Miriam über sich hinaus und findet Schritt für Schritt in eine neue Stärke. Simon ist anders – und gerade deshalb besonders. Mit kindlicher Weisheit, Herz und einem unbeirrbaren Willen geht er seinen Weg, den Rollstuhl nennt er liebevoll "Rakete". Er zeigt seiner Mutter und allen Menschen um ihn herum, dass echtes Glück nicht vom Laufen, sondern vom Lieben kommt. In zwei Stimmen – zuerst aus Miriams Sicht, später aus Simons – entfaltet sich ein stilles, intensives Porträt über Familie, Inklusion, das Ankommen und das Weitergehen. Ein Roman, der berührt, inspiriert und zeigt, wie viel Kraft in einem einzigen Lächeln liegen kann.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Martina Guderjahn

Schmetterlinge im Rollstuhl

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Schmetterlinge im Rollstuhl Miriams Stimme

Der Anfang

Markus

Die Schwangerschaft

Simons Geburt

Die erste Begegnung

Die ersten Wochen zu Hause

Die ersten Anzeichen

Die ersten Monate mit Simon

Ein Abend voller Zweifel

Ein kleiner Wendepunkt

Ein unangenehmer Besuch

Ein Moment der Ruhe

Tage mit Simon

Ein unerwartetes Treffen

Anders sein, aber nicht weniger

Ein bescheidenes Leben

Hilfe und Selbsthilfe

Ein weiteres, unerwartetes Treffen

Die Angst vor dem Atemgerät

Simons erster Geburtstag

Geschenke und Freude

Worte, die alles verändern

Eine besondere Liebe zu Büchern

Frühling: Ein Neuanfang

Sommer: Eine Pause vom Alltag

Eine neue Energie

Herbst: Neue Verbindungen

Eine besondere Dynamik

Winter: Markus’ Rückkehr

Wahrheit

Der beste Tag seines Lebens

Ein Moment der Nähe

Lukas

Die Welt der Puzzle

Familie und Liebe

Ein neues Wort

Ein Wunder

Ein Weihnachtsfest voller Liebe

Ein neues Zuhause

Eine unerwartete Nachricht

Neue Wege für Simon

Der Tag davor

Der Kindergarten

Die erste Woche

Ein neuer Alltag

Vorwärts oder rückwärts?

Hilflosigkeit und Zweifel

Miriam allein

Ein paar Tage Abstand

Entscheidungen

Eine diffuse Situation

Ein Moment der Erkenntnis

Versöhnung

Ein Moment der Leichtigkeit

Simon als Ringträger

Der große Tag

Ein leiser Husten

Die Nacht voller Zweifel

Lukas ist da

Im Krankenwagen

Ein Hoffnungsschimmer

Diagnose: Sauerstoffgerät

Der Alltag mit dem Sauerstoffgerät

Zurück in den Kindergarten

Eine helfende Hand

Eine Pflegekraft hilft uns

Ein Stück Freiheit

Veränderungen

Der Moment der Wahrheit

Die Sorge um das Baby

Hoffnung

Die Idee für Lukas

Schmetterlinge im Rollstuhl Simons Stimme

Simons Geschichte

Reisen mit der Rakete

Meine Muskeln und ich

Mama und Papa

Meine Familie

Was ich mag

Menschen

Wie ich die Welt sehe

Mein Garten

Mein Lieblingsplatz

Was Freundschaft für mich bedeutet

Manchmal gibt es Streit

Mein erster Schultag

Die erste Stunde

Ein großer Bruder – das bin ich

Ein kleiner Bruder oder eine kleine Schwester?

Träume

Mut – und was das bedeutet

Besondere Erinnerungen

Wie ich Gefühle verstehe

Meine Schwester

Pläne für die Zukunft

Danksagung

Zur Autorin

Impressum neobooks

Schmetterlinge im Rollstuhl Miriams Stimme

Als Miriam erfährt, dass ihr Sohn Simon an spinaler Muskelatrophie leidet, beginnt eine Reise voller Zweifel, Ängste – aber auch voller Hoffnung. Allein gelassen vom Vater ihres Kindes, wächst Miriam über sich hinaus und findet Schritt für Schritt in eine neue Stärke.

Simon ist anders – und gerade deshalb besonders. Mit kindlicher Weisheit, Herz und einem unbeirrbaren Willen geht er seinen Weg, den Rollstuhl nennt er liebevoll „Rakete“. Er zeigt seiner Mutter und allen Menschen um ihn herum, dass echtes Glück nicht vom Laufen, sondern vom Lieben kommt.

In zwei Stimmen – zuerst aus Miriams Sicht, später aus Simons – entfaltet sich ein stilles, intensives Porträt über Familie, Inklusion, das Ankommen und das Weitergehen.

Ein Roman, der berührt, inspiriert und zeigt, wie viel Kraft in einem einzigen Lächeln liegen kann.

Ein Junge im Rollstuhl, eine Mutter

voller Liebe – eine Geschichte über Mut,

Hoffnung und die Kraft des Herzens.

Der Anfang

Simon kommt in mein Leben

„Wissen Sie, es gibt Momente, die das ganze Leben auf den Kopf stellen. Manchmal sehen sie gar nicht so aus. Ein kleiner Strich auf einem Schwangerschaftstest. Ein winziger Herzschlag auf einem Ultraschallbild. So hat alles angefangen. Simon. Mein Simon. Der Junge, der mich jeden Tag auf seine Weise lehrt, dass das Leben stärker ist als alles andere."

Ich war 26, als ich schwanger wurde. Es war nicht geplant, aber wer plant das Leben schon? Ich hatte gerade angefangen, mein Leben irgendwie in den Griff zu bekommen.

Keine großen Träume, nur die kleinen Schritte: eine Wohnung, ein Job, eine Ahnung von Stabilität. Dann kam die Nachricht – so klein und unscheinbar auf diesem blöden Teststreifen, dass ich fast gelacht hätte.

Ich erinnere mich noch genau: Es war ein Dienstag. Im Radio lief irgendein Popsong, und ich stand in diesem winzigen Bad, starrte auf den Test und dachte nur: Wie soll ich das schaffen? Aber dann, einen Moment später, war da ein anderes Gefühl. Wie ein kleiner Funke, ein Flüstern: Vielleicht schaffst du das ja doch.

Die ersten Monate waren eigentlich wunderschön. Ich hatte Angst, ja, aber das war so eine diffuse Angst, wie wenn man nachts durch eine dunkle Straße geht – man spürt sie, aber sie bleibt irgendwo im Hintergrund. Viel stärker war dieses neue Gefühl in mir. Es war, als würde ich zum ersten Mal einen Grund haben, morgens aufzustehen, der größer war als ich selbst. Ich begann, diese kleinen Rituale zu lieben: meine Hand auf den Bauch zu legen, so als könnte ich Simon schon spüren, auch wenn ich wusste, dass es viel zu früh war. Nach ein paar Wochen war er in meinen Gedanken schon ein eigener kleiner Mensch.

In meinem Kopf redete ich mit ihm: „Wir schaffen das, kleiner Mann. Du und ich.“

Doch irgendwann kamen diese kleinen Zweifel. Anfangs waren es nur die üblichen Sorgen.

Ist es normal, dass ich so müde bin? Dass ich so oft Rückenschmerzen habe? Jeder sagte: „Das ist die Schwangerschaft. Das gehört dazu.“ Und ich wollte das glauben.

Aber da war noch etwas. Es war nichts Greifbares, nur ein Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ein flüchtiger Gedanke, der sich immer wieder in meine Träume schlich, ohne dass ich es wirklich aussprechen konnte.

Ich erinnere mich an einen dieser Momente: Ich saß im Wartezimmer bei einem Routinecheck und beobachtete die anderen Frauen.

Wie sie mit ihren runden Bäuchen lächelten, wie sie über Babynamen sprachen. Und dann fragte ich mich plötzlich: Warum fühle ich mich anders als sie?

Es begann mit etwas, das der Arzt als

„Auffälligkeit“ bezeichnete. Dieses Wort blieb mir im Kopf hängen, wie ein Splitter, den man nicht herausbekommt.

„Auffälligkeit“ – als hätte mein Baby etwas getan, das nicht in Ordnung war. Dabei hatte Simon gar nichts getan. Er war einfach nur er selbst, ein kleines Herz, das in mir schlug, ein kleines Wesen, das gerade erst angefangen hatte zu existieren.

Beim ersten Ultraschall war alles in Ordnung. Ich sah seinen winzigen Körper auf dem Bildschirm, hörte das Herz schlagen, und ich war erleichtert. Doch in der 20. Schwangerschaftswoche, bei der Feindiagnostik, wurde der Tonfall des Arztes anders. Es dauerte länger als sonst. Der Arzt schob den Schallkopf hin und her, machte ein Bild nach dem anderen, während ich dalag und mich fragte, warum er nichts sagte.

Dann kamen diese Worte: „Wir sehen eine reduzierte Bewegung der Extremitäten. Das könnte auf etwas hinweisen.“

„Auf was denn?“ Meine Stimme war leise, fast mechanisch.

„Wir können noch nichts Genaues sagen. Wir müssen weitere Untersuchungen machen.“

Ich erinnere mich, wie ich nickte, aber eigentlich nichts verstand. Zu Hause googelte ich alles, was ich finden konnte.

Reduzierte Bewegungen der Extremitäten.

Die Ergebnisse waren so zahlreich wie niederschmetternd. Genetische Erkrankungen. Muskelerkrankungen. Ich las, dass spinale Muskelatrophie eine Möglichkeit sein könnte, und starrte das Wort an, als würde es mich anklagen. SMA. Ich wusste nichts darüber. Ich wusste nur, dass es nach etwas klang, das ich nicht hören wollte.

Noch genauer anschauen. Was für ein Satz. Er sollte beruhigen, aber in mir schrillten alle Alarmglocken. Doch ich nickte nur, als hätte ich das alles schon erwartet. Vielleicht hatte ich das ja auch.

Die nächsten Tage waren ein Wechselbad. Ich versuchte, mich selbst zu beruhigen: „Es ist bestimmt nichts.“

Aber in den stillen Momenten, wenn die Wohnung leer war und ich wieder meine Hand auf den Bauch legte, dachte ich:

Was, wenn doch? Was, wenn mein kleiner Simon nicht so gesund ist wie die Babys der anderen?

Die nächsten Wochen waren die schlimmsten meines Lebens. Tests, Gespräche, noch mehr Tests. Blutabnahmen, um genetische Marker zu suchen.

Ich saß in Wartezimmern, hörte andere Frauen lachen und reden, während ich mit verschwitzten Händen mein Handy festhielt und mich fragte, ob ich jemals wieder so unbeschwert sein könnte wie sie.

Der Arzt erklärte mir später, dass SMA eine genetische Erkrankung ist, die vererbt wird. Beide Elternteile müssen Träger eines fehlerhaften Gens sein, damit ein Kind erkranken kann.

„Bei SMA handelt es sich um eine sogenannte autosomal-rezessive Vererbung“, sagte er.

Als ich ihn fragend ansah, erklärte er es noch einmal:„Wenn Sie und der Vater beide Träger sind, besteht eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind SMA entwickelt.“

Das machte keinen Sinn. Ich war gesund. Markus war gesund. Niemand in unseren Familien hatte je von so etwas gehört. Und doch, so erklärte mir der Arzt, können gesunde Menschen Träger sein, ohne es zu wissen. Etwa eine von 40 bis 50 Personen trägt das SMA-Gen.

Es ist reiner Zufall, wen es trifft. Ein trauriger Zufall. Am Tag, als die endgültige Diagnose kam, saß ich wieder allein im Behandlungszimmer. Markus war nicht da – wir waren zu diesem Zeitpunkt schon kaum mehr als entfernte Bekannte, die sich ab und zu Nachrichten schickten. Der Arzt sprach ruhig, sachlich, wie immer.

„Wir haben die Ergebnisse der genetischen Untersuchung. Ihr Kind hat spinale Muskelatrophie Typ 2.“

Ich hatte das Gefühl, der Boden unter mir würde sich auflösen. Der Arzt redete weiter, sprach von Möglichkeiten und Prognosen, aber ich hörte nur die ersten Worte: „Ihr Kind hat …“ Alles danach war wie ein dumpfes Dröhnen in meinen Ohren.

„Wie wird sein Leben sein?“ fragte ich irgendwann. Meine Stimme war heiser, kaum mehr als ein Flüstern.

„Kinder mit Typ 2 können oft lange leben, aber sie werden körperlich eingeschränkt sein. Es wird medizinische Unterstützung nötig sein, aber …“ Er hielt inne.

„Aber was?“

„Aber sie können ein glückliches Leben führen.“

Ich weiß nicht, warum, aber diese Worte blieben mir im Gedächtnis.

Ein glückliches Leben.

Vielleicht lag es daran, dass ich nicht wusste, ob ich daran glauben konnte, aber gleichzeitig nicht bereit war, das Gegenteil zu akzeptieren.

Als ich die Diagnose bekam, hatte ich das Gefühl, die Zeit würde stehen bleiben. Der Arzt sprach ruhig und professionell, erklärte mir alles ganz genau.

„Spinale Muskelatrophie“, sagte er, als ob diese Worte nur eine weitere Krankheit aus dem Lehrbuch wären. Für ihn war das vielleicht Routine.

Für mich war es das Ende aller Träume, die ich in diesen wenigen Monaten aufgebaut hatte. Ich hörte kaum zu. Die Worte verschwammen zu einem Summen, und alles, woran ich mich klammerte, war Simons Bild auf dem Ultraschall. Er bewegte sich, ganz ruhig und gelassen, als würde er sagen: „Keine Sorge, Mama. Wir schaffen das.“

In den Tagen danach kämpfte ich mit mir. Es war nicht die Diagnose, die mich am meisten traf. Es war die Angst, nicht genug zu sein. Nicht stark genug. Nicht geduldig genug. Aber jedes Mal, wenn ich in diesen Strudel aus Zweifeln geriet, war da wieder dieses Flüstern. Es kam tief aus meinem Bauch, aus Simons Bauch: Vielleicht schaffst du das ja doch.

Markus

Es gibt Menschen, die treten in dein Leben, als hätten sie alle Zeit der Welt. Und dann verschwinden sie, als wäre es nie anders gewesen. So war es mit Markus.

Ich habe ihn vor ein paar Jahren kennengelernt, in einer Phase, in der ich nicht viel mehr hatte als mich selbst und ein paar Träume, die ich kaum auszusprechen wagte.

Er war einer von diesen Männern, die wissen, wie sie ein Zimmer füllen, ohne laut zu sein. Breit gebaut, ein Lächeln, das mühelos war. Und doch war da immer dieses Gefühl, dass er nie ganz da war, nicht wirklich.

Vielleicht war das der Grund, warum ich mich zu ihm hingezogen fühlte – diese Mischung aus Verlässlichkeit und Unerreichbarkeit.

Am Anfang war alles leicht. Wir waren kein großes Drama, keine filmreife Liebesgeschichte. Er brachte Kaffee mit, wenn er morgens vorbeikam, küsste mich im Vorbeigehen auf die Stirn, und ich dachte: Das reicht doch. Das ist doch genug. Vielleicht hatte ich schon damals Angst, zu viel zu verlangen.

Es ging nicht plötzlich zu Ende. Es gab keinen großen Streit, keine endgültigen Worte. Markus war einfach immer weniger da. Erst waren es die Nächte, die er nicht blieb. Dann die Nachrichten, die immer kürzer wurden. Irgendwann saß ich alleine in der Küche und merkte, dass ich die ganze Zeit auf sein Auto gehört hatte, obwohl ich wusste, dass es nicht kommen würde.

Als ich ihm sagte, dass ich schwanger bin, war er ruhig. Zu ruhig. Er sagte all die richtigen Dinge, aber nichts davon klang, als würde er es wirklich meinen.

„Wir schaffen das schon“, sagte er, und ich nickte, obwohl ich wusste, dass dieses „wir“ nur eine schöne Lüge war.

Ich glaube, Markus wollte es wirklich versuchen. Zumindest ein paar Wochen lang. Er kam vorbei, brachte mir Wasser, wenn ich von der Übelkeit gebeutelt war, streichelte meinen Bauch, wenn ich es zuließ. Aber es war nicht genug. Vielleicht war ich es nicht. Vielleicht war es Simon. Vielleicht war es einfach Markus.

Dann kam die Diagnose. Es war an einem regnerischen Sonntag, und er saß bei mir auf der Couch, mit diesem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte – war es Mitleid? Angst? Natürlich hatte ich ihm davon erzählt. Wie hätte ich das für mich behalten können.

Er ließ mich ausreden, fragte ein paar belanglose Fragen, und dann sagte er diesen einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Das wird sehr schwer werden, Miriam.“

Ich hätte schreien können.

Hätte ihn anschreien können, dass ich das doch weiß. Dass ich jede einzelne Minute darüber nachdenke, wie schwer das werden wird.

Aber stattdessen habe ich nur genickt, wie ich es immer tat, und er hat seine Jacke genommen und gesagt: „Ich melde mich.“

Das hat er dann auch. Zwei, drei Mal. Nachrichten, die wie Pflichtbesuche klangen: „Wie geht’s dir?“ oder „Alles okay?“

Aber eines Tages hörte es einfach auf. Keine Anrufe mehr, keine Nachrichten. Und irgendwann habe ich aufgehört, zu antworten.

Ich sage nicht, dass er ein schlechter Mensch ist. Ich glaube, Markus hatte Angst. Nicht vor Simon, sondern vor dem, was Simon von ihm verlangen würde. Verantwortung. Beständigkeit.

Dinge, die er mir nie wirklich geben konnte. Vielleicht hat er mich sogar gerettet, indem er ging, bevor ich ihn darum bitten konnte, zu bleiben.

Ich hätte Markus gerne gehasst.

Es wäre einfacher gewesen. Aber ich habe zu viel Liebe für diesen kleinen Jungen in mir, als dass ich Platz für Hass hätte. Markus hat mir Simon gegeben. Vielleicht war das seine Aufgabe, und er hat sie erfüllt.

Nachdem Markus gegangen war, gab es niemanden mehr, an den ich mich wenden konnte – zumindest dachte ich das. Aber manchmal kommt Hilfe von Orten, an die man gar nicht mehr glaubt. Oder von Personen, an die man gar nicht denkt.

Mein Vater war immer ein stiller Mann. Er war nie einer von denen, die ihre Gefühle offen zeigten oder lange Reden hielten. Er war eher der Typ, der Dinge reparierte, ohne große Worte zu machen. Als meine Mutter vor ein paar Jahren starb, habe ich mir oft gewünscht, dass er mehr sagen würde. Aber ich glaube, Worte waren nie seine Sprache. Seine Hände sprachen für ihn. Ich weiß noch, wie ich nach der Diagnose zu ihm fuhr. Es war spät, ein regnerischer Abend, und ich fühlte mich so leer, dass ich kaum wusste, warum ich überhaupt dort war. Vielleicht wollte ich einfach nicht allein sein. Er öffnete die Tür, sah mich an, und ich konnte sehen, dass er alles verstand, ohne dass ich ein Wort sagte.

„Du hast gegessen?“ fragte er nur, als wäre das die einzige wichtige Frage der Welt. Ich schüttelte den Kopf, und er machte mir eine Schüssel Suppe warm, ohne weiter zu reden.

Später, als wir am Küchentisch saßen, holte ich tief Luft und erzählte ihm alles: von Simon, von der Diagnose, von Markus. Er sagte nichts, bis ich fertig war. Dann legte er seine Hand auf meine und sagte nur: „Wir schaffen das, Miriam.“

Es war das erste Mal seit Wochen, dass jemand dieses „wir“ gesagt hatte und ich es wirklich glauben konnte.

Die Schwangerschaft

Mut und Trauer zugleich

Die restlichen Monate der Schwangerschaft waren … seltsam. Ein Wechsel zwischen Momenten, in denen ich voller Entschlossenheit war, und Momenten, in denen die Trauer mich überrollte. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es sein würde, Simon zu sehen. Ich wusste, dass er nicht laufen können würde. Dass seine Muskeln schwach sein würden. Aber in meinem Kopf war er trotzdem perfekt. Ich stellte mir vor, wie ich ihm vorlese, wie er in meinen Armen liegt, wie er mit diesen großen, neugierigen Augen in die Welt schaut. Doch dann gab es diese anderen Momente. Diese dunklen Gedanken, die wie Wolken kamen, ohne dass ich sie rufen musste. Was, wenn ich es nicht schaffe?

Was, wenn ich nicht stark genug bin, für ihn da zu sein? Was, wenn er mich eines Tages ansieht und merkt, dass ich nicht genug bin?

Mein Vater war in diesen Momenten wie ein Anker. Er kam oft vorbei, brachte mir Lebensmittel, reparierte meine tropfenden Wasserhähne, setzte sich einfach mit mir hin. Manchmal sagte er gar nichts, aber seine bloße Anwesenheit machte alles ein bisschen leichter.Einen Abend, kurz vor der Geburt, saß ich allein auf der Couch und streichelte meinen Bauch. Simon war ruhig, wie er es meistens war. Seine Bewegungen waren nicht wie bei anderen Babys, aber ich hatte mich daran gewöhnt. Es war, als würde er mich sanft daran erinnern, dass er da war, ohne Lärm zu machen. Ich begann, leise mit ihm zu reden.

„Simon“, flüsterte ich, „ich weiß nicht, ob ich gut genug bin für dich. Aber ich verspreche dir, ich werde alles tun, damit du glücklich bist.“

In diesem Moment spürte ich eine Bewegung, stärker als sonst. Es war, als würde er mir antworten, als wollte er sagen: Du bist genug, Mama.

Ich legte mich zurück und ließ die Tränen laufen. Nicht aus Trauer, sondern aus etwas anderem, etwas Größerem. Es war wie ein leises, warmes Gefühl, das mir sagte, dass wir das schaffen würden.

Simons Geburt

  Mein Sohn

Ich weiß noch, wie ich in der Nacht vor Simons Geburt wach lag. Mein Bauch war schwer, meine Gedanken noch schwerer. Es war der 12. September, und der Sommer hielt sich mit seinen letzten Atemzügen fest. Die Luft war drückend warm, und ich fühlte mich wie in einer Zwischenwelt. Nicht mehr nur ich, aber Simon war auch noch nicht ganz da.

Markus hatte gesagt, er würde kommen. „Natürlich bin ich da“, hatte er am Telefon gesagt, aber seine Stimme klang, als ob er es eher sich selbst beweisen wollte. Ich wusste, dass er nicht kommen würde. Irgendwo in mir hatte ich das schon lange akzeptiert. Trotzdem tat es weh, als der Morgen kam und mein Handy stumm blieb.

Mein Vater fuhr mich ins Krankenhaus. Er redete kaum, was ich schätzte, denn ich hatte keine Kraft für Gespräche. Stattdessen legte er mir eine Hand auf die Schulter, bevor ich aus dem Auto stieg, und sagte: „Du bist stark, Miriam. Das weißt du, oder?“

Ich lächelte nur schwach. Stark. Ja, das musste ich jetzt wohl sein.

Die Hebamme

Im Kreißsaal empfing mich eine Frau, die mir sofort das Gefühl gab, dass ich nicht allein war. Sie hieß Anna, hatte ein ruhiges Gesicht und diese Art von Stimme, die einen mitten im Sturm beruhigen konnte.

„Miriam, wir machen das zusammen, okay?“ sagte sie, als sie mich in Empfang nahm. „Du kannst mir alles sagen, egal was. Und wenn du einfach fluchen willst, dann fluchst du.“

Ich wusste nicht, dass ich eine solche Hebamme brauchte, bis ich sie hatte. Anna war mehr als nur jemand, der medizinisch bei mir war. Sie war meine Stimme, wenn ich keine Worte fand. Sie war die Hand, die ich drückte, wenn die Schmerzen zu groß wurden.

Die Geburt

Die Wehen kamen in Wellen, und jede von ihnen fühlte sich an, als würde sie mich auseinanderreißen. Es war, als würde mein Körper schreien: Lass los. Gib ihn frei.

Ich dachte an Simon, daran, wie klein und verletzlich er sein würde, und plötzlich war da eine Mischung aus Furcht und Entschlossenheit. Ich wollte ihn schützen, ihn festhalten, ihn vor allem bewahren, was kommen würde. Aber zuerst musste ich ihn auf die Welt bringen.

„Du machst das so gut, Miriam“, sagte Anna irgendwann. „Atme. Noch ein bisschen.“

Es war ein Moment, der sich ewig hinzog und doch so schnell vorbei war. Ein Moment, in dem Schmerz, Angst und Liebe zusammenfanden, bis alles von einem einzigen Schrei übertönt wurde. Simons Schrei.

Die erste Begegnung

„Da ist er“, flüsterte Anna. Sie legte ihn mir auf die Brust, und alles um mich herum verstummte.

Er war so klein. Seine Haut war rosig, seine Augen geschlossen, und seine winzigen Finger zuckten leicht, als suchten sie etwas, woran sie sich festhalten konnten.

Ich sah ihn an, und in diesem Moment war alles andere unwichtig. Die Sorgen, die Angst, Markus’ Abwesenheit – sie verschwanden.

„Hallo, Simon“, flüsterte ich. Meine Stimme brach, und ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Also tat ich beides.

Mein Vater kam später in das Zimmer, nachdem alles vorbei war. Er setzte sich neben mein Bett und sah Simon lange an, ohne ein Wort zu sagen. Dann nahm er meinen Sohn ganz vorsichtig in die Arme, als hätte er Angst, ihn zu zerbrechen.

„Er sieht dir ähnlich“, sagte er schließlich und räusperte sich. Seine Stimme war rauer als sonst. „Er hat deinen Mut.“

Ich lachte leise. „Er ist ein paar Stunden alt. Woher willst du das wissen?“

„Man sieht so etwas.“

Es war kurz nach Mitternacht, als es an meiner Zimmertür klopfte. Es war der Mann, den ich schon im Kreißsaal bemerkt hatte – ein junger Arzt, der mich zwischendurch beruhigt hatte, als ich panisch nach Simon gefragt hatte.

„Ich wollte nur kurz sehen, ob es Ihnen gut geht“, sagte er. „Und dem kleinen Mann hier.“

Seine Augen waren freundlich, sein Lächeln ehrlich. Wir wechselten nur ein paar Worte, aber ich spürte, dass er mich gesehen hatte. Nicht nur als Patientin, sondern als Mutter. Ich dachte nicht viel darüber nach. Nicht in diesem Moment. Mein Herz gehörte Simon, und alles andere würde warten müssen.

Nach der Geburt schien alles ganz normal zu sein. Simon war ein ruhiges Baby, das viel schlief und nur selten weinte. Die Ärzte sagten, er sei gesund – keine Auffälligkeiten, nichts, was sie dazu veranlasste, sofort Alarm zu schlagen. Ich hielt ihn in meinen Armen und betrachtete sein kleines Gesicht, seinen winzigen Mund, der manchmal wie im Schlaf lächelte. Seine Finger umfassten meinen Daumen, und in diesen Momenten dachte ich, dass alles vielleicht doch gut werden könnte.

„Er ist perfekt“, sagte ich zu meinem Vater, als er uns am nächsten Tag besuchte. Mein Vater nickte und lächelte. „Das ist er wirklich.“

Die Tage im Krankenhaus vergingen schnell, und niemand erwähnte die Diagnose noch einmal. Es war fast so, als wäre sie nicht real.

Ich durfte Simon stillen, ihn wickeln, ihn baden – alles fühlte sich an wie bei jedem anderen Baby.

Die Hebamme, Anna, sah mich eines Morgens an, als ich Simon vorsichtig in den Arm nahm, und sagte: „Du machst das gut, Miriam. Vertrau dir. Für ihn bist du alles, was er braucht.“