Schnauze Ossi! - Mark Daniel - E-Book

Schnauze Ossi! E-Book

Mark Daniel

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Beschreibung

Da staunt sogar der Wessi. Und das Ampelmännchen wird rot.

Seit 25 Jahren sind wir irgendwie ein Land. Ossi-Wessi? Das Thema ist durch - behaupten immer mehr Ossis. Klar, sie sind Kanzler, sie sind Präsident, sie sind angekommen. Jetzt rollen sie das Land von Osten auf.

Mit Unschuldsmiene und dem guten alten Opfertrick.

Mark Daniel und Jürgen Kleindienst leben über zwei Jahrzehnte in Leipzig. Sie durchschauen ihre seltsamen Landsleute und sagen: Es reicht!

Nach über zwei Billionen Euro, mit denen die ostdeutschen Tagebaulandschaften wieder bewohnbar gemacht wurden, nach 25 Jahren Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid, ist es Zeit für die Wahrheit und ein herzliches: „Schnauze Ossi“!

Heiter bis wütend, witzig und provozierend decken die Autoren auf, wie Gauck und Merkel Karriere machen konnten, welches Ereignis in Wahrheit zum Mauerfall führte und wo der ganz normale Rassismus herkommt. Daniel/Kleindienst zeigen, warum man DDR-Rocker nicht mehr los wird und was hinter dem Schunkelprogramm des MDR steckt. Und last but not least: Beim großen Ossi-Test kann jeder Leser selbst herausfinden, ob er bereits ‚ossimiliert‘ ist.

  • Zwei Wahl-Ossis nehmen deutsch-deutsche Klischees aufs Korn
  • Ein gelungener Gegenangriff auf Holger Witzels »Schnauze Wessi«

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Seitenzahl: 155

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MARK DANIEL UND JÜRGEN KLEINDIENST

Schnauze

Ossi!

ZWEI WESSIS

PÖBELNZURÜCK

GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS

»Ich liebe doch alle, alle Menschen.«

Erich Mielke am 13. November 1989 vor der DDR-Volkskammer

Inhalt

1. Anstelle eines Vorworts – Offener Brief an die Ossis

2. Genschers Fehltritt – Er hat’s nicht so gemeint

3. Gruselshopping

4. Der Opfertrick

5. Der Kunde kann mich mal!

6. Keiner versteht uns

7. Krieg und Frieden im Datschen-Idyll!

8. Merkel – Mädchen, Mutti, Monarchin

9. Gauck – Mann ohne Eigenschaften

10. Reich mir die Flosse, Genosse! – Rituale, die der Ossi braucht

11. Alltagsrassismus – Wir hatten nicht nur Fidschis

12. Jäger auf CD – Kulinarische Krepierer

13. Alles fatal – Kannste nischt machen

14. Die grössten Kritiker der Elche ... sind inzwischen selber welche

15. Ost-TV – Keine Panik auf der Titanic

16. Jurassic Parkinson – Musikalische Altlasten

17. Rettet Görlitz! – Seilschaften im Disneyland

18. Ost-Satire, Ost-Kabarett – Früher war beides besser

19. Ostdeutsch als Fremdsprache

20. An der Ostseeküste – Für Barschel war’s schöner

21. Gute Nacht im Land der Frühaufsteher oder: Sachsen-Anhalter aus der Galaxis

Der Ossi-Test – 25 Jahre, 25 Fragen

1. Anstelle eines Vorworts

Offener Brief an die Ossis

Liebe Ossis!

Was haben wir uns gefreut, damals, 1989! Bei uns re(a)gierte Kohl. Die ganze Bundesrepublik schien verfettet. Es war der graue Mann aus der Persil-Werbung, der die Vision dieses unseres Landes in Worte fasste: »Da weiß man, was man hat. Guten Abend.« – »Gute Nacht« wäre richtig gewesen. Wir wollten nicht mehr, was wir hatten. Es musste etwas passieren. Und dann kamt Ihr: Nach 40 Jahren tragikomischen Laienspiels mit Blümchenkaffee und Spartakiade habt Ihr das Präsidium Eures Wandlitzer Kleingartenvereins nach Hause geschickt. Nicht Reagan hatte das Tor geöffnet, sondern Ihr selbst. Saubere Aktion, dachten wir damals. Wir, die lupenreine Demokratie, hatten es ja nicht mal geschafft, den NATO-Doppelbeschluss zu stoppen. 25 Jahre danach ist die Hoffnung auf ein neues, selbstbewusstes und seiner selbst bewusstes Land verweht wie die Abgaswolke aus den endlosen Schlangen grauer Trabis, die damals in den Westen rollten.

Dass Liebesfilme meist vor der Hochzeit enden, hat einen guten Grund. Lust und Leidenschaft vertragen sich nicht mit Staubsaugen und Spülmaschine ausräumen. Der deutsch-deutsche Film aber ging weiter. Nur wie? Sich zu erinnern bedeutet, das Drehbuch von der Gegenwart aus so umzuschreiben, wie es einem am besten in den Kram passt. Anders gesagt: Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur Versionen von ihr. Und Eure Wahrheit geht so: Der Westen hat den Osten überrollt, die DDR wurde annektiert. Von ihr blieb nur der braune – pardon – grüne Rechtsabbiegepfeil. Bürger wurden Kunden, Geld wurde Religion.

Rotkäppchen trifft Raubtierkapitalismus. Der Witz ist: Während Ihr bis heute dieses Ammenmärchen verbreitet, übernehmt Ihr den ganzen Wald. Dass zwei Ostdeutsche inzwischen die beiden wichtigsten Ämter im Staat bekleiden, hat irgendwie keiner mitbekommen. Die Strategie: Unauffälligkeit, Anpassungsfähigkeit, Konfliktvermeidung. DDR-Tugenden, die um sich greifen. Zuerst rechnet man nicht mit Euch. Und plötzlich steht es 0:1. Nicht nur am 22. Juni 1974, 77. Minute. Sparwasser.

Ihr sagt, man müsse hier geboren sein, um Euch zu kennen? Klassisches Totschlagargument! Initiationsrituale afrikanischer Pygmäenstämme oder Traumzeit-Vorstellungen der australischen Ureinwohner zu verstehen – das ist kein Problem. Aber die Ostseele! Sie ist das letzte Rätsel auf dem Planeten. Was für ein Humbug!

Das Dumme ist: Einige von uns wissen zu viel. Zum Beispiel, dass Ihr auch vor der Wende schon gelebt habt. Dass Achim Mentzel mal ein Rocker und dass nicht alles schlecht war. Die Kindergärten, die Solidarität, der Zusammenhalt, die zuverlässige Versorgung mit Schweinefleisch und Alkohol: Wir kennen die Geschichten. Pionierlager, Subbotnik, FKK, Grillfeste: ja, ja und nochmals ja. In endlosen Kneipengesprächen, beim Bäcker, selbst vor und nach dem Sex wurden wir aufgeklärt: Für alles, was in die Hose geht, gibt es letztendlich nur einen Schuldigen, den Wessi.

Ist Euch eigentlich klar, dass es diesen Superschurken bis 1989 im Grunde gar nicht gab? Es gab windschnittige Ost(!)friesen, lustige Bayern, lästige Schwaben und lässige Ruhrpottler. Diesen heillosen Haufen habt Ihr geeint: Mit pauschalen Schuldzuweisungen bedroht Ihr unsere westdeutsche Artenvielfalt. Und er muss ein wahrer Teufelskerl gewesen sein, dieser Wessi: Erst einmal hat er sich hinter der Mauer versteckt und Euch mit einer perfiden Doppelstrategie aus bunten Werbebildern und diffusen Freiheitsversprechen mürbe gemacht. Dann, 1989, kam er hervor, drückte Euch Deutschlandfähnchen in die Hand, als Ihr mal für ein paar Wochen das Volk wart. Er hat Euch mit Begrüßungsgeld und Bananen bestochen und so raffiniert manipuliert, dass Ihr bei der Volkskammerwahl die Allianz für den Dicken wählen musstet, weil der Euch blühende Altlasten und Intershops für alle versprochen hatte.

So kam es, wie es kommen musste: Statt wie früher an den Baggersee zu fahren, wie Gott Euch schuf, geht Ihr einkaufen, bis die Schufa kommt. Und wenn Ihr dann nach Hause gekommen seid, beklagt Ihr Euch über diesen kalten Materialismus, der sich überall breitgemacht hat.

Wir haben Euch zugehört. Wir haben uns bemüht, Euren Schmerz zu verstehen, und Eure Wunden besprochen. Doch jetzt reicht’s. Nach über zwei Billionen Euro, mit denen Eure Tagebaulandschaften wieder bewohnbar gemacht wurden, nach 25 Jahren Unschuldsvermutung, nach 25 Jahren Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid ist es Zeit, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Ihr seid angekommen. Und Ihr seid kaum noch aufzuhalten. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie dieses Buch oder fragen Sie Lothar de Maizière. Der sagte 1990, als Deutschland schon ausgeträumt hatte: »Wir kommen nicht als Freunde, wir kommen als Verwandte.«

Jürgen Kleindienst

2. Genschers Fehltritt –

Er hat’s nicht so gemeint

Keiner hat’s gewusst: Eigentlich sollte am 30. September in Prag alles völlig anders kommen.

Hans-Dietrich Genscher seufzt. Ein viel zu langer Tag ist immer noch nicht vorbei, und zu allem Übel wird dieser 30. September 1989 kein gutes Ende haben. Dafür haben die Betonköpfe in New York gesorgt.

Genscher sitzt im Fond der Limousine, die ihn vom Prager Flughafen abgeholt hat, um ihn in die deutsche Botschaft zu fahren, damit er dort die Arschkarte aus dem Ärmel ziehen muss. Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland seufzt noch mal. Selbst aus diesen Seufzern ist das Nasale seiner Stimme herauszuhören, das er nie hat ablegen können. Das liegt an einer angeborenen Verkürzung des Gaumensegels. Wer weiß, vielleicht wäre er ohne dieses verhasst-niedliche Benjamin-Blümchen-Genäsel gar Bundeskanzler geworden ...

Bloß nicht wieder hadern. Genscher ist 62 und immerhin Außenminister. An diesem Abend allerdings ein Außenminister mit einer undankbaren Aufgabe. Wieso bloß hat die ungarische Regierung in diesem Spätsommer seine Landsleute nicht daran gehindert, über ihre Grenzen in den Westen auszureisen?

Und nun das Fiasko in New York, wo auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen sein DDR-Pendant Oskar Fischer wenig zugänglich war und anschließend Eduard Schewardnadse bei Genschers Blitzbesuch zwar freundlich blieb, aber beim Thema der Ausreisegenehmigung für die Botschaftsflüchtlinge in Prag eisenhart. US-Oberboss Ronald Reagan hatte versucht, Genscher kumpelhaft zu trösten. Das nervt. Denn Reagan spricht den deutschen Außenminister mit dem verenglischten Kürzel seiner beiden Vornamen an. »Äitsch-Dee, du musst abwarten. Meine große Rede in Berlin von 1987 hat auch nix gebracht. Aber irgendwann klappt es.« Große Rede? Reagan? Naja, »Mr. Gorbatschow, tear down this wall«, ein hohler Hollywood-Effekt vom früheren Cowboy-Darsteller.

Genscher seufzt noch mal. In Prag muss er den DDR-Flüchtlingen verklickern, dass die Ausreise unmöglich ist und morgen früh ab 7 die Busse abfahrbereit vor dem Botschaftstor stehen. Hätte ruhig der Helmut übernehmen können. Aber nein, der Dicke muss ja ausgerechnet jetzt daheim in Ludwigshafen krankfeiern.

Okay, Genscher will einen Eintrag in die Geschichtsbücher – aber nicht als Mann, der diese Scheißnachricht überbringen muss. Eigentlich säße er heute gemütlich auf der Coach von Thomas Gottschalk. Einladung bei »Wetten, dass ...«. Wäre eine schöne Chance für positive Publicity gewesen. Endlich mal Medienpräsenz, endlich mal zeigen, wie locker er sein kann, und dann das, die Prager Hiobs-Botschaft.

Das Bremsen der Limousine ruckelt ihn zurück in die Gegenwart. Sie sind da: Palais Lobkowicz, Sitz der Deutschen Botschaft in Prag. Mist. Er sieht sich regelrecht dabei zu, wie er aussteigt, ein paar Leuten der Bonner Delegation müde zunickt und Rudolf Seiters zu sich winkt.

»Drück mir die Daumen, dass wir da heil rauskommen, Rudi!« – »Mach ich«, sagt der Kanzleramtsminister, aber Genscher hat nicht das Gefühl, dass der CDU-Sack das wirklich tun wird.

Kurz überlegt Genscher, Gottschalk anzurufen und ihm eine Außenwette anzubieten: »Wetten, dass es die 4000 Ossis in der Prager Botschaft nicht schaffen, Hasselhoffs ›I’ve been looking for freedom‹ mitzusingen?« Nee, dazu war es nun zu knapp.

18.57 Uhr. Seufzend stapft der Außenminister die Treppe zum Botschaftsbalkon hoch, zusammen mit seinem Büroleiter Frank Elbe, Botschaftsleiter Hermann Huber, Seiters und ein paar anderen. Vorsichtig steigen alle über einen Wust provisorisch zusammengeknoteter Kabel, die von der Lautsprecheranlage kommen. Dann steht Genscher da, blickt in den Garten – umfunktioniert zu einem Campingplatz. Ja, gezeltet haben die Ossis schon immer gern, geht es ihm durch den Kopf. Und er muss tatsächlich schmunzeln.

Die Menschen sehen zu ihm auf – endlich mal – und machen »Psssst« und »Leise.«

Viel erkennen kann er nicht wegen des blendenden Kameralichts irgendwo da hinten. Aber jetzt muss Äitsch-Dee Genscher ihnen sagen, dass sie in die DDR zurückmüssen. Mit Schwere in der Stimme hebt er an: »Liebe Landsleute.« Die Masse ist mucksmäuschenstill. »Wir sind heute zu Ihnen gekommen« – knisternde Spannung – »um Ihnen mitzuteilen ...« Er spricht langsam, furchtbar langsam. Er hat die Hosen voll wegen der wütenden Proteste, die gleich losbrechen. Ihre Zeltstangen werden sie eintreten und später in der Heimat im Knast reparieren dürfen, denn so viele Zeltstangen gibt’s in der Mangelwirtschaft ja nicht.

Jetzt die Schlüsselstelle: »... dass heute Ihre Ausreise …«. Mit der rechten Fußspitze stößt Genscher an eins der Lautsprecherkabel, es gibt einen lauten Knacks, kurz guckt er verunsichert, dann vollendet der Außenminister den Satz: »... leider abgelehnt wurde.«

Fertig machen zur Steinigung. Da, die Meute schreit! Macht es kurz und schmerzlos, fleht Genscher. Und traut seinen Ohren nicht: Er hört Jubelschreie. Fröhliche Ekstase. Als würden eimerweise Bananen, Päckchen Jacobs-Kaffee und Ariel-Waschpulver über die Flüchtlingsköpfe gekippt. Sie tanzen, sie jubeln, sie hüpfen, sie werfen die Arme in die Höhe. Genscher kann es nicht fassen. Seiters sieht ihn entgeistert an, Elbe kratzt sich mit schmerzlich verzogenem Gesicht am Hinterkopf. »Chef, das Kabel ist gerissen«, presst er hervor. »Den letzten Teilsatz haben die Leute nicht gehört.«

»Aber ... Fränkie, was machen wir denn jetzt???«

»Ach, lass die doch, Hans-Dietrich! Die werden schon sehen, was passiert.«

Elbe ahnt nicht, dass zu diesem Zeitpunkt die Medien schon dabei sind, die Falschnachricht von der genehmigten Ausreise in alle Welt zu verbreiten. Fatal. Ein Missverständnis. Ein großes, bis heute andauerndes Missverständnis, auf das weitere folgen. Die Sache mit Schabowski und dem Zettel, die mit dem Leiter des Berliner Grenzübergangs an der Bornholmer Straße, und und und.

Der Außenminister schüttelt nur noch den Kopf, kippt einen der gereichten Becherovka hinunter, dann noch einen. Stützt sich am Balkongeländer ab. Nach dem fünften Becherovka kann er nicht anders, er grinst bis über beide Ohren, und jeder kann sich bei diesem Bild die Spannweite vorstellen. Unter ihm die freidrehenden DDR-Abtrünnigen, die grölen und johlen wie die Geisteskranken. Was werden die blöd gucken morgen früh! Hätten die doch besser zugehört, die Idioten. Und dann murmelt Genscher etwas. Leise, nur für sich: »Schnauze, Ossis!«

Mark Daniel

3. Gruselshopping

Sie sehen schlimm aus, schmecken selten und machen meistens Wessis reich: Ostprodukte. Ein Besuch in der Geisterbahn der Vergangenheit.

In den Leipziger Höfen, einem Einkaufszentrum, das die »mfi management für Immobilien AG« aus Essen für 250 Millionen Euro an den Leipziger Ring geklotzt hat, befindet sich zwischen all den üblichen Verdächtigen ein kleines Geschäft, das sich nicht entscheiden kann, ob es tragisch oder komisch gemeint sein will. Am Eingang wurden Pittiplatsch und Schnatterinchen – Figuren aus dem DDR-Sandmännchen – in einen Drahtkorb gesperrt. Es gibt NVA-Fellmützen und Ampelmännchen-Blechschilder. Auf CD kann man zwischen »Weihnachten mit Frank Schöbel« (das ist der Michael Schanze der DDR) und »20 Märschen der Deutschen Volkspolizei« wählen. Selbstironie ist nicht im Angebot. Der Laden heißt »Ossiladen«, was zwei Interpretationen erlaubt. Erstens: Der Laden ist für Ossis. Zweitens: In dem Laden werden Ossis verkauft – und zwar für dumm. Der Besitzer jedenfalls hat seinen Firmensitz in England angemeldet. Während rundum die Läden im Einkaufszentrum wechseln, hält der Ossiladen seit Jahren die Stellung.

Auch musikalisch werden hier die Reihen eng geschlossen, zumindest im CD-Regal. Da findet sich unter dem schönen Titel »Wir schützen die Heimat« eine Sammlung mit »Märschen und Liedern der deutschen Volkspolizei«. Es musizieren unter anderem das Zentrale Orchester des Ministeriums des Innern der DDR, das Standortmusikkorps des MDI Halle und Leipzig oder der Kampfgruppenchor des Berliner Rundfunks. Zu haben ist die Kollektion für 14,95 Euro. Da steht die Mauer wieder, das Kampfabzeichen blitzt und die gute alte Zeit marschiert in Songs wie »Wir stärken unsere Republik«, »Auf Friedenswacht«, »Klassenbrüder-Waffenbrüder« oder »Marsch der Volkspolizei-Bereitschaften«. Im »Lied der Kampfgruppen« heißt es:

Für uns bauen die Maschinen,

für uns pflügt der Pflug das Land.

Wer uns stört, dass sie uns dienen,

Achtung – schlagt ihm auf die Hand!«

Patsch! Da möchte man schnell das vorwitzige Westlerpfötchen aus dem CD-Regal zurückziehen. Doch zu spät, der tragikomische Heimatschutz hat einen am Wickel. Die CD, die so charmant nach »Greatest Hits of Klassenkampf« klingt, gibt es natürlich nicht nur hier, in dieser putzigen Resterampe der DDR. Auch bei Amazon, dem Inbegriff des verlorenen Klassenkampfs, ist die Kollektion zu haben – selbstverständlich billiger. Und leider scheint sie nicht alle glücklich zu machen. Eine Kundin hat nur zwei Sterne vergeben und folgende melancholisch stimmende Erklärung dazu verfasst:

»Meine Oma ist jetzt 86 Jahre alt und hat ihr ganzes Leben lang mit ihrem Mann für die Volkspolizei gearbeitet. An Heiligabend freute sie sich zunächst sehr über die CD. Das Blitzen in ihren Augen war zu sehen, aber als sie am Tag darauf die CD durchhörte, kannte sie kein einziges Lied! Diese Lieder und Märsche beziehen sich alle nur auf die Bereitschaftspolizei. Schade ... es hätte das perfekte Weihnachtsgeschenk sein können.«

Tja, dass auch die Bereitschaftspolizei unbedingt ihren vokalen Schwachsinn auf Vinyl pressen musste, jetzt rächt es sich. Zumal Uropa sich – wenn es ihn mal nostalgisch überkommt – seine SA- und SS-Lieder sauber über Youtube reinziehen kann, mitsamt Kommentaren, die uns, würden wir sie hier zitieren, den Heimat-, Verzeihung: Verfassungsschutz aufs Dach holen würde. Liebe Ossis, Eure Blümchenkaffee-Diktatur hat es nicht einmal geschafft, auf YouTube durchzustarten, wo sonst jeder Irrsinn sein Reservat findet. Das ist wirklich ungerecht.

Aber es gibt ja den Ossiladen. Und den »Letzten großen Zapfenstreich der NVA« – ein Ereignis, das, gebrannt auf CD, vielleicht im nächsten Jahr Omis müde Augen unter der Erzgebirgsfichte nachhaltig zum Leuchten bringt. Oder wie wär’s mit »Im Gleichschritt Marsch – Parademärsche und Lieder«? Und da ist ja noch der ganze Plunder, den vorausschauende Geschäftemacher nach dem Zusammenbruch der DDR geborgen haben: NVA-Tragetaschen, Koppel, Feldflaschen, VoPo-Mützen, Eierbecher, und und und. Besonderes Augenmerk verdienen die Substanzen, die damals und heute als Nahrungsmittel verkauft werden, etwa Mekorna Mehrkornbrot (4,99 Euro!), Nudossi Kalter Hund Riegel, Kalter Hund Brotaufstrich oder Naschi Eimer. Mediziner finden hier die Erklärung dafür, dass die Lebenserwartung in der DDR niedriger war als nebenan. (1988 bei Männern 2,4 Jahre und bei den Frauen 2,7 Jahre niedriger als in Westdeutschland). Die daraus abzuleitende Faustregel: Zu viel Kalter Hund macht früher tote Oma. Umgekehrt wird auch ein Sarg draus. Dazu kam die deutlich höhere Selbstmordrate in der sozialpsychologisch dann vielleicht doch nicht so plüschigen DDR (durchschnittlich 2,8 pro 10000 Einwohner gegenüber 2,0 in der Bundesrepublik, was aber vermutlich nicht ausschließlich auf den ostzonalen Fraß zurückzuführen war).

Das also ist von der DDR übrig geblieben: eine klägliche Osteria, eine Marktnische mit Militaria und widerlichen Süßigkeiten, eine Fußnote im Lauf der Welt, ein nostalgischer Joke. Also machen wir einfach einen Haken drunter, blicken halb belustigt, halb mitleidig auf die Überbleibsel eines 40-jährigen Laienspiels? So einfach ist es nicht.

Selbstverständlich hat nämlich auch der Ossi ein Recht auf Nostalgie. Wenn ein Staat untergeht – und sei er noch so peinlich gewesen – klammert sich die Erinnerung an das Verlorene, so ist der Mensch gestrickt. Machen wir uns also nichts vor: Würde im Westen ein Laden aufmachen, in dem verschwundene Lebensmittel – wie etwa der unvergleichliche Plombenzieher »Leckerschmecker« – angeboten werden, wir würden reingehen. Man vergegenwärtige sich allein die Glücksgefühle, die immer dann wieder aufwallen, wenn Twix für kurze Zeit mal wieder Raider heißt – ein raffinierter Trick des US-Nahrungsmittelkonzerns Mars Incorporated. Als das Gesicht auf der Kinderschokolade »upgedated« wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Nun ist dem Ossi ja nicht nur das Gesicht auf einer Süßigkeitenverpackung abhandengekommen, sondern gleich der ganze Laden. Sollte man ihm da nicht seine (Nud)Ossi-Creme (der Name steht nicht für »nackter Ossi«) und seinen Kalter-Hund-Aufstrich lassen?

Aber natürlich, zumal er das Zeug ja auch nicht wirklich isst, sondern nur dann und wann kauft, um sich seiner selbst zu vergewissern. Wir haben es also im Grunde nur mit den letzten nostalgischen Zuckungen der Bewohner eines Übergangsstaates zu tun. Brisant für den Rest der Welt wird die Sache aber, wenn der Nahrungsmüll die Ostalgie-Nische verlässt. Wir haben das ja beim Ami-Fraß erlebt, der uns bis heute an jeder Straßenecke auflauert. Lange Zeit dachte man, die Angelegenheit würde sich ähnlich wie bei dem mehrfach umbenannten Parteien-Ostprodukt (die SED heißt jetzt Twix) biologisch und damit von selbst erledigen. Und tatsächlich: Auf dem Westmarkt setzen sich Kathi (Backmischungen), Zetti (Süßwaren) und Co. (anderes geschmackloses Zeug) nicht wirklich durch. Überhaupt sind in Westdeutschland nur sechs ostdeutsche Marken einigermaßen bekannt. Und außer beim Waschmittel »Spee«, das von Henkel übernommen wurde, handelt es sich dabei ausschließlich um Alkoholprodukte. Man kann den Ossis viel vorwerfen, aber vom Saufen haben sie etwas verstanden. Entsprechend stolz sind sie auf ihre diesbezüglichen Marken. Wernesgrüner, Köstritzer, Radeberger und Hasseröder sind Verkaufsschlager, die sogar in der Sportschaupause beworben werden. Leider gehören sie allesamt Westfirmen. Bleibt noch Rotkäppchen, die Sektkellerei, die Mumm gekauft hat und überhaupt alles, was irgendwie prickelt, wenn nicht bald den ganzen Planeten. Ein Ostprodukt? Ja, schon, nur dass auch dieser Laden 1993 von der Treuhandanstalt mehrheitlich an die Familie Eckes-Chantré verscherbelt wurde.

Prost, Ossis. Bei vielen von Euch wird diese Information nie ankommen, denn wie wir wissen, ist Realität die Illusion, die durch Mangel an Alkohol entsteht. Mangel kennt er ja, der Ossi, diesen – eher nicht. So raucht er weiter trotzig seine f6 – die Philip Morris gehört – und pfeift sich seine Wilthener Goldkrone rein – die der Hardenberg-Wilthen AG bei Göttingen gehört. Tja, der Kapitalismus ist immer einen Schritt weiter – er verkauft Euch selbst die Illusion, sich ihm entziehen zu können. Habt Ihr nie den Schwarzen Kanal gesehen? Da ist Euch das doch jede Woche erklärt worden.