Schnitzler, Horváth, Haas -  - E-Book

Schnitzler, Horváth, Haas E-Book

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Beschreibung

Nicht etwa Literatur, sondern die Musik sei die erste unter den Künsten, meinte Arthur Schnitzler. Für ihn wie den um eine Generation jüngeren Ödön von Horváth bildete sie inhaltlich wie strukturell eine wichtige Inspirationsquelle. In vielen ihrer Texte spielte sie als vielschichtiger impliziter Kommentar zur Handlung eine zentrale Rolle. Kein Wunder, dass sich bis heute Opernkomponisten von der Musikalität des literarischen Œuvres dieser beiden Autoren anregen lassen. Doch auch im Werk des Gegenwartsautors Wolf Haas spielt die Tonkunst von Anfang an eine abgründige, mitunter eine offensichtliche Rolle ...

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IMPRESSUM

Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 71/04 | 2016

ISBN 978-3-99012-284-6

Gegründet 1946 von Peter Lafite und bis Ende des 65. Jahrgangs herausgegeben von Marion Diederichs-Lafite

Erscheinungsweise: zweimonatlich

Einzelheft: € 11,90

Jahresabo: € 44 zzgl. Versand | Bestellungen: [email protected]

Förderabo: ab € 100 | Bestellungen: [email protected]|[email protected]

Medieninhaberin: Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV)

ZVR-Zahl 983517709 |www.emv.or.at| UID: ATU66086558

BIC: GIBAATWWXXX | IBAN: AT492011129463816600

Herausgeber: Daniel Brandenburg |[email protected]

Frieder Reininghaus (verantwortlich) |[email protected]

Redaktion: Johannes Prominczel |[email protected]

Judith Kemp |[email protected]

Julia Jaklin (Assistenz) |[email protected]

Adresse für alle: Hanuschgasse 3 | A-1010 Wien | Tel. +43-664-186 38 68

[email protected]|[email protected]|www.oemz.at

Werden Sie FreundIn der ÖMZ: Unterstützen Sie die Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV) oder ihren deutschen Partner Verein zur Unterstützung von Musikpublizistik und Musik im Donauraum e. V. (VUMD) |[email protected]

BIC: COLSDE33 | IBAN: DE07370501981930076995

Verlag: Hollitzer Verlag | Trautsongasse 6/6 | A-1080 Wien

Tel. +43-1-236 560 54 |[email protected]|www.hollitzer.at

Coverbild: Nontira Kigle

Layout & Satz: Gabriel Fischer | A-1150 Wien

© 2016 Hollitzer Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Die Redaktion hat sich bemüht, alle Inhaber von Text- und Bildrechten ausfindig zu machen. Zur Abgeltung allfälliger Ansprüche ersuchen wir um Kontaktaufnahme.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

Liebe Leserinnen und Leser,

»prima la musica e poi le parole«? Erst die Musik und dann die Worte? Oder doch genau andersherum? »Entscheidet, entscheidet«, drängt der Komponist Flamand die Gräfin im Capriccio von Richard Strauss, »Musik oder Dichtkunst – wem reicht Ihr den Preis?« Wir können und wollen der Gräfin diese Entscheidung nicht abnehmen – zumal auch die erbitterten Kontrahenten in Strauss’ »Konversationsstück für Musik« am Ende erkennen müssen, dass die Künste gerade in ihrem Zusammenspiel einen ganz besonderen Zauber entfalten.

Hatten Bernhard, Jandl, Jelinek im letzten Jahr den Auftakt zu unserem musikalisch-literarischen Reigen gemacht (ÖMZ 5/2015), sind es nun Schnitzler, Horváth und Haas, die ihn fortsetzen und damit den historischen Rahmen der Fragestellung nach dem Verhältnis der beiden Schwesternkünste Literatur und Musik vom Fin de siècle bis in die Gegenwart erweitern.

Apropos Reigen: Kein anderes Werk Arthur Schnitzlers hat wohl bis heute so viele Komponisten zu Vertonungen angeregt wie das erotische »Skandalstück« (siehe S. 20ff.). Auf der anderen Seite war es die Musik, die den Autor Schnitzler vielfach inspirierte, ja in seinen Augen – oder besser Ohren – gar die göttlichste unter den Künsten darstellte. Ein Foto auf Seite 7, das uns dankenswerterweise zusammen mit weiteren, zum Teil bislang unveröffentlichten Bildern Schnitzlers von dessen Enkel zur Verfügung gestellt wurde, zeigt den Autor bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Klavierspiel.

Während das Thema Literatur und Tonkunst bei Schnitzler bereits an verschiedenen Stellen intensiv untersucht worden ist, hat die Ödön von Horváth-Forschung diesen Komplex unseres Wissens nach bislang weitgehend ignoriert. Dies überrascht umso mehr, als die Musik in Horváths Werk eine kaum geringere Rolle spielt, als bei Schnitzler. Erstmals wird hier das Verhältnis der beiden Künste in den Schriften des österreichisch-ungarischen Autors unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. Ein Exkurs führt uns über die österreichische Landesgrenze hinaus nach Deutschland und zum Werk Alfred Döblins, dessen Jahrhundertroman Berlin Alexanderplatz ebenfalls vielfältige Musikbezüge aufweist.

Neuland betreten wir dann auch in unseren Beiträgen zum Stellenwert der Musik in den Texten des Gegenwartsautors Wolf Haas. Wenngleich sehr viel verborgener laufen auch hier musikalische Leitgedanken wie ein roter Faden durch die Handlungen seiner Romane und helfen Kult-Kommissar Simon Brenner nicht selten beim Lösen seiner Fälle. Freunde der Neuen Musik werden beim Namen Haas auch an den inzwischen in New York angelandeten Komponisten Georg Friedrich Haas aus Graz denken. Seinem neuem Opernschaffen ist ein weiterer Beitrag gewidmet.

Soeben ist die aktuelle Konzertsaison zu Ende gegangen – ein Grund, den nationalen und internationalen Musikbetrieb noch einmal intensiv unter die Lupe zu nehmen. Daher entfällt diesmal die Rubrik CD- und Buchrezensionen – sie erscheint wie gewohnt in der nächsten Ausgabe.

Genießen Sie den Sommer – und besuchen Sie uns auf unserer neuen Facebook-Seite! › Die Redaktion

Inhalt

Schnitzler, Horváth, Haas

Achim Aurnhammer und Dieter Martin: Arthur Schnitzler und die Musik – zur Einführung

Judith Kemp: Schicksalsmacht Musik. Arthur Schnitzlers Erzählung Das Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg

Sonderwirtschaftszone Schnitzler … Reigen-Vertonungen von Philippe Boesmans und Bernhard Lang – Ein Pressespiegel

Johannes Streicher: Frau mit Dolch, Pierrette mit Schleier. Arthur Schnitzler regte die Opernproduktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts an

Jutta Frank: Das langsame Lied des Todes. Musik in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz

Susanne Schedtler: Musik und Gesang in Horváths Stücken

»Rosenkavalier, bestehend aus Haut und Knochen«HK Gruber und Michael Sturminger über ihre gemeinsame Arbeit an der Horváth-Oper Geschichten aus dem Wiener Wald im Gespräch mit Konstantin Hirschmann

Nicole Streitler-Kastberger:Figaro und Don Juan – Horváths eigensinnige Mozart-Rezeption

Stefan Huber: Musik und Logik. Musikalische Motive im Werk von Wolf Haas

Heinz Rögl: »Alles – für – den – Hugo!« Wolf Haas und die Salzburger Festspiele im Krimi Silentium!

Frieder Reininghaus: Ultimatives Dunkel. Morgen und Abend und dann Koma von Georg Friedrich Haas

Extra

Wandel des Berufsbildes Dirk Kaftan im Gespräch mit Frieder Reininghaus

Neue Musik: Werkstattbericht

Michael Mautner:Staatsoperette Neu. Vom TV-Musikfilm-Fragment zur Bühnenfassung

Fokus Wissenschaft

Natalia Vlasova: Auf den Spuren von Anton Rubinstein in Wien

Berichte

Wiener Festwochen

Marthalers Isoldes Abendbrot (Frieder Reininghaus)

Beethovens Fidelio (Konstantin Hirschmann)

Weinbergs Die Passagierin (David Wedenig)

»Wehe den eiskalten Ungeheuern« – vier Konzerte (Lena Dražić)

Großes Theater

Puccinis Turandot in Wien (Magdalena Pichler)

Giordanos La cena delle beffe in Mailand und Casellas La donna serpente in Turin (Johannes Streicher)

Grubers Geschichten aus dem Wiener Wald in Berlin (Katrin Gann)

Eggerts Terra Nova in Linz, Langs Golem in Mannheim und Andriessens Theatre of the World in Amsterdam (Frieder Reininghaus)

Aus Österreichs Hain und Flur

Brands Stormy Interlude in Salzburg (Jörn Florian Fuchs)

Tage Neuer Musik Graz (Thomas Wozonig)

Aspekte Salzburg (Philip Röggla)

Bundessängerfest in Bruck a. d. Mur (Frieder Reininghaus)

Kleines Format

Münchener Biennale (Monika Voithofer)

Millers Roue, à rebours in Zürich (Rebekka Meyer)

Wiener Concert-Verein (Walter Weidringer)

Egon Wellesz-Abend im Radiokulturhaus (Luise Adler)

Wiener Philharmoniker (Walter Weidringer)

Bruckner Orchester Linz (Christian Heindl)

Konferenz Gottfried von Einems Jesu Hochzeit

Das andere Lexikon

Capriccio (Stefan Schmidl)

News

Nachlese vom Nachtreten

Zu guter Letzt

Kammerjäger (Frieder Reininghaus)

Vorschau

THEMA

Arthur Schnitzler und die Musik – zur Einführung

Achim Aurnhammer und Dieter Martin

Ist von den Dichtern des Jungen Wien und ihrem Verhältnis zur Musik die Rede, denkt man zuerst an Hugo von Hofmannsthal. Denn zweifellos hat Hofmannsthals langjährige Zusammenarbeit mit Richard Strauss – von der Elektra über den Rosenkavalier und Ariadne auf Naxos bis hin zur Arabella – das Musiktheater der Zeit entscheidend mitgeprägt, er hat die Salzburger Festspiele mitbegründet und mancher bedeutenden Liedvertonung der Moderne die Textvorlage geboten.

Nimmt man aber die Vielfalt der musikalischen Bezüge und die Bedeutung, die der Musik für Leben und Werk eines Schriftstellers zugekommen ist, zum Maßstab, dann lässt sich ohne Weiteres die These vertreten, nicht Hofmannsthal, sondern sein Freund und Weggefährte Arthur Schnitzler sei derjenige, der mit der Musik besonders stark verbunden gewesen sei, der nicht nur eine herausragende persönliche Affinität zur Musik hatte, sondern auch in seinem ästhetischen Urteil und seinem literarischen Werk wesentlich von der Musik bestimmt war. Gut begründen lässt sich diese Annahme, wenn man die Beziehungen zwischen Arthur Schnitzler und der Musik systematisch nach drei Rubriken ordnet: Erstens ist zu skizzieren, welche Rolle die Musik in Schnitzlers Leben spielte; zweitens ist zu zeigen, wie die Musik in seinem Werk präsent ist; und drittens soll ein wirkungsgeschichtlicher Ausblick belegen, wie seine Schriften in der Musik bis zur Gegenwart rezipiert worden sind.

Musik in Schnitzlers Leben

Die Vorliebe für die Musik wurde dem am 15. Mai 1862 in Wien geborenen Arthur Schnitzler gewissermaßen in die Wiege gelegt. Sein Vater, der Mediziner Johann Schnitzler hat am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Stimmphysiologie unterrichtet, während seine Mutter eine begeisterte Pianistin war und bis zu ihrem Tode (1911) regelmäßig mit ihrem Sohn vierhändig gespielt hat. Über Anfänge und Fortschritte seines Klavierspiels, zu dem er »schon in frühen Jahren angehalten worden war«, berichtet Schnitzlers Autobiographie Jugend in Wien. Zu seinen Klavierlehrern zählten Anton Rückauf und Hermann Riedel, der Korrepetitor der Wiener Hofoper, der als Figur in Schnitzlers Roman Der Weg ins Freie eingegangen ist. Trotz pianistischer Begabung blieb sich Schnitzler stets seiner Grenzen bewusst: »Das vierhändige Klavierspiel mit Rückauf oder meiner Mutter wurde weiter geübt, auch improvisierte ich gern auf dem Flügel, wobei mir manchmal das Zufallsglück eines melodischen Einfalls oder einer hübschen Harmonisation zuteil wurde […]. Vor der Gefahr, mir eine schöpferische musikalische Begabung einzubilden, blieb ich damals wie später, auch in den inspiriertesten Momenten, dauernd bewahrt, da ich mir des tiefen Wesensunterschiedes zwischen Künstlertum und Dilettantismus […] im Innersten stets bewußt blieb«.

Arthur Schnitzler auf einer Aufnahme von Ferdinand Schmutzer, ca. 1912.Bild: wikimedia.org

Ungeachtet seiner Selbstkritik und seiner seit 1909 zunehmenden Schwerhörigkeit spielte Schnitzler bis ins Alter für sich selbst und gab private Konzerte. Zahlreiche vierhändige Klaviersitzungen hat Schnitzler in seinen Tagebüchern und oft auch in seiner reichen Sammlung von Klavierauszügen festgehalten: So spielte Schnitzler den Trauermarsch, der Gustav Mahlers 5. Symphonie eröffnet, als ihn die Nachricht vom Tod des Komponisten erreichte.1 Partner waren neben der Mutter sein Sohn Heinrich sowie der Wiener Musikwissenschaftler Viktor Zuckerkandl, und das Repertoire reichte von Beethoven-Streichtrios über Haydn- und Schubert-Quartette bis zu den großen Symphonien Mahlers. Während er unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts vor allem Robert Schumann favorisierte, vor Wagner und Brahms, war unter den »Modernen« Mahler sein Lieblingskomponist. Schnitzler hörte nicht nur sämtliche Symphonien Mahlers in Konzert-Aufführungen, er interpretierte auch fast alle mehrfach am Klavier.

Rückblickend nennt Schnitzler »Konzertaufführungen« als wichtige Inspirationsquelle seines Schaffens, denen er »die stärksten Anregungen […] verdankte«, und bezeichnet »die sieben zyklischen Klavierabende [Anton] Rubinsteins« im Jahre 1885/86 als »unvergesslich«.2 Schnitzler übte sich sogar selbst im Komponieren – überliefert sind aus seiner Feder ein Liebelei-Walzer und eine Polka Mazur, die Schnitzlers Nähe zur musikalischen Populärkultur Wiens, speziell zur Operette bezeugen, die in ihren Referenzen auf das »Alte Wien« den retrospektiven Tendenzen in Schnitzlers Ästhetik entgegenkam.3

Arthur Schnitzler am Flügel, aufgenommen von seinem Sohn Heinrich.Foto: Privatbesitz Michael Schnitzler

Musik im Werk Schnitzlers

Doch Schnitzler hat nicht nur intensiv am Musikleben seiner Zeit teilgenommen und selbst musiziert. Wichtiger für sein literarisches Schaffen ist fraglos, dass Musik in einigen seiner Erzählungen und Dramen eine zentrale Rolle spielt. Dies gilt vor allem für den großen Musikerroman Der Weg ins Freie (1908), dessen Protagonist Georg von Wergenthin ein Komponist ist. Im Roman findet sich etwa die ausführliche Beschreibung einer Inszenierung von Wagners Tristan in der Hofoper, die nicht nur ein aufschlussreiches Abbild des Wiener Opernbetriebs, sondern auch eine Folie für die Charakterisierung des als »Anti-Tristan« gezeichneten Romanhelden bietet. Bedeutsam ist zudem Wergenthins einzige erwähnte Komposition Auf dem Wasser zu singen oder Lied ohne Worte im siebenten Kapitel. Mit seinen Referenzen auf das Gedicht des Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg sowie auf Franz Schuberts Vertonung und deren Weiterbearbeitung in Franz Liszts Klavierphantasie deutet das Lied Georgs Abschied von seiner Geliebten voraus.4

Handschriftliche Eintragungen Schnitzlers in seine vierhändige Klavierfassung der 5. Symphonie von Mahler. Er verzeichnete hier, wann und mit wem er das Stück spielte. Unter dem Datum vom 20. Mai 1911 vermerkte er »Mahler gestorben 18/5/1911«.Bild: Privatbesitz Michael Schnitzler

Intermedial noch auffälliger – und mehrfach interpretiert5 – sind die drei Notenzitate aus Robert Schumanns Carnaval in Schnitzlers Monolognovelle Fräulein Else, die als musikalische Entsprechungen zu Elses Enthüllungsszene gelesen werden können. Auch Lieutenant Gustl, Elses männliches Pendant, wird in seinem monologischen Erzählen durch musikalische Anspielungen charakterisiert: Das Paulus-Oratorium, in dem Gustl zu Beginn sitzt, dient als ironischer Kommentar, denn Felix Mendelssohn Bartholdys Werk, das die Wandlung des biblischen Saulus zum Paulus nachvollzieht und den Hörer bekehren will, stößt beim antisemitisch eingestellten Lieutenant auf taube Ohren. Er bleibt unverändert derselbe, nachdem er erfährt, dass der Bäckermeister, der ihn beleidigt hat, in der Nacht gestorben ist.6

Zu nennen sind zudem verstreute Musikzitate oder musiktheoretische Reflexionen in einzelnen Texten, deren Aussagegehalt erst noch zu bestimmen ist. Zu denken ist hier an das Chopin-Zitat in der ersten Szene des Weiten Lands oder an die Musik-Anspielungen in Das neue Lied oder im Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg (siehe S. 14ff.). Für die Entschlüsselung solcher Allusionen sind Schnitzlers Tagebücher und Briefe wegen der zahlreichen Konzert-Rezensionen, Kommentierungen einzelner Komponisten und Werkbesprechungen eine wertvolle und bislang kaum genutzte Quelle. Auch der Nachlass birgt lange ungehobene Schätze, die Schnitzlers enges Verhältnis zur Musik bezeugen. So wurde unlängst ein Text Schnitzlers vorgestellt, der Mahlers rein instrumentale 5. Symphonie narrativ übersetzt und den Ich-Erzähler eine kongeniale Personalunion mit Mahlers kompositorischem Ich eingehen lässt.7

Arthur Schnitzler im Mai 1926, fotografiert von seinem Sohn Heinrich.Foto: Privatbesitz Michael Schnitzler

Schnitzlers Werke in der Musik

Dichtungen Schnitzlers wurden schon zu seinen Lebzeiten in Musik gesetzt. Die Skala der Vertonungen reicht von kleineren musikalischen Adaptionen bis zu abendfüllenden Opern. Eine Sonderstellung nehmen Der Schleier der Pierrette und der Tapfere Cassian ein, denn beide Werke hat Schnitzler unmittelbar für die Musik geschrieben. Die von Ernst von Dohnányi vertonte Ballettpantomime Der Schleier der Pierrette wurde 1910 in Dresden uraufgeführt und ist durch ein dichtes Netz von Leitmotiven strukturiert, die das bekannte Opernrepertoire beleihen. Höhepunkt des Handlungsballetts ist Pierrettes Wahnsinnstanz vor dem toten Geliebten Pierrot, in dem hohe Flötentöne die Entrücktheit der Pierrette musikalisch abbilden.8 Das ins 17. Jahrhundert transponierte Singspiel Der tapfere Cassian bearbeitete Schnitzler für eine Vertonung neu: Er intensivierte das komische Element, mit dem er das klassische Salondrama hyperbolisch parodiert; auch ergänzte er neue Liedtexte. Der im Kostüm des Puppenspiels ohnehin miniaturisierte dramatische Konflikt – Cassian gewinnt gegen Martin im Spiel, in der Liebe und im Duell – schrumpft aufs Possierliche zusammen. Mit der Musik von Oscar Straus wurde das Singspiel am 30. Oktober 1909 in Leipzig uraufgeführt.

Zu den kleineren Transpositionen in Musik zählen eine Vertonung des Gedichtes Leb wohl durch Georges Antoine von 1915, eine musikalische Aneignung des Anfangs vom Ende durch Richard Mandl (1912 im Merker erschienen) und die durch Carl Nordberger in Form einer »Alt-Wiener Improvisation für Violine und Klavier« aufwendig vertonte Liebelei (1920). Aus dem Jahre 1909 datiert Franz Neumanns dreiaktige Operninszenierung der Liebelei, und Vladimir Ivanovitsch Rebikov transformierte 1915 das Bühnenstück Die Frau mit dem Dolche in ein »musik-psychologisches Drama«.

Schnitzler mit der Schauspielerin Elisabeth Bergner im Juni 1931.Foto: Privatbesitz Michael Schnitzler

Bedeutsamer noch als die zeitgenössischen Vertonungen sind die postumen. Nachdem der Versuch von Ladislaus Toldy, aus dem Grünen Kakadu eine Oper zu machen, im Jahre 1907/08 gescheitert war, griff Richard Mohaupt im Jahre 1956 die einaktige Groteske erneut auf. Zwar übernahm Mohaupt in seinem Libretto weitgehend Schnitzlers Text, veräußerlichte jedoch die innere Spannung des Stücks und steigerte mit dem beständigen Wechsel zwischen Historismen und Modernismen die burleske Wirkung. Seine Literaturoper stieß wohl auch deswegen in der Bundesrepublik und in der DDR auf ganz unterschiedliche Resonanz: Während die bundesdeutsche Kritik die Überführung von Schnitzlers Groteske in ein Sozialdrama lobte, bemängelte die DDR-Kritik die fehlende revolutionäre Entschlossenheit.9

Unter den zahlreichen späteren Musikalisierungen von Schnitzlers Bühnenwerken widmen sich die meisten seinem Skandalstück Der Reigen und seinem ersten Burgtheater-Erfolg Liebelei. Die bekanntesten Vertonungen stellen wohl diejenigen von Oscar Straus dar, der sowohl die musikalische Untermalung des 1950 von Max Ophüls produzierten Films La ronde als auch eine Liebelei-Vertonung schuf. Neben Mohaupt und Straus lassen sich Ernst Brandner, Philippe Boesmans und Rudolf Bert als bedeutende neuere Schnitzler-Komponisten anführen. Brandner komponierte 1957 einen Langsamen Walzer, erneut nach der Liebelei, für Boesmans’ Reigen-Aneignung (siehe S. 20f.) schrieb Luc Bondy das Libretto und Bert inspirierte sich wiederum an der Liebelei.

Filmplakat der Reigen-Verfilmug von Max Ophüls (1950).Bild: wikimedia.org

Kaum bekannt ist, dass Arthur Schnitzler im modernen Musikleben der Neuen Welt reüssierte: Zwischen 1961 und 2009 sind mehrere Musicals nach Texten Schnitzlers nachgewiesen. Auf der Einakterfolge Anatol beruht The Gay Life (1961), dessen Musik von Arthur Schwartz stammt. Das Stück spielt im Wien der Jahrhundertwende, verharmlost aber die Vorlage insofern, als der Protagonist, der Dandy Anatol von Huber, am Ende seinem ausschweifenden Leben entsagt und seine Braut Liesl heiratet. Dem zweiteiligen Musical Romance, Romance, das Keith Herrmann 1987/88 komponierte, liegt Schnitzlers Kleine Komödie zugrunde, doch fungiert Alt-Wien hier nur als Kostümkulisse. Schnitzlers Reigen diente gleich zwei Musicals als Vorlage: Rondelay, 1969 auf Jarry Douglas’ Textbearbeitung von Hal Jordan komponiert, und Hello Again (1994) von Michael John La Chiusa. Während Douglas sich vor allem an Max Ophüls Verfilmung La ronde (1950) hält, hat La Chiusa die Vorlage eigenständig bearbeitet: Sie ist aus dem Wiener Milieu in die Vereinigten Staaten verlegt und diachron gegliedert. Jede Episode spielt in einem anderen Jahrzehnt zwischen 1900 und 1990, und in jeder Szene werden die musikalischen Formen des jeweiligen Jahrzehnts aufgenommen. Die pessimistische Sicht, welche die scheiternden Versuche, bei einem anderen Menschen Halt zu finden, vermitteln, orientieren sich allerdings durchaus wiederum an Schnitzlers Reigen.

Auch heute ist Schnitzler keine bloß museale Größe im Musikleben. Fabio Vacchis Oper Girotondo nach Schnitzlers Reigen erlebte 2011 in Stuttgart die deutsche Uraufführung. Und zu den neuesten Versuchen, Schnitzlers Werke musikalisch zu adaptieren, zählt Beat Furrers Fräulein Else-Vertonung, die er in sein Hörtheater Fama (2005) integriert hat. Die dritte und umfangreichste der insgesamt acht Szenen, stellt eine Vertonung ausgewählter Auszüge der Fräulein Else dar, die kongenial in eine atemlos-kreisende Musiksprache übertragen werden.10

Arthur Schnitzler wenige Monate vor seinem Tod im Juni 1931.Foto: Privatbesitz Michael Schnitzler

Achim Aurnhammer, Direktor des Arthur Schnitzler-Archivs der Universität Freiburg, und Dieter Martin lehren Neuere Deutsche Literatur an der Universität Freiburg im Breisgau. Sie sind Mitherausgeber der ReiheKlassische Moderne und des SammelbandesArthur Schnitzler und die Musik (Würzburg 2014).

Anmerkungen

1Monika Kröpfl, »Musik in der Sternwartestraße. Der Pianist und Musikkenner Arthur Schnitzler«, in: Achim Aurnhammer, Dieter Martin und Günter Schnitzler (Hg.), Arthur Schnitzler und die Musik (= Klassische Moderne Bd. 20), Würzburg 2014, S. 15–28, hier S. 26.

2Arthur Schnitzler, Jugend in Wien, Wien 1968, S. 213.

3Marion Linhardt, »Taxierungen. Arthur Schnitzler und die Wiener musikalische Populärkultur«, in: Arthur Schnitzler und die Musik (wie Anm. 3), S. 45–67.

4Peter Philipp Riedl, »Lied ohne Worte. Musikalische Phantasien und Stimmungen in Arthur Schnitzlers Roman Der Weg ins Freie«, in: Arthur Schnitzler und die Musik (wie Anm. 3), S. 111–129.

5Martin Huber, Text und Musik. Musikalische Zeichen im narrativen und ideologischen Funktionszusammenhang ausgewählter Erzähltexte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt 1992, S. 78–91, und Cathy Raymond, »Masked in Music: Hidden Meaning in Schnitzler’s Fräulein Else«, in: Monatshefte 85 (1993), S. 170–188.

6Achim Aurnhammer, Arthur Schnitzlers intertextuelles Erzählen, Berlin u. a. 2013, S. 98–101.

7Achim Aurnhammer, »Arthur Schnitzler und Gustav Mahler«, in: Arthur Schnitzler und die Musik (wie Anm. 3), S. 79–97, und (eng daran anschließend) Hartmut Krones, »Gustav Mahler und seine ›Fünfte‹ in der Sicht Arthur Schnitzlers«, in: Christian Berger und Günter Schnitzler (Hg.), Bahnbrüche: Gustav Mahler, Freiburg 2015, S. 167–177.

8Elisabeth Schmierer, »Literarische Pantomime und Ballettpantomine: Der Schleier der Pierrette von Arthur Schnitzler und Ernst von Dohnányi«, in: Arthur Schnitzler und die Musik (wie Anm. 3), S. 157–175.

9Dieter Martin, »Richard Mohaupts Oper Der grüne Kakadu (1956) nach Arthur Schnitzlers Groteske, in: Arthur Schnitzler und die Musik (wie Anm. 3), S. 211–231.

10Günter Schnitzler, »Beat Furrers Fräulein Else-Vertonung. RECITATIVO für Stimme und Ensemble (Szene III aus FAMA)«, in: Arthur Schnitzler und die Musik (wie Anm. 3), S. 245–262, hier S. 262.

THEMA

Schicksalsmacht Musik

Arthur Schnitzlers Erzählung Das Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg

Judith Kemp

Im Nachlass Arthur Schnitzlers fand sich eine Skizze, in der der Autor versucht hatte, die verschiedenen Künstlertypen zueinander ins Verhältnis zu setzen und diagrammatisch zu ordnen. Überraschenderweise steht jedoch nicht der Dichter an der Spitze dieses Schaubilds und damit in größter Nähe zu Gott, sondern der Musiker. Erklärend heißt es hierzu: »Beim Musiker ist das Element des Unbegreiflichen, der unerklärlichen Schönheit insbesondere, am wesentlichsten ausgeprägt.«1

Wie viele Autoren seiner Generation so zählte auch Schnitzler zu den sogenannten »Sprachskeptikern«, die sich an der Frage abarbeiteten, ob die Wirklichkeit überhaupt verbal abzubilden sei. »Worte stimmen ja nie ganz – je präziser sie sich gebärden, umso weniger«, lässt er seine Romanfigur Heinrich Bermann in Der Weg ins Freie (1908) sagen. Die Musik war es schließlich, die dem passionierten Klavierspieler und Konzertgänger Schnitzler bei der Bewältigung dieser Krise half. Denn wo sprachliche Präzision versagt, vermag die Musik – gerade aufgrund der ihr fehlenden Semantik –, neue implizite Bedeutungsräume zu erschließen. Schnitzler selbst hatte dies mit aller Deutlichkeit in seiner Jugend erfahren, wie er sich in seiner Autobiographie erinnert. Hier schildert er das Zusammentreffen mit seiner heimlichen Geliebten Olga Waissnix im Kurhaus Thalhof in Reichenau. Aufgrund der anwesenden Gäste, unter ihnen auch Olgas Ehemann, konnte er sich nur nonverbal, dafür aber umso inniger mit der Angebeteten verständigen: »Es mußte meinem Zärtlichkeitsbedürfnis genügen, als wir nachher im Klavierzimmer dem Gesang einer jungen Dame […] lauschten, daß Olga mir gegenübersaß und mir still und unverwandt ins Auge sah. Und noch näher waren wir uns, – und sie fühlte, daß ich ihr auf diese Weise Leidenschaftlicheres als in Worten sagen konnte, – als ich mich dann selbst an den Flügel setzte und, in meiner mehr stimmungs- als kunstvollen Art, zu phantasieren anfing, – vor allen anderen und doch nur für sie allein.«2 Ihre Gefühle füreinander offenbaren die Liebenden in dieser Szene also nicht durch den rationalen Akt des Sprechens und Begreifens, sondern durch das gemeinsame sinnliche Erleben der Musik. Magisch und erotisch ist dieser Augenblick, der wegen seiner Unmittelbarkeit umso stärker auf die beiden wirkt.

Im malerischen Reichenau nahm die »Liebelei« zwischen Olga Waissnix und Arthur Schnitzler ihren Anfang.Bild: wikimedia.org

Eine Geschichte von Liebe, Wahn und Tod

In vielen seiner Texte hat Schnitzler die Verknüpfung von Musik und Eros, aber auch die schicksalhafte, unergründliche Macht der Musik thematisiert. Bevorzugt verweist er in diesem Kontext auf die Werke Richard Wagners, den er sehr verehrte, und ganz besonders häufig auf dessen Tristan und Isolde, so etwa in Zum großen Wurstel (1905), Der Schleier der Pierrette (1910), Der Weg ins Freie und Fräulein Else (1924). Auch in der wenig bekannten Erzählung Das Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg aus dem Jahre 1904 bildet Wagners Musik einen geschickt verborgenen Kontrapunkt zur Handlung.