Schöpfung und Fall - Dietrich Bonhoeffer - E-Book

Schöpfung und Fall E-Book

Dietrich Bonhoeffer

4,8

Beschreibung

In den Wochen vor und nach der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30.1.1933 legt Dietrich Bonhoeffer in einer Vorlesung an der Berliner Universität die ersten drei Kapitel der Bibel als Buch der Kirche aus. Er liest die Schöpfungsgeschichte von Christus her und auf ihn hin, weil Christus die Mitte der Weltgeschichte ist. Nicht der Nationalsozialismus, sondern allein Jesus Christus ist der Anfang, das Neue, und damit auch das Ende des Alten.

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DIETRICH BONHOEFFER

Schöpfung und Fall:

Theologische Auslegung vonGenesis 1 bis 3

Herausgegeben und mit einer Einführung versehenvon Peter Zimmerling

Auf Grundlage der 2. Auflage 1937 (München: Chr. Kaiser Verlag). Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden behutsam aktualisiert.

Die Bibelzitate folgen dem von Bonhoeffer verwendeten Text.

© an dieser Zusammenstellung:

2016 Brunnen Verlag Gießen

Umschlagfoto: Shutterstock

Umschlaggestaltung: Celia Friedland

ISBN Buch: 978-3-7655-0951-3

ISBN E-Book: 978-3-7655-7403-0

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Zu dieser Ausgabe

Einführung von Peter Zimmerling

1. Entstehung und Hintergrund

2. Eigenart

3. Inhalt

4. Bedeutung für heute

Vorwort

Einleitung

Genesis 1

Der Anfang (1,1-2)

Das Wort (1,3)

Der Blick Gottes (1,4a)

Der Tag (1,4b-5)

Das Starre (1,6-10.14-19)

Das Lebendige (1,11-13.20-25)

Das Bild Gottes auf Erden (1,26f.)

Segen und Vollendung (1,28-31; 2,1-4a)

Genesis 2

Die andere Seite (2,4b ff.)

Der Mensch aus Erde und Geist (2,7)

Die Mitte der Erde (2,8-17)

Die Kraft des anderen (2,18-25)

Genesis 3

Die fromme Frage (3,1-3)

Sicut deus (3,4-5)

Der Fall (3,6)

Das Neue (3,7)

Die Flucht (3,8-13)

Fluch und Verheißung (3,14-19)

Die Mutter alles Lebendigen (3,20)

Das neue Handeln Gottes (3,21)

Der Lebensbaum (3,22)

Genesis 4

Kain (4,1)

Zu dieser Ausgabe

Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis hingerichtet. 2015 waren es 70 Jahre, dass dieses Verbrechen geschah. Nach 70 Jahren werden die Bücher eines Verstorbenen „gemeinfrei“. Das schien dem Brunnen Verlag und mir eine gute Gelegenheit, vier zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Bücher Bonhoeffers neu herauszugeben: „Das Gebetbuch der Bibel“, „Gemeinsames Leben“, „Nachfolge“, „Schöpfung und Fall“. Durch sie ist er schon zu seinen Lebzeiten einer größeren Lesergemeinde bekannt geworden. Alle vier Bücher sind nach den beiden wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten, der Dissertation „Sanctorum Communio“ und der Habilitation „Akt und Sein“, erschienen. Zwischen diesen beiden ersten und den vier folgenden Büchern liegt Bonhoeffers Hinwendung zu einem persönlichen Christusglauben. Wesentliche Anstöße dazu erhielt er während eines Studienaufenthalts in New York 1930/1931. Seitdem führte er ein geregeltes geistliches Leben, das die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst einschloss. Bemerkenswerterweise wirkte sich die spirituelle Wende auf die Sprache seiner Bücher aus: Bonhoeffer verzichtet fortan auf den üblichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat und bedient sich einer auch dem theologischen Laien verständlichen Sprache.

Noch etwas anderes kommt hinzu: Als er 1935 aus dem Auslandspfarramt in London nach Deutschland zurückkehrte, um die Leitung eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche zu übernehmen, ging Bonhoeffer in die Illegalität. Staat und offizielle Kirche lehnten seine Vikarsausbildung ab. Streng genommen bekamen damit alle in der Folgezeit entwickelten theologischen Überlegungen als „Theologie der Illegalität“ einen besonderen Akzent. Das gilt gleichermaßen für die „Nachfolge“, das „Gemeinsame Leben“ und das „Gebetbuch der Bibel“. Bonhoeffer steht dabei in einer Reihe mit dem Apostel Paulus, der einen Teil seiner Briefe im Gefängnis verfasste, und dem Reformator Martin Luther, der während seiner Schutzhaft auf der Wartburg eine Reihe bedeutender Schriften, vor allem aber die Übersetzung des Neuen Testaments anfertigte. Nirgends besser als im Ernstfall erweist sich die Tragfähigkeit theologischer Überlegungen.

Die vier Bände Bonhoeffers werden hier in der Fassung der letzten, zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Auflage abgedruckt. Ihnen ist jeweils eine Einführung vorangestellt, in der Entstehung, Eigenart, Inhalt und die Bedeutung für heute skizziert werden.

Wir möchten mit dieser Ausgabe der allgemein verständlich geschriebenen Werke gerade auch dem theologischen Laien die Lektüre Bonhoeffers ans Herz legen. Deshalb ist bei griechischen Wörtern die Umschrift ergänzt, und griechische und lateinische Begriffe werden in Anmerkungen übersetzt (bzw. wenn Bonhoeffer die deutsche Übersetzung selber liefert, ist diese kursiv gesetzt). Ebenso werden auch einige theologische Fachbegriffe in Anmerkungen erklärt.

Wer nach einer Vertiefung seiner eigenen Spiritualität sucht, wird in den Gedanken und dem Vorbild Bonhoeffers einen Schatz von bleibendem Wert finden, der an Aktualität bis heute nichts verloren hat.

Leipzig, im Herbst 2015Peter Zimmerling

Einführung von Peter Zimmerling

1. Entstehung und Hintergrund

Das Buch „Schöpfung und Fall“ stellt den Druck einer Vorlesung dar, die Dietrich Bonhoeffer im Wintersemester 1932/33 an der Berliner Universität unter dem Titel „Schöpfung und Sünde. Theologische Auslegung von Genesis 1–3“ gehalten hat.1 Hörer der Vorlesung hatten Bonhoeffer gedrängt, das Manuskript zu veröffentlichen. Weil im Herbst 1931 schon ein anderes Buch mit dem gleichen Titel wie die Vorlesung erschienen war, musste der Titel von Bonhoeffers Vorlesung für die Veröffentlichung geändert werden. „Schöpfung und Fall“ ist das erste Buch Bonhoeffers, das im Christian Kaiser Verlag in München erschien. In diesem Verlag wurden auch Karl Barths Bücher und die seiner theologischen Weggefährten gedruckt. Indem Dietrich Bonhoeffer in diesem Verlag veröffentlicht, bekennt er sich auch äußerlich zu der von Karl Barth initiierten sog. dialektischen Theologie, die in Anknüpfung an die reformatorische Theologie als Theologie des Wortes die Bibel zur Grundlage ihrer Überlegungen gemacht hat.

Der Winter 1932/33 war eine für Deutschland schicksalsentscheidende Zeit. Nicht zuletzt aufgrund der Weltwirtschaftskrise hatten die meisten Deutschen das Vertrauen in die Weimarer Republik verloren. In Berlin lieferten sich Nationalsozialisten und Kommunisten blutige Straßenschlachten. Noch vor dem Ende der Vorlesung am 21. Februar 1933 hatten die Nazis am 30. Januar die Macht ergriffen. Obwohl Bonhoeffer in seiner Vorlesung mit keinem Wort direkt auf die politischen Zustände eingeht, bildet die gesellschaftliche Situation doch die dunkle Folie, auf der die vorgetragenen Überlegungen besondere Tiefe und Ernst erhalten. Dazu kam noch etwas anderes: die Wirkung der Persönlichkeit Bonhoeffers. Ein Hörer schreibt im Rückblick: „Dietrich Bonhoeffer war es! […] Dieser außerordentliche Mensch Bonhoeffer sprengte in dieser Vorlesung für mich alles Gewohnte – Tradierte – in Theologie/Kirche, Staat/Politik, Wissenschaft/Forschung und so fort.“2 Man kann verstehen, warum die Studierenden wie elektrisiert von Bonhoeffers Überlegungen waren. So etwas hatten sie in Berlin noch nicht gehört. Hier wagte ein Theologe, die exegetische und systematische Schultradition seiner Zeit hinter sich zu lassen und die Bibel unmittelbar nach Antworten auf die brennenden Probleme der Gegenwart zu befragen. Auch heute noch fragt sich der Leser unwillkürlich, wie ein so junger Mann (Bonhoeffer wurde am 6.2.1933 erst 27 Jahre) in einer Vorlesung derart tiefe Einsichten über das Menschsein, über die Welt und über Gott entwickeln konnte. Das Atemberaubende war, dass die Grundlage dafür entscheidend die Bibel bildete. Auch wenn Bonhoeffer seine Gedanken im Gespräch mit der Literatur seiner Zeit entwickelt, bleibt diese doch im Hintergrund. Er verzichtet ganz auf gelehrte Anmerkungen. Das Buch unterscheidet sich von den beiden vorangegangenen Veröffentlichungen (der Dissertation und der Habilitation) auch in der Sprachform. Es ist so geschrieben, dass es auch für den gebildeten theologischen Laien verständlich ist. Dass Bonhoeffer den biblischen Texten einen Vertrauensvorschuss einräumt, führt dazu, dass sie tatsächlich zu sprechen anfangen, Antworten geben auf die grundlegenden Fragen, die Menschen zu allen Zeiten mehr oder weniger stark umtreiben, die jedoch in einer politisch hochbrisanten Zeit ungleich drängender werden als in ruhigen und friedlichen Lebensumständen. Was ist der Auftrag des Menschen in der Welt? Wie kann das Zusammenleben von Mann und Frau funktionieren? Welche Rolle spielt die Sexualität? Wie ist das Verhältnis von Mensch und Natur zu gestalten? Wie ist mit der Tatsache umzugehen, dass zum Menschsein Versagen und Schuldigwerden untrennbar dazugehören? Gibt es eine Bestimmung des Menschen, die über seine irdische Existenz hinausreicht? Hat die Welt eine Zukunft? Welche Rolle spielt dabei eine transzendente Macht, eine Macht, die größer ist als der Mensch? Und vor allem: Welche Antworten gibt der christliche Glaube auf diese Fragen?

Dass Bonhoeffers Buch Resonanz fand, zeigt sich daran, dass 1937 eine zweite, unveränderte Auflage erschien. Die dritte Auflage wurde erst nach dem Krieg, 1955, veröffentlicht.

2. Eigenart

Dass Dietrich Bonhoeffer mit „Schöpfung und Fall“ eine ganze Vorlesung der Auslegung eines biblischen Textes widmete, war für einen systematischen Theologen ungewöhnlich.3 Die Orientierung von Bonhoeffers theologischem Denken an der Bibel wird jedoch von seinem theologischen Ansatz und seiner auf die Bibel bezogenen Spiritualität her verständlich. Karl Barths Wort-Gottes-Theologie hatte ihm dabei die Initialzündung vermittelt. Die von Bonhoeffer praktizierte und gelehrte Schriftauslegung unterschied sich grundlegend von der an den Universitäten damals vorherrschenden Auslegungspraxis. Es war eine primär theologisch geprägte Schriftauslegung, die die Frage nach der „Sache“ der biblischen Texte – auch hier in den Bahnen von Barths Anliegen – in den Vordergrund stellte.4 Das wird schon am Untertitel von „Schöpfung und Fall“ sichtbar: „Theologische Auslegung von Genesis 1–3“. Dahinter traten die Fragestellungen der historisch-kritischen Bibelauslegung mehr oder weniger stark zurück. Entscheidende Voraussetzung für Bonhoeffers Auslegung ist seine Erkenntnis, dass die Bibel „Buch der Kirche“ ist. In der Einleitung schreibt er: „Theologische Auslegung nimmt die Bibel als das Buch der Kirche und legt es als solches aus.“5 Für Bonhoeffers Buch „Schöpfung und Fall“ ist eine dezidiert auf Jesus Christus bezogene Auslegung charakteristisch. Es ist der eine Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, der in der gesamten Schrift zum Menschen redet. Weil die Bibel Buch der Kirche ist, muss auch das Alte Testament von Jesus Christus her gelesen werden. „Darum ist die Schöpfungsgeschichte in der Kirche allein von Christus her zu lesen und erst dann auf ihn hin; auf Christus hin kann man ja nur lesen, wenn man weiß, dass Christus der Anfang, das Neue, das Ende unserer ganzen Welt ist.“ Die christologische Auslegung des Alten Testaments sollte bald für die ganze Bekennende Kirche typisch werden.6 Sie wandte sich gegen die Preisgabe des Alten Testaments – und damit auch Israels, des alttestamentlichen Gottesvolkes – durch die Deutschen Christen, die bereits durch die liberale Theologie im 19. Jahrhundert vorbereitet worden war. Stattdessen trat die Bekennende Kirche dafür ein, dass es kein Christentum ohne das Alte Testament gibt.

Immer wieder ist – schon zu seinen Lebzeiten – Bonhoeffers Schriftgebrauch als „biblizistisch“ und „vormodern“ kritisiert worden.7 Eine gründliche Untersuchung seines Schriftverständnisses steht immer noch aus, auch wenn sich in den letzten Jahren eine Intensivierung der Beschäftigung mit seiner Schriftauslegung beobachten lässt. So existiert inzwischen eine Dissertation, die Grundlinien von Bonhoeffers Schriftlehre anhand von „Schöpfung und Fall“ erarbeitet.8 Wenn man seiner Schriftauslegung ein Adjektiv beifügen wollte, sollte man von einer „nachmodernen“ Bibelauslegung sprechen. Bonhoeffer lehnt die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese nicht pauschal ab, bleibt aber nicht bei der philologischen und historischen Auslegung stehen und fragt, was die Bibeltexte für den heute gelebten Glauben in seinen unterschiedlichen Bezügen zu sagen haben.

Bonhoeffer hat sein Schriftverständnis in einem Brief an seinen Schwager Rüdiger Schleicher, einen theologischen Laien, ausführlich erläutert.9 Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass Gott durch die Bibel zum Menschen reden will. Bonhoeffer geht davon aus, dass es Gott selbst war, der bestimmt hat, sich im Wort der Bibel vom Menschen finden zu lassen. „Die ganze Bibel will also das Wort sein, in dem Gott sich von uns finden lassen will“ (146). Daran hängt schlechterdings alles. Dieser Überzeugung liegt Bonhoeffers offenbarungstheologischer Ansatz zugrunde. Die Bibel ist das „fremde Wort Gottes“, das der Mensch sich nicht selbst sagen kann (147). Sie muss gegenüber dem Leser zu einer Größe mit eigenem Gewicht werden, um ihre göttliche Botschaft an den Menschen ausrichten zu können. Darin bestehen das Ziel und gleichzeitig das inhaltliche Zentrum von Bonhoeffers theologischer Schriftauslegung.10 „Wir suchen den Willen Gottes, der uns ganz fremd und zuwider ist, dessen Wege nicht unsere Wege und dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, der sich uns verbirgt unter dem Zeichen des Kreuzes, an dem alle unsere Wege und Gedanken ein Ende haben“ (146; Hervorhebungen im Text). Deshalb hat sich nicht der Bibeltext vor dem vermeintlich fortgeschrittenen Geist der Gegenwart zu verantworten, sondern die Gegenwart mit ihren Selbstverständlichkeiten muss sich von den biblischen Aussagen kritisch hinterfragen lassen.11

Aufseiten des Menschen, der Gottes Stimme in der Schrift hören will, führt das zu einer bestimmten Einstellung beim Lesen. Sie muss mit der Erwartung gelesen werden, dass Gott durch sie die existenziellen Fragen des Menschen beantwortet. „[…] ich glaube, dass […] wir nur anhaltend und etwas demütig zu fragen brauchen, um die Antwort von ihr zu bekommen“ (144f). Bonhoeffer unterscheidet in diesem Zusammenhang mit Luther zwischen der claritas externa und der claritas interna, der äußeren und der inneren Klarheit der Schrift. Zugang zur claritas externa hat jeder Mensch, der sie als ein Buch wie andere auch liest. Das Wesen der Bibel jedoch, ihre claritas interna, erschließt sich nur demjenigen, der es wagt, sich so auf die Bibel einzulassen, „als redete hier wirklich der Gott zu uns, der uns liebt und uns mit unsern Fragen nicht allein lassen will“ (145). Nur wer bereit ist, der Bibel einen Vertrauensvorschuss zu geben, wird weiterhelfende Antworten durch sie bekommen. Bonhoeffer hat seine Studierenden immer wieder auf ein Zitat Søren Kierkegaards hingewiesen, der dazu auffordert, die Bibel wie einen Liebesbrief Gottes an den Menschen zu lesen. „Denke dir einen Liebenden, der einen Brief von seiner Geliebten erhalten hat; so teuer dieser Brief dem Liebenden ist, so teuer, nehme ich an, ist dir Gottes Wort; wie der Liebende seinen Brief liest, so (nehme ich an) liesest du Gottes Wort und glaubst du, dass du es lesen solltest.“12

Bonhoeffer ist sich bewusst, so etwas wie ein sacrificium intellectus – ein Opfer seines Verstandes – zu bringen (147), wenn er darauf verzichtet, in der Bibel zwischen Gottes- und Menschenwort zu unterscheiden, d. h. wenn er Sachkritik an der Bibel ablehnt. Gerade einer unverständlichen bzw. anstößigen biblischen Textstelle möchte er in der Gewissheit begegnen, „dass auch sie sich eines Tages als Gottes eigenes Wort offenbaren wird“ (147). Dahinter steckt nicht zuletzt die Befürchtung, Gottes fremdes Wort sonst zum Verstummen zu bringen und in einer theologisch zurechtgestutzten Bibel doch nur wieder einem göttlichen Doppelgänger seiner selbst zu begegnen.

Dabei genügt es in Bonhoeffers Augen nicht, lediglich theoretisch überzeugt zu sein, dass Gott in der Bibel zum Menschen reden will. Vielmehr muss für den Ausleger die Bereitschaft dazukommen, sich vorzubereiten, Raum und Zeit zur Verfügung zu stellen, um auf Gott zu hören. Ohne Ruhe und Sammlung vor Gott, ohne Kontemplation, wird es nur schwer zur Begegnung mit ihm kommen. In der mündlichen Einleitung zur Vorlesung „Schöpfung und Sünde“ und in der letzten Semesterstunde hat Bonhoeffer nach Angabe von Mitschriften gesagt, dass zum Hören des Wortes Gottes „exercitium“, Übung, gehöre.13 Im einige Jahre später entstandenen Brief an Schleicher schreibt Bonhoeffer aus dem Finkenwalder Predigerseminar, dass er versucht, sich täglich eine ganze Woche lang in den gleichen Bibeltext „zu versenken“ (147). Mit dem Wort „versenken“ verwendet er mystische Begrifflichkeit, die an die spirituelle Praxis der großen christlichen Mystiker wie Meister Eckhart, Tauler, Seuse, Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz u. a. erinnert. In der Ruhe und Sammlung vor Gott soll es zur Begegnung mit ihm kommen. Bei Bonhoeffer ist die Kontemplation allerdings streng reformatorisch auf das Wort der Bibel bezogen. In seiner Christologievorlesung von 1933 soll er nach den Mitschriften als zweiten Satz gesagt haben: „Das Schweigen der Kirche ist Schweigen vor dem Wort.“14 Weil Gott durch das Wort der Bibel zum Menschen reden will, muss dieser vor dem Wort schweigen, um Gott vernehmen zu können. Dass Gott nicht zum einzelnen Christen allein redet, sondern zu diesem als Glied der Gemeinschaft der ganzen Kirche, entreißt die Kontemplation der Privatheit.

3. Inhalt

Im Buch „Schöpfung und Fall“ werden Genesis 1–3 und 4,1 ausgelegt. Ich greife im Folgenden exemplarisch zwei Höhepunkte der Auslegung heraus: die Erschaffung des Menschen nach Genesis 1,26f und den Fall des Menschen nach Genesis 3,1-13.

3.1 Das Bild Gottes auf Erden (Genesis 1,26f)

Der Plural „Lasset uns Menschen machen“ ist für Bonhoeffer ein Hinweis auf die Bedeutsamkeit des Tuns des Schöpfers. Gleichzeitig werden wir dadurch als Leser gleichsam in Gottes Planen mit hineingezogen. Auch wenn der Mensch in einer Kette mit den übrigen Geschöpfen steht, mit zur tierischen Welt gehört, eine animalische Seite besitzt, hat er doch nach der Aussage des Schöpfungsberichts eine grundsätzlich andere Qualität als die übrigen Geschöpfe: Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen. Das heißt, er ist ein Abbild der unsichtbaren Majestät Gottes, und er ist jenes Geschöpf, das das Wesen Gottes sichtbar zum Ausdruck bringen soll. Das heißt, Gott selbst geht in das Geschaffene ein. Gott selbst ist in ihm!

Worin besteht die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott? Er ist dem Schöpfer für Bonhoeffer darin ähnlich, dass er frei ist. Dabei ist er nicht frei „an sich“, gleichsam im luftleeren Raum. Freiheit in der Sprache der Bibel heißt immer frei sein für den anderen. Freiheit ist also keine Qualität, kein Besitz, kein Vorhandenes, kein Gegenständliches. Freiheit ist eine Beziehung. Freisein heißt für Bonhoeffer „frei-sein-für-denanderen“. Kein substanzieller, aber auch kein individualistischer Begriff lässt Freiheit denken. Der Mensch ist frei für Gott. Nur insofern ist der Mensch auch Abbild Gottes. Der Mensch hat den Adel der Gottesebenbildlichkeit nur, wenn er nicht selbst etwas für sich sein will – unabhängig von Gott. Das Bild gibt es nicht ohne den, den es abbilden soll. Urbild und Abbild sind wesensmäßig aufeinander bezogen.

Für Bonhoeffer tritt noch eine weitere Erkenntnis in unseren Gesichtskreis: Der Mensch bildet Gott nicht als Einzelner ab. Er bildet ihn nur ab als Mann und als Frau. Der Mensch ist Mensch nicht allein. Er ist in Zweiheit. Menschsein gibt es von der Schöpfung her nur in Beziehung. Mann und Frau machen zusammen den Menschen aus. Das heißt, zur Geschöpflichkeit des Menschen gehört wesensmäßig das Angewiesensein auf den anderen. Ich brauche als Einzelner die Ergänzung der anderen, um wirklich Mensch zu sein und zu werden: Ich bin ergänzungsbedürftig. Ich bin frei, wenn ich frei bin für den anderen.

3.2 Vom Fall des Menschen (Genesis 3,1-13)

Zunächst hält Bonhoeffer fest, dass die Bibel keine Auskunft über den Ursprung des Bösen gibt. Die Schlange ist einfach da. Sie gehört sogar ausdrücklich zu den von Gott geschaffenen Tieren. Als Nächstes betont er: Der Mensch hat sich in Freiheit gegen Gottes Gebot entschieden. Er ist schuldig an dem, was ihm im Folgenden widerfährt. Was die Geschichte will: Sie beschreibt, wie sich das Wesen des Menschen durch den Sündenfall grundsätzlich verändert hat.

Für Bonhoeffer steht am Anfang des Falls die fromme Frage. Denn: „Die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde.“ Sie vermag darum eine Frage zu stellen, die den Menschen in Verwirrung bringt. Gott werden Worte in den Mund geschoben, die er nicht gesagt hat. Dadurch gelingt es der Schlange, zwischen Gottes Wort und Gott selbst zu unterscheiden. Sie weiß scheinbar um einen edleren Gott, der ein Verbot nicht nötig hat. Mit der ersten frommen Frage ist in der Welt das Böse auf den Plan getreten. Dieses zeigt sich nicht in seiner Gottlosigkeit – da wäre es machtlos. Es ist vielmehr eingehüllt in das Kleid der Frömmigkeit. Der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz. „Sollte Gott gesagt haben“ – das ist für Bonhoeffer die gottlose Frage schlechthin. Im Hinblick auf Gottes Gebot lautet die Frage folgendermaßen: Sollte er dies wirklich mir gesagt haben? Gerade jetzt? Gilt es nicht für mich vielleicht gerade nicht? Das ist die ungefährlich ausschauende Frage, durch die das Böse im Menschen Gewalt gewinnt. Auf diese Weise werden Menschen zum Ungehorsam gegenüber Gott vorbereitet.

Durch die Frage der Schlange wird dem Menschen zugemutet, Gottes Wort richtigzustellen, es zu richten, es zu beurteilen, anstatt es vertrauend zu hören und zu tun. Aufgrund einer vermeintlichen Vorstellung von Gott soll der Mensch über Gott urteilen. Er ist damit aus der Beziehung des Vertrauens der Liebe zu Gott herausgefallen.

Der Gipfel der List der Schlange besteht für Bonhoeffer darin, dass sie in ihrer Frage übertreibt. Dadurch muss Eva zwangsläufig die Position der Verteidigerin Gottes einnehmen. Anstatt der Schlange die Tür zu weisen, lässt sie sich auf das Gespräch mit ihr ein. Es hat in ihr irgendwie gezündet. Dabei erfahren die Worte Gottes im Munde Evas eine Verschärfung: „Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret’s auch nicht an, dass ihr nicht sterbet.“

Jetzt holt die Schlange zum entscheidenden Schlag aus. Gott ist zu entmythologisieren. Die Schlange verwirrt dem Menschen die Grundbefindlichkeiten seines Daseins: den Wesensunterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, das Verhältnis von Urbild und Ebenbild. Für Bonhoeffer stehen sich in diesem Moment sicut deus (wie Gott sein) und Tod, Herrschaft im Dienst Gottes und Herrschaft aus eigenem Anspruch diametral gegenüber. Die Schlange sagt nichts Geringeres als: Gott hat Angst. Er fühlt sich in seiner Göttlichkeit durch den Menschen bedroht. Darum hat er das Verbot ausgesprochen. Der Schöpfergott wird damit unter der Hand zur mythischen Gottheit. Er kommt in Wirklichkeit aus der gleichen Wurzel wie der Mensch – aus dem Urgrund der Natur. Er ist darum im Letzten nicht mehr als die Menschen. Er ist nur faktisch, nicht wesentlich Herr. Es ist möglich, dass der Mensch ihn entthront und sich selbst zum Herrn macht. Dazu muss der Mensch nur den richtigen Weg finden. Die Schlange zeigt ihn Eva: Er liegt in der Erkenntnis von Gut und Böse. Damit wird auch die Erkenntnis zur mythischen Größe: Wer sie besitzt, hat magische Macht und beherrscht die Welt.

Die Schlange und Eva führen nach Bonhoeffers Ansicht miteinander das erste theologische Gespräch. Gott hat aus Neid etwas verboten. Gott ist also kein guter, sondern ein böser, quälerischer Gott. Gottes Wort ist Lüge. Darum ist es nur konsequent, wenn Eva um der Wahrheit willen Gottes Wort, das Lüge ist, übertritt. Schlangenwahrheit steht gegen Gotteswahrheit: „Ihr werdet mitnichten sterben“ – „Ihr müsst des Todes sterben.“ Gottes Wahrheit ist verbunden mit einem Verbot, die Wahrheit der Schlange mit einer Verheißung. Gottes Wahrheit weist den Menschen auf seine Grenze, die Wahrheit der Schlange auf seine Grenzenlosigkeit.

Im Hinblick auf das weitere Leben des Menschen tut sich damit ein gigantischer Abgrund auf: Macht durch die Verantwortung vor dem eigentlichen Herrn – Macht in alleiniger Verantwortung; der begrenzte, auf Gott bezogene gottebenbildliche Mensch – der in seinem Alleinsein gottgleiche Mensch; der Mensch, gebunden an das Wort des Schöpfers – der Mensch, gebunden an das eigene Wissen um Gott; imago dei – sicut deus. Eva versteht die Verheißung der Schlange als Möglichkeit des Frömmerseins, des Gehorsamerseins. Darum verfällt sie ihr.