Aber bei dir ist Licht - Dietrich Bonhoeffer - E-Book

Aber bei dir ist Licht E-Book

Dietrich Bonhoeffer

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Beschreibung

Dietrich Bonhoeffers Gebete, Gedichte und andere Texte, die er in der Zeit von 1943-1945 im Gefängnis in Berlin-Tegel verfasst hat, sind nicht nur wichtige Zeugnisse des Widerstands gegen das NS Regime, sie geben dem Leser vor allem Anteil am Geistlichen Leben des Christen Dietrich Bonhoeffer und sind vielleicht die bekanntesten und bedeutendsten Texte von Dietrich Bonhoeffer. Die Haft bedeutete für Bonhoeffer die Trennung von Familie und seiner Verlobten, von Freunden und Weggefährten und auch von seiner Arbeit. In den Gebeten und Gedichten verarbeitet er aber nicht nur diesen Verlust seines bisherigen Lebens – er schaut auf die kommenden Generationen und die Zukunft und weiß sich in allen Kämpfen und Anfechtungen, "von guten Mächten wunderbar geborgen": "In mir ist es finster, aber bei dir ist das Licht." In diesem Buch sind die Texte von Dietrich Bonhoeffer ohne wissenschaftliche Erläuterung wiedergegeben, denn sie sind nicht zur Analyse gedacht, sondern zum mitbeten und meditieren. In seinen Einführungen erläutert Peter Zimmerling die zeitgeschichtlichen Hintergründe und die Bedeutung der Beziehung Bonhoeffers zur seiner Familie, zu seiner Verlobten Maria von Wedemeyer und zu seinem Freund Eberhard Bethge. Damit ermöglicht er auch demjenigen Leser, der sich noch nicht intensiv mit Bonhoeffer auseinandergesetzt hat, die Texte tiefer zu verstehen und einzuordnen. Enthält folgende Texte Bonhoefffers: Nach zehn Jahren, Traupredigt aus der Zelle, Gebete für Gefangene, Weihnachtsgruß (1943), Gedanken zum Tauftag von Diedrich Wilhelm Rüdiger Bethge (Mai 1944), Meditationen zu den Herrnhuter Losungen, Gedicht "Vergangenheit", Gedicht "Glück und Unglück", Ausarbeitung über die erste Tafel der zehn Worte Gottes, Gedicht "Wer bin ich?", Gedicht "Christen und Heiden", Gedicht "Nächtliche Stimmen", Entwurf für eine Arbeit, Gedicht "Stationen auf dem Wege zur Freiheit", Gedicht "Der Freund", Gedichte "Der Tod des Mose" und "Jona", Gedicht "Von guten Mächten".

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Seitenzahl: 170

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DIETRICH BONHOEFFER

Aber bei dirist Licht

Gebete, Gedichte und Gedankenaus dem Gefängnis(1943–1944)

Herausgegebenund mit einer Einführung versehenvon Peter Zimmerling

Die hier abgedruckten Texte finden sich auch in

Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. von Christian Gremmels, Eberhard Bethge (†) und Renate Bethge, DBW 8 (München 22016): „Nach zehn Jahren“ (S. 17 ff.); „Traupredigt aus der Zelle“, Mai 1943 (Nr 18, S. 73 ff.); „Gebete für Gefangene: Morgengebet. Abendgebet. Gebet in besonderer Not“. November 1943 (Nr. 76-78, S. 204-208); „Weihnachtsgruß“, Dezember 1943 (Nr. 90, S. 260 f.); „Gedanken zum Tauftag von Dietrich Wilhelm Rüdiger Bethge“, Mai 1944 (Nr. 145, S. 428 ff.); „Gedicht ‚Vergangenheit‘“, Juni 1944 (Nr. 158, S. 468 ff.); „Gedicht ‚Glück und Unglück‘“, Juni 1944 (Nr. 167, S. 493 f.); „Gedicht ‚Wer bin ich?‘“, Sommer 1944 (Nr. 173, S. 513 f.); „Gedicht ‚Christen und Heiden‘“, Sommer 1944 (Nr. 174, S.515 f.); „Gedicht ‚Nächtliche Stimmen‘“, Sommer 1944 (Nr. 175, S. 516 ff.); „Entwurf für eine Arbeit“, August 1944 (Nr. 187, 556 ff.); „Gedicht ‚Stationen auf dem Wege zur Freiheit‘“, August 1944 (Nr. 191, S. 570 ff.); „Gedicht ‚Der Freund‘“, 27. u. 28. August 1944 (Nr. 196, S.585 ff.); „Gedicht ‚Der Tod des Mose‘“, September 1944 (Nr. 197, S. 590 ff.); ‚Gedicht ‚Jona‘“, Oktober 1944 (Nr. 199, S. 606); „Gedicht ‚Von guten Mächten‘“, Dezember 1944 (Nr. 200, S. 607 f.);

bzw. in Dietrich Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940–1945, hg. v. Jørgen Glenthøi (†), Ulrich Kabitz und Wolf Krötke, DBW 16 (München 22016): „Andachtshilfen zu Herrnhuter Losungen“ (III/4, S. 651 ff.); „Ausarbeitung über die erste Tafel der zehn Worte Gottes“, Juni/Juli 1944 (III/5, S. 658).

Bibelzitate entsprechen der von Bonhoeffer verwendeten Fassung.Die Rechtschreibung wurde aktualisiert.

© 2018 Brunnen Verlag GießenUmschlagfoto: ShutterstockUmschlaggestaltung: Celia FriedlandSatz: DTP BrunnenDruck: GGP media, PößneckISBN Buch: 978-3-7655-0693-2ISBN E-Book: 978-3-7655-7516-7

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Zu dieser Ausgabe

Einführung (von Peter Zimmerling)

Nach zehn Jahren

Traupredigt aus der Zelle

Gebete für Gefangene

Weihnachtsgruß (1943)

Gedanken zum Tauftag von Dietrich Wilhelm Rüdiger Bethge (Mai 1944)

Meditationen zu den Herrnhuter Losungen

Gedicht „Vergangenheit“

Gedicht „Glück und Unglück“

Ausarbeitung über die erste Tafel der zehn Worte Gottes

Gedicht „Wer bin ich?“

Gedicht „Christen und Heiden“

Gedicht „Nächtliche Stimmen“

Entwurf für eine Arbeit

Gedicht „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“

Gedicht „Der Freund“

Gedichte „Der Tod des Mose“ und „Jona“

Gedicht „Von guten Mächten“

Anmerkungen

Zu dieser Ausgabe

Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis hingerichtet. 2015 waren es 70 Jahre, dass dieses Verbrechen geschah. Nach 70 Jahren werden die Bücher und Texte eines Verstorbenen „rechtefrei“. Das schien dem Brunnen Verlag und mir eine gute Gelegenheit, zunächst vier Bücher Bonhoeffers neu herauszugeben: „Die Psalmen – Das Gebetbuch der Bibel“, „Gemeinsames Leben“, „Nachfolge“ und „Schöpfung und Fall“. Durch sie ist er schon zu Lebzeiten einer größeren Lesergemeinde bekannt geworden.

Die gute Aufnahme der vier Bände, von denen z. T. bereits wieder eine Neuauflage nötig wurde, hat uns bewogen, die Reihe fortzusetzen. Den Anfang macht in diesem Jahr ein Band mit Gebeten, Gedichten und Gedanken Bonhoeffers aus der Zeit seiner Inhaftierung durch die Nazis. Im kommenden Jahr soll ein Band mit Gefängnisbriefen folgen. Die Texte beider Bände wurden unter dem Titel „Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft“ weltberühmt.

Mein Dank gilt Frau Margitta Berndt (Herrnhut) für das sorgfältige Korrekturlesen und Herrn Uwe Bertelmann vom Brunnen Verlag für die ausgezeichnete Kooperation.

Rom, im Frühjahr 2018Peter Zimmerling

Einführung von Peter Zimmerling

Entstehung und Hintergrund

Während der beiden letzten Jahre im Gefängnis wurden Dietrich Bonhoeffers Glaube und Leben einer außerordentlichen Bewährungsprobe ausgesetzt. Einblick in sein Ringen geben vor allem „Widerstand und Ergebung“ und „Brautbriefe. Zelle 92“, die beiden Briefsammlungen aus der Haft, die postum als Bücher erschienen sind.1 Sie enthalten zusammen mit dem letzten Band der Gesamtausgabe der Werke Dietrich Bonhoeffers2 alle Texte, die während der Gefängniszeit entstanden sind.

Die im vorliegenden Buch wieder abgedruckten Gebete, Gedichte und Gedanken enthalten den Kernbestand an Texten Bonhoeffers aus dem Gefängnis, der schon 1945, also unmittelbar nach dem Krieg, erstmals erschienen ist.3 Die Texte wurden vom Ökumenischen Rat in Genf veröffentlicht, um an das Martyrium Bonhoeffers und der anderen Mitglieder der Bekennenden Kirche zu erinnern. Es sollten sechs Jahre vergehen, bis eine erste erweiterte Sammlung der Gefängnistexte unter dem Titel „Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft“ 1951 erschien. Bonhoeffers Freund und theologischer Gesprächspartner Eberhard Bethge (1909–2000) hatte als Erbe von dessen Nachlass die Auswahl vorgenommen. Es fehlte darin neben den Briefen der Adressaten auch der Briefwechsel Bonhoeffers mit seiner Verlobten Maria von Wedemeyer, die dessen Veröffentlichung nicht zugestimmt hatte. In einer erweiterten Neuauflage von „Widerstand und Ergebung“ aus dem Jahr 1970 wurden immerhin die Briefe der Adressaten mit veröffentlicht. Die Brautbriefe von Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer wurden erst 1992 nach dem Tod der Verlobten als eigenständiges Buch publiziert.

„Widerstand und Ergebung“ fand weltweite Resonanz. Es erschienen nicht nur eine Fülle von Auflagen auf Deutsch, sondern nach und nach weltweit Übersetzungen in den wichtigsten Sprachen (bis hin zu chinesischen, japanischen und koreanischen Ausgaben). „Widerstand und Ergebung“ wurde zu einem religiösen Klassiker. Das Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ avancierte zu einer der beliebtesten geistlichen Dichtungen des 20. Jahrhunderts.4

Beim Lesen des vorliegenden Buches fragt man sich unwillkürlich, wie es möglich war, dass Bonhoeffer trotz der Extremsituation des Gefängnisses – vor allem am Anfang und am Ende seiner Inhaftierung musste er jederzeit damit rechnen, hingerichtet zu werden – Texte verfassen konnte, die eine derart hohe theologische Qualität und spirituelle Dichte erkennen lassen. Bonhoeffer hatte ja in der Haft nicht nur eine, sondern eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen: an erster Stelle die Trennung von der Familie, mit der Bonhoeffer bis dahin gewohnt war, das Leben zu teilen. Die Bonhoeffers bildeten einen regelrechten Familienclan, bestehend aus Eltern, Großmutter, Geschwistern und deren Ehepartnern, Neffen und Nichten, Tanten und Onkel. In der Familie stand man bedingungslos füreinander ein. Die Nazi-Diktatur, in deren Ablehnung sich alle einig waren, hatte die Familie noch näher zusammengeschlossen. Dazu kam die Trennung von Maria von Wedemeyer, einer 18-jährigen Frau, mit der Bonhoeffer sich unmittelbar vor der Verhaftung verlobt hatte. Erst jetzt lernte er sie durch Briefe und Sprecherlaubnisse näher kennen. Ihre Prägung war so ganz anders als, er es von seinen Familienmitgliedern her kannte: gefühlsstark, intensiv, unmittelbar. Dadurch wurde er herausgefordert, noch einmal neu über seine Vorstellungen vom eigenen Leben und vom Mannsein nachzudenken. Eine zusätzliche Herausforderung stellte in diesem Zusammenhang die besondere Gestalt der Frömmigkeit der Verlobten dar: Viele Mitglieder der Familie Maria von Wedemeyers, auch sie selbst, waren mit der wenige Jahre zuvor entstandenen Evangelischen Michaelsbruderschaft eng verbunden.5 Marias Vater, der im Krieg bereits gefallen war, hatte 1931 als einziger Laie zu den sieben Gründungsmitgliedern der Bruderschaft gehört. Während Bonhoeffer von Karl Barth her eine wortorientierte Spiritualität vertrat, war die Frömmigkeit der Michaelsbrüder symbol- und ritualgeprägt, also sinnlich ausgerichtet. Eine weitere Herausforderung des Gefängnisaufenthalts bestand darin, dass Bonhoeffer hier erstmals in näheren Kontakt mit säkularen, religionslosen Menschen kam. Die Begegnung mit ihnen war neben der Beziehung zu Maria von Wedemeyer eine Art Auslöser und Katalysator für neue theologische Überlegungen, die ihn nach seinem Tod weltweit bekannt machten. Last, not least machte Bonhoeffer besonders in den ersten Monaten die Trennung von Eberhard Bethge, seinem mehrjährigen engen Freund und im Laufe der Zeit unverzichtbar gewordenen theologischen Gesprächspartner, schwer zu schaffen. Als dank der Hilfe eines Gefängniswärters der konspirative Briefwechsel zwischen beiden begann, wurde dieser zum Resonanzraum seiner revolutionären theologischen Gedanken zum religionslosen Christentum und zur nicht-religiösen Interpretation religiöser Begriffe.

Ein wichtiger geistlicher Grund dafür, warum es Bonhoeffer gelang, das Schicksal der Inhaftierung in kreative persönliche, spirituelle und theologische Erkenntnisse zu verwandeln, war die Tatsache, dass er die Jahre im Gefängnis als eine mystische Gleichgestaltung mit Christus erfuhr.6 Bereits vorher liebte er Menschen, die gescheitert waren. Darum wurde im Gefängnis ein Traum für ihn wahr: Er gehörte dort selbst zu den Gescheiterten, die die Ereignisse der Weltgeschichte von unten erlebten. Bonhoeffer schrieb in „Nach zehn Jahren“: „Es bleibt ein Erlebnis von unvergleichlichem Wert, dass wir die großen Ereignisse der Weltgeschichte einmal von unten, aus der Perspektive der Ausgeschalteten, Beargwöhnten, Schlechtbehandelten, Machtlosen, Unterdrückten und Verhöhnten, kurz der Leidenden sehen gelernt haben …, dass das persönliche Leiden ein tauglicherer Schlüssel, ein fruchtbareres Prinzip zur betrachtenden und tätigen Erschließung der Welt ist als persönliches Glück.“

Bonhoeffer hat seine Leiden weder gesucht noch sich selbst zugefügt. Sie sind ihm widerfahren. Indem er sie als von Gott geschickt interpretiert, eröffnet sich ihm ein schöpferischer Umgang mit ihnen. Trotz seiner Inhaftierung verbittert er nicht. Dass sein Schicksal von Gott kommt, gibt ihm die Kraft, es zu ertragen.7 Die Texte aus dem Gefängnis offenbaren an vielen Stellen, dass es Bonhoeffer nicht leicht gefallen ist, zu dieser Sicht zu gelangen. Er hat sich zunächst gegen sein Schicksal aufgelehnt. Erst im Lauf der Zeit wurde ihm klar, dass das Gefängnis der Weg Gottes mit seiner Seele war. Dieser Glaube befähigte Bonhoeffer am Ende der Gefängniszeit, den Märtyrertod zu sterben.

In einer der letzten Besprechungen im Führerhauptquartier befahl Hitler am 5. April 1945, dass Oster, Canaris, Dohnanyi und Bonhoeffer als Mitarbeiter des Amts Abwehr – einer Militärbehörde, die offiziell militärische Spionage und Spionageabwehr betrieb, deren leitende Mitarbeiter aber Hitler zu beseitigen versucht hatten – nicht überleben sollten. Bonhoeffer war vorher aufgrund von Luftangriffen aus Berlin ins Konzentrationslager Buchenwald verlegt worden. Anfang April hatte man ihn nach Regensburg und Schönberg im Bayerischen Wald gebracht. Von dort wurde er am 8. April ins KZ Flossenbürg geholt, wo er im Morgengrauen des 9. April erhängt wurde. Unmittelbar vor dem Abtransport zur Hinrichtung nach Flossenbürg trug Bonhoeffer einem englischen Offizier, Payne Best, der mit ihm zusammen gefangen war, Grüße an den englischen Lordbischof George Bell auf. Best, der als Nachrichtendienstoffizier dafür professionell geschult war, erinnerte sich nach dem Krieg genau an Bonhoeffers Worte, zumal dieser sie ihm zweimal zum Auswendiglernen vorgesprochen hatte.8 „Nach meiner besten Erinnerung waren dies Dietrichs genaue Worte: ‚Bitte überbringen Sie diese Nachricht von mir an den Bischof von Chichester, sagen Sie ihm, für mich ist dies das Ende, aber auch der Anfang – mit ihm glaube ich an den Grundsatz unserer universalen christlichen Brüderlichkeit, der über allem Hass zwischen den Völkern steht, und dass unser Sieg gewiss ist …‘“9 Diese letzte erhaltene Nachricht zeigt, dass Bonhoeffer seiner der Erde zugewandten Theologie und Spiritualität bis zum Tod treu geblieben ist. Er stirbt im Glauben an seine persönliche Auferstehung, wie es der allein bekannt gewordene erste Teil der Worte bezeugt: „Für mich ist dies das Ende, aber auch der Anfang.“ Dabei geht seine Hoffnung aber über die persönliche Auferstehung hinaus. Bonhoeffer stirbt, indem er – gegen den äußeren Augenschein – festhält am Vertrauen auf den endgültigen Sieg des Reiches Gottes auf Erden über allen Unfrieden und Hass zwischen den Völkern. Ein kurz vor der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands geradezu irrwitziger Gedanke! Dies umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass die Siegermächte den Plan verfolgten, Deutschland zu einem Agrarland zu machen, damit von ihm nie wieder ein Krieg ausgehen könne. Auf dem Weg zum Agrarstaat wären unweigerlich Millionen von Deutschen verhungert. Bonhoeffers Vertrauen entspricht mystischer Glaubenszuversicht, die von der Gleichgestaltung mit dem Schicksal Jesu Christi abgeleitet ist: victor quia victima – der Sieg des Lebens wird allein durch die Niederlage des Kreuzestodes hindurch errungen. Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands ist in Bonhoeffers Augen der einzig mögliche Weg zu einem Neuanfang.

Dass Bonhoeffer im Gefängnis vom Glauben an einen persönlichen und gemeinschaftlichen Neuanfang getragen wurde, belegen auch die Erinnerungen Fabian von Schlabrendorffs, einem der wenigen aus dem engeren Kreis der Verschwörer gegen die Nazi-Diktatur, die den Krieg überlebt haben.10 Im Gefolge des Scheiterns des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 saß dieser zusammen mit Bonhoeffer seit Herbst 1944 im Untersuchungsgefängnis der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Beide nutzten während dieser Zeit jede Gelegenheit, um sich auszutauschen. „Dietrich Bonhoeffer berichtete mir von seinen Vernehmungen. Wie er gleich beim ersten Mal mit der Folter bedroht wurde, in welch erpresserischer Weise die Verhandlungen selbst durchgeführt wurden. Der Ausdruck, mit dem er seine Vernehmungen kennzeichnete, war kurz und bündig: widerlich! … Aber er ließ sich äußerlich nichts anmerken. Immer war er guter Laune, immer gleichbleibend freundlich und gegen jedermann zuvorkommend, sodass er zu meinem eigenen Erstaunen binnen kurzer Frist seine nicht immer von Menschenfreundlichkeit erfüllten Wärter psychisch kaptiviert hatte. In dem Verhältnis zwischen uns war bezeichnend, dass er eher immer der Hoffnungsvolle war, während ich zuweilen unter Depressionen litt. Immer war er es, der einem Mut und Hoffnung zusprach, der nicht müde wurde zu wiederholen, dass nur der Kampf verloren ist, den man selbst verloren gibt. Wie viel Zettel hat er mir zugesteckt, auf denen der Bibel entnommene Worte des Trostes und der Zuversicht von seiner Hand geschrieben waren. Auch seine eigene Lage schilderte er optimistisch.“11 Bonhoeffer hatte offensichtlich die innere Kraft, dem zu Depressionen neigenden Schlabrendorff neue Zuversicht zu vermitteln. Dazu bediente er sich zum einen des Mittels des gesunden Menschenverstands: „Nur der Kampf [ist] verloren …, den man selbst verloren gibt.“ Zum anderen gebrauchte er theologisch-geistliche Mittel: Er steckte ihm Zettel zu, auf denen er biblische Worte des Trostes und der Zuversicht handschriftlich notiert hatte, also solche Bibelworte, die Schlabrendorff aufgrund seiner Gemütslage gerade brauchte.

Eigenart

Man merkt den in diesem Buch abgedruckten Texten an, dass sie an einem besonderen Ort entstanden sind. Wahrscheinlich sage ich nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass sie zum größten Teil weder entstanden wären noch ihre geistliche Tiefe gewonnen hätten, wenn Dietrich Bonhoeffer nicht verhaftet worden wäre. Die Texte stellen ein einzigartiges Stück Auseinandersetzung ihres Verfassers mit der für ihn vollkommen neuen und ungewohnten Lebenssituation im Gefängnis dar. Gleichzeitig gewähren sie einen Einblick in die äußere und innere Entwicklung, die Bonhoeffer in dieser Zeit durchgemacht hat. Die im Gefängnis verfassten Texte boten ihm in ihrer Unterschiedlichkeit – es handelt sich um Gebete, Gedichte, Predigten, Meditationen, Artikel, Berichte, ein Dramen- und ein Romanfragment, einen Buchentwurf und vor allem Briefe – die Möglichkeit, sein Erleben zu verarbeiten. Das gilt grundsätzlich für alle Textgattungen. In besonderer Weise trifft das für die Gedichte zu. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass ein Theologe die übliche sachlich-rationale wissenschaftliche Prosa mit der deutungsoffeneren und emotional berührenden Poesie vertauscht. Offensichtlich erlaubte die Gedichtform Bonhoeffer, seine Gefühle in Worte zu fassen, die er sich sonst weder zugestanden noch verbalisiert hätte.

Die beiden ersten erhaltenen Gedichte „Vergangenheit“ und „Glück und Unglück“ geben z. B. das Ringen Bonhoeffers wieder, emotional wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Im Gedicht „Nächtliche Stimmen“ setzt Bonhoeffer sich mit dem Leben innerhalb des Gefängnisses auseinander. „Wer bin ich?“ reflektiert die Spannung zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung angesichts des Gefängnisalltags. Das Gedicht „Stationen auf dem Weg zur Freiheit“ lässt sich als komprimierte Deutung der Biografie seines Verfassers verstehen. Auch die Gedichte „Der Tod des Mose“ und „Jona“ stellen den Versuch dar, den bevorstehenden eigenen Tod geistlich zu deuten, d. h. ihm einen Sinn abzugewinnen und so mit ihm fertigzuwerden. Mit dem Gedicht „Der Freund“ hat Bonhoeffer sich darüber Rechenschaft gegeben, welche Bedeutung die Freundschaft zu Eberhard Bethge für sein Leben besaß. In „Christen und Heiden“ versucht der Theologe Bonhoeffer, seine neuen wissenschaftlich-theologischen Erkenntnisse in eine dichterische Form zu bringen. Im letzten erhaltenen Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – Abschluss und Krönung seines dichterischen Schaffens – deutet der Dichter sein eigenes Leben im Licht der anbrechenden Ewigkeit.

Neben die Gedichte treten Predigten und Meditationen, das „Kerngeschäft“ eines Pfarrers, der Bonhoeffer spätestens seit Antritt einer Auslandspfarrstelle in der deutschen evangelischen Gemeinde in London 1933 hauptamtlich geworden war. Hierher gehört die berühmt gewordene Traupredigt aus der Zelle, die Bonhoeffer zur Trauung seines Freundes Eberhard Bethge und seiner Nichte Renate, geb. Schleicher, im Mai 1943 verfasst hat. Auch die ein Jahr später entstandenen Gedanken zum Tauftag von Bonhoeffers Großneffen Dietrich Wilhelm Rüdiger, dem Sohn von Renate und Eberhard Bethge, wurden von der Familie immer als eine Art Taufansprache und nicht als theologische Abhandlung verstanden. Zu der Gattung Predigt bzw. (Predigt-)Meditation gehören auch Bonhoeffers Andachtshilfen zu einer Reihe von Herrnhuter Losungen und Lehrtexten, die er aus Freude über die Bibelworte verfasste, bzw. um Bethge die Vorbereitung von Andachten zu erleichtern.

Schließlich kommen drei Texte zum Abdruck, die der traditionellen Gattung theologisch-wissenschaftlicher Prosa am nächsten kommen: der Rechenschaftsbericht „Nach zehn Jahren“, verfasst für die Mitverschwörer im Kampf gegen Hitler nach einem Jahrzehnt Nazi-Diktatur, die Fragment gebliebene „Ausarbeitung über die erste Tafel der zehn Worte Gottes“, eine theologische Auslegung des ersten Teils der Zehn Gebote, und der „Entwurf für eine Arbeit“, eine fragmentarische Skizze für ein theologisches Buch, in dem Bonhoeffer Überlegungen zur Erneuerung der Kirche nach dem Kriege vorlegen wollte.

Diese Variationsbreite von Textgattungen (zu den bereits genannten Gattungen kommen noch Eingaben im Vorfeld des Prozesses und im Hinblick auf Verbesserungen des Gefängnisalltags und Zettelnotizen) steht in einem auffälligen Kontrast zu der Tatsache, dass ihr Autor im Dritten Reich Schreibverbot erhalten hatte. Bonhoeffer bewegte sich mit seinen literarischen Arbeiten also nicht nur in der Illegalität, sondern musste selbstverständlich davon ausgehen, dass sie erst nach dem Ende Hitlerdeutschlands eine Chance auf Veröffentlichung und damit Rezeption durch die kirchliche bzw. gesellschaftliche Öffentlichkeit besaßen. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Bonhoeffer die Texte zunächst einmal für sich selber schrieb.

Bedeutung für heute

Als Dietrich Bonhoeffer von den Nationalsozialisten am 9. April 1945, also unmittelbar vor Kriegsende, im bayerischen KZ Flossenbürg hingerichtet wurde, war er gerade 39 Jahre alt. Dennoch ist er heute der im In- und Ausland wohl bekannteste und meist zitierte deutsche Theologe des vergangenen Jahrhunderts. Seine Faszinationskraft gerade unter der jüngeren Generation ist ungebrochen. Ursache dafür ist einerseits Bonhoeffers Glaubwürdigkeit: Er hat sein Leben für seine Überzeugung eingesetzt. Zum anderen ist es der spirituelle Gehalt der im Gefängnis entstandenen Texte, der sie bis heute aktuell sein lässt. Schließlich hat auch Bonhoeffers theologische Suche nach einer neuen Sprache, seine Forderung nach einer „nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe“, angesichts von zunehmender Säkularisierung und Entkirchlichung nichts an Bedeutung eingebüßt.

Dietrich Bonhoeffers Worte besitzen bis heute Autorität, weil er für das, was er sagt, mit seiner ganzen Existenz einstand. Es ist viel, wenn das von einem Menschen gesagt werden kann, erst recht dann, wenn ihm das Nachteile bringt – bis hin zu Verhaftung, Gefängnis, Folter und Tod.

Dabei gewann der Gefängnisort für Bonhoeffer in spiritueller, theologischer und menschlicher Hinsicht wesentliche Bedeutung. Schon bei den Wüstenvätern im 4. Jahrhundert spielte das Bleiben in der Zelle für das geistliche Leben eine herausragende Rolle.12 Die Zelle sollte den Mönch lehren, nicht vor sich selbst davonzulaufen, sondern auch die problematischen Seiten des eigenen Charakters wahrzunehmen und in reifer Weise mit ihnen umzugehen. Es lag angesichts des erzwungenen Zellenaufenthalts im Gefängnis für Bonhoeffer nahe, Parallelen zum freiwilligen Leben in einer Mönchszelle zu ziehen. Tatsächlich führte er in seiner Gefängniszelle einen geistlichen Kampf, der in mancher Hinsicht an den Kampf des Antonius von Ägypten mit den Dämonen erinnert.13 Antonius war der erste christliche Mönch überhaupt. Wie für Antonius stellt sich auch für Bonhoeffer der geistliche Kampf in seiner Gefängniszelle wesentlich als Kampf mit verführerischen Gedanken, speziell mit der Macht der Erinnerungen dar. Bonhoeffer erkennt: „Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude.“14 Dadurch wird er fähig, im Gefängnis ohne Bitterkeit über unerfüllte Wünsche zuversichtlich in der Gegenwart zu leben.

Im Brief an Eberhard Bethge vom 22.12.1943 schreibt Bonhoeffer, dass er in der „Imitatio Christi“ des Thomas von Kempen den Rat gefunden hätte: „Custodi diligenter cellam tuam, et custodiet te“ – „Halte treu Wacht über deiner Zelle, und sie wird Wacht halten über dich.“15 Der Bonhoeffer-Biograf Ferdinand Schlingensiepen sieht darin den Grund, warum Bonhoeffer sich in dieser Zeit morgens und abends zu bekreuzigen begann.16 Vielleicht muss diese Erklärung noch erweitert werden. Bonhoeffer versuchte seit der Entdeckung der Bergpredigt als konkreter Lebensanweisung den Brückenschlag über die Reformation hinweg zu mittelalterlichen und altkirchlichen spirituellen Einsichten und Methoden. Dabei entdeckte er den Grundsatz des geistlichen Lebens, dass nicht nur das Innere das Äußere prägt, sondern auch das Äußere das Innere beeinflusst. Da es trotz des Vorhandenseins einer Kirche im Gefängnis keine Gottesdienste gab, begann Bonhoeffer, in seiner Zelle regelmäßig für sich allein Andachten zu halten. In einem Brief an Eberhard Bethge vom 21.11.1943 schrieb er: „Ich habe die Anweisung Luthers sich ‚mit dem Kreuz zu segnen‘ bei Morgen- und Abendgebet ganz von selbst als eine Hilfe empfunden. Es liegt darin etwas Objektives, nach dem man hier besonderes Verlangen hat.“17