Schriften zur Ökonomie und Soziologie - Joseph Schumpeter - E-Book

Schriften zur Ökonomie und Soziologie E-Book

Joseph Schumpeter

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Joseph Schumpeter zählt unbestritten zu den bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Seine These, der Kapitalismus beruhe auf »schöpferischer Zerstörung«, ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden und mit seinem Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie hat er die Schule der »ökonomischen Theorie der Politik« begründet. Weniger bekannt sind bisher Schumpeters Aufsätze zu Fragen der Ökonomie und Soziologie, unter denen sich einige bahnbrechende Studien befinden, die gerade im Rahmen der neueren Auseinandersetzung um das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Zuge der globalen Finanzkrise von erneuter Relevanz sind. Der Band versammelt eine Auswahl dieser Aufsätze, teilweise zum ersten Mal in deutscher Übersetzung, und wird von Lisa Herzog und Axel Honneth mit einem Nachwort begleitet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 711

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



2Joseph A. Schumpeter zählt unbestritten zu den bedeutendsten Ökonomen des 20.Jahrhunderts. Seine These, der Kapitalismus beruhe auf »schöpferischer Zerstörung«, ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden und mit seinem Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie hat er die Schule der »ökonomischen Theorie der Politik« begründet. Weniger bekannt sind bisher Schumpeters Aufsätze zu Fragen der Ökonomie und Soziologie, unter denen sich einige bahnbrechende Studien befinden, die gerade im Rahmen der neueren Auseinandersetzung um das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Zuge der globalen Finanzkrise von erneuter Relevanz sind. Der Band versammelt eine Auswahl dieser Aufsätze, die von Lisa Herzog und Axel Honneth herausgegeben sowie von einem Nachwort von Heinz D. Kurz begleitet werden.

Joseph A. Schumpeter (1883-1950) war ein österreichischer Wirtschaftswissenschaftler. Zuletzt lehrte er an der Harvard University.

Lisa Herzog ist Postdoktorandin am Institut für Sozialforschung und am Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuletzt erschien: Der Wert des Marktes. Ein ökonomisch-philosophischer Diskurs vom 18.Jahrhundert bis zur Gegenwart (hg. mit Axel Honneth, stw 2065).

Axel Honneth ist Jack C. Weinstein Professor of the Humanities an der Columbia University in New York, Seniorprofessor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Sozialforschung. Zuletzt erschienen: Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit (stw 2048) und Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung (2015).

Heinz D. Kurz ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz.

3Joseph A. Schumpeter

Schriften zur Ökonomie und Soziologie

Herausgegeben von Lisa Herzog und Axel Honneth

Mit einem Nachwort von Heinz D. Kurz

Suhrkamp

4Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der folgende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2112.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

© Lisa Herzog, Axel Honneth, Heinz D. Kurz

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-74172-6

www.suhrkamp.de

5Inhalt

Lisa Herzog und Axel HonnethEinleitung

I Die Dynamik des Kapitalismus

Die Erklärung des Konjunkturzyklus

Der Unternehmer in der Volkswirtschaft von heute

II Kapitalismus und Sozialismus

Die Instabilität des Kapitalismus

Kapitalismus

Sozialistische Möglichkeiten von heute

Unternehmerfunktion und Arbeiterinteresse

III Soziologie

Das »Kommunistische Manifest« in der Soziologie und in der Ökonomik

Zur Soziologie der Imperialismen

IV Intellektuelle Biographien

Max Webers Werk

John Maynard Keynes 1883–1946

Heinz D. KurzNachwort

Textnachweise

Ausgewählte Werke Schumpeters

7Lisa Herzog und Axel HonnethEinleitung

In einer Zeit, in der die Marxsche Kapitalismuskritik mit guten Gründen wieder auf breiteres Interesse stößt, liegt es nahe, auch einige der zentralen Aufsätze Joseph Schumpeters erneut einem größeren Publikum zugänglich zu machen; denn es findet sich wohl kein zweiter Vertreter der akademischen Volkswirtschaftslehre im 20.Jahrhundert, der in derselben Weise wie dieser umfassend gebildete Ökonom sein eigenes Bild des Kapitalismus so beharrlich und energisch der ständigen Auseinandersetzung mit der theoretischen Position von Marx und seinen Nachfolgern abgerungen hätte. Schon im Duktus seiner Abhandlungen und kleineren Studien, in der souveränen Art, in der in ihnen die herkömmlichen Grenzziehungen zwischen ökonomischer Beweisführung, soziologischer Forschung und Kulturbetrachtung beiseitegeschoben werden, spiegelt sich, wie stark Schumpeter bereit war, sich auf die Betrachtungsweise seiner sozialistischen Vorgänger und Zeitgenossen einzulassen. Anders als die meisten seiner Fachkollegen hielt er es für dringend erforderlich, die aus dieser Tradition stammende, ethische und wirtschaftstheoretische Argumente verknüpfende Kritik des Kapitalismus ernst zu nehmen und sich mit ihr auf Augenhöhe auseinanderzusetzen. So ist im Werk von Schumpeter, vor allem in den zahlreichen Aufsätzen, von denen hier einige abgedruckt sind, ein Gesamtporträt des Kapitalismus entstanden, das zwar demjenigen von Marx entschieden entgegengesetzt ist, es aber in Hinblick auf zivilisationsgeschichtliche Umsicht und moralisches Gewicht unschwer mit ihm aufnehmen kann. Wer Wert und Unwert, Wohl und Weh der kapitalistischen Wirtschaftsform heute abwägen möchte, ist daher gut beraten, die Analysen von Schumpeter vergleichend neben diejenigen von Marx zu halten.

Aber es ist nicht nur die Subtilität seiner Kapitalismusstudien, die es ratsam erscheinen lässt, sich das Werk Joseph Schumpeters gegenwärtig wieder vor Augen zu führen. In deutlicher Absetzung von der stilistischen Gepflogenheit, die sich in seiner eigenen Disziplin damals auszubreiten begann und die heute die Vorherrschaft übernommen hat, ist dieser Intellektuelle unter den Wirt8schaftstheoretikern gerade in seinen Aufsätzen entschieden darum bemüht, einem größeren Lesepublikum verständlich zu bleiben. Dazu trägt nicht nur sein glasklarer, auf mathematische Formeln verzichtender, gelegentlich allerdings zu unwirscher Polemik neigender Schreibstil bei; vielmehr ist es auch die stete Bereitschaft, über den Tellerrand des eigenen Faches hinauszuschauen, um Argumente aus den Nachbardisziplinen und der politischen Öffentlichkeit im eigenen Gedankengang zu berücksichtigen. Beides, die jargonfreie, nur wenig technisches Vokabular verwendende Sprache und die Offenheit für fachfremde Gesichtspunkte, verleihen vielen Abhandlungen Schumpeters einen Grad an allgemeiner Verständlichkeit, der vielen Veröffentlichungen aus der akademischen Wirtschaftstheorie heute nur zu wünschen wäre; auch die Leser und Leserinnen, die mit der Fachwissenschaft weitgehend unvertraut sind, werden in die Lage versetzt, den jeweils unterbreiteten Gedankengang nachzuvollziehen und produktiv dem eigenen Wissenshorizont einzuverleiben. Schon in dieser formalen Hinsicht könnten die hier versammelten Aufsätze Schumpeters den Anstoß geben, einige der in der Ökonomie unserer Tage für selbstverständlich gehaltenen Darstellungsformen nachhaltig zu überdenken.

Damit jedoch nicht genug, kommt der offene, verschiedene Perspektiven einbeziehende Argumentationsstil Schumpeters auch einem inhaltlichen Vorzug seiner wirtschaftssoziologischen Abhandlungen entgegen. Was auch immer darin untersucht wird, die Ursachen für wachsende Arbeitslosigkeit, für Konjunkturschwankungen oder für Wandlungen im Unternehmerverhalten, stets wird dabei über die erforderliche Erklärung hinaus auch ein historischer Abriss der Entstehung des entsprechenden Problems, eine Schilderung seiner ethisch-politischen Bewandtnis und eine Skizze der denkbaren Lösungsalternativen geliefert. Über die intellektuellen Voraussetzungen, die erforderlich sind, um solche argumentativen Brücken zwischen ganz verschiedenen Gesichtspunkten zu schlagen, verfügte Schumpeter in bewunderungswürdiger Fülle; in vielem, im Forschungshabitus ebenso wie in der theoretischen Unrast und in der Neigung zu kulturdiagnostischen Zuspitzungen, mit Max Weber vergleichbar, besaß er umfassendste Kenntnisse theorie-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge, war zeitlebens im höchsten Maße an tagespolitischen Ereignissen interessiert und verstand sich auf seine eigene Disziplin wie kaum 9ein Zweiter in seiner Zeit. Dort, wo alle diese Interessen und Begabungen zusammenkommen, also weniger in den fachspezifischen Monographien Schumpeters als in seinen allgemeineren Themen gewidmeten Studien und Aufsätzen, beginnt sich in vorbildhafter Weise abzuzeichnen, wozu eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Wirtschaftstheorie eigentlich berufen wäre: im ständigen, deutlich markierten Verweis sowohl auf die historische Gewordenheit als auch auf die soziale Umstrittenheit unserer gegenwärtigen Wirtschaftsform möglichst klare Untersuchungen darüber zu liefern, durch welche sozioökonomischen Gegebenheiten bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen verursacht sind, welche gesellschaftlichen Folgen damit verknüpft sein könnten und welche Gegenmaßnahmen sich gegebenenfalls ergreifen ließen. Was Schumpeter auf diese Weise gelingt, ist etwas innerhalb seiner Disziplin gegenwärtig nahezu Undenkbares; indem er uns nämlich in seinen Analysen die den jeweiligen wirtschaftlichen Einrichtungen zugrunde liegenden moralischen Erwägungen vor Augen führt, gibt er zu erkennen, dass nichts an den gegebenen Produktionsverhältnissen von sich aus unserem Eingriff entzogen ist, jeder derartige Eingriff aber einer genauesten Analyse von sozialen Vor- und Nachteilen bedarf. Es ist dieser ebenso nüchterne wie mutige Schritt zur theoretischen Desubstantialisierung und Verflüssigung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse, der wohl der stärkste Grund dafür ist, einige der markantesten Aufsätze Joseph Schumpeters heute erneut einem breiteren Publikum in Buchform zugänglich zu machen.

Zusammengenommen zeigen sie das Potenzial eines wirtschaftswissenschaftlichen Ansatzes, der sich gegenüber der Geschichte des eigenen Faches und gegenüber den Nachbardisziplinen nicht abschottet, sondern mit ihnen in einen konstruktiven Dialog tritt. In der heutigen Zeit, in der sich durch die Analyse großer Datenmengen ungeahnte Möglichkeiten der ökonomischen Theoriebildung auftun, ist Schumpeter somit nicht nur als methodisches Vorbild interessant, sondern verdient es auch, mit seinen kreativen, aber stets an den Fakten orientierten Analysen als Gesprächspartner wahrgenommen zu werden. Er steht damit stellvertretend für die Rolle, die die Geschichte des eigenen Faches für einen Gegenstandsbereich spielen kann und muss, in dem es um menschliche – und das heißt: historisch gewachsene und kulturell geprägte – Zusammenhänge geht und der sich deshalb, allen mathematischen 10Methoden zum Trotz, nie völlig aus den gewachsenen Traditionszusammenhängen lösen kann. Die Auseinandersetzung mit Schumpeter kann eine Einladung dazu darstellen, den theoretischen Zustand der an unseren Universitäten etablierten, sich gegenüber allen Nachbardisziplinen abschottenden Wirtschaftswissenschaften nachhaltig zu überdenken.

Intellektuelle Biographie

Wie bei einigen anderen umtriebigen, lebens- und karrierehungrigen Intellektuellen stellt sich auch im Falle von Joseph Schumpeter nur die Alternative, den Lebensweg entweder in angemessener Fülle und Opulenz oder aber in bewusster Beschränkung auf die zum Verständnis des Werks erforderlichen Daten zu schildern. Wer nach dem Ersten sucht, dem seien die in den letzten Jahren in großer Menge erschienenen Biographien empfohlen; in ihnen wird anschaulich dargestellt, wie abrupt und abgründig die Wendungen im persönlichen und akademischen Leben dieses Mannes waren, bevor er schließlich Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University in den USA wurde.[1] Hier wollen wir stattdessen nur die wenigen Informationen über die intellektuelle Biographie Schumpeters wiedergeben, die nötig sind, um sein Werk angemessen im wissenschaftsgeschichtlichen Umfeld zu verorten.

Zeitgleich mit John Maynard Keynes im Jahr 1883 geboren, wächst Joseph Schumpeter nach der zweiten Heirat seiner Mutter – der leibliche Vater, ein Tuchfabrikant, war früh verstorben – in den adligen Kreisen Wiens auf, wo er als ebenso hochbegabter wie ehrgeiziger Abiturient mit 18 Jahren das Studium der Rechtswissenschaft und der Ökonomie aufnimmt; in einem Kreis von später ebenfalls berühmt gewordenen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern (Ludwig von Mises, Otto Bauer, Rudolf Hilferding, Emil Lederer) erfährt er dort seine ökonomische Ausbildung bei Friedrich von Wieser und Eugen von Böhm-Bawerk, die gemeinsam mit Carl Menger als Gründerväter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie in die Wissenschaftsgeschichte eingehen sollten. Schaut man sich an, welche Diskussionen damals in 11diesen wirtschaftstheoretischen Zirkeln geführt wurden, so wird deutlich, woher Schumpeter den Impuls bezog, sich in seiner Arbeit lebenslang mit den politischen, ethischen und ökonomischen Prämissen des Marxismus zu beschäftigen. Denn nicht nur unter seinen Freunden und Kollegen, von denen einige schon nach wenigen Jahren intellektuelle Repräsentanten der sozialistischen Bewegung werden sollten, sondern auch auf Seiten seiner Lehrer gilt die Marxsche Arbeitswerttheorie als die Herausforderung, an der man sich reibt und mit der man sich auseinandersetzen muss – vor allem Böhm-Bawerk ist es, der diese Diskussion entschieden vorantreibt, indem er in wegweisenden Publikationen der Doktrin von Marx die subjektive Wertlehre der Grenznutzenschule entgegensetzt.

Im Anschluss an seine Promotion im Jahr 1906 nimmt Schumpeter nach Zwischenstationen an der Universität Berlin und an der Sorbonne in Paris eine einjährige Forschungstätigkeit an der London School of Economics auf, was ihm die Möglichkeit gibt, sich mit den dortigen, alsbald dann durch Keynes umgepflügten Wirtschaftswissenschaften vertraut zu machen. Durch die Heirat mit der Tochter eines hohen Würdenträgers der anglikanischen Kirche unerwartet gezwungen, sich verstärkt den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, wird Schumpeter danach als Jurist bei einer Anwaltskanzlei in Kairo tätig, wo er sich gleichzeitig als Finanzberater binnen kurzer Zeit ein Vermögen erwirtschaftet, das ihm für die kommenden Jahre ein seinen hohen Erwartungen entsprechendes Leben sichert. Wissenschaftlich indes nicht unproduktiv bleibend, verfasst er während dieses Aufenthalts in Ägypten auch seine erste Monographie, die 1908 unter dem Titel Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie erscheint und mit der er sich im selben Jahr an der Universität Wien habilitiert.

Nach diesem außerordentlich schnellen Start – er ist erst fünfundzwanzig Jahre alt – überstürzen sich die akademischen Erfolge Schumpeters förmlich: 1909 erhält er den Ruf auf eine außerordentliche Professur an der Universität Czernowitz, die er nutzt, um sein bahnbrechendes, 1911 erscheinendes Werk Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung zu verfassen; kurz danach erhält er einen Ruf auf eine ordentliche Professur für Nationalökonomie an die Universität Graz, den er bereitwillig annimmt; damit nicht genug, lädt ihn im selben Zeitraum der von ihm verehrte Max Weber ein, eine längere Abhandlung über die Epochen der Dogmen- und Methodengeschich12te der Wirtschaftswissenschaften zu schreiben, die nicht lange auf sich warten lässt und im Jahr 1914 veröffentlicht wird. Noch davor – Schumpeter hat sich inzwischen von seiner Frau getrennt – tritt er auf Einladung der Columbia University in New York seine erste Reise in die USA an, hält begeistert aufgenommene Vorträge an verschiedensten Universitäten, trifft auf die akademischen Größen seines Faches und erhält zum guten Schluss mit dreißig Jahren die Ehrendoktorwürde von der Universität, die ihn eingeladen hatte. Die Auszeichnung gilt einem jungen ökonomischen Theoretiker, der in seinen bisherigen Schriften damit begonnen hat, die damals verbreitete Vorstellung vom tendenziellen Gleichgewichtszustand kapitalistischer Märkte dadurch zu untergraben, dass er als dessen Gegengewicht eine Tendenz zur wiederkehrenden, Zusatzgewinne versprechenden Zerstörung eingespielter Produktionsmethoden hervorkehrt und damit die Krise zum Normalfall der wirtschaftlichen Entwicklung im Kapitalismus erklärt.

Der Erste Weltkrieg unterbricht die steile Karriere Schumpeters in den Wirtschaftswissenschaften, weil ihn die sich überstürzenden Ereignisse in die politische Arena treiben. In die überhitzten Debatten gegen Kriegsende greift er mit einer 1918 publizierten Schrift über die Krise des Steuerstaates ein, ein entschiedenes Plädoyer für eine Bewältigung der Kriegsschulden durch Steuererhöhungen statt durch Inflationsankurbelung, das ihm genügend Ansehen in den staatlichen Kreisen Österreichs verschafft, um dank der Vermittlung sozialistischer Freundeskreise nach dem Ende des Krieges für ein paar Monate Finanzminister zu werden. Enttäuscht vom mangelnden Erfolg und von der ausbleibenden Anerkennung sowie unzufrieden mit seinen bisherigen wissenschaftlichen Bemühungen, gibt der 38-Jährige im Jahr 1921 seine Professur in Graz auf, um einige Jahre als Bankier in Wien tätig zu werden. Geschickt, wie er in diesem Metier offenbar ist, bringt es Schumpeter wieder schnell zu einem kleinen Vermögen, das allerdings durch den Wiener Börsenkrach im Jahr 1924 vollständig verloren geht. Hoch verschuldet verlässt er sein Heimatland mit dem Ziel, einen Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Bonn anzunehmen. Hier bleibt er einige Jahre, inzwischen wieder verheiratet, aber schwer gezeichnet durch die schnell hintereinander eintretenden Schicksalsschläge des Ablebens seiner Mutter, des Todes seiner zweiten Frau sowie des gemeinsamen Sohnes im Kindbett und stets 13der Depression nahe. Wie aus dem Versuch einer Kompensation dieser schmerzlichen Verluste bei Schumpeter der Hang erwuchs, sich bis an sein Lebensende täglich in geradezu kultischer Weise strengste Arbeitsdisziplin aufzuerlegen, ist anschaulich in den zuvor genannten Biographien nachzulesen.

Inzwischen ein weltweit hochgeschätzter Wirtschaftswissenschaftler, dessen Verdienste vor allem in der Hervorhebung der unternehmerischen Initiative bei der permanent über sich hinaustreibenden Dynamik des Kapitalismus gesehen werden, konzentriert sich Schumpeter nun vollständig auf seine Arbeit. Allerdings hält es ihn nicht lange in Bonn; unstet, wie er ist, sucht er ab 1927 vielmehr verstärkt den wissenschaftlichen Austausch mit den Kollegen in den USA. Vorbereitet durch einige Gastsemester an dortigen Universitäten, erhält er 1932 schließlich einen Ruf an die Harvard University bei Boston, den er bereitwillig annimmt. In der damit beginnenden letzten Phase seines Lebens, in der er erneut heiratet, ist Schumpeter hochkonzentriert und unermüdlich mit der Verfertigung von Büchern, Abhandlungen und kleineren Essays beschäftigt. Zwar lässt er die ehrgeizigen, auf die Mitte der 1920er Jahre zurückgehenden Pläne für eine größere Studie zur Geldtheorie bald fallen, stattdessen versucht der Wissenschaftler nun aber, seine Einsicht in die sich im Kapitalismus ablösenden Phasen von durch unternehmerischen Erfindungsgeist angestoßenen Zerstörungen überkommener Produktionsmethoden und Phasen eines sich anschließend wieder einpendelnden Gleichgewichts unter den Marktkräften für eine wirtschaftsgeschichtliche Erklärung von Konjunkturzyklen fruchtbar zu machen. Als der Erfolg für dieses 1939 unter dem Titel Business Cycles publizierte Buch nicht zuletzt deswegen ausbleibt, weil es im Urteil der Fachöffentlichkeit den Vergleich mit den zeitgleich erscheinenden Studien von Keynes nicht standhalten kann, wendet sich Schumpeter zunächst enttäuscht einem anderen, weit in seine Frühzeit zurückreichenden, aber bislang nur am Rande verfolgten Schwerpunkt seiner theoretischen Interessen zu; orientiert am Vorbild Max Webers und Werner Sombarts, geht er der sozialwissenschaftlichen Frage nach, welchen Einfluss die kapitalistische Wirtschaftsform auf die kulturellen und politischen Gesinnungen der Mitglieder liberaldemokratischer Gesellschaften nimmt. Das aus dieser Forschungsarbeit erwachsene Buch, die 1942 erschienene Studie Capitalism, Socialism 14and Democracy, wird noch zu Lebzeiten Schumpeters ein großer Erfolg und gilt bis heute sowohl innerhalb der Politikwissenschaft wie auch innerhalb der Soziologie als ein Klassiker des je eigenen Faches. Der Autor aber, der seinen Ehrgeiz gewiss stärker in der Wirtschaftstheorie als in den Sozialwissenschaften befriedigt sehen wollte, konzentriert sich ohne größere Unterbrechung sofort auf sein nächstes, im Rückblick dann letztes Projekt, indem er beginnt, Materialien für eine monumental angelegte Geschichte des ökonomischen Denkens zusammenzutragen. Als Schumpeter im Jahr 1950 an einem Hirnschlag stirbt, ist dieses Werk noch unvollendet und wird erst postum 1954 von seiner Witwe unter dem Titel History of Economic Analysis veröffentlicht.

Zum Werk Schumpeters

I Die Dynamik des Kapitalismus

Auch wenn Schumpeters Interesse an sozialen Phänomenen ausgesprochen breit war, nahm die ökonomische Analyse zeit seines Lebens einen zentralen Platz in seinem Werk ein. Wie schon erwähnt, habilitierte er sich 1908 an der Universität Wien in Volkswirtschaftslehre mit der Schrift Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, einer umfassenden Abhandlung in theoretischer Ökonomie, die sich stark an Léon Walras (1834-1810) und dessen mathematischer Methode orientierte.[2] Die Ökonomie wird hier als eigenständige Disziplin vorgestellt, in der wirtschaftliche Gleichgewichte in »statischer Analyse« und mithilfe der »Variationsmethode« untersucht werden. Schumpeter ist sich jedoch bewusst, dass diese Methoden ihre Grenzen hat, und schließt mit einem Ausblick auf die dynamische Analyse, die während der kommenden Jahrzehnte zu einem seiner Schwerpunkte werden sollte. Schon 1911 vollendete er das Werk, in dem er sich diesem Thema erstmals widmete: die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. 15Dort wird das Prinzip wirtschaftlicher Innovation als der neuen Kombination von Produktionsfaktoren ausführlich vorgestellt, wobei Schumpeter fünf Fälle unterscheidet: die Produktion neuer oder besserer Güter, neue Produktionsmethoden, neue Märkte, neue Lieferquellen und die Neuorganisation von Märkten. Entscheidend sei jedoch, dass derartige neue Ansätze durchgesetzt würden, wofür die Figur des Unternehmers entscheidend sei. Eine wichtige Voraussetzung für dessen Aktivität sei die Möglichkeit, durch Kredit Zugriff auf Produktionsmittel zu erhalten. Aus diesen Elementen entwickelt Schumpeter auch seine Theorie des Konjunkturzyklus als endogenem Phänomen des Kapitalismus. Die Entwicklung von Theorien zur Erklärung der Konjunkturzyklen, die er gemeinsam mit zahlreichen anderen Ökonomen seiner Zeit betrieb, mündete 1939 in das zweibändige englischsprachige Werk Business Cycles. A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process. Hier erweitert Schumpeter seinen theoretischen Apparat um die These, dass es mehrere sich überlagernde Arten wirtschaftlicher Zyklen gebe; die Weltwirtschaftskrise von 1929 sei ein Aufeinandertreffen von Abschwüngen all dieser Zyklen gewesen. Im zweiten Teil des Buches ergänzt Schumpeter sein Theoriegebäude um statistische Analysen für die USA, England und Deutschland. Zu seiner großen Enttäuschung fand das Buch nicht den Anklang, den Schumpeter erhofft hatte, unter anderem wegen der einsetzenden Bildung einer Schule um John Maynard Keynes.[3]

Die hier vorgestellten Aufsätze stellen wichtige Ausschnitte aus Schumpeters Nachdenken über die Ökonomie im Allgemeinen und die Dynamik des Kapitalismus im Besonderen dar. Sie zeigen Schumpeter im Dialog mit anderen Ökonomen seiner Zeit, aber auch mit der öffentlichen Debatte und den dort vorherrschenden Auffassungen und Beurteilungen, die aus seiner Sicht oft von mangelnder wissenschaftlicher Fundierung geprägt waren. Schumpeter war ein Ökonom, der sich einmischte und neben wissenschaftlichen Schriften im engeren Sinne auch zahlreiche Aufsätze verfasste, die auf aktuelle Probleme und politische Diskussionen reagierten.[4]16Obwohl er immer wieder darauf verwies, dass wissenschaftliche Analyse und politische Stellungnahme klar voneinander getrennt bleiben müssten, betrachtete er es als Pflicht des Wissenschaftlers, seine Kenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen, um zu einer besser informierten Entscheidungsfindung beizutragen.

Die Erklärung des Konjunkturzyklus

Dieser 1927 erschienene Aufsatz fasst Schumpeters Theorie des Konjunkturzyklus konzise zusammen, wobei Schumpeter seine Argumente im Dialog mit anderen Theoretikern, vor allem Arthur Pigou (1877-1959), darstellt. Schumpeter unterscheidet Statik von Dynamik, nicht nur als unterschiedliche Theorieansätze, sondern auch als unterschiedliche Facetten der beobachtbaren ökonomischen Phänomene. Die dynamischen Elemente, die sich in der Figur des Unternehmers verkörpern, lieferten die Erklärung für die zyklische Bewegung der Wirtschaft. Aufschwünge entstünden durch »Innovationen im industriellen und kommerziellen Organismus«, d.h. nicht durch graduelle Verschiebungen, sondern durch die Einführung qualitativ anderer Produktions- oder Organisationsmethoden. Diese fände nicht kontinuierlich in der Zeit statt, sondern in Wellen, da eine erste Veränderung weitere Veränderungen nach sich ziehe, sobald ein »Bann gebrochen« sei. Dies sei der wesentliche Mechanismus von Konjunkturaufschwüngen, gegenüber dem andere Aspekte in den Hintergrund träten. Eine zentrale Rolle spiele hierbei der Kreditmechanismus: Durch die Kreditschöpfung würde eine Geldmenge geschaffen, die größer sei als die gegenwärtig vorhandene Gütermenge, was neue Unternehmer mit der Kaufkraft ausstatte, die sie benötigten, um Produktionsfaktoren in neue Bahnen zu lenken. Der folgende Aufschwung habe inflationäre Tendenzen, die sich jedoch teilweise selbst korrigierten, da die Kredite durch die entstandenen Gewinne der neuen Unternehmungen zurückgezahlt würden. Dieser Mechanismus im Finanzbereich ist, so Schumpeters Aussage, zentrale Voraussetzung für die Innovationsschübe in der Realwirtschaft, die das Wesensmerkmal des Kapitalismus seien.

17Der Unternehmer in der Volkswirtschaft von heute

In diesem 1929 erschienenen Aufsatz steht die Figur im Mittelpunkt, mit der Schumpeters Name heute vielleicht am stärksten verbunden ist: der Unternehmer. Schumpeter stellt eingangs fest, dass in der gegenwärtigen Zeit einerseits der in der Menschheitsgeschichte »unerhörte« Erfolg des Kapitalismus in Bezug auf die Steigerung der materiellen Lebensumstände, andererseits aber massiver Widerstand gegen das privatwirtschaftliche System zu beobachten seien. Sein Anliegen ist es deshalb, »die soziale Funktion des Unternehmers und des Unternehmergewinns« wissenschaftlich darzulegen; dies sei unter anderem dafür relevant, Vorschläge zur stärkeren Besteuerung von Unternehmergewinnen beurteilen zu können. Die zentrale begriffliche Unterscheidung ist hier, wie auch in zahlreichen anderen Schriften, diejenige zwischen der »Konkurrenzwirtschaft« des 19.Jahrhunderts und der »vertrusteten Wirtschaft«, wie sie um 1930 vorliege. Das klassische Bild des Unternehmers, das Schumpeter anhand von dessen typischen Aufgaben analysiert, gehöre zu Ersterer. Zentral sei dabei weder die Bereitstellung von Kapital, die auch von dritter Seite erfolgen könne, noch die Verwaltungsarbeit, die auch von Angestellten geleistet werden könne. Die Kernfunktion des Unternehmertums sei die »Durchsetzung des Neuen in der Volkswirtschaft«, die den eigentlichen Unternehmergewinn erzeuge. Hierfür sei die Persönlichkeit des Unternehmers wesentlich; oft stiegen solche Unternehmer »aus dem Kreis der Arbeiter oder Handwerker« empor,[5] angetrieben von dem Wunsch, ihrer Familie eine gewisse soziale Position zu sichern. Schumpeter warnt davor, diesen eigentlichen Unternehmergewinn zu stark zu besteuern, da dies letztlich den Interessen der Arbeiter zuwiderlaufe, weil Innovationen gehemmt würden.

In der vertrusteten Wirtschaft dagegen hätten sich industrielle Einheiten gebildet, die zu groß seien, um freie Konkurrenz zuzulassen. In derartigen Organisationen werde die Entscheidungsfindung rationalisiert und durch arbeitsteilig erstellte statistische Analysen untermauert, so dass die Bedeutung der Unternehmerpersönlich18keit abnehme. Damit komme ein anderer Menschentyp zum Zuge, der durch die jeweiligen internen Auslesemechanismen an die Spitze der großen Unternehmen gelange; teilweise ersetzten Kämpfe innerhalb von Unternehmen die Konkurrenz im Markt. Trotzdem weist Schumpeter daraufhin, dass noch weite Teile der Wirtschaft, besonders bei kleinen und mittleren Betrieben, dem »Lebensgesetz der Konkurrenzwirtschaft« gehorchten. Es sei außerdem falsch, zu glauben, dass die Möglichkeiten für Staatsbetriebe sich durch die fortschreitende Rationalisierung grundlegend geändert hätten; dies sei keine Frage der Unternehmensstrukturen, vielmehr gehe es darum, »ob unsere Industriellen oder unsere Politiker die oberste Leitung unserer Wirtschaft haben sollen«. Generell warnt er davor, zu stark auf politische Regulierung der Wirtschaft zu setzen, da hierbei oft der Denkfehler begangen würde, die reale, unvollkommene Privatwirtschaft mit einem idealisierten Bild von staatlicher Wirtschaftslenkung zu vergleichen. Manch schmerzhaften Veränderungsprozess in der Wirtschaft solle man am besten ohne Eingriffe zu Ende gehen lassen. Eine vollständige Ablehnung von Regulierung leitet Schumpeter daraus nicht ab, jedoch solle wie bei medizinischen Operationen beachtet werden, dass jede Operation auch ein Eingriff sei und dass das Organ, an dem sie vorgenommen würde, »ein vorläufig lebenswichtiges« sei.

II Kapitalismus und Sozialismus

Zeit seines Lebens nimmt Schumpeter, wie wir bereits gesehen haben, starken Anteil an der damals heftig geführten Debatte um die Alternative von Kapitalismus und Sozialismus. Sein Interesse an dieser Auseinandersetzung geht weit über das Maß hinaus, das von einem Sozial- oder Wirtschaftswissenschaftler seiner Generation zu erwarten gewesen wäre; zwar wachsen die meisten seiner Fachkollegen mit dem Gefühl heran, dass sich an der gegebenen Wirtschaftsform durch die sozialistische Bewegung schon bald etwas grundsätzlich ändern könnte, aber kaum einer von ihnen begreift allein deswegen den Sozialismus auch als eine theoretische Herausforderung. Ganz anders aber Schumpeter: Er nimmt von Beginn an die Kapitalismuskritik der marxistischen Tradition sehr ernst, widmet ihr immer wieder engagierte Betrachtungen und versucht den darin entwickelten Argumenten so gut wie eben mög19lich Paroli zu bieten. Ein Grund für dieses authentische Interesse Schumpeters ist sicherlich die von seinen Lehrern übernommene Überzeugung, dass jeder Versuch einer Bestimmung der ökonomischen Grundzüge des Kapitalismus durch eine Berücksichtigung der gegen ihn vorgebrachten Bedenken und Einwände sachlich nur profitieren könne; ein zweiter Grund aber liegt in der Erfahrung seiner frühen Studienzeit, dass es fast immer die besten Köpfe unter seinen Kommilitonen in den Wirtschaftswissenschaften waren, die sich der Sache des Sozialismus mit Intelligenz und Leidenschaft verschrieben. So entsteht bei Schumpeter schon am Anfang seiner Karriere das Gefühl, in dieser die ganze Epoche prägenden Auseinandersetzung nicht einfach nur Zuschauer bleiben zu können. Alles, was er in Zukunft zur Klärung der Kontroverse beitragen wird, ist mithin von der Absicht geprägt, seine Vorstellungen über die Eigenart des Kapitalismus in der Weise darzulegen, dass auch seine marxistischen Freunde und Kollegen auf die andere Seite gezogen werden könnten.

Es mag insofern nicht zu weit gegriffen sein, schon Schumpeters erste Versuche einer Erweiterung der herrschenden Volkswirtschaftslehre um eine »dynamische«, die innovativen Tendenzen betonende Dimension aus dem Bestreben heraus zu verstehen, die Gegner des Kapitalismus von dessen produktiv-schöpferischen Leistungen zu überzeugen; auf jeden Fall wird seit dem frühen Werk zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung all seinen Auseinandersetzungen mit der sozialistischen Herausforderung der Zug anhaften, die der kapitalistischen Wirtschaftsform innewohnende Tendenz hervorzuheben, zugleich mit der regelmäßigen Erneuerung von Produktionsmethoden oder Absatzwegen auch Verbesserungen in den Lebensbedingungen der Gesamtbevölkerung zu bewirken. Allerdings ist Schumpeter in diesen Beiträgen stets auch ehrlich genug, die Bindung solcher sozial segensreichen Innovationsschübe an die Voraussetzung von auf Wettbewerb beruhenden Märkten deutlich zu machen; und da er die wirtschaftliche Situation seiner Zeit durch eine verstärkte Monopolbildung und »Vertrustung« charakterisiert sieht, schieben sich in seine positiven Bilanzierungen doch auch immer wieder Zweifel, ob die produktiv-dynamischen Vorzüge der kapitalistischen Wirtschaftsform tatsächlich auf Dauer sichergestellt werden können. Es ist diese eigentümliche Ambivalenz zwischen einer entschiedenen Befürwortung 20des Kapitalismus einerseits und leisen Zweifeln an seiner zukünftigen Überlebensfähigkeit andererseits, die den hier versammelten Aufsätzen Schumpeters die ganz eigene, bestechend offenherzige Note verleiht. Im Schrifttum der Wirtschaftswissenschaften wird man lange suchen müssen, um auf Texte zu stoßen, die es bis zum Ende offen lassen, ob die Frage nach der Fortdauer und Legitimität des Kapitalismus angesichts der gegebenen Verhältnisse nicht doch vollkommen neu aufgerollt werden müsste. Auch die letzte große Schrift von Schumpeter, in der er sich mit der Herausforderung des Sozialismus beschäftigt, die 1942 erschienene Studie Capitalism, Socialism and Democracy, wird diese Eigenschaft einer sich in ihren positiven, rechtfertigenden Vorsätzen ständig selbst unterlaufenden Argumentation beibehalten; liest man dieses an paradoxalen Befunden überreiche Buch heute erneut, drängt sich der Eindruck auf, der Autor wolle uns davon überzeugen, der Kapitalismus müsse über kurz oder lang an der Zerstörung seiner eigenen Erfolgsbedingungen scheitern. Keiner der Aufsätze, die im Folgenden zur Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu lesen sind, ist daher frei vom Weberschen Gestus der heroischen Einsicht in ein sich unaufhaltsam näherndes Verhängnis.

Die Instabilität des Kapitalismus

Schon an diesem Aufsatz, der ursprünglich 1928 auf Englisch im Economic Journal erschienen ist, lässt sich unschwer erkennen, wie Schumpeter einerseits eine wesentliche Einsicht von Marx in sein eigenes Bild des Kapitalismus hineinzuarbeiten versucht, um dieses dann aber in rechtfertigender Absicht gegen dessen kritische Absichten zu wenden.[6] Im Unterschied zu den anderen Beiträgen, die hier zur Auseinandersetzung Schumpeters mit der sozialistischen Herausforderung abgedruckt sind, werden in diesem Artikel aber primär keine politischen Zielsetzungen verfolgt, sondern zunächst nur eine sozioökonomische Analyse unterbreitet; daher wird auch 21gleich zu Beginn betont, dass die im Folgenden zu entwickelnden Überlegungen allenfalls einen »entfernten Bezug zur Politik« besitzen. Den Ausgangspunkt stellt die Frage dar, ob die herrschende Wirtschaftstheorie recht damit tue, in ihren Modellen im Kapitalismus stets eine Tendenz zum statischen Gleichgewicht unter Wettbewerbsbedingungen zu unterstellen. Die Antwort darauf ist nach Überzeugung Schumpeters so lange positiv, wie von einer solchen »Stabilität« des ökonomischen Systems nur bei bewusster Ausklammerung von externen, etwa aus politischen Ereignissen stammenden Störungen und zugleich bei Absehung von »Innovationen der produktiven und kommerziellen Methoden« die Rede ist. Dann nämlich könne mit guten Gründen angenommen werden, dass sich über einen gewissen Zeitraum hinweg der Angebotspreis immer wieder an die wirtschaftliche Nachfrage anpasse und Ungleichgewichte ausgeglichen würden. Allerdings legt Schumpeter im Fortgang seiner Analyse nun dar, warum ihm diese Abstraktionen in einer gravierenden Hinsicht problematisch erscheinen; sein Argwohn richtet sich dabei nicht auf die politischen Vorkommnisse, die stets störend von außen auf das ökonomische System einwirken könnten und daher aus seiner Sicht methodisch durchaus ausgeklammert bleiben dürften. Was vielmehr seinen Zweifel weckt, ist die stillschweigende Vorentscheidung solcher Modellanalysen, auch die unternehmerischen »Innovationen« bloß als externe Größen zu betrachten und insofern bei der Analyse ebenfalls unberücksichtigt zu lassen. Gegen diesen zweiten Abstraktionsschritt der herrschenden Wirtschaftstheorie bringt Schumpeter nun seinen schon aus älteren Veröffentlichungen bekannten Gedanken ins Spiel, dass Neuerungen in den Produktionsmethoden und Absatzwegen dem System des Kapitalismus selbst angehören und sogar eine seine ureigensten Triebkräfte bilden; wenn dem aber so ist, so schließt er, dürfen derartige Innovationen nicht aus den Modellberechnungen ausgeklammert bleiben, sondern müssen als dynamisches Element in sie einbezogen werden.

Die unmittelbare Konsequenz aus diesem Gedankengang ist für den Autor natürlich, dass innerhalb der Wirtschaftstheorie die bislang nur statisch verfahrende Analyse von Gleichgewichtszuständen stets durch eine dynamische Analyse von innovationsbedingten Ungleichgewichtsperioden ergänzt werden muss. Aber Schumpeter wäre nicht der kulturdiagnostische Theoretiker, der er 22ebenfalls ist, würde er es hier nur bei dieser internen, schon aus älteren seiner Arbeiten vertrauten Korrektur der zeitgenössischen Wirtschaftstheorie bewenden lassen. Ganz am Ende seines Aufsatzes stellt er vielmehr die Frage, wie es um diese produktive, den allgemeinen Wohlstand nämlich kontinuierlich erhöhende »Instabilität« und Dynamik des Kapitalismus angesichts der Tatsache bestellt sei, dass der innovationsfördernde, ja -antreibende Marktwettbewerb zunehmend durch durchrationalisierte Monopole und Trusts zerstört werde; und hier, förmlich im letzten Satz, schlägt er dann doch noch einmal die Brücke zu seinem politischen Lebensthema, wenn er sagt, dass diese jüngsten Entwicklungen eine soziale Ordnung herbeiführen könnten, »bei der es nur mehr eine Frage des Geschmacks oder der Terminologie ist, sie als Sozialismus zu bezeichnen oder nicht«.

Kapitalismus

Dieser leidenschaftlich geschriebene Lexikonartikel, veröffentlicht 1946,[7] beginnt im Grunde genommen dort, wo der zuvor kurz referierte Aufsatz geendet hatte, und setzt dementsprechend die Kritik an den Einseitigkeiten der neoklassischen Gleichgewichtsmodelle voraus. Schon im ersten Satz nimmt der Autor den Faden wieder auf, wenn er eine Definition der Eigenart der kapitalistischen Wirtschaftsform zu geben versucht: Diese sei, so heißt es da, durch das Privateigentum an »nichtpersönlichen Produktionsmitteln«, durch Produktion für »privaten Gewinn« und schließlich, wie überraschend hinzugefügt wird, durch die Institution des Bankkredits gekennzeichnet. Mit der Hervorhebung der letzten Komponente, also des ganzen Kreditwesens, möchte Schumpeter noch einmal zum Ausdruck bringen, wie sehr er davon überzeugt ist, dass die institutionelle Ermöglichung unternehmerischer Tätigkeit und Erfindungsgabe einen konstitutiven Wesenszug des Kapitalismus bildet; denn ohne die ihrerseits gewinnorientierte Vorstreckung von Finanzquellen durch die Banken wäre es dem individuellen Kapitalisten gar nicht möglich, seine kühnen Pläne zur Erneuerung von Produkten oder Absatzwegen zu realisieren. Marktvermittelter Wettbewerb, dadurch angefeuerter Innovationsgeist und private 23Kreditbereitstellung, das sind somit die drei Säulen, auf denen der Kapitalismus ruht und mit deren Hilfe er das ihm innewohnende Potenzial ständiger Selbststeigerungen zum Wohle aller Betroffenen überhaupt nur zu entfalten vermag.

Was der Artikel dann im Folgenden unternimmt, stellt den ehrgeizigen Versuch dar, anhand einer kurzen Geschichte des derart definierten Kapitalismus an die Probleme heranzuführen, mit denen dieser kurz vor Mitte des 20.Jahrhunderts aus der Perspektive der politischen Öffentlichkeit im Wesentlichen konfrontiert ist; und natürlich ist es der Sozialismus, den Schumpeter dabei als Quelle des sozialen Unbehagens vor allem im Blick hat. Schumpeter beginnt seinen Rückblick insofern mit einem Paukenschlag, als er Webers Herleitung kapitalistischer Gesinnungen aus dem religiösen Geist des Protestantismus barsch zurückweist: Bereits das ausgehende Mittelalter habe genügend Gelegenheiten für »rudimentäres unternehmerisches Risiko« geboten, so dass es vollkommen abwegig sei, nach zusätzlichen, gar religiösen Antriebskräften für die Entstehung der Verhaltensdispositionen des rational kalkulierenden Geschäftsmanns zu suchen. Allein die soziale Ausweitung jener frühen, auf Gewinnstreben hin ausgerichteten Praktiken hätte vollends genügt, um durch wiederholte Erfahrungen von Erfolg und Misserfolg die erforderlichen Tugenden des kapitalistischen Unternehmertums zu erlernen. Nach dieser harschen Kritik an Weber, dem ansonsten doch hochverehrten Soziologen, streift Schumpeter kurz die Epoche des Merkantilismus, um daran etwas deutlich zu machen, was ihm schon jetzt im Vorgriff auf das später diskutierte Unbehagen am Kapitalismus erwähnenswert erscheint: Wer die Phase der merkantilistischen Wirtschaftspolitik unvoreingenommen betrachte, müsse in deren aggressiven, auf nationale Machtgewinnung, protektionistische Maßnahmen und koloniale Eroberungen abzielenden Tendenzen eher die Interessen der Feudalaristokratie als die der aufsteigenden Unternehmerschicht repräsentiert sehen. Diese ihm wichtige These, auf die er in dem hier ebenfalls enthaltenen Aufsatz »Zur Soziologie der Imperialismen« noch einmal ausführlicher zu sprechen kommen wird, erklärt auch, warum Schumpeter die sich anschließende Phase »von den Napoleonischen Kriegen bis zum Ende des 19.Jahrhunderts« als Epoche eines »intakten Kapitalismus« bezeichnet. Nur während des damit umrissenen Zeitraums, so ist der erstaunliche, deutlich 24normativ gefärbte Ausdruck zu verstehen, habe die kapitalistische Wirtschaftsverfassung diejenige Gestalt angenommen, die ihren konstitutiven Grundzügen im vollen Sinn entspreche: Herrschaft des kapitalistischen Unternehmungsgeistes sowohl im ökonomischen wie weitgehend auch im politischen Prozess, was sich in den liberalen Grundüberzeugungen des Respekts vor der persönlichen Freiheit, der Beschränkung der Staatstätigkeit auf das erforderliche Minimum und schließlich der Sorge um eine ausreichende Grundversorgung der arbeitenden Bevölkerung gespiegelt habe. Unschwer zu sehen ist an diesen Bestimmungen, dass hier der Kapitalismus des 19.Jahrhunderts vor allem deswegen als »intakt« bestimmt wird, weil nahezu alle seine gesellschaftlichen und politischen Regulierungen dem Zweck einer möglichst unbeschränkten Ausübung unternehmerischer Tugenden gedient haben sollen.

Aus dem damit unterlegten Kriterium ergibt sich dann auch, warum Schumpeter genötigt ist, die sich nach dem 19.Jahrhundert vollziehenden Wandlungen in der Gestalt des Kapitalismus der Tendenz nach wieder als »Entstellungen« von dessen eigentlichem Wesen zu beschreiben. Sobald nämlich der Prozess einsetze, den er als »Vertrustung« des kapitalistischen Marktes bezeichnet, muss in seinen Augen die wesentliche Triebkraft dieser Wirtschaftsform, der zugleich rationale und kreative Unternehmer, wieder an Einflussmacht verlieren, weil in den Großkonzernen an seine Stelle der herz- und phantasielose Manager tritt. Allerdings liefert Schumpeter nicht direkt eine Erklärung für diese seit dem Jahrhundertbeginn einsetzenden Verfallstendenzen, sondern schildert zunächst nur negativ, dass die aus Sicht des 19.Jahrhunderts erwartbaren Fortsetzungen der positiven Entwicklungen allesamt nicht stattgefunden hätten: Statt wachsenden Freihandels konstatiert er erneut zunehmenden Protektionismus, statt abnehmender Steuerbelastung ansteigende Staatsausgaben und Steuern und statt weiter nachlassender Staatsinterventionen schließlich eine »zunehmende Regulierung der ökonomischen Aktivität«. Worauf diese Rückbildungen zusammengenommen hinauslaufen, hat Schumpeter nicht im vorliegenden Text, aber an anderen Stellen seines Werkes als »organisierten Kapitalismus« bezeichnet. Es ist diese zeitgenössische Gestalt der kapitalistischen Gesellschaftsform, mit Blick auf die er nun die Frage aufwirft, welche im weiten Sinn normativen Argumente sich heute für oder gegen sie berechtigterweise vor25bringen lassen. Seine Antwort darauf ist komplex und keinesfalls in wenigen Sätzen zusammenzufassen; wollte man das aber tun, müsste man wohl sagen, dass er große Anstrengungen unternimmt, die »intakte«, auf unbegrenzten Wettbewerb gegründete Gestalt des Kapitalismus durch Nachweis ihres »liberalen« Geistes und ihrer dynamischen Produktivität gegenüber den als nicht vollkommen unbegründet empfundenen Kritiken von sozialistischer Seite in Schutz zu nehmen, ja, entschieden zu verteidigen, während von ihren neueren, durch Monopolbildung initiierten Entwicklungen einer »Bürokratisierung des Wirtschaftslebens« behauptet wird, sie seien ein Vorschein dessen, was in einem sozialistischen Wirtschaftssystem zu erwarten wäre. Derselbe Max Weber, dessen Protestantismus-Studie Schumpeter am Anfang seines Aufsatzes so entschieden kritisiert hatte, liefert ihm daher an dessen Ende überraschenderweise das Stichwort, mit dem er nicht nur alles Problematische am Kapitalismus seiner Zeit, sondern zugleich auch die Gefahren einer Entwicklung hin zum Sozialismus festhalten zu können glaubt.

Sozialistische Möglichkeiten von heute

Will man sich ein deutliches Bild von der intellektuellen Raffinesse Schumpeters machen, so muss man diesen Aufsatz lesen; hier wird die Strategie, die Pläne einer sozialistischen Wirtschaftsverfassung dadurch zu desavouieren, dass sie als endgültige Umsetzungen all der Entwicklungen hingestellt werden, die in Form von Bürokratisierung und technischer Rationalisierung den Kapitalismus in jüngerer Zeit »entstellt« oder pervertiert haben, mit größter Könnerschaft betrieben. Nachdem zunächst geklärt wurde, dass sozialistische Volkswirtschaft nur soziale Verfügung über alle Produktionsmittel bei entsprechend zentralisierter Planung von Produktion und Verteilung bedeuten könne, beginnt der Mitte der 1920er Jahre geschriebene Aufsatz wie häufig bei Schumpeter mit einem Lob für die wissenschaftliche Leistung von Karl Marx: Dieser habe, anders als seine halbherzigen Nachfolger, mit geziemender Nüchternheit und theoretischem Scharfsinn vorausgesehen, dass der Konkurrenzkampf auf dem kapitalistischen Markt über kurz oder lang zur Bildung von Monopolbetrieben und schließlich einiger »Riesenunternehmungen« führen müsse, die dann umstandslos als 26Hebel einer endgültigen Transformation der Privat- in eine zentralistische Planwirtschaft genutzt werden könnten. Weit davon entfernt, an diesen Prognosen nun seinerseits direkt Kritik zu üben, geht Schumpeter im Folgenden vielmehr daran, aus ihnen bei Vermeidung von Werturteilen Schlüsse zu ziehen, die der von Marx gegebenen Deutung entgegenlaufen. Bei grober Orientierung an der Reihenfolge, in der diese Uminterpretationen bei Schumpeter vorgenommen werden, ergibt sich dann etwa folgendes Bild seiner Einschätzung der Aussichten einer sozialistischen Wirtschaftsform: Entgegen dem »Laienvorurteil« und den Hoffnungen von Marx müsse davon ausgegangen werden, dass eine zentralistische Planwirtschaft einen starken Rückgang der Produktivität und damit eine massive Zunahme der Ausübung »eherner Disziplin« gegenüber den »Arbeitermassen« mit sich bringen müsse. Ferner läge es auf der Hand, dass eine derartige Entwicklung die bereits im »organisierten Kapitalismus« einsetzenden Bürokratisierungs- und Versachlichungstendenzen nicht etwa unterbrechen, sondern im Gegenteil noch steigern würde – die Lockerung von persönlichen Sozialbeziehungen in Familie und Paarbeziehung, ein Vorgang, der mit der Etablierung kapitalistischer Wirtschaftsformen begonnen habe, würde unter sozialistischen Bedingungen noch weiter beschleunigt, weil jedes Gesellschaftsmitglied zu nichts als einer Planungsgröße würde, so dass der Ansporn zu »Liebe und Altruismus« alsbald gänzlich entfiele. Und schließlich, so der für Schumpeter wichtigste Punkt, stünde es außer Frage, dass die Rückbildung der parlamentarischen Demokratie zur bloßen Fassade für einen autoritären Korporatismus im sozialistischen Rätesystem ihren endgültigen Höhepunkt erreichen würde, weil hier Zweckbündnisse unter führenden Gruppierungen gar nicht mehr erforderlich wären, sondern die proletarische Majorität direkt die politische Herrschaftsausübung an sich ziehen würde.

Das Deutungsschema, das in all diesen Umwertungen zum Tragen kommt, ist immer das gleiche und gibt erneut gut zu erkennen, für welches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Schumpeter die stärksten Sympathien hegt. Den normativen Hintergrund bildet stets, wenn auch unausgesprochen, jenes Bild eines »intakten Kapitalismus«, das schon den vorangehenden Aufsatz so entscheidend bestimmt hat: Im 19.Jahrhundert sei nach Überwindung letzter Reste feudaler Herrschaft (in Westeuropa) ein Wettbewerbskapi27talismus zum Durchbruch gekommen, der unter dem fruchtbaren Zwang der wirtschaftlichen Konkurrenz einen Geist des nach vorne gewandten, kreativen und liberalen Rationalismus befördert habe, von dem alle Schichten der Bevölkerung hätten profitieren können. Unterhöhlt worden seien diese relativ intakten Verhältnisse dann in dem Augenblick, so ist Schumpeter überzeugt, als aufgrund einer letztlich kontingenten Rückkehr nationalistischer Gesinnungen und damit kriegerischer Auseinandersetzungen die staatlichen Eingriffe in den wirtschaftlichen Wettbewerb zunahmen; was damit ungewollt angestoßen worden sei, sei ein Prozess der politischen Durchorganisation des Kapitalismus gewesen, in dessen Folge mit dem Aufstieg von Monopolbetrieben auch ein ganz anderer Geist im Sozialleben zu herrschen begonnen hätte: An die Stelle persönlicher Führung sei nun allmählich eine bürokratische Verwaltungslogik getreten, an die Stelle von Erfindungsgabe die Dominanz technischer Kontrolle. Der, je nach Überzeugung, geschickte oder heimtückische Schachzug von Schumpeter besteht nun darin, die Herausbildung des Sozialismus nicht etwa als Gegenbewegung gegen diese mit dem organisierten Kapitalismus entstandenen Prozesse wachsender Bürokratisierung und Technisierung zu beschreiben, sondern als deren Steigerung und Radikalisierung: Nicht etwas historisch Neues zeichnet sich für ihn in den wirtschaftspolitischen Transformationen ab, die er hinter den sozialistischen Bestrebungen vermutet, vielmehr kommen darin seiner Meinung nach all die negativen Tendenzen erst vollständig zur Entfaltung, die im Kapitalismus seiner Zeit bereits »embryonal« angelegt sein sollen. Wie immer man zu dieser Umwertung steht, was immer gegen sie berechtigterweise einzuwenden wäre, ein treffsicheres, an Nietzsche und Weber gemahnendes Gespür für paradoxale Zuspitzungen ist ihr gewiss nicht abzusprechen.

Unternehmerfunktion und Arbeiterinteresse

Ein zentraler Strang des Deutungsschemas, das wir soeben kennengelernt haben, wird in diesem 1927 veröffentlichten Aufsatz gesondert verfolgt und um wesentliche Aspekte erweitert: Es geht Schumpeter um den Nachweis, dass die Funktion des privatkapitalistischen Unternehmers, wird sie systemgerecht ausgeführt, dem Interesse der Arbeiterschaft nicht etwa entgegenstehe, sondern 28vielmehr entgegenkomme. Allerdings fehlen dem Aufsatz, da er vor der Einsicht in die wachsenden Tendenzen des »organisierten Kapitalismus« zur Unterhöhlung seiner eigenen Bestandsvoraussetzungen geschrieben wurde, noch vollkommen jene pessimistischen Züge, die der späteren Kritik des Sozialismus ihre spezifische Perfidie verleihen sollten. Hier ist mithin noch nicht davon die Rede, dass im sozialistischen Projekt die in der Gegenwart schon deutlich sichtbaren Züge der Bürokratisierung und Technisierung erst vollständig zur Blüte gelangen würden. Stattdessen konzentriert sich Schumpeter in der vorliegenden Argumentation ausschließlich auf den von sozialistischer Seite thematisierten Interessengegensatz von Kapital und Arbeit, um durch sowohl quantitative Berechnungen als auch funktionalistische Betrachtungen nachzuweisen, dass er im Grunde genommen gar nicht existiere.

Schumpeter beginnt seine Auseinandersetzung mit dem ihn offensichtlich stark beschäftigenden Thema, indem er der Reihe nach einige statistische Berechnungen aufführt, die jeweils deutlich machen sollen, dass die Arbeiterklasse von den während des 19.Jahrhunderts unter kapitalistischen Bedingungen erzielten Produktivitätszuwächsen anteilig ebenso stark profitiert habe wie die Klasse der Eigentümer an den Produktivkräften. Natürlich können die dabei zugrunde gelegten Zahlenangaben hier nicht überprüft werden, aber die wesentlichsten Punkte der schneidig vorgetragenen Kalkulationen sollen doch zumindest genannt werden: Könne von einer absoluten Verelendung der Arbeitermassen im vorausgegangenen Jahrhundert schon deswegen nicht gesprochen werden, so Schumpeter, weil das Pro-Kopf-Einkommen zum Beispiel der englischen Bevölkerung in diesem Zeitraum nach verlässlichen Statistiken um das Doppelte gestiegen sei, so auch nicht von einer »relativen« Verelendung, seien doch »in allen Ländern in unserer Epoche« die Proportionen der Einkommensverteilung über Jahrzehnte hinweg so gut wie konstant geblieben – ein Seitenblick auf die von Thomas Piketty fürs 20.Jahrhundert angestellten Berechnungen kann allerdings deutlich machen, dass diese Angabe auf den Zeitraum nach dem Tode von Schumpeter gewiss nicht mehr ohne Weiteres zutrifft.[8] Ferner, so fährt der Autor fort, könne auch nicht die Behauptung aufrechterhalten werden, die »oberen Schichten« 29erhielten innerhalb der gegebenen Einkommensverteilung mehr an finanziellen Einkünften, als ihnen zufallen müsse, um die von ihrer Seite zu erwartende Leistungsbereitschaft zu motivieren; das ließe sich wiederum am Beispiel Englands unschwer dadurch beweisen, dass nach Abzug aller gerechtfertigten Ausgaben vom jährlichen Volkseinkommen nur eine verschwindend geringe Summe für sogenannte Luxusausgaben übrig bliebe, jeder Haushalt also nur minimal mehr an Zuwendungen erhalten würde, wenn die Wohlhabenden nicht über diese Mittel verfügen könnten. In der zuletzt von Schumpeter vorgelegten Berechnung ist allerdings eine Größe enthalten, von der er selber nur zu gut weiß, dass sie erst noch genauer auszuweisen wäre; denn wie selbstverständlich wird darin ja unter dem Hinweis auf naheliegende Abzüge ein erheblicher Anteil des Bruttosozialprodukts für unternehmerische Rücklagen geltend gemacht, ohne dass klar ist, worin deren Umfang im Einzelnen begründet sein soll. In dem Versuch, diese Leerstelle in seinen bislang nur statistisch begründeten Ausführungen zu füllen, besteht im Grunde genommen der Rest des Aufsatzes von Schumpeter; ihm geht es dabei um den Nachweis, dass die Höhe der Verausgabungen für unternehmerische Leistungen unter Bezug auf den Ertrag gerechtfertigt werden muss, den sie im Durchschnitt für die gesamte Volkswirtschaft und damit vor allem auch für die Arbeiterklasse erbringen.

Im Zentrum dieser Ausführungen steht ein Gedankengang, der uns hier schon mehrfach begegnet ist und dessen Kern in einer These zur »eigentlichen« Funktion des Unternehmers in kapitalistischen Wirtschaftssystemen besteht: Übe der Unternehmer seine Rolle funktionsgerecht aus, so dürfe er sich nur als »Sachverwalter« des im jeweiligen Betrieb angelegten eigenen oder fremden Kapitals verstehen, das er durch geschickten Einsatz von Erfindergeist und rational kontrollierter Risikobereitschaft auf die Schaffung neuer »Produktionsmethoden« verwenden müsse, um mithilfe der erzielten »Spekulationsgewinne« allen beteiligten Gruppen (von den Banken über die Arbeiter bis zu den Kapitaleignern) zu einem Wertzuwachs ihrer jeweiligen Produktionsfaktoren zu verhelfen. Den Anteil, den er dabei für sich selbst als Unternehmergewinn einbehält, muss man dann Schumpeter zufolge als die Prämie verstehen, »die sich in der kapitalistischen Wirtschaft an die erfolgreiche Durchsetzung neuer Produktionsmethoden oder neuer kommerzieller 30Kombinationen knüpft« (im Original kursiv). Die Lücke, die in Schumpeters statistischen Demonstrationen stets dort bestehen blieb, wo die proportional sehr hoch veranschlagten Dauerabzüge für unternehmerische Leistungen nicht gerechtfertigt wurden, sieht er durch diesen Beweisgang als geschlossen an; aus seiner Sicht müssen diese Ausgaben damit begründet werden, dass nur mit ihrer Hilfe die »besten Gehirne eines Volkes« motiviert werden können, ihre außerordentlichen Begabungen der Suche nach möglichen Neuerungen im Produktions- und Distributionsprozess zu widmen, die dank einer später einsetzenden Welle der Preissenkung auch der breiten Bevölkerung langfristig zugutekommen. Was Schumpeter in diesem Zusammenhang allerdings nirgends thematisiert, sondern ganz im Gegenteil wie selbstverständlich voraussetzt, ist die These, dass derartige unternehmerische Leistungen nur durch finanzielle Anreize angestachelt werden können; dagegen ließe sich etwa mit John Roemer zu bedenken geben, dass die Entwicklung und der sozial förderliche Einsatz von Innovationsgeist, Gestaltungswille und Sachverstand unter kulturell leicht veränderten Bedingungen auch aus anderen als finanziellen Motiven geweckt werden könnten – gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl, Sorge um das Wohlergehen der Schlechtergestellten oder ähnlichen nicht selbstbezogenen Einstellungen.[9] Bei aller bewunderungswürdigen Distanz und Weitsicht, die Schumpeter ansonsten gegenüber den sozioökonomischen Bedingungen seiner Zeit an den Tag legt, bleibt er an solchen Stellen doch in engster Weise den utilitaristischen Prämissen seiner Herkunftswissenschaft verhaftet.

III Soziologie

Die herkömmliche, auch der Gliederung unseres Bandes zugrunde liegende Vorstellung, einige der Aufsätze Schumpeters ließen sich in einem engeren Sinn der Soziologie zurechnen, ist nicht 31frei von Missverständnissen; es wird dadurch nämlich der Eindruck erweckt, der Autor selbst habe in seinen Analysen säuberlich zwischen disziplinären Perspektiven unterschieden und eine Unterteilung der sozialen Welt in entsprechende Objektbereiche für möglich gehalten. Die Größe und bleibende Bedeutung der vielen Aufsätze Schumpeters besteht aber ganz im Gegenteil gerade darin, die eingespielten Grenzziehungen zwischen den verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen ständig zu unterlaufen und bei seinen Untersuchungen stets mehrere von ihnen zum Einsatz zu bringen – bereits an seinen Kapitalismusanalysen hatte sich ja gezeigt, wie hier die rein wirtschaftstheoretische Argumentation durch die Berücksichtigung von kulturellen Orientierungen, von Persönlichkeitsstilen, von Werthaltungen der beteiligten Gruppierungen und schließlich von politischen Gegebenheiten gezielt angereichert wird. Insofern wäre es wohl gerechtfertigt, Schumpeter zugutezuhalten, dass er sich immer dann als Sozialwissenschaftler in einem umfassenden Sinn betätigt hat, wenn er sich veranlasst sah, das enge Gebiet seiner Heimatdisziplin, der Nationalökonomie, zu verlassen; ganz im Sinne Max Webers oder, einige Jahrzehnte später, Talcott Parsons’ war er der Überzeugung, dass eine angemessene Erforschung der kapitalistischen Entwicklung nur bei Einbeziehung aller dafür ausschlaggebenden Faktoren von der Ökonomie über die Kultur bis zum Recht oder den persönlichen Wertorientierungen möglich sei.

Gleichwohl hat es sich eingebürgert, einen Teil der vielzähligen Aufsätze und Studien Schumpeters dem Feld der Soziologie zuzuschlagen; dazu werden im Allgemeinen neben der großen Studie Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie auch die Aufsätze zum Imperialismus, zu den sozialen Klassen »im ethnisch homogenen Milieu«, zum Steuerstaat und zum Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels gerechnet.[10] Eine Zuordnung dieser Beiträge zur Soziologie kann damit gerechtfertigt werden, dass Schumpeter selbst bei deren Titelgebung den Ausdruck verwendet hat; aber darüber darf, wie gesagt, nicht vergessen werden, dass derartige Unterteilungen in disziplinäre Abteilungen der Komplexität seiner Analysen kaum gerecht werden. Aus Umfangsgründen mussten wir uns hier auf die Aufnahme von nur zwei dieser »sozio32logischen« Aufsätze beschränken; auch die nicht berücksichtigten Beiträge aus dem vorliegenden Themenkomplex lohnen weiterhin der Lektüre.

Das »Kommunistische Manifest« in der Soziologie und Ökonomik

In diesem kurzen Aufsatz, der mit Seitenhieben auf theoretische und politische Gegner nicht spart, setzt sich Schumpeter mit Kernelementen der marxistischen Theorie auseinander. Er unterscheidet programmatisch zwischen zwei Formen der Theoriebildung: der »Wirtschaftssoziologie« und der »Ökonomik im eigentlichen Sinn«. Erstere habe die Aufgabe, »ökonomisch relevante[] Institutionen einschließlich Gewohnheiten und alle[] Verhaltensformen im allgemeinen« zu analysieren, während letztere sich mit der »interpretative[n] Beschreibung der ökonomischen Mechanismen, die bei einem bestimmten Stand jener Institutionen am Werk sind, z.B. Marktmechanismen« befasst. Am Kommunistischen Manifest sei vor allem die Wirtschaftssoziologie interessant, die wichtige Gedanken von Marx’ späterem Werk vorwegnehme. Drei Dimensionen sind es, auf die Schumpeter die Aufmerksamkeit lenkt. Zum Ersten interessiert ihn die ökonomische Interpretation der Geschichte, die alle »soziale, politische und rechtliche Struktur« als abgeleitet von ökonomischen Verhältnissen sehe und damit den »unkritischen Individualismus« überwinde, der in der Geschichtsschreibung oft vorliege. Zum Zweiten setzt er sich kritisch mit Marx’ Theorie sozialer Klassen auseinander, die er als zu stark auf den »Blickwinkel des Antagonismus« fokussiert sieht, aber dennoch für bedeutsam hält. Zum Dritten lobt er Marx dafür, ein »metaphysisches« Verständnis von »Staat« oder »Gemeinwohl« vermieden und damit den »Staat vom Himmel in die Sphäre der realistischen Analyse heruntergeholt« zu haben, was ihn zum »Ahnherr[n] der modernen Wissenschaft von der Politik« gemacht habe.

In seinen anschließenden Bemerkungen zur »Ökonomik im eigentlichen Sinne«, die das Kommunistische Manifest enthalte, legt Schumpeter den großen Einfluss offen, den das marxistischen Denken auf ihn hatte: Marx habe die »kreative[] Rolle der Unternehmerklasse« (Hervorhebung im Original) erkannt, die die bürgerliche Ökonomie »so hartnäckig verschwieg«. Auch seine 33Einsichten zur Tendenz der kapitalistischen Wirtschaft hin »zum Großkonzern« habe Marx hier schon vorweggenommen. Marx, so wird aus Schumpeters Aufsatz klar, ist für ihn derjenige, der eine wirklich dynamische Betrachtung der Wirtschaft begonnen habe; dies, und nicht inhaltliche Positionen, ist aus Schumpeters Sicht der wesentliche Unterschied zu einer ökonomischen Theorie, wie sie zum Beispiel John Stuart Mill im Anschluss an Smith und Ricardo vertreten hatte.

Zur Soziologie der Imperialismen

Obwohl er als historisch-soziologische Analyse auftritt, ist Schumpeters Aufsatz »Zur Soziologie der Imperialismen« eine fulminante Verteidigung des Kapitalismus gegen einen der ältesten und schwerwiegendsten Vorwürfe, die gegen ihn vorgebracht wurden: den Vorwurf, dass er imperialistische Gelüste wecke und damit zur Destabilisierung der internationalen Ordnung beitrage. Der erstmals von G. W. F. Hegel in seinen 1820/21 erschienenen Grundlinien der Philosophie des Rechts vorgetragene Kern des Arguments lautet, dass der Kapitalismus sich Absatzmärkte im Ausland erschließen müsse, um Überproduktionskrisen zu vermeiden;[11] in der neomarxistischen Schule des frühen 20.Jahrhunderts hat insbesondere Rosa Luxemburg (1871-1919) dieses Argument weiterentwickelt.[12] Schumpeter bekämpft es zunächst, um letztlich doch ein weitgehendes Zugeständnis zu machen, allerdings nicht, ohne im Durchgang eine in der Rhetorik antiquiert anmutende, in der Sache jedoch höchst interessante alternative Hypothese zu den Ursachen expansionistischer Tendenzen aufzustellen.

Schumpeter definiert »Imperialismus« als eine Form des »objektlosen« Expansionsstrebens, das durch die wirtschaftlichen oder politischen Interessenkonstellationen innerhalb eines Landes nicht erklärt werden könne: Es gehe nicht um die Befriedigung wirtschaftlicher Bedürfnisse oder die Eroberung aus politischen Gründen, zum Beispiel, um ein Reich zu einigen; auch religiöse 34Unterwerfungsmotive reichten als Erklärung dann nicht aus, wenn die Expansion um ihrer selbst willen angestrebt werde. In einem weitläufigen und historisch detailreichen Aufbau, der von den alten Ägyptern, Assyrern und Persern über die mittelalterlichen Araber bis ins Europa der frühen Neuzeit und Gegenwart reicht, schält Schumpeter diese Form des Imperialismus als eine Art Idealtypus im Weberschen Sinne heraus. Für zentral hält er die Existenz einer politisch gewichtigen Klasse – die im Extremfall das ganze Volk umfassen kann –, für die die Kriegsführung zur Normalität geworden ist und die ohne den Krieg kein Betätigungsfeld für ihre Energien hat. Sei so eine Klasse einmal entstanden, sei es politisch schwierig, Friedensabsichten gegen sie durchzusetzen; stattdessen würden Anlässe und Motive aller Art genutzt, um dem eigenen »Beruf« der Kriegsführung weiter nachgehen zu können: »Vom Krieg geschaffen, der sie brauchte, schuf die Machine die Kriege, die sie brauchte« (im Original kursiv). Eine derartige Klasse jedoch – dies ist Schumpeters entscheidender Punkt – sei dem Kapitalismus dem Wesen nach fremd; soweit sie in Europa vorliege, sei sie ein »Atavismus«, der durch sein feudales Erbe erklärt werden müsse. Damit stellt sich Schumpeter in die von Montesquieu begonnene Linie derjenigen, die dem freien Handel zwischen den Völkern eine friedensstiftende Kraft zuschreiben: Der »doux commerce« würde die langfristigen, friedlichen »Interessen« die Oberhand über kriegerische »Leidenschaften« gewinnen lassen.[13]

Allerdings gesteht Schumpeter zu, dass die Kartell- und Trustbildung im gegenwärtigen »Monopolkapitalismus« das Bild grundlegend verändere. Damit tritt wieder eines der Schumpeterschen Leitmotive hervor: die »Vertrustung« des Kapitalismus in seiner Gegenwart. Im vertrusteten Kapitalismus hätten monopolistische Unternehmen nun in der Tat ein Interesse daran, fremde Absatzmärkte zu erobern, um dort ihre Warenüberschüsse absetzen zu können. Der argumentative Sieg Schumpeters gegenüber denjenigen Kritikern, die die imperialistischen Tendenzen des zeitgemäßen Kapitalismus hervorheben, wird damit schal: In der Analyse der zwischenstaatlichen Phänomene ist sich Schumpeter mit ihnen 35einig; uneinig sind sie sich darin, ob es das Wesen des Kapitalismus ist, das hier zum Vorschein kommt, oder nur diejenige seiner Formen, die die Gegenwart beherrscht. Schumpeters Vision lässt allerdings – ganz im Gegensatz zu den generellen Tendenzen seiner Zukunftsvision – die Möglichkeit eines Kapitalismus aufscheinen, der eben nicht vertrustet wäre und in dem eine überwältigende Interessenmacht für Frieden und internationale Verständigung den Kreisen der professionellen Kriegstreiber im Weg stehe. Ob Schumpeter dies angesichts der fortgeschrittenen »Vertrustung« für eine reale Möglichkeit hielt, lässt sein Aufsatz jedoch offen.

IV Intellektuelle Biographien

Zeit seines Lebens beschäftigte Schumpeter sich mit den Theorieansätzen, aber auch den Persönlichkeiten, anderer Ökonomen.[14] Im Lauf der Jahre entstanden zahlreiche Rezensionen, Würdigungen und intellektuelle Porträts, in denen Schumpeter sich mit den großen Zeitgenossen seiner Disziplin auseinandersetzte; neben der Auseinandersetzung mit den technischen Details ihrer Theorien interessiert er sich dabei auch für ihre gedankliche Entwicklung und die theoretischen Quellen, aus denen sich ihr Werk speiste. Überhaupt war die Geschichte des eigenen Fachs für Schumpeter von großer Bedeutung. Schon 1914 veröffentlichte er einen ausführlichen Aufsatz zu »Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte«,[15] der einen Bogen von der Antike über Scholastik und Merkantilismus hin zur ökonomischen Theorie der Neuzeit – mit Ricardo als Höhepunkt der klassischen Ökonomie – und Gegenwart spannt. Sein größtes dogmengeschichtliches Werk, History of Economic Analysis, wurde posthum von seiner dritten Frau, Elizabeth Boody Schumpeter, herausgegeben.[16] In der Einlei36tung zu diesem Werk betont Schumpeter, dass »wissenschaftliche« Ökonomie für ihn drei Techniken umfasse: Geschichte, Statistik und Theorie; gemeinsam bildeten sie das, was er unter »ökonomischer Analyse« verstehe und in diesem Werk untersuchen wolle.[17] Schumpeter führt vier Gründe für das Studium der ökonomischen Ideengeschichte an: ein besseres Verständnis der Bedeutung und Richtung ökonomischer Theorie zu erwerben, neue Inspiration zu finden, etwas über »the ways of the human mind« zu erfahren – und nicht zuletzt, zu verstehen, dass der Prozess ökonomischer Theoriebildung selbst ein historischer Prozess sei, der in Abhängigkeit von verschiedenen historischen Entwicklungen stattfinde und verschiedene wirtschaftliche Epochen beschreibe.[18]

Die Breite und Tiefe von Schumpeters intellektueller Auseinandersetzung mit der Dogmengeschichte in History of Economic Analysis ist überwältigend; wiederum beginnt die Analyse im antiken Griechenland und führt bis ins 20.Jahrhundert. Einige seiner Einschätzungen sind dabei durchaus fragwürdig, unter anderem das harsche Urteil über Adam Smith, dem er vorwirft, »the Wealth of Nationsdoes not contain a single analytic idea, principle, or method that was entirely new in 1776«.[19] Allerdings zeigt diese Aussage, dass Schumpeter auch die ökonomische Dogmengeschichte vor Smith bis ins Detail kannte – ein scharfer Kontrast zu all denjenigen, die diese Geschichte überhaupt erst mit Smith beginnen lassen. Schumpeters Diskussion beschäftigt sich nicht nur mit zahlreichen britischen Vordenkern der Ökonomie, sondern umfasst auch kontinentaleuropäische Denker wie Condorcet, Montesquieu, Vico oder Quesnay. Schon zu Schumpeters Lebzeiten dürften diese Kenntnisse außergewöhnlich gewesen sein; heute verfügen darüber nur noch Spezialisten.

Aus dem biographisch-dogmengeschichtlichen Spektrum von Schumpeters Werk werden hier zwei Aufsätze vorgestellt, die wiederum sein Interesse sowohl an Ökonomie als auch an Soziologie illustrieren: ein Kurzporträt des von ihm hochverehrten Mitbegründers der Soziologie, Max Weber, sowie eine Vorstellung des Lebens und Werks John Maynard Keynes’, die in dessen Todesjahr 1946 erschien.

37Max Webers Werk

In einem von Enthusiasmus geprägten Tonfall, einer Eloge gleichend, schreibt Schumpeter über Max Weber, der 1920 im Alter von 56 Jahren verstorben war. In einer von Mittelmäßigkeit und Politisierung geprägten sozialwissenschaftlichen Landschaft sei Weber herausgestochen als ein »Schwanenritter mit [einer] silbernen moralischen Rüstung«, der nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Organisator der Wissenschaft Großes geleistet habe. Schumpeter hebt Webers Bemühungen um eine klare Methodologie hervor, die mit seinen substanziellen Forschungsleistungen in einem engen Zusammenhang gestanden hätten. Besonders hoch rechnet er ihm die Bemühungen um die Trennung der Wissenschaft nicht nur von der Politik, sondern auch von der Philosophie an. Von seinen zahlreichen Schülern geliebt und verehrt, sei Weber – der in erster Linie Soziologe, in zweiter aber auch Nationalökonom gewesen sei – ein wahrer »wissenschaftlicher Fürst «und »ein Führer in der vollen soziologischen Bedeutung des Wortes« gewesen, der sich insbesondere um die »Deutsche Soziologische Gesellschaft« verdient gemacht habe. Vielleicht, so lässt sich spekulieren, zeigt sich in Schumpeters Skizze von Webers Werk das Bild eines Unternehmers nicht im Bereich der Wirtschaft, sondern im Bereich der Wissenschaft, das Schumpeter selbst als Ideal vor Augen stand.

John Maynard Keynes, 1883-1946

Schumpeters Konkurrenzverhältnis zu John Maynard Keynes ist legendär; in einer Rezension von dessen 1936 erschienener General Theory formulierte er: »Je weniger über das Buch gesagt wird, um so besser.«[20] Um so interessanter ist das intellektuelle Porträt, das Schumpeter 1946 von ihm zeichnete und das trotz manch vergifteten Lobs auch zahlreiche anerkennende Beobachtungen über den Briten enthält. Auch hier behandelt Schumpeter nicht nur das Werk, sondern auch die Person von Keynes, den er als vielseitig begabten, mit ungewöhnlichen Energien ausgestatteten und dabei liebenswerten und geselligen Charakter beschreibt, der in seinem 38pragmatischen, kurzfristigen Denken nicht nur typisch britisch gewesen sei, sondern auch die Interessen Großbritanniens stets im Blick behalten habe. Keynes’ vielseitige Interessen hätten freilich auch dazu geführt, dass er auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Analyse wenig Neues geleistet habe; vor allem nicht in der General Theory, die in erster Linie durch das rhetorisch akzentuierte Hervorheben von lang bekannten, aber bisher weniger beachteten Aspekten des Wirtschaftslebens – so die Konsumfunktion, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und die Liquiditätspräferenzfunktion – ihre Wirkung entfaltet habe. Schumpeter gesteht zu, dass Keynes damit wichtige Faktoren analysiert und meisterhaft auf den Punkt gebracht habe, kritisiert aber, dass die Analyse von einer spezifischen historischen Situation ausgehe und keinen Anspruch auf Allgemeinheit erheben könne. »Alle Phänomene, die mit der Schaffung und der Umgestaltung des Produktionsapparates in Zusammenhang stehen (d.h. die Phänomene, die den kapitalistischen Prozeß beherrschen), werden so von der Betrachtung ausgeschaltet« (Hervorhebung im Original), stellt Schumpeter fest – genau jene Phänomene also, die ihn selbst als Theoretiker am meisten interessierten und die er als charakteristisch für die kapitalistische Wirtschaftsform in ihrer mittel- und langfristigen Entwicklung ansah.

Keynes, der sich »so gut wie ausschließlich« für Wirtschaftspolitik interessiert habe, habe günstige Gelegenheiten für Publikationen zu nutzen gewusst, so zum Beispiel für das 1919 erschienene Werk über die Economic Consequences of the Peace, das Schumpeter als »Kunstwerk« beschreibt, dessen Veröffentlichung ein »Akt moralischen Muts« gewesen sei. Die Bildung einer Schule um Keynes, die nach der Veröffentlichung der General Theory einsetzte, erklärt Schumpeter soziologisch aus dem Bedürfnis der Zeit nach neuen Ansätzen und einfachen Modellen heraus. Insgesamt zeichnet er Keynes als einen Menschen, der Großes geleistet hat, aber nicht auf dem Feld, auf dem Schumpeter selbst den größten Ehrgeiz hatte – der ökonomischen Analyse: »Wo immer [Keynes] sonst fortschrittlich gewesen sein mag, in der analytischen Methodik war er es nicht.«

39Danksagung

Wir bedanken uns für die fruchtbare Zusammenarbeit und engagierte Mithilfe von Eva Gilmer, die sich auch, gemeinsam mit Janika Rüter, sehr für den unerwartet schwierigen Erwerb der Wiederabdruckrechte der Schumpeterschen Texte eingesetzt hat. Wertvolle Hinweise verdanken wir Heinz D. Kurz, dem wir zudem für die Ergänzung des Bandes um ein Nachwort danken, das die Aktualität von Schumpeters Werk diskutiert. Die Texte werden in der originalen Rechtschreibung der Entstehungszeit wiedergegeben; lediglich in Bezug auf die Formatierung von Hervorhebungen und die Position und Formatierung von Fußnoten wurden vorsichtige Umstellungen vorgenommen. Dabei hat Hannah Bayer an der Goethe Universität Frankfurt großartige, kaum zu überschätzende Hilfe geleistet. Elke Habicht hat als Lektorin einen unverzichtbaren Beitrag dazu geleistet, formale Einheitlichkeit herzustellen und letzte Fehler zu korrigieren. Ihnen allen danken wir herzlich für die ergiebige Zusammenarbeit.

Editorische Notiz

():   Anmerkungen von Schumpeter

[]:   Anmerkungen der ersten Herausgeberschaft

[[]]: Anmerkungen der Herausgeber Lisa Herzog und Axel Honneth

Das Fußnotenformat wurde angepasst, ebenso die Zitierweise von Literatur; Hervorhebungen wurden von gesperrt auf kursiv umgesetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden behutsam angepasst, entsprechen jedoch darüber hinaus weitestgehend derjenigen in den angegebenen Ausgaben. Weitere Änderungen an den Texten wurden nicht vorgenommen.