Schulanfang und Anfangsunterricht - Grundlagen, pädagogische Prinzipien und Probleme des Übergangs - Daniela Mattes - E-Book

Schulanfang und Anfangsunterricht - Grundlagen, pädagogische Prinzipien und Probleme des Übergangs E-Book

Daniela Mattes

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Pädagogik - Schulpädagogik, Note: 1,3, Universität Koblenz-Landau (Grundschulpädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Wenn Kinder in die Schule kommen, bedeutet dies für sie, und auch für ihre Familien, sowohl einen Neuanfang als auch einen Abschied von dem Vertrauten. Bereits im Kindergarten soll der Grundstein für einen gleitenden Übergang in die Grundschule gelegt werden. Erzieher und Eltern müssen dem Kind schon lange vor Schulanfang die Möglichkeit geben, sich geistig, körperlich und seelisch zu entfalten, um den Anforderungen der Schule nachkommen zu können. In unterschiedlichen Maßnahmen versuchen Kindergarten und Grundschule demnach den kommenden Erstklässlern die Lern- und Lebenswelt der Schule nahe zu bringen. Auch wichtige Schritte, wie die Feststellung der Schulfähigkeit, eine eventuelle Zurückstellung, die Suche nach alternativen Einrichtungen, die Schuleinschreibung und das erste Kennenlernen mit der Lehrkraft sollten innerhalb der Kooperation zusammen mit dem Elternhaus erlebt und geplant werden. Der erste Schultag stellt dann für alle Beteiligten, Kinder, Erzieher, Lehrer und Eltern, den Höhepunkt des Übergangs dar. Hierbei werden außer Vorfreude und Nervosität oftmals aber auch Zweifel und Bedenken, vor allem auf Seiten der Eltern, laut. Der Anfangsunterricht mit seinen pädagogischen Prinzipien dient dementsprechend dazu, die Kinder und ihre Familien behutsam auf den Schulalltag vorzubereiten und ihnen Zeit zu geben die neue Situation anzunehmen und sich in ihr wohl zu fühlen. Dennoch können bei den Kindern im Übergang vom Elementar- zum Primarbereich Probleme auftreten. Die Frage nach der Erleichterung des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule wird allerdings oftmals ausschließlich an institutionellen Problemen festgemacht. Diese Feststellung wird allerdings der Komplexität des Problems nicht ausreichend gerecht. Nicht allein die genannten Institutionen sind für einen reibungslosen Übergang verantwortlich, sondern auch die Eltern und das gesamte Umfeld der Kinder müssen ihren Beitrag leisten. Trotzdem haben manche Kinder, gerade in der ersten Zeit des 1. Schuljahres, mit Übergangsproblemen zu kämpfen, die in Gemeinschaft mit Lehrerin und Eltern ernst genommen und gelöst werden müssen. Eine Stütze sind den Kindern hierbei besonders die Eltern, die nun die Möglichkeit bekommen sich auf verschiedene Weisen in den Unterricht einzubringen und ihren Kindern zu zeigen, dass auch sie sich in der Schule wohl fühlen und ihnen bei diesem neuen Lebensabschnitt zur Seite stehen. Lassen wir also das Abenteuer Schulanfang beginnen.

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Veröffentlichungsjahr: 2006

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Inhaltsverzeichnis

 

Einleitung

1. Der geschichtliche Kontext der Grundschule und des Schulanfangs

1.1 Die Bedeutung des kindgerechten Schulanfangs

1.2 Die pädagogische Gestaltung des Schulanfangs

2. Vom Kindergarten zur Grundschule

2.1 Die vorschulische Erziehung

2.2 Die Vorgeschichte der Schüler/Innen

2.3 Die Auswirkungen der vorschulischen Erziehung auf den Anfangsunterricht

2.4 Die emotionale Empfindung der Kinder zum Schulbeginn

2.4.1 Das Vorwissen der Kinder

2.4.2 Schulangst

3. Kindergarten und Grundschule arbeiten zusammen

3.1 Rechtliche Grundlagen der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule

3.2 Die Ziele der Kooperation

3.3 Die Unterschiede zwischen Kindergarten und Grundschule überwinden

3.4 Kooperationsplan

3.5 Schwierigkeiten bei der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule

4. Maßnahmen zur Verbesserung des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule

4.1 Schulreife/Schulfähigkeit

4.1.1 Rechtslage zur Schulfähigkeit

4.1.2 Sozial-emotionale Aspekte

4.1.3 Kognitive Aspekte

4.1.4 Körperlich/motorische Aspekte

4.1.5 Die Zurückstellung

4.1.6 Alternative Einrichtungen

4.2 Die Schuleinschreibung

4.3 Schulbesuche des Kindergartens

4.4 Die Lehrerin stellt sich vor

4.5 Der erste Elternabend

5. Der 1. Schultag / Die Einschulung

6. Der Anfangsunterricht - Begriffsbestimmung

6.1 Aufgaben und Ziele des Anfangsunterrichts

6.2 Die pädagogischen Prinzipien des Anfangsunterrichts

6.3 Die Arbeitsprinzipien des Anfangsunterrichts

7. Mögliche Übergangsprobleme

8. Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern

8.1 Die emotionalen Empfindungen und Erwartungen der Eltern zum Schulbeginn ihrer Kinder

8.2 Die Zusammenarbeit Eltern-Lehrer

8.2.1 Die Ziele der Elternarbeit

8.2.2 Die Elternvertretung

8.2.3 Der Elternsprechtag/Elternsprechstunde

8.2.4 Der Elternstammtisch

8.2.5 Eltern im Unterricht

9. Fragebogen an die Eltern

9.1 Die Auswertung

9.2 Das Ergebnis

Schluss

Literaturverzeichnis

Anhang

 

Einleitung

 

„Die Grundschule steht heute vor einer besonderen Herausforderung. Hier wird die Basis gelegt für ein lebenslanges Lernen, die Motivation geschaffen für Entwicklung von Interessen und Fähigkeiten, die überdauern. Sie muss der äußerst heterogenen Schülerschaft, vom hochbegabten zum spezialbegabten bis zum lernschwachen Kind gerecht werden und überdauerndes Können grundlegen. Sie muss gemeinsames, gruppenbezogenes Lernen anregen, soziales Lernen ermöglichen und den emotionalen Bedürfnissen des Kindes gerecht werden. Sie muss Unterrichtsformen finden, in der [!] fast Unmögliches möglich wird.“[1]

 

 Wenn dies die grundlegenden Ziele der Grundschule sind, kommt besonders dem kindgerechten Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und dem Schulanfang eine besondere Rolle zu. Wenn Kinder in die Schule kommen, bedeutet dies für sie, und auch für ihre Familien, sowohl einen Neuanfang als auch einen Abschied von dem Vertrauten. Bereits im Kindergarten soll der Grundstein für einen gleitenden Übergang in die Grundschule gelegt werden. Erzieher und Eltern müssen dem Kind schon lange vor Schulanfang die Möglichkeit geben, sich geistig, körperlich und seelisch zu entfalten, um den Anforderungen der Schule nachkommen zu können. In unterschiedlichen Maßnahmen versuchen Kindergarten und Grundschule demnach den kommenden Erstklässlern die Lern- und Lebenswelt der Schule nahe zu bringen. Alle Bundesländer haben Erlasse zur Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule und der vorschulischen Erziehung heraus gegeben, die als Handreichungen für die Erzieher und Lehrer dienen sollen, jedoch noch weiter ausgebaut werden müssen.

 

 Auch wichtige Schritte, wie die Feststellung der Schulfähigkeit, eine eventuelle Zurückstellung, die Suche nach alternativen Einrichtungen, die Schuleinschreibung und das erste Kennenlernen mit der Lehrkraft sollten innerhalb der Kooperation zusammen mit dem Elternhaus erlebt und geplant werden. „Die Weichenstellungen des Beginns müssen inhaltlich definiert werden und reichen deshalb sowohl über die Anfangswochen oder –monate hinaus als auch in ihren Wurzeln in die Vorbereitung auf die Schule vor dem 1. Schultag zurück.“[2]

 

 Der erste Schultag stellt dann für alle Beteiligten, Kinder, Erzieher, Lehrer und Eltern, den Höhepunkt des Übergangs dar. Hierbei werden außer Vorfreude und Nervosität oftmals aber auch Zweifel und Bedenken, vor allem auf Seiten der Eltern, laut. Der Anfangsunterricht mit seinen pädagogischen Prinzipien und Arbeitsprinzipien dient dementsprechend dazu, die Kinder und ihre Familien behutsam auf den Schulalltag vorzubereiten und ihnen Zeit zu geben die neue Situation anzunehmen und sich in ihr wohl zu fühlen. Dennoch können bei den Kindern im Übergang vom Elementar- zum Primarbereich Probleme auftreten. Die Frage nach der Erleichterung des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule wird allerdings oftmals ausschließlich an institutionellen Problemen festgemacht. Diese Feststellung wird allerdings der Komplexität des Problems nicht ausreichend gerecht. Nicht allein die genannten Institutionen sind für einen reibungslosen Übergang verantwortlich, sondern auch die Eltern und das gesamte Umfeld der Kinder müssen ihren Beitrag leisten. Trotzdem haben manche Kinder, gerade in der ersten Zeit des 1. Schuljahres, mit Übergangsproblemen zu kämpfen, die in Gemeinschaft mit Lehrerin und Eltern ernst genommen und gelöst werden müssen. Eine Stütze sind den Kindern hierbei besonders die Eltern, die nun die Möglichkeit bekommen sich auf verschiedene Weisen in den Unterricht einzubringen und ihren Kindern zu zeigen, dass auch sie sich in der Schule wohl fühlen und ihnen bei diesem neuen Lebensabschnitt zur Seite stehen.

 

 Wie sich die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule im alltäglichen Leben gestaltet, wie das Elternhaus die Kinder vorbereitet und wie sich die Eltern aktiv in der Schule einbringen, soll ein Fragebogen zeigen, der in mehreren Bonner Grundschulklassen an die Eltern ausgeteilt

 

wurde. Er soll einen Bogen von den Theorien der Zusammenarbeit zur Praxis, z.B. mit Hilfe von Kooperationsplänen und praktischen Umsetzungen, spannen und eventuell vorhandene Defizite aufdecken oder die Wirkung von Maßnahmen unterstützen.

 

Lassen wir also das Abenteuer Schulanfang beginnen.

 

1. Der geschichtliche Kontext der Grundschule und des Schulanfangs

 

Die Geschichte der Grundschule und des Schulanfangs in Deutschland im 20sten Jahrhundert ist eng verknüpft mit der Entwicklung der elementaren Bildung sowie auch mit der Geschichte der pädagogischen Psychologie. Die Vorstellungen zur kindlichen Entwicklung haben sich, einhergehend mit dem Wandel der Einschulungsvorstellungen, seit der Weimarer Republik maßgeblich verändert.[3] Im Blickwinkel der Entwicklungspsychologie und geprägt von gesellschaftlichen Entwicklungen, temporär dominierenden Auffassungen und wissenschaftlichen Theorien haben sich der Schulanfang sowie die Übergangsproblematik und die Maßnahmen zur Unterstützung der kindliche Entwicklung im Laufe des 20sten Jahrhunderts fortlaufend verbessert.[4]

 

 Noch bis 1945 wurden Kinder in Deutschland standesgemäß getrennt eingeschult. Dies geschah sowohl in Volksschulen für die untersten Schichten als auch in zu den Gymnasien gehörenden Vorklassen. Zusätzlich, da nur Unterrichtspflicht aber keine Schulpflicht herrschte, hatten Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder zu Hause unterrichten zu lassen. Dies blieb vornehmlich den obersten Schichten vorbehalten. Am 28. April 1920, kurz nach der Einführung der Weimarer Verfassung, gelang es der Koalitionsmehrheit die obligatorische vierjährige Grundschule „für alle Kinder des Volkes“[5] und dementsprechend eine Schule aller Stände im Reichsschulgesetz zu verankern. Die Schule und der Schulanfang sollten jetzt, dem reformpädagogischen Prinzip gerecht, „vom Kinde aus“[6] gestaltet werden. Pestalozzis Prinzip „Kopf, Herz und Hand“[7] wurde zur neuen Lehrrichtung, in der das Kind als Ganzes angesprochen werden sollte. Privater Unterricht und private Schulen traten damit in den Hintergrund. Kinder mit Behinderungen sowie lernbehinderte Kinder wurden oftmals als nicht schulfähig bezeichnet und im Sonderschulwesen eingegliedert.[8]

 

Die Einheitsschulidee stieß jedoch bei Vertretern der Reichsschulkonferenz auf Empörung. Gleichheit und Selektion waren von nun an die Schlagwörter des Grundschulstreits zwischen Sozialdemokraten, dem Deutschen Lehrerverband und konservativen Parteien. „Die Haupteinwände der Gegner richteten sich gegen das eingeschränkte Schulwahlverhalten der Eltern höherer Sozialschichten, die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit und gegen die vermeintliche Unterforderung der Begabten durch die ‚Mittelmäßigen‘.“[9] Demokratisch-egalitäre Integration und selektierende Statuszuweisung prägten von nun an den Schulanfang und verankerten sich auch im Weimarer Grundschulgesetz.[10]

 

 Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde der Gedanke der Integration und Selektion neu ausgelegt und die demokratischen Gleichheitsrechte werden untergraben.[11] Wo in der Weimarer Republik, laut den preußischen „Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule“[12], die Aufgabe der Grundschule war, grundlegende Bildung zu vermitteln sowie auch „die Förderung aller kindlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten wie auch eine für weiterführende Schulstufen anschlussfähige stoffgebundene Kenntnisvermittlung“[13] zu unterstützen, war es Adolf Hitler wichtiger die Kinder „entsprechend den weltanschaulichen Doktrinen des Nationalsozialismus den physisch robusten, für Führer und Volk stets einsatzbereiten deutschen Menschen zu erziehen.“[14] In diesem System wurden behinderte, jüdische Kinder und ihre Familien als „asozial und schwachsinnig“[15] definiert und sogar ermordet. Haarmann fasst hierbei

 

zusammen: „Die primär persönlichkeitsbildenden Zielvorstellungen, die noch die traditionelle Kindergartenpädagogik bestimmten, schienen aus dem Blick geraten, damit aber auch die Kluft zwischen vorschulischer und schulischer Erziehung weiterhin empfindlich vertieft.“[16] Um es genauer auszudrücken, hatte Hitler bei der Vorbereitung der Kinder auf das Leben keine pädagogischen, sondern nationalsozialistische Ziele; die Kinder sollten dem Volk dienen und ihrem Führer unterwürfig sein. Taten sie und ihre Familien dies nicht, zahlten sie dafür mit ihrem Leben.

 

 Nach dem Zweiten Weltkrieg und der daraus resultierenden Trennung Deutschlands in Ost und West knüpfte das Schulwesen in den wesentlichen Punkten an die Vorstellung während der Weimarer Republik an. In Ostdeutschland wurde die Grundschulzeit auf acht Jahre verlängert. Auch in Westdeutschland sah das Schulgesetz von 1946 damals schon deutlich die Wichtigkeit des Übergangs und die der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule. „(2) Alle Schulanfänger haben eine vorschulische Förderung durchlaufen. Die meisten haben den Kindergarten besucht. [...] Die Inhalte der Beschäftigungen stellen Vorformen der Lehrgebiete der Unterstufe dar. (3) Kindergarten, Schule und Hort sind oft in einem Gebäude untergebracht, die Kindergartengruppen wechseln oft geschlossen in die erste Schulklasse. Da Unterstufenlehrer/innen gemeinsam ausgebildet werden, ist ein hohes Maß an Kooperation gegeben.“[17] Die psychologische Reifungstheorie und die dazu gehörende Kritik des „Sitzenbleibens“ hatten zum Ziel die Zurückstellung und das Abwarten auf die endgültige „Schulreife“ dieser Kinder.[18]

 

Kritik und Reformen läuteten ab 1965 eine neue Zeitrechnung für die Grundschulpädagogik ein. Fehlende soziale Integration und noch weniger optimale Chancengleichheit für die Unterstützung individueller Lernfähigkeit wurden von den Kritikern vorgeworfen. 1970 stellten der Strukturplan des Deutschen Bildungsrates und die Kultusministerkonferenz Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule auf. Hierbei berücksichtigten sie „die Einschulung nach Vollendung des fünften Lebensjahres“[19] sowie „stärkere Individualisierung und Differenzierung, kompensatorische Förderung sowie selbständiges, [...], entdeckendes und kooperatives Lernen, Elternarbeit, Wissenschafts- und Lernzielorientierung der Curricula.“[20] Zudem wurde der Begriff Schulreife in Schulfähigkeit umgewandelt, was das schulische Fördern der Kinder beinhalten sollte.[21] (vgl. Kapitel 3.4) Von diesem Moment an näherte man sich immer weiter dem heutigen Aufgabenbereich der Grundschule an. Die Schule heute hat es zum Ziel „die altersspezifischen Lernmöglichkeiten der Schulanfänger freizusetzen und deren schichtenspezifische Differenzen auszugleichen.“[22] Prengel definiert zudem das übergreifende Ziel der Grundschule: „Die heutige Grundschulpädagogik hat Formen des Lehrens und Lernens praktisch erprobt und wissenschaftlich fundiert, in denen effiziente Leistungsorientierung und humane Kindorientierung, Individualisierung und gleichberechtigte Gemeinsamkeit in mehrperspektivischen Erwägungen unter Berücksichtigung ihrer Konflikthaftigkeit in Beziehung zueinander gesetzt werden können.“[23]

 

1.1 Die Bedeutung des kindgerechten Schulanfangs

 

„Ein kindgerechter Schulanfang ist dadurch gekennzeichnet, daß der Unterricht, von der Motivationslage und dem Leistungsvermögen der Sechsjährigen ausgehend, die Schüler bei teilweiser Selbstbestimmung behutsam vom Bekannten zum Unbekannten führt und dabei ihre Lernhaltung stabilisiert und verbessert.“[24]

 

Der Schuleintritt birgt für Kinder im Alter von circa sechs Jahren die erste Erfahrung mit der neuen Welt Schule. Mit zum Teil hohen Erwartungen gehen die neuen Erstklässler diesen wichtigen Schritt in ihrem Leben. Sie werden vom Kindergartenkind zum Schulkind, was oft auch Statusveränderungen mit sich bringt.[25] Alle Kinder kommen aus unterschiedlichen Lebens- und Familienverhältnissen und müssen sich alle gleichermaßen in der Schule zurecht finden. Aus diesem Grund ist ein kindgerechter Schulanfang für alle Kinder bedeutend. Die neuen Schüler sollen die Möglichkeit bekommen, die Umstellung vom Kindergarten zur Grundschule so leicht wie nur möglich aufzunehmen und sich der neuen Situation anzupassen. Wobei der Kindergarten sich noch stark bemüht, sich den Gewohnheiten der Kinder anzupassen, ist dies in der Schule nur noch bedingt möglich. Die Kinder müssen nun die Spontaneität des Kindergartens zu Gunsten der strafferen Regelungen der Klassen- und Schulordnung zurückstellen und sich strengeren Ordnungen unterwerfen.[26] Diese Kinder „sollen [demnach] nicht nur miteinander auskommen, sie sollen u.U. auch zueinander in Konkurrenz treten, wenn es um individuelle Leistungen und den damit verbundenen Leistungsvergleich geht."[27] Leistungserwartungen stehen im Gegensatz zu den emotionalen Bedürfnissen der Kinder. Diese gilt es auszugleichen.[28]

 

Die bereits erworbenen unterschiedlichen Vorstellungen und Erfahrungen der Kinder sollen durch einen kindgerechten Schulstart verbunden und positiv ausgelegt werden können. Anpassung und Integration spielen dabei eine wichtige Rolle. Jedoch sollen sich nicht nur die Erstklässler an die neue Situation anpassen, auch die Schule und das Elternhaus müssen dazu beitragen, um die Kinder problemfrei aufnehmen zu können. Ziehen Schüler/innen nun nach den ersten Schultagen eine positive Bilanz, im Vergleich zu ihren Erwartungen und Vorstellungen, hat sich der Schulanfang als kindgerecht und effizient erwiesen.[29] „Kinder können den Schulanfang als stimulierend und stärkend erfahren, wenn sie ausreichend über die neue Situation Bescheid wissen, wenn sie ausreichend soziale Unterstützung in der Übergangssituation erhalten, wenn sie über ein positives Selbstkonzept, emotionale Stabilität und das Gefühl der eigenen Wirksamkeit verfügen, wenn die neue Situation hinsichtlich der Lern- und Entwicklungsprozesse Anknüpfungspunkte enthält.“[30] Susteck fügt jedoch folgerichtig hinzu, dass die Schüler/Innen bewusst lernen wollen, es jedoch an der „Art der Vermittlung liegt, ob sie begeistert mitarbeiten oder unwillig und mutlos werden. Mit den Eindrücken und Erlebnissen der ersten Schulmonate wird bei den Schülern eine Einstellung aufgebaut, die ihre Haltung gegenüber der Schule in den kommenden Jahren bestimmt.“[31] Hierbei wird deutlich, welche wichtige Bedeutung doch der Schulanfang für das weitere Leben der Kinder einnimmt. Der Lehrer nimmt in dieser Situation eine entscheidende Rolle ein, mit der er die Einstellungen der Kinder nachhaltig prägen kann. „Durch eine freundliche Haltung gegenüber jedem Kind, eine warmherzige und harmonische Atmosphäre, aber auch vielfältige didaktische Einfälle sollte er für positive Primärerfahrungen der Schulanfänger sorgen, die sich wiederum in Form eines Engagements der Kinder für schulische Belange auswirken.“[32] Hiermit prägt der Lehrer eine bewusste Lernhaltung bei den Kindern, die sich unter anderem in Leistungsfreude, Kooperationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein ausdrückt.[33] Hildegund und Edgar Weigert führen zusätzlich an, dass der Schulanfang die wesentliche Aufgabe hat, „die in der Regel bei den Kindern vorhandene Schulbereitschaft zu erhalten und zu stabilisieren.“[34] In den folgenden Kapiteln wird der Themenbereich Kooperation zwischen Kindergarten, Grundschule und Eltern sowie die Entscheidung zur etwaigen Zurückstellung noch genauer betrachtet und beleuchtet.

 

1.2 Die pädagogische Gestaltung des Schulanfangs

 

Wie bereits in 1.1 erläutert, kommt dem Schulanfang eine besondere Bedeutung zu, da er zum ersten Mal ein definitives Schulbild, im Vergleich zu den vorschulischen Bildern der Kinder von der Schule, in den Erstklässlern bilden wird, das sich nachhaltig als prägend erweist und auf die kommenden Schulsysteme übertragen wird. Hierbei ist im Vordergrund wichtig, eine Balance zwischen Kindergarten, Schule und Elternhaus herzustellen, mit der den Kindern die Möglichkeit gegeben wird, sich schnell in der neuen Situation Schule heimisch und aufgenommen zu fühlen.[35] Speck-Hamdan sieht die Ziele des Schulanfangs als folgende an: „Stützen und Stärken je nach Erfordernis, Struktur geben für Sicherheit und freien Raum schaffen für Selbsterprobung, Anbindungen an Bekanntes vornehmen und Neugier reizendes Neues in erreichbare Aussicht stellen.“[36]

 

 Kinder sind von Natur aus neugierig, dementsprechend ist zu schließen, dass Kinder sich, wenn sie nicht negativ vor Schulbeginn geprägt wurden, im Generellen auf die Schule freuen. Sie wollen lernen, einen weiteren wichtigen Schritt in ihrem Leben bestreiten und zu kleinen Erwachsenen werden.[37] Zu dieser Neugier gesellt sich aber auch Anspannung vor dem Neuen und vielleicht auch ein bisschen Angst (vgl. Kapitel 2.4.2), die in angemessener Ausprägung auch keine nachhaltigen Gefahren birgt, wird sie denn von Schule und Elternhaus ernst genommen und mit den Kindern verarbeitet. Schafft es der Lehrer jedoch das Neugierverhalten der Kinder für sich und den Schulanfang zu nutzen, erleichtert er den Schülern den Start in eine neue Welt. „Wenn an der Schule das Spannende, Neue und Aufregende entdeckt werden kann und das Kind erlebt, daß es Schule aktiv mitgestalten darf, wird die persönliche Identifikation mit dieser Institution erleichtert und Bindung an sie als lustvoll erlebt.“[38] Schafft der Lehrer es, das Kind und die Familie zu überraschen und ihre, vielleicht negativ geprägten, Vorkenntnisse in Frage zu stellen, birgt das die größte Identifikationsmöglichkeit. „Zu starke Einschränkungen verunmöglichen diese Erfahrung schon im Ansatz, zu wenig Strukturhilfen können Hilflosigkeit, also das Gegenteil, zur Folge haben. Es kommt darauf an, den Kindern ebenso Unterstützung, Hilfe und Sicherheit zu bieten, wie ihnen Erfahrungen der Einflußnahme auf ihre Umgebung zu ermöglichen.“[39]

 

 Schorch geht in seinen Ausführungen zum Thema Schulanfang auf verschiedene Erfahrungen ein, die den Kindern nach dem Übergang nahe gebracht werden sollen und die ihnen zu einem pädagogisch leichten Schulstart verhelfen. Zum einen soll der Schulgemeinschaft besondere Betrachtung geschenkt werden. Die Kinder sollen sich, wie bereits schon in Kapitel 1.1. angeführt, mit anderen Kindern in eine Gemeinschaft, hier Klassengemeinschaft, einfügen. Schorch rät hier an, die älteren Schüler und Lehrkräfte der anderen Klassen aktiv in den Aufnahmeprozess der Erstklässler einzubeziehen, da nur dann eine enge Bindung zur Schule als Gesamtheit aufgebaut werden kann (vgl. Kapitel 6).[40] In der Kooperation mit den Mitschülern, die alle dieses wichtige Erlebnis als neu empfinden, soll ein soziales Klima hergestellt werden, das als pädagogisches Ziel das Miteinanderlernen und -arbeiten, zum Beispiel in Partner- oder Gruppenarbeit, hat. Weigert nennt diese Zeit den erziehenden Unterricht.[41] Regeln, Rituale und Richtlinien, die Erstklässler in der Schule, im Vergleich zum Kindergarten, erst neu aufnehmen und erlernen müssen, können so besser verinnerlicht und mit den neuen Klassenkameraden eingeübt werden.[42] „Ausgehend nach dem „kategorischen Imperativ“ Kants, nach dem der einzelne stets so handeln solle, daß die Maxime seines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden könnte, gilt es, den Sinn von Regeln und Ordnung einsichtig zu machen. Dies betrifft besonders Verhaltensweisen, die von der Lehrerin neu eingeführt werden.“[43] Hierbei kommt wieder, wie oben schon beschrieben, die Thematik der Akzeptanz und Toleranz zum Tragen.

 

 Als weiteren wichtigen Gesichtspunkt zur pädagogischen Gestaltung des Schulanfangs sieht Schorch die Erfahrung, einen Lehrer bzw. eine Lehrerin zu haben. Denken wir heute nochmals an unseren eigenen Schulanfang, wird uns sicherlich auffallen, dass die erste Lehrerin auch heute noch in unserem Gedächtnis geblieben ist und unseren Schulanfang besonders geprägt hat. (vgl. Kapitel 3.6) Die Lehrerin nimmt die Rolle der nun, neben den Eltern, wichtigsten Bezugsperson der Kinder in der neuen Welt Schule ein. Sie ist zugleich Vertrauensperson als auch Wissensvermittler.[44] Sie muss das Kind individuell annehmen, jedoch auch ihre pädagogische Pflicht nicht aus den Augen verlieren. Die Kinder müssen akzeptieren, dass die Lehrerin immer für sie persönlich ansprechbar ist, sich aber auch um Klassenbelange kümmern muss. „Einen Beitrag hierzu leistet ein Unterricht, bei dem das Kind den Lehrer als persönlichen Lernbegleiter entdecken kann.“[45] Der Lehrer ist es auch, der sich individuell auf die Schüler einstellen muss, um jedes Kind seinen Fähigkeiten gemäß zu fördern. „Erfahrungen und Erlebnisse werden im Gespräch deutlich. Um Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erkennen, bedarf es entsprechender Aufgaben und in der Regel längerer gezielter Beobachtung.“[46]

 

 Die Wichtigkeit der Mitgestaltung der Schuleingangsphase durch die Kinder wurde in diesem Kapitel bereits angesprochen. Kinder sollen gerade zum Schuleintritt ihre eigene Selbstständigkeit entdecken und erweitern. Bereits erworbene Fähigkeiten aus dem Kindergarten oder Elternhaus bieten hier gute Anknüpfungsmöglichkeiten und geben den Kindern das Gefühl von Sicherheit in einer neuen Lebenssituation. Freie Zeiteinteilung, zum Beispiel an Hand des Wochenplans, kann die Schüler zum Aktivwerden ermutigen und die Selbstständigkeit ansprechen. „Ergänzt wird eine solche lernorientierte Selbststeuerung durch ein (zeitlich angemessenes) Arrangement von Situationen, die sinnbezogene Ich-Erfahrung ermöglichen, sei es in Entspannungs- und Stillübungen, Meditationsphasen, beim Tanzen, Malen oder Musizieren.“[47]

 

 Hierbei kommt auch die räumliche Erfahrung der Kinder von der Schule zum Tragen. Der Kindergarten war den neuen Erstklässlern gut bekannt. Sie haben den Raum, in dem sie tagtäglich gespielt, gelernt und gelebt haben, oft selbst mitgestaltet. Es ist daher zu vermeiden, dass der neue Klassenraum sich enttäuschend auf die Kinder auswirkt. Viele Lehrer lassen den Raum kahl, um die Klasse zu animieren, ihn völlig neu zu gestalten. Dies kann bei Kindern jedoch als enttäuschend wirken. Die gleiche Reaktion kann auch ein zugepackter Raum hervorrufen, der kaum noch Platz zur Verwirklichung der Kreativität der Kinder in der neuen Klasse bietet. Pädagogisch wertvoller wäre hierbei ein Ausgleich, der die Kinder mit bereits gestalteten Flächen anspricht und anregt freie Fläche selbst zu verschönern, um den Raum ihnen zu Eigen zu machen.[48] „Das Klassenzimmer als Lernumwelt und schulischer Lebensraum [...] wird sukzessive entdeckt, genutzt und verändert, die Lese-, Bastel-, Spielecke ebenso wie die Wandtafel, Individualfach für persönliche Dinge, Schreibmaschine und PC sowie Ruhezonen. Die Einteilung in Ecken gliedert den Raum und regt, z.B. durch Pinwandflächen, zur ästhetischen Gestaltung an.“[49] Der Unterschied der Eingewöhnungszeit und einer Einschulung in eine kleine oder eine große Schule darf jedoch nicht vergessen werden. „In der kleinen Schule verläuft das Eingewöhnen in der Regel schneller und problemloser. Klassengröße und Zusammensetzung der Klasse wirken sich ebenso aus wie die Ausstattung der Klassenräume und der Schule.“[50]

 

 Die Zeiterfahrung spielt außerdem eine wichtige Rolle beim Schulanfang. Zum einen sieht Schorch hier das Anhalten zur Pünktlichkeit und Zeitordnung als essentiell, aber die Schüler sollen auch aktiv das „Lern- und Bildungsangebot nutzen und den eigenen Bildungsprozeß in eine längerfristige Zukunftsperspektive einordnen können.“[51] Zeit muss am Anfang aber auch in anderen Situationen vermittelt werden: der Schultag muss einen Rhythmus haben, Datumsansagen gehören zum Schulalltag, Kalender mit Geburtstagen sollten geführt werden, Rückblicke auf das Halbjahr/Schuljahr sollen den Kindern ihren Erfolg wieder vor Augen rufen und besondere Ereignisse müssen im Kalender gekennzeichnet und eine gute Zeit vorher besprochen werden.[52] Mit all diesen Mitteln können es Lehrer schaffen, ihren Erstklässlern den Schulanfang pädagogisch leichter zu gestalten.