Schulrecht. Eine methodische Anleitung - Ralf Weskamp - E-Book

Schulrecht. Eine methodische Anleitung E-Book

Ralf Weskamp

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Beschreibung

Wer entscheidet im Konfliktfall: die Lehrkraft oder die Eltern? Welche Maßnahmen sind bei einem Täuschungsversuch »verhältnismäßig«? Was ist eigentlich im juristischen Sinne ein »wichtiger Grund«? Mehr denn je sind Lehrkräfte im Schulalltag mit rechtlichen Fragen konfrontiert. Schulrechtsexperte Ralf Weskamp führt in die Methoden ein, wie Lehrerinnen und Lehrer zu rechtssicheren Entscheidungen finden. Juristisches Anwendungswissen: ein Eckpfeiler für pädagogische Professionalität.

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Ralf Weskamp

Schulrecht

Eine methodische Anleitung

Reclam

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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962252

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962252-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014469-5

www.reclam.de

Inhalt

Vorbemerkung: Ziele des Buches

1 Schule ohne Rechte?Schulrecht und pädagogische Freiheit

1.1 Braucht Schule Gesetze?

Lehrer und Schüler – ein besonderes Verhältnis

Bis in die 1970er-Jahre: ein »besonderes Gewaltverhältnis«

Ab den 1980er-Jahren: Schule als Teil des Rechtsstaates

1.2 Die Stellung der Lehrkräfte

Die »pädagogische Freiheit«

Professionalisierung durch das Recht

2 Der juristische WerkzeugkofferJuristisches Denken, Gutachtenstil und Rechtsgebiete in der Schule

2.1 Ein Beispiel: Informationsansprüche von Eltern

2.2 Erfassen des Sachverhalts

2.3 Auffinden von Rechtsnormen

2.4 Rechtssätze

2.5 Das Gutachten – Kern des juristischen Denkens

2.6 Schulische Rechtsgebiete und ihre Anwendung

Zivilrecht

Strafrecht

Öffentliches Recht

Einheit der Rechtsordnung

3 Eltern oder Schule – Wer entscheidet?Die Anwendung der Grundrechte

3.1 Wie kommt das Schulrecht in das Grundgesetz?

3.2 Das Grundrechtssystem

Grundrechtsverpflichtete und Grundrechtsträger

Beschränkung von Grundrechten

Einteilung der Grundrechte

3.3 Schule und Elternhaus

3.4 Grundrechtsprüfung

Die Prüfung von Freiheitsrechten

Grundrechtskonkurrenz und -kollision

Prüfung von Gleichheitsrechten

4 Über das Ziel hinausgeschossen?Verwaltungshandeln in der Schule

4.1 Die Schule im Verwaltungsrecht

4.2 Anforderungen an das schulische Verwaltungshandeln

Gesetzmäßigkeit

Verpflichtungen der Schule

4.3 Ermessen

Gebundene und nichtgebundene Verwaltung

Methodik der Verhältnismäßigkeitsprüfung

Ermessensfehler

4.4 Das Verwaltungsverfahren in der Schule

Materielle und formelle Rechtmäßigkeit

Wie die Schule verwaltungsrechtlich tätig wird

4.5 Ein Beispiel: Täuschungsversuch

5 Interpretation ist gefragtDie Auslegung von Rechtsnormen

5.1 Auslegung

Rechtfertigung eines juristischen Arguments

Grammatische Auslegung

Systematische Auslegung

Historische Auslegung

Teleologische Auslegung

5.2 Unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln

5.3 Beurteilungsspielraum

Ausnahmen von der »einzig richtigen Entscheidung«

Leistungsbewertung

5.4 Mitteilung einer Entscheidung

Grundsätze

Ein Beispiel

Verzeichnis der Gesetze

Literaturverzeichnis

Dank

Zum Autor

[7]Vorbemerkung: Ziele des Buches

Dieses Buch richtet sich vor allem an Lehrkräfte, Schulleitungen und Lehramtsstudierende. Es will zeigen, dass zur pädagogischen Professionalität auch juristisches Anwendungswissen gehört. Im Zentrum steht dabei die Methodik des Rechts – wie man auf der Grundlage von Gesetzen Argumente entwickelt, Meinungen aufgreift, Interessen abwägt und Positionen verteidigt.

Kapitel 1 bietet einen Überblick über die Entstehung des Schulrechts und erläutert, inwiefern es einerseits zu mehr Demokratie in der Schule geführt und andererseits die Professionalisierung des Lehrerberufs vorangetrieben hat.

Kapitel 2 führt in den Gutachtenstil als Kern juristischen Denkens ein und stellt die verschiedenen Rechtsquellen vor, denen man in der täglichen Arbeit begegnet.

Kapitel 3 befasst sich mit den Grundrechten, die für die Schule von besonderer Bedeutung sind. Die schulische Erziehung steht nicht selten in Konflikt mit dem Elternrecht und anderen Grundrechten. Um diesen Konflikt zu analysieren, wird in die Methodik der Grundrechtsprüfung eingeführt.

Kapitel 4 widmet sich dem Verwaltungsrecht in der Schule, seinen Grundsätzen und Verfahren. Damit die Lehrkräfte ihre Entscheidungsspielräume richtig nutzen, wird aufgezeigt, wie sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anwenden und Ermessensfehler vermeiden können. Das Beispiel eines Täuschungsversuchs bei einem Leistungsnachweis veranschaulicht die juristische Denktechnik bei der Gutachtenerstellung.

Kapitel 5 befasst sich mit der Interpretation von [8]Normen. Schulgesetze enthalten häufig vom Gesetzgeber beabsichtigte Unschärfen, sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe (wie »erhebliche Störung des Schul- oder Unterrichtsbetriebs«) oder Generalklauseln (wie »aus wichtigem Grund«). In der Rechtsanwendung müssen diese Begriffe zutreffend ausgelegt werden. Lehrer werden zu angewandten Linguisten. Das Kapitel gibt dazu Anleitungen und Hinweise für die Abfassung schriftlicher Bescheide.

Am Ende verfügen die Leserinnen und Leser über das Handwerkszeug für rechtssicheres Handeln im Schulalltag.

[9]1 Schule ohne Rechte?Schulrecht und pädagogische Freiheit

Im einleitenden Kapitel wird dargestellt, wie das heutige Schulrecht entstanden ist und warum es den Kern der »pädagogischen Freiheit« der Lehrkräfte bildet. Es wird deutlich, dass erst die Schulgesetze, die um die 1990er-Jahre von den Parlamenten verabschiedet wurden, zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geführt und damit zur Professionalisierung des Lehrerberufs beigetragen haben.

1.1 Braucht Schule Gesetze?

Lehrer und Schüler – ein besonderes Verhältnis

In der Schule tut man sich schwer mit dem Recht. Wie soll ein trockener, in Paragrafen gegliederter Text der besonderen Beziehung zwischen Lehrern und Schülern gerecht werden? Schule lebt von Zwischenmenschlichkeit und Vertrauen. Ist die Beziehung ohne Probleme, lernen die Schüler besser und die Lehrkräfte sind in ihrem Beruf zufriedener (Felten 2020). Das Recht wirkt in diesem Fall wie ein Fremdkörper; statt füreinander da zu sein und Probleme im Gespräch zu lösen, beruft man sich auf eine höhere Instanz und stört so das gute Verhältnis.

In dieser idealen Welt braucht es keine Gesetze. Aber Schüler und Lehrer verbindet keine Freundschaft, die man im Notfall beenden könnte. Das Verhältnis ist von Abhängigkeiten geprägt. Lehrkräfte verfügen über Amtsautorität, [10]können belohnen und bestrafen, über Versetzungen entscheiden und die Beziehung zu ihren Schülern nach ihren Vorstellungen gestalten. Was geschieht, wenn diese Macht missbraucht wird? Baut man allein auf das individuelle moralische Handeln der Lehrkräfte, dann wären Schüler im Extremfall schutzlos gestellt. Umgekehrt könnten sich Lehrkräfte nicht auf für alle geltende Normen berufen, wenn sie unter Disziplinlosigkeit leiden oder allzu fordernden Eltern gegenüberstehen.

Es stellt sich daher die Frage nach der Alternative: Können Schulgesetze im pädagogischen Raum Verbindlichkeiten schaffen, um das soziale Miteinander von Lehrkräften, Schülern und Eltern zu regeln und zur individuellen Konfliktlösung beizutragen?

Bis in die 1970er-Jahre: ein »besonderes Gewaltverhältnis«

Die Antwort ist auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht nicht so eindeutig, wie man erwartet (Stolleis 2012: 216–246). Noch 1961 heißt es in der Begründung zum hessischen Schulverwaltungsgesetz, dass die Unterrichts- und Erziehungstätigkeit Situationen schaffe, die nicht reglementiert sind: »Die Entscheidung darüber, wo für den einzelnen Lehrer die Grenze seiner Freiheit liegt, ist im Einzelfall weitgehend Tat- und Taktfrage.« (Hessischer Landtag 1961: 2812)

Weil die Schule einen erzieherischen Zweck verfolgt, sind Schüler in der Wahrnehmung ihrer persönlichen und staatsbürgerlichen Rechte beschränkt. Schule und Schüler stehen – so der juristische Fachbegriff – in einem »besonderen Gewaltverhältnis« zueinander. Anstelle des [11]allgemeingültigen Rechts, das eingefordert werden kann, tritt das Vertrauen auf die Lehrkräfte als moralische Instanzen. Der Maßstab ist der pädagogische Takt. Dieser wird aber von jeder Lehrkraft anders praktiziert. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass eine solche Individualisierung des pädagogischen Bezugs fatale Konsequenzen haben kann, vor allem, wenn man die Schule als einen Ort betrachtet, der sich den Grundrechten entzieht. Im schlimmsten Fall entsteht nachhaltiger Schaden bei Kindern und Jugendlichen, wie Missbrauchsfälle zeigen.

Zwar sah auch das Schulrecht der 1960er-Jahre vor, dass das besondere Gewaltverhältnis nicht gänzlich unbeschränkt ausgestaltet sein darf, sondern in Schulordnungen geregelt sein muss. Diese Schulordnungen waren jedoch nicht das Produkt demokratischer Entscheidungsprozesse, sondern wurden von den Kultusministerien und den Schulen selbst erlassen. Ihr Sinn bestand weniger darin, Rechte zu statuieren, als Pflichten und Konsequenzen aufzuzeigen. Man ging davon aus, dass Fachleute sich besser mit schulischen Angelegenheiten auskennen als das Parlament. Schüler blieben in dieser Konstellation der schwächere Part, pädagogisch abhängig und rechtlich weitgehend wehrlos.

Die Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre führte auch im Schulbereich zu einer zunehmenden Demokratisierung, der sich die Kultusministerien nicht entziehen konnten. So wurden den Schülern in der Bayerischen Allgemeinen Schulordnung 1973 weitgehende Informations-, Anhörungs-, Vorschlags- und Beschwerderechte eingeräumt (BayGVBl. 1973: 549). Im Grundsatz aber blieb das besondere Gewaltverhältnis bestehen. Ausgerechnet in der Schule galt nicht das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.

[12]Ab den 1980er-Jahren: Schule als Teil des Rechtsstaates

Die Wendung brachten nicht gesellschaftliche oder politische Initiativen, sondern Gerichtsentscheidungen. 1972 setzte sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit von Strafgefangenen auseinander. Es erteilte der Ansicht eine Absage, dass Gefangene in einem besonderen Gewaltverhältnis stünden und ihre Grundrechte relativierbar seien. Die Staatsgewalt sei durch Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden und dürfe diese nicht beliebig einschränken. Dies sei nur dann vorstellbar, wenn es »zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerlässlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht« (BVerfGE 33, 1, Rn. 11). Hierzu sei in jedem Fall ein formelles Gesetz notwendig.

Formelle und materielle Gesetze

Formelle Gesetze sind Gesetze, die vom Parlament ggf. unter Mitwirkung weiterer Gesetzgebungsorgane beschlossen und in den Gesetzesblättern verkündigt werden.

Materielle Gesetze sind für jedermann und nicht nur im Einzelfall geltende Regelungen, die entweder von Parlamenten als formelle Gesetze verabschiedet oder von Bundes- bzw. Landesbehörden als Rechtsverordnungen erlassen werden.

Rasch wurde klar, dass Schüler jedenfalls nicht anders behandelt werden dürfen als Strafgefangene. In seinem Urteil [13]zur Einführung der Förderstufe in Hessen verpflichtete das Bundesverfassungsgericht im gleichen Jahr den Gesetzgeber, »im Bereich der Grundrechtsausübung die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre selbst abzugrenzen und nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörde zu überlassen« (BVerfGE 34, 165, Rn. 193). Zumindest wesentliche schulrechtliche Regelungen dürfen folglich nicht durch die Kultusministerien oder Schulen getroffen werden, sondern obliegen den Landesparlamenten. Will ein Kultusministerium Rechtsverordnungen erlassen, dann muss es hierzu durch ein formelles Gesetz ermächtigt worden sein. Es kann also nicht willkürlich tätig werden. Die Schule steht erstmals nicht mehr außerhalb des demokratisch organisierten Staates, und die Bürger haben zumindest über die Parlamente die Möglichkeit, auf die Gestaltung von Schule Einfluss zu nehmen.

Die eingangs gestellte Frage, ob Schulgesetze notwendig sind, lässt sich jetzt beantworten. Durch formelle Gesetze wird die Schule rechtsstaatlicher und demokratischer: rechtsstaatlicher, weil staatliches Handeln an Nachvollziehbarkeit gewinnt; demokratischer, weil nicht die Exekutive die grundsätzlichen Belange der Schule regelt, sondern das Parlament, das ein unmittelbares Mandat des Volkes hat.

Rechtsstaatlichkeit von Schule

Die Schule ist an die Grundrechte gebunden. Sie kann sich nicht (mehr) auf ein besonderes Gewaltverhältnis berufen.

Bedeutsame, vor allem grundrechtsrelevante Angelegenheiten im Schulbereich müssen in einem formellen Gesetz geregelt sein (Wesentlichkeitstheorie).

[14]Rechtsverordnungen (materielle Gesetze) dürfen von den Kultusministerien nur dann erlassen werden, wenn sie hierzu durch ein formelles Gesetz ermächtigt sind.

Die Schule darf nicht gegen Gesetze verstoßen (Vorrang des Gesetzes).

Die Schule darf nur dann in die Rechte ihrer Schüler eingreifen, wenn sie hierzu durch ein Gesetz befugt ist (Vorbehalt des Gesetzes).

In die Grundrechte der Schüler und Eltern darf auch in der Schule nur durch ein Gesetz eingegriffen werden. Je stärker die Grundrechte von Schülern, aber auch von Eltern durch die Schule tangiert sind, je detaillierter muss die gesetzliche Regelung sein. Auf diese Weise wird verhindert, dass das Parlament zwar ein Schulgesetz beschließt, dieses aber inhaltlich so undetailliert lässt, dass zentrale Aspekte doch wieder von der Exekutive vorgegeben werden.

Das Schulverhältnis ist zwar immer noch von Über- und Unterordnung gekennzeichnet, aber die Schule ist nun an das bestehende Schulgesetz gebunden. Verstößt beispielsweise eine Lehrkraft gegen eine Norm, so führt dieser Rechtsverstoß zur Unwirksamkeit der fraglichen Maßnahme und zu Ansprüchen, die im Verwaltungsrechtsweg durchgesetzt werden können.

Die Bindung von Schule an ein formelles Schulgesetz befreit die Beteiligten von willkürlichen Beschränkungen oder falschem Entgegenkommen und schützt die Rechte der Schwächeren. Aus Sicht der Schüler und Eltern entsteht Verlässlichkeit über die Moral der handelnden Personen hinaus. Denn die Schule ist an das Gesetz gebunden und [15]hat alle Maßnahmen zu unterlassen, die gegen das Gesetz verstoßen. Die Bindung an das Gesetz führt auch zu einer stärkeren Transparenz des Lehrerhandelns. Statt auf etablierte Praktiken, Vorgaben vorgesetzter Behörden und herrschende Meinungen zu verweisen, können Lehrkräfte ihre Entscheidungen unter Bezugnahme auf das Gesetz legitimieren.

Es ist verwunderlich, dass es gerade in der Schule Zeit brauchte, bis auch hier das besondere Gewaltverhältnis als Relikt gesehen wurde, das dem Rechtsstaatlichkeits- und Demokratieprinzip widerspricht. Wie kann die Schule zur Demokratie erziehen, wenn sie für sich selbst demokratische Grundprinzipien wie die Gewaltenteilung nicht gelten lassen will?

Vom Ende des besonderen Gewaltverhältnisses bis zu den entsprechenden formellen Schulgesetzen dauerte es noch eine Weile. In der Übergangszeit spielte die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages eine zentrale Rolle. Diese legte 1981 einen Entwurf für ein Schulgesetz vor, der in allen Bundesländern zur Blaupause wurde, um die grundlegenden Entscheidungen für die Schule parlamentarisch zu regeln und nicht mehr der Exekutive zu überlassen.

[16]1.2 Die Stellung der Lehrkräfte

Die »pädagogische Freiheit«

Rechtsstaatlichkeit in der Schule kann nur durch inhaltlich hinreichend bestimmte Gesetze erreicht werden. Damit verbunden ist die Sorge von Lehrkräften, dass sie in ihrem pädagogischen Handlungsspielraum eingeschränkt werden. Dies wiegt umso mehr, als dass die Lehrfreiheit – wie sie in Art. 5 Abs. 3 GG für die akademische Lehre statuiert ist – nicht für Lehrkräfte an Schulen gilt (Dürig/Herzog/Scholz/Gärditz 2023, GG Art. 5 Abs. 3, Rn. 115 ff.). Das Grundgesetz betont nämlich den allein für die Universität typischen Zusammenhang von Forschung und Lehre. Lehre meint die Weitergabe des Erforschten, sodass allein Hochschullehrer, die ein wissenschaftliches Fach aufgrund ihrer Qualifikation selbstständig vertreten, unter den Schutzbereich der Norm fallen. Trotzdem ist es allgemein anerkannt, dass auch Lehrkräfte an Schulen ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie einen Freiraum genießen. Würde ihnen alles vorgeschrieben, dann könnten sie nicht mehr flexibel auf die Unterrichtssituation und auf einzelne Schüler eingehen (Rux 2018, Rn. 1133 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht greift die Befürchtung von Gängelung auf, sieht aber in formellen Schulgesetzen gerade eine Abhilfe für die Regelungsflut: »Soweit die Gefahren einer zu weit gehenden Verrechtlichung oder Vergesetzlichung des Schulwesens beschworen werden, insbesondere im Hinblick auf die pädagogische Freiheit des Lehrers, die notwendige Flexibilität der Schule und die drohende Überlastung der Parlamente, geht die Kritik zu [17]einem großen Teil an den tatsächlichen Verhältnissen und rechtlichen Gegebenheiten vorbei. Nicht die durch Art. 20 Abs. 1 und 3 GG verfassungsrechtlich gebotene gesetzliche Verankerung staatlicher Eingriffe und Leistungen im Schulrecht bewirkt eine unangemessene Einschränkung der grundrechtlichen Freiheiten der Schüler, der Lehrer und der Eltern. Vielmehr führt oft die bis zum Perfektionismus gesteigerte Bürokratisierung und Bevormundung der Schule durch die Kultusverwaltungen zu weitgehend unkontrollierter und im Lichte der Grundrechtsgeltung zweifelhafter Rechtsbeeinträchtigung der Betroffenen.« (BVerfGE 58, 257, Rn. 270 f.)

Die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages (1981: 98, 306 ff.) verfolgt in ihrem Schulgesetzentwurf den gleichen Gedanken. Um die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte gegen zu starke Eingriffe durch die staatliche Schulverwaltung, die Schulleitung und Konferenzen zu schützen, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.

Alle Schulgesetze räumen, dem Vorschlag der Kommission folgend, pädagogische Freiräume ein. Besonders weit gehen etwa Hessen, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, die die Formulierung der Kommission übernehmen. In § 100 Abs. 2 SchulG M-V heißt es: »Die Lehrerinnen und Lehrer unterrichten und erziehen in eigener pädagogischer Verantwortung. […] Die für die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Lehrerin oder des Lehrers erforderliche pädagogische Freiheit darf durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Konferenzbeschlüsse nicht unnötig oder unzumutbar eingeengt werden.« Mit dem parlamentarischen Bekenntnis zur pädagogischen Freiheit bleibt es der staatlichen Schulverwaltung verwehrt, die [18]Lehrkräfte in ihrem pädagogischen Wirken zu bevormunden.

Pädagogische Freiheit

Unter der pädagogischen Freiheit versteht man den Anspruch einer Lehrkraft, Unterricht und Erziehung eigenverantwortlich so zu gestalten, dass für die Schüler optimale Lernbedingungen entstehen. Die pädagogische Freiheit ist durch den staatlichen Erziehungsauftrag begrenzt.

Umstritten ist, ob Lehrkräfte aus der pädagogischen Freiheit ein einklagbares Recht ableiten können (Wißmann 2002; Rux 2018, Rn. 1136 ff.; Weskamp 2023). Voraussetzung hierfür wäre, dass die Lehrkraft geltend machen kann, in ihren eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Genau dies ist aber schwierig. Nur wenn die Lehrkraft argumentieren kann, dass die Beeinträchtigung ihrer pädagogischen Freiheit nicht lediglich das innerdienstliche Verhältnis betrifft, ist eine Klage zulässig. Deshalb weist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eine Klagebefugnis ausdrücklich zurück. Die pädagogische Freiheit sei den Lehrkräften nicht um ihrer selbst willen, sondern aufgrund des Amtes eingeräumt. Es gehe nicht um eine personale Freiheit, sondern um eine Freiheit, die auf den Schulzweck ausgerichtet ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. 10. 1997, 4 S 596/95).

Folgt man dieser Ansicht, so bringt man Lehrkräfte allerdings in eine widersprüchliche Situation: Sie tragen einerseits die »unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Schüler« (§ 38 Abs. 6 SchG [19]BW), müssen Weisungen von Vorgesetzten aber selbst dann befolgen, wenn sie sie für unzweckmäßig halten. Die pädagogische Freiheit könnte dann leicht zu einem Lippenbekenntnis werden. Aber selbst wenn man in ihr kein subjektives Recht der Lehrkraft sieht, bindet sie die Verwaltung und schulische Gremien. Diese müssen jeweils prüfen, ob eine Entscheidung im Hinblick auf die pädagogische Freiheit unnötig oder unzumutbar ist. Wird dies bejaht, darf eine solche Maßnahme nicht getroffen werden.

Diesem Gedanken folgt das Bundesverwaltungsgericht, wenn es feststellt, dass die Gehorsamspflicht von beamteten Lehrkräften (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) insoweit im Vergleich zu anderen Beamten begrenzt ist. Sie unterliegen im Hinblick auf ihre »eigene pädagogische Verantwortung jedenfalls keinem unbeschränkten Weisungsrecht« (BVerwG, Beschluss vom 28. 1. 1994, 6 B 24/93). Da die Zahl von Klagen, die bislang zur Durchsetzung der pädagogischen Freiheit eingereicht wurden, gering ist, kann man davon ausgehen, dass das Prinzip allgemein anerkannt ist (Beaucamp 2015: 158).

Professionalisierung durch das Recht

Mit der Aufnahme der pädagogischen Freiheit in das Schulgesetz zeigen die Landesgesetzgeber, dass sie den Lehrerberuf als Profession und nicht einfach als Beruf verstehen. Professionen zeichnen sich durch vier wesentliche Elemente aus: Autonomie; abstraktes, akademisiertes Wissen; Gemeinwohlorientierung; Autorität (Mieg 2016: 28 ff.). Die pädagogische Freiheit ist hierfür der Schlüssel.

[20]Schon vom Begriff her schafft die pädagogische Freiheit die erforderliche Autonomie und stellt gleichzeitig den für Professionen typischen Klientenbezug her. Weil sie nicht um ihrer selbst willen gewährt wird, sondern der Bildung von jungen Menschen dient, braucht ihre Verwirklichung eine entsprechende Wissensbasis. Hierzu durchlaufen, ebenfalls professionstypisch, alle Lehrkräfte eine zweiphasige Ausbildung (Lehramtsstudium und Vorbereitungsdienst) und aktualisieren ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in der berufsbegleitenden Fortbildung. Lehrkräfte sind in ihrer Tätigkeit auch dem Gemeinwohl verpflichtet; sie arbeiten nicht aus Profitinteresse. Dies gebietet bereits ihr Status als Beamte, den sie in der Regel innehaben. Beamte müssen nämlich, dem Beamtenstatusgesetz folgend, uneigennützig der Allgemeinheit dienen und erhalten dafür eine amtsangemessene Alimentation. Man wird aber auch bei angestellten Lehrkräften Uneigennützigkeit unterstellen. Autorität meint, ein »Zuständigkeitsmonopol« (Mieg 2016: 29) zu haben. Nur ausgebildete Lehrkräfte können und dürfen unterrichten.

Die Freiheit der Profession hat aber Grenzen. Auch in anderen Professionen wie Ärzten oder Juristen gelten Gesetze und zumeist Berufsordnungen. Bei Lehrkräften findet sich die Grenze bereits im Grundgesetz in der Verpflichtung des Staates zur Aufsicht über das Schulwesen (Art. 7 Abs. 1 GG). Die Praxis in der Schule ist durch ein Zusammenspiel beider Aspekte geprägt: Der Staat bestimmt die Grundlinien, die Lehrkraft sorgt in der weitgehend freien Ausgestaltung für den Erfolg und die Qualität des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags (Dürig/Herzog/Scholz/Badura 2023, GG Art. 7, Rn. 61).

[21]