Schwarz auf weiß - Nikeata Thompson - E-Book

Schwarz auf weiß E-Book

Nikeata Thompson

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Beschreibung

Wer erfolgreich sein will, muss Mut haben. Nikeata Thompson weiß das, denn als Schwarze Frau im deutschen Showbusiness war ihr Weg nicht immer easy. Sie ist als Kind aus England nach Deutschland gekommen und hat sich gegen alle Widerstände durchgesetzt: Über den Einstieg als Tänzerin hat sie Karriere als Stagecoach und Jurorin bei Shows wie GNTM gemacht und leitet heute eine der größten Tänzeragenturen Deutschlands. Und Nikeata kämpft gegen Rassismus, Vorurteile und Ungerechtigkeit. Sie macht sich stark für Selbstliebe, Body Positivity, Sichtbarkeit und Vielfalt. Eine Frau, die Mut macht, sich selber treu zu sein und für sich selbst einzustehen.
»Schwarz auf weiß« ist eine Reise zu sich selbst, bei der es um alles geht, um Body, Soul and Mind, eine Reise, von der ein starker Impuls ausgeht: Stell Dich Deinen Verletzungen. Gib nicht auf. Lebe Deinen Traum!

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Das Buch

Kein Traum ist zu verrückt, um wahr zu werden!

Wer erfolgreich sein will, muss Mut haben. Nikeata Thompson weiß das, denn als Schwarze Frau im deutschen Showbusiness war ihr Weg nicht immer easy. Sie ist als Kind aus England nach Deutschland gekommen und hat sich gegen alle Widerstände durchgesetzt: Über den Einstieg als Tänzerin hat sie Karriere als Stage-Coach und Jurorin bei Shows wie GNTM gemacht und leitet heute eine der größten Tänzer:innen-Agenturen Deutschlands. Und Nikeata kämpft gegen Rassismus, Vorurteile und Ungerechtigkeit. Sie macht sich stark für Selbstliebe, Body Positivity, Sichtbarkeit und Vielfalt. Eine Frau, die Mut macht, sich selber treu zu sein und für sich selbst einzustehen.

»Schwarz auf weiß« ist eine Reise zu sich selbst, bei der es um alles geht, um Body, Soul und Mind, eine Reise, von der ein starker Impuls ausgeht: Stell dich deinen Verletzungen. Gib nicht auf. Lebe deinen Traum!

NIKEATA

THOMPSON

Mit Thembi Wolf

SCHWARZ WEISS

Trau dich zu träumen

und schaff das Unmögliche

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Disclaimer: Der Begriff »Schwarz« wird in diesem Buch groß geschrieben. Er bezeichnet keine Eigenschaft, die sich auf eine Hautfarbe bezieht, sondern wird bewusst von Menschen als Selbstbezeichnung gewählt, die aufgrund ihrer Hautfarbe Erfahrungen mit Rassismus machen.

Originalausgabe 2021

Copyright © 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Evelyn Boos-Körner

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,

unter Verwendung eines Fotos von © Sebastian Busse

Fotos Bildteil: Copyright © Nikeata Thompson privat

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-27934-9V001

www.heyne.de

Inhaltsverzeichnis

Die goldene Regel:

Glaub an dich!

NIKEATAS LIFE LESSON: VISUALISIERUNGEN

Regel eins:

Never forget, where you come from!

NIKEATAS LIFE LESSON: SELBSTVERTRAUEN

Regel zwei:

Change your Narrative!

NIKEATAS LIFE LESSON: EINZIGARTIGKEIT

Regel drei:

Nimm dir deinen Raum!

NIKEATAS LIFE LESSON: RESPEKT

Regel vier:

Dream Big!

NIKEATAS LIFE LESSON: SELBSTWERT UND ZIVILCOURAGE

Regel fünf:

Never stop working!

NIKEATAS LIFE LESSON: FINANZEN

Regel sechs:

Be Yourself!!

NIKEATAS LIFE LESSON: SELBSTBEHAUPTUNG

Regel sieben:

Black Lives Matter!

NIKEATAS LIFE LESSON: VERBÜNDETE FINDEN

Regel acht:

Stand up and be counted!

NIKEATAS LIFE LESSON: MUT

Du hast es in der Hand –

Das Glossar

Danksagung

Bildteil

Die goldene Regel: Glaub an dich! Oder: Die vierte Hürde

Man sagt, das Leben ist ein Marathon. Und das stimmt, aber manchmal ist es auch ein Sprint und oft ein Hürdenlauf.

Als junge Frau war ich für eine Weile die schnellste Läuferin Deutschlands, Deutsche Meisterin im Hürdenlauf und die Hoffnung für Olympia. Aber wie so oft im Leben, kommt ein Wettkampf, in dem du versagst.

Zuerst lief alles wie immer. Schon an der ersten Hürde ging ich in Führung. An der vierten Hürde verhakten sich meine Beine, und mir wurde schwarz vor Augen. Ich stürzte und verlor. Beim nächsten Training nahm ich Anlauf, lief und blieb vor der vierten Hürde plötzlich stehen.

Eine unsichtbare Wand hielt mich davon ab weiterzulaufen. Von da an ging es ein ganzes Jahr so, immer startete ich mit Abstand – und war gelähmt von der Wand vor der vierten Hürde. Ich trainierte immer härter und verlor trotzdem jeden einzelnen Wettkampf. Was blockierte mich? Ich konnte es nicht erklären. Das Schlimmste war: Irgendwann verlor nicht nur ich selbst, sondern auch die Menschen um mich herum den Glauben an mich.

Jeder kennt diese »vierte Hürde«, die einem das Leben in den Weg stellt und die unüberwindbar zu sein scheint. Auch wenn man es immer und immer wieder versucht.

Willi Schmitz, mein kluger Trainer, sagte damals zu mir: »Nikeata, heute Abend im Bett stellst du dir vor, wie du aufstehst, wie du frühstückst, wie du deinen Glücksbringer einpackst, wie du auf den Startblock gehst und wie du gewinnst.«

Er wollte, dass ich meine Blockade so überwinde. Ich sollte visualisieren, mir meinen Traum vom Sieg also ausmalen. Ich nickte, obwohl ich noch nicht richtig daran glaubte. Aber ich hatte es Willi versprochen, also visualisierte ich meinen Sieg. Ich stellte mir vor, wie meine Pflegefamilie jubeln würde und meine Klassenkamerad:innen mir am nächsten Tag in der Schule ein High five geben.

Und ich gewann.

In diesem Buch erzähle ich, wie ich die Hürden in meinem Leben überwinden konnte. Und auch, wie ich irgendwann keine Lust mehr hatte, geradeaus zu laufen, und mit dem Tanzen anfing. Wie ich gegen alle Widerstände das erreichte, wovon ich immer geträumt hatte.

Mittlerweile gibt es drei dunkelhäutige Frauen im deutschen Prime-Time-Fernsehen, die regelmäßig zu sehen sind: Motsi Mabuse, Florence Kasumba und ich. Mir wird oft gesagt, ich würde gerne über das Thema Rassismus sprechen. Das ist Quatsch. Ich muss mich damit beschäftigen. Es ist eine weitere Hürde in meinem Leben.

Denn um erfolgreich und glücklich zu werden, müssen wir uns trauen, an das zu glauben, was wir erhalten, wenn wir die Hürden überwunden haben. Wir müssen uns trauen zu träumen.

NIKEATAS LIFE LESSON: VISUALISIERUNGEN

Jeder Mensch hat seine eigene Art und Weise, Informationen aufzunehmen. Ich bin eher der visuelle Typ, und daher sind für mich – wie für viele andere Menschen – Visualisierungen besonders hilfreich.

Um es mit William Arthur Wards geflügelten Worten zu sagen: »If you can imagine it, you can achieve it. If you can dream it, you can become it.«

Visualisierungen helfen mir auch heute noch bei Lampenfieber. Zusätzlich hilft mir der Gedanke, zu wissen, wofür ich das alles tue. Mein Endziel im Kopf zu haben und mir bewusst zu machen, dass ich gerade einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gehe, gibt mir die nötige innere Ruhe.

Unser Unterbewusstsein kann nämlich eine vorgestellte und eine tatsächliche Erfahrung nicht auseinanderhalten. Durch das Üben von Visualisierung lernen wir, neue Eindrücke in unseren Geist zu lassen. Ideal ist es, ein Bild in unserem Bewusstsein zu halten und es mit einer Emotion zu verknüpfen.

»Where focus goes energy flows!« Ich glaube, dass Energie dorthin fließt, wohin man die eigene Aufmerksamkeit lenkt. Um im Leben das zu erreichen, was wir uns von Herzen wünschen, brauchen wir ein klares Ziel vor Augen, das von einem Purpose und einer Bedeutung gestützt wird. Erst dann können wir unsere kostbare Energie auf genau dieses Ziel fokussieren und es mit Vehemenz verfolgen.

Der Leistungssport hat mir beigebracht, eine Kämpferin zu sein, durchzuhalten und Dinge so lange zu probieren, bis sie klappen.

Auch wenn die Sterne gegen mich stehen. Erfolg ist die Belohnung dafür, dass man nicht aufgibt – was nicht heißt, dass auch eine gewisse Portion Glück und gutes Timing nötig sind.

Regel eins: Never forget, where you come from!

Ich wurde im August 1980 in Birmingham geboren. Mein leiblicher Vater und seine Familie sind Jamaikaner. Sein Vater, also mein Großvater, ist damals zum Arbeiten nach England gekommen, genau wie die Türken und Italiener nach Deutschland. Ich habe eine britische Mutter, Pauline, die groß und schlank, sanft, ruhig, strategisch ist und sehr bestimmend sein kann. Ich habe auch eine deutsche Mutter. Sie ist herzlich, klein, frech, laut, kommunikativ, mit einer starken Willenskraft und war 40, als sie mich kennengelernt hat. Aber dazu später mehr.

Meine britische Mutter gab mir vier Namen, mein liebster darunter ist Nzinga. Ich wurde nach Nzinga von Matamba benannt, der wohl größten afrikanischen Königin, die im 17. Jahrhundert über das heutige Angola herrschte. Eine kluge Diplomatin, eiskalte Taktikerin und temperamentvolle Queen. Meine Mutter gefiel der Glauben vieler afrikanischer Kulturen, dass ein Kind, das nach einem starken Menschen benannt ist, denselben Charakter bekommt. Sie sagt, das habe doch ganz gut funktioniert. Die Unbesiegbare!

Unser kleines Reihenhaus in England stand in Selly Oak, einem eher weißen Viertel von Birmingham, der zweitgrößten Stadt Großbritanniens. Das bunte Stadtzentrum war etwa eine halbe Stunde mit dem Bus entfernt. In anderen Gegenden von Birmingham wohnten indische, pakistanische und Schwarze Familien Tür an Tür. Bei uns lebten gutbürgerliche, weiße Familien in ordentlichen Reihenhäusern aus den typischen roten Klinkersteinen.

Betrat man mein Zuhause, kam zuerst ein schmaler Flur, in dem links alles stand, was man so braucht: Schuhe und natürlich Regenschirme. Denn in England regnet es eigentlich immer. Dahinter kam das Wohnzimmer mit den knallbunten Gardinen, dem Kamin und einem riesigen Wandteppich. Auf diesem neonorangen Teppich waren eine Schwarze Frau und ein Schwarzer Mann abgebildet, die ineinander verschlungen schienen. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie Liebe zelebrierten. Ich fand das schön, denn insbesondere »Black Love« ist ein Bild, das wir in Medien, der Literatur oder Kunst nicht oft zu sehen bekommen. Hinter dem Wohnzimmer folgte die Küche und natürlich der backyard, unser kleiner Garten. Eine steile Treppe führte in das Zimmer meines Bruders, das von Mama, in meines und ins Bad.

Man denkt oft, Häuser müssen groß und ausladend sein, um glücklich zu machen. Aber dort, wo es eng ist, ist man näher zusammen. Ich habe schon damals gelernt, dass ich gar kein riesiges Loft brauche, um glücklich zu werden. Ich brauche Türen. Ich brauche ein Zuhause, das Gemütlichkeit und Schutz bietet, damit ich Kraft tanken kann. Wings and Roots. Wurzeln und Flügel.

Meine britische Mutter, Pauline, ist eine schöne, elegante Frau. Sie hatte eigentlich als Schauspielerin auf den Bühnen dieser Welt stehen wollen. Und für eine kurze Weile sah es so aus, als würde sie diesem Traum näher kommen. Pauline nahm Schauspielstunden und ergatterte sogar ein paar Rollen. Ihr größter Erfolg war eine Nebenrolle in einer Theateraufführung von Anna und der König in London. Aber sie hatte nicht einmal genug Geld, um sich Abzüge der professionellen Fotografien der Vorführung zu kaufen. Mein großer Bruder war zu dieser Zeit bereits auf der Welt. Und als Schwarze, alleinerziehende Frau konnte sie sich den Schauspielunterricht bald nicht mehr leisten.

Obwohl ihr eigener Traum nie Wirklichkeit wurde, verlor meine Mutter aber nicht den Glauben daran, dass wir alles im Leben erreichen können, was wir uns vornehmen. Sie sagt mir und meinen Brüdern immer wieder, wie ein Mantra:

»Glaubt an euch. Habt Ambitionen. Und lasst euch bloß nicht einreden, dass ihr etwas nicht schaffen könnt. Ihr seid fähig. Ihr könnt erreichen, was ihr wollt. Ihr seid schön!«

Meine britische Mutter war liebevoll, aber auch streng. Es gab drei Regeln in unserem Haus. Nummer eins: Manieren! Sprich respektvoll mit Menschen, besonders Älteren. Nummer zwei: Lüg nicht. Und drittens: Arbeite hart.

Wenn ich doch aufmüpfig wurde oder Flausen im Kopf hatte, sagte meine Mutter diesen Satz zu mir: »Never forget, where you come from.« Vergiss nie, wo du herkommst. Ich habe erst viel später verstanden, was sie damit meinte.

Es war meiner Mutter immer wichtig, dass ich die Schwarze Geschichte kenne. Sie erzählte mir oft von Dido Elizabeth Belle, einer Schwarzen Adligen im England des 18. Jahrhunderts. Ihre Mutter soll eine Sklavin gewesen sein, ihr Vater ein Marineoffizier. Das Königshaus hatte zur selben Zeit auch afrikanische Königinnen nach England verschleppt, die mussten ihre Tracht ablegen und stattdessen europäische Kleidung tragen. Manche wurden eine Art adlige Prostituierte. Und heute noch trägt die Queen Diamanten aus Afrika in der Krone.

Meine Mutter erzählte mir das alles, weil sie mir etwas vermitteln wollte. Ich sollte wissen, dass es kein Zufall ist, wenn Schwarze Menschen heute schlecht bezahlte Jobs haben. Es gibt einen Grund dafür. Denn die Generationen vor uns hatten nicht die gleichen Chancen wie weiße Menschen. Das Land, auf dem wir heute leben, ist nicht unser Land, nicht das Land unserer Vorfahren. Die Kolonisatoren haben aber das, was unser Land war, für sich deklariert. Sie haben es genommen und ausgebeutet. All das steht nur so nicht in unseren Schulbüchern.

Wann immer es sich ergab, arbeitete Pauline als »Mannequin«, also als Model. Sich als Schwarze Frau einfach nur schön fühlen zu dürfen war ein Luxus. Um Geld zu verdienen, kochte sie und betrieb einen kleinen Eine-Frau-Cateringservice für Kindergärten, Chorkonzerte und ein Jugendzentrum.

Das Kochen war nicht ihre größte Leidenschaft, sondern eher eine Möglichkeit, um die Brötchen zu verdienen. Trotzdem liebte sie es, ihr eigener Chef zu sein. Sie kochte mal Chili con Carne, mal karibischen Reis mit Bohnen, Rind oder Hühnchen. Denn sie wollte ihren Kund:innen einen Geschmack anderer Kulturen mitgeben.

Am berühmtesten ist bis heute ihr Apple Crumble. Pauline hatte einen Wettbewerb mit ihrer Cousine laufen, wer den besten »Apfel-Krümel-Kuchen« von Birmingham machte. Meine Mutter gewann natürlich. (Das Geheimnis lautet: Krümel nach unten und die Äpfel nach oben, bis die Backform gefüllt ist. Dabei die Schichten exakt gleich verteilen!)

Sieht man sich alte Familienfotos von uns an, dann könnte man denken, wir wären vom Set von In Living Color weggelaufen. Das war die erste Comedyserie, die sich in den 90ern traute, Black Comedy ins Fernsehen zu bringen. Mit Schwarzen Schauspielern, Umgangssprache und Insider-Witzen, über die man nur mit Schwarzen Familien lachen konnte. Wir tragen auf den Bildern knallbunte Pullover mit schreienden 80er-Jahre-Mustern: eine kleine, fröhliche Familie.

Als ich zwei war, verließ meine Mutter meinen Vater. Und sie sprach darüber so weise, wie sie über alle Dinge spricht: »Es hat nicht ewig gehalten. Aber während es da war, war es gut. Und du bist entstanden.«

Ich hatte immer mein eigenes Zimmer, aber mein Lieblingsort in unserem Haus war die Küche. Denn dort tanzte meine Mutter mit mir auf dem glatten Steinboden. Manchmal holte ich dazu ihre »Klack-Klack-Schuhe« aus dem Flur und machte ein paar Schritte, die ich von ihr gelernt hatte.

»Oh no, thatʼs not how you do the bogle!«, sagte meine Mutter dann mit gespielter Empörung. Und dann zeigte sie mir, wie man den jamaikanischen Dancehall-Move richtig macht. Pistolenhände in die Luft! Brust nach hinten lehnen! Und aus der Hüfte eine Wellenbewegung! Mir wurde erzählt, dass der »Erfinder« des Bogles Gerald Levy, aka »Father Bogle«, ein zu kurzes Bein hatte und dadurch diese besondere Form der Bewegung zustande kam.

Während ich mich nicht an viele Details aus meiner frühen Kindheit erinnern kann, ist mir eines für immer in Erinnerung geblieben, nämlich dass wir sehr viel tanzten. Tanzen war einfach ein wichtiger Teil des Zuhause-Gefühls.

Ich hasste es, morgens aufstehen zu müssen. Also wollte meine Mutter es mir erleichtern. Sie legte eine Michael-Jackson-Platte auf, frittierte Kochbananen, die bis in mein Zimmer dufteten, und mein Bruder Jason tanzte den Moonwalk auf dem Boden meines Kinderzimmers, bis ich klatschte und mitmachte.

Wir hatten einen Esstisch, aber die Stühle und Sessel standen meist nicht dort, sondern im Kreis. In der Mitte war dann nämlich eine kleine Bühne mit genug Platz für unsere moves. Ich erinnere mich, wie bei Geburtstagen oder Partys die älteren Gäste dort saßen, uns zum Performen aufforderten und klatschten, während wir Kinder in der Mitte zeigten, wie gut wir tanzen konnten.

Der Dancehall-Musiker Yellowman war damals der große Star der 80er. Er machte den Jockey Move, der aussah, als ob man ein Pferd reitet. Ich beobachtete die Erwachsenen dabei, wie sie ihn tanzten, und perfektionierte die Schritte heimlich, bis ich meiner überraschten Mutter den perfekten Jockey Move vorführte. Ich war damals schon sehr motiviert und entschlossen. Wer die Onkel und Tanten beim Vortanzen am besten überzeugt hatte, bekam nämlich ein Pfund zugesteckt. Mit dem Geld rannten wir Kinder die Straße hoch zum Kiosk, um Sweeties zu kaufen: Crisps, Jelly Babies und Skittles. Auf dem Rückweg zum Backsteinhaus gab es ein Wettrennen, und dann wurde weitergetanzt und gegessen. Ich habe oft gewonnen, die Süßigkeiten teilte ich dann mit meinen Brüdern und Cousins. Es sind schöne Erinnerungen.

Auch wenn für uns das Tanzen ein großer Spaß war, machte meine Mutter uns schon früh klar, dass Musik immer auch eine politische Dimension hat. Pauline liebte Rock ʼnʼRoll. »Nikeata, you know, wir haben das erfunden!«, sagte sie mir immer, während auf dem alten Plattenspieler Musik von Chuck Berry lief. »Wir haben das erfunden, aber wir verdienen nicht das Geld damit«, erklärte sie. Die Schwarzen Jazz-Musiker:innen der 50er und 60er durften für die Weißen spielen, aber mussten durch die Hintertür in den Klub rein- und rausgehen. Sie durften für das Publikum spielen, aber sonst waren sie nicht erwünscht.

Selbst Elvis Presley war in die Schwarzen Viertel gegangen und hatte die Musik dort genossen. Sein erster Song Hound Dog ist sogar ein Cover vom Song einer Schwarzen Frau. Er war für die Blues-Ikone und Mundharmonika-Queen Big Mama Thornton geschrieben worden, als Elvis noch in den Windeln war. Heute ist seine Version – nachdem der Track geglättet und die sexuellen Anspielungen weggestrichen worden waren – die erfolgreichste von allen. Elvis kennt heute jedes Kind auf der ganzen Welt, Big Mama nicht.

Ich denke oft darüber nach, was meine Mutter mir erzählte, wenn ich heute Musik höre. Ähnliches gilt auch für Bob Marley. Alle lieben den Mann, aber die Geschichte dahinter verstehen wir nicht. Oder wie erklärt sich sonst, dass viele Deutsche keine Ahnung von ihrer Kolonialgeschichte und Sklaverei haben, aber in jeder Dorfdisco Buffalo Soldier mitgrölen können? Sie singen Stolen from Africa brought to America, aber die Geschichtsstunde überhören die meisten dabei. Ich denke dann an meine Vorfahren. Ich sagte ja, mein Vater und seine Familie kommen aus Jamaika. Aber das stimmt so gar nicht. Auch dorthin wurden sie, wurden wir durch die Engländer entführt. Denn Jamaika war einer der ersten Orte, von dem aus Sklaven aus Afrika in die Welt verkauft wurden. Es ist eben so, wie Bob Marley singt:

If you know your history

Then you would know where you coming from

Then you wouldnʼt have to ask me

Who the heck do I think I am

Ich hatte glückliche Abende in England. Wenn meine Mutter mich von der Kita abholte, freute ich mich tierisch. Zu Hause wurde dann gekocht. Meine Mutter legte die Thriller-Platte von Michael Jackson auf, machte das Licht aus und jagte uns durch die Bude. Am Ende des Songs erschreckte sie uns mit einem gruseligen Lachen. Etwa vier Stunden hatte meine Mutter am Tag mit uns, aber diese kurze Zeit kostete sie aus, so gut es ging. Heute denke ich, sie muss sehr müde gewesen sein sein nach der Arbeit und mit der Verantwortung für mich und meinen Bruder allein auf ihren Schultern. Trotzdem schaffte sie es, mir die schönsten Momente meiner Kindheit zu schenken.

An den Wochenenden besuchten wir oft unsere Grandma. Meine Großmutter war eine große, elegante Frau, eine echte Churchlady und Diva. Ich habe sie fast nie ohne Hut gesehen, und immer passte er perfekt zum Rest des Outfits. Es gab nur einen einzigen Ort, an dem sie den Hut gegen ein Kopftuch tauschte: die Küche.

Als junge Frau hatte Grandma in der Nähe von Birmingham nach einem Haus für ihre Familie gesucht. Diese wuchs nämlich, und sie wollte ein Zuhause finden, in dem genügend Platz für ihre Kinder war. Sie lief immer wieder an einem netten, unbewohnten Eckhaus mit großem Garten vorbei. Es war perfekt! Geräumig und nur einen Fußweg von der Kirche entfernt. Nur ein Problem gab es. Am Haus hing ein Schild mit der Aufschrift »NO DOGS AND NO N*****«.

Grandma machte ein Foto von dem Schild und entschied, dass sie genau dieses Haus wollte und kein anderes. Ich weiß nicht, woher sie diese Entschlossenheit nahm, aber ich bewundere sie noch heute. Grandma legte über Jahre jedes Pfund, das sie übrig hatte, zurück. Sie machte den Vermieter ausfindig und bearbeitete ihn immer und immer wieder. Bis er nachgab und sie tatsächlich mit ihren sechs Kindern in das Haus einziehen durfte. Grandma lebte 40 Jahre in dem Eckhaus, pflanzte Kartoffeln und Blumen in ihrem liebevoll gestalteten Garten. Wenn wir sie besuchten, roch es draußen unangenehm nach den Brauereien rundum, aber im Haus duftete das Essen, das für mich noch heute »Zuhause« signalisiert: Rice and Peas, ein jamaikanisches Nationalgericht.

Und danach zog sie manchmal das Foto von dem alten Schild am Haus hervor, um es uns zu zeigen und die Geschichte zu erzählen. Sie war stolz. Und sie wollte uns vermitteln, dass wir uns niemals aufhalten lassen sollten.

Meine Großmutter wehrte sich gegen den Rassismus, der in ihrer Zeit noch viel offener und direkter allgegenwärtig war. Ihren Kindern gab sie mit, dass auch sie sich nicht unterdrücken lassen sollten. So wie meine Mutter es später mir und meinen Brüdern beibrachte: »Dass ihr Schwarz seid, ist nicht euer Problem, sondern ihres!« Ich glaube, dass so jede Schwarze Generation ein bisschen mutiger und stärker wird. Und sich weniger gefallen lässt.

All diese Dinge, die meine Mutter und Grandma mir mitgaben, prägen mich heute. Der Stolz, die Kultur und die Tanzschritte.

Ein Großteil der heutigen populären Musikstile haben ihren Ursprung in der Schwarzen Kultur: Gospel, Blues und Rock’n’Roll zum Beispiel. Weiße Menschen bedienten sich lange Zeit an diesen neuen Genres, ohne deren eigentliche Herkunft zu kennen.

Auch wenn wir lange Zeit unterdrückt wurden und teils immer noch unterdrückt werden: Musik war und ist ein Werkzeug für uns. Zur Kommunikation natürlich, aber auch als Weg zu Unabhängigkeit und Freiheit. Wenn wir einmal richtig hinhören, wird uns das bewusst. Es gibt so viele Songs, in denen über alltäglichen Rassismus gesungen wird.

Ich bin mir sicher, dass Musik viel dazu beigetragen hat, rassistische Erlebnisse zu verarbeiten und zu überstehen, denn man wusste, es erging vielen von uns so – man war nicht allein.

Aber so viele dieser Texte werden nicht richtig verstanden, sie werden ignoriert, obwohl ihre Message so bedeutend ist. Es wird Zeit, dass wir dem Anerkennung zollen. Wie Aretha Franklin singt:

»R-E-S-P-E-C-T

Find out what it means to me«

Ich werde ziemlich oft gefragt, wo ich herkomme. Als Kind antwortete ich auf die Frage nur: »Itʼs none of your business.« Meine britische Mutter hatte mir das beigebracht. Als Teenager war ich da schon etwas rabiater: »Aus meiner Mutter komme ich, und du?« Später lernte ich, höflich und gewissenhaft auf die Woher-Frage zu antworten.

»Ich bin in der Stadt Birmingham in England geboren und mit sechs Jahren nach Wermelskirchen, in ein idyllisches rheinländisches Dorf in Deutschland gezogen – ist Ihnen das präzise genug?«

Albern eigentlich, oder? Heute antworte ich auf diese Frage je nach Tagesform immer mal wieder anders. Aber wenn man mich auf dem richtigen Fuß erwischt, dann sollte man sich besser etwas Zeit nehmen, denn die Antwort ist eine kleine Geschichtsstunde.

»Wo ich herkomme, möchten Sie wissen? Sie haben mich gefragt, wo ich herkomme? Sie kennen offensichtlich die deutsch-afrikanische Kolonialgeschichte nicht! Gerne kläre ich Sie etwas auf. Die Deutschen haben die ersten Schwarzen vor 300 Jahren aus dem Kongo geholt. Manche durften für den Kaiser tanzen, andere wurden als Exoten aus den fernen Ländern wie Tiere in den Zoo gestellt. In ganz Europa gab es das, man nannte es Völkerschauen.

Die Menschen, die das getan haben, sind genau die Menschen, die mich entwurzelt haben, vor mehr als vier Generationen. Wie soll ich Ihnen also sagen können, woher ich komme? Daran waren auch Ihre Vorfahren beteiligt. Schwere Kost, nicht wahr? Ja, finde ich auch! Wir sollten endlich lernen, empathisch miteinander umzugehen und keine unbedeutenden Fragen zu stellen. Viel wichtiger ist es doch, die Geschichte dahinter zu sehen und zu verstehen.«

Ich weiß, das ist eine harte Antwort.

Und ich weiß auch, dass diese »investigative« Fragerei nach meiner Herkunft einstudiert ist und oft nicht böse gemeint. Aber wenn Menschen fragen, woher ich komme und dann noch sagen: »Sie sprechen aber gut Deutsch.« Dann vermittelt mir das: Du kommst nicht von hier. Du kannst gar nicht von hier kommen. Du bist anders, nicht normal. Ich habe gelernt zu antworten.

»Alle Menschen sind gleich«, steht im deutschen Grundgesetz. Klar, wir alle haben Arme, Hände, Beine und ein Hirn. Aber wir werden nicht gleich behandelt. Manche von uns müssen sich ständig für ihre Existenz rechtfertigen. Mit meiner Antwort, denke ich, gebe ich den Menschen zumindest eine kleine Lektion mit auf ihren Weg. Etwas, worüber sie nachdenken können. Woran sie wachsen können. Und beim nächsten Mal überlegen sie vielleicht, ob sie die ehrliche Antwort auf die Frage »Wo kommst du her?« wirklich hören wollen. »Send them home with homework!«, wie meine britische Mutter immer sagt.

NIKEATAS LIFE LESSON: SELBSTVERTRAUEN

Der Bürgerrechtsaktivist Joseph Lowery sagte einmal: »If you donʼt know where you come from, itʼs difficult to assess where you are. Itʼs even more difficult to plan where you are going.«

Das war zu der Zeit auf seinen maßgeblichen Einsatz im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung an der Seite von Martin Luther King in den 50er- und 60er-Jahren bezogen. Aber ich finde, dass dieser Ansatz eine universelle Bedeutung entfalten kann, wenn man sich auf den Kern der Aussage konzentriert: Wings and Roots.

In einer idealen Welt würden alle Weltbürger:innen – unabhängig von der sozialen Herkunft, der Abstammung und dem Geschlecht – dieselben Chancen auf Bildung und berufliche Erfüllung haben. Dass dies nicht der Fall ist, erleben wir tagtäglich. Also was macht man, wenn man an einem Wettbewerb teilnimmt, aber nicht dieselben fairen Voraussetzungen hat wie andere, die bessergestellt sind? Allein durch die Geburt in bestimmte Umstände sind gewisse Bedingungen einfach vorgegeben. Kein Kind hat Einfluss darauf, in welches Elternhaus und in welches sozio-ökonomische Umfeld es geboren wird.

Als Autodidaktin bin ich der beste Beweis: Nur weil andere gelernt und studiert haben oder ausgebildet wurden, bedeutet das nicht immer, dass sie besser in ihrem Metier sind. Manchmal ist es sogar gut, eine andere und »ungelehrte« Sicht auf Dinge zu haben, gerade bei kreativen Berufen. Meine Erfahrung ist es, dass Fleiß, Ambition, Durchhaltevermögen und Leidenschaft auch einen Karriereweg ebnen können, egal wie du aufgewachsen bist. Wut darüber, dass Menschen mir bestimmte Sachen nicht zutrauten, habe ich zugelassen und zu meinem Antrieb werden lassen. Und wenn du nicht zufrieden mit deinem Selbstbild bist, dann hör auf, dich mit anderen zu vergleichen, und probiere doch mal etwas Unerwartetes aus – du kannst dich jeden Tag neu erfinden!

Regel zwei: Change your Narrative!1

Als ich zwei Jahre alt war, kam meine zukünftige deutsche Pflegefamilie in das Leben meiner britischen Mutter und wirbelte es auf. Pauline kochte damals in Birmingham in einem Jugendzentrum, das ein Treffpunkt für junge Erwachsene war. Sie war selbst erst 26, als ein Austausch mit einer deutschen Gruppe organisiert wurde, durch den sie auch zwei junge deutsche Frauen kennenlernte. Die beiden Schwestern kamen aus einem Dorf in Nordrhein-Westfalen und verstanden sich auf Anhieb gut mit Pauline.

Auch Pauline war immer gern gereist, hatte Spaß daran, ihren Horizont zu erweitern, und beschloss kurz darauf, die beiden in Deutschland zu besuchen. Sie gab mich und meinen großen Bruder für ein paar Tage zu unserer Grandma und fuhr auf die Reise zu den neuen Freundinnen nach Nordrhein-Westfalen. Sie genoss die Zeit sehr. Die Gruppe schaute sich den Kölner Dom an, meine Mutter hörte mit den deutschen Hippies Bob Marley in deren riesiger Wohngemeinschaft, und meine Mutter erzählt es so: »Wir lernten die Deutschen kennen. And the rest is history.« Aber natürlich ist die Geschichte etwas komplizierter, wie die Eltern der Schwestern auch zu meinen wurden und ich zu meiner britischen Familie eine deutsche dazu bekam.

Pauline wollte raus aus Birmingham. Die Reise hatte ihr gezeigt, wie frei das Leben sein kann. Sie war genervt von dem alltäglichen Trott, der vielen Verantwortung und wollte ehrlicherweise auch dem strengen Blick meiner Großmutter mal für eine Weile entkommen. Jung und frei sein! Warum also nicht in die Nähe der Deutschen ziehen, die an dem Austausch des Jugendzentrums teilgenommen hatten?

Meine Mutter packte also mich und ein paar Habseligkeiten ein und zog zusammen mit mir nach Hückeswagen bei Remscheid. Sie hatte nicht vor, für immer zu bleiben, sie brauchte nur eine kleine Auszeit. Mein großer Bruder lebte in dieser Zeit bei unserer Grandma. Pauline begann, in einem Freibad-Imbiss zu jobben, Pommes und Cola an Kinder zu verkaufen. Ich verbrachte währenddessen viel Zeit bei einer der beiden Schwestern, die mich schnell ins Herz geschlossen hatte und auf mich aufpasste. So lernte ich auch ihre Eltern kennen. Ihre Mutter war eine Wucht: immer adrett und hochwertig gekleidet, ließ sie sich nichts gefallen. Ihr Vater hingegen war ein großer, aber ruhiger Mann. Er trug einen grauen Igelschnitt, eine Cordhose, hatte immer eine Pfeife in der Hand und ganz altmodisch ein weißes Stofftaschentuch in der Hosentasche.

Die deutsche Mutter sagte später oft: »Ich hatte schon drei Kinder. Aber so was Lebensfrohes wie dich habe ich noch nie gesehen!«

Unser Leben in Deutschland fühlte sich immer alltäglicher an. Erst wollten wir nur einige Monate bleiben, dann wurde ein Jahr daraus. Meine Mutter wurde schwanger mit meinem kleinen Bruder. Bei dem Gedanken, ein Schwarzes Kind außerhalb von England zu bekommen, fühlte sie sich jedoch nicht wohl. Also gingen wir zurück nach Birmingham und ließen Hückeswagen hinter uns. Unser Ausflug nach Deutschland war damit beendet – zumindest vorerst.

Denn die befreundete, deutsche Familie aus Hückeswagen wollte mich nicht so einfach gehen lassen. Einige Zeit nach unserer Abreise kamen sie zu Besuch in unser kleines britisches Reihenhaus. Sie brachten eine Menge Geschenke mit. Meine Mutter war müde und ausgelaugt, als sie die Tür öffnete. Mein kleiner Bruder war gerade zur Welt gekommen, und Pauline hatte drei Jobs angenommen, um als mittlerweile wieder alleinerziehende Frau ihre Familie über die Runden zu bringen. Nach dem üblichen Geplänkel und Small Talk kam die deutsche Familienmutter zur Sache: »Wir können Nikeata auch adoptieren«, sagte sie einfach geradeheraus, forsch wie sie ist.

»Wie bitte?«, fragte meine Mutter entsetzt. Dann wurde sie wütend. »Wer sagt denn, dass ich mein Kind weggeben möchte, nur weil ich hart arbeite und es nicht so einfach habe wie Sie? Kommt gar nicht infrage.«

Dieses herablassende Verhalten ging meiner Mutter total gegen den Strich. Wie kam die deutsche Frau dazu, Ansprüche auf ihre Tochter anzumelden? Pauline war eine gute Mutter und tat alles für uns. Und setzte die beiden Deutschen unsanft vor die Tür.

Für ein paar Stunden war danach Ruhe. Aber am nächsten Tag stand wiederum der Vater der deutschen Familie vor unserem Haus. Er wedelte mit dem Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche wie mit einer Friedensflagge. »Pauline!«, rief er vor dem Fenster und versuchte, sie in brokenEnglish zu überzeugen, ihn hereinzulassen.

Pauline musste lachen und öffnete ihm dann doch noch die Tür. Sie wusste ja, dass der Vorschlag der beiden aus Liebe entstanden war. Sie hatten mich ins Herz geschlossen und vermissten meine aufgeweckte Art. In ihrem großen Haus war es still, seit ich weg war und nur noch ihr fast erwachsener Sohn zu Hause lebte. So setzten meine Mutter und die deutsche Familie sich doch noch einmal zusammen und sprachen sich aus. Auch meine britische Mutter liebte mich sehr. Aber sie wusste auch, wie viel besser meine Chancen im Leben mit einer deutschen Schulausbildung sein würden. Ich würde zwei Sprachen sprechen können und hätte alle Privilegien, die eine wohlhabende Familie nun einmal mit sich bringt. All das wollte Pauline wohl nicht verwehren. Meiner Mutter fiel es schwer, mich loszulassen. Aber sie wusste, dass es die Entscheidung sein könnte, die mein Leben auf den richtigen Weg bringt. Der Start für eine junge Frau, die ihren eigenen Weg geht.

Die drei einigten sich so: Ich sollte mit nach Deutschland gehen und bei der deutschen Familie wie in einer Pflegefamilie aufwachsen. Meine leibliche Mutter blieb weiter mein Vormund. Wie eine Boarding School wäre das, damit konnte auch Pauline leben. Ich würde nach England reisen und oft telefonieren, damit ich niemals daran zweifle, dass ich auch von meiner Familie dort geliebt werde.

Mit mir sprach über all das allerdings keiner so richtig. Einige Zeit später reisten Pauline und ich nach Deutschland. Zu Besuch, dachte ich. Ich ahnte noch nicht, dass die Erwachsenen beschlossen hatten, dass ich dort bleiben sollte. Daher kann ich mich noch genau an den Schock erinnern, an dem Morgen, an dem meine Mutter mich in Deutschland ließ. Ich wachte auf, weil ich den alten Käfer meines neuen Pflegevaters vor der Tür knattern hörte. Meine britische Mutter wollte heimlich zurückfliegen, um den Abschied einfacher zu machen. Ich rannte hinterher, in meinem liebsten, viel zu kleinen rosa Frotteeschlafanzug. Ich weinte und tobte, bis meine Pflegemutter mich mit beiden Händen festhielt.

Von diesem Tag an hatte ich eine zweite Familie, eine deutsche Mutter und einen deutschen Vater, zwei Schwestern und einen Bruder. Ich gewöhnte mich schnell an sie. Meine britische Mutter war nicht einfach aus meinem Leben verschwunden, wir telefonierten oft und in all meinen Ferien, in den großen und den kleinen, flog ich wieder nach England. Ich konnte mir dort die Haare machen lassen, denn bei uns im deutschen Dorf gab es natürlich keinen Friseur, der mit Afrohaar umgehen konnte.

Erzähle ich heute von dieser Abmachung, begegnet mir oft Unglauben. Wie kann man einfach sein Kind weggeben? Aber statt eine Familie zu verlieren, gewann ich in diesen Tagen einfach eine zweite dazu. Einfach war das trotzdem nicht, diese Erfahrung sollte mich mein Leben lang prägen.

Für mich war es so schon immer ganz normal, mehrere Zuhause zu haben. Nur weil viele Menschen es gewohnt sind, nur an einem Ort daheim zu sein, gibt es doch trotzdem auch Menschen, die zwei Zuhause haben – oder auch drei oder sieben. Manche Menschen haben ein Haustier, und wieder andere haben eine ganze Farm. Es gibt eben unterschiedliche Lebensentwürfe. So ist das auch mit den Formen von Familie. Alle sind normal, und ob eine Familie funktioniert, ob in einem Zuhause Liebe herrscht, das hängt von ganz anderen Dingen ab.

Als Kind wünschte ich mir lange Zeit, beide meiner Nachnamen im Pass stehen zu haben. Denn die Namen zeigten alle Facetten meiner Identität, alle meine Familien in ihrer Vielfalt.

In Deutschland, genau genommen in Forsten, war ich plötzlich ein Dorfkind. Aus Birmingham kannte ich eigentlich keine Tiere. Meine britische Mutter wechselte schon bei einem Hund die Straßenseite. In Forsten rannte ich den Berg hinunter zu Bauer Kleines, um Milch fürs Frühstück zu holen, und natürlich, um einem der Pferde auf dem Hof ein bisschen Zucker zu geben. Nachmittags kam ich zum Striegeln zurück. Es war eine total idyllische Kindheit.

Eine große Veränderung für mich war die Rolle, die Musik in meinem neuen Leben spielte. In meiner deutschen Familie gab es keine Schallplatten mehr, nur ein Radio, das »Zufallsmusik« spielte. Tina Turner, Michael Jackson und Bob Marley begleiteten mich plötzlich nicht mehr regelmäßig in meinem Alltag. Das hielt ich nicht lange aus.

Einmal entdeckte ich die TV-Sendung Musikantenstadl. Ich dachte: So also tanzen die Deutschen? Na, gut! Die kommenden Monate wollte ich, wo immer wir waren, die Leute unterhaken und schunkeln. Im Bus, bei den Nachbarn, unter Fremden. Bis meine deutsche Mama mich stoppen musste: »Nikeata, das macht man nicht, noch dazu mit fremden Menschen!«

Später, als ich ein bisschen älter war, setzte ich mich vors Radio, mit zwei Fingern im Anschlag, um im richtigen Moment auf den Record- und Play-Knopf zu drücken. Ich besorgte mir die besonders schicken, durchsichtigen Kassetten und machte meine eigenen Mixtapes. Wenn »Back to life, back to reality« aus dem Lautsprecher dröhnte – mein Lieblingssong von Soul II Soul – oder »Donʼt you worry, ʼcause itʼs alright« von East 17, drückte ich auf Aufnahme.

Ein Jahr nach meiner Ankunft in Deutschland wurde ich eingeschult. Wenn ich in den Schulbus nach Remscheid-Lennep stieg, hielt ich dem Busfahrer dann meine Mixtapes hin. »Hier, das ist besser als Radio! Ist auch Michael Jackson dabei, den kennen Sie doch bestimmt.« Schon damals war es für mich ganz selbstverständlich, um etwas zu bitten, wenn ich es wollte. Fun Fact: Bis heute habe ich meine eigene kleine Boombox immer dabei.