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Schwindel und Gleichgewichtsstörungen gehören zu den häufigsten Leitsymptomen in der Medizin. Ursächlich können periphere, zentrale und funktionelle vestibuläre, aber auch nicht vestibuläre (z.B. internistische) Erkrankungen sein. Die Ätiologien reichen von der Kanalo- oder Kupulolithiasis beim peripheren Lageschwindel, über Schlaganfälle bis zu neurodegenerativen, hereditären und entzündlichen Erkrankungen. Die Diagnose der zugrunde liegenden Erkrankung und deren Behandlung, z.B. der präventiven Therapie des Morbus Menière oder der vestibulären Migräne, stellen oftmals Herausforderungen dar. In der vorliegenden fallbasierten systematischen Darstellung werden die häufigsten Schwindelsyndrome aus interdisziplinärer Sicht mit Anamnese, klinischen Befunden, Diagnostik, Differenzialdiagnosen sowie therapeutischen Optionen präsentiert. Als praktischer und anschaulicher Leitfaden will das Buch zu einer besseren Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Schwindel beitragen.
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Seitenzahl: 384
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Cover
Titelei
Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial
Vorwort
Grundlagen: Diagnosestellung beim Leitsymptom Schwindel
Anamnese und körperliche Untersuchung
Apparative Untersuchungsverfahren
Aktuelle Klassifikation vestibulärer Erkrankungen
Allgemeine Therapieprinzipien beim Leitsymptom Schwindel
Literatur zu Kap. »Grundlagen«
I Periphere vestibuläre Syndrome
Einführung: Periphere vestibuläre Syndrome
Epidemiologie
Literatur zu Kap. »Einführung: Periphere vestibuläre Syndrome«
1 Akuter länger anhaltender Drehschwindel: Akutes vestibuläres Syndrom
1.1 Anamnese
1.2 Klinischer Befund
1.3 Beurteilung
1.4 Diagnostik
1.5 Differenzialdiagnosen
1.6 Therapie und Verlauf
1.7 Therapie der akuten unilateralen Vestibulopathie
1.8 Literatur
2 Schwindel und Hörstörungen
2.1 Fall 1
2.2 Fall 2
2.3 Fall 3
2.4 Literatur
3 Kurze spontan auftretende Schwindelepisoden
3.1 Fall 1
3.2 Fall 2
3.3 Fall 3
3.4 Literatur
4 Kurze getriggerte Schwindelepisoden
4.1 Anamnese
4.2 Arbeitsdiagnose
4.3 Klinischer Befund
4.4 Zusatzdiagnostik
4.5 Diagnose und diagnostische Kriterien
4.6 Differenzialdiagnosen
4.7 Therapie und Verlauf
4.8 Literatur
5 Kopflageabhängige Schwindelepisoden: Peripherer Lageschwindel
5.1 Fall 1
5.2 Fall 2
5.3 Fall 3
5.4 Fall 4
5.5 Peripherer Lageschwindel: Übersicht und Aktuelles
5.6 Literatur
6 Persistierender bewegungsabhängiger Schwankschwindel und Gangunsicherheit
6.1 Fall 1
6.2 Fall 2
6.3 Ätiologie und Genetik
6.4 Therapie der bilateralen Vestibulopathie
6.5 Literatur
7 Seltene Schwindelsyndrome: Schwindel, Hörstörungen, Augenschmerzen
7.1 Anamnese
7.2 Klinischer Befund
7.3 Arbeitsdiagnose
7.4 Weiteres Vorgehen
7.5 Diagnose
7.6 Therapie
7.7 Literatur
8 Seltene Schwindelsyndrome: Kopfpositionsabhängige Schwindelepisoden
8.1 Anamnese
8.2 Klinischer Befund
8.3 Arbeitsdiagnose
8.4 Zusatzdiagnostik
8.5 Diagnose
8.6 Differenzialdiagnosen
8.7 Therapie und Verlauf
8.8 Literatur
II Zentrale vestibuläre Syndrome und andere Ursachen
Einführung: Zentrale vestibuläre Syndrome
Literatur zu Kap. »Einführung: Zentrale vestibuläre Syndrome«
9 Akutes zentrales vestibuläres Syndrom: Dorsolaterale medulläre Ischämie (Wallenberg-Syndrom)
9.1 Anamnese
9.2 Klinischer Befund
9.3 Zusatzdiagnostik
9.4 Beurteilung
9.5 Pathogenese
9.6 Epidemiologie
9.7 Diagnostik
9.8 Differenzialdiagnosen
9.9 Therapie und Prognose
9.10 Literatur
10 Akutes zentrales Imbalance-Syndrom: Wernicke-Enzephalopathie
10.1 Anamnese
10.2 Klinischer Befund
10.3 Zusatzdiagnostik und klinischer Verlauf
10.4 Beurteilung
10.5 Pathogenese
10.6 Epidemiologie
10.7 Diagnostik
10.8 Differenzialdiagnosen
10.9 Therapie und Prognose
10.10 Literatur
11 Rezidivierende spontane Schwindelepisoden mit Kopfschmerzen: Vestibuläre Migräne
11.1 Anamnese
11.2 Klinischer Befund
11.3 Zusatzdiagnostik
11.4 Beurteilung und Verlauf
11.5 Pathogenese
11.6 Epidemiologie
11.7 Diagnostik
11.8 Differenzialdiagnosen
11.9 Therapie und Prognose
11.10 Literatur
12 Akuter, episodischer und persistierender zerebellärer Schwindel
12.1 Fall 1
12.2 Fall 2
12.3 Pathogenese
12.4 Epidemiologie
12.5 Diagnostik
12.6 Differenzialdiagnosen
12.7 Therapie und Prognose
12.8 Literatur
13 Kombinierte vestibuläre zerebelläre Syndrome: »RFC1-related ataxia«
13.1 Anamnese
13.2 Klinischer Befund
13.3 Zusatzdiagnostik
13.4 Beurteilung und Verlauf
13.5 Pathogenese
13.6 Epidemiologie
13.7 Diagnostik
13.8 Differenzialdiagnosen
13.9 Therapie und Prognose
13.10 Literatur
14 Episodische Ataxie
14.1 Anamnese
14.2 Klinischer Befund
14.3 Zusatzdiagnostik
14.4 Beurteilung
14.5 Diagnostik und klinische Charakterisierung
14.6 Pathogenese
14.7 Differenzialdiagnosen
14.8 Therapie
14.9 Literatur
15 Getriggerte Schwindelepisoden: Zentraler Lageschwindel
15.1 Anamnese
15.2 Klinischer Befund
15.3 Zusatzdiagnostik
15.4 Beurteilung
15.5 Pathogenese
15.6 Epidemiologie
15.7 Diagnostik
15.8 Differenzialdiagnosen
15.9 Therapie und Prognose
15.10 Literatur
16 Funktioneller Schwindel
16.1 Fall 1
16.2 Fall 2
16.3 Beurteilung
16.4 Diagnostik und klinische Charakterisierung
16.5 Neurophysiologische und bildgebende Charakteristika
16.6 Pathogenese
16.7 Differenzialdiagnosen
16.8 Therapie
16.9 Literatur
17 Mal-de-Débarquement-Syndrom
17.1 Anamnese
17.2 Klinischer Befund
17.3 Zusatzdiagnostik
17.4 Beurteilung
17.5 Diagnostik und klinische Charakterisierung
17.6 Pathogenese
17.7 Differenzialdiagnosen
17.8 Therapie
17.9 Literatur
18 Schwindel bei orthostatischer Dysregulation
18.1 Anamnese
18.2 Klinischer Befund
18.3 Zusatzdiagnostik
18.4 Beurteilung
18.5 Diagnostik und klinische Charakterisierung
18.6 Differenzialdiagnosen
18.7 Therapie
18.8 Literatur
19 Schwindel/Gangstörung und extrapyramidale Syndrome
19.1 Anamnese
19.2 Klinischer Befund
19.3 Zusatzdiagnostik
19.4 Beurteilung und Verlauf
19.5 Pathogenese
19.6 Epidemiologie
19.7 Diagnostik
19.8 Differenzialdiagnosen
19.9 Therapie und Prognose
19.10 Literatur
20 Schwindel bei Polyneuropathie
20.1 Anamnese
20.2 Klinischer Befund
20.3 Zusatzdiagnostik
20.4 Beurteilung
20.5 Diagnostik und klinische Charakterisierung
20.6 Differenzialdiagnosen
20.7 Therapie
20.8 Literatur
21 Visuelle Höhenintoleranz (Höhenschwindel)
21.1 Anamnese
21.2 Klinischer Befund
21.3 Zusatzdiagnostik
21.4 Beurteilung
21.5 Diagnostik und klinische Charakterisierung
21.6 Neurophysiologische Charakteristika
21.7 Pathogenese
21.8 Differenzialdiagnosen
21.9 Therapie
21.10 Literatur
22 Zervikaler Schwindel
22.1 Anamnese
22.2 Klinischer Befund
22.3 Zusatzdiagnostik
22.4 Beurteilung
22.5 Diagnostik und klinische Charakterisierung
22.6 Pathogenese
22.7 Differenzialdiagnosen
22.8 Therapie
22.9 Literatur
Zum Abschluss
Zusatzmaterial zum Download
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Cover
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Impressum
Inhaltsbeginn
Neurologische FallbesprechungenDer Patient im Fokus
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
https://shop.kohlhammer.de/neuro-fall-reihe
Die Autoren
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Michael Strupp ist Neurologe und Oberarzt an der Neurologischen Klinik, Klinikum der LMU München.
Prof. Dr. med. Doreen Huppert ist Neurologin und stellv. Leiterin des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrums, Klinikum der LMU München.
Prof. Dr. med. Alexander A. Tarnutzer ist Neurologe und Ärztlicher Leiter der Neurologie am Kantonsspital Baden in der Schweiz.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
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1. Auflage 2026
Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Heßbrühlstr. 69, 70565 [email protected]
Print:ISBN 978-3-17-045530-6
E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-045531-3epub:ISBN 978-3-17-045532-0
Den Weblink, unter dem die Zusatzmaterialien zum Download verfügbar sind, finden Sie ganz hinten in diesem Buch unter Kap. Zusatzmaterial zum Download.
Video 1.1:Typischer Befund bei einer akuten rechtsseitigen Vestibulopathie
Video 4.1:Valsalva-Manöver
Video 5.1:Semont-plus-Manöver
Video 5.2:Simulation des therapeutischen Semont-plus-Manövers
Video 5.3:Durchführung des therapeutischen Semont-plus-Manövers
Video 5.4:Therapeutisches Manöver für eine Kanalolithiasis des rechten horizontalen Bogengangs
Video 9.1:Prüfung der okulären Stabilität (Video übernommen aus Spiegelberg, M., Morel, C., Beer, J. H., Dietmaier, A., Tarnutzer, A. A. [2021]. Ocular Lateral Deviation in Severe Gait Imbalance Pointing to Lateral Medullary Stroke. Neurohospitalist, 11(4), 375 – 376, https://doi.org/10.1177/19418744211000953, mit freundlicher Genehmigung von Sage Publications)
Video 10.1:Wiederholte Prüfung der exzentrischen Blickhaltefunktion (Video übernommen aus Wiggli, B., Kapitza, S., Ahlhelm, F. et al. [2020]. Early recognition of thiamine deficiency: ocular motor deficits in a patient with nutritional deprivation due to persistent antibiotic-related nausea. Infection, 48, 137 – 140. https://doi.org/10.1007/s15010-019-01363-w, mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature)
Video 12.1:Videodokumentation der Okulomotorikstörung
Video 13.1:Prüfung der Sakkaden
Video 13.2:Prüfung der exzentrischen Blickhaltefunktion
Video 13.3:Prüfung vestibulo-okulären Reflexes
Video 19.1:Prüfung der horizontalen und vertikalen Sakkaden
Ob Sie nun Neurologe, HNO-Arzt, Internist, Augenarzt oder Allgemeinmediziner sind oder einer anderen Fachrichtung angehören, ob Sie in einer Klinik oder in einer Praxis arbeiten, Ihnen werden viele Patienten mit dem Leitsymptom Schwindel begegnen. Die Lebenszeitprävalenz des Symptoms liegt bei 30 %, es ist also hochrelevant. Allerdings gilt dieses Leitsymptom bei vielen Ärzten leider und unberechtigterweise als schwierig einzuordnen und noch schwieriger zu behandeln. Dieses Buch soll dazu beitragen, Schwindel transparent diagnostizierbar und rational therapierbar angehen zu können, was insbesondere bei den akut auftretenden Schwindelsyndromen rasch geboten ist. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist das didaktische Konzept des Buches fallbasiert ausgerichtet. Patienten aus der täglichen klinischen Praxis werden zudem wirklichkeitsnah dargestellt.
Jede Kasuistik im Buch ist nach Anamnese, klinischer Untersuchung des vestibulären Systems, Untersuchung von Hörvermögen und Augenbewegungen sowie ergänzender apparativer Diagnostik gegliedert. Arbeitsdiagnose und Differenzialdiagnosen führen schließlich dann zu einer Beschreibung der Therapieoptionen. Am Ende jeder Kasuistik stehen Erläuterungen zu Verlauf, Prognose und ggf. Therapieanpassung.
Mit diesem Buch geben wir Ihnen klinisch hilfreiches Material an die Hand, um Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei Ihren Patienten besser diagnostizieren und therapieren zu können.
Unser Dank gilt Frau Anita Brutler vom Kohlhammer Verlag für die freundliche Zusammenarbeit und ihre kompetente redaktionelle Überarbeitung der Texte sowie unseren Kollegen, Orthoptistinnen und medizinisch-technischen Assistenten für die Durchführung der Untersuchungen. Schließlich möchten wir Herrn PD Dr. Robert Forbrig, Abt. für Neuroradiologie, Klinikum der LMU München, für die Bereitstellung von MRT- und CT-Bildern danken.
München und Baden, Schweiz
Michael Strupp Doreen HuppertAlexander A. Tarnutzer
Schwindel ist ein multisensorisches transdiagnostisches Leitsymptom, dem unterschiedliche Erkrankungen zugrunde liegen können. Basierend auf anatomischen, pathophysiologischen und ätiologischen Aspekten lassen sich im Wesentlichen vier Formen unterscheiden (aktuelle Übersicht in Strupp et al., 2023):
1.Vier Kategorien von SchwindelsyndromenPeriphere vestibuläre Syndrome (ausgehend von Labyrinth und/oder Gleichgewichtsnerv): Die sechs häufigsten peripheren vestibulären Schwindelformen sind in abnehmender relativer Häufigkeit
a.Peripherer Lageschwindel: Peripheral Positional Vertigo (PPV) (weder »benigne« noch »paroxysmal« verwenden)
b.Morbus Menière
c.Akute unilaterale Vestibulopathie (AUVP)/Neuritis vestibularis
d.Bilaterale Vestibulopathie (BVP)
e.Vestibularisparoxysmie
f.Syndrom der dritten mobilen Fenster (plural: »Bogengangsdehiszenzen«, am häufigstem des anterioren Bogengangs: »superior canal dehiscence syndrome«).
2.Zentrale vestibuläre Syndrome, meist ausgehend von/vom
a.Hirnstamm, z. B. nach Infarkten oder bei Multipler Sklerose (MS),
b.Kleinhirn: »zerebellärer Schwindel«, z. B. Downbeatnystagmus(DBN)-Syndrom, spinozerebelläre Ataxien, lysosomale Erkrankungen
c.Basalganglien: »extrapyramidaler Schwindel/Basalganglien-Schwindel«, z. B. Morbus Parkinson, Multisystematrophien, progressive supranukleäre Blickparese; sehr selten kortikaler Schwindel.
3.Auch an den sekundären funktionellen Schwindel denken Funktioneller Schwindel (FS) mit vier Unterformen:
a.»Persistent postural-perceptual dizziness« (PPPD)
b.Phobischer Schwankschwindel (PSS)
c.Visuell-induzierter Schwindel
d.Mal-de-Débarquement-Syndrom
4.»Andere Ursachen« werden meist überschätzt Andere Ursachen wie Blutdruckregulationsstörungen, insbesondere »hämodynamisch orthostatischer Schwindel«, »kardiogener Schwindel«, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten (z. B. Antihypertensiva, Antiarrhythmika oder anfallssupprimierende Substanzen), metabolische oder neurodegenerative Erkrankungen wie subkortikale vaskuläre Enzephalopathie, Normaldruckhydrozephalus oder Polyneuropathien; diese Erkrankungen führen typischerweise zu Schwank- oder Benommenheitsschwindel und Gangunsicherheit, aber praktisch nie zu Drehschwindel. Diese gehen häufig mit einem erhöhten Sturzrisiko einher Sie werden aber insgesamt zu oft als Ursache von Schwindel angenommen. Wichtig ist es deshalb, beim Leitsymptom Schwindel zunächst nach primär vestibulären Erkrankungen zu suchen.
Die Diagnose der verschiedenen Schwindelsyndrome basiert auf der systematischen Erhebung der Anamnese (wobei hier Parallelitäten zum Leitsymptom Kopfschmerz bestehen) und der kombinierten klinischen Untersuchung der vestibulären, okulomotorischen, akustischen, zerebellären, und extrapyramidalen Systeme (Übersicht in Strupp et al., 2023).
Vier Kernfragen: Zeitgang, Art, modulierende Faktoren und BegleitsymptomeBeim Leitsymptom Schwindel spielt jeweils die Zahl Vier eine wichtige Rolle: vier Kernfragen, vier klinische Tests für das vestibuläre System, vier statische und vier dynamische Tests für die Okulomotorik, vier apparative Verfahren, vier Kategorien von Schwindel sowie vier therapeutische Prinzipien.
Bei der Anamnese ist auf die folgenden vier Aspekte zu achten:
1.Zeitlicher Verlauf der Symptome mit vier wesentlichen Manifestationsformen:
a.Episoden unterschiedlicher Dauer; hier ist das Minimum und Maximum der Dauer zu erfragen
b.Akuter Beginn und länger anhaltend (Akutes vestibuläres Syndrom [AVS] oder Akutes Imbalance-Syndrom) oder
c.Persistierend, d. h. länger als drei Monate
d.Kombination von a, b und/oder c
2.Art der Beschwerden, z. B.:
a.Drehschwindel
b.Schwankschwindel
c.Benommenheitsschwindel
d.Gangunsicherheit
e.Kombination dieser Symptome
3.Auslösende/modulierende Faktoren, z. B.:
a.Lageänderungen
b.Aktivitäten (Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen, Laufen mit offenen/geschlossenen Augen: letztere sind wichtige Fragen bei der Diagnose einer BVP)
c.Bestimmte Situationen (wichtige Frage bei der Diagnose eines FS)
d.Tageszeit (wichtige Frage bei der Diagnose eines FS und DBN)
4.Begleitsymptome, z. B.:
a.Vom Innenohr (Hörminderung, Tinnitus, Ohrdruck)
b.Zentrale vom Hirnstamm/Kleinhirn ausgehend (z. B. Doppelbilder, Schluck-, Sprech-, Sensibilitätsstörungen oder Lähmungen)
c.Migränetypische (einschließlich der Frage, ob eine Migräne besteht/bestand)
d.Vegetative
Vier klinische Tests für das vestibuläre System: Nystagmus, HIT, Lagemanöver und Romberg-Test Notwendig ist dann eine kombinierte körperliche Untersuchung der vestibulären, okulomotorischen, audiologischen, zerebellären und extrapyramidalen Systeme sowie der Stand- und Haltungsregulation. Hierbei sind die folgenden Aspekte wichtig:
(A) Vestibuläres System
1.Vorliegen eines Spontannystagmus beim Blick geradeaus ohne und mit der Frenzel- oder M-Brille zur Differenzierung zwischen einem peripheren oder zentralen Spontannystagmus. Wichtig: Ein Nystagmus, der sich durch Fixation nicht in seiner Intensität reduzieren lässt, ist kein peripherer vestibulärer Nystagmus. Dies impliziert, dass es auch zentrale Nystagmus-Formen gibt, die sich durch Fixation reduzieren lassen.
2.Untersuchung des vestibulo-okulären Reflexes(VOR) mittels des Kopfimpulstests (HIT); dieser ist allerdings der Untersuchung mittels Video-Kopfimpulstest (Video-HIT) deutlich unterlegen (letzteres gilt auch für die Untersuchung von Patienten mit AVS).
3.Untersuchung auf einen Lageschwindel des posterioren, horizontalen und anterioren Bogengangs bei allen Patienten, unabhängig von der Anamnese; gerade bei älteren Patienten mit PPV, die manchmal nur über Schwankschwindel klagen. Wichtig: Mit der Untersuchung der horizontalen Bogengänge beginnen, da sonst diese Unterform oft übersehen wird.
4.Untersuchung der Stand- und Haltungsfunktion mit offenen und geschlossenen Augen unter den vier Bedingungen: breitbasiges Stehen, beide Füße nebeneinander, Tandem-Romberg und Stehen auf einem Bein. Deutlich erhöhtes Schwanken mit geschlossenen Augen ist ein Hinweis auf ein vestibuläres und/oder somatosensorisches Defizit.
(B) Audiologisches System
Immer auch das Hören testen Die Prüfung auf eine Hörstörung kann mittels Reibegeräuschen sowie Rinne- und Weber-Test erfolgen. Beim AVS ist die Testung des Hörvermögens von zweifacher Bedeutung: Differenzierung einer AUVP von a) Morbus Menière oder Zoster oticus und b) Infarkt im Versorgungsgebiet der Arteria cerebelli anterior inferior (AICA)/Arteria labyrinthi. Zusätzlich ist eine Otoskopie erforderlich, insbesondere bei Patienten mit Otalgie.
(C) Okulomotorisches System
Vier statische TestsDie vier statischen Tests: Untersuchung
1.der primären Augenposition mit den Abdecktests, insbesondere mit der Frage einer vertikalen Deviation (»skew deviation«) als Komponente der »ocular tilt reaction«,
2.auf einen Spontannystagmus (s. o.),
3.des Bewegungsausmaßes der Augen in den acht Endpositionen,
4.der Blickhaltefunktion mit der Frage nach einem Blickrichtungsnystagmus.
Vier dynamische TestsDie vier dynamischen Tests: Untersuchung
1.der Blickfolge mit der Frage nach einer Sakkadierung,
2.der Sakkaden mit der Frage nach deren Geschwindigkeit, Genauigkeit und Konjugation,
3.des OKN (Kombination aus Blickfolge und Sakkaden) sowie
4.der visuellen Fixationssuppression des VOR.
Eine Ferndiagnose mittels eines Smartphones oder Tablets hat weiter an Bedeutung gewonnen und sowohl technisch als auch medizinisch große Fortschritte gemacht, was sich auch in der Zahl der dazu veröffentlichen Publikationen widerspiegelt. Dies gilt insbesondere für Videos, die von den Patienten in Phasen mit Symptomen oder bei den Lage- und Therapiemanövern selbst gemacht werden, z. B. mit der »EyeStabilizer App®«.
Akuter Schwindel: rasche Differenzierung zwischen peripher oder zentral notwendigBesonders kritisch ist dabei die Differenzierung zwischen einem akuten peripheren vestibulären Syndrom und einem akuten zentralen vestibulären Syndrom/akuten zentralen Imbalance-Syndrom. Wichtig sind dabei:
1.die systematische Anamnese (wie oben dargestellt, zusätzlich mit der Frage nach vaskulären Risikofaktoren und Kopfschmerz) und
2.die o. g. kombinierte Untersuchung der verschiedenen Systeme. Klinische Zeichen für ein zentrale Störung sind deutliche vertikale Deviation (»Skew deviation«), Spontannystagmus durch Fixation nicht unterdrückbar, Blickrichtungsnystagmus und normaler Kopfimpulstest bei akutem vestibulärem Syndrom. Zur Messung des VOR gibt es inzwischen auch gute Systeme mittels Smartphone. Dieser Zugang zum Patienten hat sich auch bei der telemedizinischen Beurteilung bewährt.
Video-HIT: wichtigster apparativer vestibulärer TestDie beiden wichtigsten apparativen diagnostischen Verfahren zur Quantifizierung der Funktion des VOR sind der Video-HIT und die kalorische Prüfung, die sequenziell eingesetzt werden sollten. In der klinischen Routine empfiehlt es sich mit dem Video-HIT zu beginnen, der die Funktion des VOR im hohen Frequenzbereich testet; ist dieser sicher pathologisch, ist in den meisten Fällen eine kalorische Testung nicht notwendig. Ist der Video-HIT normal, sollte eine kalorische Testung erfolgen, insbesondere bei Patienten mit Morbus Menière, bei denen man typischerweise eine reduzierte kalorische Erregbarkeit bei normalem Video-HIT findet (Mavrodiev et al. 2024); Ursache ist offensichtlich das erhöhte Endolymphvolumen bei Morbus Menière (siehe dazu auch ▸ Kap. 16.2.3). Auch beim AVS erhöht die quantitative Testung der vestibulären und audiologischen Funktion die Sensitivität und Spezifität zur Differenzierung einer peripheren von einer zentralen Störung deutlich (Übersicht in Jaganathan et al. 2024).
Die zervikalen und okulären vestibulär evozierten myogenen Potenziale(c/oVEMP) sind von untergeordneter Bedeutung. Sie spielen vor allem eine Rolle bei der Diagnose des Syndroms der dritten mobilen Fenster mit erniedrigten Schwellen für die cVEMP und erhöhten Amplituden für die oVEMP.
Die Diagnosestellung ist durch die klinisch orientierten, international akzeptierten Diagnosekriterien der Bárány Society vereinheitlicht und weiter vereinfacht worden (kostenloser Download: https://www.thebaranysociety.org/icvd-consensus-documents/); inzwischen sind alle häufigen Schwindelsyndrome re-klassifiziert worden. Die Kriterien haben eine Bedeutung sowohl für die tägliche klinische Praxis als auch für klinische Studien aufgrund der Vereinheitlichung.
Die Häufigkeiten der verschiedenen Erkrankungen in einer Spezialambulanz sind in ▸ Abb. 0.1 dargestellt.
Eine systematische Anamnese (Zeitgang und Art der Beschwerden, Auslöser/modulierende Faktoren und Begleitsymptome) und die kombinierte klinisch-neurologische Testung der vestibulären, okulomotorischen, audiologischen, zerebellären und extrapyramidalen Systeme, insbesondere vertikale Deviation, Spontannystagmus, zentrale Okulomotorikstörungen, Kopfimpulstest, Hörtest, Lagemanöver und Romberg-Test, sind der Schlüssel zur Diagnose beim Leitsymptom Schwindel. Dies erfordert profunde Kenntnisse und Fertigkeiten der klinischen Untersuchungsverfahren, denn nur dann ist eine valide Diagnosestellung möglich. Die wichtigsten apparativen Untersuchungen sind der Video-HIT und, falls dieser normal ausfällt, die kalorische Testung. Die Diagnosestellung ist durch die Re-klassifizierung vestibulärer Erkrankungen sowohl für den klinischen Alltag als auch für die Durchführung von Studien deutlich vereinfacht worden.
Abb. 0.1:Absolute Häufigkeiten der verschiedenen Schwindelsyndrome
Bildbeschreibung: Häufigkeiten in der überregionalen Spezialambulanz der Neurologischen Klinik und des Deutschen Schwindelzentrums der LMU München (1998 – 2024, aktualisiert und modifiziert) (PPV: Peripheral positional vertigo) (Strupp, M., Brandt, T., Dieterich, M. (2023). Vertigo and Dizziness – common complaints (3rd edition). SpringerNature).
Die Behandlung der verschiedenen Schwindelsyndrome umfasst in Abhängigkeit von der Ursache 1. physikalisch-medizinische, 2. medikamentöse, 3. psychotherapeutische und, heute nur noch selten, 4. operative Maßnahmen. Vier Therapieprinzipien: Physio-, Pharmako-, Psychotherapie, ChirurgieVor Beginn der Therapie sollte der Patient auf die meist gute Prognose vieler Schwindelsyndrome hingewiesen werden, da diese oft einen günstigen Spontanverlauf haben (z. B. durch Besserung der peripheren vestibulären Funktion bei der akuten unilateralen Vestibulopathie und zentrale Kompensation der vestibulären Tonusimbalance oder spontane Besserung bei peripherem Lageschwindel) und die meisten heute erfolgreich therapiert werden können.
Grundvoraussetzungen einer wirksamen Therapie sind: die korrekte Diagnose, eine spezifische Therapie je nach Ätiologie, bei Pharmakotherapie ausreichende Dosierung und Behandlungsdauer sowie grundsätzlich Verlaufskontrollen durch den Arzt, um den Therapieeffekt und mögliche unerwünschte Wirkungen beurteilen, die Behandlung dementsprechend anpassen und das Auftreten eines funktionellen Schwindels frühzeitig erkennen zu können.
Gleichgewichtstraining führt sowohl zur Verbesserung der zentralen Kompensation akuter peripherer und zentraler vestibulärer Störungen als auch zur visuellen und somatosensorischen Substitution (Übersichten in Hall et al. 2022).
Die Befreiungsmanöver beim PPV führen bei korrekter Durchführung in mehr als 95 % aller Fälle innerhalb einiger Tage zur Beschwerdefreiheit (Übersicht in Bhattacharyya et al. 2017).
Die drei wesentlichen Indikationen für eine Pharmakotherapie sind
a)die symptomatische Behandlung von Schwindel, Übelkeit/Erbrechen, die auf eine Dauer von ein bis maximal drei Tage beschränkt sein sollte,
b)Verbesserung der zentralen Kompensation eines akuten vestibulären Syndroms, für deren Wirksamkeit es bislang nur präklinische Daten gibt, und
c)wenn möglich eine kausale Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung (siehe einzelne Erkrankungen).
Der FS ist in unserer Ambulanz die häufigste Schwindelform. Deshalb kommt dessen Behandlung eine besondere Bedeutung zu, und zwar meist in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie, z. B. mit Desensibilisierung durch Eigenexposition, in Kombination mit Psychoedukation und regelmäßigem Sport. Diese Behandlungsverfahren sollten auch bei sekundären psychologischen und psychiatrischen Störungen von Patienten mit Schwindel eingesetzt werden.
Ist die Ursache von Schwindel z. B. ein Vestibularisschwannom oder ein Kavernom des Hirnstamms, so steht die chirurgische Behandlung oder Therapie mit Gamma-Knife/Cyberknife im Vordergrund. Darüber hinaus ist nur in ganz seltenen Fällen einer Vestibularisparoxysmie eine Operation erforderlich, wenn Klarheit über die Diagnose und die betroffene Seite besteht und der Patient die medikamentöse Behandlung nicht verträgt. Ferner ist beim Syndrom der dritten mobilen Fenster (häufigste Form superior »canal dehiscence syndrome«) eine operative Behandlung mit »Canal plugging«, »resurfacing« oder »capping« zu erwägen.
Bhattacharyya, N., Gubbels, S. P., Schwartz, S. R. et al. (2017). Clinical Practice Guideline: Benign Paroxysmal Positional Vertigo (Update). Otolaryngol. Head Neck Surg, 156, 1-S47. https://doi.org/10.1177/0194599816689667
Hall, C. D., Herdman, S. J., Whitney, S. L. et al. (2022). Vestibular Rehabilitation for Peripheral Vestibular Hypofunction: An Updated Clinical Practice Guideline From the Academy of Neurologic Physical Therapy of the American Physical Therapy Association. J. Neurol. Phys. Ther, 46, 118 – 177. https://doi.org/10.1097/npt.0000000000000382
Jaganathan, N., Mohamed, M. H., Pauzi, A. L. et al. (2024). Video head impulse test in stroke: a review of published studies. Front Neurol, 15, 1339039. https://doi.org/10.3389/fneur.2024.1339039
Mavrodiev, V., Strupp, M., Vinck, A. S. et al. (2024). The dissociation between pathological caloric testing and a normal video head impulse test helps differentiate between Menière's disease, vestibular migraine, and other vestibular disorders: a confirmatory study in a large cohort of 2,101 patients. Front Neurol, 15, 1449261. https://doi.org/10.3389/fneur.2024.1449261
Strupp, M., Brandt, T., Dieterich, M. (2023). Vertigo and dizziness – common complaints. SpringerNature.
Präsentation basierend auf dem zeitlichen Verlauf Anatomisch, pathophysiologisch und funktionell lassen sich vier Formen peripherer vestibulärer Störungen mit typischen Symptomen und klinischen Zeichen differenzieren, die auch für das Verständnis der Erkrankungen wichtig sind (Übersicht in Strupp et al. 2022b):
1.Beidseitige/r Funktionsminderung oder -ausfall des N. vestibularis und/oder der Vestibularorgane: Bilaterale Vestibulopathie (Strupp et al. 2017) mit der seltenen Übergangsform zur normalen Funktion beim älteren Patienten: der Presbyvestibulopathie (Agrawal et al. 2019).
2.Das »Akute periphere vestibuläre Syndrom«, meist durch eine Akute unilaterale Vestibulopathie/Neuritis vestibularis (Strupp et al. 2022a), die sich als akuter, länger anhaltender Drehschwindel mit peripherem vestibulärem Spontannystagmus, pathologischem Kopfimpulstest, Fallneigung und oft Übelkeit/Erbrechen manifestiert.
3.Paroxysmale pathologische Erregung des N. vestibularis und/oder der Vestibularorgane (peripherer Lageschwindel [»Peripheral positional vertigo« (PPV), meist Exzitation], früher Benigner peripherer paroxysmaler Lageschwindel), Morbus Menière (Lopez-Escamez et al. 2015) (zunächst Exzitation, dann Inhibition), Vestibularisparoxysmie (Strupp et al. 2016), Syndrom der dritten mobilen Fenster (Plural, am häufigsten »Superior canal dehiscence syndrome« [Ward et al. 2021]) oder seltener Hemmung, z. B. beim PPV oder in der post-akuten Phase einer Episode eines Morbus Menière. Bei diesen Formen ist das Leitsymptom rezidivierende Schwindelepisoden.
4.Caveat: mehr als eine Erkrankung möglichKombination der o. g. Symptome, z. B. beim Übergang eines Morbus Menière mit rezidivierenden Schwindelepisoden in eine bilaterale Vestibulopathie mit bewegungsabhängigem Schwankschwindel, i. S. einer sequenziellen bilateralen Vestibulopathie (Zingler et al. 2007).
Die Einjahresprävalenz peripherer vestibulärer Erkrankungen lag in einer landesweiten epidemiologischen Studie in Korea für PPV, Akute unilaterale Vestibulopathie und Morbus Menière pro 100.000 bei 51,4, 22,7 und 12,4 im Jahr 2008 und 181,1, 62,9, und 50,5 im Jahr 2020 (der Morbus Menière ist dabei in asiatischen Populationen deutlich seltener als in kaukasischen) (Jeong et al. 2023).
Agrawal, Y., van de Berg, R., Wuyts, F. et al. (2019). Presbyvestibulopathy: Diagnostic criteria Consensus document of the classification committee of the Barany Society. J. Vestib. Res, 29, 161 – 170. https://doi.org/10.3233/VES-190672
Jeong, J., Youk, T. M., Choi, H. S. (2023). Incidence of peripheral vestibular disorders based on population data of South Korea. J. Vestib. Res, 33, 143 – 150. https://doi.org/10.3233/ves-220085
Lopez-Escamez, J. A., Carey, J., Chung, W. H. et al. (2015). Diagnostic criteria for Meniere's disease. J. Vestib. Res, 25, 1 – 7.
Strupp, M., Bisdorff, A., Furman, J. et al. (2022a). Acute unilateral vestibulopathy/vestibular neuritis: Diagnostic criteria. J. Vestib. Res, 32, 389 – 406. https://doi.org/10.3233/ves-220201
Strupp, M., Brandt, T., Dieterich, M. (2022b). Vertigo – Leitsymptom Schwindel. Springer.
Strupp, M., Kim, J. S., Murofushi, T. et al. (2017). Bilateral Vestibulopathy: diagnostic criteria. Journal of Vestibular Research, 27(4), 177 – 189. https://doi.org/10.3233/ves-170619
Strupp, M., Lopez-Escamez, J. A., Kim, J. S. et al. (2016). Vestibular paroxysmia: diagnostic criteria. J Vestib. Res, 26, 409 – 415. https://doi.org/10.3233/ves-160589
Ward, B. K., van de Berg, R., Van, R. et al. (2021). Superior semicircular canal dehiscence syndrome: Diagnostic criteria consensus document of the committee for the classification of vestibular disorders of the Barany Society. J Vestib. Res, 31, 131 – 141. https://doi.org/10.3233/VES-200004
Zingler, V. C., Cnyrim, C., Jahn. K. et al. (2007) Causative factors and epidemiology of bilateral vestibulopathy in 255 patients. Ann. Neurol, 61, 524 – 532. https://doi.org/10.1002/ana.21105
Akuter Schwindel: rasche Differenzialdiagnose notwendig und möglichEine 33-jährige Patientin ohne Vorerkrankungen stellt sich wegen vor acht Stunden begonnenem Schwindel in der Notaufnahme vor. Sie berichtet, dass sie morgens beim Aufsetzen unter starkem Drehschwindel mit Übelkeit und Brechreiz gelitten habe. Anschließend habe sie sich übergeben müssen. Beim Aufstehen habe sie eine Fallneigung nach rechts bemerkt. Auf Nachfragen gibt sie an, dass die Bilder vor ihren Augen laufen würden. In Ruhe seien die Beschwerden etwas besser, aber nicht weg. Sie vermeide jetzt rasche Bewegungen, vor allem Kopfdrehungen, da diese zu einer Verstärkung der Beschwerden führten.
Arzt: Haben Sie auch Doppelbilder?
Patientin: Nein. Aber die Bilder sind unscharf.
Arzt: Haben Sie Gefühlsstörungen im Gesicht?
Patientin: Nein.
Arzt: Wie ist Ihr Sprechen und Schlucken?
Patientin: Das ist unverändert, da ist mir nichts aufgefallen.
Arzt: Haben Sie Hörstörungen, ein Ohrgeräusch oder ein Druckgefühl auf einem Ohr bemerkt?
Patientin: Nein. Mir ist auch nichts aufgefallen.
Arzt: Leiden Sie unter Kopfschmerzen?
Patientin: Nein.
Arzt: Haben Sie eine Schwäche oder Koordinationsstörungen an Armen und Beinen bemerkt?
Patientin: Nein.
Arzt: Leiden oder litten Sie unter hohem Blutdruck, hohem Blutzucker oder hohen Blutfetten?
Patientin: Davon ist mir nichts bekannt.
Arzt: Gibt es bei Ihnen irgendwelche anderen Vorerkrankungen, insbesondere am Herzen?
Patientin: Nein.
Arzt: Haben oder hatten Sie eine Migräne?
Patientin: Ab und zu habe ich einmal Kopfschmerzen. Die sind meistens im Stirnbereich und fühlen sich druckartig an.
Arzt: Gingen diese Kopfschmerzen mit Licht- oder Lärmempfindlichkeit oder auch Übelkeit einher?
Patientin: Nein. Das ist mir nicht aufgefallen.
Arzt: Haben oder hatten Sie mal einen Hörsturz?
Patientin: Nein.
Arzt: Nehmen Sie irgendwelche Medikamente ein?
Patientin: Bisher war ich immer gesund. Das ist das erste Mal, dass ich mich richtig krank fühle und elend. Mir ist wirklich schlecht. Ich glaube, ich muss mich gleich übergeben.
Akute unilaterale Vestibulopathie als AusschlussdiagnoseBei der klinischen Untersuchung ergeben sich die folgenden Befunde: Die Patientin sitzt aufrecht und schaut dem Arzt in die Augen; es findet sich ein Spontannystagmus nach links. Dessen Richtung ist aus Sicht des Arztes horizontal-torsionell im Uhrzeigersinn. Die Intensität nimmt beim Blick nach links zu, beim Blick nach rechts nimmt sie ab. Wichtig: Ein richtungswechselnder Nystagmus liegt im Rechtsblick nicht vor. Nach Aufsetzen der M-Brille, die die Fixation reduziert, nimmt die Intensität des Nystagmus deutlich zu (▸ Video 1.1).
Video 1.1: Typischer Befund bei einer akuten rechtsseitigen Vestibulopathie (Video abrufbar unter Kap. Zusatzmaterial zum Download)
Beim alternierenden Abdeck-Test ergeben sich keine Hinweise für eine vertikale Deviation (Anmerkung: Bei einem starken Nystagmus ist dieser Test häufig schwer zu beurteilen).
Der Kopfimpulstest ist nach rechts sicher pathologisch mit einer deutlichen Einstellsakkade.
Im Romberg-Test zeigt sich schon mit offenen Augen, wenn beide Füße zusammenstehen, eine deutliche Fallneigung nach rechts. Mit geschlossenen Augen ist die Patientin nicht gehfähig.
Bei den übrigen klinisch neurologischen Untersuchungen finden sich keine Hinweise für zentrale Okulomotorikstörungen, Sensibilitätsstörungen, insbesondere keine Hemihypästhesie, sowie für Paresen oder Koordinationsstörungen.
Marginalie: Bei unklarem Kopfimpulstest Video-Kopfimpulstest hilfreichEs liegt ein akutes vestibuläres Syndrom mit einem peripheren vestibulären Spontannystagmus nach links vor, der durch visuelle Fixation teilweise unterdrückt werden kann, und einem pathologischen Kopfimpulstest rechts, ohne vertikale Deviation/Skew deviation sowie einem pathologischen Romberg-Test mit Fallneigung nach rechts. Ferner gibt es keine Hinweise für zentrale Okulomotorikstörungen. Der übrige klinische Befund ist regelrecht, insbesondere ohne Hinweise für Hörstörungen oder zentrale Defizite.
Somit lässt sich die Diagnose einer akuten unilateralen Vestibulopathie (AUVP)/Neuritis Vestibularis rechts klinisch stellen.
Im vorliegenden Fall haben wir eine Untersuchung mit dem Video-Kopfimpulstest ergänzt. Der Verstärkungsfaktor des vestibulo-okulären Reflexes (VOR) war rechts reduziert und links im Referenzbereich (Referenzwert: > 0,7) (▸ Abb. 1.1). Auf weitere apparative Untersuchungen wurde verzichtet.
Abb. 1.1: Video-Kopfimpulstest
Bildbeschreibung: Simultane Messung der Augen- und Kopfwinkelgeschwindigkeit. Der Verstärkungsfaktor (gain) des vestibulo-okulären Reflexes (Quotient aus dem Integral der Augen- und Kopfwinkelgeschwindigkeit, VOR-gain) ist rechts reduziert und links im Referenzbereich (> 0.7). Dies stützt die Diagnose einer akuten rechtsseitigen Vestibulopathie. Caveat: Auch bei zentralen Läsionen kann der VOR-gain reduziert sein.
Weitere apparative Untersuchungen sind in diesem Fall bei einem eindeutigen klinischen Befund, insbesondere wenn keine zentralen Okulomotorikstörungen oder akuten Hörstörungen vorliegen, sowie fehlenden vaskulären Risikofaktoren unseres Erachtens nicht erforderlich.
Bestehen Zweifel an der Diagnose, sollte man, falls vorhanden, den Video-Kopfimpulstest und/oder die kalorische Testung ergänzen.
In der Akutphase u. U. CT und CT-AngiografieAn bildgebenden Untersuchungen empfiehlt sich bei Zweifel an der Diagnose in der Akutphase eine Computertomografie mit der Frage nach Blutungen oder anderen strukturellen Veränderungen im Bereich von Hirnstamm und Kleinhirn sowie eine CT-Angiografie mit der Frage nach Stenosen oder Hinweisen für Embolien.
Die aktuellen Diagnosekriterien auch im klinischen Alltag verwenden Die aktuellen diagnostischen Kriterien für die akute unilaterale Vestibulopathie (AUVP)/Neuritis vestibularis (beide Termini können synonym verwendet werden) sind wie folgt [Strupp et al. 2022] https://www.thebaranysociety.org/icvd-consensus-documents/):
Diagnostische Kriterien für die akute unilaterale Vestibulopathie
Jedes der folgenden Kriterien muss erfüllt sein:
A)Akut oder subakut einsetzender Drehschwindel (d. h. AVS) mittlerer bis starker Intensität, Dauer mindestens 24 h
B)Peripherer vestibulärer Spontannystagmus, d. h. ein Nystagmus in der Ebene der betroffenen Bogengänge, meist horizontal-torsionell, der sich bei fehlender Fixation verstärkt und seine Richtung nicht umkehrt
C)Eindeutig reduzierte einseitige Funktionsminderung des VOR in der entgegengesetzten Richtung der schnellen Phase des Spontannystagmus
D)Keine Hinweise für zentrale neurologische oder akute audiologische Symptome, wie Hörminderung, Tinnitus oder andere otologische Symptome wie Otalgie
E)Keine akuten zentralen neurologischen Zeichen, insbesondere keine zentralen Okulomotorikstörungen oder zentralen vestibulären Zeichen, insbesondere keine deutliche vertikale Deviation/Skew deviation, Blickrichtungsnystagmus oder akute audiologische Defizite
F)Auch andere periphere vestibuläre Erkrankungen in Betracht ziehenNicht besser durch andere Erkrankung erklärbar
Die Diagnose einer AUVP ist eine Ausschlussdiagnose. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind die folgenden:
Das akute zentrale vestibuläre Syndrom durch einen Infarkt im Bereich des Hirnstamms oder Kleinhirns (siehe Kapitel zu zentralem Schwindel, ▸Teil II »Zentrale vestibuläre Symptome«),
Kombinierte akute zentrale und periphere Läsionen, z. B. durch einen AICA-Infarkt des Labyrinths und Kleinhirns,
Andere zentrale Syndrome, z. B. vestibuläre Migräne (▸ Kap. 11), sowie
Andere periphere vestibuläre Erkrankungen (s. ▸ Tab. 1.1).
Tab. 1.1: Diagnose und Charakteristika anderer peripherer vestibulärer Erkrankungen
Diagnose
Klinische Charakteristika
Cogan-Syndrom (▸ Kap. 7)
Typische doppelte Trias:
Schwindel, Hörminderung/Tinnitus, »rote Augen«
Peripher vestibuläre Läsion, Hypakusis, interstitielle Keratitis
Herpes zoster oticus (Ramsay-Hunt-Syndrom)
Beginnend mit brennenden Ohrenschmerzen und Effloreszenzen, dann Schwindel, Hörstörungen und/oder Fazialisparese
Kann zu kompletter AUVP führen, die mit einer vertikalen Divergenz (»skew deviation«) assoziiert sein kann und in der kranialen Magnetresonanztomographie (cMRT) oft Kontrastmittel(KM)-Aufnahme der betroffenen Hirnnerven zeigt
Kupulolithiasis des horizontalen Bogengangs
Bei der klinischen Untersuchung findet sich ein horizontaler Spontannystagmus, der beim »lean-and-bow-test« die Richtung wechselt (d. h., in aufrechter Position zur Seite des betroffenen Bogengangs und beim Nach-vorne-Beugen in die entgegengesetzte Richtung) und bei den diagnostischen Lagemanövern in Rückenlage jeweils apogeotrop schlägt, was diagnostisch hilfreich ist. Verwechslung mit AUVP, weil der Nystagmus in aufrechter Kopfposition permanent ist,
Labyrinthitis
Geht mit Ohrschmerzen, Hörminderung und/oder Tinnitus einher
Der Verlauf kann akut, subakut oder langsam progredient sein.
Morbus Menière
Die Erkrankung kann mono- oder oligosymptomatisch beginnen. Dann ist die Differenzialdiagnose schwierig und meist erst aus dem Verlauf aufgrund der Hörstörungen und des episodischen Auftretens zu stellen.
Vestibularisparoxysmie
In Einzelfällen können die oligosymptomatischen Episoden auch Stunden anhalten und gehen mit einem peripheren vestibulären Spontannystagmus einher. Dann lässt sich die Diagnose erst aus dem Verlauf mit rezidivierenden kurzen Episoden stellen.
Vestibularisschwannom
Meistens schleichend chronisch progredienter Verlauf und mit Hörminderung und/oder Tinnitus einhergehend
Wird deshalb heutzutage oft im Rahmen der Diagnose einer Hörstörung mittels cMRT mit KM diagnostiziert
Wird oft erst spät symptomatisch
Kann in seltenen Fällen auch mit Schwindelepisoden einhergehen
Zur symptomatischen Therapie erhielt die Patientin an Tag 1 wegen der starken Übelkeit und des Brechreizes Dimenhydrinat dreimal täglich 50 mg. Dies konnte am nächsten Tag abgesetzt werden.
Zur kausalen Therapie erhielt die Patientin 100 mg Methylprednisolon morgens für drei Tage. Dann wurde die Dosis an jedem vierten Tag um 20 mg reduziert, begleitend Magenschutz.
Physikalisch medizinisch erfolgte schon ab Tag 1 eine krankengymnastische Übungsbehandlung. Initial wurde die Patientin gebeten, im Bett aufrecht sitzend ihren Kopf so oft wie möglich rasch nach rechts und links zu drehen. Limitierend waren Übelkeit und im Verlauf sich entwickelnde Nackenschmerzen. Ab Tag 2 erfolgten dann Übungen im Stehen und im Gehen, zunächst unter physiotherapeutischer Anleitung. Ferner erhielt die Patientin Übungsanleitungen zum Selbsttraining, die sie über 4 Wochen täglich durchführen sollte.
Aufgrund der doch sehr starken Beschwerden befand sich die Patientin zwei Tage in stationärer Behandlung.
Sie konnte dann in deutlich gebessertem Zustand nach Hause entlassen werden.
Eine ambulante Verlaufskontrolle erfolgte nach zwei Wochen.
Arzt: Wie geht es Ihnen?
Patientin: Schon besser, aber noch nicht richtig gut.
Arzt: Wie fühlen Sie sich im Liegen und Sitzen?
Patientin: Da habe ich praktisch gar keine Beschwerden mehr. Nur noch bei raschen Kopfdrehungen, insbesondere nach rechts, fühl' ich mich noch unsicher.
Arzt: Wie geht es Ihnen im Stehen?
Patientin: Da schwanke ich noch vermehrt.
Arzt: Beim Gehen?
Patientin: Da fühle ich mich noch unsicher und drifte ein bisschen nach rechts ab, insbesondere wenn es dunkel ist.
Bei der körperlichen Untersuchung während der Verlaufskontrolle ergaben sich die folgenden Befunde: nur noch geringer Spontannystagmus unter der M-Brille nach links, weiterhin pathologischer Kopfimpulstest nach rechts, Kopfschüttelnystagmus nach links (als Zeichen einer peripher vestibulären Funktionsminderung rechts), beim Romberg-Test im Einbeinstand mit geschlossenen Augen noch vermehrtes Schwanken mit Fallneigung nach rechts. Ihr wurde empfohlen, die physikalisch medizinischen Übungen für weitere zwei Wochen fortzuführen.
Eine weitere Verlaufskontrolle erfolgte nach sechs Monaten: Ein Spontannystagmus war nicht mehr sichtbar, und es zeigte sich eine Normalisierung des Kopfimpulstests. In der apparativen Diagnostik zeigte sich ein normaler VideoKopfimpulstest: Verstärkungsfaktor rechts 0,92, links 0,90. Der Romberg-Test war jetzt selbst im Einbeinstand mit geschlossenen Augen für 5 Sekunden möglich. Damit ergaben sich zusammengefasst keine Hinweise für persistierende Defizite.
Generell beruht die Therapie der akuten unilateralen Vestibulopathie auf drei Prinzipien:
1.Symptomatische Behandlung
2.»Kausale Therapie« mit Steroiden
3.Physiotherapie
Symptomatische Behandlung maximal 1 – 3 TageZur akuten Behandlung von Schwindel, Übelkeit und Erbrechen ist die Gabe von
Dimenhydrinat (oral 50 – 100 mg oder i. v. oder rektal [max. tgl. Dosis 400 mg]) oder
Ondansetron (oral 4 – 8 mg, bis zu 4 × 8 mg/d; oder i. v. 4 – 8 mg i. v. [max. Dosis 32 mg/d]) oder bei unzureichendem Ansprechen
Lorazepam (oral 0.5 – 1 mg bis 4 mg/d) sinnvoll.
Die maximale Behandlungsdauer mit diesen, die zentrale Kompensation hemmenden Medikamenten, die zudem ein Abhängigkeitspotenzial haben können, sollte ein bis maximal drei Tage nicht überschreiten.
Eine akute Therapie mit Steroiden wird auch in der Leitlinie der »American Society for Academic Emergency Medicine« empfohlen (Edlow et al. 2023). Ein Caveat: Weitere Placebo-kontrollierte Studien mit ausreichender Dosierung und validen klinischen Endpunkten sind dazu notwendig. Obwohl dies damit bislang nicht hinreichend sicher belegt ist (es fehlt eine zweite positive Placebo-kontrollierte Studie), empfehlen wir eine kurze Behandlung mit Glukokortikoiden (Methyl-Prednisolon, initial 100 mg oral pro Tag, Dosis schrittweise jeden dritten Tag um 20 mg reduzieren; Strupp et al. 2004), die so früh wie möglich nach Symptombeginn gestartet werden sollte.
Zur Verbesserung der zentralen vestibulären Kompensation des peripheren Defizits erfolgt ein stufenförmiges physikalisches Training für ca. 3 × 15 Min. pro Tag über einen Zeitraum von etwa vier Wochen. Dieses sollte zunächst unter krankengymnastischer Betreuung erfolgen und beinhaltet vor allem rasche rhythmische Kopfdrehungen nach rechts und links und Übungen zur Verbesserung der Blickstabilisation. Dann sollten Trainingseinheiten zur Verbesserung der Stand-, Haltungs- und Gangregulation während Augen-Kopf-Körper-Bewegungen erfolgen, die der Patient im Verlauf selbst durchführen kann. Wichtig ist, dass der Schwierigkeitsgrad der Gleichgewichts- und Balanceübungen bis zu einem Grad oberhalb der »Normalanforderung« sukzessive gesteigert wird, sowohl mit als auch ohne visuelle Stabilisation.
»Augenbewegungsübungen« nicht indiziertDie Leitlinie der »Academy of Neurologic Physical Therapy of the American Physical Therapy Association« empfiehlt bei einer AUVP die Durchführung von Gleichgewichtsübungen, die angeleitet erlernt und selbstständig zu Hause durchgeführt werden können (Hall et al. 2022). Eine effektive Therapie lässt sich – mit moderater bis schwacher Evidenz – bei einer Frequenz von einer Behandlung pro Woche mit Anleitung zum selbständigen dreimaligen Üben pro Tag über eine Gesamtdauer von mindestens zwölf Minuten erreichen. Hierbei ist das Training von raschen horizontalen und vertikalen Kopfbewegungen, die zu einer Zunahme der vestibulären Tonusimbalance (der treibenden Kraft für die zentrale Kompensation) führen, besonders relevant. Wichtig: Für die Wirksamkeit von in statischer Kopfhaltung durchgeführten isolierten Augenbewegungen (wie langsame Blickfolge oder Sakkaden) bei peripheren vestibulären Erkrankungen gibt es keine Hinweise (Hall et al. 2022). Ein Review mit Metaanalyse (12 Studien, 536 Patienten) kommt ebenfalls zu der Schlussfolgerung, dass vestibuläre Rehabilitation wirksam ist; schließlich wird konkludiert, dass die Kombination mit Steroiden noch wirksamer sei (Huang et al. 2024).
Edlow, J. A., Carpenter, C., Akhter, M. et al. (2023). Guidelines for reasonable and appropriate care in the emergency department 3 (GRACE-3): Acute dizziness and vertigo in the emergency department. Acad. Emerg. Med, 30, 442 – 486.
Hall, C. D., Herdman, S. J., Whitney, S. L. (2022). Vestibular Rehabilitation for Peripheral Vestibular Hypofunction: An Updated Clinical Practice Guideline From the Academy of Neurologic Physical Therapy of the American Physical Therapy Association. J. Neurol. Phys. Ther, 46, 118 – 177. https://doi.org/10.1097/NPT.0000000000000382
Huang, H. H., Chen, C. C., Lee, H. H. (2024). Efficacy of Vestibular Rehabilitation in Vestibular Neuritis: A Systematic Review and Meta-analysis. Am J Phys Med Rehabil, 103, 38 – 46. https://doi.org/10.1097/phm.0000000000002301
Strupp, M., Bisdorff, A., Furman, J. et al. (2022). Acute unilateral vestibulopathy/vestibular neuritis: Diagnostic criteria. J. Vestib. Res, 32, 389 – 406. https://doi.org/10.3233/ves-220201
Strupp, M., Zingler, V. C., Arbusow, V. et al. (2004). Methylprednisolone, valacyclovir, or the combination for vestibular neuritis. N. Engl. J. Med, 351, 354 – 361. https://doi.org/10.1056/nejmoa033280
Immer nach Hörstörungen, Tinnitus und Ohrdruck fragenEs ist 02:00 Uhr in der Nacht und ein 78-jähriger Patient kommt notfallmäßig in die Klinik. Er berichtet, dass er seit 23:00 Uhr des Vortages unter heftigem Drehschwindel leide mit einer Fallneigung nach links, starker Übelkeit und laufenden Bildern vor den Augen.
Arzt: Hatten Sie so etwas schon vorher einmal?
Patient: Nein, das ist das erste Mal.
Arzt: Haben Sie noch andere Beschwerden außer dem Drehschwindel und der Übelkeit?
Patient: Ja, jetzt da Sie fragen, mir fällt gerade auf, dass ich auf dem linken Ohr nichts mehr höre und ein deutliches Ohrgeräusch links habe.
Arzt: Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?
Patient: Ich glaube, mit meiner linken Hand und meinem linken Arm ist irgendetwas nicht ganz in Ordnung.
Arzt: Was merken Sie denn da?
Patient: Ich kann die Bewegungen nicht mehr ganz so gut ausführen, ich greife manchmal leicht daneben.
Arzt: Haben Sie vielleicht einen hohen Blutdruck oder hohen Blutzucker?
Patient: Ja, seit vielen Jahren habe ich einen hohen Blutdruck, der ist aber momentan gut eingestellt, glaube ich.
Arzt: Hatten Sie schon einmal einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall?
Patient: Davon ist mir nichts bekannt.
Arzt: Nehmen Sie Medikamente?
Patient: Ja, ich nehme Medikamente gegen hohen Blutdruck, sonst aber keine weiteren.
Bei der körperlichen Untersuchung finden sich folgende pathologischen Befunde:
Spontannystagmus nach rechts, der durch Fixation unterdrückt wird
Pathologischer Kopfimpulstest nach links
Hochgradige Innenohrschwerhörigkeit links, Diagnose mittels Fingerreibegeräuschen sowie Rinne- und Weber-Test
Dysdiadochokinese des linken Armes
Im Romberg-Test fällt der Patient bereits mit offenen Augen nach links.
Bei der CCT und CT-Angiografie ergeben sich keine Hinweise für eine Blutung oder andere strukturelle Veränderungen im Bereich von Hirnstamm oder Kleinhirn sowie keine Hinweise für höhergradige Stenosen extra- und intrakranieller Gefäße.
Bei erstmaligem Schwindel mit Hörstörungen zuerst an AICA-Infarkt denkenBei erstmaligem Auftreten von akutem Schwindel mit hochgradiger Hörstörung besteht der Verdacht auf einen Infarkt der Arteria inferior cerebelli anterior (AICA). Die Diagnose wird im vorliegenden Fall durch die zusätzlichen zentralen Symptome und klinischen Zeichen gestützt, d. h. der Dysdiadochokinese des linken Armes.
Vorgehen in der Notaufnahme: Da sich der Patient noch im Zeitfenster von 4,5 bis 6 Stunden befindet, wird eine Lysetherapie eingeleitet. Zur Überwachung und weiteren Diagnostik wird der Patient auf die Stroke Unit aufgenommen. Nach der Lysetherapie erfolgt eine sekundär prophylaktische Behandlung mit Aspirin und Atorvastatin. Die Dopplersonografie, die kardiale Diagnostik mit Herzecho und EKG über 72 h am Monitor sind unauffällig. Das Audiogramm zeigt eine hochgradige pantonale Innenohrschwerhörigkeit links. Eine MRT des Schädels 48 h nach Beginn der Symptomatik zeigt einen typischen linksseitigen AICA-Infarkt.
Im Zweifelsfall Schlaganfall annehmenUnter intensiver Physiotherapie bessern sich die vestibulären Beschwerden. Das Hörvermögen bleibt jedoch weiterhin deutlich eingeschränkt, wie Verlaufskontrollen mittels Audiogramm nach vier Wochen zeigen.
Nicht jeder Schwindel mit Hörstörungen ist ein Morbus Menière. Für die Diagnose des Morbus Menière werden mindestens zwei Episoden mit Symptomdauer von 20 Min. bis 12 h und begleitender Hörstörung gefordert.
2.Ist man sich bei der Diagnose nicht sicher, sollte man bei erst einmaligem Auftreten von akutem Schwindel mit Hörstörungen einen AICA-Infarkt annehmen, auch wenn keine weiteren neurologischen Symptome oder Zeichen bestehen, und den Patienten wie einen Patienten mit Schlaganfall prozessieren und behandeln.
Eine 53-jährige Patientin stellt sich elektiv in Ihrer Ambulanz vor. Sie berichtet über seit zwei Jahren zunehmenden Schwankschwindel mit Gangunsicherheit und einer Tendenz, beim Gehen nach links abzudriften.
Arzt: Haben Sie noch andere Beschwerden?
Patientin: Ja, auf dem linken Ohr höre ich wohl etwas schlechter. Ich muss immer den Kopf nach rechts drehen, damit ich im Gespräch mein Gegenüber etwas besser verstehe. Auch habe ich auf dem linken Ohr manchmal ein Piepsen.
Arzt: Gibt es noch weitere Beschwerden?
Patientin: Seit sechs Monaten habe ich auch kurze Schwindelepisoden.
Arzt: Wie lange halten diese an?
Patientin: Sekunden, manchmal Minuten.
Arzt: Wie häufig kommen diese Schwindelepisoden?
Patientin: So ein- bis zweimal im Monat, glaube ich.
Arzt: Waren Sie deshalb schon einmal bei einem anderen Arzt?
Patientin: Bisher nicht, Sie sind der Erste.
Bei der klinischen Untersuchung ergeben sich folgende Befunde:
Kopfimpulstest nach links pathologisch
Kopfschüttelnystagmus nach rechts
Beim Fingerreibetest Hörminderung links ohne Hinweise für eine Schallleitungsstörung im Rinne-Test
Im Weber-Test Lateralisation nach rechts
Im Romberg-Test Fallneigung nach links
Beim Gehen mit geschlossenen Augen ebenfalls Abweichen nach links
Hörstörungen und/oder peripher vestibuläres Defizit: MRT mit KMDie Arbeitsdiagnose lautet kombinierte vestibuläre und audiologische Störung mit Innenohrschwerhörigkeit links.
Der Video-Kopfimpulstest zeigt ein VOR-Defizit links (▸ Abb. 2.1).
Abb. 2.1: Video-Kopfimpulstest
Bildbeschreibung: Simultane Messung der Augen- und Kopfwinkelgeschwindigkeit. Der Verstärkungsfaktor (gain) des vestibulo-okulären Reflexes (Quotient aus dem Integral der Augen- und Kopfwinkelgeschwindigkeit, sog. VOR-gain) ist links reduziert und rechts im Referenzbereich (> 0.7).
Ein Audiogramm zeigt eine pantonale Innenohrschwerhörigkeit links von mindestens 50 dB (▸ Abb. 2.2). Unter dem Verdacht auf ein Vestibularisschwannom wird eine kontrastverstärkte MRT durchgeführt: Es zeigt sich ein typischer Befund mit einem linksseitigen intrakanalikulären Tumor (▸ Abb. 2.3).
Abb. 2.2:Reintonaudiogramm
Bildbeschreibung: Pantonale sensorineurale Schwerhörigkeit links bei normalem Hörvermögen rechts.
Abb. 2.3:cMRT ohne und mit KM
Bildbeschreibung:
