Schwingfest - Blanca Imboden - E-Book

Schwingfest E-Book

Blanca Imboden

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Beschreibung

Bea - Journalistin und unfreiwillig selbständig - muss für ein Frauenmagazin einen Bauern porträtieren, der sich in voller Schönheit im Bauernkalender präsentiert. Er heißt Sämi, und Bea verliebt sich auf den ersten Blick in ihn. Doch der Naturbursche ist nicht nur schön, sondern weiß auch ganz genau, was er will. Nicht sie! Nicht eine Journalistin in Stöckelschuhen. Was er sucht, wenn überhaupt, das ist eine Bäuerin, die mit ihm auf Schwingfeste geht und sich auch nicht scheut, bereits morgens um fünf mit beiden Stiefeln im Kuhmist zu stehen. Obwohl Beas Herz brennt, bewahrt sie einen kühlen Kopf. Dabei hilft ihr die Überzeugung, dass er der Mann ist, mit dem sie alt werden will. Und so beschließt sie, sein Herz mit List und Tücke zu erobern. Bäuerin werden, das allerdings kann sie sich schlecht vorstellen, auch wenn sie sofort den Kontakt zu ihrer ehemaligen Schulkameradin sucht, die ebendies geworden ist. Aber übers Schwingen, denkt sie sich, wird sie bestimmt an Sämi herankommen. Also stürzt sie sich ins Abenteuer und lernt die "Bösen" und deren Taktiken im Sägemehl kennen. Und einiges mehr!

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Seitenzahl: 269

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Über das Buch

Bea, Journalistin und unfreiwillig selbständig, muss für ein Frauenmagazin einen Bauern porträtieren, der sich in voller Schönheit im Bauernkalender präsentiert. Er heißt Sämi, und Bea verliebt sich auf den ersten Blick in ihn. Doch der Naturbursche ist nicht nur schön, sondern weiß auch ganz genau, was er will: nicht sie! Nicht eine Journalistin in Stöckelschuhen. Was er sucht, wenn überhaupt, das ist eine Bäuerin, die mit ihm auf Schwingfeste geht und sich auch nicht scheut, bereits morgens um fünf mit beiden Stiefeln im Kuhmist zu stehen. Obwohl Beas Herz brennt, bewahrt sie einen kühlen Kopf. Dabei hilft ihr die Überzeugung, dass er der Mann ist, mit dem sie alt werden will. Und so beschließt sie, sein Herz mit List und Tücke zu erobern. Bäuerin werden, das allerdings kann sie sich schlecht vorstellen, auch wenn sie sofort den Kontakt zu ihrer ehemaligen Schulkameradin sucht, die ebendies geworden ist. Aber übers Schwingen, denkt sie sich, wird sie bestimmt an Sämi herankommen. Also stürzt sie sich ins Abenteuer und lernt die »Bösen« und deren Taktiken im Sägemehl kennen. Und einiges mehr!

»Ein sehr unterhaltsames, witziges Buch über das Schwingen, das Leben und die Liebe. Das Schöne daran – auch Laien werden dank Blanca Imboden das Schwingerlatein ein bisschen verstehen lernen. Ich habe ›Schwingfest‹ gern gelesen, und zwar nicht nur, weil mir darin eine Rolle zuteilwurde, sondern einfach, weil es die Schriftstellerin schafft, einen zu packen und im Lesestuhl auf den Rücken zu legen. Ich kann Blancas neuen Bestseller absolut weiterempfehlen und von Herzen sagen: Gut gemacht, Blanca!«

Laimbacher Adi,

Über die Autorin

Foto: © Laura Vercellone

BLANCAIMBODEN, geb. 1962, war professionelle Sängerin, dann Sekretärin und Kolumnistin bei der »Neuen Schwyzer Zeitung«. Als diese wegrationalisiert wurde, arbeitete sie als Seilbahnführerin auf dem Stoos. Daneben widmete sie sich – seit ihrer Schulzeit – immer wieder ihrer größten Leidenschaft, dem Schreiben.

Heute ist sie vollberuflich Schriftstellerin, führt in ihren Schreibpausen aber auch immer wieder Touristen durch das Victorinox-Museum in Brunnen. Für ihren elften Roman »Schwingfest« ließ sie sich in die Geheimnisse der Landwirtschaft und des Schwingens einweisen. Für den Wörterseh Verlag schrieb sie bereits »Wandern ist doof«, »Drei Frauen im Schnee«, »Anna & Otto« und »Matterhörner« sowie, zusammen mit Frank Baumann, »Johnny Depp«, den ersten Roman der Jugendbuchreihe »Schule ist doof«. Alle ihre Bücher standen wochenlang auf der Bestsellerliste. Blanca Imboden lebt dort, wo sie geboren wurde, in Ibach SZ.

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe

© 2016 Wörterseh, Gockhausen 2. Auflage 2016

Lektorat: Andrea Leuthold, Zürich Korrektorat: Claudia Bislin, Zürich Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen Foto Umschlag vorn: Composing aus © www.istockphoto.com/HuntImages (Hund) und © Paolo Foschini (Hose) Foto Umschlag hinten: © Thomas JarzinaLayout, Satz und herstellerische Betreuung: Rolf Schöner, Buchherstellung, Aarau Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Print ISBN 978-3-03763-067-9 E-Book ISBN 978-3-03763-597-1

www.woerterseh.ch

Inhalt

Ich will den Zwerg nicht töten

Ich bin noch lange nicht überfällig

Harry und Sämi

Sempach Matthias trifft Langstrumpf Pippi

Ohne mich

Zu spät für rote Rosen

Gammen

Übersprung

Der Wyberhaken

Das Anschwingen

Muttertag? Vatertag?

Mann schlecht, Leben gut

Wissen ist Macht

Kunst für die Katze

Der Stoos-Schwinget

Es wird noch besser

Das war erst der Anfang

Kurze, ungewollte Berühmtheit

Hinfallen – aufstehen

Die Rigi – Königin der Berge

Ich will den Zwerg nicht töten

»Das ist doch einfach schlechter Journalismus!«, schimpfe ich und knalle die Zeitung auf den Frühstückstisch. Meine Katze Klara, die gerade versucht hat, mir hinter meiner aufgeschlagenen Zeitung den Käse vom Teller zu stibitzen, springt erschrocken vom Tisch. Ich nehme das Blatt noch einmal zur Hand und lese kopfschüttelnd den Bericht, Wort für Wort.

Da hat also offensichtlich ein Luzerner Hotelier die Medien eingeladen, um eine großartige Neuheit in die Schweiz hinausposaunen zu lassen: Es gibt jetzt Katzenkaffee, vierzehn Franken die Espressotasse.

Katzenkaffee!

Wäre heute der 1. April, könnte ich herzhaft darüber lachen. Aber nein, es ist kein Scherz. Im Gegenteil! In Südostasien wird der Fleckenmusang, eine Schleichkatze, vom Baum in die Käfigbatterie »umgesiedelt« und dort mit roten Kaffeekirschen gefüttert. Diese werden dann im Verdauungstrakt der Tiere durch deren Magensäfte leicht gegärt und von Bitterstoffen befreit. Und am Ende presst das Käfigkätzchen, palim, palim, eine perfekte Kaffeebohne ins Katzenklo. Dieser Edelkaffee bringt geröstet locker zweihundert Franken das Kilo in die Kasse der Importeure. Es ist kaum zu fassen. Grimms Goldesel lässt grüßen.

»Vierzehn Franken für aufgebrühte Katzenkacke!«, rufe ich aus. »Wer braucht denn so was? Dekadenter Blödsinn! Da tragen die feinen Damen keinen Pelz mehr, andere sind Vegetarier oder sogar Veganer, kaufen nicht einmal mehr Lederschuhe, und jetzt kommen die mit so was daher! Die Haltung der Schleichkatzen werde kontrolliert, sagen die Produzenten. Kontrolliert!?«

Meine Hauskatze Klara schaut mich aus sicherer Entfernung verwundert an und schleicht sich davon.

»Pass bloß auf, Klara. Wenn du weiter meinen Käse klaust, füttere ich dich auch mit Kaffeebohnen!«, drohe ich ihr. »Und dann werde ich reich mit deiner Katzenkacke.«

Jetzt muss ich selber lachen.

Ja, ich kann mich herrlich aufregen, aber ich kann genauso schnell wieder lachen, auch über meine eigene Aufregung. Schon die Vorstellung, ich müsste Kaffeebohnen aus Klaras Katzenklo herauspicken, erheitert mich.

Trotzdem: Warum musste der Journalist das so unreflektiert, unkommentiert ins Blatt stellen? Er hätte doch wenigstens ein paar kritische Stimmen einholen können, wenn er schon selber nicht den Mut zu einem Kommentar hatte. Aber klar, vielleicht ist die Katzenkackekaffeebohnenrösterfirma oder der Hotelier ein wichtiger Inserent, und dann darf man heutzutage natürlich weder den einen noch den anderen kritisieren.

»Übelst!«

Warum ich so gehässig bin?

Ich gebe es zu: Das ist nur der Neid, der pure Neid auf jede angestellte Journalistin, auf jeden festen Job auf einer Zeitungsredaktion, auf jede Zeitung, die noch nicht gestorben ist und Mitarbeiter bezahlen kann.

Warum ich Selbstgespräche führe?

Na, mit wem soll ich denn reden, ich bin ja – mal abgesehen von Klara – mausbeinallein hier in meinem Home-Office.

Seit meine Zeitungsredaktion geschlossen wurde, einfach wegrationalisiert, und ich mich selbständig gemacht habe (mehr zwangsläufig als freiwillig), fehlen mir meine Kollegen.

So einfach ist das.

Aber mir fehlt noch mehr.

Mir fehlt eine Tagesstruktur, das regelmäßige Einkommen, manchmal überhaupt ein Einkommen, und ich vermisse den täglichen Austausch mit Arbeitskollegen. Schon die paar Begrüßungsworte am Morgen, die sich meist nur ums Wetter drehten, schafften eine Atmosphäre, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, einen Teamgeist. Die kleinen Meetings am Kaffeeautomaten dienten Klatsch und Tratsch. Die gemeinsamen Mittagessen waren eine fröhliche Büro-Flucht, ein gelebtes Miteinander. Bei den Feierabend-Treffs konnte man den Tag reflektieren, sich anfreunden, jammern und jubeln. Und ich gehörte dazu.

Heute bin ich bloß Freiwild, ein einsamer Geist, der zu Hause auf Aufträge wartet und daher ständig sein iPhone im Auge behält, um auch ja keinen Anruf zu verpassen und auf jeden Fall allzeit bereit zu sein.

Natürlich habe ich im Gegenzug Freiheit, Unabhängigkeit und Selbständigkeit bekommen. Und ich muss nicht mehr über Dinge schreiben, die mich anwidern, wie zum Beispiel über Katzenkaffee. Ich habe keine Probleme mehr mit meinem Arbeitsweg, keine Staus, keine Autopannen, muss nicht mehr in aller Herrgottsfrühe Schnee schaufeln und mit klammen Fingern das Eis von zugefrorenen Autoscheiben kratzen. Keiner kontrolliert meine Arbeitszeiten oder meine Privatgespräche. Niemand sagt mir, was ich tun und lassen muss. Keiner nervt mich. Ich kann den Radiosender selber wählen und muss mich nicht mehr mit volkstümlichen Schlagern volldudeln lassen. Auch muss ich nicht mehr mit Frauen im Klimakterium über die Raumtemperatur diskutieren. Ich habe Ruhe zum Arbeiten, weil ich keine fremden Telefonate mitanhören muss oder in irgendwelche Streitereien über die Länge des Leads oder die Relevanz eines Artikels hineingezogen werde. Endlich besteht kein Zwang mehr zu reißerischen Schlagzeilen, zu Boulevard, endlich gibts kein Rennen mehr um den großen Primeur. Und meine flexiblen Arbeitszeiten sind wirklich flexibel: Bei besonders schönem Wetter gehe ich wandern. Wenn es heiß ist, gebe ich mir hitzefrei. Wenn es mir nicht gut geht, bleibe ich einfach mal im Bett.

Was für ein großartiges Leben!

Nur leider hat mein neuer Job Nebenwirkungen: immer wieder Anfälle von akuter Existenzangst.

Außerdem rede ich mit meiner Katze über Gott und die Welt, und – als wäre dies nicht schon schlimm genug – manchmal texte ich sogar meine Bananenpflanzen zu.

Dafür sitze ich morgens ausgeschlafen und putzmunter am Frühstückstisch, und keiner muss sich an meinem wilden braunen Haarschopf stören, wenn er sich nicht zu einer Frisur bändigen lässt. Zu sagen, ich hätte Locken, wäre beschönigend. Auf meinem Kopf findet eine Art ständiger Aufstand statt, den ich nur mit chemischen Mitteln niederschlagen kann. Und wer nimmt schon gern am frühen Morgen freiwillig eine erste Nase voll Haarspray?

Pling.

Ups, ist es schon neun?

Immer um Punkt neun meldet sich meine Glückskeks-App mit einem penetranten »Pling«. Auf dem Bildschirm meines smarten Phones erscheint ein animierter Glückskeks, der raschelt und knuspert, sich aus seiner bunten, glänzenden Hülle befreit und mir dann – auf einem virtuellen Papierstreifchen – einen weisen Spruch mit auf den Lebensweg gibt.

Jeden Tag.

Immer um neun.

The same procedure as every day.

Nein, ich habe diese App gewiss nicht gekauft oder gar freiwillig heruntergeladen. So einsam bin ich dann doch noch nicht. Mein Bruder Beno hat sie mir geschenkt, weil er sie selber programmiert hat. Da kann man als stolze Schwester kaum Nein sagen. Und so werde ich nun täglich mit einer Lebensweisheit versorgt.

»Größe tötet den Zwerg« steht auf dem Zettel im digitalen Glückskeks von heute.

Größe tötet den Zwerg?

Ich könnte schreien.

Größe tötet den Zwerg?

Um Himmels willen, was will mir der Glückskeks damit sagen?

Spontan rufe ich meinen Bruder an und beschimpfe ihn: »So ein saublöder Spruch, Beno! Der wird mich jetzt den ganzen Tag über verfolgen, wie ein Ohrwurm, nur weil ich ihn nicht verstehe und somit ständig grübeln muss, was mir dieser bescheuerte Glückskeks wohl sagen will. War das Absicht? Ich kann mir direkt dein hinterhältiges Grinsen vorstellen, als du diesen Spruch programmiert hast. Bloß weil ich dich mal für die flachen, einfallslosen Sprüche kritisiert habe, die alle schon so ausgelutscht und altbekannt waren.«

Mein Bruder lacht ins Telefon und schimpft zurück: »Na hör mal, hast du eventuell deine knappen fünf Minuten? Wer nimmt denn diese Sprüche ernst? Nur du. Denkst du wirklich, ich programmiere die selber? Glaubst du tatsächlich, ich würde meine eigenen App-Sprüche lesen?«

Am Ende gibt er mir den Rat, Google zu bemühen.

»Ey, ich muss an eine wichtige Sitzung«, ranzt er mich an, »und ich habe echt keine Zeit für deinen Zwergenkram!«

Ich höre nur noch kurz sein Lachen, und dann herrscht Stille. Er hat einfach aufgelegt.

Zwergenkram!

Größe tötet den Zwerg.

Auch Google kann nicht helfen. Der Spruch ist anscheinend bekannt, aber eine Erklärung bietet keiner. So gebe ich meine Ratlosigkeit schadenfroh an meine Facebook-Freunde weiter. Sollen die doch mal zeigen, was sie so drauf haben. Ich kann einen Spruch nicht einfach lesen und vergessen. Das ist wie bei einem Ohrwurm, einem Hit, der eine Zeit lang gnadenlos den ganzen Tag auf allen Kanälen rauf und runter gespielt wird und sich im Gehörgang festkrallt wie eine Zecke. Wobei ich manche Hits auch mag, im Gegensatz zu diesem Zwergenkram. So ein Zwergenspruch ist Folter für eine Texterin.

Ein Gutes hat das Ganze: Ich finde Inspiration, die Muse küsst mich, und ich haue vergnügt eine Kolumne über die zunehmende Verbreitung von Glückskeksen in die Tasten. Sogar meine Mutter legte mir neulich einen neben meine Kaffeetasse. Sie redete von einem alten chinesischen Brauchtum. Inzwischen weiß ich, dass das gar nicht stimmt. Die Japaner brachten die Glückskekse nach Amerika, und von dort wurden sie erst in den Neunzigerjahren nach China ausgeführt.

Dass diese Kekse wie süße Knusperpappe schmecken, scheint niemanden zu interessieren, denn die Ratschläge, Hinweise, Prophezeiungen und Rätsel auf den kleinen eingebackenen Papierchen scheinen genau das zu sein, was die Menschen brauchen, heute, wo keiner mehr im Kaffeesatz lesen kann, jeder aber im Alltag nach einer Prise Magie und Orakel lechzt. Schade eigentlich nur, dass die Sprüche nicht etwas pfiffiger und überraschender daherkommen. Wie schön wäre es doch, man könnte mal etwas lesen wie:

Dein dicker Hintern steht dir gut. Bleib so, wie du bist. Glückskekse sind kalorienfrei. Achtung, dieser Tag könnte Spuren von Müssen enthalten. Weniger Botox, mehr Mimik. Deine Waage belügt dich. Lies mal wieder ein Buch!

Unter dem Titel »Ich will den Zwerg nicht töten« gelingt mir eine witzige Kolumne, und ich versöhne mich daher augenblicklich mit meinem Bruderherz und mache nebenbei unauffällig Werbung für seine App. Perfekt.

Nach eineinhalb Stunden schicke ich die Kolumne an mehrere Adressen und hoffe, einer meiner regelmäßigen Auftraggeber kauft sie.

Zwergenkram!

Beno und ich sind Zwillinge. Wir sehen total unterschiedlich aus, denken völlig anders, sind zwei grundverschiedene Menschen. Aber wir stehen uns nahe. Sehr nahe. Es ist verrückt: Wir hatten beide die gleiche Ausgangslage, das gleiche Elternhaus, anfangs auch die gleiche Schulbildung. Aber aus Beno ist der große Sieger geworden, Mister Reich-und-schön, und ich wurstle mich immer bloß irgendwie durchs Leben. Wären wir Fremde, würden unsere beiden Leben sich wohl gar nie berühren. Doch, möglicherweise schon: Ich würde vielleicht für irgendeine Zeitung ein Porträt über den erfolgreichen Geschäftsmann Beno Betschart schreiben, wenn er mal wieder einen Innovationspreis oder dergleichen gewonnen hat. Im schlimmsten Fall würde ich bei ihm putzen. Aber – wir sind Zwillinge. Und so darf ich ihn auch mal beschimpfen, und er kann zurückschimpfen – und die Welt bleibt weiterhin in Ordnung. Wir sind unzertrennlich, auch wenn wir uns oft nicht verstehen und uns manchmal tüchtig auf den Glückskeks gehen: Da ist ein imaginäres Band, das wir beide spüren und schätzen und das hoffentlich ewig hält.

Schade, dass ich dieses Gefühl bei meinem Theo nicht habe. Jedenfalls nicht vergleichbar intensiv. Dabei weiß ich tief im Innern: Es müsste so sein, wenn man sich wirklich liebt. Man müsste sich fühlen wie Zwillinge, so, als wäre man nicht ganz vollständig ohne den anderen, als gäbe es eine ewige, unzerstörbare innere Verbundenheit, von der man weiß, dass sie alles übersteht.

Müsste, gäbe, wäre.

Nun, zurzeit ist er sowieso nicht hier. Er macht auf Teneriffa, nein, nicht Ferien, er leitet die Revision der Seilbahn auf den Teide. Als Seilbahntechniker reist er um die halbe Welt, überallhin, wo es Anlagen der Kabinata gibt. Manchmal, in besonders stillen, ehrlichen Momenten denke ich, dass wir genau deshalb nach vier Jahren noch immer zusammen sind: weil wir so oft getrennt sind und keine gemeinsame Wohnung haben. Aber ganz ohne Theo kann ich mir die Welt halt auch nicht vorstellen.

Ich checke meine E-Mails und habe Grund zur Freude: Das Magazin »Frauenpower« hat meine Glückskeks-Kolumne gekauft. Schön. Das ist ein gutes Gefühl. Ich kann es noch. Ich erreiche die Leser. Ich habe Ideen. Ich atme tief durch und erlaube mir eine Weile lang, nicht weiter an mir zu zweifeln.

Auf Facebook schaue ich mir die unbeholfenen Versuche meiner Freunde an, den Zwergenspruch zu deuten. Ihre Ratlosigkeit belustigt mich.

Edi: »Mit dem zufrieden sein, was man hat. Wenn man zu groß wird, verliert man den Boden unter den Füßen.«

Conny: »Dämlicher Spruch.«

Katrin: »Sobald du groß bist, bist du nicht mehr klein? Erwachsensein geht auf Kosten der Kindheit?«

Alfons: »Mit Größe sollte nicht die körperliche Größe gemeint sein. Und mit dem Zwerg vielleicht so etwas wie der innere Schweinehund?«

Charly: »Hat das was mit der EU zu tun?«

Madeleine: »Der Inhalt (Zwerg) sollte der eigenen Hülle gerecht werden. Will er größer scheinen, als er ist, geht seine eigene Kostbarkeit verloren.«

Roswitha: »Das Ganze will innerpersonal gesehen werden. Deine Größe (in dir), also das Kraftvolle, Gereifte, Entwickelte, zerstört das Zwergenhafte in dir. Zwergenhaft könnte das unausgereifte, im Wachstum zurückgebliebene, Prollige, Unscheinbare, Kindische sein.«

Lena: »Der Satz hat mich verfolgt. Könnte es nicht umgekehrt sein: Größe schafft den Zwerg? In einer Welt, in der es nur Zwerge gäbe, bräuchte es das Wort Zwerg nicht. Erst wenn Größe beziehungsweise Größeres dazukommt, wird der Zwerg als Zwerg erkannt.«

Ich liebe Facebook. Hier finde ich Unterhaltung, Ablenkung, oft auch Infos und Hilfe; Inspiration für Kolumnen sowieso.

Mein Theo hat ein paar Fotos vom 3718 Meter hohen Teide eingestellt. Er arbeitet rund 150 Meter unter dem Gipfel am höchsten Berg Spaniens. Ich beneide ihn um den Aufenthalt auf der sonnigen, warmen Insel, weiß aber auch, dass er nicht besonders gern dort ist.

»Wir können nur nachts arbeiten, weil der Betreiber keinen Betriebsunterbruch will. Und du weißt, ich arbeite nicht gern nachts«, hatte er mir seinen Job auf den Kanarischen Inseln schon im Voraus beschrieben.

Meine Freundin Trix macht gerade Wanderurlaub auf Mallorca. Auch sie zeigt Fotos auf Facebook. Berge und Meer, Sonne und blauer Himmel, idyllische Wege mit Aussicht.

Okay, jetzt bin ich tatsächlich neidisch.

Glückspilze.

Ich schalte den Computer aus.

Sogar beim Einschlafen denke ich noch an den Glückskeks. Irgendwann beschließe ich, dass mir der Spruch wohl sagen will, dass ich bescheiden bleiben soll.

Vielleicht will er mir aber auch sagen, ich solle meine Bescheidenheit endlich ablegen?

Die Frage ist doch: Bin ich die Größe oder der Zwerg?

Nein! Jetzt dreht es sich wieder, das Gedankenkarussell.

Ich bin noch lange nicht überfällig

Ich schreibe gerade die Texte für die Website eines Heilpraktikers und Naturarztes, der Pasten in Tuben und Töpfchen und allerlei Tropfen für Gesundheit, Schönheit und ewiges Leben anbietet. Und natürlich für die Bekämpfung allerlei Gebresten. Über Dinge zu schreiben, von denen ich nichts verstehe, das fällt mir auch heute noch schwer, aber es ist möglich. Ich halte mich an die Vorlagen, bemühe das Internet, klammere mich an die Notizen meiner ausführlichen persönlichen Gespräche mit dem Hersteller. Warum er die Texte nicht selber schreibt, wo er doch so viel Zeit braucht, mir die Produkte zu erklären? Weil er es wohl nicht kann. Vielleicht hat er aber auch eine Lese- und Schreibschwäche? Ich weiß, dass der Mann Mühe hat, sich einfach und allgemein verständlich auszudrücken. Die Texte zu den jeweiligen Produkten müssten vom Pizzabäcker ebenso verstanden werden wie von der Paläontologin, betont er immer wieder. Ich versuche, mir die beiden vorzustellen, wenn ich über kolloidales Silber, organisches Silizium oder Lupineneiweiß schreibe. Werden die dieses Zeug wirklich kaufen?

Einmal mehr wird mir bewusst, dass mich meine neue Freiheit nur beschränkt frei macht. Natürlich möchte ich nicht wirklich über Produkte schreiben, deren Nutzen oder Schaden ich gar nicht beurteilen kann. Aber was tut man nicht alles für Geld, für die Miete, für die Krankenversicherung, für das kleine Auto, das schöne Fahrrad, das edle Katzenfutter?

Neulich meinte Theo, ich könnte mir das Leben wesentlich leichter machen, indem ich bei ihm einziehen würde. Seine Wohnung sei riesengroß und stehe zu oft leer.

»Wir könnten auch heiraten«, erwähnte er so beiläufig, als ginge es um die Anschaffung eines Wasserkochers. »Das würde deinen Existenzängsten ein Ende bereiten. Du könntest endlich den Roman schreiben, von dem du immer redest. Wir sind doch jetzt schon vier Jahre zusammen. Was meinst du? Sind wir nicht langsam überfällig?«

Die Art, wie Theo mir so ganz nebenbei einen Heiratsantrag machte, ist symptomatisch für unsere Beziehung, fern von Romantik und Leidenschaft. Leider. Für ihn ist es der Gipfel der Romantik, wenn er mit mir ein Fußballspiel im Fernsehen anschaut und auf dem Beistelltischchen eine Kerze brennt. So tickt Theo.

Ich war einen Moment lang sprachlos. Ich meinte gar nichts.

Überfällig?

Wir könnten auch heiraten?

Ich muss ihn völlig schockiert angeschaut haben.

»Denk darüber nach«, sagte er nur, unbeeindruckt von meiner Reaktion, küsste mich auf die Nasenspitze und verschwand für zwei Monate nach Venezuela, um irgendeine rekordverdächtige Superseilbahn zu bauen. Danach haben wir das Thema nicht mehr angesprochen.

Also arbeite ich fleißig weiter wie bisher und schreibe halt auch mal Werbetexte für meinen Quacksalber, wie ich ihn ab und zu scherzhaft nenne. Mike ist ein sympathischer Kerl, lebt für seine Produkte, glaubt an deren Wirksamkeit und an mich und zahlt mich entsprechend gut.

Und ja, ab und zu träume ich davon, einen Roman zu schreiben. Ein dickes Buch voller Herz und Schmerz, alles nur meiner romantischen Fantasie entsprungen, ohne klar umrissenen Auftrag. Irgendwelche Träume hat doch jeder!

Meine Katze liebt es, wenn ich zu Hause bin. Sie streunt viel weniger durch die Gegend, seit ich so oft daheim arbeite. Klara ist ein anhängliches Tier, eine treue Seele, ein Stubentiger. Sie liebt mich – auf ihre eigene Art. Manchmal beschenkt sie mich mit halb lebendigen beziehungsweise halb toten Tieren. Sie legt sie vor mich hin wie kostbare Jagdtrophäen. Das ist der Glücksfall. Denn wenn ich Pech habe, versteckt sie die Viecher irgendwo in der Wohnung, wo ich sie dann erst Wochen später finde. Igittigitt.

Klara, die stolze Jägerin.

Wenn Theo auftaucht verschwindet sie.

Will sie mir damit etwas sagen?

Ich glaube eigentlich nicht wirklich, dass Tiere die besseren Menschenkenner sind.

Von wegen Menschenkenner: Lass mich den Klingelton deines Handys hören, und ich sage dir, wer du bist … Ich staune ja immer wieder, was die Leute für Klingeltöne haben und wie lange es jeweils dauert, bis sie darauf reagieren. Mein iPhone meldet sich neuerdings mit einem intensiven Grillenzirpen, und Klara wird halb verrückt deswegen. Ich hingegen mag das Gezirpe sehr, weil es mich nicht erschreckt, und falls es mal in der Öffentlichkeit losgeht, klingt es nicht so penetrant und durchdringend.

Gerade zirpen sie wieder, die Grillen, und Klara kriecht unter das Sofa.

»Hallo Bea!«, meldet sich Claudine, die Redaktionsleiterin von »Frauenpower«, meiner Lieblingsarbeitgeberin. »Ich habe einen schönen Auftrag für dich«, sagt sie und lacht, was außergewöhnlich ist, denn sie ist kein besonders sonniges Gemüt, mehr so eine Frau, deren Glas ständig halb leer ist. Ich selber bin ja eine unbelehrbare Optimistin mit immer halb vollem Glas. Jetzt bin ich gespannt, was Claudine unter einem schönen Auftrag versteht.

»Kennst du Sämi Schuler? Er wohnt in deinem Dorf.«

Nein, ich kenne ihn nicht. Bloß weil ich in einem Dorf wohne, kenne ich noch lange nicht jeden, aber das kann sich eine Zürcher Stadtfrau wohl nicht vorstellen. In Ibach wohnen inzwischen 4500 Menschen, wenn auch nicht so eng zusammen wie in Zürich, wo inzwischen bereits über 400 000 Leute leben.

»Was ist mit ihm? Sieht er gut aus? Ist es ein Prinz?«, frage ich neugierig.

»Fast. Mindestens etwas Ähnliches. Er ist der ›May Boy‹ im ›Bauernkalender für die Frau‹. Ein ganz besonders knackiger Kerl. Wir möchten gern wissen, warum sich ein Bauer mit entblößtem Oberkörper im Stall fotografieren lässt. Ist er einsam, vielleicht auf Frauensuche? Keine Ahnung. Finde das für uns raus. Nur Text, keine Fotos; für die Bilder schicken wir Sabrina bei ihm vorbei. Er hat schon zugesagt. Bist du dabei? «

»Aber sicher. Ich werde einen schönen Mann besuchen und erst noch Geld dafür bekommen – ich wäre ja schön doof, wenn ich so einen Auftrag ausschlagen würde!«

Wir lachen beide, und das ist ein gutes Gefühl, vor allem deshalb, weil Claudine die Frau ist, die mir die besten, spannendsten Jobs verschafft – verschaffen kann –, wenn sie denn will. Gemeinsames Lachen ist also gut. Sehr gut.

»Ich maile dir Details, seine Kontaktdaten und das Kalenderblatt«, verspricht mir Claudine und verabschiedet sich.

»Ja, unbedingt, vor allem das Kalenderblatt«, ich lächle vor mich hin.

Es gibt schlimmere Jobs …

Die E-Mail von Claudine kommt umgehend. Ich schaue mir den Bauern an.

Nein, wirklich!

Wir hatten uns auf der Redaktion schon immer ein wenig über den Bauernkalender lustig gemacht. Über die weibliche und die männliche Ausgabe. Und auch jetzt muss ich über das Kalenderblatt mit Sämi Schuler lachen. Ein schöner Mann, keine Frage, aber auch ein unglaublich gestelltes, gestelztes Bild. Diese Fotoartisten versuchen immer, irgendetwas zu inszenieren, eine Art künstliche Erotik zu schaffen, und erreichen damit das pure Gegenteil. Einen bildhübschen Mann wie diesen Sämi, den kann man doch einfach mit freiem Oberkörper im Stall arbeiten lassen, das reicht schon. Dann drückt man den Auslöser, und fertig. Aber nein, hier wurde wieder mal stundenlang auf- und umgebaut, gestylt, geschminkt, eingeölt und besprochen, Lichter und Lampen positioniert, und am Ende wirkt dann eben nichts mehr natürlich.

Sämi ist schön. Ich schaue ihn an und wundere mich über mich selbst. So halb ausgezogen hat er zweifellos etwas unerhört Anziehendes, aber es fällt mir schwer, zu analysieren, woran es liegt. Ist es der muskulöse, braun gebrannte Körper oder sein herzliches Lächeln? Sind es die liebenswerten Fältchen rund um die blauen Augen, seine blonden Locken, ungekämmt und verwuschelt? Ist es der Dreitagebart?

Plötzlich ertappe ich mich dabei, wie ich das Foto auf dem Bildschirm berühre, wie ich mit meinen Fingerspitzen über seine Lippen streiche.

Absolut bescheuert!

Nun muss ich über mich selber lachen.

Und den Kopf schütteln.

Ja, ich wundere mich wirklich – sehr.

Ich bin dem Zauber dieses Kerls ganz offensichtlich voll erlegen. Vielleicht bin ich einfacher gestrickt, als ich selber glauben möchte? Oder das Fototeam hat tatsächlich einen verdammt guten Job gemacht, und ich muss mich für meine Kritik entschuldigen?

Auf jeden Fall brenne ich nun darauf, Sämi kennen zu lernen. Sofort mache ich Nägel mit Köpfen und rufe ihn an. Seine Stimme klingt nett. Wir sind gleich per Du und verabreden uns für den späten Montagnachmittag, irgendwann ab 15 Uhr.

»Falls ich nicht grad auf dem Hof bin, ruf mich an. Wir stellen neue Zäune auf«, erklärt er und verabschiedet sich freundlich.

Ich freue mich auf die Begegnung!

Ich schreibe gern Porträts. Das kommt meiner natürlichen Neugierde entgegen. Ich darf Menschen zu Hause besuchen, in ihr Privatestes hineinschauen und sie gnadenlos ausfragen. Mein Chef bei der leider nicht mehr existierenden Zeitung fand immer, ich hätte ein goldenes Händchen für Porträts. Ja, ich finde schnell einen Zugang zu meinem Gegenüber, sodass ich die Leute oft vor sich selber schützen muss, weil sie mir zu viel erzählen, Dinge zum Beispiel, die nicht in eine Zeitung oder in eine Zeitschrift gehören, Geschichten, die ihnen schaden könnten.

Doch heute ist Quacksalber-Tag, und ich schreibe keine Porträts. Ich arbeite mich durch Produkteinformationen, schreibe Texte für alle Konsumentinnen der Welt und versuche zuerst einmal, selber zu verstehen, was ich in verständliche Worte fassen soll: Inka-Gold, ozonisiertes Olivenöl, organischer Schwefel, Flohsamenschalenpulver … Ich suche und finde Worte, preise die Produkte an, als würde ich sie tagtäglich selber verwenden, ich arbeite konzentriert, speditiv und vergesse Sämi.

Flohsamenschalenpulver!

Klingt wie die kleine Schwester von Katzenkacke.

Zwergenkram.

Harry und Sämi

Ein wunderschöner Apriltag.

Heute fühlt es sich wie Frühling an. Die Vögel zwitschern, und die Sonne wärmt. Was bin ich froh, dass der Winter endlich vorbei ist und der allerletzte Schnee geschmolzen. Ich bin durch und durch ein Sommermensch.

Meine App mit den schlauen Glückskeks-Sprüchen hat heute verkündet, bewegte Gedanken gebe es nur in einem bewegten Körper. Diese Message habe ich verstanden – danke, Bruderherz! Ich hole mein Fahrrad aus dem Keller, pumpe, fröhlich vor mich hin summend, die Reifen auf und radle dann gut gelaunt zu meinem bäuerlichen Rendezvous.

Sämis Hof liegt am Dorfrand von Ibach, Richtung Brunnen, rechts, mitten im offenen Feld. Als ich auf den Kiesweg einbiege, rennt mir ein bellender Berner Sennenhund entgegen. Er wedelt mit dem Schwanz, tänzelt um mein fahrendes Rad herum, bis ich fast vom Sattel falle. Gerade rechtzeitig ertönt ein lauter, schriller Pfiff, und der aufgeregte Hund steht da wie angewurzelt. Allerdings nur einen kleinen Moment lang, dann macht er kehrt und rennt zurück zum Hof, wo ein Mann auf ihn wartet. Das wird wohl Sämi sein. Ein schönes Bild: der Bauer mit seinem Hund. Ein großer, kräftiger, attraktiver junger Mann. Er lächelt mir entgegen, und mein Herz wird warm. Leicht verlegen bringe ich mit einer wuschelnden Geste meine wilden Locken in Ordnung und steige vom Rad.

»Entschuldige die ungestüme Begrüßung. Das ist Harry, der Hofhund. Er dreht jedes Mal fast durch, wenn jemand kommt. Aber einen Eindringling abwehren, das würde er nie. Er mag Besucher.«

Sämi reicht mir seine Hand. Sie ist rau und so groß, dass meine fast in ihr verschwindet. Sein Händedruck ist angenehm kräftig und sein Lächeln ein echter Eisbrecher.

»Ich mag Besucher auch gern«, sagt er charmant, und zeigt mit einer einladenden Armbewegung Richtung Haus.

Was für ein Mann! Schon lange hat mich keiner mehr so aus der Fassung gebracht. Ich bin ein bisschen irritiert. Schließlich habe ich meinen Theo. Andere Männer interessieren mich eigentlich nicht. Natürlich habe ich Kollegen, Freunde, und mir fällt auf, wenn ein Mann besser aussieht als andere, und schaue dann gern zweimal hin. Aber ich habe trotzdem noch nie einen Mann so wahrgenommen wie diesen hier. Während ich hinter ihm hergehe, stelle ich irritiert fest, dass er die wildesten Fantasien in mir freisetzt und längst vergessen geglaubte Sehnsüchte aufkommen lässt.

Im Treppenhaus zieht der schöne Bauer seine Stiefel aus, schlüpft in Hausschuhe und führt mich in seine Wohnung im zweiten Stock. Sie ist sauber, hell und geräumig und aufgeräumt. Die Kuckucksuhr im Wohnzimmer amüsiert mich. Vor dem extrem großen Fernseher, einem neuen Modell mit gekrümmtem Bildschirm, steht ein bequemer Sessel, auf dem ein Schaffell liegt. Interessiert werfe ich einen Blick auf einen beachtlichen Stapel Fotobücher über exotische Länder auf der Kommode. Obendrauf sitzt ein alter Teddybär, der leider nur noch ein Auge hat. Ein Einaugen-Bär.

»Die Wohnung ist neu renoviert, ich fühle mich sehr wohl hier«, sagt Sämi und lacht mich an.

Harry rennt von Raum zu Raum, als müsste er alles kontrollieren oder würde jemanden suchen. Schließlich legt er sich umständlich in seinen Korb und beobachtet mich.

Sämi bietet mir Apfelsaft an. »Konservierter«, wie er erklärt. Ich mag ihn trotzdem. Den Saft.

Ich rufe mein professionelles Ich auf den Plan, richte mein iPhone für die Aufnahme unseres Gesprächs ein und stelle meine erste Frage.

»Wie bist du in diesen Bauernkalender gekommen?«

Sämi lacht. »Meine Nichte Martina hat mich angemeldet. Und dann wurde ich ausgewählt. Und angefragt. Und ich dachte: Warum auch nicht?« Es sei ja heute nicht mehr so, dass jeder Bauer nur auf seinem Hof hocke und arbeite und sich für nichts anderes als Landwirtschaft interessiere. Er finde es wichtig, dass sich auch solche Bauern, wie er einer sei, in der Öffentlichkeit zeigen würden.

»Was für ein Bauer bist du denn?«, will ich jetzt natürlich wissen.

»Ein glücklicher.«

»Und wie wird man ein glücklicher Bauer?«

»Ich habe eine prima Arbeitsteilung mit meinem Vater. Wir haben einen Lehrling und einige Aushilfen. Der Hof hat genau die richtige Größe. Wir sind gut organisiert, strukturiert. Meine Mutter hilft mit, macht die Buchhaltung und so – meine Eltern wohnen übrigens im ersten Stock.«

Auf die Frage, was ihn denn sonst noch glücklich mache, sagt er: »Ich reise gern. Damit bin ich wohl ein sehr untypischer Bauer. Ende Jahr gibt es eine Abstimmung über den schönsten Bauern im Kalender. Der erste Preis ist eine Reise. Ein weiterer Grund für mich zum Mitmachen.«

Er zeigt auf ein paar vergrößerte Fotos an einer Wand, die ihn mitten in exotischen Landschaften zeigen.

»Würdest du dich als untypischen Bauern bezeichnen?«

»Hey, wir sind nicht alle gleich«, betont Sämi. »Nicht jeder Bauer ist automatisch in der SVP und hört Ländlermusik.« Er selber höre auch Rock, Reggae und Schlager und würde sicher nie einer Partei beitreten.

Ich könnte jetzt mit ihm über Politik reden, aber das interessiert die Leserinnen von »Frauenpower« kaum, also frage ich Sämi, was nicht nur sie, sondern auch mich interessiert: »Bist du Single?«

»Ja«, bestätigt er, »aber – bevor du fragst – so verzweifelt, dass ich in eine ulkige Fernsehsendung gehen würde, bin ich noch lange nicht. Ich war verlobt, aber am Ende wollte meine Freundin dann halt doch nicht auf einem Bauernhof leben.«

Sämi starrt ins Leere, atmet tief ein, es ist fast schon ein tonloses Seufzen. Da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen.

»Es heißt, dass man viele Zuschriften bekommt, wenn man im Kalender abgebildet ist. Nun bin ich gespannt, ob dann im nächsten Monat plötzlich der Briefkasten voll ist.« Jetzt lächelt er.

Am liebsten würde ich gleich hier und jetzt meine Zuschrift bei ihm deponieren.

Aber Job ist Job.

Es ist kein Problem, Sämi zum Erzählen zu bringen, die Stimmung zwischen uns ist locker und entspannt. Ich muss kaum etwas fragen, nur zuhören. Er macht mir meine Arbeit leicht.

»Ich bin gern Landwirt«, sagt er und unterstreicht das mit einem Nicken. »Natürlich unterliege auch ich vielen Zwängen, stehe um fünf Uhr früh schon im Stall. Die Kühe bestimmen den Tagesrhythmus. Aber sonst teile ich mir die Arbeit selber ein, halte mich viel draußen in der Natur auf. Ich habe immer ein Gefühl von Freiheit.«

Im nächsten Atemzug erzählt Sämi aber auch von den tausend Vorschriften und Normen, die es vom Bund aus zu erfüllen gebe, und von der zunehmenden Bürokratie.

»Es ist heute wichtiger denn je, dass ein Bauer gut ausgebildet ist. Sonst verliert er leicht den Durchblick.«