Scientia Kircheriana - Tina Asmussen - E-Book

Scientia Kircheriana E-Book

Tina Asmussen

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Beschreibung

Wer oder was verbarg sich hinter dem Namen Athanasius Kircher S. J.? Anhand der Analyse des gedruckten Œuvre Kirchers, seiner Korrespondenz sowie seiner zahlreichen Wissenspräsentationen nördlich und südlich der Alpen untersucht der Band die Fabrikationsmechanismen der Kircher-Figur und seiner Wissenschaft. Die Studie zeigt, dass es sich bei Kircher nicht nur um einen jesuitischen Gelehrten und Autor zahlreicher Publikationen handelte, sondern um ein mehrhändig betriebenes Unternehmen. Kircher war ein Produkt des Buchmarktes, sein Name fungierte als Markenzeichen für exklusives und spektakuläres Wissen sowie für großformatige und reich illustrierte Bücher. Diese Perspektive ermöglicht eine neue Sicht auf die hinter dem Gelehrten im Verborgenen liegenden Mechanismen der Wissensgenese ‒ und ebenso auf die kollektiv betriebenen Prozesse der Produktion, Zirkulation und Distribution von Wissen. Die räumlichen Bedingungen, die Kirchers Wissen konstituierten, die Netzwerke, in denen es zirkulierte, und die zahlreichen Akteure, die an der Produktion und Vermarktung beteiligt waren, zeigen nicht den strategischen Unternehmer Kircher, sondern eine äußerst dynamische Werkstatt Kircher.

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Tina Asmussen

Scientia Kircheriana

Die Fabrikation von Wissen bei Athanasius Kircher

Band 2 der »Kulturgeschichten. Studien zur Frühen Neuzeit«, herausgegeben von Arndt Brendecke, Peter Burschel, Ulrike Gleixner und Daniela Hacke

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

© 2016 by Didymos-Verlag, Affalterbach

www.didymos-verlag.de · [email protected]

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Coverabbildung: Zweihändig schreibender Gelehrter. Detail (geringfügig verändert) aus dem Frontispiz von: Gioseffo Petrucci, Prodomo Apologetico alli Studi Chircheriani, Amsterdam 1677. Universität Basel Hauptbibliothek, Ji III 17

Gestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Satz: Böckmanns Medienproduktion, Waiblingen

ISBN 978-3-939020-43-1 (Buch)

ISBN 978-3-939020-91-2 (E-Book)

Einleitung

Forschungskontext und methodische Prämissen

Quellengrundlage und Aufbau der Arbeit

1. Athanasius Kircher und die römische Bühne der Repräsentation und Wissenspatronage

Rom: Städtische Bühne und Welttheater

Rom und die Wissenschaften

Das Collegio Romano: Schaltstelle des Jesuitenordens

Domus Kircheriana: Das Museum

Athanasius Kircher, Kustos des Museums

Wissen und Herrschaftsraum: Kircher und das pamphilische Repräsentationstheater

Wissen im Dienste der päpstlichen Politik: Die Ankunft der schwedischen Königin in Rom

Wissen im Dienste des päpstlichen Kulturprogramms

2. Kirchers Netz: Wissenszirkulation und Bücherdistribution

Athanasius Kirchers Korrespondenz im Kontext des jesuitischen Kommunikationswesens

Agieren auf dem Buchmarkt: Wissensproduktion und Koordination von Ressourcen

Korrespondenz- und Buchwege: Rom – Köln – Amsterdam

Katholische Vermittler in Kirchers Buchgeschäften nördlich der Alpen

Caspar Schott (1608–1666)

Barthold Nihus (1590–1657) und Jodocus Kedd (1597–1657)

Wissenstransformatoren am Hof

Wissen als Instrument der Konfessions- und Machtpolitik

3. Zeigen und verdecken – Geheimnis und Offenbarung: Funktionsprinzipien der Scientia Kircheriana

Kirchers Naturphilosophie zwischen Empirie, Geheimnis und Wunder

Überzeugende Geheimnisse im Scrutinium physico-medicum

Visualisierung von Geheimnissen: Kirchers Bild-Rhetorik

Imaginationsfluchtpunkt und Emblem der Scientia Kircheriana

Die Kircher-Figur

4. Athanasius Kircher S.J. – von der Produktivkraft eines Namens

Die Fabrikation und Kommodifizierung des Autors

Das »Label« Kircher

Die soziale Produktivität des Namens in gelehrten Debatten

5. Fazit

6. Dank

7. Appendix

Schreiben von Joannes Jansson van Waesberge und Elisé van Weyerstraet an Kircher, Amsterdam, 28. Juli 1661

Antwort von Kircher an Johannes Jansson van Waesberge, Rom, 27. August 1661

Kapitelwidmungen des Oedipus Aegyptiacus

8. Literaturverzeichnis

Abkürzungen

Ungedruckte Quellen

Gedruckte Quellen

Literatur

9. Abbildungsnachweis

Einleitung

Wer war Athanasius Kircher? War er der »letzte Mensch, der alles wusste«, oder ein »aufgeblasener Jesuit«?1 Ein »Phantast« oder ein »Weiser und Enzyklopädist«?2 Die Meinungen über Athanasius Kircher (1602–1680) sind so vielfältig wie die Themengebiete seiner Publikationen. Bereits die Zeitgenossen waren sich uneins in ihrer Bewertung der Gelehrsamkeit und wissenschaftlichen Leistung des Jesuiten. René Descartes hielt ihn für einen Scharlatan, während Georg Philipp Harsdörffer in ihm einen der größten Gelehrten seiner Zeit sah und ihn verehrend »Germanus incredibilis« nannte.3 Mal wurde er auf eine Ebene mit Galileo Galilei gestellt, mal als Vielschreiber und »Windbeutel« abgestempelt.4 Ab dem frühen 18. Jahrhundert nahmen Kritik, Ablehnung und Invektiven zu. Für Johann Burckard Mencke etwa gehörte Kircher in die Reihe der gelehrten Betrüger, die er in seiner vielgelesenen Schrift De Charlataneria Eruditorum (1715 u.ö.) beschreibt.5 Das Spektrum der ihm angelasteten wissenschaftlichen und moralischen Verfehlungen – wie etwa Plagiatsvorwürfe, mangelnde Sprachkenntnisse, Leichtgläubigkeit und Geltungssucht – zeigt, dass sich Kirchers theologisch fundierte und enzyklopädisch ausgerichtete Epistemologie immer schwerer mit dem zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis vereinbaren ließ. Der überwiegend negative Blick auf den Universalgelehrten dominierte bis weit ins 20. Jahrhundert die wissenschaftshistorische Forschung. So urteilte der Biologe Harry Beal Torreys noch 1938: »Father Kircher appears to have been foremost neither in time nor significance. He was preceded by discoveries that he never surpassed, and by methods that he never used or understood«.6 Eine positivere Neubewertung des Jesuiten vermochte sich erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu etablieren. Seit den 1950er Jahren nahm das Interesse an Kircher und seinem Wissen kontinuierlich zu. 1980, zu Kirchers 300. Todestag, veranstaltete der Germanist John Fletcher in Wolfenbüttel die erste internationale Kircher-Tagung. Es folgten 1981 eine Ausstellung in Karlsruhe und eine in Rastatt. In Rom wurde 1985 die Konferenz Athanasius Kircher nel Collegio Romano tra Wunderkammer e Museo Scientifico abgehalten.7 Nicht zuletzt diesen Veranstaltungen verdankte sich eine gesteigerte Aufmerksamkeit in der historischen Forschung wie auch bei populärwissenschaftlichen und esoterischen Buchautoren. Um die Jahrtausendwende schien das Interesse an Kircher in eine regelrechte Begeisterung zu münden, wovon die zahlreichen Aktivitäten zeugen, die sich dem barocken Universalgelehrten anlässlich seines 400. Geburtstags im Jahr 2002 und auch in den darauffolgenden Jahren in den USA, Italien, Spanien, Deutschland und der Schweiz widmeten.8 Der aus dem thüringischen Geisa stammende Jesuitenpater war plötzlich in aller Munde. Aus der Randfigur, die lange Zeit allenfalls als Beispiel für einen zeittypischen, aber wissenschaftlich irrelevanten Polyhistorismus diente, wurde ein »dude of wonders«, »cultural hero«, »intellectual daredevil« oder »the first scholar with global reputation«.9

Dieser kursorische Überblick über die Konjunkturen der Kircher-Rezeption mag verdeutlichen, wie unterschiedlich das Bild von Athanasius Kircher zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten jeweils war.10 Jede Kircher-Rezeption, das lassen diese Beispiele erkennen, ist somit immer auch eine Produktion eines bestimmten Kircher-Bildes: Neben den bereits genannten Rollen als großer Geist, Scharlatan und Vielschreiber taucht Kircher in der Forschung seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch als Gründervater moderner Wissenschaftsdisziplinen auf.11 Eine gegenwärtig häufig vertretene Perspektive betrachtet Kircher als Repräsentanten einer Gelehrtenkultur, in der das Spektakel zu den sozialen und wissenschaftlichen Praktiken gehörte.12 Als Mann des Wunders, der wissenschaftlichen Schaustellerei und gelehrten Unterhaltungskultur verweist dieser Kircher auf eine Zeit vor dem wissenschaftlichen Spezialistentum des 19. Jahrhunderts.

Die hier greifbaren Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse werfen ein Licht auf die sozialen und kulturellen Bedingungen von Bedeutungsstiftung und die Konstruktionsweisen von Sinnzusammenhängen in Bezug auf eine historische Person, und gerade dies ist es, was mich an der Figur Kircher interessiert. Die bereits zu seinen Lebzeiten einsetzende und auch später von erheblichen Wandlungen geprägte Rezeption zeigt auf anschauliche Art und Weise, wie abhängig das Bild des Gelehrten von den jeweiligen Interessen und Absichten seines Publikums ist. Eben auf diese Rezeptionsvorgänge, die die Heterogenität und Wandelbarkeit des Kircher-Bildes begründen, richtet sich der zentrale Fokus dieses Buches. Sein Ziel besteht also nicht darin, das Leben von Athanasius Kircher zu rekonstruieren oder die Bedeutung seines Wissens im Kontext der Wissenschaften des 17. Jahrhunderts zu bestimmen. Im Zentrum des Interesses steht vielmehr das Zusammenspiel von unterschiedlichen Diskursen und Wissenspraktiken, Imaginationen und Bildern, aus dem die Persona des Universalgelehrten hervorgeht. Es sind dies Prozesse der Bedeutungszuschreibung und -transformation, die erst durch die Rückbindung an ihren jeweiligen historischen Kontext wirklich verständlich werden.

Forschungskontext und methodische Prämissen

Die neuere Kircher-Forschung lässt sich unter dem Schlagwort »Kircher in context« subsumieren und ist in besonderem Maße einer vom social und cultural turn geprägten, interdisziplinär ausgerichteten Wissens- und Wissenschaftsgeschichte verpflichtet.13 Kircher erscheint eingebettet in eine spezifisch römische Wissenschaftskultur, in lokale und translokale Patronage-Strukturen und als Akteur im globalen Netzwerk der Jesuiten sowie der respublica literaria.14Wesentliche Impulse zur soziokulturellen Kontextualisierung von Kircher, seiner Wissenschaft und seiner Sammlungstätigkeit sind von den zahlreichen Arbeiten Paula Findlens ausgegangen.15 Pointiert argumentiert sie: »To understand only Kircher’s failures is to miss his success. To study Kircher only as a singular personality or to consider a single work by him without understanding its relationship to the whole is to remove him, quite artificially, from the world that brought him into existence.«16 Findlen geht über wissenschaftsinternalistische Ansätze hinaus, deren Interesse auf die Wissenserzeugung und auf das Handeln der spezifischen Wissenschaftler- oder Expertengemeinschaft sowie auf deren Produktion wissenschaftlicher Tatsachen ausgerichtet ist.17 Ausgehend von einer sozial- und kulturhistorisch ausgerichteten Forschungstradition betrachtet sie Wissenskulturen als Kulturen von Wissenskontexten.18 Durch den methodischen Anspruch, die kulturelle Situiertheit von Wissen zu betrachten, wie sie sich in sozialen, geographischen und institutionellen Kontexten manifestiert, tritt die Pluralität von Wissensformen an die Stelle eines Bildes von der Einheit der Wissenschaften. Nicht nur Findlens Arbeiten, sondern die überwiegende Zahl der neueren Publikationen zu Kircher lässt sich hinsichtlich ihres methodischen Ansatzes in diesem Feld einer sozial- und kulturhistorisch orientierten Wissensgeschichte verorten. Größtenteils werden Einzelaspekte aus der wissenschaftlichen Tätigkeit des jesuitischen Gelehrten thematisiert; meist sind es von der jeweiligen disziplinären Herkunft der Forscherinnen und Forscher geprägte Fallstudien.19

Gleichwohl scheint auch für diesen analytischen Zugang, der die Aufmerksamkeit auf die Vervielfältigung von Wissensräumen, Wissensquellen, Wissensansprüchen und Wissensautorisierungen richtet, das Subjekt des Gelehrten einen willkommenen Anker zu bieten. Zahlreiche aktuelle Forschungen richten ihren Blick auf einzelne Wissenschaftler sowie auf Wissensgemeinschaften wie Akademien oder religiöse Institutionen, darunter auch die Jesuiten.20 Den zentralen Referenzpunkt bildet jedoch nicht mehr das herausragende Wissenschaftlerindividuum, sondern der Gelehrte als Akteur in einem größeren, von intellektuellen ebenso wie von gesellschaftlichen und persönlichen Faktoren geprägten Zusammenhang. Dieser Ansatz richtet die Aufmerksamkeit insbesondere auf praxeologische Aspekte, um so das komplexe Gewebe von technischen, sozialen und symbolischen Elementen in Wissenspraktiken sichtbar zu machen.21 Der gelehrte Akteur ist demgemäß durch seine wissenschaftlichen und sozialen Praktiken charakterisiert, wird lokal in einem dynamischen Raum-Zeit-Gefüge verortet und in translokalen Beziehungskonstellationen zu anderen Akteuren situiert. Methodisch bilden Prosopographie und Netzwerkanalyse wichtige Ansätze zu dieser Forschung; eine besondere Aufmerksamkeit kommt dabei der Untersuchung der gelehrten Korrespondenz zu. Wissen entstand kollaborativ aus dem Austausch von Briefen, Büchern und Instrumenten, so der Tenor, in den auch die Kircher-Forschung einstimmt.22 Angesichts dieser sozial- und kulturhistorischen Orientierung der gegenwärtigen Wissensgeschichte und der Aufmerksamkeit für Formen und Praktiken der gelehrten Soziabilität ist es bemerkenswert, dass die Frage, wie sich einzelne Akteure in diesem Feld konstituieren und welche Personenkonzepte dabei wirksam werden, meist zu wenig oder gar nicht betrachtet wird. So wird den Akteuren bisweilen eine ganz erstaunliche Autonomie und Handlungsmacht zugeschrieben. Besonders aussagekräftig sind diesbezüglich Mario Biagiolis Studien zu Galileo Galilei.23 In Abgrenzung zur älteren, internalistischen Wissenschaftsgeschichte, die ihr Augenmerk auf die Ideen herausragender, solitärer Forscherpersönlichkeiten richtete, situiert Biagioli seinen Gelehrten im sozialen Gefüge des Florentiner Medicihofes. Galilei erscheint als ein in Patronagestrukturen eingebundener Protagonist, der Praktiken, Inhalt und Form seines Wissens auf das höfische Publikum abstimmt. Die Parameter, an denen Biagiolis Akteur gemessen wird, sind nicht mehr allein der wissenschaftliche Gehalt seiner Ideen, sondern die Strategien und Taktiken, die er zur Konstruktion seiner sozioprofessionellen Identität einsetzt. Das Formen- und Zeichenrepertoire, mit dem Galilei seine öffentliche Person als Philosoph und Mathematiker konstruierte, erfand er jedoch keineswegs neu, sondern griff dabei auf bereits existierende soziale Rollen und kulturelle Codes zurück. Biagioli nennt diesen Prozess »social bricolage«. Galilei adaptierte und kombinierte vorhandene Elemente aus dem Kontext der höfischen Kultur und benutzte sie zu seinem Self-Fashioning.24 Zur Beschreibung der äußeren Bedingungen von Galileis sozialer Bricolage verwendet Biagioli Kategorien aus dem ökonomischen Bereich wie Markt, Investition, Risiko und Spekulation, die den Gelehrten als Kosten und Nutzen berechnenden Akteur kennzeichnen.25 Biagiolis Studie hat in konzeptueller Hinsicht einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, den berühmten Wissenschaftler aus einer Welt frei flottierender Ideen zu holen und ihn selbst wie auch seine Entdeckungen in einem sozial und kulturell kodierten Raum zu verorten. So beeindruckend und inspirierend das geschilderte Agieren dieses Bricoleurs an unterschiedlichen Orten und innerhalb verschiedener »Ökonomien« (z.B. der Ökonomie der Universität und der Hofökonomie) ist, so irritierend wirkt jedoch, wie selbstbestimmt der Gelehrte in Biagiolis Darstellung sein Image formte und wie reibungslos er seine Taktiken in unterschiedlichsten Situationen und Kontexten verwirklichen konnte. Biagioli bietet auffallend wenig Raum für das Nicht-Intentionale und Implizite. Die Gestaltungskraft der jeweiligen »Bühne«, auf der Galilei agierte, wird durch den Fokus auf sein vermeintlich stets planvolles oder gar strategisches Handeln verdeckt. Dieser Eindruck stellt sich auch mit Blick auf die neuere Kircher-Forschung ein. Kircher experimentierte, publizierte, bewirtschaftete seine Beziehungen und betrieb ein bemerkenswertes Self-Fashioning. Er war ein Meister der Wissensakkumulation, der Koordination von Ressourcen und der Delegierung von Arbeiten. Stets hielt er, so die implizite Voraussetzung, alle Fäden fest in der Hand. Diese Vorstellung von Kircher hat die Encyclopædia Britannica auf eine eingängige Formel gebracht: Er sei eine Art »one-man intellectual clearinghouse for cultural and scientific information«. Ähnlich klingt es auch bei Findlen: »Kircher single-handedly was able to muster more information and produce more books than the entire membership of the early Royal Society, or really any learned academy of this period.«26

Das Bild eines selbstermächtigten und autonom handelnden Gelehrten der Frühen Neuzeit mag angesichts der poststrukturalistischen Auseinandersetzung mit der Autonomie des Subjekts erstaunen.27 Insbesondere die aktuelle Forschung im Bereich der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Narratologie hat sich in Auseinandersetzung mit den Debatten im Zuge des linguistic turn den Konzepten ›Individuum‹, ›Subjekt‹ oder ›Autor‹ zugewandt. Mit ihrer konsequenten Historisierung von Produktionsprozessen und ihrer Analyse kultureller Kontextbedingungen haben sie die Vorstellung eines ›Selbst‹ als raum-zeitlich stabiler Identität in Frage gestellt.28 In seinem Denken und Handeln wird dieses Selbst vielmehr durch gesellschaftliche, kulturelle und situative Faktoren konstruiert. Auch im Bereich der Geschichtswissenschaft haben sich zahlreiche Arbeiten der Subjektivierung und den dabei ablaufenden Prozessen zugewandt. Besonders Studien aus dem Bereich der historischen Selbstzeugnisforschung, der historischen Anthropologie, der Wissensgeschichte und der Geschichte der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur haben methodisch differenzierte Zugänge zu historischen Konzeptualisierungen von Subjekt, Individuum und Person ausgearbeitet.29 Spezifisch für das soziale Feld der Gelehrten erweist sich das auf Lorraine Daston und Otto Sibum zurückgehende Konzept der »Scientific Persona« als bedeutender Impulsgeber für die vorliegende Studie.30 Daston und Sibum orientieren sich an Marcel Mauss’ Anspruch, Person als kulturell und historisch geprägte Kategorie zu denken, und plädieren für eine kollektive Identität, die aber nicht zwingend mit derjenigen eines Individuums übereinstimmen muss. Diese kollektive Identität formt »Eigenarten, Lebensweisen und sogar körperliche Fähigkeiten und Dispositionen einer Gruppe […], die sich zu dieser Identität bekennt, und von der Öffentlichkeit aber auch so wahrgenommen wird.«31 Für die wissenschaftlich tätigen Personen bedeutet dies, dass sie sich habituell an gesellschaftlich etablierten Idealtypen orientieren. Ich möchte an dieser Stelle jedoch unterstreichen, dass diese Orientierung nicht nur intentional in Form von überlegt-rationalen Entscheidungen und Handlungsweisen erfolgt, sondern immer auch von gesellschaftlichen Zugehörigkeiten, von räumlichen und zeitlichen Dimensionen, von Praktiken und Diskursen sowie von religiösen, politischen und ökonomischen Bedingungen abhängt.

Auch Kirchers wissenschaftliche Persona war nur eine von vielen Rollen, die seinem Handeln zugrunde lagen. Ebenso agierte er auch als Persona des Geistlichen oder als Persona eines Klienten mehrerer Patrons, er bewegte sich in verschiedenen Institutionen mit ihren jeweils unterschiedlichen Anforderungen und Codes. Die je nach Ort, Zeit und sozialen Konstellationen realisierten Handlungsformen müssen in Anbetracht einer Vielfalt von denkbaren Handlungsmöglichkeiten der jeweiligen Persona untersucht werden. Gewisse Handlungen erscheinen auf den ersten Blick widersprüchlich oder gar unverständlich, gleichwohl produziert ein Erklärungsansatz, der sie als Ausdruck einer hinter der Persona liegenden wahren Identität versteht, nur weitere Widersprüchlichkeiten. Vor allem aber transportiert diese Perspektive ein teleologisches Geschichtsbild, in welchem die Handlungen und Leistungen historischer Akteure an einem modernen Bewertungssystem gemessen werden. Kircher wird beispielsweise meist positiv attestiert, dass er als Jesuit in Zeiten größter konfessioneller Intoleranz sowohl mit Katholiken als auch mit Protestanten korrespondierte, mit Letzteren sogar in Patronageverhältnissen stand.32 Diese transkonfessionellen Beziehungen werden bisweilen vorschnell einem für einen Jesuiten untypischen, außergewöhnlich aufgeschlossenen Charakter Kirchers zugeschrieben. Wissenschaftliche Angelegenheiten hätten ihn stets viel mehr interessiert als konfessionelle Differenzen.33 Anderen Forschenden wiederum bereitet es große Mühe, Kirchers Publikationsmanagement, besonders den Druck seiner Werke in Amsterdam, mit seinem Status als Ordensbruder in Einklang zu bringen. Kircher wird so zum Exzentriker stilisiert, der sich nicht scheute, gegen die Ordensdoktrin zu verstoßen, und sich auf diese Weise eine »beachtenswerte Autonomie« erarbeitet habe.34 Durch derartige Zuschreibungen werden unreflektiert aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammende Gesellschafts- und Geschichtskonzepte fortgeschrieben. Sie spiegeln eine modernistische Vorstellung von Individuum, die sich am Grad seiner Aufgeklärtheit bemisst. Der besondere Erfolg Kirchers auf dem Wissensmarkt wird somit implizit daran gemessen, wie stark er sich von vermeintlichen, historiographisch unterstellten religiösen oder institutionellen Zwängen habe befreien können.

Anstatt hinter all den Masken den wahren Kircher enthüllen zu wollen, setzt diese Arbeit ihren Akzent auf die Fabrikationsmechanismen seiner Persona. Das Agieren Kirchers auf dem Buchmarkt, an den Höfen sowie innerhalb des Ordens soll demnach nicht als das einer berechnenden und strategisch handelnden Ausnahmefigur oder eines aufgeschlossenen Exzentrikers verstanden werden. Gezeigt werden soll vielmehr, wie sich die Persona Kirchers im Kontext von sozial, kulturell und räumlich kodierten Gefügen aktiv konstituierte und zugleich von diesen konstruiert wurde. Die Figur Kirchers wird in dieser Studie nicht als Protagonist im Sinne von Biagiolis Galileo behandelt, sondern als Produkt, das in einem Netz von Austauschbeziehungen mit anderen Akteuren entsteht und geformt wird. In methodologischer Anlehnung an die wissenskonstruktivistischen Studien von Karin Knorr Cetina und Steve Woolgar sowie an Bruno Latours Arbeiten, die auf dem Programm der Sociology of Scientific Knowledge (SSK) aufbauen, aber gleichwohl eine radikale Alternative zum wissenschaftssoziologischen Programm bieten, soll das unter dem Namen Athanasius Kircher subsumierte Wissen als Resultat sozialer Bedingungen und Konstruktionsprozesse analysiert werden.35 Dabei wird die strikte Fokussierung auf ein Individuum aufgehoben; in den Untersuchungsfokus geraten die Interaktionen von Akteuren, die am Produktions-, Distributions- und Vermarktungsprozess von Kircher’schem Wissen beteiligt waren. Gegenstand dieser Arbeit ist also die Frage, durch welche Mechanismen Athanasius Kircher als Autorenfigur in den Produktionsprozess integriert, kommodifiziert und sein Name als eine Art Label den Wissensprodukten zugeschrieben wurde. Hinter dem Namen Kircher stand weit mehr als ein Individuum. Das Label Kircher stand vor allem für eine komplexe Wissensmaschinerie, in welche der Orden, Patrons, andere Gelehrte und katholische Ordensbrüder, Buchdrucker, -händler sowie nicht zuletzt auch Athanasius Kircher selbst eingebunden waren. Bereits Findlen hat auf diesen Sachverhalt am Beispiel des Publikationsmanagements von Kircher hingewiesen: »The Kircherian machine was a vast and lucrative publishing enterprise. […]. It seemed as if every participant involved in the project – the author, the publisher, his disciples, and last but not least, the Society of Jesus – wanted to squeeze the maximum amount of words, ink, and profit out of this singular mind of the seventeenth century.«36 Die vorliegende Studie schließt in direkter Weise an Findlens Gedanken der Maschinerie an, bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf den Aspekt des Publikationswesens. Nicht das eigenhändig erwirtschaftete Renommee, sondern die Vielhändigkeit der Wissensgenese und Bedeutungsstiftung sowie deren Bedingungen und Möglichkeiten stehen im Vordergrund dieser Arbeit. Das dabei verwendete Konzept der Wissensmaschinerie geht auf Überlegungen Karin Knorr Cetinas zurück. Sie begreift wissenschaftliche Erkenntnis als das Ergebnis sozialer und technischer Herstellungs- und Konstruktionsprozesse. Anstatt der Produktion von Erkenntnis an sich fokussiert sie die Wissensmaschinerien, die bei dieser zum Einsatz kommen.37 Sie fasst Wissensmaschinerien als komplexe »Gefüge von Konventionen und Instrumenten, die sich als organisiert, dynamisch und (zumindest teilweise) reflektiert erweisen, die aber nicht von einzelnen Akteuren bestimmt werden«.38 In dieser Perspektive erweist sich der Wissenschaftler oder das »epistemische Subjekt« als ebenso erzeugt wie das epistemische Objekt der Erkenntnis. Bezieht man Knorr Cetinas Überlegungen auf Kircher, so wird er als Erzeuger von Wissen im epistemischen Produktionsprozess selbst gleichermaßen zur Komponente und zum Produkt einer Wissensmaschinerie. Dieses dynamische System der Kircher’schen Wissensmaschinerie funktionierte durch eine Vielzahl von Aushandlungsprozessen. Dabei muss die statische Vorstellung von uniform agierenden Interessengruppen, die jeweils dasselbe Ziel verfolgen, zugunsten eines elastischeren Gebildes aufgegeben werden, in dem auch scheinbar unvereinbare und gegenläufige Interessen koexistieren und in Kombination produktiv werden können.

Die Entstehung der vorliegenden Arbeit stand gänzlich im Zeichen einer Kircher-Begeisterung. Die Grundlagen dieser Begeisterung zu verstehen und die Konstruktionsmechanismen zu analysieren, die das Bild des wissenschaftlichen (Anti-)Helden produzierten und die bis in Kirchers eigene Zeit zurückreichen, ist das Ziel der Arbeit. Im Zentrum steht nicht die Person des Wissenschaftlers Kircher, sondern die Fabrikation des ›Wissenschafts-Unternehmens‹ Kircher.

Quellengrundlage und Aufbau der Arbeit

Materialgrundlage der vorliegenden Arbeit bildet das gedruckte Œuvre von Athanasius Kircher und seiner Assistenten Caspar Schott, Johann Stephan Kestler, Gioseffo Petrucci und Giorgio de Sepibus. Kircher veröffentlichte knapp vierzig Werke, von denen einige mehrere Auflagen und Übersetzungen ins Deutsche, Französische, Englische und Holländische erfuhren. Thematisch lassen sich die Bücher aus heutiger Sicht verschiedenen Disziplinen zuordnen: Mathematik, Magnetismus, Astrologie, Medizin, Optik, Katoptrik, Musik, Ethnologie, Geologie, Sinologie, Logik, Akustik, Altertumskunde sowie Ägyptologie und verschiedenen Philologien. Im Zentrum dieser Studie steht jedoch nicht der Inhalt von Kirchers Büchern oder ihr wissenschaftlicher Gehalt; die Analyse nähert sich Kircher vielmehr von den Rändern her. Anhand einer detaillierten Untersuchung von Paratexten wie Titel, Widmungen, Vorreden und Lobgedichten sowie von Berichten und Anekdoten über Kircher in den Publikationen seiner Assistenten und ehemaliger Schüler wird das soziale Netz sichtbar, in dem sich Kircher positionierte und das ihn zugleich als Mediator von Wissen konstituierte. Neben den gedruckten Werken stützt sich die Analyse in weiten Teilen auch auf Kirchers Korrespondenz, die sich zum größten Teil im Archiv der Pontificia Università Gregoriana in Rom befindet.39 Die Sammlung umfasst 2291 Briefe, die von insgesamt 732 Korrespondenzpartnern stammen. Darüber hinaus enthält sie auch Kopien und Entwürfe von Kirchers eigenen Briefen. Von der jesuitischen Ordenszentrale in Rom aus unterhielt Kircher Korrespondenzbeziehungen mit ganz Europa, Amerika und Asien.

Mit Rom als Zentrum des Kircher’schen Wissensunternehmens beginnt daher auch das erste Kapitel, welches die Morphologie der römischen Wissenschaftskultur analysiert. Anhand der verschiedenen Bedeutungen Roms – als Zentrum der katholischen Kirche und der Gegenreformation, Zentralsitz des Jesuitenordens und des Kircher’schen Wissensunternehmens – werden die unterschiedlichen Handlungsarenen und Möglichkeitsräume analysiert, in denen Wissen produziert, publiziert und aufgeführt wurde. Der Stadtraum, das jesuitische Kolleg und das Museum von Athanasius Kircher bilden zusammen einen dehnbaren Wissensraum, in dem sich jesuitisch-institutionelle sowie höfisch-kuriale Formen der Repräsentation in einem dynamischen Verhältnis manifestieren. Kircher erscheint dabei nicht durchgehend als Hauptdarsteller, sondern als ein Protagonist unter vielen, dessen Handlungsmöglichkeiten und Artikulationsformen durch den Raum konstituiert werden. In einem weiteren Schritt werden auf einem selektiven Rundgang zu den Schauplätzen von Kirchers Wissen im Stadtraum – er beginnt 1644 auf der Piazza Navona, führt weiter zum feierlichen Einzug von Christina von Schweden in Rom (1655) und endet 1666 auf der Piazza Minerva – die unterschiedlichen Weisen der Inanspruchnahme von Wissen zur Selbstinszenierung und -vergewisserung, als Zurschaustellung von Herrschaft, als Instrument der Kirchenpolitik und zur Darstellung der kulturellen Superiorität Roms analysiert.

Das zweite Kapitel vollzieht einen Wechsel von der lokalen zur globalen Ebene, denn Genese, Distribution, Zirkulation und Präsentation von Wissen sind Prozesse, die nicht nur eng an den eigenen Stand- und Denkort gebunden sind, sondern zugleich auf vielfältige Weise über diesen hinausgreifen. Am Beispiel der Produktion und Distribution von Büchern und der Verbreitung von Wissen durch die Korrespondenz wird die Prozessualität der Kircher’schen Wissensgenese veranschaulicht. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen das Agieren und die Interessen von Kirchers »Agenten« und seinen Patrons in den deutschen Territorien und in den Niederlanden. Dabei wird zu zeigen sein, dass das über die Korrespondenzkanäle transportierte Wissen niemals nur um seiner selbst willen zirkulierte, sondern stets an konfessionelle, politische oder ökonomische Interessen gekoppelt war. Besonderes Augenmerk fällt auf die wissensorganisatorischen Aspekte von Kirchers Wissenschaftsunternehmen. In den Vordergrund treten die zahlreichen Akteure, die am »Unternehmen« Kircher mitwirkten: Buchagenten, Beichtväter, Buchdrucker und -verleger. Als zentralen Einflussbereichen und Wirkungsorten von Kircher kam den europäischen Fürstenhöfen eine wichtige Rolle für die Genese und Zirkulation von Wissen zu. Die jesuitischen Beichtväter an den Höfen der deutschen Territorien in ihrer Doppelrolle als Informanten Kirchers vor Ort und Übermittler von Wissensfragen und der mannigfaltigen Wünsche der Reichsfürsten werden hier beleuchtet. Kircher versorgte die Höfe mit seinen Publikationen, mit raren und kuriosen Sammlungsobjekten sowie mit wissenschaftlichen Abhandlungen, die teilweise auch Antworten auf die an ihn gerichteten Fragen darstellten. In diesem Sinne sind gedrucktes und ungedrucktes Wissen (in Form von Objekten, Briefen und mündlicher Vermittlung) am Hof nicht nur als Resultate am Ende einer Reihe von Überlieferungsprozessen zu beschreiben, sondern als Elemente in einem dynamischen Gewebe, in welchem Wissen erst entsteht. Neben wissensorganisatorischen Aspekten und der Analyse der Höfe als Zentren der Wissensgenese setzt das Kapitel auch Akzente auf konfessionelle und ordenspolitische Implikationen. Nicht nur Wissen, sondern auch Ordenspolitik, religiöse Agitation und Mission sind wichtige Themen innerhalb von Kirchers Korrespondenznetzwerk. Am Beispiel der breit angelegten Vermarktung seiner Werke nördlich der Alpen wird dargelegt, dass Kirchers Publikationsmanagement auch als Spiegel des gegenreformatorischen Programms der Rekatholisierung sowie der jesuitischen Ordenspolitik verstanden werden kann.

Nach der räumlichen und lokalen Verortung von Kirchers Wissen in Rom und der Beleuchtung der überlokalen Netzwerke und Zirkulationsweisen seiner Wissenschaft vollzieht das dritte Kapitel eine Bewegung ins Innere der Scientia Kircheriana. Analysiert werden die medialen Funktionsmechanismen des Wissens bei Kircher. Als regelrechte Bühnen der Wissenspräsentation wurden sowohl sein Museum im Collegio Romano als auch seine Bücher angepriesen. Indem es den Fokus auf die Interdependenz zwischen diesen materiellen Orten des Wissens und ihrer medialen Vermittlung richtet, beleuchtet das Kapitel insbesondere die dabei erschaffenen Imaginationsräume. In diesen virtuellen Wissensräumen erfährt das kollaborativ erzeugte und verbreitete Wissen eine Personalisierung, indem es als Wissen Kirchers präsentiert und wahrgenommen wird, womit zugleich dessen Konstruktion als Autorenfigur einhergeht. Im vierten Kapitel werden die bis dahin separierten Fadenläufe zum komplexen Webmuster der Kircher’schen Wissensmaschinerie zusammengeführt. Dabei ist die Bedeutung Roms für die Fabrikation der Figur und des Wissens Kirchers ebenso in den Blick zu nehmen wie die Netzwerke, in denen dieses Wissen zirkulierte. Auch die Wahrnehmung dieses Wissens als Geheimnis, Wunder und überraschende Erkenntnis ist dabei von Bedeutung. Es wird gezeigt, wie im Zusammenspiel seines Profils als jesuitischer Gelehrter in Rom, des global agierenden Netzwerkes und des Imaginationspotenzials, das seinem Wissen und seiner Sammlung anhaftete, der Name Kircher zu einem »Label« wurde. Assistenten, Agenten, Drucker und Verleger trugen durch die Wiedergabe und Kommentierung von Kirchers Wissen zur Verbreitung seines Namens und zu dessen Kommodifizierung in unterschiedlichen Kontexten bei. Die abschließenden Überlegungen konzentrieren sich auf die Analyse der vielhändig betriebenen Maschinerien mit ihren jeweiligen medialen Artikulationsformen, die an diesem »Labeling« mitwirkten.

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1. Athanasius Kircher und die römische Bühne der Repräsentation und Wissenspatronage

»Kircheriana Domus naturae artisque theatrum« – dieser Spruch ziert als Bildunterschrift den Kupferstich von Kirchers römischer Kunstkammer. Die Illustration wurde als Frontispiz für die 1678 gedruckte Beschreibung des Museums angefertigt (Abb. 1).40 In dieser wird Kirchers Museum als wahrhaftiges Welttheater beschrieben, in welchem der Pater magnetische Tricks, mechanische Geräte, unterhaltsame Experimente und exotische sowie kuriose Objekte vorführt. Das Bild findet sich auch in zeitgenössischen Reiseführern wieder, so zum Beispiel in Fioravante Martinellis Werk Nota delli Musei, in dem er das Museum als »Theatro dell’arte & della natura« bezeichnet.41 Das Museum erscheint als Bühne, die von dem Kustoden ständig neu bespielt wird. Auf die zeitgenössische Bedeutung des Begriffs Theatrum wird später zurückzukommen sein, doch ist bereits hier die enge Verknüpfung von Wissen, Performanz und Raum deutlich zu erkennen. Die Interdependenz dieses Trios gilt es im Folgenden nicht nur am Beispiel von Kirchers Museum, sondern anhand des römischen Stadtraums insgesamt zu analysieren.

1 Detail aus Giorgio de Sepibus, Romani Collegii Societatis Jesu Musæum Celeberrimum, Frontispiz

Als Startpunkt einer Analyse der Produktionsweisen und Präsentationsmodi von Kirchers Wissen erweist sich ein genauer Blick auf Rom in mehrfacher Hinsicht als produktiv. Nach seiner Berufung ans Collegio Romano im Herbst 1633 hat Kircher diesen Ort bis auf einige wenige Ausflüge nicht mehr verlassen. In der Zentrale des Jesuitenordens sammelte, kompilierte und kombinierte er traditionelle Wissensbestände ebenso wie neues Wissen, das ihn aufgrund der weitreichenden Beziehungen des Ordens aus beinahe der ganzen Welt erreichte. Dabei standen Kirchers Wissenspraktiken sowie Form und Inhalt seiner Publikationen in einem dynamischen Wechselverhältnis mit den soziokulturellen Bedingungen Roms im 17. Jahrhundert. Um die Funktionsweisen sowie die Präsentation, aber auch die Zirkulation, Distribution und Rezeption dieses Wissens begreifen zu können, muss die Bedeutung der Stadt für dessen Genese untersucht werden. Eine lediglich historisch-soziale Einbettung vermag diesen Fabrikationsprozessen nicht gerecht zu werden. Vielmehr müssen sie mit Blick auf den räumlichen und zeitlichen Kontext sowie die impliziten Voraussetzungen, unter denen sie abliefen, analysiert werden. Im Zuge der sozial- und kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit sozialkonstruktivistischen Positionen und dem spatial turn wurde auch innerhalb der Wissenschaftsgeschichte die räumliche Bedingtheit von Wissen und Wissenschaft zu einer zentralen analytischen Kategorie. Leitend war dabei die Grundannahme, dass Wissen in all seinen Ausformungen von den Räumen geprägt wird, in denen es entsteht. In Publikationen wie »The Place of Knowledge«, »Location of Science«, »Geographies of Scientific Knowledge«oder »Le lieu en histoire des sciences«42 erscheint Wissen folglich als durch bestimmte Akteure an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit fabriziert, verhandelt und interpretiert.

Dieser methodologische Zugang bildet den Ausgangspunkt für die Verortung von Kirchers Wissen im frühneuzeitlichen Rom. Kirchers Aktivitäten erscheinen eingebettet in ein Netz von Beziehungen, Kollaborationen und Abhängigkeitsverhältnissen, die zusammen eine Handlungsarena bilden. Das Handlungsfeld der Akteure entsteht dabei aus den sozialen Beziehungen, die sie miteinander eingehen. Die Wissenschaftssoziologin Karin Knorr Cetina umschreibt den Begriff des Handlungsfeldes mit der Metaphorik eines Spielfeldes, auf dem verschiedene Personen gleichzeitig an verschiedenen Spielen beteiligt sind:

»Es sind nicht die gemeinsamen Merkmale der Spieler, die im Fall einer logischen Klasse das Bild kohärent machen. Die Spiele entwickeln sich vielmehr aus dem, was zwischen den Teilnehmern [Herv. i. O.] geschieht, in einer Folge ausdauernder miteinander verflochtener Spielszenen. Das Handlungsfeld selbst bleibt dabei insofern ein theoretisches Konstrukt, als es nicht unabhängig von den sozialen Arenen, in denen die Transaktionen stattfinden, identifiziert werden kann.«43

Dabei stimmt jedoch die räumliche Ausdehnung einer solchen Handlungsarena nicht mit dem durch die institutionelle, politische oder religiöse Zugehörigkeit des einzelnen Akteurs bestimmten Raum überein, sondern wird diese im Regelfall überschreiten. Auch bei Kircher überlagerten sich jesuitisch-institutionelle, konfessionelle, höfische, politische, intellektuelle und kulturelle Interessen und formten einen elastischen Wissensraum. Für eine Analyse der römischen Handlungsarenen reicht es folglich nicht aus, allein die geographische oder konfessionelle Bedeutung des Raumes zu beleuchten, sondern es müssen auch institutionelle, soziale, performative und symbolische Dimensionen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Konstituierung von Wissen in der Frühen Neuzeit miteinbezogen werden.

Rom: Städtische Bühne und Welttheater

»Questo pomposissimo Arco ammirato da tutti che dovira essere stato fabricato di fine, e non di finte pietre, e marmi, come anco di Statue simili, e non di stucco, per restare à gli occhi della perpetuità, e di questo Teatro dell’universo, ROMA, è stato in si poco tempo composto dalla diligenza, e valore del Signor Girolamo Rainaldi […]«.44

Rom als dauerhaftes Theater der Welt, kostbares Kabinettstück im europäischen Machtgefüge. Mit diesen Worten beschreibt Antonio Gerardi die Ehrenpforte, welche Innozenz X. 1644 für seinen possesso – den rituellen Zug des Papstes von St. Peter zum Lateran – errichten ließ. Der von dem Architekten Girolamo Rainaldi errichtete Bogen befand sich auf dem Forum Romanum, am Eingang der Farnesischen Gärten. Nach dem langen Pontifikat Urbans VIII., das geprägt war vom Dreißigjährigen Krieg sowie dem lokalen Krieg gegen das farnesische Herzogtum Castro nördlich von Rom, wurde die Wahl Giambattista Pamphiljs zum neuen Papst zum Beginn einer neuen Ära des Friedens stilisiert.45 Das Wappen der Pamphilj – eine Taube mit einem Zweig im Schnabel, die mit drei Lilien kombiniert ist – stellte für eine derartige Zuschreibung das ideale Zeichenrepertoire bereit. Die Taube mit dem Ölzweig war nicht nur ein Symbol für den Frieden, sondern auch eine Verkörperung der Unschuld (Innocentia) und – als Zeichen der Venus – eine Botin der Liebe. Für die Panegyriker war es daher ein Leichtes, sie als Symbol für die Pazifizierung der gesamten Christenheit zu deuten. Sogar die konstruierte etymologische Wurzel des Familiennamens Pamphilj – »Pan-philos«, der All-Liebende – stand ganz im Zeichen dieser Friedensprogrammatik.46 Wie Rudolf Preimesberger kenntnisreich dargelegt hat, bot sich die Symbolik der Taube über die etymologische Bedeutungsebene hinaus für eine biblische Auslegung geradezu an: Ebenso wie der auf der Arche segelnde Noah die zweigtragende Taube als Zeichen für die Versöhnung Gottes mit den Menschen und den Beginn einer neuen Welt erkannte, »[…] so erscheint auch die Taube Pamphilj über den stürmischen Fluten der Zeit und bringt nach der Sintflut des Barberinikrieges und des dreißigjährigen Krieges das Zeichen der Versöhnung und des neuen Lebens«.47 Entsprechend dieser Pamphilj-Panegyrik war auch der Triumphbogen mit den polyvalenten Symbolen der Taube und der Lilie (das heraldische Zeichen der Farnese) geschmückt sowie mit der allegorischen Figur der Pax, zu deren Füßen sich ein Medaillon mit der Darstellung einer Arche und dem ölzweigtragenden Wappentier befand. Auf der Piazza Navona, vor dem Palast der Pamphilj, ließ die Familie den Brunnen von Giacomo della Porta durch den Architekten Carlo Antonio Magnini mit einem Festapparat schmücken, dessen allegorische Gestaltung ebenfalls die Noah-Episode aufnahm. Die mit reichlich Pyrotechnik versehene Konstruktion zeigte den Berg Ararat mit der darauf gestrandeten Arche. Auf der Arche befand sich Noah, der die Arme hoffnungsvoll gegen den Palazzo Pamphilj richtete, aus dessen Richtung eine zweigtragende Taube geflogen kam. Bei der Arche angekommen, löste der Vogel ein kunstvolles Feuerwerk aus (Abb. 2).48

2 Pyrotechnischer Festapparat, Arche Noah auf dem Berg Ararat, in: Laurentius Banck, Roman Triumphans seu Actus Inaugurationis et Coronationis Innocentii Decimi Pont. Max., Editio secunda, Franeker 1656

An dem Beispiel des possesso Innozenz’ X. wird deutlich, wie der städtische Raum Roms mit seinen unzähligen Plätzen, Adelspalästen und Kirchen als Bühne für vielfältige profane wie sakrale Spektakel funktionalisiert wurde. Oder wie es Peter Rietbergen in Anlehnung an Erving Goffman formuliert hat: »Baroque Rome was, perhaps, the first epitome of European ›theatre state‹, of a court society that used all forms of culture […] as instruments to establish and enhance power.«49 Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts fand der Begriff ›theatrum‹ in einer Vielzahl von Bedeutungen und Kontexten Verwendung.50 Er fungierte als Bezeichnung für Institutionen und Sammlungen, aber auch als Titel für Bücher aus unterschiedlichsten Themenbereichen. Insbesondere für Wissensdarstellungen aller Art war Theatrum ein geläufiger Titel.51 Im 17. Jahrhundert war das semantische Feld des Theatrum eine Leitmetapher für die Erfassung der Welt durch den menschlichen Geist.52 Wie es das einleitende Beispiel Antonio Gerardis deutlich macht, wurde die Theatermetapher auch auf Rom als »Theatro dell’Universo« bezogen. Seit jeher funktionierten Rom und der Papsthof als bedeutende Bühne und Dreh- und Angelpunkt weit ausgreifender politischer und kultureller Netzwerke: einst als Zentrum der antiken Welt, danach der Christenheit und seit der Reformation als Herz des katholischen Glaubens. Dieser über die Jahrhunderte andauernde Status als Zentrum prägte das universale Selbstbild der Stadt als teatro dell’universo,caput mundi und Ewige Stadt.

Im Laufe des 15. Jahrhunderts erfuhr der materielle und finanzielle Aufwand für die höfische Prachtentfaltung in Rom wie auch in ganz Italien eine enorme Steigerung. Für die fürstliche Elite hatte die Sichtbarmachung und Absicherung des eigenen Ranges einen hohen Stellenwert, und dies galt auch für den Papst und die Kurie.53 Die Päpste, Kardinäle, Nepoten und Prälaten orientierten sich folglich an zeittypischen Maßstäben und Modellen der höfischen Selbstdarstellung.54 Neben den Zeremonien und dem materiellen Luxus, mit dem sich die Kurie umgab, spielten auch die Gelehrten eine wesentliche Rolle für die höfische Repräsentation. Insbesondere der humanistische Rückgriff auf die Antike ließ ein reiches Repertoire an Verherrlichungsformen aufleben, das zu einem umfassenden Rechtfertigungs- und Agitationssystem des Kirchenstaates funktionalisiert wurde. Die in der Wahrnehmung der Zeitgenossen quasi unendliche Dauer der römischen Geschichte und seiner imperialen Größe ließen die romanità zu einem wichtigen Nobilitierungsfaktor werden: Nobilitierung durch Anciennität lautete die Grundformel der römisch-päpstlichen Panegyrik.55

Formgebend für das Image Roms und dessen kulturelle Repräsentation waren im 17. Jahrhundert insbesondere das Pontifikat der Borghese (1605–1621) und das einundzwanzig Jahre währende Pontifikat der Barberini (1623–1644), weiterhin auch das Pontifikat der Pamphilj (1644–1656) und das der Chigi (1656–1666). Mit ihrer Mischung aus sakralem Ornat, weltlichem Luxus und ihren mannigfaltigen, mit dem Anspruch der »Erneuerung« verbundenen Eingriffen in den Stadtraum Roms übten sie auf Aufstiegswillige eine große Anziehungskraft aus.56 Die unzähligen Höfe der römischen Elite machten die Stadt zu einem polyzentrischen Umschlagplatz für wirtschaftliches, soziales und symbolisches Kapital. Dies markiert zugleich den Unterschied zu anderen europäischen Machtzentren wie beispielsweise Wien oder Versailles. Der periodische Austausch der regierenden Dynastie mit jedem neuen Papst war mit einer entsprechenden Selbst- und Machtbehauptung der jeweils Herrschenden verbunden. Die ständigen Wechsel führten indes zu äußerst dynamischen Allianz-, Loyalitäts- und Abhängigkeitsverhältnissen. Diese Dynamik machte den Papsthof zu einem elastischen Gebilde, dessen Einfluss und Bedeutung keinesfalls auf die geographische Ausdehnung des Vatikans reduziert werden darf. Gerade am Beispiel von Innozenz’ X. possesso wird deutlich, dass zwischen Papsthof und Stadt keine klare Trennung bestand. Die gesamte Stadt diente als Bühne, die stets neu bespielt werden musste. Als Kulissen fungierten insbesondere die Fassaden und Innenausstattungen der Paläste und Kirchen sowie die bedeutenden Straßen und Plätze.57 Vor allem ephemere und monumentale Festdekorationen für die unzähligen sakralen und profanen Anlässe waren integrale Bestandteile dieser römischen Bühne.58 Hier wurde Raum für die Zurschaustellung von Reichtum und die Aufführung ausgefeilter Rituale geboten. Damit verbunden war die Intention, das eigene Ansehen sowohl in Rom selbst als auch darüber hinaus zu mehren und seine Position in den lokalen Herrschaftsverhältnissen zu markieren und zu stärken.59 Es sind gerade diese prestigeträchtigen Visualisierungen von Allianzen, Herrschaftsverhältnissen und die darin zum Ausdruck kommenden Konkurrenzverhältnisse, welche die Aufmerksamkeit vieler Forschenden auf sich ziehen.60

Die auf diesen Bühnen agierenden Akteure entstammten jedoch nicht nur der römischen Nobilité, sondern auch ausländische Mächte nutzten Rom als Plattform, um ihren Status sichtbar zu machen. Rom war allein schon aufgrund seiner Bedeutung als Zentralsitz der katholischen Kirche eine Stadt mit internationalem Gepräge. Viele auswärtige »Nationen« unterhielten Kirchen und religiöse Gemeinschaften in der Stadt. Des Weiteren residierten unzählige Diplomaten und Botschafter dauerhaft in Rom. Diese Internationalität ließ den Stadtraum aber auch zum Austragungsort verschiedenster Konflikte werden, deren Ursachen außerhalb Roms lagen. Insbesondere der kriegsbedingte Konflikt zwischen Frankreich und Spanien wird in urbanen Bereichen wie beispielsweise der Piazza Navona, wo beide Parteien Gebäude besaßen, greifbar. Neben den zahlreichen Provokationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen artikulierten sich die Konflikte auch auf symbolischer Ebene, in Gestalt einer monumentalen, fortwährend auf die Überbietung der Konkurrenten ausgelegten Prachtentfaltung. So gab die Geburt des Dauphin am 2. Februar 1662 Anlass zu einem spektakulären Fest. Der mit dem französischen Königshof aufs Engste verbundene Kardinal und Mäzen Antonio Barberini erteilte bereits im November des vorhergehenden Jahres den Auftrag dazu an Gian Lorenzo Bernini (der Kardinal hatte schon bei der Geburt von Louis XIV. 1638 die Konstruktion des Festapparates mitsamt Feuerwerk Bernini überantwortet). In gerade einmal drei Monaten errichtete Bernini in Zusammenarbeit mit Johannes Paul Schor zwischen der französischen Kirche Trinità dei Monti und der Piazza di Spagna eine Konstruktion aus Felsen und Skulpturen, die mit künstlicher Beleuchtung und pyrotechnischen Effekten versehen war. Neben gedruckten avvisi zur Erinnerung an die Feierlichkeit, die 1662 in Rom und weit darüber hinaus zirkulierten, vermittelt die Radierung des französischen Künstlers Dominique Barrière ein Bild von dieser spektakulären Szenerie (Abb. 3). Der Künstler hob dabei speziell die von Bernini hergestellte Verbindung zwischen der ephemeren Felsenlandschaft und der lokalen Kirchenarchitektur hervor. Auf der Spitze der Felsenlandschaft wird der Dauphin in Gestalt eines Delfins von den allegorischen Figuren des Friedens und der Fruchtbarkeit gekrönt.61 Flankiert wird die Krönungsszene von den beiden Kirchtürmen von Trinità dei Monti, die mit den Initialen von Louis XIV. und seiner Frau Maria Theresia versehen sind.

3 Gian Lorenzo Benini und Johann Paul Schor, gestochen von Dominique Barrière, Festapparat zwischen Piazza di Spagna und Trinità dei Monti zur Geburt des Dauphin, 1661

Zur gleichen Zeit wie das Spektakel auf der Piazza di Spagna wurde am nördlichen Ende der Piazza Navona, in deren unmittelbarer Nähe sich die französische Nationalkirche S. Luigi dei Francesi befindet, ebenfalls ein pyrotechnischer Festapparat errichtet (Abb. 4). Der auf dem Kupferstich abgebildete Festapparat ähnelt mit seinem felsenartigen Sockel dem Vierströmebrunnen und wirft damit auch ein Licht auf das spanisch-französische Konkurrenzverhältnis. Die Entstehung des Vierströmebrunnens, der für Innozenz X. gebaut wurde, ist vor dem Hintergrund eines politischen Richtungswechsels zu sehen: dem von der frankreichfreundlichen Politik der Barberini-Päpste hin zu der der Pamphilj, die Spanien favorisierten. Der zu Ehren des Dauphin errichtete Festapparat markiert somit den französischen Machtanspruch innerhalb des sich im Wandel befindlichen römischen Kräftefeldes. Diese Betonung des eigenen Status durch die Franzosen blieb nicht lange unbeantwortet. Bereits zwei Wochen später feierten die Spanier sowohl auf der Piazza di Spagna als auch vor der spanischen Nationalkirche S. Giacomo auf Piazza Navona die Geburt ihres Kronprinzen mit einer dreitägigen Festveranstaltung.62

4 Louis Rouhier, Pyrotechnischer Apparat auf der Piazza Navona anlässlich der Geburt des Dauphin, Rom 1662

Die Künste in ihrer gesamten Bandbreite wurden für derartige Spektakel in Anspruch genommen: Architektur, Malerei, Bildhauerei, Musik und Literatur spielten bei diesen Spektakeln der Macht, der Selbstdarstellung und der Selbstvergewisserung eine tragende Rolle. Wie am Beispiel Berninis besonders deutlich wird, wirkten Künstler sowie auch Gelehrte und Poeten als Impresari dieser höfisch-politischen Bühnen.63 Bereits der Romreisende und Gelehrte John Evelyn fügte seiner Bewunderung über den von Bernini angefertigten Baldachin für Urban VIII. in St. Peter ein Lob auf die vielfältigen Talente des Künstlers bei:

»The 4 Columns weigh an hundred & ten thousand pounds, all over gilted with rich gold; and indeede with the Pedistalls, Crowne, & statues about it, a thing of that Art, vastnesse & magnificence beyond all that ever mans industry has produced of this kind & worthy the Celebration, as it is the Worke of Cavaliero Bernini A Florentine Sculptor, Architect, Painter & Poet: who a little bevore my Comming to the City, gave a Publique Opera (for they call those Shews of that kind) where in he painted the scenes, cut the Statues, invented the Engines, composed Musique, writ the Comedy & built the Theater all himselfe.«64

Zur Erklärung dieser aufwändig betriebenen Kulturpatronage ist von zahlreichen Forschern und Forscherinnen immer wieder das Schlagwort der Kompensation ins Feld geführt worden: eine Kompensation für die realpolitischen Machtverluste, die der Kirchenstaat im Münsteraner Abkommen (1643), im Westfälischen Frieden (1648) sowie schließlich im Pyrenäenfrieden (1659) hinnehmen musste.65 Diese Interpretation nimmt eine klare Trennung zwischen Machtpolitik und kultureller Repräsentation vor und impliziert damit zugleich eine Wertehierarchie, indem sie kulturelle Investitionen zur bloßen Dekoration oder eitlem Beiwerk der Realpolitik degradiert. Die Arbeiten der jüngeren kulturhistorischen Forschung zum Ritual und Zeremoniell in der Vormoderne haben jedoch gezeigt, dass Inhalts- und Ausdrucksseite in der politischen Kultur aufs Engste zusammenhängen. Die Trennung von »symbolischer« und »realer« Politik erweist sich somit als unterkomplex.66 Dies wird gerade auch am Beispiel Roms besonders augenfällig: Der Kirchenstaat blieb trotz seiner schwindenden Bedeutung auf der politischen Landkarte Europas, trotz seiner seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts chronischen Verschuldung und ungeachtet der immer lauter werdenden Kritik am Großnepotismus und an der elitären Exklusivität der Institution Ecclesia weiterhin ein bedeutender Ort der internationalen Diplomatie sowie der Artikulation und Legitimierung von politischen Interessen und von wirtschaftlichem, sozialem und machtpolitischem Status. Die imperiale Kulisse der Stadt eignete sich auf ideale Weise zur Aufführung eines Machttheaters, das in der Zurschaustellung von rhetorischem, theatralem und dekorativem Prunk und von »ostentativer Verschwendung« bestand.67 Der römische Stadtraum war somit ein »[…] Anschauungs-, Experimentier- und Trainingsort in Sachen Visualisierungstechniken«,68 zu dessen Publikum auch die heterogene Gruppe der Romreisenden gehörte, die täglich in die Stadt strömten.

Rom und die Wissenschaften

In der historischen und kunsthistorischen, aber auch der musikwissenschaftlichen Forschung haben die kulturellen Investitionen des römischen Mäzenatentums große Aufmerksamkeit erhalten. Doch im Gegensatz zur Kunst- oder Musikpatronage sind das Phänomen der Wissenschaftspatronage oder die Interdependenzen zwischen Wissen und Kunst erst in jüngerer Zeit vermehrt zum Gegenstand von Analysen geworden.69 Einer der Gründe dafür ist die Tatsache, dass der Stellenwert Roms als Ort der Wissenschaften lange als gering erachtet wurde. Besonders für die Wissenschaftsgeschichte war Rom folglich nicht von besonderem Interesse.70 Die Hinrichtung Giordano Brunos 1600 sowie die Verurteilung Galileo Galileis 1633 galten als symptomatisch für die Wissenschaftsfeindlichkeit und die religiöse Verblendung Roms.71 Die Opposition, die zwischen Religion und Wissenschaft errichtet wurde, ließ Rom von der Landkarte der Wissenschaftsgeschichte verschwinden. Der Kirchenstaat stand für Repression, Zensur und Rückständigkeit. Was an Wissen aus dem Papsthof hervorging, wurde vorschnell als religiöse Propaganda oder als pure Unterhaltung ohne jeglichen wissenschaftlichen Wert abgetan.72 So bemerkt etwa Peter Hersche:

»Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass Galilei kein Einzelfall war. Auch andere, weniger berühmte Forscher sahen sich von der Inquisition und den Jesuiten – die ihren eigenen Wissenschaftlern strikte Limiten auferlegten – verfolgt, in ihren Arbeitsmöglichkeiten behindert, im Publikationsrecht beschränkt, ja zur Emigration gezwungen. Wer damals weiter forschen wollte, musste im Kopfe Glaube und Wissen möglichst trennen, auf philosophische Überlegungen zur Natur weitgehend verzichten, sich am besten rein technischen Fragen widmen.«73

Diese statische Vorstellung obrigkeitlicher Machtausübung sowie die starre Grenzziehung zwischen Wissenschaft und Religion reduzieren jedoch die tatsächliche politische und soziale Komplexität des Kirchenstaates beträchtlich. Die Höfe der römischen Adelsfamilien, klerikalen Würdenträger und Nepoten waren alles andere als repressive und statische Gebilde, sondern eröffneten dynamische Möglichkeitsräume. Vor allem die Studien von Mario Biagioli, David Freedberg und Antonella Romano zeigen deutlich, dass zwischen »Hof« und »Wissenschaft« kein Antagonismus bestand. Ganz im Gegenteil trugen die Höfe der Spätrenaissance und der Frühen Neuzeit in Italien mit ihrer Kultur und Etikette, mit ihrem Ehrenkodex und ihrem Patronage-System Wesentliches zur Ausdifferenzierung der neuen Wissenschaften und zur Ausbildung der sozioprofessionellen Identität des Wissenschaftlers bei.74 Die an den Höfen konzentrierten Ressourcen – finanzielle Mittel, wissenschaftlicher Austausch, Forschungsmöglichkeiten in Form von Bibliotheken und Sammlungen – ebenso wie die Plattform, welche die Mäzene dort gewährten, begünstigten die Genese, Zirkulation und Distribution von Wissen.75 Ingo Herklotz hat diesbezüglich die besondere Rolle des Kardinals Francesco Barberini, Neffe von Urban VIII., hervorgehoben und gezeigt, dass der Barberini-Hof nicht nur die Arbeit einer neuen Künstlergeneration beflügelte, sondern auch eine ganze Schar von auswärtigen Gelehrten anzog.76

Die Hofkultur gab folglich den Rahmen vor, innerhalb dessen die Diskurse der Wissenschaft stattfanden. So waren auch die römischen Wissenschaftszirkel und Akademien wie die Accademia degli Umoristi oder die Accademia dei Lincei geprägt von dem elitären Bewusstsein der kurialen Hofkultur, wobei sich die Accademia dei Lincei im Hinblick auf die wissenschaftliche Ausrichtung und durch ihre äußerst selektive Aufnahme neuer Mitglieder deutlich von den Umoristi unterschied.77 Gelehrte übertrugen ihre Forschung in höfische Formen der Präsentation, so zum Beispiel Francesco Stellutis mikroskopische Autopsie der Biene (Melissographia, 1625) (Abb. 5). Bereits die Wahl seines Untersuchungsobjekts wurde durch den höfischen Kontext bestimmt: Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die auf neuester Instrumententechnik basierten, präsentierte er als Panegyrik auf die Barberini-Familie, deren heraldisches Zeichen drei Bienen waren. Der von Matthäus Greuter angefertigte Kupferstich in Folio wurde Urban VIII. an Weihnachten des Heiligen Jahres 1625 feierlich übergeben. Das auf emblematische oder panegyrische Weise in Szene gesetzte Wissen stand dabei im dynamischen Austausch mit anderen Darstellungsformen wie Kunst, Theater, Oper, Liturgie und diversen Festinszenierungen. Für frühneuzeitliche Wissenschaftler war die Patronage folglich nicht nur eine ökonomische Ressource, sondern Bestandteil der Selbstformung, die auch den wissenschaftlichen Diskurs, die Motive und die theoretische Ausrichtung beeinflusste.78

5 Kupferstich von Matthäus Greuter nach Beobachtungen von Francesco Stelluti, Urbano VIII. Pont. Opt. Max. Cum accuratior Melissographia à Lynceorum Academia in Perpetuae Devotionis Symbolum ipsi offerretur, Rom 1625

Über die strukturellen, inhaltlichen und ästhetischen Aspekte der höfischen Wissensproduktion hinaus wird am Beispiel des Barberini-Hofes aber auch deutlich, dass Wissen nicht nur lokal produziert wird, sondern stets auch über den Produktionskontext hinausweist. Schon alleine die Kommunikationsnetze der Mitglieder der famiglia der Barberini, in denen intellektuelle, strategische, ökonomische, aber auch politische Angelegenheiten verhandelt wurden, sowie das in weite Teile der Welt reichende Netz von Informanten und Agenten sind Phänomene, die weit über Rom hinausweisen. Für den Mäzen Francesco Barberini beispielsweise stellten die lokalen Investitionen in Kunst und Wissenschaft zugleich ein geeignetes Mittel zur Unterhaltung familiärer Beziehungen nach Frankreich dar; sie dienten also nicht allein der Verfolgung von intellektuellen Interessen und der Maximierung seines Sozialprestiges, sondern waren auch ein konfessions- und machtpolitisches Instrumentarium. Die Verbindung mit dem französischen Gelehrten und Mäzen Claude Fabri de Peiresc nahm diesbezüglich eine Schlüsselrolle ein. Niemand sandte so viele Protegés nach Rom wie der Mäzen aus Aix-en-Provence.79 Die Korrespondenz zwischen Barberini und Peiresc liefert ein instruktives Zeugnis für die Überlagerung unterschiedlichster Interessen im Bereich der Kulturpatronage.80

Über die Vermittlertätigkeit von Peiresc kam auch der Jesuit Athanasius Kircher im Herbst 1633 nach Rom, und die Mitglieder der famiglia Francesco Barberinis stellten wichtige Anlaufstellen für den Neuankömmling dar.81 Über eine Zeitspanne von mehr als vier Jahrzehnten agierte Kircher nun ähnlich wie Gian Lorenzo Bernini als Impresario der römischen Eliten. Ebenso wie Bernini schaffte es der Pater, allen sich wandelnden Machtverhältnissen zum Trotz, stets in der Gunst der Führungselite zu bleiben und nacheinander die Päpste Urban VIII., Innozenz X., Alexander VII. und Clemens IX. als Schirmherren für sich zu gewinnen. Dies war keineswegs selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass gerade der Übergang zum Pontifikat Innozenz’ X. Pamphilj, der gute Beziehungen zu Spanien unterhielt, weitreichende Einflusseinbußen für die nach Frankreich orientierten Barberini mit sich brachte. Der Konflikt ging sogar so weit, dass die Familie vorübergehend nach Frankreich emigrieren musste.82 Dieser abrupte Machtwechsel hatte auch für die Günstlinge der Barberini erhebliche Konsequenzen – nicht jedoch für Kircher und Bernini. Um in diesem vom ständigen Wandel der Machtverhältnisse und Konkurrenzdruck bestimmten Milieu bestehen zu können, brauchte es eine besondere Fähigkeit zum Erkennen möglicher Trends, eine perfekte Beherrschung des höfischen Formen- und Zeichenrepertoires sowie ein dichtes Netz von Informationszuträgern, Agenten und Assistenten. Das Verhältnis von Patron und Klient war somit keineswegs das eines linearen Sender-Empfänger-Modells, sondern fand in Handlungsarenen statt, deren Beziehungsgefüge und Abhängigkeitsverhältnisse weit über das persönliche Verhältnis zwischen Patron und Klient hinausführten. Den Funktionsmechanismen und der Tragweite höfischer Kulturinvestitionen kann eine personenzentrierte Analyse somit nicht gerecht werden. Im Falle Kirchers, der als Ordensmann im Gegensatz zu den Höflingen andere Spielräume besaß, sind auch die Interessen, Netzwerke und Handlungsräume der Jesuiten von entscheidender Bedeutung. Dieses dynamische Interaktionsfeld zwischen den Handlungsräumen der Jesuiten und denjenigen von Kurie und Adelsfamilien gilt es in den folgenden Kapiteln genauer zu beleuchten.

Das Collegio Romano: Schaltstelle des Jesuitenordens

Die Jesuiten leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Umsetzung und Verbreitung des gegenreformatorischen Programms der katholischen Kirche. Als eine Art Eliteeinheit zur Verbreitung der katholischen Orthodoxie erlebte der 1540 vom Papst anerkannte Orden einen großen Aufschwung. Bereits zu Lebzeiten des Gründers Ignatius von Loyola (1491–1556) prosperierte die Gesellschaft. Zählten die Jesuiten 1544 erst 40 Mitglieder, so waren es 1556 schon um die 1000, welche in etwa 50 Niederlassungen wirkten.83 1640, zum hundertjährigen Ordensjubiläum, konnten bereits über 15000 Mitglieder verzeichnet werden. Die größte und weitreichendste Bedeutung entfalteten die Jesuiten im Erziehungswesen und in der Mission.84 In jeder größeren Stadt wurde ein höheres Schulwesen eingerichtet und mit den Kollegia regelrechte Ausbildungszentren geschaffen, die insbesondere auf den weltlichen und geistlichen Adel ausgerichtet waren. Das erste Jesuitenkolleg wurde bereits 1548 in Messina gegründet, darauf folgte 1551 das römische Kolleg. Kurz nach 1600 bestanden bereits 245 Schulen weltweit, und um 1750 leitete der Orden mehr als 500 Kollegien und Universitäten in Europa, etwa 100 in Überseekolonien und etwa 270 Missionsstationen.85 Die Ausbildung und Koordination der Jesuiten sowie der eigenverantwortliche Unterhalt der Kollegien, ihrer Gebäude, Schüler und des Lehrpersonals stellte eine enorme logistische Herausforderung dar.86

Als Koordinationsstelle der weltweiten Aktivitäten und Zentralsitz der Verwaltung wurde Rom gewählt. Ignatius von Loyola erwarb mit den Gründungsmitgliedern eine Residenz in der Nähe von S. Maria della Strada, der späteren Ordenskirche Il Gesù. Bereits 1547 bezeichnete der Generalsekretär des Ordens, Juan de Polanco, Rom und die Kurie als Herz, Hirn und Magen des Ordens. Von hier aus sollte der Orden gesteuert und am Leben gehalten werden; ohne die Organe Herz, Hirn und Magen könne der Orden zwar wachsen, aber nicht dauerhaft erfolgreich prosperieren.87 Neben diesem Sitz des Ordensgenerals und seines Sekretärs fungierte ein kleines Gebäude an der Via di Nuova Capitolina, das dem Orden von Francesco Borgia gestiftet worden war, als erster Standort des Jesuitenkollegs. Bereits nach kurzer Zeit überschritten die Studierendenzahlen jedoch die räumlichen Kapazitäten. Insgesamt drei Mal wechselte das Collegio Romano seinen Sitz, bis es in den 1580er Jahren an seinen heutigen Standort in unmittelbarer Nähe zum Palazzo Doria Pamphilj, an die Piazza del Collegio Romano, zog. Mit erheblichen Zuwendungen von Papst Gregor XIII. wurde das bestehende Gebäude umgebaut und vergrößert.88 Das 1586 fertiggestellte neue Kolleg verschaffte nun auch den Jesuiten die gewünschte Sichtbarkeit auf der städtischen Bühne Roms. Denn nicht nur die Höfe der Kardinäle, Prälaten, Nepoten und der auswärtigen Ambassadoren standen in einem steten Wettkampf um größtmögliche Sichtbarkeit. Auch die religiösen Gemeinschaften aus aller Welt, die eine Niederlassung in Rom hatten, wollten in möglichst unmittelbarer Nähe zum Papsthof gesehen werden. Ihre Zentren lagen bisweilen dicht nebeneinander, was beträchtliches Konfliktpotential über Besitzansprüche und Grenzziehungen im städtischen Raum barg.89

Die vielen religiösen Gemeinschaften zog es aber nicht nur aus spirituellen und religionspolitischen Gründen nach Rom. Der Kirchenstaat war mit den Informationsnetzen der päpstlichen Diplomatie, den lokalen Handelshäusern und den unzähligen Reisenden, die täglich in Rom ankamen, ein Informationsknotenpunkt erster Güte. Auch der Jesuitenorden selbst entwickelte ein engmaschiges und durchstrukturiertes System der Briefkommunikation, um über die Unternehmungen seiner weit verstreuten Mitglieder informiert zu sein, aber auch um Ressourcen und Personal zu koordinieren.90 Im Collegio Romano wurden Informationen und Wissen aus der ganzen Welt gesammelt, gebündelt, aufbereitet und weitergeleitet; es war zugleich ein spirituelles, intellektuelles, kulturelles und ein administratives Zentrum. Die Ordenszentrale bildete somit einen wesentlichen Konsolidierungsort: Hier verdichteten sich Glaube, Wissen (mitsamt seiner konfessionellen Funktionalisierung) und höfische (Re-)Präsentation. Eine aus der Werkstatt des flämischen Kupferstechers Joannes Collaert stammende Karte von 1610 setzt diese Verdichtung von Wissen, Konfession und höfischer Prachtentfaltung in Szene (Abb. 6). Dargestellt ist das römische Stadtbild, in dem die zahlreichen jesuitischen Gebäude aufgrund ihrer überdimensionierten Größe deutlich hervortreten. Die sieben römischen Hauptkirchen dagegen werden nicht gekennzeichnet, St. Peter liegt sogar außerhalb des Bildausschnitts. Im Mittelgrund werden Il Gesù und das Collegio Romano – zudem herausgehoben durch eine Gruppe Jesuiten, darunter Ignatius von Loyola (mit einem Nimbus gekennzeichnet) – durch ihre besondere Größe als unangefochtenes Zentrum der Stadt präsentiert. Selbst die Straßenzüge, insbesondere diejenigen im Umkreis der jesuitischen Gebäude, sind verbreitert und erscheinen dadurch als den Konflikten um die Vormachtstellung im Stadtraum enthoben. Die Karte ist Bestandteil einer illustrierten Vita des Ignatius von Loyola, die unmittelbar nach dessen Seligsprechung 1609 gedruckt wurde.91

6 Joannes Collaert, Karte von Rom mit il Gesù, Professhaus, Noviziat, Collegium Romanum und weiteren Gebäuden der Jesuiten, in: Petrus Ribadeneyra, Vita beati patris Ignatii Loyolae religionis Societatis Iesu fundatoris, Antwerpen 1610. Abbildung 12, o.P.

1622 zahlten sich das Engagement des Ordens in Mission und Bildung sowie seine vielfältigen kulturellen und materiellen Investitionen mit der Heiligsprechung von Ignatius und seinem Verbündeten Franciscus Xavier durch Gregor XV. schließlich aus. Die Jesuiten erfuhren dadurch eine Legitimation von höchster Instanz. Besonders aber das Ordensjubiläum 1640 erschien als passender Moment zur monumentalen Zurschaustellung der eigenen Erfolgsgeschichte. Spektakuläre Feste in Rom, Paris, Bahia und Goa wurden veranstaltet. Das Collegio Romano fungierte innerhalb dieser Feierlichkeiten neben Il Gesù wiederum als Hauptbühne. Der römische Chronist Giacinto Gigli92 berichtet von der kunstreichen Ausgestaltung des Kollegs. Zum Gedenktag des Heiligen Ignatius von Loyola am 31. Juli 1640 hätten die Jesuiten im Collegio Romano ein einzigartiges Fest veranstaltet. Zwischen den Arkaden des Innenhofes seien insgesamt 19 bronzefarbene Stuckstatuen errichtet worden, darunter die Statuen der Päpste Urban VIII., Gregor XIII. und Gregor XV. sowie Personifikationen der Künste und Wissenschaften. Hinter den Statuen wurden Bildnisse sowohl aller noch lebenden als auch der bereits verstorbenen Kardinäle angebracht, die im Collegio Romano studiert hatten. Die Darstellung der Kardinäle des Hauses Barberini erschien Giacinto Gigli besonders erwähnenswert. Neben den Kardinälen seien auch eine Vielzahl von Prälaten und Gelehrten dargestellt, die ihre Ausbildung ebenso im römischen Jesuitenkolleg absolviert hatten.93 Hervorgehoben wurden aber nicht allein das römische Kolleg und seine illustren Absolventen, sondern die große Bedeutung und weltweite Ausdehnung des jesuitischen Bildungssystems insgesamt:

»[…] et sopra tutte le porte delle Scuole sotto l’Archo della volta vi erano i Retratti delle città, et luogi dove li Gesuiti hanno i loro Collegi, et finalmente vi erano in forma di medaglie molti emblemi Gieroglifici, et altre Scrittioni fatte in diverse lingue.«94

Giglis Ausführungen verdeutlichen, dass nicht nur im Umfeld der weltlichen und geistlichen Höfe, sondern auch im ordenspolitischen respektive institutionellen Kontext zur Mehrung des Ansehens und zur Präsenzmarkierung oder Einbindung in lokale Herrschaftsverhältnisse auf dasselbe Formen- und Zeichenrepertoire zurückgegriffen wurde. So sehr der Jesuitenorden intern, auf der ordenspolitischen und administrativen Ebene, auch die kuriale oder päpstliche Einflussnahme zu verhindern suchte, wurden nach außen hin gerade die Nähe zur Kurie und die weitreichende Vernetzung mit dem römischen Adel betont.95