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Vier Jahre sind seit Genes Verschwinden vergangen, vier Jahre seit Reprogrammed Experimental Specimen S-067 ihren Dienst im Feenreich antrat. Bei dem Versuch, ihrer Gefangenschaft zu entkommen, verstrickt sie sich tiefer und tiefer in den Konflikt zwischen den verfeindeten Feenfraktionen. Als sich plötzlich eine Chance auf Flucht ergibt, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung und verbündet sich mit einem Aufgestiegenen, der behauptet, ihre Vergangenheit zu kennen. Doch kann sie ihm trauen? Wird er ihr helfen, in diesem Krieg zu überleben? Oder ist er es, der am Ende ihren Untergang herbeiführt? Im Finale der Dark-Fantasy-Trilogie sind Erinnerungen eine Währung, Mitgefühl eine Waffe und der Tod unausweichlich. Eine Geschichte über Hoffnung und den Willen, einen Unterschied zu machen.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
E I N S
Z W E I
D R E I
V I E R
F Ü N F
S E C H S
S I E B E N
A C H T
N E U N
Z E H N
E L F
Z W Ö L F
D R E I Z E H N
V I E R Z E H N
F Ü N F Z E H N
E P I L O G
Danksagung
Für meine Eltern, ohne die all das nicht möglich gewesen wäre.
In dankbarer und liebevoller Erinnerung an Hartmut Knie.
… alle Geschichten, wenn man sie
bis zum Ende erzählt,
hören mit dem Tode auf.
Wer Ihnen das vorenthält,
ist kein guter Erzähler.
E. Hemingway
„Wähle deine Feinde weise, denn sie könnten deine letzte Hoffnung sein.“
Clone Wars, Staffel 5, Folge 9
Bernadette
Klein
SeeLeN
DiebE
Seelenbande
3
© 2024 Bernadette Klein
Website: bessassin.com
Lektorat: K. L. Conrad und Konstanze Hunold
Korrektorat: Gabriele Brandhuber
Coverdesign & Buchsatz: Alexander Klein
Handgezeichnete Szenentrenner: Sarah Klein
Verlagslabel: Triangular Square Publishing,
triangularsquare.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter:
Bernadette Klein,
Böhmerwaldstr. 16, 94431 Pilsting, Germany.
Du solltest mir danken; dein Leben dient nun einem höheren Zweck. Ich habe dich aus der Dunkelheit erhoben und zu einem Werkzeug des Lichts gemacht. Jetzt geh hinaus und erfülle deine Aufgabe!
Die Worte der Kommandantin hallten durch meinen Kopf, als hätte sie sie gerade eben gesprochen und nicht schon vor vier Jahren. Warum gerade jetzt? Konnte sie meine Gedanken lesen?
Ich tastete nach meiner Brust, wo der Blutstein saß, der meine Seele an meinen Körper fesselte. Das rote Gestein pulsierte warm, als wäre es lebendig. Ich schauderte. Doch es gab jetzt kein Zurück mehr. Sodhi hatte heute Morgen darauf verzichtet, mich zu unterwerfen, und diese Chance durfte ich nicht verstreichen lassen. Ich musste nur die Oberschwester überzeugen, damit mein Plan aufging. So eilte ich durch den hell erleuchteten Korridor zur Station vier – der Gefangenenstation.
Neben dem riesigen Hauptgebäude des Community Centers wirkte das Krankenhaus klein, doch beide Gebäude unterschieden sich drastisch von der üblichen Feenarchitektur. Statt eines gemütlichen Wohnbaumes, der die Räumlichkeiten magisch an die Bedürfnisse der Bewohner in seinem Inneren anpasste und alle Annehmlichkeiten bereitstellte – von Nahrung über Kleidung bis hin zu Unterhaltung –, bestanden die Gebäude des Community Centers aus Stahlbeton und Glas, als wären wir hier im Menschenreich. Kein Wunder, dass die meisten Feen nur hineingingen, wenn sie mussten.
Trotzdem herrschte am Vormittag immer viel Betrieb. Niemand beachtete mich, obwohl von den wenigen RES noch weniger frei herumliefen. Aber der rote Punkt auf meinem grauen Overall zeigte allen, dass ich Lindholm persönlich unterstellt war. Das reichte in der Regel, um mich unsichtbar zu machen. Ein roter Punkt bedeutete Ärger, und bei allen Unterschieden waren Feen in dieser Hinsicht genau wie Menschen – sie hassten Ärger. Die meisten jedenfalls. Oberschwester Yeong hingegen musste Ärger lieben, andernfalls wäre sie kaum Ärztin geworden. In einer Welt, in der das Heilen von der Quelle übernommen wurde, galt Medizin als brotlose Kunst.
Als hätte sie mich erwartet, stand sie, die Hände in die Hüften gestemmt, am Eingang der Station. Aber sie hatte mich nicht erwartet. Oder? Ich versuchte, meine Unruhe zu verbergen, trat näher und neigte den Kopf. „Guten Tag, Oberschwester.“
Yeong hatte eine sauertöpfische Miene aufgesetzt. „Hätte nicht gedacht, dich so schnell wiederzusehen.“ Die winzigen Schmetterlinge in ihrem Haar flatterten mit den Flügeln, wodurch manche der schwarzen Strähnen aufgewirbelt wurden, was ihr einen sehr dramatischen Ausdruck verlieh.
„Wie geht es dem Hauptmann?“, fragte ich.
Sie rümpfte die Nase. Die Community-Feen mochten es nicht, wenn ich die Gefangenen bei ihren Rängen nannte. Vielleicht, weil sie der Allianz angehörten und damit feindliche Feen waren, vielleicht, weil es die Illusion ihrer Machtlosigkeit in unseren Händen bröckeln ließ. „Deshalb bist du hier?“, fragte sie. „Wegen dem Jungen, der jede Nacht nach seiner Mutter ruft?“
Ich ließ mir nicht anmerken, wie sehr mich das traf. Das Erste, was eine RES lernte, war ihre Gefühle zu kontrollieren. Laut Lindholm hatte ich doppelt so lang dafür gebraucht wie alle anderen, aber jetzt konnte ich es. „Ja, der. Wie geht es ihm?“
Sie zuckte mit den Schultern, immer noch die Hände an den Hüften, immer noch den Zugang zur Gefangenenstation versperrend. „Nun, du hast ihn doch geheilt, solltest du nicht besser als ich wissen, wie es ihm geht?“
Meine Hände lagen ruhig an den Oberschenkeln, ich rührte keinen Muskel. Nur mein erhöhter Puls hätte mich verraten können, aber Yeong war keine von diesen Feen. Die Schmetterlinge zitterten unter den ärgerlichen Kopfbewegungen, aber sie verrieten ihr nichts über meine Aufregung.
„Das ist Geheimsache“, erwiderte ich.
„So geheim, dass nicht einmal deine Offizierin davon weiß? Oder wieso bist du allein hier?“ Sie sah mich scharf an.
Ich schluckte. „Kommandantin Lindholm sagte …“
Yeong verdrehte die Augen. „Komm mir nicht mit Lindholm, du planst doch irgendwas.“ Sie ging an mir vorbei in Richtung der Station drei. „Aber kann mir ja auch egal sein. Komm schon, ich bring dich zu ihm.“
Fragend blickte ich sie an. „Oberschwester! Die Gefangenenstation ist …“
„Kommst du jetzt, oder muss ich mich doch bei deiner Einheit erkundigen, was du hier treibst?“
Ich presste die Lippen zusammen und eilte ihr nach. Wenn Yeong mich woanders haben wollte, musste ich gehorchen, sonst würde Lindholm davon erfahren. Hoffentlich ging es schnell, ich musste in einer halben Stunde bei Sodhi in der Abteilung Informationsbeschaffung sein.
Die Klinikflure bevölkerten nur wenige Feen, die meisten davon Personal. RES gab es hier keine. Nur eine Einzige von uns konnte heilen, und ausgerechnet diese plante gerade einen Mord.
„So, da wären wir, bitte einzutreten.“ Yeong öffnete die Tür und führte mich in ein typisches Krankenzimmer mit zwei Betten. In beiden lagen Männer, doch keiner davon war der Allianz-Hauptmann.
Ich rollte mit den Augen.
„Oh, das ist wohl gar keine Gefangenenzelle. Mein Fehler. Aber wenn wir schon einmal hier sind – könntest du die Milz von Herrn Keppler regenerieren und Herrn Fontaine seine linke Niere zurückgeben?“
Das also wieder. Sie wollte eine weitere Demonstration und hatte sich dafür etwas Schwierigeres als beim letzten Mal ausgedacht. „Oberschwester, ich habe keine Zeit, Ihre Neugier zu befriedigen. Bitte lassen Sie mich zum Hauptmann.“
„Natürlich. Gleich, wenn du hier fertig bist.“ Sie verschränkte die Arme und versperrte die Zimmertür. Ich sah die Verwundeten an. Lindholm hatte mir verboten, meine Zeit mit kranken Feen zu vertrödeln. Verwundete Kämpfende betrachtete sie als Kollateralschäden, die in Kauf zu nehmen waren. Was Yeong und ihr Team nicht heilen konnten, das starb eben und kam erneuert durch die Quelle zurück. Die Wenigen, die nicht zurückkamen, waren zu verschmerzen. Wenn sie erfuhr, dass ich hier gewesen war, würde sie wissen, wer den Hauptmann in die Quelle zurückgeschickt hatte.
„Das ist ein Befehl, RES. Die Kommandantin ist nicht hier, also musst du meinen Befehlen folgen. So läuft das doch bei euch, oder nicht?“
„Nein.“ Ich versuchte, höflich zu bleiben. „Ich bin nicht verpflichtet, Befehle von Personen außerhalb der Streitkräfte anzunehmen.“
Yeongs Züge verhärteten sich. Konnte ich es riskieren, mich mit ihr anzulegen? Ich mochte sie. Die Art, wie sie sich gegen Lindholm stellte, imponierte mir. Nicht viele wagten das. Außerdem würde es vermutlich schneller gehen, wenn ich nicht diskutierte, sondern einfach tat, was sie wollte. „Ich helfe den Männern trotzdem. Wenn Sie mich danach zum Hauptmann bringen.“
Sie hatte schon den Mund zu einer Erwiderung geöffnet, stutzte nun aber. Ihr drohend erhobener Zeigefinger senkte sich und sie nickte. „Na, dann mach schon!“
Während ich mich an das linke Bett setzte und dem Mann die Hände auflegte, beobachtete Yeong mich interessiert.
„Erklär mir nochmal, wie du das machst.“ Sie hatte einen Notizblock hervorgezogen und setzte den Stift an. „Aber so, dass ich es nachvollziehen kann.“
Ich sammelte mich und versuchte, das in Worte zu fassen, was ich selbst kaum verstand. „Im Gegensatz zu anderen Menschen sind Adnexi mit den beiden Quellen der Magie verbunden, der Feenquelle und der Dämonenquelle.“
Behutsam ließ ich die beiden Magiearten zusammenfließen und leitete sie in den Körper der bewusstlosen Fee. „Feenmagie ist schöpferisch, Dämonenmagie zerstörerisch, aber nur ihre Kombination kann die fleischlichen Hüllen der Feen und Menschen in Minutenschnelle regenerieren.“
Die beschädigten Zellen in der Milz des Feenmannes lösten sich unter der Dämonenmagie auf und wurden von der Feenmagie wiederhergestellt. Früher war mir dieser Prozess nie so bewusst gewesen, aber seit ich von Lindholm darauf trainiert worden war, die Wunden von Verhörten selektiv zu lindern, um den Schmerz zu maximieren, hatte ich ein feines Gespür für die Funktionsweise des magischen Cocktails entwickelt.
„Dass du ein Adnexus bist, bedeutet, dass dein Vater ein Dämon war, richtig? Und deine Mutter eine Aufgestiegene oder gar eine Fee.“ Yeong fuhr mit den Fingerspitzen über das kurz geschorene schwarze Haar auf meinem Kopf. „Aber nichts Dämonisches geht von dir aus, und es fehlt dir an jeglicher uns Feen innewohnenden Eleganz.“
Ich lächelte. „Oder andersherum: Meine Mutter könnte der Dämon und mein Vater ein reumütiger Aufgestiegener oder eine abenteuerlustige Fee gewesen sein.“
Yeong schnaubte. „Unwahrscheinlich. Der Aufstieg aus dem Dämonenreich ist nichts für Männer. Zu brutal, zu stumpfsinnig, zu unbelehrbar.“
Ich erwiderte nichts. Der Patient atmete hörbar auf, und seine Züge entspannten sich.
„Es ist eine Ungerechtigkeit, dass niedere Menschen, noch dazu mit dämonischer Abstammung, zur Heilung fähig sind, während wir unsere Kranken zu den Dienerinnen der Urmutter in eine Quelle schleppen müssen“, sagte Yeong. „Dabei hätten wir die Möglichkeiten. Feenmagie steht uns unbegrenzt zur Verfügung, und Dämonen kann man importieren.“
Stirnrunzelnd stand ich auf und ging zum anderen Bett hinüber. „Werden sie nicht von unlöschbaren Flammen umgeben, wenn sie das Feenreich betreten? Würde die Agonie sie nicht nutzlos machen?“
Yeong verschränkte die Arme und warf mir einen Blick von oben herab zu, obwohl sie kaum größer war als ich. „Man könnte sie in einem Bannkreis halten oder …“ Sie verstummte. „Beeil dich ein bisschen, du willst doch noch deinen Hauptmann sehen.“
Ich setzte mich und konzentrierte den Magiestrom auf die fehlende Niere. Glücklicherweise genügte bei Organen, die ein Körper einmal besessen hatte, etwas Grundwissen über ihre Form, Funktion und Gefäße. Schwierig wurde es erst, wenn er etwas Neues hinzugewinnen sollte, dann wusste man besser genau, was man tat.
Yeong ging vor dem Bettende auf und ab, während ich den Feenmann heilte. Zunehmende Erschöpfung breitete sich in mir aus. Die Heilung solch komplexer Verletzungen erforderte eine Menge Fokus und Energie.
Meine Reserven reichten geradeso für diese beiden. Zum Glück füllten sich die Reserven unter normalen Umständen schnell wieder auf. „Kann ich jetzt zum Hauptmann?“ Ich rieb mir über die Schläfen.
„Was hast du mit ihm vor?“, fragte sie. „Der Junge hat genug gelitten, lass ihn in Ruhe.“
Ich stand auf. „Sie haben es versprochen, Oberschwester“, sagte ich sanft.
Sie sah mir in die Augen, suchte nach etwas. „Du hast gar keinen Befehl dazu, nicht wahr?“
Ich musste bleich geworden sein, denn sie nickte. „Dachte ich mir schon.“ Sie wandte sich zur Tür. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
„Folge mir“, sagte sie und ging hinaus.
„Ich sollte besser zu meiner Einheit zurückkehren“, erwiderte ich.
Sie fasste mein Handgelenk und schüttelte den Kopf. „Bring es zu Ende“, sagte sie.
Stirnrunzelnd folgte ich ihr. „Sie … verraten mich nicht?“, flüsterte ich.
„Mir ist nicht entgangen, dass in den letzten sechs Monaten ein gutes Dutzend Allianzoffiziere an kuriosen Leiden verstorben sind. Kurze Zeit nach dem Besuch einer RES, die über medizinisches Fachwissen und Heilkräfte verfügt.“
Meine Knie wurden weich, sodass ich stehen bleiben musste. „Werden Sie es der Kommandantin melden?“
Yeong ging weiter bis zum Zugang zur Gefangenenstation. Dort wandte sie sich zu mir um und lächelte. „Und meine beste Ärztin verlieren?“ Sie drückte die Tür auf und bedeutete mir einzutreten. „Sicher nicht.“
Mit einem mulmigen Gefühl folgte ich ihr zur Zelle des Hauptmanns.
„Töte ihn einfach“, sagte sie. „Er hat etwas Frieden verdient.“
„Das würde meine Heilkräfte vernichten“, erwiderte ich matt. „Sie funktionieren nur, solange mein Karma intakt ist.“
Yeong hob eine Augenbraue und starrte mich ungläubig an. „Dein Karma ist intakt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich. Du bist eine RES.“
Ich lächelte. „Ja, ich verstehe es auch nicht ganz, aber so ist es nun mal. Und so sollte es im Idealfall auch bleiben.“
Sie nickte. „Gut, dann tu, wessen immer es bedarf. Aber beeil dich, du solltest nicht länger als unbedingt nötig hier sein.“
Sagte die Frau, die mich gerade eine halbe Stunde gekostet hatte.
Ich öffnete die Tür zur Zelle und schloss sie schnell wieder hinter mir.
Der Raum war nicht mehr als ein Loch mit einer Pritsche und einer Toilette. In der hintersten Ecke saß der Hauptmann, die Knie angezogen, und wiegte sich vor und zurück. Das lockige, braune Haar verhüllte sein Gesicht, die Blumen auf seinen Schultern hingen leblos herab und welkten. „Bitte nicht“, flüsterte er. „Einen Tag noch, bitte.“
Ich blieb an der Tür stehen. Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich meinte, er müsste es auch hören. „Ich bin hier, um dir zu helfen“, sagte ich leise. Meine Handflächen schwitzten.
„Einen Tag noch“, wiederholte der Mann wieder und wieder. „Bitte.“
Ich hockte mich vor ihn und wollte seine Schulter berühren, er aber schlug meine Hand weg. „Einen Tag!“, schrie er. „Bitte!“
Behutsam verbreitete ich Beruhigungsmagie um uns herum. „Ich will nur reden“, flüsterte ich.
Sein Widerstand erschlaffte. Er sank gegen die Wand legte den Kopf in den Nacken und wimmerte. Tränen liefen über sein Gesicht. „Felix sagte, ich wäre nicht für den Kampf geschaffen. Ich wusste, dass er recht hat, aber ich wollte meinen Teil beitragen, weißt du, ich konnte ihn doch nicht allein gehen lassen. Ich …“
„Schon gut. Hör mir zu, wir haben nicht viel Zeit.“ Sanft berührte ich seinen Arm und gab mehr von der beruhigenden Magie hinein.
„Ich hab versprochen, dass ich nach Hause komme. Meine Mutter wird furchtbar wütend auf mich sein. Ich will kein Gefallener werden, verstehst du? Gefallene sind an das Menschenreich gefesselt, von der Quelle abgeschnitten, dazu verdammt, sich von der Lebensenergie anderer zu ernähren wie … wie Vampire, wie Blutsauger, wie …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will dir nicht wehtun. Ich will niemandem wehtun. Bitte, zwing mich nicht dazu.“
Mit einer nachdrücklichen Geste sagte ich: „Du musst niemandem wehtun. Hör mir zu, ja? Das ist wichtig.“
Er hob den Kopf und sah mich an, als sähe er mich zum ersten Mal. „Du bist nicht hier, damit ich dich töte und ins Menschenreich falle?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin hier, um dich zur Urmutter zurückzuschicken, aber ich kann das nur mit deiner Hilfe, also: Hör. Mir. Zu.“
Er wirkte nun ganz wach. „Du bist hier, um mich zu töten“, flüsterte er. Ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Oh, danke! Danke für dein Mitgefühl. Das werde ich dir nicht vergessen. Allen werde ich es erzählen, wenn ich zurück in der Basis bin, alle werden erfahren, dass … wie ist dein Name, RES? Ich heiße Prashant.“
„Bei der Urmutter, jetzt halt doch endlich die Klappe!“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Zischen. „Wenn sie mich erwischen, wie ich dich entkommen lasse, ziehen sie mir bei lebendigem Leib die Haut ab, also wirst du das schön für dich behalten, keiner Feenseele davon erzählen und mir verdammt nochmal endlich zuhören!“ Ich packte ihn bei den Schultern und starrte ihm ins Gesicht.
Er nickte ernst. „Alles klar.“
„Okay.“ Ich beruhigte mich und sammelte mich wieder. „Pass genau auf. Ich werde dir jetzt ein Aneurysma verpassen, ein relativ großes, instabiles, aber du musst dich schon ein bisschen anstrengen, um es zum Platzen zu bringen. Halt die Luft an, verkrampfe deine Halsmuskeln oder spring wie wild auf und ab. Es sollte nicht besonders wehtun und auch ziemlich schnell gehen. Aber warte, bis es Nacht ist! Das ist wichtig!“ Ich suchte in seinem Gesicht nach Verstehen. „Und kein Wort zu niemandem!“
„Hast du so was schon mal gemacht?“, fragte er. „Für andere Gefangene? In letzter Zeit sind viel mehr als früher durch die Quelle zurückgekommen. Warst du das?“
„Nein“, log ich. „Damit hatte ich nichts zu tun. Jetzt halt still, während ich dich vorbereite.“
Er schloss die Augen und entspannte sich.
Ich legte die Hände an seine Schläfen und suchte nach der Sinusvene. Sie war leicht zu finden und groß genug, um ihn schnell zu töten, wenn sie platzte. Behutsam trug ich Schicht um Schicht der Wand ab, bis sie anfing, auszusacken.
„Autsch!“ Prashant verzog das Gesicht.
„Ist gleich vorbei“, murmelte ich.
Die Erschöpfung durch die vorherigen Behandlungen machte sich bemerkbar. Ich musste sehr vorsichtig sein, wenn ich ihn nicht sofort umbringen wollte.
„Das genügt“, sagte ich schließlich. „Du weißt, was du zu tun hast?“
Er nickte. Lächelte gar. „Danke.“
„Und zu niemandem ein Wort!“ Ich stand auf und eilte zur Tür zurück. „Warte bis zur Nacht, aber wenn das nicht geht, dann wenigstens zehn Minuten. Okay?“
Er lächelte nur.
Ich schloss die Tür hinter mir, sah mich unauffällig um und ging dann so entspannt ich konnte zurück zum Büro der Oberschwester.
„Das ging schnell.“ Sie stand von ihrem Schreibtisch auf. „Ist er …?“
„Bitte erzählen Sie niemandem davon.“ Ich sah ihr eindringlich in die Augen.
Yeong winkte mich fort. „Sieh zu, dass du bald wiederkommst. Ich habe noch mehr Patienten für dich.“
Ich schluckte gegen das Wummern in meinem Hals an und nickte. „Gern.“
„RES S-067, was zur Hölle machst du hier?“ Hauptmann Sodhi kam den Gang heruntergedampft.
Ich verkrampfte mich, hielt ihrem Blick jedoch stand. „Die Oberschwester bat mich, nach einem Patienten zu sehen“, sagte ich mit einem Seitenblick auf Yeong. Das war hoch gepokert, Sodhi gehörte zu den furchteinflößendsten Offizierinnen der Community. Die über einen Meter achtzig große Frau mit dem blauen und dem braunen Auge konnte jeden in den Boden starren. Die meisten Feen zierte an irgendeiner Stelle ihres Körpers etwas Pflanzliches oder Tierisches – in Sodhis Fall waren es strategisch verteilte Holzplatten, die auf ihrer braunen Haut kaum zu erkennen waren. Selbst auf dem Kopf wuchs so eine statt Haaren, was sie wirken ließ, als trüge sie einen natürlichen Helm. „Ach, ist das so?“, raunzte die Offizierin.
Yeongs Schmetterlinge schlugen gemächlich mit den Flügeln.
Mein Herz hingegen schlug in meiner Kehle.
„Ja, das habe ich, Hauptmann. Es handelte sich um einen Notfall. Aber wir sind schon fertig, Sie können Ihr RESlein wieder abführen.“ Yeong schob mich auf Sodhi zu. Die starrte sie unverwandt an. „Das wird ein Nachspiel haben, Yeong“, sagte sie.
Ich schluckte, doch die Oberschwester blieb ganz und gar ungerührt. „Guten Tag, Hauptmann“, sagte sie und kehrte in ihr Büro zurück.
Sodhi sah ihr einen Augenblick nach, dann packte sie mich am Genick und löste den obersten Knopf meines Overalls. Ich verkrampfte mich, das konnte nur eins bedeuten. Sie bog meinen Kopf zur Seite, zog mir den Kragen herunter und schlug die Zähne in meinen Hals. Ich hielt still. Es hatte keinen Sinn, sich gegen die Prozedur zu wehren. Das machte es nur schmerzhafter. Die Feenmagie flutete meinen Geist und überschrieb meinen Willen mit dem des Hauptmanns. Sodhi ritzte ihr Handgelenk und gab mir von ihrem Blut zu trinken. Der Geschmack verursachte zu gleichen Teilen Übelkeit und Ekstase in mir. „Das hätte ich heute Morgen schon tun sollen“, sagte sie. „Jetzt komm, wir haben ein Verhör zu führen.“
Der Unterwerfungszauber hatte einen einzigen Vorteil: Während ich dem Willen einer Meisterin folgte, empfand ich keinerlei Mitgefühl. Nicht für Sodhi, nicht für mich, schon gar nicht für die Angehörigen der Allianz.
„Gefangene 5783-48“, las die Soldatin in lakonischem Tonfall vor, während zwei andere eine Frau um die Dreißig mit sonnengelbem Haar und kränklich weißer Haut in die Folterkammer hereinführten. Ihr Name war Janelle. Ich legte es nie darauf an, aber irgendwann erzählten ihn mir alle. Ich erinnerte mich dumpf, wie sehr ich es hasste, wenn sie mir ihre Namen sagten, aber in diesem Augenblick spielte es keine Rolle für mich. Sie wurde unter dem Strahler aufgehängt, der nicht nur die antimagischen Fesseln unangenehm heiß werden ließ, sondern den Gefangenen auch auf den Kopf brannte. Die Meisterin saß in ihrem Lehnsessel am hinteren Ende des kleinen Raumes, ich stand mit einer Gerte hinter der Gefangenen.
„Du kennst das ja, Allianzmädchen.“ Sodhi hatte die Beine überschlagen und den Kopf aufgestützt. „Bekenne dich zur Community und beweise deine Loyalität, indem du uns den Aufenthaltsort von Fennecki Artemis verrätst, dann nehmen wir dich als eine der Unseren auf und du darfst Teil des glorreichsten Championships seit dessen Anbeginn sein. Widersetze dich und spüre unseren rechtschaffenen Zorn.“ Die Meisterin leierte ihren Text herunter, denn dazu war sie verpflichtet. Sie wusste jedoch genauso gut wie ich, dass Janelle sich uns niemals anschließen würde. Sie war aus einem härteren Holz als Prashant und mindestens so unerbittlich wie Sodhi.
„Möge die Urmutter dich als Schwein ins Dämonenreich schicken, wenn du eines Tages dein erbärmliches Leben aushauchst“, sagte die Gefangene mit einem tiefen Knurren und spuckte aus.
Sodhi verdrehte die Augen. „Okay. S-067, mach sie fertig.“
Nachdem ich vier Jahre lang beinahe jede Woche unterworfen worden war, hatte ich einen Ort in meinem Geist gefunden, an den ich mich zurückziehen konnte, wenn ich den Willen einer Meisterin erfüllte. Es war ein dunkler, warmer Ort, an dem ich nichts sah und nichts hörte. Manchmal spürte ich, was ich tat, manchmal hörte ich einen Schrei oder sah eine hässliche Wunde aufblitzen, aber meistens war es still und ich war allein.
An diesem Ort suchte ich in den Trümmern meiner Erinnerungen nach dem Menschen, der ich einmal gewesen war, aber ich fand nie etwas Greifbares. Nichts, das sich zu mehr als einem Gefühl oder einer Ahnung verdichtete. Andere RES erzählten manchmal, dass sie in ihren Träumen Menschen sahen, die sie einmal gekannt hatten, oder von Erinnerungen, die plötzlich auftauchten, wenn sie ein Wäschestück fallen ließen, eine Tür öffneten oder einen Obstsalat zubereiteten. Ich hatte nichts dergleichen. Doch Kommandantin Lindholm sagte, dass wir für das ehrenvolle Dasein als RES ausgewählt worden waren, weil wir in unserem Leben als Menschen unverzeihliche Schuld auf uns geladen hatten. Es war also durchaus möglich, dass ich besser dran war, wenn ich nichts über mein früheres …
„S-067! Bericht!“, donnerte Sodhis Stimme in mein Bewusstsein.
Widerwillig verließ ich die schützende Dunkelheit und ließ die Realität herein. Die Gefangene hing schlaff von den Ketten herab. Ich trat vor sie und fühlte ihren Puls. Vorhanden, aber flach. Als ich mich umdrehte, um der Meisterin Bericht zu erstatten, schlang die Gefangene ihre Beine um mich. Es gab keinen Befehl, wie ich mich in so einer Situation zu verhalten hatte, also reagierte ich zuerst nicht. Trotz der antimagischen Fesseln wuchtete die Gefangene mich mit den Beinen in die Luft. Ich war weder besonders groß noch besonders schwer, dennoch fand ich das ziemlich beeindruckend.
„Verteidige dich, RES!“ Sodhi war aufgesprungen und rannte zum Alarmknopf.
Die Wirkung des Unterwerfungszaubers hatte so weit nachgelassen, dass mir ein Moment des Zögerns blieb. Die Gefangene zog uns beide an den Ketten hinauf und schlang sie mir um den Hals. Das war nicht gut. Wenn sie mich tötete, würde sie zur Gefallenen werden. Es gab genug gefallene Allianzmitglieder. Ich hatte nicht gerade Prashant ein Aneurysma verpasst, damit Janelle seine Stelle einnahm. Mit einiger Anstrengung entwand ich mich den Ketten. Der Alarm schrillte durch das Gebäude. Janelle warf die Beine in die Luft und stemmte sie mit aller Macht gegen die Decke. Mir wurde klar, dass diese Frau keine Magie brauchte, um derartige Akrobatik zu vollbringen. Sie war einfach unglaublich athletisch. Putz bröckelte herab, doch die Befestigungen hielten. Janelle heulte auf wie ein waidwundes Tier. Sie würde es nicht schaffen.
„Halt sie auf!“, rief Sodhi auf dem Weg nach draußen und knallte die Tür zu. Ich sah ihr nach. Feen hatten eine zwiespältige Beziehung zum Tod – ihn zu erfahren erwies sich oft genug mehr als Unannehmlichkeit denn als alles andere, aber es gab keine Gewissheit, wie die Urmutter nach einem Tod entscheiden würde. Besonders Feen, die eine Menge karmische Schuld auf sich geladen hatten wie Sodhi, liefen Gefahr, in den menschlichen Reinkarnationszyklus zurückzukehren. Das war nicht so schlimm, wie zum Gefallenen zu werden, doch für die Sache der Community waren sie dann verloren.
„Willst du da eigentlich nur rumstehen, oder tust du auch noch was?“ Janelles Stimme war wieder zu diesem tiefen, kehligen Knurren geworden. Sie ließ die Beine sinken und atmete schwer. Blut lief ihre Flanken herab. Aus den Wunden, die ich ihr beigebracht hatte.
Ich schluckte. „Weiß nicht. Hab nur den Befehl, dich aufzuhalten, und das hast du ja gerade selber getan.“
Sie bleckte die Zähne. „Töte mich, verdammt. Du weißt, du willst es.“
Ich trat zum Regal mit den Folterwerkzeugen und nahm ein Messer. „Was ich wirklich will“, sagte ich und betrachtete die Klinge, „ist frei sein. Auf einer Wiese liegen, ein bisschen Gras rauchen und für ein paar Momente die Augen zumachen.“
„Dann schließ dich uns an“, sagte sie. „Lass mich frei und ich bringe dich hier raus. Gras gibt es in der Allianz genug. Das zum Draufliegen und das andere auch.“
Ich lächelte. „Klingt gut. Aber für den Moment konzentrieren wir uns auf das Machbare.“ Ich trat hinter sie, packte die Ketten und riss sie aus der Decke. Dann reichte ich ihr das Messer. „Bereit, die Urmutter zu treffen?“
Janelle verspannte sich. Sie starrte die Fesseln an, die jetzt auf dem Boden lagen, und nahm das Messer. „Hast du keine Angst, dass ich stattdessen dich töte?“
Ich lächelte freudlos. „Das wäre dumm. Denn meine Seele kann ihren Körper nicht verlassen. Deine hingegen schon.“
Janelle packte das Messer fester. „Aber wenn ich mich selbst töte, werde ich dann nicht ebenfalls zur Gefallenen?“
„Wahrscheinlicher ist, dass du in den menschlichen Reinkarnationszyklus zurückkehrst.“ Ich sah zur Tür. „Entscheide dich schnell, sie kommen.“
„Kannst du nicht …“ Sie hielt mir das Messer hin.
Ich schüttelte den Kopf. „Niemals direkt. Und für ein Aneurysma bleibt uns leider keine Zeit.“
„Fuck.“ Janelle presste das Messer an ihre Kehle. „Wir sehen uns wieder“, sagte sie und zog durch.
Ich fing sie auf und sank mit ihr zu Boden. Das Messer glitt aus ihrer Hand. Ich presste sie an mich, um sie zu trösten, während ihre Seele den Körper verließ.
Die Tür flog auf und sechs RES mit Waffen im Anschlag kamen hereingestürmt. Die Elitetruppe, angeführt von A-44, die wir Astrid nannten. „Meldung!“, blaffte sie.
Müde blickte ich zu ihr auf. „Sie hat mich überwältig“, murmelte ich und ließ Janelle zu Boden sinken.
„Situation unter Kontrolle“, meldete Astrid.
Sodhi trat in den Raum. „Verdammte Scheiße, Siebenundsechzig! Ist sie etwa tot? Fuck!“ Wütend ging sie auf und ab. „Warum hast du dich nicht töten lassen?“
„Der Befehl lautete, sie aufzuhalten“, erwiderte ich.
„Ach, jetzt ist’s meine Schuld, ja?“ Sodhi keifte mich an, beschimpfte mich, versetzte mir eine Ohrfeige.
Ich zuckte zusammen und zog die Schultern hoch. Ich machte mir keine Mühe, meine Erschöpfung, die Furcht und den Schmerz zu kaschieren. Nur die Freude darüber, dass ich eine weitere Allianzkämpferin zu den Ihren zurückgeschickt hatte, hielt ich tief in meinem Herzen verborgen.
„Na schön, jetzt ist es zu spät. Räum diese Sauerei auf und geh schlafen. Morgen um sechs Uhr meldest du dich zum Putzdienst in der Kläranlage.“
Fast hätte ich gelächelt. Putzdienst im Versorgungsbereich, wo auch Ember arbeitete. Wenn Verhöre doch nur immer so ausgingen …!
Sodhi dampfte hinaus, das Alpha-Team folgte ihr, die Soldaten bezogen wieder ihre Posten. Behutsam befreite ich den Körper der Verstorbenen von den Fesseln und hüllte ihn in ein Tuch. Leise sprach ich das Gebet, mit dem sie ihre Toten auf die Reise schickten. „Urmutter, nimm Janelles Seele zu dir und erfülle ihren Wunsch. Und sei er, dass wir uns wiedersehen, so soll es nach deinem Willen geschehen.“ Aber ich hoffte, dass es nicht dazu kam, denn das würde aller Wahrscheinlichkeit nach ähnlich wie diese Begegnung enden.
Ich besprenkelte den eingehüllten Leib mit Flammen und spannte einen Schild darüber, damit der Rest des Raumes unberührt blieb. Nach einer halben Stunde war von Janelles Hülle nichts mehr übrig. Den schwarzen Fleck auf dem Steinboden ließ ich auch noch verschwinden.
Müde und kraftlos schlurfte ich zur Tür und klopfte. Die Soldatin davor öffnete und ließ mich raus. Sie warf einen Blick auf meine Arbeit, nickte und schloss die Tür hinter mir wieder.
Ich tappte den Gang hinunter zum Fahrstuhl. Da spürte ich schon die Tränen in meiner Kehle drücken, aber noch durften sie nicht heraus. Erst, als ich in Schlafsaal vierzehn eintraf, als erste der zweiundzwanzig dort Untergebrachten, unter die Decke meiner Schlafbucht kroch und mich zu einem Ball zusammenrollte, ließ ich ihnen freien Lauf.
Ich erwachte von den satten Klängen eines Judas-Priest-Songs, den ich nicht gleich erkannte.
„Hey, willst du das nicht langsam ausmachen?“, tönte Penja vom Eingang, wo sein Bett stand. „Ich muss morgen um fünf Uhr in der Produktion sein.“
„Nur noch diesen Song“, erwiderte Ember. Sie lag im Bett über mir und sang leise mit. Als Rob Halfords schmerzlich schöne Stimme verklungen war, schaltete sie den MP3-Player aus. Kurz darauf erschien ihr Kopf in der Lücke zwischen meinem Bett und der restlichen Welt. „Hey“, sagte sie. „Geht’s dir gut, Sexy Seven? Du siehst kaputt aus. Was brennt dir auf der Seele?“
Ich rollte mich zur Wand und zog die Decke über mich. „Nichts.“
Geschmeidig wie eine Katze glitt sie von oben herunter und schmiegte sich an meinen Rücken. „Na komm, mir kannst du es erzählen. Ich verrat’s auch niemandem.“ Sie streichelte meinen Arm und meine Hüfte, ließ die Fingerspitzen über meinem Rücken kreisen und streichelte schließlich die schwarzen Stoppeln auf meinem Kopf. „Hm, das einzig Gute an dieser brutalistischen Frisur, sie fühlt sich einfach großartig unter den Fingern an.“ Das Grinsen in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Sie griff über mich, zog meine Hand unter der Decke hervor und legte sie auf ihr eigenes, kurzgeschorenes Haar. „Findest du nicht?“
Ich stöhnte. „Warum tust du das? Du hast gesagt, du schläfst nicht mehr mit mir, solange ich in der Informationsbeschaffung arbeite. Musst du mich so quälen?“
Sanft drehte sie mich um und schob eine warme Hand unter mein Schlafanzughemd hinauf zu meinen Brüsten. „Hab’s mir anders überlegt.“
Ich schloss die Augen und schluckte. „Warum?“ Da spürte ich es. „Du hast Schmerzen.“ Behutsam tastete ich nach ihrem Rücken. „Haben sie dich geschlagen?“
Sie zuckte zurück. „Wie merkst du so was immer?“ Ärgerlich wandte sie sich ab.
Ich schlang die Arme um sie und ließ die Magie der beiden Reiche zusammenfließen, um sie zu heilen. Meine Haut prickelte, wo sie auf ihrer lag.
Ember wand sich sehnsuchtsvoll unter der Berührung. „Fuck. Deine Magie ist so verdammt erregend. Jetzt bin ich noch heißer auf dich. Aber jetzt mag ich nicht mehr.“ Sie wollte aus dem Bett steigen, doch ich hielt sie fest.
„Warum nicht?“, flüsterte ich sanft in ihr Ohr.
Sie erschlaffte in meinen Armen. „Ich will dein Mitleid nicht. Ich will deine Begierde.“
„Das ist kein Mitleid“, erwiderte ich. „Es ist Mitgefühl. Ich kann nichts dagegen machen, es ist einfach da. Und ich begehre dich. Sehr sogar.“
Sie schien noch einen Augenblick mit sich zu ringen, dann aber drehte sie sich um und küsste mich. Streichelte mich fordernder.
Ich erwiderte den Kuss und erkundete ihren Körper mit zarten Berührungen. „Morgen können wir das den ganzen Tag machen.“
Sie kicherte. „Willst du mir etwa erzählen, dass du morgen in der Kläranlage arbeitest?“
Ich brummte nur zustimmend und sehr zufrieden mit mir.
Embers Hände glitten unter meine Schlafanzughose und streiften sie über meine Hüften. „Ernsthaft? Das hätte ich nie für möglich gehalten.“
„Warum nicht?“, flüsterte ich.
Sie seufzte. „Liebevoll-unterstützende Antwort oder zynisch-realistische?“ Ihre Stimme klang wie eine Verlockung in meinen Ohren, ganz im Gegensatz zu ihren Worten.
„Vergiss es, ich will’s nicht wissen.“ Ich gab mich ganz ihren Berührungen hin.
Erst als Ember friedlich in meinen Armen döste und sich Ruhe über den Schlafsaal gesenkt hatte, änderte ich meine Meinung. „Na schön, sag’s mir.“ Ich zog die Decke über ihre bloße Schulter und streichelte sie. „Was ist die zynisch-realistische Antwort?“
Sie schmiegte sich an mich. „Ist unter deinem Niveau. Sie würden dich nie in die Wäscherei, die Kantine oder die Kläranlage versetzen. Selbst, wenn du nicht offiziell die einzige RES wärst, die außerdem ein Adnexus ist, würde Lindholm dich niemals woanders als in der Informationsbeschaffung beschäftigen. Du folterst zu effektiv.“
Die Wärme in mir gefror. Ich öffnete die Augen, um Ember anzusehen. Mit einem entschuldigenden Lächeln zuckte sie mit den Schultern.
„Denkst … denkst du das wirklich über mich?“ Ich schluckte hart.
Sie strich mir sanft über die Wange. „Ich liebe dich, Sexy. Das weißt du. Aber am Ende des Tages sind wir alle hier willenlose Automaten, die tun, wofür man uns geschaffen hat. Dass manche von uns Abwasser klären, Handys bauen oder Fett absaugen, bedeutet, dass wir für unsere eigentliche Aufgabe nicht geeignet sind. Dass wir nicht so gute RES sind wie du.“ Sie küsste mich auf die Nasenspitze. „Nimm es als Kompliment.“
Stocksteif lag ich da, die Hände zu Fäusten geballt, bis sie aufhörten zu zittern. Ember schloss die Augen wieder und lehnte den Kopf an meine Brust.
„Wir sind keine willenlosen Automaten“, flüsterte ich.
„Denkst du das wirklich über dich?“, spiegelte sie mir meine Worte. „Denn wenn ja, solltest du sehr vorsichtig sein. Die Rekonditionierung ist immer nur einen Schritt entfernt.“
Mein Blick huschte über ihr rotes Stoppelhaar und blieb an der Narbe über ihrem Ohr hängen. „Erinnerst du dich daran? An irgendetwas?“
Ember drehte mir den Rücken zu und legte meinen Arm um sich. „Ich erinnere mich an deine Haut auf meiner Haut, die Hitze deines Atems, die Süße deiner Lippen und das köstliche Gefühl, zwei Finger in deine …“
„Du weißt, was ich meine“, flüsterte ich. „Die Rekonditionierung. Wie hat es sich angefühlt?“
Sie krümmte sich zusammen, ich fühlte eine Welle des Schmerzes durch ihren Körper branden. Erst dachte ich, sie würde nichts mehr sagen.
„Es hat mich umgebracht“, erwiderte sie leise. „Aber ich bin immer noch hier.“
„Denkst du manchmal, dass wir von hier verschwinden sollten?“, fragte ich und drückte sie fester an mich, als könnte ich den Schmerz aus ihr herauspressen.
„Jeden einzelnen Tag.“ Sie drehte ihr Gesicht wieder zu mir und küsste mich. „Aber solange du hier bist, werde ich es wohl noch ein bisschen aushalten.“ Sie stieg aus dem Bett, nahm ihren Schlafanzug und zog sich zur oberen Liegefläche hinauf, ohne die Leiter zu bemühen.
„Wie lange?“, fragte ich die Matratze über mir.
Embers Gesicht tauchte noch einmal in der Lücke auf. „Schlaf jetzt, Seven“, sagte sie nur und verschwand wieder.
Der Lautsprecher neben der Tür knackte und das Licht ging an. „RES S-067 in das Büro der Kommandantin. Sofort.“
„Oberschwester Yeong bestreitet, dich zu ihm gelassen zu haben, aber Sodhi sagte, sie hat dich auf der Gefangenenstation abholen müssen.“
Lindholms kantige Gestalt ragte hinter mir auf, während ich Prashants Puls fühlte. Die Erleichterung, die ich um seinetwillen gefühlt hatte, wurde sofort von der Furcht weggespült, aufgeflogen zu sein. „Ja, Kommandantin.“
„Warum warst du hier? Ich habe dir keinen Befehl dazu erteilt.“ Lindholm klang kühl, reserviert wie immer.
Ich stand auf und trat ihr gegenüber. Der Blick ihrer stahlgrauen Augen bohrte sich in meine Seele. Sie war die einzige Fee, die ich kannte, deren Körper nirgendwo sichtbar Elemente von Pflanzen oder Tieren zierten. Mit ihrer bleichen Haut, dem weißblonden Haar und der strahlend weißen Uniform wirkte sie wie eine Engelserscheinung. Dabei hatte sie nichts mit einem Engel gemein. Sie hob die Augenbraue, das klassische Zeichen einsetzender Ungeduld.
„Ich …“ Während ich zu meiner einstudierten Lüge ansetzte, verlagerte sie kaum merklich das Gewicht. Sie hatte die Arme hinter dem Rücken zusammengelegt und richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich. Da wurde mir klar, dass sie es bereits wusste. Ich senkte den Kopf. „Ich hatte Mitleid mit ihm. Bitte um Vergebung, Kommandantin.“
Sie legte die Spitze ihrer Gerte unter mein Kinn und hob es an. „Und warum sollte ich dir dafür vergeben?“
„Ich bin nur ein Mensch“, erwiderte ich. „Ich mache Fehler.“
Ein hauchdünnes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Du hast weniger Fehler gemacht, als du neu konditioniert warst. Vielleicht brauchst du eine Auffrischung.“
Ich musste wohl blass geworden sein, denn ihr Lächeln wurde eine Spur aufrichtiger. Was die Community mit uns RES anstellte, nachdem wir den Kopf rasiert bekommen hatten und bevor wir in einen grauen Overall gesteckt wurden, wusste keine von uns so genau, doch wir alle teilten eine tiefe, körperlich schmerzhafte Furcht davor, es jemals wieder erleben zu müssen. Ich schluckte hart, hielt ihrem Blick stand und erwiderte: „Wenn Sie es für notwendig erachten, Kommandantin.“
Sie sah mich eine Weile an, mit dieser tiefen Ruhe in den Augen, die vermittelte, dass, obwohl all ihre Pläne für die Menschheit einem eng getakteten Plan folgten und durch kleine Fehler wie diesen scheitern konnten, sie sich die Zeit nehmen würde, mich zu Tode zu foltern, ohne dabei auch nur einen Schweißtropfen zu vergießen. „Wir werden sehen“, sagte sie schließlich und senkte die Gerte. „Wie vielen hast du noch zur Flucht verholfen?“
Weil man eine Lüge am besten zwischen zwei Wahrheiten versteckt, erwiderte ich: „Nur diesem einen.“ Und fügte mit schuldbewusster Miene hinzu: „Und … dem Mädchen.“
Lindholm wusste von Amélie. Sie hatte es schon in dem Moment gewusst, als sie mich mit ihrer Befragung beauftragt hatte. Es war ein Test gewesen, den ich nicht bestehen konnte, aber so war sie nun mal, solche Spielchen versüßten ihr den Tag. Sie hatte mich nie darauf angesprochen, dass Amélies Seele ihrem Körper entwichen war wie nun auch Prashants, durch einen unwahrscheinlichen, aber nicht unmöglichen medizinischen Umstand, den die Feen bei all ihrer Technologie nicht finden konnten. Weil Medizin nie zu ihren Interessen gehört hatte. Wozu auch, in einer Welt, die weder Krankheiten noch Gifte enthielt, die ihren Bewohnern voll Fürsorge diente und aus der selbst ein Mord eine Seele nicht vertreiben konnte?
„Du gibst also zu, die Tochter der Allianzführerin entkommen lassen zu haben? Du musst dich wirklich nach einer Rekonditionierung sehnen.“ Lindholms Lächeln war verschwunden, stattdessen ragte nun eine steile Zornesfalte zwischen ihren Augenbrauen auf. „Du wirst sie mir zurückbringen, sowohl das Mädchen als auch den Jungen. Wer gegen die oberste Maxime der Community verstößt, erfährt die Höchststrafe. Und im Gegensatz zu den beiden feindlichen Feen kannst du dich deiner Strafe nicht durch Tod entziehen.“
Meine Hand ruckte in Richtung des Blutsteins in meiner Brust, doch ich konnte die Bewegung unterdrücken.
Lindholm stupste exakt die Stelle mit der Gerte an, wo sich der Stein unter meinem Overall verbarg. Ein Knistern breitete sich von seinem Sitz im Solarplexus über meinen ganzen Körper aus. „Du hältst dich für unantastbar, weil du die Effizienz der Informationsbeschaffung ins Utopische steigerst, aber eines sollte dir klar sein, RES.“ Sie brachte ihr Gesicht ganz nah vor meines. „Niemand ist unersetzlich. Ganz besonders keine RES.“ Sie richtete sich wieder auf und maß mich mit kaltem Blick. „Also wirst du diese Rückholaktion mit allergrößter Effizienz führen, RES. Weniger als ein voller Erfolg, und du gehst in die Rekonditionierung. Verstanden?“
Ich neigte den Kopf. „Ja, Kommandantin.“
Die Tür wurde aufgestoßen und Leutnant Stark kam hereingewankt. Das grau melierte Haar stand ihr vom Kopf ab, sie trug einen Schlafanzug und sah sich etwas desorientiert um. „Hey, hier bist du, Süße.“ Sie lehnte sich an Lindholm und versuchte, sie zu küssen. Lindholm schob ihr Gesicht beiseite. „Ennie, bei der Urmutter, was tust du hier?“
Stark wich zurück und sah sie enttäuscht an. „I wollt dich um Verzeihung bittn“, lallte sie und hickste. „Bitte, nimm mich zurück, Mausi, du weißt, du bist alles für mich.“
Lindholm stöhnte. „Geh ins Bett, Enigma, du bist eine Schande für die Truppe, und besonders für mich.“
Stark richtete sich auf. „Was machst du überhaupt hier, mitten in der Nacht?“
Lindholm starrte sie an. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“
„Bitte gib mir noch eine Chance“, flüsterte Stark und berührte Lindholm sanft an der Wange.
Der Blick der Kommandantin wurde eine Spur weicher. „Ich denke darüber nach. Jetzt geh zurück ins Bett.“
Stark nickte und wandte sich zum Gehen.
„Wie ich gerade sagen wollte“, richtete die Kommandantin das Wort wieder an mich, „wird Hauptmann Sodhi ein Team zusammenstellen, um unsere Verluste an Gefangenen zu ersetzen.“
Stark wandte sich um. „Seven geht auf eine Mission?“ Sie sah mich an.
Ich nickte.
„Dann gehe ich mit!“ Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie packte Lindholm bei den Schultern. „Seven und ich sind ein Super-Team. Schon immer gewesen, du erinnerst dich doch, oder? Wir holen dir drei, ach was, acht Allianzgefangene! Alle nur für dich. Das kriegen wir leicht hin, Seven und ich, nicht wahr, Seven?“
Lindholm warf mir einen warnenden Blick zu, doch ich war zu müde, zu wütend und zu schadenfroh, um ihn zu berücksichtigen. „Natürlich, Ennie, wir sind das beste Team der Community. Gibt kein besseres.“ Das entsprach der Wahrheit, oder hatte es zumindest, bis Ennie unter dem Druck der regelmäßigen Missionen zusammengebrochen war. Trotzdem war sie immer noch meine Freundin – sofern Offiziere und RES das überhaupt sein konnten.
Stark strahlte und deutete auf mich. „Da hörst du’s, Eska! Seven sagt, wir können das schaffen.“ Sie fuhr ihrer Frau mit dem Handrücken über die Wange und lächelte hoffnungsvoll. „Schick mich da raus, Mäuschen; ich werd dich nicht enttäuschen, ich versprech’s.“
Mit zusammengepressten Lippen starrte Lindholm sie an. „Du bist betrunken“, sagte sie, sehr bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren.
„Aber morgen bin ich nüchtern. Bis zur Mission rühr ich keinen Tropfen mehr an. Und danach auch nicht.“ Stark zeichnete ein X auf ihr Herz. „Ehrenwort.“
Lindholm schüttelte den Kopf. „Ennie, wenn sie dich töten, kommst du nicht zurück. Die Quelle auf Corse Majore ist … beschäftigt und du bist … du bist nicht in der Verfassung, um heil aus einer anderen zu mir zurückzufinden.“ Sie streichelte ihrer Geliebten über das strubbelige Haar. „Geh schlafen, Ennie.“
Stark richtete sich auf, straffte ihr Schlafanzughemd als wäre es eine Uniformjacke und salutierte. „Kommandantin.“ Zackig wandte sie sich um und ging im Stechschritt den Gang hinunter.
Lindholm verdrehte die Augen. „Melde dich um acht Uhr bei Sodhi zu einer Einsatzbesprechung.“
Stark kam zurückgerannt und küsste Lindholm stürmisch. „Ich werde dich nicht enttäuschen!“, rief sie mit leuchtenden Augen.
Lindholm seufzte. Sacht berührte sie Starks Gesicht. „Du musst mir nichts beweisen, Ennie, aber ich respektiere deinen Wunsch, es trotzdem zu tun. Jetzt geh schlafen, bevor ich es mir anders überlege.“
Als Stark fort war, wandte sich Lindholm mir zu. „Du überschreitest deine Kompetenzen und unterwanderst meine Autorität.“
Ich schluckte. Ballte die Hände zu Fäusten und senkte den Blick.
Lindholm trat dicht vor mich und sagte leise: „Wenn Enigma Stark auf dieser Mission etwas zustößt, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich.“
Ich nickte. „Jawohl, Kommandantin.“
Sie brachte ihr Gesicht ganz nah vor meines. „Ich lasse deinen ganzen Schlafsaal öffentlich auspeitschen, wenn du sie mir nicht heil zurückbringst. Und dich lasse ich an den Fußgelenken über dem Haupttor aufhängen. Ist das klar?“
„Ja, Kommandantin.“
Sie winkte mich fort. „Verschwinde.“
Ich eilte zurück zu Schlafsaal vierzehn des von uns liebevoll als Regal bezeichneten RES-Bunkers. Es herrschten Dunkelheit und Stille, doch ich spürte, dass niemand schlief.
„Was hast du getan?“, flüsterte Penja vom oberen Bett direkt neben der Tür.
„Einen Gefangenen befreit.“ Ich schlurfte an den Reihen vorbei zu meiner Schlafbucht. Aus allen Betten prasselten Fragen auf mich ein.
„Hast du ihn getötet?“
„Wie?“
„Was hat Lindholm gesagt?“
„Wird sie uns alle dafür bestrafen?“
„Nein“, erwiderte ich müde und setzte mich auf meine Matratze. Arme schlangen sich um mich und zogen mich hinein. Ich erschrak und wurde stocksteif, doch dann erkannte ich Ember. „Was machst du in meinem Bett?“, fragte ich sanft.
„Es warm halten.“ Sie lächelte aufmunternd. „Gibt nichts so Deprimierendes wie ein kalt gewordenes Bett, wenn du mitten in der Nacht zum Appell gerufen wirst.“ Sie sah mir prüfend in die Augen. „Was hat sie nun gesagt?“
„Sodhi soll neue Gefangene beschaffen. Mit mir und Stark als Teil der Truppe, wie in alten Zeiten, quasi.“ Ich öffnete die Knöpfe des Overalls.
Ember prustete. „Warte mal, ernsthaft? Leutnant Enigma Stark? Meine beste Kundin, wenn es um pralle Shrooms und frisches Gras geht? Die Ex-Ehefrau der Kommandantin, die seit sechs Monaten suspendiert ist, weil sie es nicht vor dreizehn Uhr aus dem Bett schafft?“
„Sie sind immer noch verheiratet.“ Ich streifte den Overall herunter. Ember tat, als würde sie helfen, streichelte jedoch nur meine Flanken und Schultern, kniff mir in den Hintern und streifte wie zufällig meine Brüste. „Ennie scheint ihren Kram auf die Reihe kriegen zu wollen, vermutlich, damit sie wieder offiziell in das Kommandantenquartier einziehen kann.“
„Mutig. Und dumm. Wenn sie dabei draufgeht, kommt sie nicht zurück. Die Urmutter schickt sie in den menschlichen Kreislauf zurück, das ist garantiert.“ Ember hatte den Kopf aufgestützt und starrte mich unverhohlen an, während ich den Schlafanzug anzog.
„Das weißt du nicht.“ Ich stieg zur ihr ins Bett. „Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, was mit Feen nach ihrem Tod passiert. Allerdings wird Lindholm mich persönlich zur Verantwortung ziehen, wenn sie draufgeht, also werde ich dafür sorgen, dass sich die Frage nach ihrer Reinkarnation gar nicht erst stellt.“
„Macht dir das keine Angst?“, fragte sie sacht, nun doch mit Sorge in der Stimme.
Ich zuckte mit den Schultern. „Werd’s schon überleben.“
Sie legte eine Hand zwischen meine Brüste, auf den Stein, das dämonische Element, das jedes einzelne RES an seinen Körper fesselte.
„Nicht.“ Ich schob ihre Hand ein Stück weiter nach links zu meiner Brust. „Hier fühlt es sich besser an.“
Sie küsste mich.
Der Exerzierplatz lag im Süden des gewaltigen Community-Center-Hauptgebäudes, eine staubige Betonwüste, die bis an die hohen Mauern reichte.
„Ah, Beton“, sagte Ember, als wir auf die Freifläche traten. „Das Einzige, das machtvoll genug ist, die Natur des Feenreichs draußen und die Illusion des Fortschritts drinnen zu halten.“ Sie hatte sich blaue Zeichen ins Gesicht gemalt und die Hände mit Bandagen umwickelt. „Kein Wunder, dass sich alle hier so nach meinen Entspannungshilfen sehnen.“
„Sie sollten euch mit diesem Training in Ruhe lassen“, sagte ich. „RES, die nicht auf Missionen gehen, sollten auch nicht zum Kampftraining müssen.“
Ember machte ein paar Schläge in die Luft. „Nein, das ist ganz witzig. So kann ich einen ganzen Vormittag mit dir verbringen, ohne dass du zuvor in die Kläranlage strafversetzt werden musst.“ Sie küsste mich auf die Nasenspitze. „Und mit etwas Glück kann ich die Hauptmännin ein bisschen triezen.“
Sorgenvoll sah ich sie an. „Bitte nicht. Sie werden dich furchtbar bestrafen und erreicht hast du gar nichts damit.“
Ember wiegte die Hüften. „Ach, aber Sexy Seven darf Allianzoffiziere befreien? Wer misst denn da seine RESbellion mit zweierlei Maß?“
Mit einem Schmunzeln küsste ich sie. „Das war ein schreckliches Wortspiel.“
Ember grinste. „Danke.“
„Gruppe Vierzehn, hier herüber!“ A-78 winkte uns. Wir nannten sie Lola. Genau wie Astrid stammte sie aus einer Zeit, als Lindholm noch nicht wusste, dass es mal ein ganzes Alphabet an RES geben würde, und war eine der sechs As, die noch nicht ausgemustert worden waren. Alle von ihnen hatten mehr Narben als das Deck eines Kriegsschiffes, zu jeder davon eine Heldengeschichte und ebensolches Ansehen unter den RES wie die Kommandantin. Was bedeutete, dass sie gefürchtet wurden und niemand sie besonders mochte.
„Seid ihr bereit für die heutige Übung?“ Lola nickte in meine Richtung. „Besonders du. Lindholm hat befohlen, dich besonders hart zu trainieren, dir eine Extra-Portion zu füttern und dich früh ins Bettchen zu schicken.“
Wie alle RES trug sie einen grauen Overall, in ihrem Fall mit einem großen, roten A darauf, und die Haare drei Millimeter kurz. Doch im Gegensatz zu Ember und mir, die eher von kleiner Statur waren, wölbten sich Lolas Nackenmuskeln unter ihrem Overall, und sie überragte abgesehen von Penja jedes RES aus Schlafsaal vierzehn um mindestens einen Kopf.
„Sobald Leutnant Stark hier ist, wirst du nur noch mit ihr trainieren, S-067. Und du, E-049 machst heute mal zur Abwechslung keinen Ärger, sondern trainierst ebenfalls mit Hauptmann Sodhis Einheit. Zeig dich von deiner besten Seite, dann kriegst du auch eine Extraportion beim Mittagessen.“ Sie musterte Ember streng. „Kann ich mich auf dich verlassen?“
„Jawohl, Kommandantin“, log sie so schamlos, dass ich mir auf die Lippe beißen musste, um sie nicht zur Ordnung zu rufen.
„Bitte hör auf sie“, flüsterte ich ihr zu, als Lola gegangen war.
Ember küsste mich sacht und hüpfte zu den anderen RES hinüber. Hauptmann Sodhi erwartete uns lässig auf einem Wagen mit Langwaffen sitzend. Die anderen Offiziere, zwei Männer und fünf Frauen, standen in kleinen Gruppen um den Wagen und beachteten uns nicht. „Aufstellung, RES“, sagte Sodhi. Gemessenen Schrittes ging sie an unserer Reihe entlang und blieb schließlich vor Ember stehen. „Was soll die Bemalung, E-049?“, fragte sie.
Ember sah ihr direkt in die Augen. „Eine Warnung, Ma’am.“
Sodhi kniff die Augen zusammen. „Ach ja? Wovor?“
Ember lächelte. „Finden Sie es heraus.“
Sodhi schnaubte. „Du bist aufsässig, hm? Schön, ich mag Herausforderungen. Du kommst heute mit mir.“ Sie packte Embers Kopf und Schulter und versenkte die Zähne in ihrem Hals. Ich versteifte mich. Niemand sollte diese Behandlung erfahren, aber besonders nicht Ember. Es gab kaum etwas Erniedrigenderes, als wenn uns die Feen auf diese Weise ihren Willen aufzwangen. Es unterstrich, dass sie uns nicht vertrauten. Erinnerte uns daran, dass wir nur Werkzeuge für sie waren. Sodhi löste sich von Ember, ritzte mit einem furchterregend scharfen Daumennagel ihr Handgelenk und ließ Ember von ihrem Blut trinken. Ich musste nicht hinsehen, damit mein Magen sich verkrampfte.
„Das macht sie jeden Tag mit dir, nicht wahr?“, flüsterte Penja mir zu. Ich sah in seine großen, braunen Augen und spürte, dass er eben solches Mitgefühl für mich empfand wie ich für alles Lebende um mich herum. Seine Haut reflektierte die gleißende Sonne so stark, dass sie weiß statt schwarz wirkte. Ich berührte seinen Arm. „Es macht mir nichts aus. Aber ihr solltet das nicht ertragen müssen.“
Er sah mich ernst an. „Du auch nicht, Seven. Du bist eine von uns, auch wenn du selbst das nicht so siehst.“
Lola trat hinter uns. „Schnauze halten“, sagte sie mit einem Knurren.
Sodhi leckte über die Wunde an ihrem Handgelenk, die sich sofort schloss. „Hey, ihr faulen Ärsche! Holt eure RES, wir fangen mit der Übung an.“
Die anderen Offiziere kamen nun auch zu uns herüber, während Sodhi und Ember auf eine freie Fläche zusteuerten, wo Ember in Position eins ging und Sodhi mit dem Handschuh ihren Kopf packte. Der Handschuh. Jedes Mal wieder staunte ich über die Kunstfertigkeit, mit der dieses Gerät, dass äußerlich betrachtet nicht mehr als ein klobiges Steampunk-Accessoire zu sein schien, Menschen zu Dingen degradierte.
Überall um uns herum auf dem weitläufigen Platz geschah dasselbe – eine Fee fasste ein RES beim Kopf und extrahierte die Lebensenergie mit dem Handschuh. Die umgewandelte Magie wurde dann wahlweise von ihnen selbst zur Verteidigung eingesetzt oder an die RES zurückgegeben, um die Dummys zu malträtieren, die wie kleine Gruppen von Allianzkriegern nah beieinander aufgestellt worden waren.
Das Alpha-Team hatte auch hier eine Sonderstellung, denn es übte ebenfalls jedes Teammitglied mit einem RES das Umwandeln von menschlicher Lebensenergie in Magie. Die Einzige, die nicht wusste, wie sich das anfühlte, war ich. Als Adnexus konnte ich direkt die Magie des Feen- und des Dämonenreichs an jedes magiebegabte Wesen weitergeben. Ironischerweise war es gerade die Magie der Menschen, die ich nicht kannte. Es gab eine Zeit, da hatte Lindholm versucht, Adnexi künstlich zu erschaffen. Die waren jedoch zu schwer zu kontrollieren und zu mächtig, sodass sie sich darauf verlegt hatte, Schwerverbrecher aus dem Menschenreich als Sklaven für ihre Handschuhexperimente zu rekrutieren.
Ich saß allein an dem Waffenwagen und starrte in die Sonne, die langsam über die Betonmauer kroch. Ennie war mal wieder zu spät. Das war das einzig Gute daran, ein Adnexus zu sein – niemand übte mit mir die Handschuhsache. Die strategischen Einsatzübungen waren erst am Nachmittag dran. Hoffentlich tauchte Ennie bald auf – ich wollte so gut wie möglich auf diesen Einsatz vorbereitet sein.
Wir hatten seit Monaten keinen mehr gehabt, und ich wollte Ennie unbedingt heil wieder nach Hause bringen. Nicht nur, weil Lindholm sonst meine Freunde auspeitschen lassen würde, sondern auch, weil ich Ennie mochte. Und weil Ember recht hatte – nach allem, was geschehen war, würde Ennie nicht ins Feenreich zurückkehren, wenn sie starb.
„Wo bleibt Stark, verdammt? Hat sie wieder keiner geweckt?“, rief Sodhi einer anderen Offizierin zu. Die zuckte nur mit den Schultern.
„Ich bin hier.“ Ennie sah überraschend frisch aus. Das Haar hing ihr zwar etwas zerzaust in die sonnenverbrannte Stirn und die winzigen Salamander in ihrem Nacken gähnten und rollten mit den Augen. Auf den ersten Blick wirkte sie genauso zerknittert wie ihre Uniform, doch in ihren Augen loderte Kampfgeist.
„Glaubst du eigentlich, du könntest immer eine Extrawurst bekommen, weil du mal in Lindholms Bett warst?“
Ennie runzelte die Stirn. „Es ist doch noch nicht mal Mittag“, murmelte sie.
Sodhi hob eine Augenbraue. „Dein Ernst? Du leitest diesen Einsatz morgen! Glaub ja nicht ich werde deinen Babysitter spielen und deine Hand halten, wenn du dir in die Hosen machst.“ Sodhi grinste. „Also schnapp dir deine Special-RES und komm in die Puschen, sonst holt die Boss-Lady ihr Lieblingsspielzeug demnächst in der Hauptquelle ab. Und wenn es dann wieder ein kleines Mädchen ist, dann muss sie sich ziemlich schwierige Fragen stellen.“
Unvermittelt gab Stark Sodhi eine Ohrfeige. Starks Unterlippe bebte. Sodhi fasste sich an die Wange und grinste nur noch breiter. Sie spuckte ihr vor die Füße und wandte sich wieder Ember und Lola zu.
Leutnant Stark kam zu mir herüber. „Hallo Seven. Wie geht’s dir heute?“
„Gut, danke, Ennie. Wie geht’s dir?“ Ich lächelte.
„Gut. Prima, einfach wunderbar.“ Sie wippte auf den Fersen. „Wir schaffen das, richtig?“ Sie sah sich um, ob uns jemand beobachtete, und berührte sacht meine Schulter. „Das ist meine Chance, wieder mit ihr zusammenzukommen. Sie will … es doch auch, oder? Denkst du, sie will mich zurück?“
Ich nickte. „Natürlich will sie dich zurück, Ennie.“
Mir wurde mit einem Mal klar, dass Lindholm nicht nur Ennie zurückwollte, sondern auch Prashant, Amélie und all die anderen. Und dass ich nicht wusste, wie ich Ennie heil zurückbringen und gleichzeitig verhindern sollte, dass bei dieser Gelegenheit ein oder zwei Dutzend Allianzmitglieder in Gefangenschaft gerieten.
„Alles okay, Seven?“ Ennie legte mir die Hand auf die Schulter. „Du hast das doch schon oft gemacht. Hast du Angst?“
Wieder schüttelte ich den Kopf. „Nein. Wir schaffen das. Sollen wir ein bisschen trainieren?“ Ich versuchte mich an einem Lächeln.
„Ja, besser ist das.“ Ennie sah sich um. „Okay, die anderen machen anscheinend erst mal was Einfaches zum Aufwärmen. Elementarbeschwörung. Dann wir auch.“
„Geht klar.“ Ich begab mich in Position.
Ennie legte die Hand auf meinen Kopf und zog die Magie durch mich, um eine hübsche, dunkelblaue Wasserperle vor uns in der Luft entstehen zu lassen.
Wir hatten das vielleicht eine Viertelstunde geübt, als sich vom Hauptgebäude ein Tross näherte. Ein gutes Dutzend neuer Rekruten, angeführt von Kommandantin Lindholm persönlich, nahm in unserer Nähe Aufstellung. Instinktiv spannte ich mich an. Ennie ließ mich los und straffte sich. „Wie sehe ich aus?“, raunte sie.
Ich brachte es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ausgezeichnet, wie immer.“
„Du bist eine schlechte Lügnerin, Seven.“ Sie wand sich, offenbar in dem Versuch, ihre Schokoladenseite in Lindholms Richtung zu drehen.
„Ich weiß“, seufzte ich.
Die Rekruten wirkten interessiert und nervös, als Lindholm vor ihnen Haltung annahm und sie betrachtete. „Vier Wochen.“ Langsam schritt sie an der Reihe entlang. Sie hatte wie immer die Gerte in der Hand. Ihr Anblick verursachte ein unangenehmes Prickeln auf meiner Haut. „Genau vier Wochen bleiben euch noch, bis ihr zu vollwertigen Mitgliedern des Community-Korps werdet.“ Mit einem Seitenblick auf Stark fügte sie hinzu: „Zumindest auf dem Papier.“
Sie hatte das Ende der Reihe erreicht, wendete mit einer zackigen Bewegung und fuhr fort. „Diese letzten Wochen entscheiden darüber, ob ihr in die bewaffneten Streitkräfte aufgenommen werdet oder für den Rest eures Lebens Dienstleistungsaufträge erfüllt. In erster Linie entscheidet euer Talent darüber, welche dieser beiden ehrenvollen Aufgaben euch zufallen.“ Sie maß Stark mit einem prüfenden Blick. „Auch wenn einige von euch die Höhen und Tiefen ihrer Karriere schneller durchmessen, als nötig ist, werde ich nie aufhören, euch Chancen zu mehr Wachstum zu geben.“
„Fuck, ich glaube, du hast recht“, murmelte Stark. „Sie will mich zurück.“ Röte kroch ihr ins Gesicht.
Offensichtlich richtete sich Lindholms Ansprache mehr an Stark als an die Rekruten. Ich fragte mich, ob ich auch gleich noch meinen Anteil abbekam.
„Talente und Fähigkeiten sind in unserer Welt ungleichmäßig verteilt. Manche haben viel Talent, aber wenig Selbstkontrolle.“ Ihr Blick streifte mich, sodass ich mich sofort versteifte. „Andere haben keines von beidem, aber dafür … andere Qualitäten.“ Wieder ein Blick zu Stark. Inzwischen warfen auch die ersten Schüler uns Seitenblicke zu.
„Als Angehörige der Community verbindet uns ein hehres Ziel: Wir alle waren einmal Menschen. Schwach, ohne Magie und wertlos. Als die Urmutter uns auserwählte und zu Feen machte, gab sie uns die Chance auf ein besseres Leben. Doch wir wollen nicht nur alles Glück für uns selbst. Wir lassen die Menschen nicht schutzlos und allein. Wir sehen nicht tatenlos dabei zu, wie sie ihr Reich vernichten und unbewohnbar machen. Es ist unsere Pflicht, ihre Welt zu retten. Nur wir allein sind dazu in der Lage.“ Mit jedem Satz wurde Lindholms Stimme lauter, fordernder.
„Deshalb werden wir nicht dulden, dass die Allianz unsere Bemühungen zunichte macht. Wir werden nicht dulden, dass sie die Urmutter mit ihren Intrigen einwickeln und uns das Championship streitig machen. Wir sind die einzige Chance der Menschheit!“ Sie reckte die Faust in die Luft. „Und deshalb werden wir nicht eher ruhen, als bis die Allianz vernichtet oder in der Community aufgegangen ist!“
„Jawohl, Kommandantin!“ riefen die Schüler im Chor. Ich konnte an ihren Gesichtern ablesen, wie sehr sie die Rede berührt und entflammt hatte.
„Sehr gut. Die letzten vier Wochen eurer Grundausbildung markieren einen Umbruch. Das Ende eurer Kindheit. Den Beginn der Mündigkeit. Und hoffentlich wird der eine oder andere im Zuge dessen erwachsen, aber ich will nicht zu viel erwarten. Manchen passieren auch später noch Ausrutscher, die vermeidbar gewesen wären.“
Stark runzelte die Stirn. „War das jetzt gegen mich?“ Sie blickte zu mir. „Oder gegen dich?“
Mit zusammengepressten Lippen versuchte ich, eine steinerne Miene zu wahren. „Vermutlich gegen uns beide.“
Ennie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie hält mich für feige, nicht wahr? Ja, vielleicht bin ich das.“
In Erwartung eines Abers sah ich zu ihr auf. Doch da kam nichts mehr. Sie starrte nur Lindholm an.
Stark war ein guter Kerl, und ich brauchte sie morgen nüchtern und optimistisch, also versuchte ich, sie aufzumuntern. „Du bist nicht feige, Ennie. Und auch nicht untalentiert. Diese Wasserperle war fantastisch. Vielleicht sollten wir das noch mal machen?“
„Ja, vielleicht“, murmelte sie.
„Unabhängig davon, wohin euer Weg euch führt, werdet ihr künftig eng mit RES zusammenarbeiten.“ Lindholm winkte Hauptmann Sodhi heran.
„Übergeben Sie mir Ihre RES, Hauptmann, ich möchte eine Demonstration vornehmen.“
„Ja, Kommandantin.“ Sodhi zitierte Ember herbei.
Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in mir aus. Ember hatte Sodhi gewarnt. Aber sie hatte das Unterwerfungsritual erfahren und somit ihren freien Willen eingebüßt. Nicht wahr?
„Ihr kennt sie, habt sie bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen. Noch kann ich euch keine eigene zuteilen, auch wenn die Produktion auf Hochtouren läuft. Doch ihr werdet die nächsten Wochen viel Gelegenheit haben, mit einigen von ihnen zu trainieren. Viele dieser RES sind Veteraninnen. Sie haben im Kampf gegen die Allianz schon so mancher Fee das Leben gerettet und zahllose unserer Feinde gefangen genommen und konvertiert. Das werden sie auch für euch tun.“
Mein Mund fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an und ich wurde mir unangenehm deutlich meines Herzschlags bewusst. Lindholm führte Ember mit der Gerte unter dem Kinn näher an die Schüler heran. Wut regte sich in meinem Inneren, als ich sah, wie sie sie behandelte. Ich wollte ihr die Gerte aus der Hand schlagen, Ember packen und mit ihr fortlaufen und … als hätte sie meine Gedanken gespürt, richtete Lindholm abrupt den Blick auf mich. Ich wich zurück und senkte den Kopf.
„Eine RES ist eine tödliche Waffe“, sagte sie. „Und sie gehorcht Vorgesetzten aufs Wort. Immer. Ohne zu zögern.“
Ich wagte es nicht, den Blick zu heben.
„Wer würde das nicht, wenn er mit einem Blutbann unterworfen wird“, murmelte Ennie.
„Was war das, Leutnant?“
