SeelenFeuer - Isabella Mey - E-Book

SeelenFeuer E-Book

Isabella Mey

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Beschreibung

Feurig romantische Fantasy Es schmerzt Hanna, zu sehen, wie ihr letztes Geld im Fahrkartenautomaten verschwindet. Doch sie muss einfach wissen, wer dieser fremde Mann ist, selbst wenn sie keine Ahnung hat, wie sie wieder zurückkommen soll. Alex dagegen hält Hanna für eine Verrückte, nicht nur, dass diese übernatürliche Anziehung schon nicht mehr normal ist, auch mit ihrem feurigen Schein und den prickelnd heißen Empfindungen muss etwas faul sein. Und wie hängt das alles zusammen mit dem pausenlosen Schneefall mitten im April und dem Vermummten, der aus Hannas Garten flüchtet?   Meine Kniegelenke scheinen sich außerdem in Wackelpudding verwandelt zu haben, denn ich verliere den Kampf mit dem Gleichgewicht und sinke in den eiskalten Schneematsch, wo ich mich dicht neben dem Geschäftsmann im Mantel ungelenk mit den Händen abstütze. In diesem Moment biegt der Obdachlose ebenfalls um die Ecke und bemerkt leicht lallend: »Naaa, jetzt wisst iiihr auch mal, wies ist, ganz am Boden.« Während sich Alex noch aufrappelt, schimpft er, ohne mich anzusehen: »Können Sie nicht aufpassen?!« Ich bin viel zu geplättet von der skurrilen Situation, um überhaupt etwas zu sagen. Immerhin schaffe ich es, mich auf die Füße zu stemmen, um dem braunen Matsch zu entgehen. Statt sich den Schnee von der Kleidung zu klopfen, bückt sich Alex über das Gully und starrt fassungslos durch die Löcher ...   Abgeschlossenes Einzelbuch angereichert mit feurigen und eiskalten Gefühlen.

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Isabella Mey

SeelenFeuer

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Seelenfeuer

 

 

 

Isabella Mey

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Wahl deiner Seele erkennst du, wenn du in den Augen des anderen dein eigenes Leuchten wiederfindest.

 

Rätselhafte Visionen

Johanna, Eppstein, Sonntag, 15. April

 

Dicke Flocken schweben vom Himmel und bedecken die Straße, und das mitten im April. Der Monat ist zwar bekannt dafür, dass er macht was er will, aber bisher ist es kaum wärmer geworden dieses Jahr und dass es seit einer Woche fast täglich schneit, liegt schon längst nicht mehr im Bereich des Normalen.

Ich stehe vor dem großen Schaufenster meines Blumenladens und schaue auf die verschneite Straße hinaus. Oranges Blinklicht kündigt einen Schneepflug an, der eine weitere Ladung der eisigen Masse zu dem ohnehin schon beachtlichen Berg am Fahrbahnrand schiebt. Ich reibe mir die steifen Hände. Hier unten im Laden ist es noch einigermaßen warm, vereiste Blumen will schließlich niemand kaufen, in meiner Wohnung dagegen steht die Heizung auf Sparflamme, gerade so, dass die Leitungen nicht zufrieren. Das Geschäft läuft leider ziemlich schlecht, sodass ich jeden Cent fünf Mal umdrehe, bevor ich ihn ausgebe. Deshalb habe ich mir für heute eine Aktion ausgedacht, um die Verkäufe etwas anzukurbeln. Die gut tausend Flyer für meinen Laden habe ich selbst gestaltet und ich finde, das farbenfreudige Ergebnis kann sich sehen lassen. Ich kann nur hoffen, dass sich die Investition lohnt, denn das war so ziemlich das letzte Geld, das ich dafür ausgeben kann. Der Laden, den ich von meiner Oma geerbt habe, wirkt recht antik mit seinen uralten Holzmöbeln. Hinter dem Haus steht außerdem ein größeres Treibhaus, in dem ich selbst Pflanzen anziehen kann, aber bei diesem Wetter wächst auch dort nichts.

Heute am Sonntag ist mein Laden ohnehin geschlossen, daher habe ich mir für diesen Tag vorgenommen, die Flyer zu verteilen. Dick eingepackt in meine Second-Hand-Winterjacke und die schon abgelaufenen Stiefel, trete ich hinaus. Bewaffnet bin ich mit Tesafilm und Schere, um die Flyer aufzuhängen. Eine dicke Flocke landet mitten auf meiner Nase und hinterlässt ein leichtes Brennen beim Schmelzen. Ich will die Flyer nicht einfach in irgendwelche Briefkästen werfen, jeder Einzelne soll gut platziert werden: An Laternenpfählen und Alleebäumen, eben überall da, wo ich hoffentlich nicht fürs Plakatieren angezeigt werde. Aber schon der erste Laternenpfahl stellt sich als Problem heraus, denn bei diesem Wetter haftet der Tesafilm schlecht, das Papier rollt sich zusammen und offenbar war es in meinem Rucksack zu warm, denn die Flocken schmelzen darauf und hinterlassen feuchte Flecken.

Ich seufze frustriert. Es hilft nichts, ich muss die Flyer irgendwo anbringen, wo sie vor der Witterung geschützt sind. Hier in Eppstein wüsste ich jedoch nicht, wo das möglich sein sollte, da müsste ich schon nach Frankfurt fahren, in die U-Bahn oder in den Palmengarten. Das sind mal wieder Investitionen, die ich mir kaum leisten kann.

Aber na ja, demnächst muss ich sowieso mein Auto verkaufen, danach werde ich ja wenigstens wieder ein bisschen Geld haben – wenn noch was davon übrigbleibt, nachdem die vielen offenen Rechnungen bezahlt sind.

Ein Auto durchquert viel zu schnell eine matschige Pfütze, was fette Spritzer des ocker-dreckigen Schlamms auf meine hellblaue Jeans befördert. Ich seufze entnervt.

Kann ja nur noch besser werden, versuche ich, sämtlichen verfügbaren Optimismus zu aktivieren.

Ich gehe die Straße zurück zu meinem Laden und versuche, mein Auto unter den Schneebergen in den Parkbuchten ausfindig zu machen. Da ich es schon länger nicht mehr benutzt habe, kann es sich eigentlich nur dort befinden, wo sich eine unberührte, dicke Schicht über dem darunter verschwundenen Wagen türmt. Der Schneepflug hat ebenfalls ganze Arbeit geleistet, denn der Hügel, der das Ausparken unmöglich macht, ist bestimmt auf gut einen Meter angewachsen.

Was solls, bei diesem Wetter mag ich ohnehin nicht Auto fahren, obwohl das Streusalz den Schnee an vielen Stellen schon wieder in Matsch verwandelt, ist meine Angst davor, ins Rutschen zu geraten, viel zu übermächtig.

Mit der S-Bahn bin ich eh schnell in Frankfurt und vielleicht sollte ich mir zur Abwechslung wirklich mal einen schönen Tag im Palmengarten gönnen …

* * *

Das feuchtwarme Klima bringt mich zum Schwitzen. Es ist schon so lange her, dass mir so richtig heiß wurde, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Ich ziehe meine Winterjacke aus und lehne mich auf der Bank zurück. Vor mir breitet sich ein Wald aus Palmen und Tropenbäumen aus, der mich in der Illusion wiegt, einen Abenteuerurlaub im Regenwald zu genießen. Das Plätschern des künstlichen Wasserfalls entfaltet seine beruhigende Wirkung und macht mich schläfrig. Schließlich bin ich Kilometerweit durch U-Bahnen gelaufen, auf der permanenten Suche nach Plätzen für meine Flyer, wo kein Plakatier-Verbotsschild prangte – schier ein Ding der Unmöglichkeit. Schließlich habe ich doch einige davon wahllos in irgendwelchen Briefkästen versenkt, bevor ich mich zum Palmengarten aufgemacht habe. Auch hier hatte ich kein gutes Gefühl, die Flyer in den Glashäusern anzubringen, habe mich dann aber dazu durchgerungen, einzelne an verschiedenen Plätzen einfach wie zufällig auf Bänke oder Mauern zu legen. Irgendwo musste ich sie doch loswerden und vielleicht kann ich damit ja doch jemanden in meinen Laden locken.

Ich döse entspannt vor mich hin, als plötzlich etwas geschieht, das mich völlig aus der Bahn wirft:

Statt auf den Palmenwald schaue ich zu Boden. Dort liegt einer meiner Flyer im Schneematsch. Ich fühle Ärger über den Müll auf dem Gehweg, obwohl ich mich gleichzeitig darüber wundere und traurig bin, meinen schönen Flyer so aufgeweicht und schmutzig vorzufinden. So, als wäre ich unfreiwillig in einen anderen Körper geschlüpft, den ich aber weder zu fühlen noch zu steuern vermag, beuge ich mich, wer immer ich jetzt sein mag, herab und hebe das lädierte Papier auf. Eine Weile ruht mein Blick darauf, offenbar schüttele ich dann den Kopf und meine männliche Stimme murmelt: »Wie idiotisch, in Frankfurt Werbung für einen Blumenladen in Eppstein zu verteilen.«

Der Jemand, der scheinbar ich bin, zerknüllt den Flyer und versenkt ihn im nächsten Papierkorb.

Und dann ist es auch schon wieder vorbei. Ich sitze auf dieser Bank im Palmenhaus. Mein Herz donnert, Schweiß rinnt meine Stirn herab.

Was, verflixt nochmal, war das??? Oder, WER war ich gerade eben?

Die Stimme klang eindeutig männlich. Es schüttelt mich. Meine Entspannung ist dahin, ich springe auf, schlüpfe in meine Jacke und schultere meinen inzwischen fast leeren Rucksack.

Spinne ich? War das gerade echt, oder habe ich nur geträumt?

Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden: Ich muss dorthin gehen, wo dieser Jemand den Flyer aufgehoben hat und in den Papierkorb schauen.

Schwitzend haste ich durchs Palmenhaus zum Ausgang, stapfe die schmale Furche entlang, die jemand in die fünfzig Zentimeter hohe Schneedecke gegraben hat – eine absolute Sensation für Frankfurter Verhältnisse. In meiner komischen Vision hatte ich das Caféhaus Siesmayer am Palmengarten gesehen, allerdings von der Straße her. Deshalb wähle ich den Ausgang auf der Ostseite. Hier schaue ich mich wachsam um.

Könnte es sich bei einem der Passanten vielleicht um diesen ominösen Fremden handeln, aus dessen Augen ich gerade geschaut habe?

Ein älterer Herr mit Hut und Stehkragen nimmt seinen Stock zu Hilfe, als er auf das Café zusteuert. Weiter entfernt stapft ein Ehepaar über den Schneehaufen am Straßenrand. Auf der anderen Straßenseite steht eine Frau mit Kinderwagen. Er hat sich im Schnee festgefahren und sie versucht verzweifelt, die Räder zu lösen. Das Baby weint. Im Normalfall wäre ich ihr jetzt zu Hilfe geeilt, aber im Moment bin ich selbst viel zu aufgewühlt, um mich um andere zu kümmern. Ich passiere das noble Café, werfe einen Blick durch die großen Fenster, wo schick gekleidete Menschen ihren Mokka schlürfen und ihre Gabeln in köstlich aussehenden Torten versenken.

Und wenn er dort hineingegangen ist?, überlege ich aufgeregt.

Ich überfliege die zahlreichen Gäste, doch woran soll ich erkennen, um wen es sich handeln könnte? Ich erinnere mich, dass ich schwarze, lederne Handschuhe trug und der Stoff meines Ärmels war ebenfalls dunkel.

Da erfasst mich plötzlich ein eisiger Schauer. Gruselige Bilder von Serienmördern tauchen plötzlich vor meinem geistigen Auge auf.

Gab es nicht mal eine Fernsehserie, wo so eine Seherin Visionen irgendwelcher schlimmen Verbrechen bekam und der Kriminalpolizei damit Hinweise verschaffte? Meinen Flyer wegzuwerfen ist zwar kein allzu schlimmes Verbrechen – obwohl sich darüber natürlich streiten lässt – aber was, wenn das nur der Auftakt war?

Mir wird plötzlich ganz schlecht. Ich gehe am Café vorüber und da entdecke ich den berüchtigten Mülleimer am Wegrand neben einem Laternenpfahl.

Er existiert also wirklich!

Mein Herz donnert so laut, dass ich kaum noch etwas anderes wahrnehme.

Gleich werde ich sehen, ob ich spinne oder nicht.

Am ganzen Körper zitternd luge ich über den Rand des Mülleimers und spähe hinein. Auf dem von einer Schneeschicht bedeckten Abfall liegt ein zerknülltes Etwas – die Reste leuchtender Farben deuten stark auf meinen Flyer hin, aber ich muss Gewissheit haben. Nur mit Mühe gelingt es mir, meine Hand ruhig zu halten, als ich ihn herausfische.

»Igitt! Als ob sie bei der Tafel nicht genug zu essen hätten für Obdachlose … In den Tonnen zu kramen ist doch einfach widerlich …«

Erschrocken fahre ich herum und starre in das faltige Gesicht einer älteren Dame, die eingehakt im Arm ihres Gatten die Stufen zum Café hinaufsteigt.

Mir ist die Situation dermaßen peinlich, dass ich kein Wort herausbringe. Da ich sowieso schon völlig neben mir stehe, schaltet mein gesamtes System jetzt auf Flucht um. Ich werfe den Flyer zurück in die Tonne und marschiere mit schnellen Schritten davon. Dabei drehen meine Gedanken unablässig Schleifen um immer dieselbe Frage:

Warum habe ich plötzlich aus den Augen eines Fremden gesehen? Wer war dieser Mann?

 

Erst, als ich wieder in der S-Bahn nach Eppstein sitze, und die Landschaft gemächlich an mir vorüberzieht, beruhige ich mich ein wenig.

Vielleicht habe ich mir nur alles eingebildet und es handelte sich gar nicht um meinen Flyer, das alles hat nichts zu bedeuten und tritt auch nie wieder auf.

Meine Schuhe und Socken sind völlig durchgeweicht und eiskalt, als ich zu Hause eintreffe. Normalerweise bin ich recht fit, weil ich jeden Morgen vor der Arbeit joggen gehe, aber bei diesem Schnee war das einfach nicht möglich, daher bin ich wohl doch etwas aus der Übung und meine Beine schmerzen wie nach einem Marathonlauf. Da hilft nur noch das absolute Verwöhnprogramm: Ein heißes Bad und dann mindestens drei Stück der Schokosahnetorte, die ich gestern gebacken habe, ich bin sowieso schier am Verhungern. Schokosahnetorte gehört übrigens zu meiner Spezialität, ich backe sie jeden Samstag und wenn am Montag noch etwas davon übrig ist, bekommen sogar die wenigen Kunden, die bei mir Blumen kaufen, kleine Kostproben von den Resten angeboten.

Ich rubbele gerade meine Haare trocken, als die Türklingel läutet. Hastig schlüpfe ich unter Ziehen und Zerren in die frische Hose und stülpe mir ein T-Shirt über. Dann renne ich durch die Wohnküche zum Fenster und spähe auf die Straße hinunter. Es dämmert bereits, aber wenigstens hat der Schneefall nachgelassen. Von unten schaut meine Freundin Sina zu mir herauf.

»Komme gleich!«, rufe ich ihr zu.

Siedend heiß fällt mir ein, dass wir heute zum Spiele-Mädelsabend verabredet waren. Jeden zweiten Sonntag im Monat treffe ich mich mit meinen Freundinnen Sina, Leni und Ella zum Spieleabend. Wir haben immer viel Spaß dabei und mit meiner Schokosahnetorte sorge ich für die notwendigen Kalorien, die beim Denken, Quatschen und Lachen verbraucht werden. Eine halbe Torte ist noch übrig von gestern.

Hoffentlich reicht das für alle, denke ich, während ich die Treppe zum Blumenladen herunterhaste, um meine Freundin einzulassen. Es handelt sich um ein kleines zweistöckiges Fachwerkhaus, das ich von meiner Oma geerbt habe. Wahrscheinlich hat sich im Erdgeschoss vor Urzeiten ein großer Wohnraum befunden, der dann irgendwann zu einem Laden umgebaut worden war, deshalb führt die alte Stiege direkt aus dem Verkaufsraum nach oben in meine Wohnküche hinein. Früher hatten die Leute noch viel Sinn für Details, was sich in den blumenartigen Verzierungen zeigt, die sowohl ins Geländer als auch in die massiven Holzregale hineingeschnitzt worden waren. Das Haus steht unter Denkmalschutz, sicher könnte es schon deshalb einen hohen Verkaufswert erzielen, aber ich habe dieses Haus schon geliebt, als ich noch ein kleines Mädchen war. Jedes Mal, wenn ich meine Großmutter besuchte, strömte mir dieser wundervoll frische blumige Duft entgegen. Diese Erinnerung hat sich ganz tief in meine Synapsen hineingebrannt und schon damals durfte ich mithelfen, ein Blumenbouquet zusammenzustecken. Außerdem hat sie mich verschiedene Blumenarten sowie ihre Besonderheiten gelehrt. Kein Wunder also, dass ich nicht eine Sekunde gezögert habe, in ihre Fußstapfen zu treten. Doch das alte Haus müsste dringend renoviert werden, durch die Fenster zieht es und an manchen Stellen bröckelt der Putz. Kleinere Renovierungs- und Malerarbeiten konnte ich zwar selbst erledigen, aber für die großen fehlt mir sowohl das Geld als auch das Können. Obendrein müssen ja bei allem die Auflagen des Denkmalschutzes beachtet werden.

Die Schellen über der Ladentür klingeln, als ich öffne. Sina klopft ihre Schuhe auf dem Rost ab und tritt ein.

»Hallo Süße!«, sagt sie und schließt mich in die Arme, um mir rechts und links ein Küsschen auf die Wange zu drücken. »Boah, Mann! Was für ein Wetter!« Sie klopft den restlichen Schnee von Mütze und Mantel, nachdem ich ihr beim Ausziehen geholfen habe.

»Ja, wird echt Zeit, dass der Frühling kommt«, stimme ich ihr zu.

»Wieso sind deine Haare so nass? Warst du draußen oder gerade noch unter der Dusche?«

»Du, ich muss zugeben, ich habe unseren Spieleabend total vergessen.«

»Also, Hanna! Schäm dich! Wie konntest du nur …«, sagt sie mit vorwurfsvoller Ironie und schüttelt den Kopf. Ihre Augen blitzen jedoch belustigt.

»Ich habe einen total verrückten Horrortag hinter mir, da habe ich den Spieleabend komplett verschwitzt, aber etwas Torte ist noch da.«

»Echt, was ist denn passiert?«

In diesem Moment klingelt das Telefon im Laden – in der Wohnung habe ich gar keines. Ich zucke entschuldigend mit den Schultern und hebe ab. Ella meldet sich, sie kann heute nicht kommen, weil ihr kleiner Sohn mit hohem Fieber im Bett liegt. Kaum lege ich auf, meldet sich das Telefon erneut. Auch Leni muss absagen, sie wohnt in Königstein und ihr Auto will einfach nicht anspringen.

»Na, auch gut, dann haben wir deine Schokotorte für uns alleine«, bemerkt Sina lachend, natürlich hat sie die Gespräche mitangehört. »Machst du uns auch deinen Spezialtee?«

»Na klar. Komm mit nach oben, dann erzähle ich dir, was heute alles los war.«

Sina lehnt sich gemütlich auf meiner Couch zurück und zieht ihre Finger durch das vom Wetter zerzauste lange, schwarze Haar. Durch die Stupsnase und die kleinen Grübchen sieht ihr Gesicht irgendwie fast immer aus, als ob sie lacht. Im Gegensatz zu ihr, ist mein Haar strohblond, dafür leicht gewellt.

In der rechten Ecke meiner Wohnküche befindet sich eine kleine Kochecke, daher können wir uns bequem unterhalten, während ich das Teewasser aufsetze. Dabei erzähle ich meiner Freundin von der Flyer Aktion.

»Aber Hanna, was glaubst du, wie viele Frankfurter würden extra nach Eppstein fahren, um Blumen zu kaufen?« Sie schüttelt ungläubig den Kopf.

»Du hast ja recht«, seufze ich. »Im Nachhinein betrachtet war die ganze Aktion ein ziemlicher Reinfall. Verkaufsstrategien gehören eben nicht gerade zu meiner Stärke.«

»Was du bräuchtest, wäre ein gutes Marketing- und Vertriebskonzept. Hast du denn endlich deinen Businessplan ausgearbeitet?«

»Mmm, ich habe angefangen«, brumme ich ausweichend.

Ich bin eher der kreative, gestalterische Typ, diese vielen Zahlentabellen, Bilanzen und Businessstrategien sind mir zuwider. Die Gedanken schwirren wie wildgewordene Bienen in meinem Kopf herum, sobald ich mich mit so was beschäftige.

»Mann Hanna, aber irgendwann musst du dich da mal reinfinden. Wie läuft der Laden denn im Moment?«

»Na ja, geht so.« Da ich gerade das heiße Wasser aufgieße, schaue ich Sina nicht an, während ich antworte, so sieht sie mir hoffentlich nicht an, dass mir die Schulden bereits über den Kopf wachsen. Ich stelle die Kanne auf dem Couchtisch ab, danach folgen Teller, Tassen und die Schokosahnetorte.

Wir essen und trinken und reden ein wenig über belangloses Zeug, während ich mit mir ringe, ob ich Sina von dem seltsamen Erlebnis erzählen soll. Da mir das Thema permanent auf dem Herzen herumhüpft, rücke ich schließlich doch damit heraus und berichte von meiner »Vision«.

Wie befürchtet schielt mich meine Freundin schräg an. »Is nicht wahr, oder? Das hast du bestimmt nur geträumt.«

»Hab ich auch erst gedacht, aber es wirkte total echt und da lag wirklich ein zerknüllter Flyer in dem Papierkorb, so wie ich es als er gesehen habe.«

»Hm, wenn das stimmt, ist das ja echt gruselig. Na ja, man hört ja so Einiges von übersinnlichen Fähigkeiten, aber dass meine beste Freundin auch eine Seherin sein könnte, das muss ich doch erst einmal verdauen.« Entgegen ihrer Worte zwinkert sie mit beiden Augen.

»Nimmst du mich jetzt auf den Arm oder meinst du das ernst?«

Ich blicke sie schief an und im selben Moment bin ich schon wieder weg:

Dieses Mal sitze ich im Auto hinter dem Lenkrad. Die Scheibenwischer schieben unablässig kleine Schneeflöckchen beiseite, die von gelbem Laternenlicht beleuchtet werden. Vor dem Wagen hat gerade ein anderes Auto die Spur gewechselt und hätte meines beinahe gerammt.

»Idiot! Nimm die Kohlköpfe von den Augen!«, fluche ich.

Dann ist alles wieder vorbei, ich sitze neben meiner Freundin auf der Couch. Mein Herz donnert, aber wenigstens bin ich nicht mehr ganz so geschockt wie beim ersten Mal.

»Hanna, alles okay mit dir?« Sina mustert mich besorgt.

Ich schüttele den Kopf, bringe im ersten Moment keinen Ton hervor.

»Gerade eben ist es schon wieder passiert …«, flüstere ich heiser.

»Wie? Gerade eben, während wir hier zusammengesessen sind?«

»Ja.« Ich nicke mehrfach, als könnte ich Sina dadurch vom Wahrheitsgehalt meiner Aussage überzeugen. »Ich, oder vielmehr er, saß im Auto. Ein anderer Wagen ist dicht vor ihm eingeschert, sodass er ihn beinahe gerammt hätte. Er hat geflucht und dann war ich wieder hier. Wie habe ich denn ausgesehen in dieser Zeit? Hast du etwas an mir bemerkt?«

»Na ja, du wirktest irgendwie weggetreten, so abwesend, als ob du intensiv über etwas nachdenken würdest.«

»Das ist alles so verrückt«, keuche ich noch immer fassungslos.

Sinas Augen glänzen jedoch vor Aufregung. »Spannende Sache. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, durch wessen Augen du plötzlich spionieren kannst. Oder war es überhaupt derselbe Mann wie beim letzten Mal?«

»Ich konnte ihn ja nicht sehen, aber seine Stimme klang genauso.«

»Und wie war sie so, seine Stimme?«

Ich lege den Kopf zurück und versuche, mich zu erinnern: »Männlich, aber kein tiefer Bass, klare, deutliche Aussprache, aber na ja, beide Male war er nicht gerade gut gelaunt …«

»Das ist ja auch schon mal ein Anhaltspunkt. Womöglich springst du immer dann zu ihm, wenn er sich aufregt. Und da er sich beim ersten Mal über deinen Flyer aufgeregt hat, hat das vielleicht so was wie eine erste Verknüpfung mit unserem Mister X geschaffen«, folgert sie mit detektivischem Eifer.

»Hm, das könnte sein, aber warum? Kann mir das jetzt auch mit anderen passieren?«

»Wir müssen das weiter beobachten, dann bildet sich vielleicht ein Muster heraus oder du siehst mal wo er wohnt, vielleicht ein Adress- oder Namensschild.«

»Ich bin eigentlich nicht scharf darauf, dass mir das jetzt öfter passiert. Es könnte ja auch gefährlich werden, wenn ich zum Beispiel mit dem Auto fahre …«

»O Mann, stimmt! Daran habe ich gar nicht gedacht. Dann würde ich an deiner Stelle in der nächsten Zeit das Auto lieber stehenlassen.«

»Na ja, dazu müsste ich es ja eh erst mal freischaufeln.«

Und verkaufen muss ich es obendrein, setze ich in Gedanken hinzu, doch mit meinen Geldsorgen möchte ich Sina nicht behelligen.

»Also, dann hol doch mal ein Blatt, darauf notieren wir dann alles, was wir von Mister X wissen«, schlägt meine Freundin vor. Sie nimmt einen großen Schluck von ihrem Tee, während ich Notizblock und Papier herbeihole.

Darauf notieren wir alles, was wir bisher wissen: Schwarzer Mantel, schwarze Lederhandschuhe, männliche Stimme, er mag keinen Müll auf der Straße, fährt einen dunklen Wagen, welche Farbe genau, konnte ich im Licht der Laterne nicht erkennen.

»Ein ziemlich dunkler Typ, dein Mister X. Hatte er im Auto denn noch immer die Handschuhe an, oder konntest du seine Hände sehen?«

Ich versuche, die Szene in meinem Geiste erneut abzuspulen. »Die Hände hatten helle Haut, an mehr kann ich mich nicht erinnern.«

»Also schon mal kein Schwarzer«, sagt Sina und notiert das geschäftig auf dem Block. »Wir benötigen noch eine Karte von Frankfurt und der Umgebung, auf der wir die Orte markieren, die du wiedererkannt hast, damit können wir dann ein Bewegungsprofil erstellen.«

»Ich komme mir allmählich vor wie bei der Kriminalpolizei«, antworte ich lachend. Angesteckt von Sinas Eifer finde ich diese seltsamen Visionen mittlerweile gar nicht mehr so gruselig. Wer weiß, was am Ende dabei herauskommt.

»Oder bei der Partnersuche. Vielleicht ist dieser Mister X ja genau der Mann, den du dir fürs Leben wünschst«, scherzt Sina.

»Wohl kaum.« Alleine bei der Vorstellung schüttelt es mich. »Er flucht, trägt schwarze Sachen, fährt ein dunkles Auto, das passt doch so gar nicht zu meiner fröhlichen Art.«

»War ja auch nur Spaß. Wenn du mich fragst, kann Frau sowieso gut auf einen Partner verzichten.« Sina gießt sich Tee nach und schlürft an ihrer Tasse.

»Ja, ich weiß, du bist überzeugter Single, aber ich wünsche mir irgendwann Familie. Das muss aber schon ein Mann sein, zu dem ich aus vollem Herzen ja sagen kann.«

»Gibt es so was überhaupt?« Sie zuckt zweifelnd mit den Schultern. »Ich meine, irgendwo muss man doch immer Kompromisse eingehen. Wenn deine Anforderungen zu hoch sind, findest du am Ende überhaupt keinen Partner.«

»Hm, ja vielleicht …«, brumme ich und schiebe mir das letzte Tortenstück auf den Teller. Die Vorstellung, dass Sina womöglich Recht haben könnte, erzeugt eine Leere in mir, die ich mit dem süßen Geschmack im Mund zu füllen versuche.

Wir unterhalten uns noch über das Wetter und Sinas Reisepläne ins ferne Australien, bis es schon recht spät ist und sich meine Freundin verabschiedet.

»Jetzt hatten wir zwar keinen Spieleabend, aber das Detektivspiel mit deinem Mister X fand ich noch viel spannender. Halte mich auf dem Laufenden, wenn du wieder etwas von ihm mitbekommst, ja?«, sagt sie noch in der Ladentür.

»Mach ich. Komm gut heim.«

Sie hebt zum Abschied die Hand, dann zieht sie den Kragen ihres Mantels enger und stapft davon.

In Sinas Gegenwart waren mir diese seltsamen Visionen irgendwie unwirklich erschienen, kaum ist sie jedoch verschwunden, und ich bin allein mit meinen Gedanken, fühlt sich die ganze Sache wieder bedrohlich an. Ich grusele mich sogar ein bisschen vor mir selbst.

Wieso passiert mir das?

Mysteriöser Mister X

Johanna, Eppstein, Montag, 16. April

 

Tränen steigen mir in die Augen, als ich auf die verwelkten Dahlien in meinen Händen herabsehe. Die außergewöhnliche Seerosenzüchtung mit dem rotgelben Verlauf gehörte zu meinen Lieblingen. Schweren Herzens versenke ich die schlappe Blumenpracht in der Tonne. Das große Drama beim Verkauf von Pflanzen ist ihre Vergänglichkeit. Weil mich das Wegwerfen jedes Mal schmerzt, habe ich mein Angebot von Schnittblumen auf ein Minimum reduziert, die meisten Pflanzen in meinem Laden wachsen inzwischen in Töpfen, bevorzugt Orchideen, weil diese am längsten blühen. Auch Trockenblumensträuße und selbstgemachtes Flechtwerk gehören zu meinem Sortiment. Wenn doch endlich der Frühling anbrechen würde, dann könnte ich im Garten hinter dem Haus die ersten Schneeglöckchen und Narzissen ernten. Diese Frühblüher ziehen ihre Kraft aus den Zwiebeln und gewinnen auf diese Weise einen Vorsprung gegenüber der anderen Vegetation. Auch für mein Gemüse bietet der Garten Platz und in der Ecke steht sogar ein alter Apfelbaum, der mir im letzten Jahr so viele Äpfel geschenkt hat, dass im Keller immer noch welche davon lagern. Ihre inzwischen verschrumpelte Haut macht mir nichts aus, sie schmecken trotzdem immer noch besser als die gekauften.

Ich lasse mich in dem alten grünen Ohrensessel meiner Großmutter nieder und warte auf Kundschaft. Ich warte. Und warte. Gegen Mittag betritt immerhin ein Kunde den Laden, um ein paar Rosen für seine Liebste zum Geburtstag zu kaufen. Auch eine ältere Dame besorgt Blumen für ihren Hochzeitstag. Nach dem Essen heißt es jedoch wieder warten. Schließlich döse ich ein, weil ich mich letzte Nacht mehr unruhig hin und her gewälzt als geschlafen habe.

Und da passiert es schon wieder, mitten im Halbschlaf rutsche ich in diesen anderen Körper hinein, ohne aber, dass ich ihn irgendwie spüren oder lenken kann.

Dieses Mal stehe ich in einem Büroraum. Eine Frau mit langem blondem Haar sitzt hinter dem Schreibtisch.

»Linda! Das ist doch so kein Zustand«, sage ich mit der bekannten männlichen Stimme, während ich mich auf sie zubewege. »Bitte lass uns ganz normal miteinander umgehen.« Ein Gefühl, dass mir etwas schwer in der Brust liegt, bewirkt, dass ich versuche, sie zu besänftigen, indem ich ihr meine Hand auf die Schulter lege. Linda weicht samt Stuhl zurück, schüttelt dabei meine Hand ab und erhebt sich.

»Normal …« Das Wort perlt schal aus ihrer Kehle, während sie unglücklich an mir vorbeischaut. »Ich sehe es dir doch an, du bist heilfroh, dass es so gekommen ist. Da gibt es nichts weiter darüber zu reden, also lass mich gefälligst in Frieden, Alex!«

Noch bevor ich etwas erwidern kann, ergreift sie die Flucht, stürmt zur Tür hinaus.

Wie aus einem tiefen Wasser tauche ich an die Oberfläche zurück in meine eigene Welt, wo ich wieder in dem Ohrensessel sitze. Passend zu diesem Sinnbild schnappe ich nach Atemluft. Als ich mich einigermaßen beruhigt habe, lehne ich mich wieder zurück und schließe die Lider, um über das Erlebte nachzudenken.

Alex! Jetzt habe ich endlich einen Namen, wenn es auch nur der Rufname ist.

Dieses Mal steckte die Hand im Ärmel eines schwarzen Anzugs. Außerdem lugte eine teuer aussehende Uhr hervor. Bei Linda handelte es sich vermutlich um eine Kollegin oder Mitarbeiterin von Alex.

Aber was war los mit ihr? Hat er sie verletzt? Was ist so gekommen, worüber er angeblich froh ist? Und was war das für ein Büro?

Ich versuche, mich an mehr Details zu erinnern. Auf dem Schreibtisch lag Geschäftspapier mit einem Logo in Blau- und Grautönen, das ich schon mal irgendwo gesehen habe. Angestrengt versuche ich, das Bild in meinem Geist genauer zu betrachten, doch es scheint sich mehr und mehr zu verflüchtigen, je länger ich es fixiere. Bevor auch noch das Logo verschwindet, muss ich es aufzeichnen. Ich öffne die Augen und renne die Treppenstufen hinauf in den ersten Stock, hole meine Aquarellfarben und den Block aus dem Schrank. Noch ein Glas Wasser, dann beginne ich zu malen. Ein paar meiner Aquarelle zieren auch meine Wände hier oben, aber in meiner Mappe bunkere ich noch viel mehr davon – mein kleines Hobby.

Als ich fertig bin mit dem Bild schaue ich auf ein kleines graues C, das von einem großen graublauem C umschlossen wird, spiegelverkehrt findet sich dann nochmal dasselbe, wobei die beiden Seiten miteinander verschränkt sind.

Was ist das nur für eine Firma?

Ich kehre in den Verkaufsraum zurück, wo ich das Notebook unter dem Tresen hervorhole und aufklappe. Dann durchsuche ich die in Frankfurt ansässigen Firmen nach diesem Logo und es dauert nicht lange, bis ich fündig werde: Die Firma heißt yourFourCs (Creative Customer Computing Center) und bietet Softwarelösungen für Supply Chain Management (SCM) und Enterprise-Resource-Planning (ERP) an, was immer das sein soll. Der Firmensitz liegt im Frankfurter Stadtteil Niederrad.

Aufgeregt blättere ich durch die Internetseite der Firma, auch wenn ich kaum etwas von den technischen Dingen verstehe, die da präsentiert werden. Leider bilden sie keine Mitarbeiter auf ihrer Seite ab, aber man kann Fotos von dem Firmengebäude ansehen – eines von vielen Hochhäusern mit verspiegelten Gläserfronten. Über allem thront das Firmenlogo, welches man sogar von der Autobahn her erkennen kann, soweit ich mich erinnere.

Plötzlich fängt mein ganzer Körper an zu kribbeln.

Ich muss da hin, jetzt sofort!

Bei dem Schnee, wie er gerade wieder in fetten Flocken vom Himmel fällt, wagt sich heute sicher sowieso niemand mehr freiwillig aus dem Haus, um Blumen zu kaufen.

 

Kurzentschlossen schließe ich meinen Laden ab und mache mich auf den Weg. Die Kosten wachsen mir eh schon über den Kopf, da kommt es auf eine weitere Fahrt mit der S-Bahn auch nicht mehr an.

Hoffentlich spuckt der Geldautomat noch ein bisschen was aus, sonst wird es allmählich ziemlich eng.

Ich mache also noch einen Abstecher zum Automaten, doch dieser will mir partout keine Scheine mehr ausspucken. Da in meinem Geldbeutel ebenfalls gähnende Leere herrscht, krame ich in meinen Taschen nach Münzen, die ich aus Faulheit nach dem Einkaufen dort versenkt habe und werde fündig. Das Geld reicht gerade mal für die Hinfahrt nach Frankfurt, zurück muss ich dann wohl zu Fuß gehen, jemanden um Hilfe bitten oder wenn es nicht anders geht, ausnahmsweise mal Schwarz fahren. Diese Vorstellung behagt mir überhaupt nicht, doch ich kann einfach nicht davon ablassen, diese mysteriösen Visionen weiter zu verfolgen. Ich muss wissen, wer oder was dahintersteckt.

Es schmerzt, zu sehen, wie mein letztes Geld im Fahrkartenautomaten verschwindet. Dann warte ich zusammen mit einigen anderen Fahrgästen auf die S-Bahn. Wahrscheinlich liegt es an dem dichten Schneefall, dass sie sich um gut eine halbe Stunde verspätet. Frierend trete ich von einem Fuß auf den anderen. Endlich fährt die Bahn ein und ich kann mich ein bisschen aufwärmen. Auch der Anschlusszug verspätet sich, sodass ich wieder viel zu lange frierend am Bahnsteig warten muss.

Wenn das so weitergeht, komme ich in Niederrad an, wenn schon alle Mitarbeiter der Firma nach Hause gegangen sind, denke ich frustriert.

Als ich endlich in Niederrad eintreffe, strömen bereits jede Menge Leute in Businesskleidung aus allen Richtungen dem Bahnhof entgegen. Es scheint mir, als wäre ich die Einzige, die sich gegen den Strom bewegt, dennoch beachtet mich niemand. Die meisten gehen gebeugt mit zusammengezogenen Schultern, als müssten sie unter dem fallenden Schnee hindurchkriechen. Von dem gestrigen Marsch sind meine Stiefel noch immer feucht, in meinen Zehen sticht es vor Kälte, deshalb stampfe ich extra fest auf, um für ein bisschen mehr Wärme die Durchblutung anzuregen. Zuvor habe ich mir den Weg auf der Stadtkarte genau angeschaut, doch jetzt, wo ich hier zwischen den Häuserschluchten entlanglaufe und eine Glasfront der anderen zum Verwechseln ähnlichsieht, habe ich bald die Orientierung verloren. Auch das Logo kann ich nirgends entdecken. Ich fühle mich zunehmend elender. Die ganze Aktion war mal wieder so was von idiotisch, sinnlos und unnötig gewesen, das hätte ich mir wirklich sparen können.

Dieser erweist sich als einer der seltenen Momente, in denen ich doch wünschte, eines dieser modernen Handys zu besitzen, auf dem man seine Position auf der Landkarte bestimmen kann.

»Entschuldigen Sie. Können Sie mir sagen, wo ich die Firma yourFourCs finde?«, frage ich eine Passantin.

»Sorry, I don’t speak German«, antwortet sie schulterzuckend, dann läuft sie einfach weiter, will wohl so schnell wie möglich der Kälte entfliehen.

Der nächste deutet in eine Richtung, der ich vertrauensselig folge, doch entweder hat er sich einen Scherz erlaubt oder mich falsch verstanden, denn die Firma finde ich hier nirgends, stattdessen geht es schon langsam raus aus der Stadt. Entnervt kehre ich wieder um. Ich habe keine Lust mehr und will nur noch nach Hause. Sicher ist mein mysteriöser Mister X ohnehin schon längst nicht mehr auf der Arbeit.

Ach ja, ich weiß ja jetzt, dass er Alex heißt, fällt mir wieder ein.

Während ich weiter durch die Straßen irre, wird die Sehnsucht nach einem heißen Bad und einer Schokosahnetorte schier übermächtig.

Ob ich noch alle Zutaten zusammenbekomme, um mir eine zu backen, wenn ich wieder zu Hause bin?

Allerdings muss ich jetzt erst einmal wieder zurückkommen und da ich kreuz und quer umhergeirrt bin, weiß ich auch nicht mehr, wo es zum Bahnhof geht. Da sich die Straßen inzwischen geleert haben, ist da auch niemand mehr, den ich nach dem Weg fragen könnte. Und da fällt mein Blick plötzlich auf ein überdimensioniertes Firmenschild, das neben so einem Glaskasten aufgestellt wurde. Die doppelten Cs springen mir förmlich in die Augen. Ich kann es kaum glauben, dass ich das Gebäude tatsächlich gefunden habe. Ein breiter Aufgang führt zu einer gläsernen Drehtür, die mindestens doppelt so hoch ist, wie ich selbst. Dahinter erkenne ich eine große Eingangshalle, doch die Dämmerbeleuchtung und der verlassene Empfangstisch deuten darauf hin, dass zumindest die meisten Mitarbeiter bereits in ihren Feierabend verschwunden sind. Nur in einzelnen Fenstern des Gebäudes brennt noch immer Licht. Versuchshalber drücke ich an der Drehtür, wie zu erwarten bewegt sie sich nicht, stattdessen blinkt der Kartenscanner an der Wand auf.

Toll! Und was jetzt? Der ganze beschwerliche Weg, nur um einmal an der Drehtür zu drücken? Aber was habe ich auch erwartet? Dass Alex mir direkt in die Arme rennt?

Mein vager Plan war gewesen, einen Flyer für meinen Laden am Empfang abzugeben, kann ja sein, dass die Mitarbeiter mal ein blumiges Geburtstagsgeschenk für einen Kollegen benötigen. Das kann ich jetzt vergessen, dafür landet einer meiner Flyer im Postschlitz des Firmenbriefkastens.

Ich schicke einen letzten Blick die Glasfront hinauf und ernte ein paar Schneeflocken im Gesicht, eine landet auf meinen Wimpern und ich blinzele sie fort. Dann wende ich mich ab und stapfe davon. Da ich weder Handy noch Armbanduhr besitze, weiß ich nicht einmal, wie viel Uhr es ist. Hinter der Wolkendecke kann man die Sonne nicht sehen, doch es kommt mir so vor, als ob es bereits zu dämmern beginnt.

Wann geht die Sonne unter im April? So um zwanzig Uhr rum?