Seeleninfarkt - Rüdiger, Dr. Dahlke - E-Book

Seeleninfarkt E-Book

Rüdiger, Dr. Dahlke

4,3

Beschreibung

Mit mehr als neun Millionen Betroffenen allein in Deutschland sind Burn-out und Bore-out zu wahren Volksseuchen geworden. Was jedoch sind die Hintergründe für diese modernen Massenleiden? Und wie kann sich der Einzelne dagegen wappnen? Bestsellerautor Ruediger Dahlke sieht die Ursachen in einer Fehlentwicklung unserer Gesellschaft. Der Zwang zum Perfektionismus, überhöhte Ideale und beschleunigte Arbeitsabläufe führen auf vielen Ebenen – von der Wirtschaft bis zur Partnerschaft – direkt in den Seeleninfarkt. Der Schlüssel zur Gesundung liegt in einer achtsamen und beseelten Lebensführung, die auf ein bewusstes Ankommen im Hier und Jetzt zielt. Dahlkes Präventions- und Therapieprogramm umfasst Meditationen und Energieübungen, Ernährungsempfehlungen und Tools zur Entwicklung der eigenen Lebensvision. Damit ausgerüstet, können wir uns den Gefahren stellen und sie als Wachstumsmöglichkeit nutzen.

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Ruediger Dahlke

SEELEN

INFARKT

Zwischen Burn-out und Bore-out

Wie unserer Psyche wieder Flügel wachsen

1. eBook-Ausgabe

© 2012 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, Berlin · München

Umschlaggestaltung und Motiv: Dominic Wilhelm,

Hauptmann & Kompanie Werbeagentur

Satz: BuchHaus Robert Gigler, München

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

ePub-ISBN 978-3-943416-06-0

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

www.scorpio-verlag.de

DANK

Für Anregungen danke ich Margit Dahlke und Eckhard Graf.

Christa Maleri und Dorothea Neumayr gilt mein Dank für Korrekturen, Christine Stecher für ihr bewährtes Lektorat.

Rita danke ich für die schöne Zeit der Buchentstehung.

INHALT

Einladung zu einem neuen Lebensstil

TEIL I:

DAS MODERNE KRANKHEITSBILD SEELENINFARKT

Grundsätzliches zum Thema Infarkt

Depression und Zusammenbruch

Das Ausmaß des Schreckens: Zahlen und Fakten

Definitionen und Diagnosen

Wer ist von Burn-out betroffen und warum?

Rückblick und Status quo in der schulmedizinischen Diagnose

Be-Deutungen und Phasenmodell(e)

Die sieben Stufen des Abstiegs in den Seeleninfarkt

Individuelles Erleben und Fallbeispiele

Anzeichen und Vorbeugung von Infarkten

Diagnosehilfen (für Partner und Partnerinnen)

Warnsignale

Bore-out – Gegenpol und Ergänzung von Burn-out

Risikofaktor Unterforderung

Routine und ihre Schattenseiten

Auf der Suche nach den Hauptursachen für Seeleninfarkte

1. Faktor: Der Umgang mit Zeit

Überforderung und Stress

Lehrerberuf und Burn-out-Falle

Für etwas brennen oder an etwas verbrennen

Arbeitgeber und Firmenpolitik als Wurzel des Übels?

Kurzfristigkeit, Kurzsichtigkeit und das Problem der Einseitigkeit

Gefährliche Zeitvorstellungen im Privat- und Arbeitsleben

Lebenstempo, Zeitmanagement und die Qualität des Augenblicks

Die Herausforderung des Hier und Jetzt

2. Faktor: Wertewandel im Arbeitsumfeld

Erfolgsstreben

Wenn Materielles nicht mehr glücklich macht

Arbeit als Chance und Gefahr

Fragen der Entlohnung und Honorierung

Vom Beruf zum Job

Arbeitsalltag und Erfüllung

Missachtung seelischer Wahrheiten und Ziele

Informationsüberflutung, Multitasking und die neue (Un-)Freiheit

3. Faktor: Lebenssinn, Lebensinhalt

Was die Seele nährt

Mangel an sinnstiftenden Instanzen

Die Suche nach Halt

Eine persönliche Lebensphilosophie und Spiritualität

Die Chance der Neubesinnung

Hermetische Philosophie als Basis und Hilfe

Achtsamkeit für die Ur- oder Lebensprinzipien

Die Kraft der Hoffnung

Burn-out-Verstärker 

Äußere Einflüsse 

Ernährung

Mobilfunk und andere elektromagnetische Felder

Störzonen

Innere Einflüsse

Angst

Mobbing

Energielöcher, emotionale Problemfelder

Im Widerstand mit sich und der Welt leben

TEIL II:

PRAKTISCHE SCHRITTE IN EIN ERFÜLLTES LEBEN

Konventionelle Hilfsmaßnahmen und Symptomkosmetik

Die Wellnessoasen-Wirtschaft

Work-Life-Balance(-Seminare)

Die Burn-out-Industrie

Umkehr und Lösung einer heillosen Situation: meine Therapieempfehlungen

Die drei Hauptprobleme an der Wurzel packen

Ideal eines vom Seeleninfarkt nicht bedrohten Lebens

Ein fast schon archetypischer Fall

Auswege aus dem arbeitsbedingten Seeleninfarkt

Die Be-Deutung erkennen

Wie Sie wieder zu Kräften kommen und kraftvoll leben

Schwingungsfelder nutzen

Glück und Wohlbefinden essen

IT-Fasten

Mit Energiespendern in Resonanz gehen

Die Aufgabe von Nachtragen, (An-)Klagen und Jammern

Auf Körperrhythmus und Energiekurve achten

Im Hier und Jetzt ankommen

Die Kunst des Müßiggangs 

Der Weg in den Augenblick

Der verbundene Atem

Schweben im Wasser 

Schwebeliegen

Hilfen zur Sinnfindung

Psychotherapie

Meditation

Innere Bilderreisen

Beispiel einer Eigentherapie mit geführten Meditationen

Sich innere Heilbilder schaffen

Bei Überforderung und Burn-out

Bei Unterforderung und Bore-out

Aus der Glücksforschung lernen 

Der Fluss als Lebensmuster

Die Gefahrenzonen kennen und meiden

Lebensglück finden

Vom Überleben zum Leben

Bewusst in einer Welt aus Schwingungen und Feldern leben

ANHANG

Veröffentlichungen von Ruediger Dahlke

Adressen

Register

EINLADUNG ZU EINEM NEUEN LEBENSSTIL

Dieses Buch kann Ihr Leben verändern, und das muss es auch, wenn es aus dem Seeleninfarkt heraushelfen oder ihn verhindern soll. Es wird im Idealfall Ihr Lebensgefühl wandeln. Dies wird aber nur gelingen, wenn Sie Ihr bisheriges Weltbild infrage stellen und einer Revision unterziehen.

Als vom Burn-out betroffener Mensch stecken Sie im Augenblick in der Situation, dass Sie eigentlich alles so machen oder gemacht haben, wie es andere auch tun und wie es überall geschieht, nur vielleicht etwas engagierter und besser. Und doch oder gerade deswegen landen Sie in der Burn-out-Falle. Diese breite kollektive Strömung, die tief in verschiedenste Gesellschaftsbereiche reicht und das Krankheitsbild des Seeleninfarkts hervorbringt, gilt es zu durchschauen, denn nur einer bekannten Gefahr lässt sich wirksam widerstehen.

Betrachten wir also im Folgenden, was es für eine Welt ist, die in diesem Ausmaß das Krankheitsbild Burn-out heraufbeschwört. Anders gesagt, es geht in diesem Buch an erster Stelle um das Weltbild, das zum Seeleninfarkt führt, denn nichts anderes stellt ein Burn-out-Syndrom dar. Zwar lassen sich an den Bereichen Arbeit und Partnerschaft die problematischen Mechanismen am deutlichsten aufzeigen und die letztlich verblüffend einfachen Lösungen demonstrieren, aber die Beschäftigung mit diesen Themen sind nur Etappen auf dem langen Weg zu einem neuen Weltbild und Lebensstil. Praktische Hinweise liefert der zweite Teil des Buches.

Eine umfassende Neuorientierung ist im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur wichtig, tiefer hinter die Kulissen der Gesellschaft zu blicken, sondern auch weiter bis in spirituelle Dimensionen des Menschseins, die so stark in Vergessenheit gerieten, dass sie sich heute über Krankheitsbilder wie Burn- oder Bore-out und letztlich Seeleninfarkte Beachtung verschaffen.

TEIL I

DAS MODERNE KRANKHEITSBILD SEELENINFARKT

GRUNDSÄTZLICHES ZUM THEMA INFARKT

Mit dem Infarktgeschehen sind wir durch das Krankheitsbild Herzinfarkt längst gut vertraut. Wenn der Organismus in seinem zentralen Bereich überfordert ist, das Herz nicht mehr genug Nahrung, sprich Sauerstoff, erhält und in Teilen stirbt, sprechen wir von Infarkt. Der Herzinfarkt ist im Rahmen der allgemeinen Herzproblematik die häufigste Todesursache in der modernen Gesellschaft. Die Versorgung des Herzens mit Blut und folglich Lebenskraft wird abgeschnitten, und damit bricht das Gesamtsystem des Betroffenen zusammen. Der dabei entstehende sogenannte Vernichtungsschmerz ist der schlimmste, den ein Mensch erleben kann. Er zwingt in den Augenblick des Geschehens und dazu, dem Herzen die maximal mögliche Aufmerksamkeit zu schenken. Wird die eigene Mitte stranguliert, wendet sich jeder – gezwungenermaßen – seinem Herzen zu. Kein anderes Ankommen im Moment des Hier und Jetzt ist so abrupt und schmerzhaft. Alles dreht sich in dieser Situation um das Herz und die Frage, ob es weiterarbeiten wird oder ob das physische Leben an diesem Punkt endet. Jede Form von Infarkt – des Herzens oder der Seele – zwingt in den Augenblick, wenn auch auf schrecklich unerlöste Art und Weise.

Im Sinne meines Buches Krankheit als Symbol1führen Symptome zur Lösung und verhindern ein Weitermachen wie bisher, das in die Irre geführt hat. Die beiden Fragen »Woran hindert es mich?« und »Wozu zwingt es mich?« zeigen diesen Weg. Die weiterführenden Fragen »Warum gerade mir, gerade das, gerade jetzt?« können zur Standortbestimmung und Neubesinnung führen.

Bezogen auf den Seeleninfarkt, deutet sich die größte Chance schon mit dem Hier und Jetzt des Augenblicks an. Dorthin führt der Zusammenbruch im Burn-out, und darin liegt – aus spiritueller Sicht – auch die Chance des Wiederaufstiegs wie Phönix aus der Asche. Hier besteht zugleich die Möglichkeit echter Vorbeugung, und ein Leben in Achtsamkeit für den Augenblick ist auch das Ziel jedes spirituellen Entwicklungswegs. Vorbeugung geschieht, wenn es etwa gelingt, aus der Verzettelung in den Moment einzutauchen, aus dem Job einen Beruf zu machen, der zum Arbeiten und Sein im Augenblick des Hier und Jetzt animiert. Dann würde aus Arbeit Berufung und spirituelle Bewusstseinspraxis zugleich. Das ist sozusagen die erlöste Gleichzeitigkeit, die andere Seite jenes Multitaskings, das vor allem in die Burn-out-Falle führt.

DEPRESSION UND ZUSAMMENBRUCH

Mit der in unserer Gesellschaft herrschenden allgemeinen Körperfixierung war unser Blick lange auf körperliches Leid beschränkt. Jedoch ist unsere Seele mindestens ebenso vernachlässigt wie unser Körper, und die Folgen sind inzwischen unübersehbar. Sobald die Seele zu wenig Nahrung erhält und das Leben seinen Sinn verliert, droht der Seeleninfarkt. Wesentliche Teile der Seele nehmen nicht mehr am Leben teil, verweigern sich und sterben ab. Das Ergebnis ist Lethargie, wie sie sowohl bei Bore- und Burn-out als auch bei deren Eskalation, der Depression, typisch ist.

Die Schulmedizin und ihre Psychiatrie machen hier gar keine Unterscheidung, sondern erklären Burn-out und Depression für identisch. Doch rücken bei der Depression mit ihren Selbstmordgedanken das Thema Sterben und auch ungelebte Traurigkeit in den Mittelpunkt; insofern ergibt sich hier eine deutliche Differenzierungsmöglichkeit. So schlage ich vor, Depression als höchste Eskalationsstufe von Burn-out und Bore-out zu definieren; in Burn-und Bore-out also eine Vorstufe von Depression zu erkennen.2

Der Seeleninfarkt als Eskalation von Burn- und Bore-out und Depression ist ein Zeichen, dass alle Systeme zusammenbrechen. Betroffene verlieren nun jedes Interesse an ihrem Leben und am sozialen Umfeld; sie können und kommen nicht mehr mit. Zuvor haben sie sich meist lange zusammengerissen und sich alle erdenkliche Mühe gegeben.

Wenn Burn-out mit seinen vielfältigen Anzeichen in den Seeleninfarkt übergeht, fallen die Betroffenen im wahrsten Sinne des Wortes aus – etwa aus Berufs- und Beziehungsgefügen. Sie können den Schein nicht mehr aufrechterhalten. Ein roboterhaftes Weiterfunktionieren wie häufig in der Vorphase des Burn-out ist einfach nicht mehr möglich. Wie bei anderen Infarkten geht beim Seeleninfarkt gar nichts mehr. Es kommt zum Kollaps, wenn die Seele nicht mehr mitspielt. Die Betroffenen sind wie Herzinfarktpatienten auf ähnlich schreckliche Art im Augenblick gefangen und fühlen sich extrem unwohl und ausgeliefert. Im Seeleninfarkt erscheint das bisherige Leben als sinnlos und nicht fortsetzbar und vor allem nicht fortführungswürdig. Und doch kann gerade diese Situation zum Umschlagpunkt werden und in eine ganz andere Qualität führen.

Die entsetzliche Leere, die vom Seeleninfarkt Betroffene verspüren – häufig nach der Überladung und Reizüberflutung der modernen (Business-)Welt im Sinne sogenannten Multitaskings –, karikiert geradezu jene Leere, die der Buddhismus anstrebt und als hohes Ziel spiritueller Entwicklung propagiert. Im Burn-out ist man aber weit auf den Gegenpol zu jeglichem Ziel geraten; das Leben scheint ohne lohnende Inhalte und ohne lohnendes Ziel nichts mehr wert zu sein. Die erhebende, auch als Nirwana bekannte Leere des Buddhismus bezieht sich demgegenüber auf die Freiheit von jeglichen Gedanken und wird im Augenblick der Befreiung und des Hier und Jetzt erlebt. Das ist auch das eigentliche Ziel des Krankheitsbilds Seeleninfarkt und seine Lösung. Selbst wenn gänzlich unvorbereitete Menschen völlig unbeabsichtigt in den Augenblick des Hier und Jetzt gezwungen werden, erfahren sie dessen Kraft manchmal unerwartet positiv.

Eine Zeit, die sich völlig im Wenn und Aber verliert und den Augenblick des Hier und Jetzt weitgehend aus den Augen verloren hat, bekommt ihn über den Seeleninfarkt in seiner unerlösten Variante aufgezwungen. Es mag bereits deutlich geworden sein, wie vertraut uns einerseits das Thema ist und andererseits wie nahe bei allen Infarkten Gefahr und Lösung beieinanderliegen. Sie können Schluss und Umkehrpunkt wie auch Chance im Leben sein.

DAS AUSMASS DES SCHRECKENS: ZAHLEN UND FAKTEN

Die folgenden Kapitel mit ihren Zahlen und Definitionen können Sie als Betroffene auch getrost überspringen, ohne den roten Faden zu verlieren. Doch mag es hilfreich sein, zu erkennen, wie häufig das eigene Leid ist und wie allgemein verbreitet die Falle, in die Sie geraten sind.

Für die moderne Leistungsgesellschaft ist bezeichnend, wie rasch diese relativ neue Seuche des Seeleninfarkts um sich greift. Unsere zunehmend dem Materialismus verfallene Gesellschaft hat die Seele über Jahrzehnte vernachlässigt und wird nun dem Schattenprinzip3 gemäß dazu gezwungen, sich zunehmend über Krankheitsbilder mit ihr zu beschäftigen.

Das internationale Handbuch seelischer Störungen (DSM) umfasste nach dem Zweiten Weltkrieg 26 Störungen; diese Liste wurde inzwischen auf knapp 400 aufgestockt. Addiert man die in diesem Handbuch angegebenen Häufigkeiten, ist über die Hälfte unserer Bevölkerung psychisch krank. Es ist also schon »normal«, seelisch krank zu sein.

Besonders heillos an dieser Situation ist, dass in Psychiatrie und Psychologie alles Definitionssache ist und das ganze Gebiet sich entsprechend als schwammig darstellt. Das wiederum wird von Pharmafirmen ausgenutzt, die zu ihren Drogen eifrig Krankheitsbilder erfinden. Ein Beispiel war das sogenannte Sissi-Syndrom, eine »psychische Störung«, an der die österreichische Kaiserin Elisabeth gelitten haben soll, bei der Missstimmung und Niedergeschlagenheit mit Heiterkeit überspielt werden. Wer will, könnte darin auch ein sich anbahnendes Burn-out-Syndrom erkennen. Ein anderes Beispiel ist, dass gerade erst der Entdecker der kindlichen Hyperaktivität auf dem Sterbebett gestanden hat, dieses Krankheitsbild passend zum entsprechenden Medikament erfunden zu haben. Der Zappelphilipp aus dem Struwwelpeter lässt grüßen.

Zu der Beliebigkeit der Benennung kontrastiert meist das schwere Leiden Betroffener. Nach Angaben der größten deutschen Ersatzkasse, Barmer GEK, sind psychische Ursachen der häufigste Grund für eine Krankenhauseinweisung, deutlich vor Herzinfarkt oder Rückenschmerzen. Die Zahlen der Deutschen Rentenversicherung ergeben außerdem laut Nachrichtenmagazin Der Spiegel4, dass psychische Störungen der häufigste Grund für Erwerbsminderungsrenten sind. In den letzten zehn Jahren sei deren Anteil von 24 auf knapp 40 Prozent gestiegen. Davon entfallen wiederum 40 Prozent auf depressive Störungen, also auch auf deren Vorstufe Burn-out. Die Barmer GEK verzeichnet einen Zuwachs der Depressionsbehandlungen in den letzten zehn Jahren um 117 Prozent. Das Deutsche Ärzteblatt zitiert eine Studie der Techniker Krankenkasse: »Jeder dritte Deutsche ist im Dauerstress.« Laut Virchow-Bund sind auch 80 Prozent der niedergelassenen deutschen Vertragsärzte selbst von Burn-out-Aspekten betroffen; fünf bis zehn Prozent sogar vom Vollbild.

Die Studie »Erholungsfähigkeit und Burn-out« der Bertelsmann Stiftung findet noch Erschreckenderes: Demnach gibt jeder zweite Befragte hohe oder erhöhte Belastungswerte im Arbeitszusammenhang an, jeder Dritte im persönlichen Bereich. Die Studie bringt ans Licht, dass es sich bei den Klagen um hohe Belastung, Ausgelaugtsein und mangelnde Regenerationsmöglichkeiten nicht um ein reines Arbeitsweltphänomen handelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches. Hohe Burn-out-Zahlen und schlechte Erholungsqualität finden sich unabhängig von beruflicher Stellung, Geschlecht und Alter. Lediglich körperlich aktive Personen schneiden durchschnittlich besser ab.

Aufrüttelnd ist auch, dass der Altersdurchschnitt der Betroffenen ständig sinkt. Selbst Dreißigjährige zählen mittlerweile zu den Opfern, und das Krankheitsbild kann offenbar alle möglichen Berufsgruppen treffen, wobei Männer auf dem Karrieretrip, die sich als Leistungsträger fühlen, vorrangig darunter leiden oder jedenfalls am meisten Beachtung auf sich ziehen. Nach meinen Erfahrungen ist die Betroffenheit in den obendrein miserabel entlohnten Sozialberufen ganz ähnlich groß und das Leiden mindestens so schwerwiegend. Und auch an die wachsende Zahl alleinerziehender überforderter und ausgelaugter Mütter ist zu denken; bei Bore-out werden leicht Frühpensionierte und Arbeitslose vergessen.

Burn-out, das vor wenigen Jahren kaum ein eigenständiges Thema war, wird als Krankheitsbild in Bevölkerung und Medien inzwischen akzeptiert. Dennoch bleibt seine Bewertung sehr ambivalent. Nach aktuellen Schätzungen leiden etwa 25 Prozent der berufstätigen Deutschen an Burn-out, wobei sich mit 30 Prozent der Bevölkerung relativ wenige davor fürchten. Die DAK (Deutsche Angestellten-Krankenkasse) stellte in einer Untersuchung fest, dass sich 73 Prozent ihrer Versicherten vor Krebs fürchten, 53 Prozent vor Unfällen, 52 Prozent vor Schlaganfällen und die Hälfte vor Alzheimer. Verglichen damit, ist das Krankheitsbild Burn-out also noch viel zu wenig ins Bewusstsein vorgedrungen; es wird jedenfalls als vergleichsweise weniger bedrohlich eingeschätzt.

DEFINITIONEN UND DIAGNOSEN

WER IST VON BURN-OUT BETROFFEN UND WARUM?

Allenthalben hört man von Burn-out. Die Medien bringen es als Schlagzeile oder Titelthema; zahlreiche Studien widmen sich dem Problem des Ausgebranntseins. Fast alle benennen Überlastung durch Arbeitsstress als Ursache. Sie polarisieren aber hinsichtlich der Verantwortung. Entweder wird sie dem Einzelnen zugeschoben, weil der Betroffene perfektionistisch sei oder Raubbau an seinen Energiereserven treibe, oder den Firmen, weil sie zu viel Druck machten.

Vor dieser vereinfachten Sicht warnt der Psychiater Professor Ulrich Hegerl, Experte für Burn-out und Depression: »Stress im Job ist oft nicht die Ursache – und eine Auszeit kann alles noch viel schlimmer machen.« Dem entspricht die Erfahrung, dass Burn-outverdächtige Patienten in aller Regel zuerst eine Woche »krankgeschrieben« werden, dann zwei, dann vier und so weiter. Wenn aber die Regenerationsfähigkeit gestört ist, was gar nicht selten der Fall ist, bessert sich dadurch nichts, sondern es wird eher dem sozialen Abstieg Vorschub geleistet. Unter Kollegen und im sozialen Umfeld gelten die Betroffenen als nicht mehr belastbar, was natürlich stimmt.

Aber auch »Diagnosen«, wie unzuverlässig, unwirsch, selbstbezogen, übertrieben empfindlich bis wehleidig und sich selbst bemitleidend, werden gestellt, bis hin zur Klassifizierung als Drückeberger. Firmen versuchen, Betroffene – jedenfalls bei schwacher Konjunktur – schnell und vorrangig loszuwerden, und die Chance auf Therapie und Umkehr des Prozesses wird oft vergeben.

Von Medizinern wird der Begriff Depression klar vorgezogen, obwohl er von der Bevölkerung als deutlich diskriminierender abgelehnt wird. Doch hängt der Bezeichnung Burn-out ebenfalls etwas Negatives an, weil das Modewort auch einigen Trittbrettfahrern scheinbar bequeme Ausstiegsmöglichkeiten eröffnet. Das Wort Seeleninfarkt wird der Problematik des Burn-outs in seiner Vielschichtigkeit von daher besser gerecht.

Leistungsunfähigkeit ist in einer Leistungsgesellschaft immer eine Provokation, denn die massenhafte Diagnose Burn-out signalisiert ihr: Hier läuft etwas grundsätzlich gegen ihre (Wirtschafts-)Interessen. Solange nur wenige betroffen waren, ließ sich das leichter auf deren persönlichen Lebensstil schieben. Als Massenphänomen zeigt der Seeleninfarkt aber, dass in der Gesellschaft insgesamt etwas aus dem Ruder läuft. Wobei in Schuldzuweisungen nie Lösungen liegen, gleichgültig ob Firmen die Verantwortung vorrangig bei der Einzelperson oder Wissenschaftler und Betroffene sie eher bei der modernen Arbeits- und Lebenssituation sehen. In der Projektion von Schuld liegt weder eine Chance noch eine Lösung. Es ist die vielschichtige Wirklichkeit und unsere Resonanz zu ihr, die es zu erfassen gilt, um herauszufinden, welche Lernaufgaben die zunehmenden Seeleninfarkte stellen und wo und wie wir daran wachsen können. Wichtig ist auch, mit Albert Einstein zu erkennen, dass Problemraum nie Lösungsraum ist. Das heißt, die Lösung liegt in der Regel tiefer als die Ebene, wo sich die Probleme zeigen. Wird eine Wiese von Maulwurfshaufen verunziert, ist jedem klar, dass die Lösung nicht auf dem Niveau des zerstörten Rasens liegt, sondern im Erdreich, wo »Grabowski« sein geschäftiges und in den Konsequenzen störendes Unwesen treibt.

RÜCKBLICK UND STATUS QUO IN DER SCHULMEDIZINISCHEN DIAGNOSE

Der Begriff Burn-out wurde im Jahr 1974 erstmals von dem amerikanischen Psychoanalytiker Herbert Freudenberger verwendet. Allerdings hatte schon ein Jahrhundert zuvor der amerikanische Neurologe George M. Beard das Bild der Neurasthenie in die Medizin eingeführt, das rasch aufgegriffen wurde und dem Burn-out sehr weitgehend entspricht: Überreizung, Erschöpfung, Kraftlosigkeit und anderes mehr. Interessanterweise machte Beard dafür ursächlich die entwurzelnde Tendenz der industriellen Revolution verantwortlich. Die sensationshungrige Presse und vor allem die Hektik durch die neue Telegrafentechnik, aber auch das sich zart abzeichnende Erwachen der Frauen für ihre Rechte erschienen ihm als Ursache verdächtig. Hinsichtlich der Projektion von Verantwortung hat sich also wenig geändert. Sicher ist es auch kein Zufall, dass beide US-Amerikaner waren. In ihrem Land fanden sie jedenfalls viel Stoff zum Thema. Doch auch hierzulande charakterisierte Thomas Mann bereits um 1900 am Beispiel seines Romanhelden Thomas Buddenbrook die Symptomatik eines Burn-outs.

Früher als Burn-out bürgerte sich der Ausdruck Workaholic ein, und auch der Arbeitssüchtige hat viel mit dem modernen Burn-out-Kandidaten gemein. Die Definition der Neurasthenie ist bis heute in der gängigen schulmedizinischen Klassifikation anerkannter Krankheitsbilder an prominenter Stelle zu finden, während Burn-out nur eine Rand- und Ausschlussdiagnose bleibt. Letzteres bedeutet, die Diagnose wird nur gewählt, wenn alle anderen ausgeschlossen sind und dem Mediziner sonst nichts mehr einfällt. Burn-out stellt damit letztlich eine Verlegenheits- und Modediagnose zum sozial anerkannten Abfedern des Scheiterns gestresster Menschen dar, die im Rattenrennen beziehungsweise Hamsterrad nicht mehr mithalten konnten. Laut Schulmedizin handelt es sich jedenfalls nicht um eine eigene klinische Symptomatik, sondern um eine (Vorstufe der) Depression. Am einfachsten macht es sich bei der Definition die klassische Psychiatrie. Für sie steckt hinter dem Modewort Burn-out überhaupt eine Depression.

Nach der gängigen internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-10) ist demnach die Diagnose Depression zu stellen, wenn ein Patient mindestens zwei Wochen unter zwei der folgenden Hauptsymptome leidet: a) depressive Stimmung, b) erhöhte Ermüdbarkeit, c) Verlust von Interesse oder Freude. Außerdem wenn der Patient mindestens zwei der folgenden Nebensymptome aufweist: a) verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, b) vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, c) verminderten Appetit, d) Schlafstörungen, e) Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, f) Suizidgedanken oder -handlungen, Selbstverletzungen, g) Zukunftsängste.

Bei strenger Anwendung dieser Definition wären wohl große Teile der Bevölkerung als depressiv zu bezeichnen – und leider stimmt das wahrscheinlich auch. Andererseits sind viele, nachdem sie etwa der Partner verlassen hat, mehr als zwei Wochen depressiv verstimmt, und es vergeht ihnen auch für eine gewisse Zeit die Freude am Leben, wodurch die beiden Hauptsymptome bereits beisammen sind. Wenn sie dann noch einen kaum überraschenden Einbruch beim Selbstwertgefühl erleiden und ihnen der Appetit vergeht, würden sie bereits die Diagnose Depression verdienen. Daran erkennt man, wie schwammig die Definition dieses Krankheitsbilds selbst in der Psychiatrie ist.

Da die Schulmedizin weder eine verlässliche Definition noch eine sichere Diagnose anzubieten hat, ist es nicht verwunderlich, wenn von ihrer Seite auch sinnvolle Therapien fehlen. Die Gabe von Psychopharmaka ist meist wenig hilfreich. Im überdrehten Zustand vor dem Zusammenbruch reicht das Spektrum der verordneten Medikamente von Betablockern über Diazepin (Valium) bis zu massiven Beruhigungs- und Schlafmitteln. Nach dem Seeleninfarkt kann aber kein Medikament die Energie zurückbringen; hier hat die Pharmakologie nichts zu bieten.

Eigentlich ist es egal, wie wir das Elend nennen, wenn wir nur wissen, was wir meinen. Und warum sollen wir es nicht Burn-out und Bore-out nennen und das Ergebnis Seeleninfarkt, wenn es Betroffenen so viel lieber ist und weniger diskriminierend erscheint? Zu der Diagnose Depression will ja kaum jemand stehen, wohingegen die Diagnose Burn-out von manchen fast als Auszeichnung angenommen wird. Insofern ist der Wunsch vieler Psychiater, die Bezeichnung Burn-out wieder abzuschaffen und das Elend beim alten Namen Depression zu nennen, zwar typisch für die Medizin, aber wenig hilfreich für Patienten.

Als ich vor Jahren das Buch Depression – Wege aus der dunklen Nacht der Seele schrieb, zeichnete sich diese Entwicklung schon ab. Wenn ich das Buch später bei Betroffenen sah, war es oft auf altmodische Art mit einer Schutzhülle versehen, was sonst kaum mehr vorkommt. Öfter wurde mir von Buchhändlern gesagt, es sei mein bestes Buch, nur leider mit diesem Titel schwerer verkäuflich als die anderen. Depression verkauft sich wirklich schlecht; Burn-out ist im Vergleich dazu wesentlich ansprechender. Ersteres ist der Überfall des Schattens und die Konfrontation mit unbewussten Themen wie Tod und Trauer; Letzteres hat man sich gleichsam durch übertriebenen (Arbeits-)Stress hart verdienen müssen.

Die Definition stellt letztlich nicht das Problem dar, aber Gefahr ist im Verzug, wenn Menschen mit relativ harmlosen Aspekten von Burn-out zu Kranken stilisiert werden und man andererseits eine manifeste Depression als Burn-out und Modekrankheit bagatellisiert. Ulrich Hegerl, Psychiatrieprofessor in Leipzig, warnt davor, dass Depressive durch die typischen Ratschläge für Burn-out-Patienten, wie längere Schlafzeiten und Pausen, Verschlimmerungen erleben könnten. Eine weitere Gefahr entsteht, wenn die neu geschaffene »Burn-out-Industrie« sich auf die harmloseren und weniger behandlungsbedürftigen Fälle stürzt und schwer Depressive keine Therapieplätze mehr bekommen, wofür es bereits Anzeichen gibt.

So wäre es gut, wir würden – schon dem Empfinden der Patienten zuliebe – zur Bezeichnung Burn-out wechseln, aber – der Gesundheit der Betroffenen zuliebe – dabei im Auge behalten, dass es sich um eine Depression(sform) handelt. Am einfachsten ist es, grundsätzlich vom Seeleninfarkt zu sprechen, mit der feineren Untergliederung in Burn-out und Depression als dessen Vorstufen und Bore-out als Variante vom Gegenpol, die statt durch Über- eher durch Unterforderung und Langweile entsteht.

BE-DEUTUNGEN UND PHASENMODELL(E)

Burn-out ist heute also eine »Diagnose«, die gesellschaftlich anerkannt ist, und dies hat Einfluss auf die Gesellschaft, über die sich Politiker und Konzernchefs Gedanken machen (müssen). Aus dem Dilemma einer fehlenden verlässlichen Definition der Schulmedizin, dem daraus resultierenden Mangel an sicherer Diagnosestellung und hilfreicher Therapie einerseits und der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung andererseits entwickelte sich eine Art Schwemme von Definitionen, die alle nur die Oberfläche des Phänomens berühren und auf Symptombeschreibungen hinauslaufen. Ein halbes Hundert Definitionen und eine ebenso uneinheitliche Einteilung in drei bis dreißig Phasen be- und verhindern eher, als Klarheit zu schaffen.

Doch auch diese Situation verdient eine Deutung: Die Schulmedizin weiß hier nicht wirklich Bescheid; dies ist auch naheliegend, da es sich um ein weitgehend seelisches Problem handelt. Positiv daran ist, dass wir Therapeuten den Betroffenen mehr zuhören und sie auch in keine »Schublade« einordnen werden – da es eben keine eindeutige gibt, sondern jeden Patienten höchst individuell zu behandeln haben. Auf der anderen Seite sind die zugrunde liegenden archetypischen und oft sogar kollektiven Muster und Lernaufgaben doch unübersehbar und wesentlich.

Aus meiner Sicht ist es durchaus im Sinne der Betroffenen, die ersten Stufen Burn-out zu nennen und damit eine nicht mit so viel Schrecken behaftete Diagnose zu wählen, den schweren Zustand aber weiterhin als Depression anzusprechen. Bore-out ist die Depressionsvorstufe vom Gegenpol: Unterforderte geraten buchstäblich in Gefahr, sich zu Tode zu langweilen. Seeleninfarkt bezeichnet schließlich den Zusammenbruch, der das Leben zum Stillstand bringt. Er ist also das Resultat von unbehandeltem Burn- und Bore-out und schwerer Depression.

In der Fülle der Definitionen finden wir einige wichtige Hinweise. Das Burnout.net definiert: »Ein Burnout-Syndrom ist ein Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit, der als Endzustand einer Entwicklungslinie bezeichnet werden kann, die mit idealistischer Begeisterung beginnt und über frustrierende Erlebnisse zu Desillusionierung und Apathie, psychosomatischen Erkrankungen und Depression oder Aggressivität sowie einer erhöhten Suchtgefährdung führt.« Zentral ist hier die Enttäuschung des ursprünglichen Idealismus durch frustrierende Erfahrungen mit dem Resultat von Apathie und Lethargie.

Meine Deutung im Sinne von Krankheit als Symbol besagt, dass eine mehr oder weniger große Täuschung in der Ent-Täuschung ihr Ende findet und sich die Betroffenen in einer Situation wiederfinden, die keinerlei Pathos (A-pathie) mehr erlaubt. Jegliches Pathos bricht zusammen und – da man auf sich selbst zurückgeworfen ist – oft auch die ganze Fassade des Lebens. Daraufhin zeigen sich dann Leere und Sinnlosigkeit. Die Definition stammt noch aus den Erfahrungen mit Helferberufen, mit denen die Burn-out-Forschung begann. Bei Lehrerinnen ist bis heute Burn-out die häufigste Ursache für Frühpensionierung.

Nach meinen Erfahrungen sind hier Bore-out-Aspekte oft mit dabei. Eine inhaltliche Nähe ergibt sich auch zum Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS: Chronic Fatigue Syndrome), bei dem

»lähmende geistige und körperliche Erschöpfung und rasche Erschöpfbarkeit« im Vordergrund stehen. Das CFS wurde – schulmedizinisch – auch schon als Autoaggressionskrankheit bezeichnet. Aus Sicht von Krankheit als Symbol handelte es sich um einen Amoklauf des Immunsystems. Es beginnt, Krieg gegen die eigenen Körperstrukturen zu führen. Wir erkennen auf der seelischen Ebene einen Akt der Selbstzerfleischung, der sich auch im Burn-out zeigt, etwa wenn Perfektionisten mit Riesenanspruch kein gutes Haar an sich und ihren Leistungen lassen und sich mit Selbstkritik zermürben. Neben chronischer Erschöpfung kommen beim CFS anhaltende Zustandsverschlechterungen nach Anstrengungen, nicht mehr regenerierend wirkender Schlaf, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hinzu, außerdem körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie ebenso undifferenzierte Empfindlichkeit der Lymphknoten.

Auch zur Hyperaktivität gibt es große Nähe.5 Diese trifft nicht nur Jungen mit ADHS-Syndrom, sondern auch deren Väter auf der Karriereleiter der Hochleistungsgesellschaft. Aufmerksamkeitsmangel (engl. attention deficiency) ist eine wichtige Komponente bei Burn-out, bei dem Konzentrationsmangel und Nicht-abschalten-Können oft gemeinsam auftreten und die Betroffenen selbst nächsten Angehörigen keine Aufmerksamkeit mehr schenken (können). Typischerweise versuchen Betroffene bei beiden Krankheitsbildern häufig zuerst, Überlastung mit weiterer Belastung zu kompensieren. Wenn trotz Mehraufwand und Mehreinsatz an Zeit und Energie die Leistung abzufallen beginnt, bahnt sich das Burn-out an.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es sich bei Burn-out um extreme Erschöpfungszustände in körperlicher, seelischer, emotionaler, geistiger und sozialer Hinsicht handelt. Alles strengt an, nichts motiviert mehr, alles ist den Betroffenen zu viel. Es fehlt an inneren Bildern beziehungsweise Motiven und damit an Motivation zum Weitermachen. Das langfristig Bedrohliche ist der häufige Ausfall der Regenerationsfähigkeit.

Die Eskalation kann von anfänglichen Schlafstörungen über Herzrhythmusstörungen wie Anfällen von Herzrasen, aber auch Kopf- und Rückenschmerzen, Verdauungsstörungen bis hin zu Drogenmissbrauch und einer erheblichen Suchtgefahr in Bezug auf »fitmachende« Drogen wie Kokain gehen. Auch schulmedizinische Drogen wie Provigil, ein verschreibungspflichtiges Medikament gegen Narkolepsie (Einschlafkrankheit), ist in Managerkreisen zunehmend in Ge- beziehungsweise Missbrauch. Hoher Alkohol- und Kaffeekonsum stellen ebenfalls eine Gefahr dar. Während Kaffee missbraucht wird, um sich wach und leistungsfähig zu fühlen und die heute so überwichtige Performance zu sichern, verstärkt Alkohol vor allem Fluchttendenzen. Ein unbehandeltes Burn-out-Syndrom führt zu Depressionen bis hin zu Suizidgedanken.

Ein erstes Anzeichen für eine Burn-out-Gefahr kann darin bestehen, an Arbeitstagen nicht mehr genügend Regeneration zu finden und sie auf das Wochenende zu verschieben. Im gesunden Zustand erholt man sich jeden Abend und jede Nacht für den nächsten Tag. Die nächste Stufe ist erreicht, wenn auch die Wochenenden nicht mehr genügend Regeneration bringen und der Urlaub zum Rettungsanker wird. Sobald auch in den Ferien keine Regeneration mehr erreicht wird, droht das Vollbild des Burn-outs mit der Gefahr des Seeleninfarkts. Dieser ereignet sich also praktisch nie aus heiterem Himmel, sondern eskaliert über viele Stationen und oft über Jahre mit allmählich zunehmendem Leidensdruck. Wenn Burn-out als plötzlich auftretendes Geschehen wahrgenommen wird, haben sich Betroffene meist über lange Zeit extrem zusammengerissen. Sobald das nicht mehr gelingt, treten viele Symptome auf einmal auf, und es kommt zum Bild des akuten Zusammenbruchs im Seeleninfarkt.

Bei den Betroffenen finden sich häufig Defizite im Selbstbild wie mangelnde Eigenakzeptanz bei gleichzeitig übersteigertem Bedürfnis nach Anerkennung, überzogener Idealismus mit Selbstüberschätzung und Perfektionismus. Erschwerend kann eine verringerte Widerstandskraft bezüglich Druck und Stress hinzukommen.

Die sieben Stufen des Abstiegs in den Seeleninfarkt

Aus dem Chaos von Einteilungen in bestimmte Burn-out-Phasen lassen sich die wesentlichen sieben wiederkehrenden Stadien herauskristallisieren und charakterisieren. Allerdings können sie sich durchdringen und auch parallel vorkommen.

Die Burn-out-Stufen erinnern an die sieben Chakren im spirituellen oder die sieben Stufen der Jakobsleiter im christlichen Sinn. Doch es sind keine Entwicklungsstufen des geistig-seelischen Aufstiegs, sondern im Gegenteil Etappen des Abstiegs. Die Betroffenen durchlaufen hier gleichsam den umgekehrten Entwicklungsweg und gelangen zurück zur untersten Stufe, bei der es schlicht ums Überleben geht. Beginnen wir gleichsam mit der »erleuchteten« obersten Stufe.

1. Im ersten idealistischen Stadium herrschen oft Enthusiasmus und Euphorie. Man will es (sich und) der Welt zeigen, sie erobern und unterwerfen. Die Lust auf Erfolg und Karriere, Geld und Status dieses Seeleninfarktanwärters fordert seine Chefs geradezu auf, die übersprudelnde Energie auf ihre beziehungsweise die Mühlen der Firma zu lenken. Solange die Betroffenen für sich Aufstiegschancen und die große Karriere wittern und die Firma von ihrem enormen Engagement profitiert, ist die Welt noch mehr als in Ordnung. Man sehnt sich nach Bewährung, und Herausforderungen sind mehr als willkommen. So reißen sich die Kandidaten gleichsam um die stressigsten Aufträge, um die Konkurrenz in den Schatten zu stellen und selbst besonders zu glänzen und aufzusteigen. Die Identifikation mit Arbeit und Firma ist meist total.

In Sozialberufen ist diese erste Phase oft von großem Idealismus bestimmt, und spätere Seeleninfarktkandidaten engagieren sich über alle Maßen. Im Anfangsstadium kann das Bedürfnis, zu helfen, zu verbessern und zu heilen, von entscheidendem Einfluss sein. Helfende Berufe ziehen Menschen mit Helfersyndrom geradezu an und erschöpfen sie in der Regel schnell. Hier sind zudem viele Entwicklungshelfer und Tierschützer, Umweltaktivisten und Streiter für eine bessere Welt angesprochen, aber auch Krankenschwestern und Lehrerinnen. Heute kommen zunehmend Alleinerziehende hinzu, die anfangs hoffen, alles allein zu schaffen, und dabei ihre Enttäuschung erleben.

Solange in der ersten Gruppe der Manager Karrieresprünge und finanzielle Belohnungen für Aufwind sorgen, für den Aufwand entschädigen und den Erfolg anzeigen und in der zweiten Gruppe die Helfer zumindest Achtungserfolge verzeichnen, kann das erste Stadium sehr genossen werden. Die Betroffenen sind so eins mit ihrer Aufgabe und gleichsam gefangen von ihrem Engagement, dass sie nur die positive Seite ihres vollständigen Sicheinbringens und -einsetzens sehen, und tatsächlich kommt es zum so wichtigen Eintauchen in den Augenblick, in dem alles andere vergessen wird. Aber falls das Thema nicht wirklich stimmt und keinen letzten Sinn ergibt, liegt im Vergessen der Umgebung schon eine gewisse Gefahr.

In der ersten Gruppe wird irgendwann der fordernde und fördernde Chef (der eigenen Karriere) im Weg stehen. Und in der zweiten wird der engagierte Kämpfer für Tierrechte merken, dass er zwar oft einzelne Tiere vor dem Schlimmsten bewahren kann, aber Fleischkonsum und daraus folgend Massentierhaltung dramatisch zunehmen und er bei den großen, wesentlichen Themen auf Granit beißt, sobald Wirtschaftsinteressen ins Spiel kommen. LehrerInnen erleben ähnlich massiven Widerstand, sobald sie anfangen, die grundsätzlichen Missstände infrage zu stellen. Ihre »Knackpunkte« reichen von Mangel an Geld bis zu politischem Unwillen. Wenn sie beginnen, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen, und in Routine »machen«, zeichnet sich bereits die Bore-out-Situation am Horizont ab.

2. Jetzt wächst die Gefahr von Stagnation und Resignation, und wir erreichen das nächste Stadium. Die Belohnungen auf dem Karrieretrip werden mit der Zeit schal und können für den geleisteten Mehraufwand nicht mehr entschädigen. Selbst Boni verlieren ihren Reiz, wenn die Lebenszeit sich zunehmend mit Stress füllt und zwischen den geschäftigen Fingern zerrinnt. Sobald der Enthusiasmus nachlässt, wird auch die Energie geringer, und in einer Welt, die auf Zuwächse gepolt ist, geht es jetzt schon bergab. Lediglich die Leistungshöhe zu erhalten ist heute längst nicht mehr ausreichend, sondern gilt bereits als Stagnation. In der Entwicklung des Seeleninfarkts ist es die Phase, in der mit Steigerung der (Arbeits-)Dosis nichts mehr zu gewinnen, sondern höchstens der Niedergang zu verlangsamen ist.

In den Sozialberufen kommt es zwar noch zu hart erfochtenen Einzelerfolgen mit den anvertrauten Menschen, aber wenn sich abzeichnet, wie dramatisch die Gesamtentwicklung in die falsche Richtung läuft, sind hier viele schon angeschlagen und flüchten sich in Ablenkungen. Wo diese dann nicht tragen, entwickeln sich Ansätze des Bore-out-Syndroms. Die Freizeit- und Fun-Gesellschaft bietet meist keine Alternativen, sondern langweilt die Seele, die viel tiefere Ansprüche hat.

Die Bore-out-Symptomatik ist schon deshalb schwer zu fassen, weil die Bewusstwerdung von der intellektuellen Durchdringung der eigenen Problematik abhängt. Das Symptom ist nicht so akut und macht sich noch nicht im Bewusstsein breit, auch weil es keinerlei gesellschaftlich definierte Deutungsmuster dafür gibt. Bore-out kann in Phase zwei beginnen, doch wird darauf nur aufmerksam, wer (noch) in der Nähe zur eigenen Mitte lebt und sich selbst gut kennt.

3. Dieser Zustand von Langeweile kann fließend in die dritte Phase der Enttäuschung übergehen, wobei sich die Enttäuschung schon in der Stagnations- und Resignationszeit anbahnt. Nun gehen sowohl der Kampf gegen die Überlastung als auch die Aussicht auf den großen Erfolg verloren. Die Hoffnungen werden enttäuscht; die Perspektive hat sich als Illusion erwiesen, und Frustration kehrt ein. Jetzt lässt sich die Fassade auch im sozialen Umfeld kaum mehr aufrechterhalten. Beziehungen scheitern; Freundschaften zerbrechen. Die Betreffenden leisten zwar tendenziell weniger, gewinnen aber trotzdem keine Zeit, weder für nahestehende Menschen noch für sich selbst. In dieser Phase gleichen sich die Situationen in Managerpositionen und Sozialberufen; Burn- und Bore-out-Opfer werden sich ähnlicher. Nach Jahrzehnten werden diejenigen, die noch für ihre Aufgabe brennen, in beiden Arbeitsbereichen selten. Die Mehrheit ist enttäuscht, frustriert und in Routine erstarrt.

Nun kommen sich Burn- und Bore-out sehr nahe, und beides geht oft Hand in Hand. Ausgebrannte Ausgemusterte langweilen sich häufig zu Tode. Potenziell droht jedem Arbeitslosen Bore-out. Doch auch in Routine Erstarrte, die ihrer Pension entgegenleiden, langweilen sich schrecklich. Sie haben lediglich ein Arrangement gefunden, das den Seeleninfarkt für andere nicht so deutlich werden lässt. Hierher gehören all jene, die – drastisch gesprochen – schon mit 30 sterben und sich erst mit 80 zu Grabe tragen lassen. Sie brauchen dringend Hilfe in diesem halben Jahrhundert ungelebten Lebens. In der harten Wirklichkeit können sie nicht einmal auf eine Burn-out-»Diagnose« und entsprechende »Kur«-Industrie rechnen, wie die spektakulärer scheiternden Ausgebrannten.

4. Das vierte Stadium markiert den Punkt, an dem es zum Zusammenbruch kommt und damit zum eigentlichen Seeleninfarkt. Ist das Maß voll genug, kann beinahe alles zum Auslöser werden; da reicht eine ausgebliebene Beförderung, eine partnerschaftliche Enttäuschung, ein kleiner Unfall oder lediglich eine unerwartete Kritik. Damit brechen auch bisherige soziale Rücksichten weg.

Die Betroffenen verbrauchen ihre Energie für sich selbst und haben doch keine. Nun beginnt die Energiesituation in den Gegenpol umzuschlagen. Galt anfangs das Motto: »Was kostet die Welt«, ist diese jetzt scheinbar nicht mehr zu bewältigen.

5. In der nächsten Phase wird aus dem ursprünglichen Überflieger ein hilfloses Kind, das unter Umständen auf ein reiches Repertoire an früher gelernter Hilflosigkeit zurückgreift und zur Belastung jeder Beziehung wird. Ist keine vorhanden, droht der Absturz ins schier Bodenlose. Nun entwickelt sich Lethargie. Man schleppt sich nur noch mühsam dahin, von Mithalten keine Spur mehr; aber völliges Loslassen gelingt auch (noch) nicht. In der Lethargie klingt schon das Letale, Tote, an. Das früher überbordende Leben erscheint wie abgestorben.

Sich nur noch dahinschleppen ist auch bei »fertigen« Helfern ein bekanntes Spätstadium, häufig verbunden mit Schuldprojektionen auf Gott und die Welt. Diese Sündenbocksuche in Verbindung mit Mangel an Eigeninitiative und dem Erlöschen der inneren Flamme bringt außerdem die jungen idealistischen Helfer gegen diese alten abgebrühten Hasen und Routiniers auf. Deren Feld von Langweile strahlt die Lethargie geradezu aus und illustriert die Gefährlichkeit von Bore-out-Zuständen für den Einzelnen und die Gesellschaft.

6. Nun kann dies bis zu völliger Apathie fortschreiten. Schon in der fünften Phase, aber spätestens auf dieser sechsten Stufe wird sich eine Fülle von psychosomatischen Symptomen zeigen. So deuten Rückenschmerzen an, was man sich alles aufladen ließ oder freiwillig geschultert hat und wie schwer und schmerzhaft es ist, sich gerade zu machen und ehrlich zu sich zu stehen. Kopfschmerzen drücken Hilfeschreie der überlasteten Zentrale aus. Man hat sich zu lange den Kopf zerbrochen und wollte mit ihm durch die Wand; und nun lässt die analgetische Wirkung des Anfangserfolgs dramatisch nach. Der Schwindel, den man mit sich und dem Umfeld getrieben hat, fliegt auf und wird im Schwanken deutlich. Auf schwankendem Boden ist man nicht mehr sicher; die Seele funkt SOS. Chronische Erkältungen zeigen, wie sehr und wie dauerhaft man die Nase voll hat und nichts mehr hören und sehen will. Herzrhythmusstörungen verraten die Distanz zum eigenen Rhythmus. Herzrasen will anregen, in Herzensangelegenheiten einen Zahn zuzulegen. Schweißausbrüche künden von erlebter Anstrengung, vor allem aber von aktueller Angst. In diesem »psychosomatischen Stadium« sind Burn-out und Bore-out oft nur noch schwer zu unterscheiden.

7. Im siebten oder Regenerationsstadium entscheidet sich alles Weitere, vor allem geht es nun um die Perspektive. Erholungsmöglichkeiten bietet die etablierte Burn-out-Industrie in entsprechenden Sanatorien. Wesentlich wichtiger als jede äußere Maßnahme sind jedoch die Entscheidung für ein neues, anderes Leben und der Ausstieg aus alten Mustern. Es ist nicht damit getan, dem Süchtigen sein Suchtmittel wegzunehmen; er muss sich vielmehr neu orientieren und sein Leben neu ordnen, andere Schwerpunkte finden, sich neu positionieren. Bore-out-Opfer finden generell mit der geringeren Anerkennung ihrer Problematik noch weniger Hilfe. Sie brauchen aber die gleiche substanzielle Unterstützung wie die im Burn-out Gestrandeten.

Individuelles Erleben und Fallbeispiele

Da die gängigen Definitionen nicht wirklich greifen, das Problem aber unübersehbar ist, können die Seelenbilder einzelner Betroffener am besten weiterhelfen, um ein Gefühl für die Situation zu bekommen. Miriam Meckel beschreibt in ihrem lesenswerten Buch Brief an mein Leben ausgesprochen einfühlsam, wie sie in den Seeleninfarkt rutscht, ohne es selbst so recht zu bemerken. Obwohl (oder weil) intellektuell brillant und äußerst erfolgreich wie rasant im Leben unterwegs, gibt sie sich keine Chance vor dem völligen Zusammenbruch, der ihr – wie so vielen – erst die Augen für sich selbst und ihre Lebenssituation öffnet. Stattdessen versucht sie typischerweise mit noch weiterer Leistungssteigerung nach gewohntem Muster, den Karren selbst aus dem Dreck zu ziehen. Doch nun wird sie von dem Gefühl ergriffen, in ihrem Kopf würden Vivaldis Vier Jahreszeiten gleichzeitig abgespielt, gelegentlich auch in doppelter Geschwindigkeit. Treffender lässt sich der Multitasking-Wahn nicht beschreiben. Mit Musik- oder Lebensgenuss hat das nichts mehr zu tun, aber umso mehr mit Burn-out. Beeindruckend beschreibt sie auch, wie gerade ein so kluger Geist wie ihrer zur Gefahr statt zur Hilfe wird: »Ich bin ein Mensch, der denkt. Das kann ich gut. Und das war tatsächlich immer schon so. Ich denke einfach alles weg, was mich berührt oder innerlich aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Ich erdenke mir einen intellektuellen Schutzwall gegen die Angriffe der emotionalen Truppenverbände von Feinden und Freunden da draußen im Leben, gegen ein trojanisches Pferd, das jemand in mein Innerstes schieben könnte, um dann das im Pferd versteckte Heer an Gefühlen freizulassen, die sich ohne weitere Hindernisse an mein Herz und meine Seele heranmachen und sie besetzen könnten.«6

Die schon allgemein schwierige Situation – frei nach dem Philosophen Kierkegaard –, das Leben vorwärtsleben zu müssen, es aber erst rückwärts verstehen zu können, wird beim Burn-out besonders deutlich.

Beschreibungen von weniger prominenten Betroffenen, die das Elend ähnlich treffend illustrieren, zeichnen beispielsweise das Bild des Helden oder Ritters, der zwar mit scharfer Klinge schneidig unterwegs ist, aber keinen Schild dabei hat, der ihm Deckung geben könnte. Ein anderes Bild beschreibt einen lonesome cowboy, der allein durch die Nacht reitet, aber kein Ziel hat. Die Betroffenen eilen von Sieg zu Sieg und siegen sich nicht selten zu Tode wie der legendäre König Pyrrhus.

Seeleninfarktkandidaten gleichen Sternen in den Weiten des Weltalls, die in der ersten Phase des Enthusiasmus einen kometenhaften, strahlenden Aufstieg erleben, dann zu roten Riesen werden, zu eindrucksvollen Sonnen, die in ihrer Schlussphase immer gewaltigere Energien hervorbringen, bevor sie explodierend verglühen und zu schwarzen Löchern werden, die alle Energie in sich hineinziehen und verschlingen.

Unserem Alltag näher kam das Beispiel jenes Patienten, der sich selbst mit einem Atomreaktor verglich: Zuerst habe er enorm viel Energie sehr günstig geliefert und den Chef völlig von sich überzeugt. Dann habe er zu wenig »Wartung« beziehungsweise Zuwendung bekommen und versucht, sie durch noch mehr Energieproduktion zu erzwingen. Dabei habe er sich zunehmend übernommen und überhitzt. Das sei schon kein belebendes Feuer der Begeisterung (für die Arbeit) mehr gewesen, sondern eine vernichtende Feuersbrunst, und so sei er rasch zur Kernschmelze fortgeschritten, bei der er gar keine Energie mehr liefern konnte, aber für sich und die Umgebung gefährlich wurde. Von allen fallengelassen, verzehrte er sich in Verzweiflung. Zu Therapiebeginn war er leer und voller Vorwürfe; sein Feuer war zu einer versengenden Glut der Wut geworden, die trotzdem etwas Resigniertes hatte. Erst habe man seine »Atomkraft« geschätzt und ihn dann einfach ausgemustert und aufs Abstellgleis geschoben. So mag hier anklingen, dass es sich beim Enthusiasmus um eine potenziell gefährliche Energieform handelt.

Der Chef habe ihn nur ausgenutzt und für die Firma verheizt und sich dann nicht mehr um ihn gekümmert, lautete die Anklage. Die Therapie zeigte, wie sehr das zutraf, aber auch, wie er sich dem Chef angedient hatte in seinem anfänglichen Brennen für die begehrte Aufgabe. Sein Ehrgeiz wollte mit Siebenmeilenstiefeln an den als Konkurrenten erlebten Kollegen vorbei, was sein enormer Einsatz auch ermöglichte. Da er keine feste Beziehung hatte, konnte er mehr Zeit aufwenden; aber es fing ihn am Ende auch niemand auf. Es wurde ein langer Weg, ein neues Lebenskonzept mit anderen Spielregeln zu finden.

Rückwirkend gesehen, wurde für ihn der Tiefpunkt, die Katastrophe, zum Umkehrpunkt. In der Regenerationsphase entwickelte sich sein neues Leben, das ihn auf ein wesentlich besseres Niveau brachte. Krankheit war für ihn zum Weg geworden und hatte ihm neuen Lebenssinn vermittelt.

Nach meinen Beobachtungen droht langfristig die Gefahr eines Seeleninfarkts, falls die alten, das Leben bestimmenden Regeln und das alte, scheinbar bewährte Weltbild nicht tragen.

Am Schwarzen Freitag 1929 haben sich viele von der Finanzwelt Enttäuschte umgebracht, weil ihre Welt zusammenbrach. Heute ist die Enttäuschung in der Finanzkrise noch nachhaltiger, denn es wird allmählich vielen klar, dass der Fehler im System liegt und dass es gar nicht auf Dauer funktionieren kann. Für wen das schon das Ende der Welt ist, der dürfte allen Mut und alle Hoffnung verlieren und in den Seeleninfarkt abdriften. Die Enttäuschung gegenüber Banken und ihren Anlageberatern ist gewaltig, aber sie ist auch das verdiente Ende einer Täuschung. Es war von Anfang an und immer naiv, Banker oder Investmentberater für Freunde zu halten. Freunde haben unsere Seele im Auge; Anlageberater nur auf freundliche Weise unser Geld. Rückwirkend wird dann oft deutlich, wie bei dieser Freundeswahl immer die Gier mitgewirkt hatte.

Natürlich ist solch ein Erwachen schlimm, vor allem wenn man erkennen muss, dass man nur solche, also gar keine wirklichen Freunde hatte, und nun völlig allein dasteht. Und ganz besonders schlimm ist, wenn man sich bewusst macht, dass zum Schluss nur die echten Freundschaften, die liebevollen Momente und die großen magischen Augenblicke gemeinsamen Eintauchens in das Hier und Jetzt zählen.

Anzeichen und Vorbeugung von Infarkten

Ob Herz-, Verkehrs- oder Seeleninfarkt, es handelt sich stets um einen kompletten Zusammenbruch des Systems. Warnungen, Vorstufen und Ankündigungen gab es im Vorfeld meist genug. Sie wurden nur nicht beachtet, meist weil es viele betraf, weil es als normal oder unabänderlich galt, weil die Gesellschaft es geschlossen ignorierte. Genauso wie die beliebte Formulierung »Völlig unerwartet und aus heiterem Himmel riss es ihn aus dem Leben« in den Todesanzeigen von Herzinfarktpatienten praktisch immer unzutreffend ist, gilt das auch für den Seeleninfarkt. Er fällt nicht vom Himmel, schon gar nicht aus heiterem, sondern die Zeichen waren schon lange zu lesen – nur wollten die Betroffenen sie nicht wahrhaben. Und wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, wird alles schwieriger. Rechtzeitige Vorbeugung ist tatsächlich dringend not-wendig.

In der Regel bieten Herzinfarktpatienten eine gute, wenn auch schreckliche Analogie. Nach dem ersten Infarkt fangen viele an, sich Auszeiten zu nehmen, selbst wenn sie mangels Wissens die Chance des Augenblicks, das Leben im Hier und Jetzt, oft ignorieren. Aber sie überlegen sich immerhin, ob sie wie bisher weitermachen und auf den nächsten Infarkt zusteuern wollen. Manche sind allerdings so tief in ihr Muster verwickelt und dieses ist gesellschaftlich so anerkannt, dass sie erst nach dem zweiten Infarkt für die Bedürfnisse der eigenen Seele aufwachen.

Leider haben viele das Ignorieren der Frühwarnzeichen so perfektioniert, dass der Infarkt zwar ihr erstes Aufwachen bewirkt, aber für nicht wenige ist damit schon das Ende erreicht. Das Problem beim Herzinfarkt ist, dass alle Maßnahmen entweder zu spät kommen oder wesentlich aufwendiger und weniger wirksam sind als eine vorherige rechtzeitige Absicherung, sprich Vorbeugung. Das ist beim Seeleninfarkt ganz ähnlich, wenn auch manchmal noch dramatischer, weil eine auf materielle Maßnahmen versessene Gesellschaft mit echter Vorbeugung noch viel weniger Erfahrungen hat. So werden Betroffene fast immer zurück in die nicht geänderte und daher weiterhin krank machende Situation entlassen, in der sich das Elend sehr häufig wiederholt. Da die Seele quasi unbekanntes Land für die Medizin ist, fehlen beim Seeleninfarkt auch geringste Hilfen, wie sie beim Herzinfarkt zuhauf gegeben werden. Wenn Betroffene an derselben Stelle wieder anfangen, wo sie zuvor gescheitert sind, kommt es fast zwangsläufig zum neuerlichen Eintritt in denselben Teufelskreis. Hier sind also Verständnis des Hintergrunds und daraus folgende Vorbeugungsmaßnahmen äußerst wichtig.

Die Diagnosen Burn-out, Depression oder Seeleninfarkt werden zu selten richtig und rechtzeitig gestellt, die Diagnose Bore-out kommt fast nie vor. Aber selbst wenn die Diagnose gelingt, stoßen wir gleich auf das nächste grundsätzliche Problem der Schulmedizin: Vorbeugung. Zwar führen ihre Vertreter dieses Wort häufig im Mund, doch damit preisen sie ihre Maßnahmen zur Früherkennung. In Wahrheit können sie weder vorbeugen noch wissen sie heute in der Regel noch, was echte Prophylaxe bedeutet. Sie verwechseln inzwischen mehrheitlich ihre immer mehr ausufernden Früherkennungsmaßnahmen mit Vorbeugung. Für eine wirkliche Vorbeugung ist es erforderlich, ein Krankheitsbild seinem Wesen nach zu verstehen, um sich dann so zu verhalten, dass es gar nicht erst notwendig wird. Hier scheitert die Schulmedizin, wenn sie sich nicht um das Wesen von Krankheitsbildern kümmert, sondern sich damit zufriedengibt, deren symptomatische Äußerungen mittels allopathischer Pharmaka zu unterdrücken. Dieses Armutszeugnis versucht die Medizin durch immer mehr Früherkennung zu verbessern. Da die Diagnosestellung oft misslingt oder zu spät erfolgt und Vorbeugung die eigenen Möglichkeiten übersteigt, bleibt – bei unserem Thema – nur das bittere Eingeständnis, nichts Wesentliches zur Lösung von Burn-out oder gar Seeleninfarkt beitragen zu können.

Demgegenüber kümmert sich die Medizin von Krankheit als Symbol vor allem um das Wesen von Krankheitsbildern und kann so vorbeugen. Das heißt in unserem Fall, das Ziel ist, sich so zu verhalten, dass ein Seeleninfarkt gar nicht mehr auftreten muss, weil die Weichen anders gestellt sind. Es geht darum, freiwillig zu lernen, was andernfalls über die Symptomatik erzwungen wird.

Ein Beispiel von einem Herzinfarktpatienten mit deutlichen Bezügen auch zu Burn-out mag das verdeutlichen. Er kam nach seinem zweiten, nur knapp überlebten Infarkt in Behandlung und litt zusätzlich und erstmals an Motivationsmangel und Lustlosigkeit. Was ihn besonders ungehalten an dem neuerlichen Infarkt machte, war die Tatsache, dass er sich nach dem ersten an alle Vorgaben des Kardiologen gehalten hatte. Dieser hatte ihm geraten, sofort mit dem Rauchen aufzuhören, sich mehr zu bewegen und Sport zu treiben. Auf Anweisung hatte ihm die Sekretärin ein Nikotinentwöhnungsprogramm gesucht, das er mit Nachdruck und Erfolg durchzog, und ihm zwei Stunden Squash pro Woche inklusive Trainer gebucht. Er war dieser zweiten Auflage zwar mit aller Verachtung für Sport, deren er fähig war, aber verlässlich nachgekommen. Ein Jahr später traf ihn der zweite Infarkt deshalb wieder völlig unerwartet, aber umso härter.

Aus schulmedizinischer Sicht hatte der Kardiologe nicht einmal Fehler gemacht, denn das Rauchverbot und ein moderates Bewegungstraining im sogenannten Sauerstoffgleichgewicht wären durchaus passend gewesen. Tatsächlich hatte er dem völlig überlasteten, unter enormem Zeitdruck viel zu viel arbeitenden Mann aber mit seinen Maßnahmen gleich zwei neue Probleme geschaffen. Einmal war der Zeitdruck an zwei Tagen noch gewachsen, denn die Sekretärin hatte einfach die beiden Squashtermine zusätzlich in die übervolle Agenda gequetscht. Zweitens hatte ihm das Rauchverbot sein Ventil genommen, Dampf abzulassen, und so den Druck insgesamt und damit auch die Burn-out-Gefahr noch erheblich gesteigert. Aus Sicht der deutenden Medizin war der zweite Infarkt also durchaus zu erwarten gewesen.

Außerdem ist Bewegung nicht gleich Bewegung. Sinn macht in solch einer Situation lediglich moderates, das Herz gleichmäßig forderndes und förderndes Training, das in keinem Moment überlastet, wie es bei Squash ständig passiert. Stattdessen kommen Jogging und Walking, Schwimmen, Tanzen und Bergwandern infrage.

Das Wesen des speziellen Rauchmusters seines Patienten zu durchschauen hätte weitergeholfen. Aber bis heute ist für Schulmediziner und natürlich auch für Kardiologen Rauchen gleich Rauchen. Dabei gibt es so viele Arten von Rauchen, und alle müssen um des Entwöhnungserfolgs willen ihrer Art und ihrem Wesen entsprechend behandelt werden. Jene große Gruppe der oralen Raucher, denen es um den Genuss geht, unterscheidet sich sehr von den Aggressionsrauchern, die Dampf ablassen. Die oralen Raucher brauchen immer etwas im Mund, und nimmt man ihnen die Zigaretten, fangen sie an zu essen. Deshalb entgegnen sie auch auf den Rat, sich das Rauchen abzugewöhnen, sie würden dann nur zunehmen. Statt zu rauchen, könnten sie viel harmloser Daumen lutschen oder küssen. Ersteres ist ihnen aber in der Regel zu ehrlich, für Letzteres fehlt angeblich meist die Gelegenheit. Ein anderer Rauchertyp braucht die Zigarette weniger im Mund als in der Hand und nutzt sie wie einen Taktstock mit Glimmpunkt, mit dem er in der Luft herumfuchtelnd die allgemeine Richtung angibt. Dieser Rauchertyp spielt auch gern strategische Spiele mit den Rauchutensilien auf dem Tisch. Letztlich gibt es zwölf verschiedene Rauchertypen7, wie zum Beispiel unseren Herzinfarktkandidaten, der Zigaretten zum Dampfablassen nutzte und hier tatsächlich ein Überdruckventil hatte.

Seine echte Therapie bestand darin, sich seinen Herzensangelegenheiten zu widmen, etwa seinem Enkel. Seine eigenen Kinder hatte er vor lauter Arbeitsengagement gar nicht richtig mitbekommen, wie er spät(er) erkannte. Er lernte, sein Arbeitspensum auf einen Siebenbis Achtstundentag zu reduzieren. Seine Frau entdeckte er neuerlich im gemeinsamen Leben und machte nun öfter mit ihr und dem Enkel Urlaub. So blieb ihm nicht nur ein weiterer Herzinfarkt erspart, auch die Anzeichen eines zusätzlich drohenden Seeleninfarkts wie Lustlosigkeit und chronische Müdigkeit verschwanden wieder. Interessanterweise war sein Enkel immer für gemeinsame Ferientage zu haben, weil sich sein Vater, der Sohn des Patienten, auf einem ähnlichen Karrieretrip befand und die ebenfalls arbeitende Mutter froh über jede Entlastung war. Diese Situation spiegelte meinem Patienten jetzt sehr deutlich, was er sich, seiner Frau und ihren beiden Kindern geboten beziehungsweise vorenthalten hatte. Ein moderates Herz-Kreislauf-Training im Sauerstoffgleichgewicht und gesünderes Essen ergänzten die Therapie. Heute würde ich ihm einen generellen Verzicht auf tierisches Eiweiß und dazu den Verzicht auf sämtliche gehärteten Fette verordnen.8

Interessant in unserem Zusammenhang ist die Frage, warum er zwei Herz- und keinen wirklichen Seeleninfarkt bekommen hatte. Vor allem lag es wohl daran, dass er seine Arbeit mochte und im Geldverdienen auch Sinn fand. Mit seiner ihn liebenden Frau konnte er zudem seelisch einiges kompensieren. So brach er wegen der enormen zeitlichen Überlastung, des Drucks und vor allem des Mangels an Beschäftigung mit seinen eigentlichen Herzensthemen sowie wegen einer gefährlich mit Tiereiweiß überladenden »Normaldiät« bei Bewegungsmangel zuerst auf Herzebene zusammen.

Echte Vorbeugung ist also durchaus möglich, dazu muss die Grundsituation jedoch analysiert werden, um dann die Weichen entsprechend zu stellen. Der Patient hätte sich durch eine offene Haltung gegenüber seinen Herzensangelegenheiten, durch konsequentes Weglassen das Herz belastender Nahrung und durch Einführung moderater Bewegung beide Infarkte ersparen können. Die Therapie ist stets aufwendiger und mühsamer als die richtige Einstellung von Anfang an im Sinne echter Vorbeugung.

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