SeelenSport - Katrin Biber - E-Book

SeelenSport E-Book

Katrin Biber

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Beschreibung

Bewegung und Trauerarbeit – ein innovatives Therapie- und Trainingskonzept Überwältigende Emotionen wie Angst, Trauer und Wut können über unser Leben bestimmen und uns Schachmatt setzen. "SeelenSport" hilft Ihnen mit diversen Übungen gestärkt in den Alltag zurückzufinden. Wie kann man einen überwältigenden Verlust eines geliebten Menschen verwinden, der gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde? Diese Frage musste sich Trauerbegleiterin und Gründerin des SeelenSport-Projekts Katrin Biber zwangsläufig stellen, als ihre 21-jährige Schwester von ihrem Freund ermordet wurde. Anschließend kämpfte sie nicht nur mit der Trauer, sondern auch gegen psychosomatische Störungen wie Schlafprobleme, Herzrasen und Angstattacken, die sie in ein tiefes Loch rissen. Es waren schließlich Sport und Bewegung, die sie retteten. Anstatt sich aber in einem stickigen, lauten und überfüllten Fitnesscenter anzumelden, fand sie erste hilfreiche Übungen im Internet und spürte schon nach wenigen Wochen die ersten Fortschritte. Hieraus entwickelte Katrin Biber das Projekt und das Buch "SeelenSport", mit dem sie ihre Erfahrungen mit anderen Menschen teilt, die mit scheinbar unüberwindbaren emotionalen Schmerzen zurechtkommen müssen. Bewegte Gefühle statt plumper Muskelaufbau "SeelenSport" setzt nicht auf teure Trainingsgeräte oder Zusatzgewichte, damit Sie den nächsten Bodybuilder-Wettbewerb gewinnen. Die Trainingsmethoden unterstützen Sie dabei, Muskulatur aufzubauen, fitter und agiler zu werden. Gleichzeitig lernen Sie, Ihre Gefühle zu konfrontieren und durch Bewegung auszu- statt zu unterdrücken. Wohltuender Gegenentwurf zum schnelllebigen Fitnesswahn Sie haben keine Willenskraft, um sich ins nächste Fitnessstudio zu schleppen? Wenn die negativen Denkmuster zusätzlich jeden Tag zur Qual machen, stellt "SeelenSport" eine beruhigte Alternative dar, um die emotionalen Herausforderungen des Alltags durch gesunde Bewegungsabläufe zu meistern. Katrin Biber lädt Sie in ihr Sportstudio für die Psyche ein.

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Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:www.piper.de© Piper Verlag GmbH, München 2021Covergestaltung: zero-media.net, MünchenCovermotiv und Fotografien: Peter Koren, Innsbruck Die Autorin wird von Skinfit ausgestattet.Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Cover & Impressum

Vorwort

Warum es SeelenSport gibt

Eine Katastrophe nach der anderen

Ein sportlicher Anfang

Der Weg zum SeelenSport

Warum ein eigener Sport, und was macht den SeelenSport aus?

Teil 1

Wissenswertes

Gefühle

Die Angst vor der eigenen Gefühlswelt

Emotionen oder Gefühle?

Wie entsteht ein Gefühl?

»Grundloses« Fühlen

Sind Gefühle noch erlaubt?

Welche Worte brauchen deine Gefühle?

Sinn und Nutzen deiner Gefühle

Gefühle und ihre Wirkung im Körper

Körperliche Wahrnehmung einzelner Gefühle

Psychosomatische Folgen langfristig unterdrückter Gefühle

Bewegung und Psyche

Warum Bewegung körperlich wichtig ist

Wie sich Bewegung auf deine psychische Verfassung auswirkt

Sport als Medizin

Die Kraft der Gedanken: Wie Geschichten und Affirmationen unser Leben beeinflussen können

Du bist immer die positive Ausnahme

Affirmationen und Gedanken

Wie uns Geschichten beeinflussen können

Achtsamkeit

Achtsamkeit und Gefühle

Achtsamkeit und SeelenSport

Teil 2

Die Gefühle in Bewegung bringen

SeelenSport-Training

Ablauf eines Trainings

Die SeelenSport-Community

Vor dem Training

Deine Motivation zur Bewegung

Was du benötigst

Der richtige Zeitpunkt für das Training

Aufwärmen und einstimmen

Gefühle ausdrücken

Liebe und Sehnsucht, Traurigkeit und Schmerz

Wut, Zorn und Ärger

Freude und Dankbarkeit

Ängste, Hilflosigkeit und Schuldgefühle

Gefühle erzeugen

Selbstfürsorge, Selbstliebe und Selbstschutz

Selbstvertrauen: innere Stärke, Anerkennung und Mut

Aushalten und annehmen können, Zielstrebigkeit

Emotionales Gleichgewicht und Balance

Nach dem Training

Trainingsplanung

Aufbau des Plans

Aufbau der einzelnen Workouts

Alles Gute!

Hilfsangebote

Links und Literatur

Vorwort

Gefühle – sie begegnen dir jeden Tag, bei deinen Mitmenschen und bei dir selbst. Die meisten von ihnen nimmst du nicht bewusst wahr, und doch sind sie immer da. Angst, Freude, Wut, Scham, Traurigkeit, Liebe, Mut, Stolz, Verachtung und viele mehr bestimmen unser Verhalten, unsere Reaktionen und Handlungen, lenken unsere Beziehungen. Sie steuern so ziemlich alles in deinem Alltag. Manchmal sind sie fast nicht zu bemerken, an anderen Tagen spürst du sie ganz deutlich.

Im Normalfall brodeln sie nur kurz in dir auf, du reagierst, und die Gefühlslage beruhigt sich wieder. Aber dann gibt es diese außergewöhnlichen Zeiten im Leben – Verluste, Krisen, Schicksale, aber auch Errungenschaften und positive Veränderungen. Die Gefühle beginnen dich einzunehmen, zu kontrollieren. Da ist nicht mehr nur ein kurzer Moment des Ärgers, ein Aufflackern von Furcht, ein Tränchen aus Traurigkeit oder ein Luftsprung vor Freude. Stattdessen bist du rasend und kaum zu bremsen, verfällst bei alltäglichen Handlungen in Angst, fühlst dich verunsichert und eingeschüchtert und glaubst, ein Tennisball stecke in deinem Hals, der Wasserfälle aus deinen Augen drücken könnte. Oder du möchtest den ganzen Tag tanzen und schwebst wie auf Wolken. Bitte mehr von diesen glücklichen Dauerzuständen, denn sie schenken uns Kraft und fühlen sich gut an! Das Leben ist jedoch kein Wunschkonzert. In Wahrheit beschäftigen uns die belastenden Gefühle viel mehr, wenn sie zu einem Dauerzustand werden und die Freude Urlaub macht auf einem weit entfernten Planeten. Wohin also mit den schweren Gefühlen, die dich erdrücken und nicht von dir weichen wollen? Runterschlucken, wegessen, wegtrinken, ignorieren und verdrängen, dich davon ablenken? Das tun die meisten, vielleicht auch du. Und auch ich habe es viel zu lange so gemacht. Bis ich eines Tages einen Weg entdeckt habe, anders damit umzugehen.

Stell dir vor, du lernst deine Gefühle kennen wie bei einem Date, du erforschst sie und verstehst sie nach und nach. Du näherst dich ihnen an, magst sie langsam sogar irgendwie, auch die unangenehmeren, weil du erkennst, dass sie im Grunde wie ein geliebter Partner sind, der dich durch dein Leben begleitet. Manchmal streitest du mit ihnen, willst auf Abstand gehen, ein anderes Mal hörst du ihnen zu und gehst auf sie ein. Und wie bei einer guten Beziehung gilt auch im Umgang mit deinen Gefühlen: Hauptsache ist, du bleibst im Austausch, im Gespräch mit ihnen und ignorierst sie nicht zu lange. Das haben sie nicht gerne.

Stell dir vor, du könntest all diese Gefühle in Bewegung bringen, deinen Körper dafür nutzen, um ihnen Ausdruck zu verleihen, und ihn gleichzeitig kräftigen. Bist du bereit, die Kraft deiner Gefühle kennenzulernen, sie in dein Leben zu integrieren, statt sie zu ignorieren?

Trainieren nach Gefühlen klingt komisch, ergibt aber viel Sinn. Denn deine Gefühle sind das wundervollste Geschenk, das du jemals bekommen hast. Sie machen dich lebendig, dein Leben bunt und, wenn du sie gut kennst, auch stark und unabhängig. Wenn du sie zulässt und willkommen heißt, zeigen sie dir, was du gerade brauchst und was dir guttut.

Die Geschichten, Erfahrungen und Hilfestellungen in diesem Buch gehen zurück auf meine eigene Schicksalsgeschichte und meine vielen Begegnungen mit anderen Menschen und deren Gefühlswelten. Menschen, die Verluste erlebt haben und mit denen ich trainiert habe. Menschen wie du und ich, die im Alltag von ihren Gefühlen überfordert waren und deren Körper dadurch stark beansprucht wurde. Wenn ich von diesen Menschen spreche, meine ich fast ausschließlich Frauen. In 95 Prozent der Fälle sind sie es, die den SeelenSport in Anspruch nehmen. Deshalb spreche ich immer von »meinen SeelenSportlerinnen«. Obwohl Männern mein Konzept genauso helfen kann, weiß ich, dass sie sich eher Hilfe von anderen Männern holen. Warum das so ist, kannst du in dem Buch Männer trauern anders von Thomas Achenbach nachlesen. Deshalb freut es mich besonders, dass es auch männliche SeelenSport-Trainer gibt! Alle Trainer*innen findest du auf meiner Webseite seelensport.at/trainerinnen.

Ich bin also keine Gefühlsforscherin, ich bin auch keine Ärztin oder Psychologin. Ich bin eine stinknormale Frau, die sich nach einem heftigen Schicksalsschlag der menschlichen Gefühlswelt gewidmet hat und diese in ein körperliches Training integriert hat. Ich bin hingefallen und wieder aufgestanden, und das nicht nur ein Mal. Und jedes Mal wieder hat mich die Auseinandersetzung mit meinen Gefühlen motiviert und bestärkt.

Du wirst hier also nicht nur Wissenschaftliches finden, sondern auch Geschichten aus dem Alltag, in denen du dich sicher selbst wiedererkennen kannst. Dieses Buch soll dich nicht verwirrt zurücklassen, mit Tausenden von Begriffen, deren Namen man kaum aussprechen kann. Stattdessen soll es dir eine Orientierung geben, wie dich deine Gefühlswelt beeinflusst und wie du die Zügel wieder in die Hand nehmen kannst. Im hinteren Teil dieses Buches erwartet dich deshalb ein Training voller Gefühle. Für weiterführende Informationen findest du ganz am Ende Fachliteratur zu jedem Kapitel.

Zuletzt noch ein wichtiger Hinweis: Das von mir entwickelte Konzept des SeelenSports ist auf gesunde Menschen ausgerichtet. Das bedeutet wohlgemerkt nicht »glückliche, zufriedene, vor Freude sprühende Menschen« – denn auch wenn du nach einem schweren Verlust in ein tiefes Loch gefallen bist, bist du nicht zwangsläufig krank. Aber wenn du dir unsicher bist, ob deine Trauer und dein Schmerz die Grenzen des »normalen« Leids nicht vielleicht überschreiten, solltest du dir professionelle Hilfe suchen. Am Ende des Buches findest du einen Überblick über entsprechende Hilfsangebote. Denn SeelenSport ersetzt keine Psychotherapie – auch wenn sie in Verbindung damit sehr gute Erfolge erzielen kann.

Warum es SeelenSport gibt

Eine Katastrophe nach der anderen

Ich habe als Kind und Jugendliche, wie jeder und jede andere, die ganze Palette der Gefühle kennengelernt. Wie ich damit umgehen sollte, lernte ich nicht explizit. Niemand von uns tut das, denn im Grunde können wir instinktiv auf unsere Gefühle reagieren und sie handhaben. Nur verlernen wir das mit zunehmendem Alter durch Anpassung an unsere Gesellschaft.

Als ich zu studieren begann, wurde mein Leben – wie das so vieler Menschen – spannungsgeladener. Beziehungskonflikte, Streitigkeiten und Ärger mit meinen Eltern, Stress in der Universität. Alles zusammen brachte neue Gefühle hervor. Da waren Ängste vor dem Versagen und viel Traurigkeit und Überforderung, Mutlosigkeit und Einsamkeit, aber auch Wut und Zorn. Ich verdrängte und ignorierte sie, beschäftigte mich nicht weiter mit ihnen. Sie waren wie ein lästiger Kaugummi, der an meinen Schuhen klebte und nicht abgehen wollte. Immer wieder rüttelte ich dran, manches fiel ab, doch Reste blieben weiter kleben.

Dann wurde bei meiner Mutter 2011 ein Augentumor diagnostiziert. Ich spürte erstmals, dass es schwieriger wurde, meine Emotionen weiter zu ignorieren. Am Kaugummi blieb viel anderer Müll vom Boden kleben, und der Klumpen an meinem Fuß wurde größer. Trotzdem schüttelte und streifte ich weiter ab, nur mit etwas mehr Kraftaufwand. Ein Jahr später hatte ich eine Myokarditis, eine Herzmuskelentzündung, an der ich beinahe gestorben wäre. Ich war damals auf Interrail-Tour durch Frankreich, Spanien und Portugal, als ich plötzlich Magen-Darm-Probleme bekam, die mit jedem Tag schlimmer wurden. Offenbar ein Virus, durch Essen oder Getränke verursacht. Tage später in Lissabon spürte ich vermehrt Druck auf meiner Brust und hatte Atemprobleme. Ich kam in die Notaufnahme. Kurze Zeit später erhielt ich die Diagnose. Ich war zehn Tage in der portugiesischen Klinik, bis ich wieder mit dem Flieger nach Hause durfte. Es dauerte Monate, bis ich mich vollständig davon erholt hatte.

Woher kam diese Krankheit so plötzlich? Ja, von einem Virus. Aber ich hatte ein schlimmes Jahr hinter mir, mit vielen Gefühlen, die ich unterdrückt hatte. Der kleine Kaugummi war ein Klotz am Bein geworden, der sich kaum mehr ignorieren ließ. Ich funktionierte und arbeitete in dieser Zeit, um mich abzulenken. Mein Körper war jedoch geschwächt und besonders anfällig. Das wusste ich und ignorierte es gekonnt weiter. Vielleicht sollte ich endlich besser auf mich schauen, hinschauen, was meine Gefühle mir sagen möchten, kam es mir immer öfter in den Sinn. Doch wieder wusste ich nicht, wie – also ignorieren, weitermachen, funktionieren.

Monate später, Anfang 2013, hatte ich einen schweren Skiunfall. Die Folge: Kreuzbandriss. Ich wurde operiert und bekam eine Beinvenenthrombose. Wieder in großer Gefahr, war ich gezwungen, nach Hause zu meiner Mutter zu ziehen und nichts zu tun. Erstmals hatte ich Zeit, um über mein Leben und die Schicksalsschläge darin nachzudenken. In mir keimte der Gedanke auf, dass ich Hilfe im Umgang mit Krisen brauchen könnte.

Während einer dreiwöchigen orthopädischen Reha in diesem Sommer beschloss ich, meine Gefühle und Probleme anzugehen, sobald ich wieder zu Hause wäre. Ich kann mich noch erinnern, wie motiviert ich bei der Heimreise war und meiner Schwester Larissa davon erzählte. Doch es sollte anders kommen.

In der Nacht vom 13. auf den 14. September verschwand Larissa ganz plötzlich. Mit meinen Eltern und meinen beiden anderen jüngeren Schwestern zusammen begann eine zwei Wochen andauernde Suche. Am 27. September erreichte uns schließlich die Nachricht, dass Larissa von ihrem Freund ermordet und anschließend im Inn, dem Stadtfluss in Innsbruck, »entsorgt« worden war.

Alle früheren Krisen erschienen mir plötzlich so klein und unwichtig. Eine Explosion der schmerzvollsten Gefühle überrollte mich. Die Monate danach beherrschten diese Gefühle jede Faser meines Körpers. Ich wusste nicht, wohin damit. Im Alltag waren sie in dieser extremen Form nicht erlaubt und stießen auf Gegenwind und Unverständnis. Es ging nur noch darum zu überleben. Jedes einzelne Gefühl schluckte ich hinunter, versuchte, es mit Alkohol zu betäuben. Doch sie fanden alle ihren Weg. In meinen Magen, in mein Herz, in meine Haarwurzeln, meine Haut und meinen Hormonhaushalt. Meine psychosomatischen Beschwerden waren der Ausdruck dieser alles durchdringenden Gefühle. Damit war klar: Wenn ich jetzt nicht etwas änderte und daran arbeitete, würde ich das nicht überleben!

Ein sportlicher Anfang

Ziemlich schnell nach Larissas Tod ging ich regelmäßig zur Psychotherapie, wo ich lernte, meinen Gefühlen mithilfe von Worten Ausdruck zu verleihen. Sie half mir, mich zu sortieren und vieles aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dennoch spürte ich, wie die schmerzlichen Emotionen in meinem Körper festsaßen. Nach jeder Sitzung fühlte ich mich noch zerschlagener als zuvor. Mein Körper schrie nach Beachtung und vor allem nach Bewegung. Jedes Mal, wenn ich weinend die Praxis verließ, von oben bis unten zitternd, spürte ich einen Drang in meinen Beinen und Armen. Ich wollte losrennen, um mich schlagen, laut schreien. Besonders schlimm war es, wenn die Wut mich im Griff hatte. Doch ich schluckte sie runter, drängte die Gefühle zurück, verdrängte, ging nach Hause und trank stattdessen ein paar Schlucke Alkohol oder aß Ungesundes, um den emotionalen Hunger zu stillen.

Bis zum Frühjahr 2014, als sich mein Leben noch einmal grundlegend veränderte.

Es war März, als ich aufgrund meines Kreuzbandrisses eine Nachuntersuchung bei meinem Operateur hatte. Noch heute kann ich seine Worte hören: »Katrin, ich weiß, dass es derzeit mehr als schwer für dich ist, aber du musst langsam wirklich deine Muskulatur aufbauen. Sonst wird sich dein Zustand nie verbessern, und es könnten vielleicht noch weitere Probleme dazukommen. Schlimmstenfalls kannst du dann nicht mehr wirklich wandern oder joggen gehen. Sport und Bewegung tun gut, probiere es doch einfach mal aus.«

Meine Schwester Larissa war in unserer Familie immer die Sportliche gewesen. Ich war eher diejenige, die nur etwas tat, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Der Satz meines Arztes wirkte in mir nach. Dennoch fragte ich mich, wie ich denn damit anfangen sollte, wenn ich kaum fähig war, meinen Alltag zu bestreiten. Doch der Gedanke an meine sportliche Schwester ließ mich nicht los, und ich beschloss, für sie einen Versuch zu wagen.

Ich begann, ein Fitnessstudio zu besuchen – mit wenig Erfolg. Alles war hier auf Oberflächlichkeiten, auf pralle Muskeln, auf die perfekte Figur hin ausgerichtet. Ich fühlte mich hilflos und weinte viel. Nach dem gescheiterten Versuch fehlte mir die Kraft, um es woanders noch einmal zu probieren. Ich gab auf und fühlte mich nun auch noch wie eine Versagerin.

Eines Nachmittags kam mein Mitbewohner auf mich zu. »Du musst in kein Studio gehen, um Sport zu machen, Katrin. Hier hast du ein paar Übungen, die du ganz einfach daheim machen kannst. Versuch es einfach!«, ermutigte er mich und drückte mir einen Trainingsplan in die Hand, der unterschiedliche Workouts mit dem eigenen Körpergewicht beinhaltete, das sogenannte Bodyweight-Training. Ein Hype, der 2014 auch bei uns in Österreich angelangt war und kräftig boomte. Angebote – vor allem, aber nicht nur in App-Form – wie Mark Lauren, 7 Minuten, Runtastic, Freeletics oder Madbarz erreichten jeden Tag mehr Menschen und wurden zum Trend.

Ich nahm den Plan dankbar an und fühlte mich sofort motiviert. Dass ich keine Ahnung von Ausführung und Intensität, von Fitness allgemein hatte, ignorierte ich gekonnt und versuchte, selbstständig an die Sache heranzugehen. Ich startete mit dem ersten Training in meinem Zimmer, das mit seinen 25 Quadratmetern genug Platz bot.

Ohne mich besonders aufzuwärmen, legte ich los und merkte schnell, dass mir die Luft ausging. »Unfassbar, wie unfit ich bin«, japste ich. Ich konzentrierte mich darauf, eine Übung nach der anderen zu schaffen. Je mehr es wurden, desto mehr drehte sich mir der Kopf. Ich schwitzte, und mein Körper zitterte. Nach und nach drängten sich während der kurzen Verschnaufpausen Gedanken in meinen Kopf: Warum muss das so anstrengend sein? Warum muss ich diese Scheiße nur erleben? Warum ist das alles mir passiert?

Mit jeder weiteren Übung platzten zornige Schreie aus mir heraus. Hitze stieg mir in den Kopf und in meine Fäuste. Der Drang, all den Schmerz über den Mord an meiner Schwester, über meinen unfassbaren Verlust sofort rauszulassen, war zu groß. Meine glühende Faust knallte voller Wucht gegen den Kleiderschrank: »Du verdammtes Arschloch. Ich hasse dich! Warum hast du das nur getan!« Ich hämmerte noch einige Male fest gegen den Schrank, bevor ich unter Tränen auf den Boden sank.

Einen Moment später atmete ich tief durch, stand wieder auf und beendete das Workout mit den letzten Wiederholungen. Erschöpft sank ich auf meine Matte und blieb dort liegen. Ein wildes Gefühlschaos breitete sich in mir aus. Unerwartet lachte ich lauthals los. Es war ein erleichterndes Lachen. Ich fühlte mich das erste Mal seit dem Tod von Larissa einfach frei. Mein ganzer Körper bebte, die Muskeln zuckten, und ich war glücklich, mich selbst so intensiv zu spüren. Ich lebe, schoss es mir durch den Kopf. Wut und Zorn waren wie weggeblasen, und all der Ballast fühlte sich für einen Moment ganz leicht an.

Von diesem Tag an war das Training ein fester Bestandteil meines Alltags. Ich verlagerte es nach draußen, um meine Möbel zu schonen. Bereits nach wenigen Wochen veränderten sich sowohl mein seelischer als auch mein körperlicher Zustand grundlegend. Ich wurde fitter, konzentrierter, konnte wieder schlafen, spürte meinen Körper auf positive Art und Weise. Meine Wut, meine Ängste und meine Traurigkeit bekamen einen Ort und eine Zeit, um sich vollends entladen zu können. Dadurch beherrschten sie mich für den Rest des Tages weniger intensiv.

Der Weg zum SeelenSport

Im Sommer 2014 begann ich vermehrt, einzelne Übungen mit meiner Gefühlswelt zu verbinden. Ich beobachtete meine Gefühle, spürte hinein, was sie gerade brauchten, und wandelte manche Übungen in ihren Bewegungsabläufen ab, um besser auf meine Bedürfnisse eingehen zu können. An wütenden Tagen wollte ich um mich schlagen, mich schnell bewegen, an schweren, traurigen hingegen sehnte ich mich nach ruhigen Abläufen. Jede Übung verknüpfte ich nach und nach mit speziellen Gedanken und Geschichten, die mit der Bewegung einhergingen und mir Kraft schenkten. Als ich Kniebeugen machen sollte, kam mir sofort der Gedanke: Egal, wie schmerzvoll mein Leben manchmal ist, ich drücke mich immer wieder nach oben und werde mich irgendwann auch wieder freuen können. Ähnliche Gedanken entstanden nach und nach bei vielen anderen Übungen.

Im Frühjahr 2015 zog ich nach Wien, nachdem ich mein Geschichtsstudium erfolgreich abgeschlossen hatte. Larissas und mein großer Traum war es gewesen, gemeinsam dorthin zu ziehen, damit ich Archivwissenschaften studieren konnte, während sie sich für Technische Physik interessierte. Nun ging ich allein und war weit davon entfernt, in ein Archiv zu gehen. Stattdessen brannte in mir der Wunsch, im Sportbereich zu arbeiten. Mit dem Geschichtszertifikat in der Hand marschierte ich voller Tatendrang in den Arbeitsmarktservice Wien. Als der Mitarbeiter dort mir vorschlug, mich in einem Museum zu bewerben, verneinte ich und machte deutlich: »Ich möchte im Fitnessbereich arbeiten.« Der Mann machte große Augen und sah in seinen Computer: »Aber Sie haben doch keine Ausbildungen in diesem Bereich, oder? Sie sind doch Historikerin?« Ja, die hatte ich nicht, und ich hatte auch keinen blassen Schimmer von der Fitnessbranche. Aber ich liebte es zu trainieren und wusste, dass ich nur das tun wollte.

Naiv, wie ich war, suchte ich selbst nach einem Job in der Fitnessbranche und wurde tatsächlich fündig. Eine Fitnesskette für Frauen stellte mich trotz fehlender Vorkenntnisse ein. Die Arbeit erfüllte mich von Anfang an. Trotzdem merkte ich schnell, dass ich mehr wollte, als den Frauen nur zu zeigen, wie sie Kniebeugen richtig machen mussten, um ihre Beine perfekt zu formen. Mir war wichtig, den Menschen klarzumachen, dass Training nicht nur dafür da sein kann, den Körper zu trainieren, sondern dass Sport helfen kann, mit Krisen klarzukommen, wenn wir unseren Gefühlen dabei Raum lassen.

Und einen Mangel an Gefühlen gab es bei uns in den Trainingsstunden nicht wirklich. Die Gruppengröße bei den einzelnen Trainings belief sich auf maximal sechs Personen, da sie an spezielle Geräte gebunden war. Dadurch entstand eine gewisse Intimität zwischen den Trainierenden. Sie erzählten einander Persönliches aus ihrem Alltag, teilten ihre Probleme miteinander. Der Altersdurchschnitt lag bei 50 Jahren. Ich stand zwischen den Trainierenden, gab Anweisungen und hörte die Gespräche mit. Es waren immer ähnliche Themen, die die Frauen beschäftigten. Trennungen, Scheidungen, Pflege der kranken alten Eltern oder Sorgen um ihre Kinder oder Jobprobleme, um hier nur einige zu nennen. Dahinter verbargen sich meist Verluste und immer jede Menge Gefühle, mit denen die Frauen überfordert zu sein schienen. Zu mir sagten sie: »Mei, du bist noch so jung, Katrin. Da ist das Leben noch leicht. Wart’s ab, was noch alles auf dich zukommen wird.«

»Wahrscheinlich«, antwortete ich und dachte nur: Wenn ihr wüsstet!

Ich zog weiterhin meine Übungsvorgaben aus der Chefetage durch, obwohl immer wieder der Gedanke in mir aufblitzte, dass ich mit den Frauen doch mehr machen könnte, als nur zu trainieren. Es vergingen Monate, bis ich mich schließlich überwinden konnte, Klartext zu reden. Mittlerweile kannte ich die Lebensläufe der einzelnen Kundinnen auswendig und beschloss, auch etwas von mir preiszugeben. Ich erzählte, wie Larissas Ermordung mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt hatte und wie ich dadurch zum Sport gekommen war. Sie alle waren zuerst schockiert und drückten ihr Beileid aus. Dann aber passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Sie berichteten von ihren eigenen Verlusten und den Menschen, die sie verloren hatten. Sie öffneten sich, und wir sprachen plötzlich auf einer viel tieferen Ebene miteinander.

Ich erzählte ihnen, wie ich in meiner Freizeit trainierte und die einzelnen Übungen mit stärkenden Gedanken verband, die mir im Alltag und bei der Bewältigung meiner Gefühle halfen. Sie waren sofort angetan und wollten mehr darüber wissen. Dabei hatte ich selbst noch keine konkrete Vorstellung davon, was genau ich da machte, ich wendete mein Gefühlstraining ja nur bei mir selbst an. Dennoch versuchte ich, ihnen etwas davon zu zeigen. Wir machten Kniebeugen und verbanden sie mit der Idee des Sich-selbst-Aufrichtens. So bekam diese einfache Übung einen tieferen Sinn, wodurch die Teilnehmerinnen sich plötzlich weniger beschwerten, wenn es mal anstrengender wurde. Sie waren motivierter und schienen mehr Spaß an der Sache zu haben. Diese neue Art, mit den Frauen zu trainieren, erfüllte mich nicht nur, sondern schenkte meinem Tun einen tiefen Sinn. Ich hatte plötzlich das Gefühl, meine Schwester Larissa würde in jeder von ihnen weiterleben.

Leider hielt dieser Zustand nur wenige Wochen an, denn ich war gezwungen zu kündigen. Die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen waren nicht mehr auszuhalten. Meine Damen, wie ich sie immer nannte, waren traurig, aber sie verstanden meine Entscheidung. Sie versuchten, mich zu überreden, ein eigenes Studio zu eröffnen, sie würden mir folgen. Doch mir fehlte das nötige Kleingeld, und ich hatte im Grunde noch immer nicht viel mehr Ahnung, was das Training betraf. Obwohl ich einiges an Büchern dazu gelesen hatte, spürte ich, dass es an der Zeit war, mich fundiert weiterzubilden, wenn ich diese Vision weiterverfolgen wollte. Leider fehlte mir auch dafür das Geld. Also suchte ich mir einen Bürojob, der mir die Ausbildungen finanzieren sollte. Ich arbeitete in einer Versicherung. Das lange Sitzen belastete mich, und die Arbeit selbst machte mich nicht glücklich, aber sie erfüllte ihren Zweck. Ich sparte mir das nötige Geld zusammen und absolvierte eine Ausbildung nach der anderen. Von der Personaltrainerin über die Gesundheitstrainerin, die Functional-Trainerin, Pilatestrainerin, Yogatrainerin, Qigongtrainerin bis hin zur Basis-Fitnesstrainerin sog ich alles auf, was es am Markt gab, um einen möglichst guten Überblick über die einzelnen Sportarten zu erhalten und Ideen für mein eigenes Konzept zu finden. Ich kündigte meinen Bürojob ein Jahr später wieder, um mich vollends auf die Entwicklung des Konzeptes und die Ausbildungen zu konzentrieren. Ich erforschte Bewegungsabläufe und Gefühle und kam meinem ganz eigenen Konzept mit jeder Prüfung einen Schritt näher. Ein Name stand noch nicht fest, doch ich wusste, dass ich eine ganz bestimmte Zielgruppe damit bewegen wollte: trauernde Menschen, die Krisen erleben, Verluste durchstehen müssen, Herausforderungen im Alltag zu meistern haben und sich damit oft überfordert fühlen. Und ich wusste auch, dass ich ihnen mit meiner Art der Bewegung und meiner Sichtweise auf Sport helfen wollte, sich selbst und ihren Gefühlen gegenüber mutiger und hoffnungsvoller zu werden.

Nachdem ich meine Ausbildungen mit Auszeichnung bestanden hatte, besuchte ich Anfang 2017 eine sechswöchige Reha für seelische Gesundheit, um meiner eigenen Trauer noch mal bewusst Raum und Zeit zu geben. Bis dahin hatte ich immer nur gearbeitet und funktioniert. Ich wusste, dass ich mich selbstständig machen wollte. Deshalb war es umso wichtiger, hier noch einmal genau hinzuschauen. Während ich dort war, überlegte ich, welchen Namen ich meinem Konzept geben wollte. Nach einem intensiven Mindmapping war er plötzlich da. Der Name SeelenSport stand endlich fest.

Was ich persönlich mit dem Begriff der Seele verbinde? Für mich hat sie nichts Göttliches oder Spirituelles, sondern »Seele« steht für mein Wesen, meine Gefühlswelt, meine Erinnerungen. Sport bedeutet, sich ganzheitlich und zielgerichtet nach einem Plan zu bewegen. Wenn ich beides also verknüpfe, meine ich damit, den Körper in Zusammenhang mit der Gefühlswelt zielgerichtet und mit voller Absicht zu bewegen, um Veränderungen zu schaffen, körperlich wie auch seelisch.

Geplant hatte ich, mich im Herbst 2017 selbstständig zu machen. Dann sollten meine ersten offiziellen Trainings stattfinden. Doch das erste SeelenSport-Training war schon viel früher. Vollkommen inoffiziell, aber es stellt für mich den Ursprung dieses Trainings dar, denn es spiegelt seine »Wirkung« wider, und deshalb möchte ich es hier unbedingt erwähnen.

In der Reha gab es bei Tisch eine feste Sitzordnung. Mir gegenüber saß eine ältere, übergewichtige Dame, Monika. Man konnte ihr ansehen, dass sie traurig und frustriert war, und sie schien vollkommen gebrochen zu sein. Ihr Gang wirkte träge und schwer, und ihre Haltung war gebückt, die Mundwinkel nach unten gezogen.

Ich dachte zunächst, sie sei grimmig, und konnte mir nicht vorstellen, dass wir uns verstehen würden. Als wir ins Gespräch kamen, musste ich allerdings schnell feststellen, dass ich falschlag. Sie war ein sehr lieber Mensch und hatte eine sehr herzliche Art. Innerhalb weniger Tage wuchsen wir zusammen. Eine außergewöhnliche Freundschaft entstand.

Ich trainierte täglich hinter dem Rehagebäude auf einem kleinen Basketballplatz. Monika sprach mich beim Essen darauf an: »Sag mal, glaubst du nicht, ich könnte das auch irgendwie hinbekommen, so ein Training? Ich sehe dich immer auf diesem Platz hinten. Du machst das so toll, und ich bin neugierig. Außerdem muss mein Speck weg.« Sie lachte und klopfte sich auf den Bauch.

»Das würdest du auf jeden Fall schaffen. Ich kann dir gezielt Übungen für deinen Körper zeigen«, freute ich mich über ihren Vorschlag, und so war es beschlossene Sache.

Bei jedem Training verwendete ich Musik, je nach Gefühlslage, wonach mir gerade war. Ich fragte Monika, was sie gerne hören wolle. »Irgendetwas Indiemäßiges, bitte«, antwortete sie.

Ich staunte, legte eine Liste auf, und wir powerten uns ordentlich aus. Wir machten an ihr Körpergewicht angepasste Übungen, und mit jeder Wiederholung keuchte sie lauter, doch ihre Mundwinkel wanderten gleichzeitig weiter nach oben. Sie begann zu grinsen, während ihr die Schweißperlen über die Stirn liefen. Zwischendurch fluchte sie laut, ließ alles raus, was gerade auftauchte.

»Alles okay, lass es raus. Hier darf es sein«, ermutigte ich sie. Nachdem die letzte Wiederholung vollbracht war, klatschten wir begeistert in die Hände. Monika strahlte plötzlich so viel Energie aus, dass ich selbst erstaunt war. Wie ein Fels, der voller Stolz genau wusste, wie viel Kraft er besaß, stand sie schweißgebadet vor mir.

Plötzlich ertönten ein paar Takte eines neuen Liedes aus der Lautsprecherbox. Ich kannte es bis dahin nicht, Monika auch nicht. Es war No Roots von Alice Merton. Obwohl Monika unglaublich erschöpft war, nahm sie ihre Hände nach oben und wippte im Takt mit: »Uhhh, das ist ein toller Song, mach mal lauter!« Ich drehte auf, und sie begann, ihre Hüften hin- und herzuschwingen, immer schneller, bis sie mit vollem Elan tanzte. »Los, Katy, mach mit. Tanz mit mir!«, schrie sie euphorisch auf, und ich begann ebenso, meine Hüften zu schwingen und mitzusingen. Plötzlich sah ich meine Schwester Larissa mit uns auf diesem Platz wild tanzen und lachen. Sie war da, und in diesem Moment wusste ich genau, ich wollte nie wieder etwas anderes machen. Ich wollte Menschen wie Monika in Bewegung bringen, ihnen auch in traurigen Zeiten ein Lächeln schenken und ihnen zeigen, dass alle Gefühle immer da sein dürfen und uns so viel Kraft schenken können.

Warum ein eigener Sport, und was macht den SeelenSport aus?

Bei fast allen Sportarten ist das Ziel, bestimmte körperliche Verbesserungen zu erreichen. Im Rücken-Fit-Kurs werden Muskelgruppen im Rumpfbereich gezielt gekräftigt, beim Pilates wird der Fokus von der Muskelkräftigung auf Atmung und Beweglichkeit ausgeweitet, und beim Kickboxen geht es zusätzlich noch um Koordinationsfähigkeit, Schnellkraft und Kraftausdauer. Yoga verbindet die körperliche Komponente mit der Spiritualität. Doch in all den Sportarten, mit denen ich mich beschäftigte, fehlte mir der Zugang zu den Gefühlen.

Denn wo Wut vielleicht beim Kickboxen nach außen gelangen kann, wird sie dennoch nicht angesprochen oder konkret behandelt. Wo Traurigkeit beim Yoga in die Langsamkeit und Ruhe fließen kann, fühlte ich mich von der Spiritualität und den komplizierten Ausdrücken überfordert. Wo Freude beim Zumba ihren Ausdruck bekommt, fehlte mir der Zugang zu den anderen Gefühlen. Ich wollte eine Verbindung aller Elemente aus den verschiedenen Sportarten schaffen, den Fokus aber bei den Gefühlen halten. Also beschloss ich, eine eigene Sportart zu entwickeln und die entsprechende Marke anzumelden. So musste ich mich nicht an die Konzepte anderer halten und hatte freie Hand.

Lange suchte ich nach Begriffen, die leicht verständlich waren und Sinn ergaben. Diese sollten mit Geschichten und Bedeutungen dahinter verbunden sein, die für den Alltag nützlich sind und sich so gedanklich verankern können. Mein Freund blickte eines Abends in den klaren Himmel hoch und sagte: »Warum benennst du die Übungen nicht nach Sternbildern? Du sagst doch immer, Larissa sei jetzt vielleicht ein kleiner Stern da oben und passt auf dich auf, wie in König der Löwen.« – »Wirklich? Nach Sternbildern? Klingt das denn nicht esoterisch und abschreckend? Und wie viele gibt es davon eigentlich?«, fragte ich skeptisch. Aber nachts auf einem Feld zu stehen und einen klaren Sternenhimmel anzusehen beruhigte mich tatsächlich und erfüllte mich mit Zuversicht, obwohl ich natürlich nicht wirklich glaubte, meine kleine Schwester sei ein Stern.

Wir recherchierten und fanden heraus, dass es 88 Sternbilder gibt, also definitiv genug. Ich überflog ihre Namen und sah in meinem Kopf sofort einzelne Übungen entstehen. Meine Babys hatten also Namen. Mit den Jahren entwickelte ich weitere Übungen, die nichts mit Sternbildern zu tun haben, wie zum Beispiel das »Surfergirl«. Die Sternbilder lieferten also den ersten Anreiz bei der Begriffsfindung, sind aber nicht die einzigen Namensgeber.

Doch bevor wir uns im zweiten Teil im Detail mit dem SeelenSport-Training beschäftigen, wollen wir erst einmal mit den Grundlagen beginnen, auf denen das Training aufbaut: mit Gefühlen, körperlichem Training und seinen Auswirkungen auf die Psyche. Außerdem geht es im ersten Teil dieses Buches um die Frage, was positive Gedanken in unserem Gehirn auslösen können und warum Achtsamkeit beim Fühlen und im Training eine so große Rolle spielt.

Teil 1

Wissenswertes

Gefühle

Die Angst vor der eigenen Gefühlswelt

Hast du noch Angst vor deinen Gefühlen? Angst ist übrigens auch schon ein Gefühl. Frage dich selbst einen Moment ganz ernsthaft: Wann hast du dich das letzte Mal auf eines deiner Gefühle wirklich eingelassen? Auf die belastenden, nicht so tollen Gefühle. Wie war das? Kannst du dich noch erinnern? Die angenehmen Stimmungslagen sind da schon etwas leichter anzunehmen, und da gelingt es dir vermutlich auch einfacher, dich daran zu erinnern und nachzufühlen, nicht? Oder wirst du dadurch sogar gerade traurig, weil sie vorbei sind?

Nun frage dich weiter: Wovor genau hast du Angst, wenn es um diese Gefühle geht?

Nimm dir ein paar Minuten und beobachte dich selbst. Wie fühlt sich jetzt gerade diese Angst an? Was löst dieser Gedanke körperlich in dir aus? Überforderung? Noch mehr undefinierbare Gefühle? Verwirrung? Noch mehr Angst? Kopfschmerzen? Schwitzen? Schnelles Atmen?

Dann mach eine kurze Pause. Atme einmal tief durch, schüttle dich aus, wenn du magst. Du hast soeben gefühlt. Herzlichen Glückwunsch! Gar nicht so schwer, oder?

Ich kann deine Haltung gegenüber belastenden Gefühlen gut verstehen. Sie lösen Unbehagen aus, weil du denkst, die Kontrolle zu verlieren, ihnen ausgeliefert zu sein, daran zerbrechen zu können. Deine Gefühle konfrontieren dich mit deinem Innersten, deinem wahren Wesen, und nicht alles daran magst du vielleicht. Das ist es doch in Wahrheit, was uns allen Angst macht. Wer sind wir wirklich, mit unseren Fehlern und Krisen im Leben? Du hast vielleicht nicht wirklich Angst vor den Gefühlen, sondern vor deinem Ich, deiner Entwicklung, deiner Zukunft, deiner Vergangenheit; Angst davor, all diese Dinge nicht mehr kontrollieren oder gutheißen zu können. Und wenn du die Angst zulässt, gibt es nur noch dich und deine Gefühle, sonst nichts. Wenn du sie zulässt, dann ist da das pure Leben, der Moment, und davor haben wir alle ein bisschen Angst, vor der eigenen Lebendigkeit.

Schauen wir uns aber mal genau an, was diese Gefühle überhaupt sind.

Emotionen oder Gefühle?

Überall hören und lesen wir diese beiden Begriffe – Emotionen und Gefühle. Müssen wir hier differenzieren, oder bedeuten sie das Gleiche? Das habe ich mich selbst lange gefragt und bin auf die Suche gegangen.

Neurowissenschaftler und Emotionsforscher sind sich hier auch nicht einig. Manche trennen beide Begriffe, andere wiederum behaupten, sie meinten dasselbe. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Dennoch versuche ich, dir eine erste Erklärung zu geben.

Bei Emotionen gibt es die sogenannten Basisemotionen. Über deren Anzahl sind sich Forscher meistens einig und begrenzen diese auf sechs bis sieben Basisemotionen. Sie sind es, die sich in ihrem körperlichen (Gesichts-)Ausdruck und Erkennen auf der ganzen Welt gleich zeigen, sozusagen kulturell unabhängig sind. Dazu zählen Furcht, Freude, Wut, Traurigkeit, Ekel, Überraschung und Verachtung. Wir kennen diese Basisemotionen auch aus unserem modernen Alltag. Wir unterhalten uns heute täglich über Medien wie WhatsApp und Facebook, und das mithilfe von kleinen Gesichtern, den sogenannten Emoticons, den Emojis. Wir erkennen sofort anhand einzelner Linien, welche Emotion gemeint ist.

Doch unsere Emotionen zeigen sich nicht nur im Gesicht, sie wirken im gesamten Körper. Unsere Körperhaltung unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, ob wir gerade wütend sind oder die Freude uns kitzelt. Demnach sollten doch Emoticons Ganzkörperemoticons sein, oder nicht? Vielleicht sind diese Emojis Ausdruck der schlichten Tatsache, dass wir Menschen den ganzheitlichen Zugang zu unseren Emotionen verloren haben. Wir achten nur noch auf unsere Mimik, anstatt auch den Rest unseres Körpers in unser Fühlen miteinzubeziehen.

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