Sehnsuchtsorte in Europa - Hans Ilmberger - E-Book

Sehnsuchtsorte in Europa E-Book

Hans Ilmberger

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Beschreibung

Dieser Reisebericht ist anders. Er führt Sie quer durch Europa, zu ausgewählten Orten, die für den Autor und seine Frau seit langem zu Sehnsuchtsorten geworden sind. Die Reise beginnt in der malerischen dänischen Südsee und endet am südlichsten Punkt Andalusiens, sie führt vom winterlichen Rügen zu Weltstädten wie London und Paris und von dort zu Winzerstädtchen im Elsass. Und vom Bauernhof in Oberbayern über die Isar bis zum Matterhorn, dem schönsten Berg der Schweiz. Der Blick von Hermann Hesses Balkon im Tessin wird Ihnen gefallen und so unvergesslich sein wie der Garten von Claude Monet in Giverny. Oder wie die Paläste der maurischen Herrscher in Granada. Dieses Buch ist ein sehr persönlich geschriebener Reisebericht, der Landschaften und Orte in einer Art und Weise darstellt, dass man sofort losfahren möchte, um dies alles selbst zu erleben.

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Seitenzahl: 233

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Hans Ilmberger, geboren am 9. Mai 1948 in Steinhöring / Bayern, studierte Anglistik und Romanistik in Hamburg, promovierte 1984. Er unterrichtete an einem Gymnasium in Ahrensburg, Schleswig-Holstein, und leitete das Kopernikus Gymnasium in Bargteheide von 1996 – 2010.

2011 erschien sein Buch „Tansania. Eine Liebeserklärung in 9 Kapiteln“, 2013 das Kinderbuch „Sonne, Mond und Balthasar. 10 Tage in der Schule mit Nikolaus Kopernikus“.

Die Reise, die in diesem Buch beschrieben wird, beginnt an der Ostsee und führt bis zum südlichsten Punkt Andalusiens. Auf dieser knapp 5000 Kilometer langen Fahrt werden Sie einiges erleben: Der Duft von riesigen Hyazinthenfeldern wird Ihnen um die Nase wehen, Sie werden die Dächer und Türme der Goldenen Stadt sehen und die höchsten Berge der Schweiz. Sie fahren mit einem Bummelzug durch Orangenhaine auf Mallorca und genießen mit Erich Kästner den Jardin du Luxembourg in Paris. Vielleicht möchten Sie ja nach der Lektüre dieses Buches in Zukunft nur noch bei Schnee und Eis nach Rügen fahren oder unbedingt in der Isar schwimmen. Wer weiß, was Ihnen sonst noch alles einfällt, wenn Sie am Ziel der Reise angekommen sind.

Machen Sie sich darauf gefasst, dass diese Reise nicht spurlos an Ihnen vorübergehen wird. Auch für Sie werden einige dieser Orte zu Sehnsuchtsorten werden. Ganz bestimmt sogar.

Inhalt

Vorwort

Von den Ochseninseln nach Alsen

Rügen im Winter

Zwischen Haarlem und Leiden

Rochester Cathedral

Spaziergang durch London

Paris

Giverny

Märchenhaftes Elsass

Prag

Am Chiemsee

Rechts und links der Isar

Ascona

Lugano

Zermatt

Mallorca

Andalusien

Danksagung

Für Gerda

Vorwort

Die Reise, die in diesem Buch beschrieben wird, beginnt an der Ostsee und führt in den Süden, bis ans Ende der Welt. So nannten die alten Griechen die Meerenge bei Gibraltar.

Es ist keine Reise ins Unbekannte, sondern zu vertrauten Orten. Zu Sehnsuchtsorten, die man immer wieder erleben möchte. Dies ist auch der Grund dafür, dass sich auf dem Weg in den Süden Umwege nicht vermeiden lassen. Nach Osten wie nach Westen. Damit Sie dieser Reise besser folgen können, habe ich eine kleine Europakarte hinzugefügt, auf der all diese Orte mit einer Nummer gekennzeichnet sind. Die Nummerierung entspricht der Reihenfolge der nachfolgenden Kapitel.

Auf dieser knapp 5000 Kilometer langen Reise werden Sie einiges erleben: Der Duft von riesigen Hyazinthenfeldern wird Ihnen um die Nase wehen, Sie werden die höchsten Berge der Schweiz sehen, durch das Küstengebirge Mallorcas fahren und zu den Palästen der maurischen Herrscher in Granada. Waren Sie schon einmal um Mitternacht in einer Kathedrale? Bei völliger Dunkelheit? Sehr zu empfehlen! Oder auf Hermann Hesses Balkon im Tessin? Vielleicht möchten Sie ja nach der Lektüre dieses Buches nur noch bei Schnee und Eis nach Rügen fahren oder unbedingt in der Isar schwimmen. Oder im Atlantik vor Tarifa. Ich halte dies für sehr wahrscheinlich. Wer weiß, was Ihnen sonst noch alles einfällt, wenn Sie am Ziel der Reise angekommen sind.

Meine Fahrt in den Süden setzt sich zusammen aus vielen Etappen, aus unterschiedlichen Reisen, aus Eindrücken, die sich überlagern, ergänzen, verdichten. Deshalb kann es nicht verwundern, dass es bei dem, was ich erzähle, keine zeitliche Reihenfolge gibt, mal ist es Frühling, es folgt der Winter und dann der Sommer. Was all diese Reisestationen miteinander verbindet, ist allein die Tatsache, dass sie Sehnsuchtsorte sind.

Die Grundlage für diesen Reisebericht sind Tagebücher, in denen ich über viele Jahre Erlebnisse und Stimmungen festgehalten habe. Deshalb ist dieses Buch kein Reiseführer im eigentlichen Sinn, mit ausführlichen und möglichst vollständigen Beschreibungen der Attraktionen vor Ort, mit Angaben zu wichtigen Museen, Restaurants oder Ausflugsorten in der Umgebung.

Mir geht es um etwas ganz anderes. Ich möchte persönliche Eindrücke weitergeben, zeigen, wie schön bestimmte Landschaften und Orte sind, und den Lesern auf diese Weise eine Orientierung und Einschätzung geben, die Zahlen und Fakten eines Reiseführers nicht vermitteln können. Die vielleicht sogar über die Möglichkeiten eines Reiseführers hinausgehen und die Sehnsucht wecken, diese Landschaften und Orte selbst zu erleben.

Ein einfaches Beispiel. Ich treffe immer wieder Menschen in Schleswig-Holstein oder Hamburg, die noch nie in Holland waren, noch nie die blühenden Tulpen-, Osterglocken- oder Hyazinthenfelder gesehen haben. In meiner Beschreibung des Landstrichs zwischen Haarlem und Leiden geht es deshalb nicht um die Auflistung von Freizeitangeboten oder Übernachtungsmöglichkeiten in einer attraktiven Ferienregion, sondern um die möglichst lebendige und farbige Darstellung eines Naturwunders. Damit vielleicht auch Sie nächstes Jahr im April die Lust verspüren, nach Holland zu reisen. Und anschließend möglicherweise sogar zu anderen Orten, die in diesem Buch beschrieben werden. Vielleicht wird dies für Sie eine Reise ins Unbekannte werden, aber ich bin sicher, dass der eine oder andere Ort auch für Sie nach kurzer Zeit zu einem kleinen Paradies werden wird. Ganz sicher.

Der Alsensund bei Sottropskov

Von den Ochseninseln nach Alsen

Von Flensburg aus ist es nur ein Katzensprung. An Wassersleben vorbei, durch Kollund hindurch, den Fjordvejen entlang, schon liegen sie vor uns: die Ochseninseln. Diese beiden kleinen dänischen Inseln sind nur zwei grüne Kleckse im Blau der Förde. Sie liegen nebeneinander, unzertrennlich wie Zwillinge, sind nicht viel größer als zwei Pfannkuchen und doch eine echte Attraktion.

Gleich gegenüber, auf dem nahen dänischen Festland, hat man zwei Parkplätze gebaut. Im Sommer und bei gutem Wetter quellen beide über. Eine Bushaltestelle und eine bekannte Imbissbude sorgen gemeinsam dafür, dass es dann noch ein wenig voller wird. Viele Menschen, Deutsche wie Dänen, finden es gerade hier besonders schön und kommen immer wieder.

Mehrere hundert Meter weiter in Richtung Kollund sieht man das ganz anders. Auf einer schmalen Wiese dicht am Wasser stehen ein paar Jungbullen und fressen das würzige Gras. Sie würdigen die Ochseninseln keines Blickes. Ich kann das verstehen.

Die Menschen liegen im Sand oder sitzen auf den Bänken, picknicken und schauen mit und ohne Fernglas interessiert bis sehnsuchtsvoll zu diesen beiden Inseln hinüber. Eine Sandbank führt sichelförmig hinaus ins Wasser und endet nach gut 100 Metern. Auch von dort aus kann man nicht viel mehr sehen als ein paar Boote, die an einem Steg vertäut liegen, einige Häuser, Büsche und Bäume. Mehr gibt es dort nicht zu sehen. Und dennoch: Die Menschen kommen in Scharen. Sie werden fast magisch angezogen von dieser Landschaft und diesen beiden Inselchen.

Ich kenne das Gefühl seit vielen Jahren, seit dem Herbst 1968, als ich bei der Marine in Flensburg-Mürwik stationiert war. Die Küste und die Landschaft auf der anderen Seite der Förde hatten schon damals einen besonderen Zauber für mich. Mit den so genannten Whiskey-Dampfern fuhren wir in unserer Freizeit für wenig Geld über die Flensburger Förde nach Kollund, in ein anderes Land. Ich komme seitdem immer wieder, mit Gerda, meiner Frau, und Timmy, unserem Hund. Mindestens einmal im Jahr muss das sein. Es geht nicht anders.

Vielleicht haben Sie schon von der Margeritenroute in Dänemark gehört. Wenn man ihr folgt, lernt man die schönsten Landschaften und die wichtigsten Sehenswürdigkeiten dieses Landes kennen. Die Straßen entlang dieser Route sind gekennzeichnet mit kleinen braunen Schildern und einer weißen Margeritenblüte. Margeriten sind die Lieblingsblumen von Königin Margrethe II. und meiner Frau.

Wenn wir in Südjütland sind, an der Flensburger Förde, folgen wir schon seit Jahren unserer ganz persönlichen Margeritenroute. Sie beginnt hier bei den Ochseninseln und geht als Fußweg am Ufer weiter, so lange wie wir Lust haben. Dann kehren wir um und nehmen die Straße nach Rendbjerg, von dort zu den Düppeler Schanzen und nach Sønderborg. Anschließend geht es zum Alsensund und, wenn die Zeit noch reicht, zum Leuchtturm von Kegnæs und zum Strand.

Direkt am Wasser windet sich ein schmaler Pfad entlang der dänischen Seite der Flensburger Förde. Er bahnt sich seinen Weg in sanften Auf- und Abschwüngen durch die meist unberührte Natur. Es ist der Gendarmenpfad. Er beginnt in Padborg und endet in Høruphav auf Alsen. Von 1920 bis 1959 patrouillierten hier dänische Grenzgendarmen einzeln und zu Fuß auf diesem insgesamt 74 Kilometer langen Küstenstreifen. Was für eine hübsche Idee, was für ein sinnloser Auftrag. Aber andererseits dürften die damaligen Grenzbeamten nicht nur die gesündesten Menschen in ganz Dänemark gewesen sein, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes die Erfinder des „Nordic Walking“.

Den Abschnitt des Gendarmenpfads in Sichtweite der Ochseninseln zu gehen, ist immer schön, besonders jetzt im Frühling. Rote Tulpen leuchten in den Vorgärten, dichte Heckenrosenbüsche zeigen ihr kraftvolles Grün und die ersten rosa oder weißen Blütenspitzen. Vor den Häusern flattern lange rotweiße Wimpel an frisch lackierten Fahnenstangen. Auf dem Weg treffen wir immer wieder auf verwitterte Holzbänke, die von Grashalmen und Kräutern schon in dieser Jahreszeit teilweise überwuchert sind. Die Wanderer freuen sich trotzdem über diese wenig komfortable Sitzgelegenheit. Hier können sie sich nicht nur ausruhen, sondern auch in Ruhe schauen.

Die Landschaft hier im südlichen Dänemark ist kleiner als in Deutschland, ruhiger, friedlicher, langsamer. Auf angenehme Weise verträumter. Hier gibt es nichts Aufregendes, nichts Spektakuläres zu sehen. Aber diese unaufgeregte Landschaft mit ihren sanften Linien und Konturen ist einfach wohltuend.

Kurze durchsichtige Wellen laufen vor unseren Füßen geruhsam auf den schmalen Strand. Unser Blick geht an den bunten Fischerbooten vorbei, hinüber zu den Ochseninseln, hinaus auf die Förde, auf Boote mit weißen oder kupferroten Segeln, die langsam in der Ferne vorbeiziehen. Die Landschaft auf der anderen Seite der Förde scheint über dem Wasser zu schweben. Alles ist leicht und schwerelos. Und still. Bis auf das schwappende, glucksende Geräusch der auslaufenden Wellen und das zänkische Geschrei der Möwen.

Als es Zeit wird, zum Parkplatz zurückzukehren, hoffe ich sehr, dass es zumindest einige rosa oder weiße Knospen auf den großen Büschen inzwischen geschafft haben, unter der wärmenden Sonne aufzublühen. Für mich gibt es fast nichts Schöneres als den Duft blühender Heckenrosen. Wenn ich diesen Duft rieche, sehe und fühle ich Sonne und Wind, Sand und Meer.

Auf dem Weg zu unserem Ferienhaus in Rendbjerg kommt schon bald die Kirche von Broager in den Blick. Auf einer kleinen Anhöhe errichtet, ist sie kilometerweit aus allen Himmelsrichtungen zu sehen. Sie passt in diese Landschaft. Wie ein Leuchtturm verkündet sie allein mit ihren beiden mächtigen weißgetünchten Türmen weithin sichtbar ihre Botschaft, scheint in sich zu ruhen und anderen Orientierung und Halt zu geben.

In Rendbjerg selbst erwartet uns ein ganz besonderes Schauspiel. Der Himmel hat sich schon seit einiger Zeit bezogen und sieht jetzt höchst bedrohlich aus. Dunkle Regenwolken liegen über dem Wasser und dem Land und ballen sich immer dichter zusammen. So, als wollten sie alle Kräfte bündeln, um dann umso stärker losschlagen zu können. Orangefarbene Warnleuchten blinken aufgeregt auf der nördlichen und der südlichen Seite der Flensburger Förde. Der aufkommende Wind scheucht die Segelboote, die jetzt noch unterwegs sind, auf kürzestem Weg in den nächsten Hafen. Es ist später Nachmittag, der Himmel ist eine kohlrabenschwarze Decke.

Und dann geht es los mit einem Paukenschlag: Von einer Sekunde zur anderen schüttet es wie aus Kübeln, überall fahren Blitze auf das Land und das Wasser herab, Donnerschläge kommen von allen Seiten. Instinktiv weichen wir von unserem großen Panoramafenster einige Schritte in das Innere des Zimmers zurück. Wir sind froh, dass wir ein sicheres Dach über dem Kopf haben und einen Hund, den Blitz und Donner völlig unbeeindruckt lassen.

Am nächsten Morgen folgt das Kontrastprogramm. Kein Lüftchen regt sich, das Wasser ist mattes Silber, das gegenüberliegende Ufer im dichten Dunst kaum zu erkennen. Die Häuser dahinter, selbst die Kirche, sind verschwunden. Der Wald, mehr grau als grün, taucht gespenstisch aus dem Wasser auf, verschwommen und schemenhaft wie die Ufer der Seine am frühen Morgen, die Claude Monet von seinem Boot aus gemalt hat und die im Musée Marmottan in Paris zu sehen sind.

Als wir einige Stunden später auf dem Höhenzug westlich von Sønderborg stehen, scheint die Sonne. Wir sehen im Norden grüne Wiesen und gelbe Rapsfelder, und dazwischen und dahinter blitzt das blaue Wasser des Alsensunds. Sønderborg liegt etwas versteckt unterhalb der Kuppe im Osten, und im Süden glänzt das Meer. Welch grandiose Aussicht! Welch herrliche Landschaft!

Vor 150 Jahren war vieles gleich und doch alles anders. Dank der guten Fernsicht sahen die dänischen Soldaten hier oben sehr genau, was von Broager Land auf sie zukam. Sie sahen, hörten und spürten bald am eigenen Leib, dass die preußischen Kanonen stärker waren als ihre eigenen, dass sie der feindlichen Übermacht fast schutzlos ausgeliefert waren.

Heute erinnern hier oben ein Museum und die Befestigungsanlagen an diese blutige Schlacht, besonders eindringlich aber tun dies die vielen Gedenksteine für gefallene Soldaten. Sie wurden da aufgestellt, wo sie gestorben sind, am Wegesrand, unter Bäumen, zwischen Büschen und Hecken. Es ist ein sehr individuelles und würdevolles Erinnern an ein Grauen, das man sich heute in dieser Landschaft gar nicht vorstellen kann. In der Kühe und Schafe friedlich grasen und Wanderer nicht nur in die Ferne schauen, sondern immer auch zurück in die Vergangenheit.

Direkt gegenüber dem Geschichtszentrum Dybbøl Banke führt eine schmale Nebenstraße den Hügel hinab nach Sønderborg. Man sollte diese Straße unbedingt fahren, aber nicht schneller als im Schritttempo. Nicht nur wegen der vielen grasenden Schafe, die das Grün auf den Schanzen III und IV genüsslich stutzen und dabei die Straße nicht immer im Blick haben. Es geht vor allen Dingen um den fantastischen Blick auf Alsen und das Meer, das vor und unter uns liegt. Es geht aber auch um die Gedenksteine vom April 1864, die meist rechts der Straße stehen, einzeln und in Gruppen. Daran einfach vorbeizufahren, gelingt uns nie.

Vor dem Schloss in Sønderborg gibt es – zusammen mit Panoramablick auf die Kleinstadt und den Hafen – gekochtes Ei mit Schinkenbrötchen. Wir haben es uns auf einer windgeschützten Bank an der Ufermauer gemütlich gemacht. Hinter uns rauschen Skipper aus dem ganzen Norden mit ihren Booten durch die Fahrwasserrinne in das Hafenbecken. Sie haben ihre Uhr und die Kong Chr. X’s Bro fest im Blick. Diese Brücke ist ein Nadelöhr für alle Segelboote, die nach Norden in den Alsensund wollen oder von dort aus in Richtung Süden. Die Brücke hebt und senkt sich in festgelegten zeitlichen Abständen. Die meisten Segler gehen auf Nummer Sicher, holen ihre Segel ein und laufen mit Motor. Die Passage unter der Brücke hindurch, zwischen den beiden Betonpfeilern, ist nämlich nicht allzu breit, vor allen Dingen, wenn es Gegenverkehr gibt.

Natürlich wird es für die Segelboote auch im Hafenbecken immer dann besonders eng, wenn der Öffnungstermin näher rückt. Dann bewegen sich die Boote langsam in Kreisen, so, als belauerten sie sich, so, als wollten sie sicherstellen, dass sie die beste Startposition ergattern. Ertönt dann endlich das Signal, öffnet sich die Brücke und das Wettrennen beginnt. Jeder möchte der Erste sein.

Wenn dann auch der Gegenverkehr hinter der Kaimauer an uns vorbeigezogen ist und alle Boote langsam Richtung Süden verschwinden, werden andere Dinge wieder interessanter: Das kleine hellblaue Boot, das an der Pier festgemacht hat, und auf dem der Fischer seine Fische an Einheimische und Touristen verkauft. Das schwarze Kanonenrohr, das auf der Wiese vor dem Schloss vor sich hin schlummert. Die Kastanienbäume mit ihren weit ausladenden kräftigen Ästen, die mit ihren frischen grünen Blättern wunderbar aussehen.

Wenn wir alles gesehen und aufgegessen haben, dann brechen auch wir auf zum Alsensund. Zuerst geht es über die Brücke und dann in Richtung Aabenraa, allerdings nur wenige Kilometer. Noch vor Ragebøl biegen wir rechts ab und überqueren die Bahngleise. Die Straße ist schmal und oft eng begrenzt von Büschen, die so hoch und dicht stehen, dass sie zu grünen Wänden werden. Wir nehmen uns vor, bald wiederzukommen, wenn Flieder und Goldregen nicht nur hier, sondern an vielen Stellen in Südjütland haushoch blühen.

Diese Straße, die nicht für den Gegenverkehr gemacht ist, schlängelt sich in engen Kurven fröhlich hin und her, durch Felder und Wiesen, führt an einzelnen Häusern und Bauernhöfen vorbei. Pferde grasen seelenruhig auf einer umzäunten Weide zusammen mit einem hellbraunen Fohlen, das vor lauter Lebensfreude auf staksigen Beinen Luftsprünge macht. Ein hölzerner Taubenschlag steht an einem Teich, auf dem Enten schwimmen. Obstbäume überall. Wir haben schon bald das Gefühl, dass Bullerbü nicht weit sein kann oder Pippi Langstrumpf, auch wenn wir hier nicht in Schweden sind. Diese Landschaft wärmt das Herz. Und immer wieder zwischendurch sind da auch Ausblicke auf einen kurzen Abschnitt des Alsensunds und die Felder auf Alsen gegenüber.

Als Kontrast zu dem Blau des Wassers gibt es immer wieder das Gelb der Rapsfelder auf beiden Seiten des Alsensunds. Dieses Gelb ist so intensiv und so grell, dass man von dieser Farbe fast geblendet wird. Besonders dann, wenn man sich vor dem Feld befindet, das den Hügel hinab zum Alsensund und zu einem historischen Gasthaus führt. Direkt vor dem blühenden Rapsfeld säumen mehrere Reihen blühender Osterglocken den Feldweg bis hinunter zum Haus. Und zu allem Überfluss hat sich davor noch eine üppige Rabatte Löwenzahn ganz von alleine breit gemacht. Die grandiosen Sonnenblumenbilder von Vincent van Gogh sind nicht mehr als ein Klacks verglichen mit diesem Farbenrausch in Gelb.

Wir sind am Ziel der letzten Etappe des heutigen Tages angekommen, bevor es wieder zurück nach Rendbjerg geht: Wir fahren auf einem Feldweg den kleinen Hügel zum Leuchtturm von Kegnæs hinauf. Drei kleine Häuser mit gepflegten Gärten und einem Feigenbaum stehen im Halbkreis um den Leuchtturm. Wir steigen aus und gehen auf dem Kiesweg durch ein Spalier von Bäumen, auf deren Zweigen die ersten Blätter treiben. Links und rechts neben den Bäumen ist der Rasen erst vor kurzem akkurat auf drei Zentimeter Höhe geschoren worden. Ein Rasen, so dicht, so grün, so gesund wie der in Wimbledon. Der Weg durch das Spalier ist kurz, nicht weiter als 30 Meter lang. Hinter einer frisch getrimmten halbhohen Hecke kommt das Meer in Sicht. Bis zum Horizont. Und Segelboote, die vom böigen Wind auf das Wasser gedrückt werden.

Zwei einfach gezimmerte Holzbänke ohne Rückenlehne stehen hinter der Hecke auf einem schmalen Grasstreifen, etwa drei Meter vor dem Abgrund. Das Meer unter uns ist dunkel, und blassgrün dort, wo keine Pflanzen am Meeresboden wachsen. Weiter draußen hat es die Farbe des Himmels angenommen. Wir sehen links den Strand der Südküste von Alsen, rechts, weiter entfernt, flach und lang gestreckt, Schleswig-Holstein. Dazwischen nichts als Wasser. Und natürlich Möwen. Sie segeln vor uns im Aufwind der Steilküste ziemlich lässig hin und her, so, als wären sie es fast überdrüssig, uns ihre Künste zu demonstrieren.

Ein alter Däne mit kurzem Haar – vermutlich ist er hier auch für den Schnitt der Hecke und den gepflegten Rasen verantwortlich – spricht uns auf Deutsch an:

„Friedvoll hier oben, nicht wahr?“

Wir nicken.

„Und die Hecke schützt gut gegen den Nordwind.“

Wir stimmen wieder zu.

Er geht ein paar Meter weiter und kehrt zu uns zurück.

„Und das da drüben ist das große Vaterland?“, fragt er und zeigt Richtung Südwest.

Es war wohl nicht allzu schwierig zu erraten, woher wir kommen.

„Nicht großes“, antworte ich, um Missverständnisse auszuschließen.

„Aber doch Vaterland“, wiederholt er ernst.

Nicht alle Deutschen würden das so unverkrampft sagen. Nicht alle Dänen würden dies so ohne jeden negativen Unterton formulieren, angesichts der Ereignisse, die zwar schon 150 Jahre zurückliegen, aber für viele Dänen immer noch sehr lebendig sind. Und angesichts der Erfahrungen, die sie während des Zweiten Weltkrieges gemacht haben.

Und dann erzähle ich ihm noch, dass vor etwa 40 Jahren, als wir zum ersten Mal mit unserem Auto nach Dänemark gefahren sind, gleich hinter der Grenze auf einem Schild zu lesen war:

„Fahren Sie bitte langsam. Wir sind ein kleines Land und brauchen jeden einzelnen Dänen.“

Er lacht. 8o Millionen Deutsche und 5,5 Millionen Dänen.

Er wünscht uns einen schönen Tag und überlässt uns der friedvollen Atmosphäre unter dem Leuchtturm und dem Blick auf das weite Meer.

Rügen im Winter

Rügen im Winter

Die Sonne scheint vom blauen Himmel, der Strand ist schneeweiß. Unser Hund, der zwei Namen hat und sich nur einen merken muss, ist in seinem Element.

Seine vier Beine haben hier eigentlich nichts anderes zu tun, als seine Nase in etwa zwei Zentimeter Höhe über den Schnee zu katapultieren. Oder eine Vollbremsung vorzunehmen, wenn sie meint, etwas übersehen zu haben. Dann dreht er um, vergewissert sich, ob er die Spur richtig verstanden hat, stößt sicherheitshalber die Schnauze tiefer in den Schnee, schnaubt mehrere Male, prüft das Ergebnis. Und weiter geht’s. Die beiden Ohren sind ebenfalls aktiv und melden: Enten im Wasser. Ohne zu zögern springt er hinein, obwohl er weiß, dass es keinen Sinn macht. Aber es macht Spaß. Hellgrünes Wasser spritzt in kleinen Fontänen hoch, die Enten flattern auf, aber nicht weiter als unbedingt nötig. Sie kennen das Spiel und machen eher einen gelangweilten als verängstigten Eindruck.

Timmy (so nenne ich ihn) bzw. Timmi (so, meine Frau) kommt zufrieden ans Ufer zurück, schüttelt das Wasser aus seinem Fell, von vorne nach hinten, wie es sich gehört, und wälzt sich anschließend ausgiebig im Schnee. Oder schiebt sich mit den Pfoten seiner Hinterbeine, auf der Seite liegend, durch die weiße Pracht. Dann spurtet die Nase wieder los. Wenig später sind es ein paar Möwen zwischen dümpelnden Eisschollen, deren Reaktionszeit getestet werden muss. Danach Schütteln und im Schnee Wälzen. Und weiter geht’s.

Gut anderthalb Meter über dem Strand ist die Luft mindestens genauso kalt wie direkt über dem Schnee, der Ostwind treibt Tränen in die Augen. Es sind auch Freudentränen, denn vor uns liegt einer der schönsten Küstenabschnitte, die wir kennen. Es war dieser Blick, der uns von Anfang an verzaubert hat. Von den Kreidefelsen im Norden führt die weite Bucht mondsichelförmig an Binz vorbei bis zu den Kreidefelsen und den Wäldern im Osten. Dazwischen liegen kilometerlange Sandstrände, auf die Wind und Wellen Muscheln, Tang, Rollholz und Bernstein werfen. Besonders jetzt im Winter. Nachts sieht man auf der nördlichen Seite der Bucht die Lichterketten von Mukran und Sassnitz und die Positionslampen der Schiffe am Horizont. Und wenn man Glück und den Kopf im Nacken hat, Sterne am weiten Himmel.

So, wie ich früher auf Westwind gehofft habe, auf Sylt, wo ich mit 8 Jahren in der Nordsee Schwimmen gelernt habe, so sehne ich mich jetzt in Binz nach Sturm aus Ost.

Der Westwind brachte Wellen, auf denen wir Kinder uns ganz nach oben bis zum Scheitelpunkt tragen ließen oder unter denen wir hindurchtauchten, kurz bevor sie brachen und gurgelnd und brodelnd über uns hinwegrauschten. Und die uns hin und her warfen und in Richtung Strand mitrissen, wenn wir nicht schnell und tief genug tauchten. Sonne und Meer, Heckenrosen in den Dünen, Sandburgen auf dem Strand und Sinalco und Kuchen am Nachmittag, unser Glück war perfekt. Fast perfekt, denn was wir immer suchten, wenn wir nicht im Wasser waren, und nie fanden, waren goldgelb leuchtende Steine. Bernstein. So war es in meiner Kindheit und so blieb es jahrzehntelang.

Wir gehen durch den schmalen Kiefernwald nördlich von Binz, hören den Ostwind, aber wir spüren ihn nicht. Wir merken kaum, dass es schneit. Nur einzelne Schneeflocken fallen träge auf den gefrorenen Waldboden. Das ändert sich schlagartig, als wir die letzten Kiefern passieren, den schmalen Gehweg überqueren und zum Strand hinunterstapfen. Der stürmische Ostwind drückt uns den Schnee heftig ins Gesicht, fast so wie ein Clown, der sich einen Spaß daraus macht, anderen Menschen eine Sahnetorte ins Gesicht zu schleudern. Mit gesenktem Kopf und mit beiden Händen an der Kapuze gehen wir weiter und schielen mit zugekniffenen Augen aufs Meer hinaus. Dunkle Schneewolken hängen tief über dem graugrünen Wasser. Es dauert nicht allzu lange, dann hat sich das Schneegestöber schon wieder verzogen und die Sonne schimmert hell durch dünne Wolkenfetzen. Ein Stück weiter Richtung Osten ist blauer Himmel über dem Meer zu sehen.

In diesem Winter ist am Strand kein Sand zu sehen, nur Eis und Schnee. Es ist ein welliges, fast bis zu den Böschungen hinaufgeschobenes Hochplateau, das sich immer wieder durch Schneefall, Ostwind und gefrierendes Meerwasser verändert.

Der Höhepunkt der Kälte ist aber wohl vorüber. Das Eis, das sich wochenlang auf dem Meer bis zum Horizont ausgebreitet und für Grönlandgefühle gesorgt hatte, war innerhalb eines einzigen Tages verschwunden. Am Vormittag wurde plötzlich ein großer dunkler Riss in der kompakten Eisfläche sichtbar, dann ein Spalt so breit wie ein Bach, aus dem in kurzer Zeit ein Fluss wurde. Und dann kam die riesige weiße Fläche wie von Geisterhand gezogen in Bewegung, driftete lautlos am Ufer entlang und glitt langsam und beinahe würdevoll auf das plötzlich offene Meer hinaus. So, als sei die Spielzeit des Wintermärchens hier in dieser Bucht beendet und der Hauptdarsteller nun unterwegs zu einer Aufführung an einem anderen Ort. Geblieben sind die Eispanzer, die sich noch immer an die runden Stahlträger klammern, die die Konstruktion der Seebrücke vor Binz tragen, und die gigantischen und in der Sonne funkelnden Eiszapfen, die von dort fast bis ins Wasser hinabreichen.

Am oberen Teil des Strandes, dort, wo das Eis dünn zu werden beginnt und sich bereits Schmelzwasser in kleinen Pfützen sammelt, beugen sich hier und da Menschen über das mürbe Eis. Ich frage schließlich einen älteren Herrn, warum er denn seinen Eispickel so eifrig in den weißen Boden schlägt.

„Bernstein“, ist seine knappe Antwort.

Dieses Wort trifft mich wie ein Blitz.

Ich will wissen, ob er schon etwas gefunden hat.

Er schüttelt seinen Kopf und sagt nichts. Es ist offensichtlich, dass er mich loswerden möchte.

Nun gibt es für mich kein Halten mehr. Ich eile in die Wohnung, ziehe meine gelben Gummistiefel an und suche aufgeregt nach einem Werkzeug, mit dem man das Eis knacken und Bernstein finden kann. Warum gibt es in Ferienwohnungen eigentlich nie wirklich praktische Dinge, wie beispielsweise eine Spitzhacke oder einen Presslufthammer? Schließlich entscheide ich mich für ein kleines Gartengerät, das in der Abseite zwischen Wäscheständer und bunten Sandförmchen liegt.

Ich verlasse fluchtartig die Wohnung und habe schon jetzt das Gefühl, zu spät zu kommen. Wahrscheinlich hat der alte Mann in der Zwischenzeit bereits den ganzen Fundort freigelegt und alle Bernsteine abgeräumt. Habgierig und herzlos.

Aber ich komme gerade noch rechtzeitig. Er hat es in der Zwischenzeit nur geschafft, ein etwa 50 x 50 Zentimeter großes Areal frei zu hacken und ist gerade dabei, Seetang ans Tageslicht zu befördern. Ich suche mir mein eigenes Claim in etwa fünf Metern Entfernung aus, dicht genug, um meinen Goldgräber-Konkurrenten jederzeit aus den Augenwinkeln beobachten zu können. Er scheint Rentner zu sein. Mit solchen Menschen ist nicht zu spaßen, sie haben Zeit und nichts zu tun. Sollte er wirklich etwas finden, dann würde er sicher wie eine Klette am Strand kleben bleiben und Tag und Nacht schürfen, wahrscheinlich auch in meinem Hoheitsgebiet.

Ich bitte meine Frau um Nachsicht und um die Gewährung einer individuellen Freizeitgestaltung für den Rest des Vormittags. Meine Prioritäten hätten sich plötzlich und unvorhersehbar verschoben. Dann inspiziere ich meinen Grabungsort und sehe, dass es auch hier dunkel durch die Eisdecke schimmert. Und los geht’s. Das Gerät, das gemacht wurde, um Unkraut zu jäten oder Erde um Rosen zu lockern, hat Gott sei Dank auch mit Eis keine Probleme. Bald ist ein kleines Loch entstanden, halb mit Meerwasser gefüllt. Seegras kommt zum Vorschein, matschig, schwarzgrün, mit Muscheln und kleinen Holzstückchen vermischt. Es riecht faulig, modrig. Bernstein ist nicht in Sicht. Bevor ich den Fundort genauer untersuche, entschließe ich mich dazu, zunächst ein größeres Loch zu schaffen. Leichter gesagt als getan, denn die Gummistiefel sind glatt, meine Hände taub, die Lendenwirbel „not amused“.