Sein & Werden - Liane Dirks - E-Book
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Sein & Werden E-Book

Liane Dirks

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Beschreibung

Wir sind mehr als die Summe der Ereignisse, die uns widerfahren

Wir Menschen sind Geschichtenerzähler. Was wir uns erzählen, erfahren wir als unsere Identität. Doch worauf legen wir den Fokus? Seit Jahrhunderten versuchen wir unsere Einzigartigkeit zu behaupten, indem wir uns von den Anderen abgrenzen. Die Essenz des Menschseins aber findet sich in der Verbundenheit. Und die Sehnsucht wächst, dieser Erkenntnis Ausdruck zu verleihen.

Mit einem neuen Ansatz der Biografiearbeit und anregenden Schreibimpulsen bietet Liane Dirks einen Weg, das Ich aus dem Wir heraus zu begreifen und eine neue Perspektive auf die eigene Geschichte zu entwickeln. Das Buch lädt dazu ein, das Leben als eine Form der Bewusstseinsentwicklung zu verstehen, bei der auch spirituelle Dimensionen unseres Menschseins erfahrbar werden. Darum zu wissen, gibt Halt und Ausrichtung sowie Raum zum Wachsen.

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Seitenzahl: 353

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Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn unseres Daseins? Mit diesen Fragen ist jeder Mensch irgendwann im Leben konfrontiert. Die Antworten darauf bilden den Kern unserer spirituellen Biografie.

Die bekannte Schriftstellerin und erfahrene Life Script® Coachin Liane Dirks weist einen Weg, den Einfluss von Lebensereignissen auf die persönliche Entwicklung zu erkennen und Halt zu finden, wenn Gewissheiten wegbrechen. Sie stellt einen neuen Ansatz der Biografiearbeit vor, der das Bewusstsein für Reflexion und Transformationsmöglichkeiten in Zeiten von Krisen, Konflikten, Spaltung und beschleunigtem Wandel schult. Zu erkennen, was unsere Person in der Essenz ausmacht – das ist die Basis für ein mitfühlendes, kreatives Leben und für wahres Wachstum.

Liane Dirks

Sein & Werden

Schätze und Chancen unserer Biografie neu erkennen

Kösel

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Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit konnte eine gendergerechte Schreibweise nicht durchgängig eingehalten werden. Bei der Verwendung entsprechender geschlechtsspezifischer Begriffe sind im Sinne der Gleichbehandlung jedoch ausdrücklich alle Geschlechter angesprochen.

Copyright © 2022 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotive: © baldezh/shutterstock.com

Redaktion: Vera Baschlakow

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-641-23926-8V001

www.koesel.de

Dann, altem Samen urentstammt,

schaun sie das morgenschöne Licht,

das jenseits dort am Himmel flammt.

Rig-Veda, 8, 6,301

Inhalt

Prolog

Einführung

Warum es um das Ganze geht

Vom roten zum goldenen Faden

Vom Umgang mit dem Buch

EINS – Was unser Anfang ist

Woher wir kommen – Das Zeichen Mensch

Zur Welt kommen

Im Atemraum des Daseins

Was wir mitbringen und wem es gehört

ZWEI – Was uns ausmacht

Von der Gabe zur Aufgabe und wieder zurück

Die heilige Wunde

Die Kraft der frühen Wünsche und Träume

Tiefes Wissen

DREI – Was uns wachsen lässt

All die vielen Lehrer

Die Kraft des Zweifelns und die Macht des Vertrauens

Die Begegnung mit dem Bösen und das Erleben von Schuld

Die Sache mit der Seele

Das Wissen der Nacht

VIER – Was lieben heißt

Im Anderen das Ich, im Ich das Andere

Wenn das Herz sich weitet

Nicht-Zwei oder der Mystiker in uns

FÜNF – Der Guru mit Namen Leben

Was bin ich ? – Im Sog der Ereignisse

Wenn alles anders kommt – Krisen, Schicksalsschläge, Wendepunkte

Seitenwechsel – Altes Leid und neues Glück

Die Kathedrale Leib

SECHS – Vom Ich zum Selbst ins Sein

Wenn aus Erfahren Erkennen wird und Erkenntnis zu einer Erfahrung

Co-Schöpfertum – Die Klugheit des Miteinanders

Prüfungen – Kostbare Hinweise

Heimat finden – Freiheit im Jetzt

SIEBEN – Von der Welt sein

Verzeihen, vergeben, versöhnen

Der goldene Faden, der ein roter war

Was wir mitnehmen und wohin wir gehen

Im Atemraum des Jenseits

Epilog

Danksagung

Quellen

Prolog

Es gibt Ereignisse in unserer Biografie, die verändern alles. Von einem Moment auf den nächsten ist das Leben keine planbare Größe mehr und die Welt eine andere, als wir bis dahin dachten. Wir sprechen dann von einer Krise, und egal, ob diese nun kollektiv ist oder individuell, plötzlich wissen wir wieder, was Menschsein heißt: Wir sind verwundbar, und wir brauchen die Anderen.

Sind die Anforderungen sehr hoch, dann wissen wir auch, mehr noch, wir erleben es sogar intensiv, dass all jenes, was wir uns von uns erzählt haben – wer wir sind, was uns ausmacht, wohin wir wollen, Besitz, Status, Herkunft, Zukunftspläne –, in den Hintergrund tritt. Wir werden zurückgeworfen auf die pure Existenz, auf unser Selbst, jenseits aller äußeren Beschreibungen. In der Corona-Pandemie haben wir dies intensiv erfahren, und auch das nahe gerückte Kriegsgeschehen lässt Gewissheiten wegbrechen. Nicht umsonst nennen wir diese Erfahrung existenziell.

Die Existenz ist also etwas anderes als das, wofür wir uns im Alltäglichen halten.

Auch eine private Krise – der Tod eines nahe stehenden Menschen, die Nachricht, dass wir eine unheilbare Krankheit haben, dass unsere finanzielle Absicherung wegfällt, wir in Not geraten – wirft uns auf etwas zurück, das jenseits des Persönlichen liegt, hin zu unserem Menschsein. Denn die Krise ist eine zutiefst menschliche Erfahrung.

Krisen kommen unvermittelt, sie sind ein Schock, sie machen uns Angst, und zugleich rütteln sie uns wach. Und mehr noch als Angst spüren wir in dieser Situation, dass wir am Leben sind, genauer: Wir sind das Leben. Und was Leben heißt, verwandelt sich auf einmal von einer vorhersagbaren Geschichte mit einem bestimmten Verlauf in einen Raum größter Offenheit. Denn kennzeichnend für eine Krise ist auch, dass wir nicht wissen, wie die Sache ausgeht.

Krisen haben keinen inhärenten Sinn, bestenfalls einen Zweck. Sie sind ein Transportmittel, das uns ins Jetzt unseres Daseins schleudert. Weshalb ihnen immer auch eine große Kraft innewohnt.

Oftmals wird uns dann jenes Wissen zuteil, das uns im Kern ausmacht. Wir erkennen plötzlich sehr genau, wer und was wir sind. Oder anders gesagt: Wir erfahren jenes »Ich bin«, die Essenz unseres Seins, eine Erfahrung, auf die alle spirituellen Traditionen hinauslaufen, die sich mit der Sinnsuche des Menschen befassen.

Freilich weht der Wind der Angst sehr schnell durch diesen offenen Raum, sodass wir wieder Halt suchen in der Definition des »ich bin dies und jenes«, aber manchmal gelingt es, den Geschmack dieses Erlebens zu verinnerlichen und ihn mit hinüberzunehmen in das, was wir das Alltägliche nennen.

Es gibt auch andere Wendepunkte in unserer Biografie, die diesen Zustand äußerster Offenheit hervorrufen können. Da reicht es schon, wenn ein Mensch auf uns zukommt, und wir wissen sofort: Er oder sie ist es. Mit ihm oder ihr werden wir eine Weile leben müssen, egal, welchen Verlauf die ganze Sache nimmt. Die Geburt eines Kindes oder ein glücklicher Zufall, ein Erbe wird uns zuteil, und alles ist anders. Wir reden dann nicht von Krise, sondern von Schicksal. Schicksal wählt man nicht, es ereignet sich. Und wie die Krise rüttelt es an unserer oft so mühsam erarbeiteten Identität, stellt einen Moment lang alles infrage, und doch ist es möglich, dass wir genau in diesem Moment keine Fragen mehr haben und alles, wirklich alles, wissen. Denn in den Augenblicken größter Offenheit wohnt nicht nur eine immense Kraft, hier ist auch die Weisheit zu Hause. Hinter den Schablonen unserer Vorstellungen, wie das Leben zu sein hat, wartet sie mit etwas viel Größerem auf. Sehr oft sind wir zutiefst erschrocken in solchen Momenten; und manchmal erleben wir das völlig Unerwartete: den Jubel über die reine Tatsache der Existenz.

Denn auch so kann sich uns das Wesen des Lebens offenbaren. Als höchstes Glück, als Rausch, als magischer Moment, der kometenhaft durch uns hindurchschießt, uns alles nimmt, alle Fragen, alles Wissen, alle Dringlichkeit, Bedürftigkeit und Not, um uns mit voller Wucht, unvermittelt, überwältigend und leuchtend hell, in das Erhabene zu führen, das größer ist als wir selbst und das wir dennoch genau in solch einem Moment als uns selbst erfahren dürfen. Es sind Augenblicke, in denen uns alles genommen und zugleich alles gegeben wird.

Ob durch die Krise, eine schicksalhafte Begegnung oder durch die Offenbarung der Erhabenheit hervorgerufen, erfahren wir völlig überraschend, wer wir sind. Und zwar ohne Zweifel. Es wird uns tiefes Wissen zuteil, dessen Qualität es ist, die Suche nach dem, wer wir sind, zu beenden. Wir wissen es dann nämlich, und die Frage erübrigt sich. Dies ist so, weil wir uns in jenen Momenten als nicht getrennt erleben. Wir sind das Erleben, und wir sind das Leben, und das braucht kein Warum und Wozu. Es ist, was es ist. Keineswegs ist unsere Identität dadurch ausgelöscht, mit ihr empfinden wir ja all dies. Und doch berichten Menschen, denen es gelang, die Intensität solchen Erlebens bewusst auszuhalten, es anzunehmen, zu verinnerlichen, zu integrieren, dass sie ein Anderer oder eine Andere geworden sind. Und dieser oder diese Andere, das sind sie selbst. Sie sind sie selbst geworden, indem sie mehr Mensch wurden, ihr Menschsein jenseits aller Zuschreibungen und inmitten allen Lebens zutiefst erfahren haben.

Und warum erzählen wir uns nicht derart ?

Weil es so ist, dass wir die Verbundenheit allen Lebens immer tiefer und bewusster erfahren, wird es immer wichtiger, dass wir uns die Geschichte unseres Lebens in erweiterter Form erzählen, als Geschichte unseres Menschseins. In der wir als Person erscheinen, einzigartig in der Ausprägung und verbunden und aufgehoben in der Essenz.

Wir Menschen sind Geschichtenerzähler. Was wir uns von uns erzählen, erfahren wir als unsere Identität. Es ist an der Zeit, uns unsere Geschichte neu zu erzählen. Sie ist kostbar und größer als bisher gedacht.

Und wie es möglich wird, dieses neue Narrativ unseres Lebens zu entwickeln, darum soll es in diesem Buch gehen, dafür möge es Anregung sein.

Kein Mensch kann dies allein. Wir brauchen einander. Die Räume des Möglichen teilen sich in den Geschichten des Erfahrenen mit. Und erst die Einbettung in das große Ganze lässt das funkelnde Detail des Einzelnen in vollem Glanz erstehen. Es geht nicht um den Schrecken der Existenz. Es geht um das Leuchten, das gelebt werden will, das sein und werden will.

Einführung

Warum es um das Ganze geht

Seien wir ehrlich: Wir sind ziemlich seltsame Wesen. Wir suchen das Abenteuer und verlangen nach Schutz. Wir sind gierig und geschickt, wir tragen das Tier in uns, das Beute macht. Wir feiern, lachen, singen, tanzen und sind ausgelassen, wir ziehen uns zurück und pflegen die Achtsamkeit. Wir trinken und berauschen uns, tragen Maskeraden. Wir bauen auf und reißen ab, wir fangen immer wieder von vorne an. Wir entwickeln uns, wir wachsen. Wir leben mit und gegen die Natur. Wir lieben, sind zu Opfern bereit. Wir helfen und wir töten uns. Und wenn sich uns das Antlitz der Schönheit zeigt, dann lösen wir uns auf vor ihr.

Wer sind wir ? Was ist unsere Rolle hier auf Erden ?

Wer bin ich ?

Wollen wir dies ergründen, so fragen wir zunächst: Wer bin ich ? Und antworten mit unserem Lebenslauf, mit unseren Aufgaben, Erfolgen und unserem Versagen und zumeist auch mit dem gesellschaftlichen Status, den wir gerade innehaben: Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf, Wohnort, Familienstand und unsere soziale Einbettung. Wir sind ein Arbeiterkind oder gerade Rentnerin geworden, Single oder Familienoberhaupt, Studentin oder Führungskraft, vom Land oder eine echte Großstadtpflanze, und immer sind wir Kinder unserer Zeit.

Besonders in Lebenskrisen, in Zeiten der Neuausrichtung oder im Alter werden die Fragen drängender: Was zeichnet mich aus ? Warum erlebe ich all dies ? Was ist meine Aufgabe ? Was sind die Muster in meinem Leben, die Lebensspur, die meine Erdenzeit durchwebt, der ich folge oder die mir ausgelegt wurde ?

Wir wollen wissen, was für unsere Person bezeichnend ist. Wir suchen nach Bestätigungen. Die tiefe Sehnsucht treibt uns an, gesehen und erkannt zu werden, einzigartig zu sein und somit kostbar und nicht nur ein Mensch unter vielen. Es gibt Milliarden Menschen, und wir haben ein einziges Leben. Umso wichtiger wird uns das Sammeln von Erlebnissen und Erfahrungen und für viele auch das Ansammeln von Besitz, um zu sagen: Das bin ich, das zeichnet mich aus. Doch der Mensch ist mehr als die Summe seines Besitzes und mehr als die Summe der Ereignisse, die ihm widerfahren. Kaum haben wir uns also definiert und meinen endlich zu wissen, wer wir sind, spüren wir, dass dieser Zugang nicht ausreicht. Dass es noch mehr gibt, dass da noch eine Dimension ist, die durch unsere Person hindurchklingt. Und genau das heißt personare ja auch: hindurchklingen.

Was da hindurchklingt, ist das Leben selbst mit jener erschütternden Größe, derer wir niemals habhaft werden und die wir doch immer wieder erleben können. Für einen Augenblick, der wiederum nichts mit der chronologischen Zeit zu tun hat, erleben wir eine Art der Entrückung, Momente der Ausdehnung. Dann sind wir, was wir sind, und sind zugleich mehr, als wir sind. Es sind diese Momente, die uns erst zu dem machen, das wir erforschen, ergründen und durch und durch verkörpern wollen: ein Mensch zu sein jenseits aller Festschreibungen und inmitten allen Lebens. Ein Mensch, der sich weder abgrenzen noch irgendetwas beweisen muss, um zu wissen, wer er ist.

Und wer bin ich nicht ?

Dabei hatte die Abgrenzung vom Anderen durchaus zur Selbsterkenntnis beigetragen. Das Eigene erkennt man am Fremden, das Ich im Vergleich mit dem Gegenüber. Dies ist ein Prozess, der für die Individuation notwendig ist.

Über Jahrzehnte, mehr noch, über die letzten Jahrhunderte hinweg war es zumindest in unserem westlichen Kulturkreis äußerst wichtig, uns unserer Individualität bewusst zu werden. Uns die Räume der eigenen Geschichte zu erobern, einen Prozess zu durchlaufen, an dessen Ende wir behaupten können: »Das bin ich, und ich habe etwas zu sagen.« Man mag sich erinnern, wie jung die wissenschaftliche Disziplin der Psychologie ist, die uns im Erkennen unserer Entwicklung weit nach vorn gebracht hat. Und auch heute ist der Prozess der Individuation die Basis der Bewusstwerdung. Unsere eigene Geschichte zu besitzen, ist die Voraussetzung dafür, sich frei in ihr bewegen zu können. Wir müssen es sagen können und sagen dürfen, dieses »Das bin ich!«. Leider ist es noch immer für viele ein Kampf, nicht fremdbestimmt und fremddefiniert zu sein, sondern sich in der eigenen Geschichte heimisch zu fühlen. Wie viele unterdrückte Menschen ringen noch immer darum. Sie wollen in ihrer Einzigartigkeit endlich erkannt werden, sie leben und ihr Gestalt geben. Sie wollen sich selbst formulieren können, ihre Form, ihren Ausdruck. Immer noch ist es ein Ringen für Frauen, Behinderte, Ausgegrenzte und vermeintlich Andersartige, aber immer wieder auch für jeden Einzelnen von uns: unsere Geschichte artikulieren und leben zu können. Selbst zu erzählen, anstatt erzählt und somit für die Geschichten der Anderen vereinnahmt zu werden.

Doch so wichtig die Eroberung der eigenen Geschichte ist, sie hat eine Kehrseite. Und dies ist die Fixierung auf den Einzelnen, auf unser jeweils eigenes Schicksal, selbst wenn wir dafür einen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Hintergrund als Erklärungsmodell heranziehen. Auch in der spirituellen Bewusstseinsarbeit erfolgt das Hinterfragen unseres Schicksals am individuellen Einzelfall – oftmals mit geradezu ausgeklügelten Erklärungsmodellen. Wie viele von uns haben inzwischen intensive Schulungen, Workshops und Therapien durchlaufen und keine Frage, sie haben genutzt und tun es noch immer, was gut ist. Und dennoch bleibt bei vielen Menschen ein fader Geschmack zurück, denn selbst wenn wir uns in einer Art Gruppenschicksal erkannt haben, weil wir vielleicht wegen unserer Hautfarbe verfolgt oder durch das Kriegserleben unserer Eltern geprägt wurden, bleibt etwas offen. Und dieses Etwas ist die Verankerung des Eigenen im großen Ganzen.

So wie wir auf allen Ebenen unseres Lebens an ein Ende der Ichbezogenheit kommen und es immer mehr in unser Bewusstsein tritt, dass ein ständiges »Weiter so« und an den eigenen Vorteil denken unseren Planeten – unsere Existenzbedingung – ruiniert, so geben auch die alleinigen Fragen nach dem Ich, nach diesem »Wer bin ich, was macht mich einzig ?« nicht mehr ausreichend befriedigende Antworten. Insbesondere dann nicht, wenn wir die Fragen damit verknüpfen, uns vom Rest der Welt absetzen zu müssen, mit welchen Attributen auch immer.

Es ist ein bisschen so, als wären diese Geschichten nun auserzählt, wir kennen sie. Ja, sie werden sogar ein wenig langweilig, denn wenn Milliarden Menschen behaupten, sie seien einzigartig, weil sie anders wären als die Anderen, dann sind sie irgendwann, gerade weil sie dies behaupten, wie alle Anderen. Und das, was sie tatsächlich auszeichnet, geht dabei verloren. Nämlich die Tatsache, dass sich in ihrem Einzigsein die Vielfalt des Lebens wiederfindet, der Grund, warum wir miteinander in Beziehung gehen können, Resonanz erleben und sich in unseren Augen die Liebe spiegeln kann.

Biografiearbeit – und das ist immer auch Bewusstseinsarbeit – braucht deshalb heutzutage einen neuen Ansatz.

Die Geschichten wollen neu erzählt, die Fragen neu gestellt werden, und zwar so, dass wir unser Einzigartigsein nicht länger durch die Abgrenzung vom Anderen erfahren, sondern aus der Verbundenheit heraus mit den Anderen erleben. Verbundenheit wiederum lässt sich nur wirklich leben und erleben, wenn wir unser Selbstverständnis im Raum eines größeren Ganzen eingebettet wissen.

Vom Ich zum Wir

Um uns diesem Selbstverständnis annähern zu können, müssen wir also tiefer gehen mit unserer Suche und vor allem weiter über uns selbst hinaus. Wir müssen nach unserem Menschsein fragen, um unsere eigene Menschwerdung zu begreifen und voranzutreiben.

Es ist die Frage »Wer sind wir ?«, die jenen Echoraum des Lebens eröffnet, der uns die Frage nach dem »Wer bin ich ?« anders und tiefer beantworten lässt.

Wie sehr weitet sich unser Selbstverständnis, wenn wir bei der Recherche unserer Herkunft nicht allein an unsere Eltern und Ahnen denken, sondern das kollektive Feld der Menschwerdung einbeziehen. All das Bestreben nach Ausdruck, Freiheit, Liebe und Glück und auch all die Schmerzen, die diese Suche mit sich brachte, sitzen in unseren Zellen. All jene, die sich aufmachten, um das Leben besser und schöner zu gestalten, haben uns hervorgebracht. Nicht Kriege und Schlachten sorgten für die Entwicklungsschübe der Menschheit, sondern das stetige und niemals zu erstickende Bestreben nach Wahrheit, Freiheit und immer auch nach kreativem, schöpferischem Ausdruck. Sich dies als Basis des eigenen Lebens bewusst zu machen, verleiht uns sehr viel nachhaltiger das Wissen um die Würde und Größe des eigenen Lebens. So vieles hat stattgefunden, damit wir existieren. Beziehen wir die Fragen nach dem, was es heißt, ein Mensch zu sein, in das Nachsinnen über den eigenen Lebensweg mit ein, dann können wir zurückgeführt werden an den Ort des Staunens, aus dem wir gekommen sind und in den wir wieder einmünden werden. Wir können ihn das Da-Sein nennen, den heiligen Raum der Schöpfung, Gott in all seinen Namen oder einfach nur das Leben selbst.

Erst im Wechselspiel von »Wer sind wir ?« und »Wer bin ich ?« entsteht das, was man die spirituelle Biografie nennen kann, ein Begriff, mit dem dieses Buch arbeitet. Und wenn Sie das Wort »spirituell« nicht mögen, dann lassen Sie es einfach weg und nehmen eines, das Ihnen näher ist. Vielleicht die »tiefere« Biografie, die »wesentlichere«, diejenige, die über uns hinausweist und doch unsere Essenz ausdrückt. Auch dies wäre ein Wort, die »essenzielle« Biografie, das, was wirklich zählt im Leben, was uns wesentlich macht. Die Schrift des Lebens kennt dabei keinen Unterschied zwischen Alltagserleben und tiefer, mystischer Seinserfahrung. Und deshalb geht es hier nicht um exaltiert esoterische Ausnahmeerscheinungen in unserem Leben, die wir wie Perlen auffädeln und mittels derer wir unsere Andersartigkeit definieren und uns somit ein neues Modell individueller, durch Abgrenzung gewonnener Selbstdefinition um den Hals legen können, ähnlich einer Auszeichnung, die da sagt: Ich hab’s, seht her, ich bin speziell, ich bin spirituell. Vielmehr geht es darum, einen Weg zu finden, das Alltagserleben auf dem Boden tiefer Seinserfahrung wahrzunehmen und unser Selbstverständnis, unsere Lebensgeschichte aus dieser Perspektive betrachten zu lernen. Das ist eine tiefe, freudige, schöpferische Aufgabe.

Wie der Perspektivwechsel gelingt

Kommt die biografische Arbeit einem Erkenntnis- und sehr oft einem Heilungsprozess gleich, so handelt es sich bei der Arbeit mit und an der spirituellen Biografie um einen Transformationsprozess. Das ist weitaus mehr, und es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass dies eine revolutionäre Aufgabe ist. Eine Revolution, nach der sich so viele von uns schon so lange sehnen, eine, die uns unser Leben neu begreifen lehrt, denn auch die Zeiten sind neu, und das Verständnis von dem, was Leben und was unser Planet ist, ist immer komplexer geworden. Wer also sind wir darinnen ?

Mag ja sein, dass sich unsere Erde, unser schöner kostbarer Planet, um sich selbst dreht. Doch spätestens seitdem wir ins All geflogen sind, haben wir ein Bild davon, dass das nicht alles ist und dass die aus dieser Sicht kleine blaue Kugel, die so zart behaucht von ihrer Atmosphäre ihre Bahnen zieht, eingebettet ist in etwas Größeres. Und dass wir sie nur bewahren können, wenn wir die Ganzheit endlich wahrnehmen, mehr noch, sie als Bewusstheit unserem gesamten Handeln zugrunde legen. Auch wir drehen uns nicht nur um uns selbst, und ebenso dreht sich nicht alles um uns. Und doch ist jeder Einzelne genauso kostbar wie diese Kugel.

So wie der Perspektivwechsel auf unseren Planeten unsere Sicht der Dinge verändert hat und uns die Geschichte unserer Erde neu erzählen lässt, so braucht es auch für unsere Lebensgeschichte einen Perspektivwechsel. Und zwar jenen, der den erhabenen Raum des Alls, des großen Ganzen, für uns miteinbezieht, der es uns erlaubt, uns immer mehr aus der Verbundenheit heraus in unserer Einzigartigkeit zu erfassen.

Um Erfahrungen in Erkenntnisse gerinnen zu lassen, bedarf es der Reflexion. Damit Erkenntnisse zu einem höheren Maß an Bewusstheit führen, bedarf es der Transformation. In der essenziellen, der spirituellen Biografiearbeit geht es deshalb immer um beides: um die Erkenntnisse und Einsichten aus unserem gelebten Leben, die uns zu der Person machen, die wir hier auf Erden verkörpern. Und darin unterscheidet sich die spirituelle Biografie in nichts vom bisherigen Verständnis der Lebensgeschichte. Es ist wichtig, sattelfest in der eigenen Geschichte zu sein, sie zu verkörpern. Was nun hinzukommt, ist, um im Bild zu bleiben, das Pferd, und das hat Flügel. Es heißt Pegasus oder Windpferd, wie die Buddhisten sagen würden; es durchstreift die Räume des Geistes, des »Spirits« und der Seele gleichermaßen. Hier erleben wir unser Selbst, unser tiefes Sein, wie einige spirituelle Lehrer es heutzutage nennen, oder unser Wesen. Im alten Griechenland hätte man vielleicht von unserem Daimon gesprochen, die Römer nannten es den Genius, die Buddhisten würden es die Buddha-Natur und die Christen die Tatsache nennen, dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Wie auch immer, wir begreifen uns hier in einer größeren Dimension nicht als einzelnes Individuum, als ein Ich, sondern als unser Selbst, das auf Entwicklungsreise ist, als Mensch auf dem Weg zur immer weiter voranschreitenden Menschwerdung.

Was uns geschieht, geschieht allen. Und was allen geschieht, geschieht uns. Dies zu erfassen, ist die Aufgabe, mit der wir in der heutigen Zeit wie noch nie zuvor konfrontiert sind, in die wir bewusstseinsmäßig immer mehr hineinwachsen.

Und deshalb ist es von so großer Bedeutung, uns unserer Geschichte in vollem Umfang zu vergewissern, im Bewusstsein, dass wir selbst daran mitschreiben, dass wir Co-Schöpfer sind für uns und für das große Ganze, so klein wir uns auch gelegentlich vorkommen mögen.

Ich kann Ihnen versichern, dass dieser erweiterte Blick auf unser Leben einer Befreiung gleichkommt. Haben uns Moderne und Postmoderne immer mehr in die Vereinzelung und Abgrenzung geführt, so eröffnen sich mit der Einbeziehung der geistig spirituellen Perspektive die viel tieferen Räume der Freiheit wieder. In ihnen wohnt die Liebe, in ihnen ist Halt.

Die Kraft der Geschichten

Von Menschheitsgedenken an geben wir unsere tiefsten Erfahrungen in Form von Geschichten wieder. Wir erzählen, um zu begreifen, um zu wachsen. Geschichten bieten den Raum, in dem wir uns finden, deuten, ergänzen, erweitern können.

Erzählungen sind Erkenntnis gewordene Erfahrungen.

Nicht ohne Grund beruhen alle Religionen auf Erzählungen, nicht auf Formeln und nicht auf Lehrsätzen. Die kamen immer erst später hinzu.

Ich werde Sie in diesem Buch zum Nachdenken über Ihre eigene Geschichte auffordern. Ich werde es tun, indem ich selbst erzähle: von mir, von Anderen, von Erfahrungen aus meiner Arbeit und von dem, was mir als Hintergrund, Anregung, Vertiefung bis dato zur Verfügung steht. Ich werde erzählen, damit Sie erzählen können – und wir so gemeinsam den erzählten Raum eröffnen, von dem ich glaube, dass sich in ihm die Welt ereignet.

Dies alles hier ist eine einzige große voranschreitende Geschichte, ständig im Werden, ständig im Vergehen. Wer schrieb sie ? Welche Kapitel, Seiten oder Sätze darin sind wir ? Wer sind wir ? Wer bin ich ? Diese Fragen sind nicht beliebig und auch keineswegs unser Nachdenken darüber. Denn eines scheint sicher zu sein: Vom Beginn dieser Kugel, auf der wir leben, die einst ein Feuerball war und heute blauer Planet genannt wird, bis jetzt hat sich eine wild wütende Schönheit offenbart. Wir sind mit einem immer größer wachsenden Geist beschenkt worden, sodass wir durch den Prozess der Sinnsuche, durch den Prozess der bewussten Annäherung an jenes geheimnisvolle Geschehen mit Namen Leben eine Art wärmende Teilhabe erfahren können, Teilhabe an der Schöpfung selbst.

Ich werde mit Ihnen Stationen und Aspekte unseres Lebens auf der Basis jenes »Wer sind wir« beleuchten, um »Wer bin ich« zu finden. Ein Ich, das die ganze Würde, Größe, Anmut und Schönheit unseres Menschseins verkörpert, mit allen Aspekten, auch den dunklen. Ein Ich, das sich nicht nur durch sein materielles Dasein definiert, sondern ebenso durch sein ideelles. Diese Synthese von Geist und Materie ist unser Genius, unser Genie. Dies gilt es zu entdecken und zu leben, unser Genie, unsere Majestät.

Alles Leben ist Korrespondenz. Gäbe es uns Menschen nicht, würden die Vögel weiterhin von den Lüften zeugen und die Fische von der Qualität des Wassers, und gäbe es unsere Erde nicht, dann sind da noch immer die Sterne mit dem Geflecht ihrer Wirkkräfte im All.

Haben Sie keine Angst vor den vielen großen Fragen. Finden wir die Antworten nicht, so wachsen wir, wie Rilke es formulierte, vielleicht doch irgendwann in sie hinein. Dann leben wir die Antworten als Erklärungen für das Wunder unseres Daseins, das man nicht erklären, aber sehr wohl erfahren kann.

Vom roten zum goldenen Faden

In den goldenen Faden unserer Existenz, ins Licht unseres Daseins webt sich der rote Faden unseres Schicksals ein. Beides zusammen stellt das Gewebe unseres Lebens dar. Beides zusammen ist unsere spirituelle, unsere essenzielle Biografie. Sie findet im alltäglichen Leben statt, sie ist das alltägliche Leben, und sie ist all das, was wir im alltäglichen Leben oftmals übersehen, beiseiteschieben, verdrängen. Bis auf die Momente, in denen sich das Licht wieder Bahn bricht und wir das Wesentliche spüren. Dieses Wesentliche, das Wahrnehmen der Schönheit, das tiefe Erfassen der Liebe, das Erspüren des Mitgefühls, die jubelnde Lust, am Leben zu sein, braucht Raum, Zeit und Eigenzeit. Eventuell braucht es sogar Rückzug. Stille.

Wenn uns die Ereignisse im Leben überrollen, sagen wir: »Ich muss wieder zu mir kommen.« Als hätten wir uns selbst unterwegs verloren, als seien wir uns in den Aufregungen, Geschehnissen und Wichtigkeiten abhandengekommen. Wie klug unsere Sprache doch ist: »zu sich kommen«.

Sich der eigenen Geschichte zu vergewissern, sich in der Chronik des Lebenslaufs wieder zu verankern, kann dann mehr als hilfreich sein. Und nicht nur das Nachdenken hilft, sondern insbesondere das Aufschreiben. Wir brauchen Selbstvergewisserung in als unsicher wahrgenommenen Zeiten. Und Schreiben ist weitaus mehr als Erzählen. Die Schrift ist der Mittler zwischen dem Gedanken, der Idee und der Materie. Was Sie aufgeschrieben haben, schaut Sie an. »Schreiben heißt, sich selber lesen«, formulierte einst der Schriftsteller Max Frisch.2 Reines Nachdenken hingegen hat einen eher flüchtigen Charakter. Es hilft beim Befragen des eigenen Lebens und des Selbstverständnisses, sich zumindest gelegentlich Notizen zu machen. Doch das ist nicht alles.

Wenn Sie mit diesem Buch hier arbeiten und sich mit Ihrer Biografie befassen wollen, dann brauchen Sie Wahrhaftigkeit. Diese erfordert Mut, und Mut braucht Vertrauen. Gestatten Sie sich, sich den aufkommenden Gedanken, Erinnerungen und Gefühlen, An- und Einsichten anzuvertrauen, begegnen Sie ihnen mit Offenheit. Vertrauen Sie sich und dem, was gesagt werden will. Dann stoßen Sie automatisch auf Wahrheiten. Die Wahrheit ist die Schwester der Freiheit.

Mit der Aneignung der eigenen Geschichte begann der Weg des Individuums in die Freiheit. Es war ein wichtiger Schritt, ohne den wir nicht wären, was wir jetzt sind, freie Bürgerinnen und Bürger und in vielen Bereichen unseres Lebens selbstbestimmte Menschen mit gleichen Rechten. Es war ein Schritt aus der Unmündigkeit und Vorbestimmtheit; in unserer westlichen Kultur begann diese Entwicklung mit der Aufklärung. Man war nicht länger qua Geburt festgelegt, man konnte dem eigenen Stand entwachsen, und man ließ sich auch nicht länger von der Kirche sagen, welches Schicksal gottgesandt sei und wem man zu dienen habe.

Diese Entwicklung erforderte zunächst allerdings auch, dass die Fokussierung auf dem Einzelnen lag und dass die Definition des Selbstverständnisses fortan zunehmend mit Abgrenzung einherging: Ich bin so, und du bist anders. Heute wissen wir von der Entwicklungspsychologie, dass diese Phase unserer Entwicklung inhärent ist. Jedes Kind durchläuft sie, wir alle durchlaufen sie. In der Geschichte der Menschheit allerdings ist es nun an der Zeit, die Wahrnehmung und das Bewusstsein zu erweitern. Heute geht es immer mehr darum, im vollen Vertrauen und in aller Freiheit sagen zu können: Wir sind so, und jeder ist einzigartig.

Meiner Erfahrung nach ist es unerlässlich, sich die eigene Geschichte bewusst zu machen, sie sich anzueignen, zu wissen, wer man ist, die großen Fragen inklusive. Diese Geschichte ist nichts Festes, sie ist ein ständiges Werden, ein ständiges »Becoming«, wie Michelle Obama ihre Autobiografie aus gutem Grund betitelte. Entwicklung reicht bis zum Tod und über ihn hinaus.

Das sich ereignende Leben ist ein Spiel im Licht der ewigen Existenz. In der spirituellen Biografiearbeit geht es darum, das Weltliche unseres Lebens mit dem spirituellen Aspekt zu verbinden, es als ein und dieselbe Geschichte begreifen zu lernen. Es geht nicht darum, das Weltliche zu verleugnen oder sich als göttliches Wesen zu deklarieren, das mit den Bedingungen des Lebens nichts mehr zu tun hat.

Und hier deutet sich schon eine Frage an, zu deren Reflexion ich Sie unter anderem anregen möchte:

Sind das Weltliche und das Spirituelle eins ?

Für mich ist es so. Meine großen Leitfiguren sind Jesus von Nazareth und Buddha Shakyamuni. Jesus, dieser Revolutionär, der letztlich in einer so kurzen Zeitspanne seines eigenen Lebens alle Bereiche des Weltlichen ansprach, niemanden und nichts außen vor ließ, der für mich eine durch und durch gelebte Spiritualität verkörpert. Mir war es schon als Kind nicht so wichtig, dass er von den Toten auferstanden ist, dieses Wunder habe ich nicht gebraucht, um in ihm meinen Helden zu sehen, mein Vorbild. Mich faszinierte, dass er im Tempel die Händler und Klugschwätzer vertrieben hatte, dass er für Brot sorgte und auch für Wein und nicht nur Wasser, dass Maria Magdalena neben ihm war und dass Zuhören wichtiger war, als Essen zu kochen, dass Wunder genauso selbstverständlich zu seinem Dasein gehörten wie abgrundtiefe Angst. Dass er zweifelte und dass er, im wahren Wortsinn, todsicher war. Spiritualität als Durchdrungensein, von morgens bis abends, 24/7 würde man heute sagen.

Und Buddha – der Prinz aus reichem Hause, von der Herkunft eine Art Gegenentwurf zum Zimmermannssohn – suchte das Heil zunächst in der Trennung vom bisherigen Leben, im Wald, bei den Yogis, die fasteten und sich kasteiten. Er fand es erst, als er wieder ein Glas Milch mit Honig trank, eine Frau reichte es ihm, kein Zufall. Die Geschichte Buddhas spiegelt die Entwicklungsgeschichte der Spiritualität schlechthin. Nur dass wir heute nicht mehr in den Wald gehen müssen zum Kasteien. Wir haben die Milch mit Honig bereits, wir müssen nur noch das machen, was Buddha nach seiner Erleuchtung tat, aufstehen und die Sache in die Welt bringen. Erleuchtung heißt, nicht sitzen zu bleiben und sich im Glanz der ewigen Erkenntnis, des befreienden Nirwana zu wiegen. Erleuchtung heißt, so lange über die Erde zu gehen, bis jeder Regenwurm und jeder Grashalm vom Licht der Erkenntnis durchdrungen ist.

Die Mystik der Kabbala habe ich erst später kennengelernt. Welch schöne Bilder: Die Funken, das göttliche Licht sind in allem und jedem. Wir müssen sie nur auflesen, polieren, lebendig werden lassen, wieder zum Leuchten bringen und so lange sammeln und zusammenfügen, bis die große, goldene Schale, die Gott einst aus den Händen fiel und aus der die verschiedenen Sphären überhaupt erst entstanden sind, wieder zusammengefügt ist, bis es nur noch die eine Sphäre gibt, ohne jede Trennung. Und ja, das letzte Stück ist ein Akt der Gnade, das braucht den Messias, und vielleicht darf man dies weltlich übersetzen und sagen: das Wunder, das Geschenk des großen Einen. Auch dies ist ein Bild für unser Leben, für unsere Biografie, es ist nicht alles machbar und schon gar nicht planbar. Erst indem wir uns dem Leben anvertrauen, wird uns das Geschenk der Gnade zuteil.

Finden wir hier nicht inspirierende Anregungen zur Bedeutung dessen, der oder die wir sind: goldene Funken ? Die Einbeziehung dieser Sichtweisen in unser Leben macht alles so viel reicher und freier. Wir sind heute in der glücklichen Lage, den gesamten Weisheitsschatz der Menschheit in unseren Erkenntnisweg aufnehmen zu können. Die westliche Spiritualität und die östliche ! Den geheimen Schatz der Sufi-Mystik und die messerscharfe Weisheit des Zen. Die weibliche Weisheit einer Hildegard von Bingen, lebensnah und praktisch, und die tiefe Transzendenz einer Teresa von Ávila. Die Bibel und das indische Epos Mahabharata, die Verse der Rig-Veda, Indiens ältester Gedichtezyklus, Augustinus und Laotse. Aber auch: die Philosophie und die Kunst. Nie vergesse ich den Satz des 14. Dalai Lama: »Der Erleuchtungsweg des Westens ist die Kunst, aber die Künstler sind nicht erleuchtet.« Letzteres ist eine eindeutige Aufforderung gewesen, diesen fehlenden Teil zu integrieren. Der erste Teil des Satzes ist ein Hinweis auf unseren kulturellen und spirituellen Schatz. Eine Bach-Kantate kann uns für einen Moment alle Sorgen nehmen, ein Gedicht von Rilke zum Leitstern werden. Zeilen von Hilde Domin oder Rose Ausländer Lebenstrost und Zuversicht spenden. Auch ein frecher Heinrich Heine vermag uns wieder wachzurütteln und auf das Wesentliche zu verweisen, und ein Georg Büchner kann uns daran erinnern, dass kein einziger Mensch zum Versuchsobjekt werden darf.

Deshalb finden Sie in diesem Buch Anregungen, Zitate und Verweise, die von Philosophen, Dichterinnen, Schriftstellern, Künstlerinnen stammen. Hier ruht ein westlicher Erfahrungs- und Erkenntnisschatz. Heinrich Böll, Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Walt Whitman, Virginia Woolf, Doris Lessing, einen ganzen Roman widmete Letztere der Erkenntnis, dass wir eben nicht aus verschiedenen Teilen, aus verschiedenen Rollen beziehungsweise Büchern bestehen, sondern aus einem einzigen, dem »goldenen Notizbuch«.

Ein spiritueller Mensch ist ein durch und durch wacher Mensch, offen für das Leben und seine Überraschungen. Standfest und zugleich beweglich. Im Immerwährenden verwurzelt und in den Augenblick verliebt. Er ist im Diesseits und im Jenseits verankert. Um diesen Aspekt herauszuarbeiten, gilt es, die Bandbreite unseres Selbstverständnisses zu erweitern.

Vom Umgang mit dem Buch

Doch bevor wir einsteigen und ich mit Ihnen die Chronologie unseres Lebens unter den Aspekten gelebter Spiritualität anschauen möchte, hier noch ein paar konkrete Hinweise zum Umgang mit dem Buch.

Es ist wichtig, dass Sie die folgenden Seiten lesen.

Erzählen heißt, dem Dialogprinzip des Lebens folgen. Erzählen ist nichts Festes und doch etwas sehr Bestimmtes. Und immer eine Entdeckungsreise.

Sich dieses Verständnis der eigenen Lebensgeschichte anzueignen, ist eine Absicht dieses Buches. Wir finden Freiheit nicht in festgelegten Definitionen oder in der Analyse unserer Gene, wir finden sie in der Rückeroberung eines poetischen Lebensgefühls.

Sprache ist luftig, sie ist vom Geist durchweht. Oh ja, wir wissen alle, wie sehr man sie missbrauchen kann, aber hier soll es um die Rückkehr zum Urgrund gehen, um die Essenz. Und dazu sind Sie eingeladen: Ihre Geschichte zu entdecken, zu erzählen, zu begreifen, und zwar angesichts unserer gemeinsamen großen Geschichte.

Das kann unter Umständen nichts Geringeres bedeuten, als dass Sie eine völlig neue Sicht auf Ihr Leben bekommen, dass Sie sich Ihr Leben neu erzählen und neu schreiben. Und das meint: dass Ihr Leben neu wird.

Wer anders auf sein Leben sieht, lebt auch anders. Es kann sich anfühlen, als würden Sie von einem Traum erwachen, und das kann sich wiederum anfühlen, als würden Sie aus dem Bett fallen, aus der Nestwärme vorgefertigter Weltbilder, Einstellungen, Überzeugungen, Handlungsmuster, Rollenklischees, denen man – unbewusst – einfach nachlebte. Wachwerden ist nicht immer gemütlich. Doch gibt es etwas Schöneres, als den neuen, strahlenden Morgen zu begrüßen ?

Sich mit seinem Selbstverständnis nicht nur auf die eigene persönliche Geschichte zu begrenzen, sondern in ein großes Ganzes einzubetten, ist kein intellektueller, kein rein verstandesmäßiger Vorgang. Er führt vielmehr zu einer veränderten Gesamtwahrnehmung sowohl des Selbst als auch des Anderen, und das betrifft wiederum nicht nur andere Menschen, sondern ebenso die Natur, die politische, gesellschaftliche Weltlage und vieles mehr. Die eigene körperliche Wahrnehmung verändert sich – Sie werden es erleben –, je mehr Sie lernen, den Raum zwischen sich und dem Erlebten intensiver wahrzunehmen, zu deuten und auch zu nutzen.

Durch die spirituelle Biografiearbeit verändern wir uns und die Welt auf eine individuelle, organische und zugleich mit allen verbundene, einzigartige Weise.

Eine Weise, die weder erfolgsorientiert noch zweckgerichtet ist. Etwas Drittes mischt sich ein. Wir betreten den Raum einer höheren Intelligenz, die immer dann ins Spiel kommt, wenn man sich selbst ernst nehmen und zugleich auf das Andere lauschen kann. Es ist eine Art Hinhören: Leben, was erzählst du mir ?

Diese Vorgänge können überaus beglückend sein. Jene Sorte Glück, die uns warm durchströmt und uns unsere Lebendigkeit fühlen lässt. Und das ist ein weiterer Effekt: Wir spüren und erleben immer mehr, was das wirklich bedeutet: Lebendigkeit. Lebendigkeit, durch und durch. Die Blockaden, die wir gegen diesen Energiestrom aufgebaut haben, nehmen ab. Sie werden ein Gefühl der Ausdehnung erleben.

Gleichzeitig ist dieser Vorgang fordernd, das sollten Sie wissen.

Jede Art von biografischer Arbeit, ob Schreiben, reines Nachdenken oder therapeutisches Aufarbeiten, beinhaltet zwei Aspekte.

Zum einen gilt: Was man in Worte fassen kann, kann man hinter sich lassen. Und das tut unglaublich gut, auch wenn die Wirkung nicht unmittelbar nach dem Schreiben einsetzt.

Zum anderen gilt aber auch: Die Dinge zu benennen, heißt, sie zu erwecken.

Beides wird oftmals zeitgleich erlebt. Darauf sollten Sie vorbereitet sein.

Diese Erfahrung machen wir hauptsächlich, wenn wir uns dem Ereignishaften unserer gelebten Biografie und dessen Aufarbeitung zuwenden.

Die Hinwendung zu unserer essenziellen, unserer spirituellen Biografie erweitert diesen Erfahrungsraum von Anfang an. Es werden Ihnen Ereignisse aus dem eigenen Leben einfallen, sie werden wach und mit ihnen Emotionen, die manchmal sogar überwältigend sein können. Zugleich bespiegeln Sie das Erleben im größeren Feld dessen, was Menschsein bedeutet – ein ungewohnter, ein fremder Vorgang.

Für die Arbeit an und mit der spirituellen Biografie lassen sich folgende Leitsätze formulieren:

Ich besitze meine Geschichte, doch ich lasse mich nicht von ihr bestimmen.Ich verkörpere meine Geschichte, aber ich hafte nicht an.Ich bin mehr als meine Geschichte.

Mit dieser Grundeinstellung gewinnen Sie jenes Raumgefühl, das man auch in der Meditation erfährt. Wir sind, was wir sind, und sind zugleich mehr, als wir sind. Wir verankern uns im schöpferischen Feld des Lebens.

Und dies ist ein Prozess, der seiner eigenen Dynamik folgt, Ihrer Dynamik. Lassen Sie sich Zeit dafür. Erlauben Sie sich das Nachdenken, das Nachsinnen, das Nachspüren.

Die sieben Kapitel dieses Buches bilden auf eine gewisse Art und Weise die Chronologie unserer Lebensgeschichte vom Anfang bis zu deren Ende ab. Stets verbinden sich dabei die persönlichen Aspekte mit den überpersönlichen. Zugleich beinhalten alle Kapitel Aspekte unserer Bewusstseinsentwicklung, die auch unabhängig von der Zeitspanne, in der wir uns jetzt gerade befinden, Inspiration und Hilfe bieten können, sodass es keines kontinuierlichen Durcharbeitens bedarf. Die Fragen, wer unsere wichtigen Lehrer oder Lehrerinnen waren, was Lieben heißt, wo und wie wir beheimatet sind, können sich in allen Lebensphasen stellen und ihre Beantwortung Hinweise für unsere Ausrichtung bieten.

Jedes Kapitel dieses Buches möchte dazu auffordern, das Eigene in eine Sicht auf das große Ganze einzubetten und Gedanken zum großen Ganzen auf das Eigene zu übertragen. Zum Beispiel die Frage, was wir wirklich unter Herkunft verstehen. Und wie es sich anfühlt, wenn wir unseren Begriff von Herkunft über unsere eigenen Vorfahren hinaus erweitern.

Unter allen Kapiteln liegen die drei folgenden Fragen wie eine Membran, und ich bitte Sie, diese stets mitschwingen zu lassen:

Wer sind wir ?Wer bin ich ?Was ist das Leben ?

Außerdem finden Sie zusätzliche Impulse zum Schreiben und zum Nachspüren.

Lassen Sie sich Zeit.

Wir Menschen sind körperliche und geistige Wesen in einem. Geist will wehen, Geist braucht Atemraum. Unsere wahre Größe, unser wahres Schicksal, unsere Begrenzungen und unsere Entgrenzungen, Freiheit – wir können sie nur entdecken im Angesicht dessen, was mehr ist als wir selbst. Im Angesicht der Schöpfung, diesem gewaltigen Ereignis, im Angesicht Gottes mit all seinen Namen, wie immer Sie es nennen mögen, es ist das, was uns zu Menschen macht. Ihre Antworten auf dieses Angebot hier werden sehr individuell ausfallen, es sind Ihre Antworten, eingebettet in alle Antworten und ebenso in alle Fragen.

Ich fordere Sie auf zu denken, mit Herz und Hirn. So wird übrigens auch geschrieben, mit Herz und Hirn, mit Liebe und Verstand. Auf das »und« kommt es an.

Lauschen Sie auf die Antworten und Ihre Reaktionen.

Sie können dieses Buch einfach lesen, Sie können vor allem mit ihm arbeiten und die Anregungen, die ich Ihnen gebe, reflektieren. Ich rate zu Letzterem. Schreiben, die Sache auf das Papier oder in den Laptop bringen, ist die erste Stufe der Materialisierung unserer Gedanken. Das Geschriebene schaut Sie an und fordert Sie zum Dialog auf. Gedanken verflüchtigen sich, Geschriebenes fragt nach Antworten, nach Umsetzung.

Führen Sie ein eigenes Buch, während Sie mit diesem hier arbeiten. Kaufen Sie sich ein besonders schönes Notizbuch, und nochmals: Nehmen Sie sich Zeit dafür. Heilige Schreibzeit, wie ich es gern nenne. Eine Zeit, in der Sie mit sich allein sind, in der Sie niemand stören darf. Und möglichst an einem für Sie guten Ort, an dem Sie sich sicher und geborgen fühlen. Und sollten Sie jetzt denken, diese Zeit habe ich nicht, dann wird es noch drängender, dass Sie sich diese Schutzzone im Leben nehmen und regelmäßig aufsuchen. 

Achten Sie auf Ihre Träume, schreiben Sie sie auf. Und wieder: Nehmen Sie sich Zeit dafür, in diesem Fall am besten gleich am Morgen. Und gehen Sie in die Natur, die ihre eigenen Antworten zu bieten hat. Machen Sie nichts lächerlich. Leben ist heilig. Ihr Leben ist heilig. Und das Nachsinnen darüber, wer wir sind, ist es ebenso.

Sie sind nicht allein das, was Ihnen geschieht. Sie sind ebenso durch Ihre eigenen Denkräume geprägt. Auch das ist Ihre Biografie, vielleicht sogar im Wesentlichen. Es ist die Biografie Ihres Bewusstseins, Ihres bewussten Seins, das als Gegenüber das große Ganze wahrnimmt, dessen es nicht habhaft werden kann und an dem es dennoch wächst. Und wenn gilt, was von alters her gesagt wird: wie unten so oben und umgedreht, dann wächst dieses große Ganze auch durch uns und unser Nachsinnen darüber. Wir können auch sagen: Gott braucht uns.

Und damit komme ich zu den Begrifflichkeiten in diesem Buch.