Sich ins Leben schreiben - Liane Dirks - E-Book

Sich ins Leben schreiben E-Book

Liane Dirks

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Wer hat ihn nicht, den Wunsch, die eigene Einzigartigkeit zu entdecken, sich zu entfalten, innerlich zu wachsen und ein freier, ganzer Mensch zu werden? Die Schriftstellerin und Dozentin Liane Dirks zeigt, wie man die Arbeit mit Worten nutzen kann, um sich auf die kreative Reise zum Selbst zu begeben. Schreiben ermöglicht Zugang zum eigenen Ausdruck, zur eigenen Sprache. Es ist ein effektives Instrument, Lebenssituationen nicht nur zu verarbeiten und hinter sich zu lassen, sondern das Neue auch aktiv für sich zu gestalten. Wer auf diese Weise den Weg der Selbstentfaltung geht, kann vom beschriebenen Blatt zum Schöpfer der eigenen Geschichte werden.

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Seitenzahl: 280

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Über das Buch

Schreiben ist nicht nur ein wirkungsvolles Mittel, um Lebenssituationen zu verarbeiten und hinter sich zu lassen, schreibend lässt sich auch das Neue entwerfen und aktiv gestalten. Die Schriftstellerin Liane Dirks zeigt, wie Sie sich in der Arbeit mit Worten selbst entfalten, innerlich wachsen und ein freier, ganzer Mensch werden. Wer auf diese Weise den Weg der Selbstentfaltung geht, kann vom beschriebenen Blatt zum Schöpfer der eigenen Geschichte werden.

Über die Autorin

Liane Dirks ist seit 1985 freie Schriftstellerin. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Die ausgebildete Gesprächstherapeutin, Meditations- und Tai-Chi-Lehrerin entwickelte durch ihre schriftstellerische Tätigkeit und ihre Beschäftigung mit spirituellen Lehren sowie creative writing ihren eigenen Zugang zur Selbstfindung im kreativen Prozess. Diesen Ansatz vermittelt sie seit vielen Jahren in Seminaren und Einzelbegleitungen. Sie lebt in Köln.

www.liane-dirks.de

Liane Dirks

Sich ins Leben schreiben

Der Weg zur Selbstentfaltung

Kösel

Originalausgabe

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2015 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © plainpicture / Folio Images / shutterstock / antart

ISBN 978-3-641-16670-0

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

Inhalt

Prolog

Vom Umgang mit diesem Buch

Anfangen oder vom Wunder des Werdens

Vom Ursprung und wofür wir das große Staunen brauchen

Freude und warum sie Dreh- und Angelpunkt der Reise ist

Lust und wie man mit Energien umgeht

Wie man sich rüstet und was man wissen muss

Mut, Vertrauen, Offenheit – die besseren Seiten der Angst

Verbundenheit – niemand geht den Weg allein

Wehmut – der Geschmack des Abschieds

Zeit und Raum für sich allein

Aufbrechen, die ersten Stationen

Das Wort, das alles verändert

Eine kleine Lektion im Fliegen

Von Landkarten und Sternenkarten

Widerstand, Beistand und lustvolles Lebendigsein

Wenn die wilden Kerle kommen

Das Tor und der eine Schritt

Auf der bunten Wiese sitzen

Vom richtigen Ja- und Nein-Sagen

Unterwegs sein

Klare Sicht

Der sichere Ort

Der große Umschwung

Vom Wunsch zur Wirklichkeit

Vom Umgang mit Zweifeln

Ankommen oder die Ebene des Gelingens

Fülle und wie Sie zum Schöpfer werden

Von der Heilkraft des Mit-Teilens

Der Durchbruch – wenn alles »shaky« wird

Sich ausdehnen in einen neuen Raum

Eine Aufforderung zum Spielen

Vom Werden und Vergehen

Das Ende, das ein Anfang ist

Epilog

Danksagung

Quellen und Links

Prolog

Schreiben ist etwas Wunderbares. Schreibend kann man Welten entwerfen, Pläne schmieden, Nachrichten hinterlassen. Schreibend kann man erzählen von dem, was war und von dem, was kommen soll. Schreiben ist Magie. Es stellt nie gesehene Landschaften her und es bewahrt Weisheiten, die drohen, in Vergessenheit zu geraten.

Schreibend kann man Kontakt mit der ganzen Welt aufnehmen, wie viel leichter ist das heute als zu Zeiten, in denen die Schrift erst entstand!

Schreibend kann man aber auch Kontakt zu sich selbst aufnehmen, mehr noch, man kann sich schreibend selbst entdecken. Und schreibend kann man sich sogar begleiten auf einem Weg, der einen selbst immer mehr in Erscheinung treten lässt. Schreibend kann man sich selbst zum Leitstern werden. Dass ich dies entdeckte, ist viele Jahre her und es geschah mithilfe eines Traumes. Damals war ich jung, schmal und das, was man ein verletztes Wesen nennen kann. Meinen Verletzungen nicht zu erliegen, hatte ich bereits beschlossen, aber der Weg der Heilung sollte ein langer, ein schwieriger sein. Vermutlich gehe ich ihn sogar noch immer.

Meinen Beruf hatte ich zu der Zeit schon an den Nagel gehängt, ich hatte fristlos einen festen Angestelltenjob gekündigt, meine junge Ehe ebenso forsch verlassen, doch den eigentlichen Anlass für all das, den Wunsch, Autorin werden zu wollen, wagte ich kaum vor mir selbst auszusprechen. Stattdessen hatte ich zunächst die Welt bereist, versucht, allerorten Gutes zu tun, immer war ich mit einem Auftrag unterwegs – mich für andere zu engagieren schien doch einfacher zu sein, als selbiges für mich zu tun.

Ich lebte mit einem Freund, der sein gut gemeintes Mitleid vor sich hertrug, es erniedrigte eher als dass es mich stärkte, und dennoch lebten wir zusammen. Wir engagierten uns, kämpften für das, was wir für gerecht und richtig hielten, wir eiferten unseren Idolen nach, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, siezten uns zwischendurch sogar wie das berühmte Paar, lasen die Bücher der Anarchisten und tranken den Kaffee schwarz und ohne Zucker.

Mein Zimmer war schön, mein Leben begrenzt. Die Texte, die ich schrieb, litten an ihrer Kürze, aus mir wollte einfach nichts heraus. Und doch hätte das alles noch lange so weitergehen können, wäre da nicht dieser wehmütig gebundene Schmerz gewesen, der von anderem wusste, von Größerem, Tieferem, von Freiheit. Von mir selbst.

Und dann kam dieser Traum, ein eher unspektakuläres Gebilde, gemessen an den Geschichten, die mir meine Seele sonst erzählt:

Im Traum sah ich mich am Rande eines Zeltlagers an einer Kochstelle hocken. Ich rührte langsam und mit Bedacht in einem Kessel, der über dem offenen Feuer hing. Um mich her lagerten noch andere Menschen, die Stimmung war friedlich, das Leben schlicht und aufgeräumt. Ich musste wohl schon lange dort gewesen sein, so jedenfalls fühlte es sich an. Doch dann hob ich den Kopf, so wie es nur im Traum geht, als täte ich es das erste Mal, und ich sah, dass wir unmittelbar am Rand eines Deiches lagerten, auf dessen Kuppe ein Weg verlief. Auf diesem Weg zogen unzählige Menschen vorbei. Jetzt erst bemerkte ich es und indem ich es bemerkte, wurde mir bewusst, dass es schon immer so gewesen war. Die Stimmung auf dem Deich war ebenfalls ruhig und friedlich. Jung und Alt gingen dort, Groß und Klein, Menschen aller Haut- und Haarfarben, sie trugen einfache Kleidung und sie trugen kostbare Kleidung. Und sie taten nichts als das, sie gingen. Sie schritten voran.

Ich erwachte. Und auch wenn dieser Traum nur wenig erschütternd wirken mag, ich war erschüttert. Zutiefst. Alles in mir bebte, ich weinte fürchterlich und vertraute mich nach Stunden des nicht enden wollenden Schmerzes einer Freundin an. Diese Freundin war Musiktherapeutin und befand sich zum damaligen Zeitpunkt in einer psychoanalytischen Lehranalyse. Sie hatte also in jeder Hinsicht ein offenes Ohr. Ich erzählte ihr von dem Lager, in dem ich mich befunden hatte, von dem Weg und von den vielen Menschen, die auf ihm gingen. Sie sah mich nur kurz an und lachte dann laut auf: »Ja«, sagte sie, »ich frag mich auch schon lange, was du am Wegrand machst. Worauf wartest du noch?«

Ich war fassungslos. Denn mein Bild von mir war das einer Frau, die doch schon wagemutig und verwegen einen großen Schritt in ihrem Leben getan hatte, die doch immer aufstand: für Gerechtigkeit, gegen Atomkraft, für Frieden, für die Frauenrechte, für andere.

Aber nicht für mich selbst.

Ich verstand augenblicklich.

Und dann erhob ich mich und das mache ich bis heute.

Dieses Buch ist für all diejenigen, die aufstehen wollen, die sich erheben wollen, die den Lagerplatz vertrauter Sicherheit und des Bekannten verlassen und ebenfalls voranschreiten, die den Weg gehen wollen.

Es ist ein Weg, der nach innen führt, zu unserem Selbst, zu dem oder zu der, die wir eigentlich sind, jenseits von Zuschreibungen, ein Weg der Selbstentfaltung, auf dem wir uns zeigen lernen mit allem, was uns innewohnt, leuchtend, zart, kraftvoll, zerbrechlich, schön und durch und durch lebendig. Es ist der Weg in die Freiheit. Er endet nie. Doch je länger man ihn geht, desto leuchtender, weiter, größer wird diese Freiheit, desto schöner wird die Landschaft, die man durchschreitet, desto erhabener werden die Ausblicke und desto größer wird die Würde derer, die ihn gehen.

Der Weg ist anspruchsvoll, manchmal muss man sich zwischendurch wieder hinsetzen und ein wenig ausruhen, doch dieses Ausruhen ist ein anderes als das lange Abwarten zu Beginn der Reise. Wer je bewusst begonnen hat, den Weg zu gehen, der geht ihn weiter. Ein Zurück gibt es nicht. Wer den Weg der Selbstentfaltung geht, der entfaltet sich. Wer sich ins Leben schreibt, der schreibt selbst und wird nicht länger be-schrieben. Und wer sein Leben schreibt, der wird vom Opfer seiner Geschichte zu deren Schöpfer.

Ich habe mich ins Leben geschrieben und bin den Weg der Selbstentfaltung gegangen und ich gehe ihn immer noch. Das Schreiben ist eines meiner größten Hilfsmittel, mehr noch, es war und ist mein Begleiter. Es verleiht mir Ausdruck und Halt, es bietet mir Entdeckungen und Einsichten, wie man sie nur im kreativen Tun machen und erlangen kann. Von Anfang an kamen aber auch andere Helfer hinzu, Meister und Meisterinnen, Lehrer und Lehrerinnen. Ich habe sie gesucht, sie haben mich gefunden. Begegnungen, vom Shaolin-Mönch zur Mystikerin, vom Zen-Priester zur Auschwitzüberlebenden, vom Quantenphysiker zu den Dichtern, Künstlern, Autoren, zu meinen Kindern und Partnern. Natürlich brachten mich auch die Bücher weiter. Das Leben war mein größter Lehrmeister, die Lektionen waren heftig, der Tanz zum Teil recht wild. Und immer war da die Sprache, die mir half zu begreifen und das Begriffene auszudrücken.

Mein Leben als Autorin, Journalistin, als Mutter und Frau, meine christliche Herkunft und meine mehr als drei Jahrzehnte lange, zum Teil recht intensive Praxis in Meditation und innerer Einkehr, die Unterweisungen in den verschiedenen Weisheitstraditionen – all das verschmolz dabei miteinander. Und das war und ist gut so. Mit Beliebigkeit hat diese Erfahrung nichts zu tun. Im Gegenteil. Etwas in mir wurde dabei immer genauer und zugleich offener und weiter. Mein Interesse galt parallel zum sogenannten spirituellen Weg immer auch, ja sogar überwiegend, dem Weg des Künstlers, dem kreativen Prozess mit all seinen spezifischen Abläufen.

Die damit verbundenen Fragen treiben mich bis heute um: Wie entsteht Neues? Woher kommt ein Musikstück – zuvor noch nie erklungen; ein Bild – in Form und Farbe einzigartig; ein Roman – woher kommt diese Geschichte, und wieso hat seine Sprache diesen einzigartigen Klang? Ein Garten – wie nimmt er Gestalt an? Wie entfaltet sich eine Idee und wie materialisiert sie sich? Welche Bedingungen braucht das Neue und welche Bedingungen brauchen wir, um neu zu werden?

Auf all den Wegen, die Freiheit und Erkenntnis allein im Innen suchen, in der Stille, mit den Methoden der Kontemplation, der Meditation, in Abgeschiedenheit und Einkehr, beobachtete ich bei den Praktizierenden immer wieder einen Mangel an gelebter Umsetzung. Aber geht es nicht genau darum, die Erkenntnis im eigenen Leben auch anzuwenden, die Veränderung auch in die Welt zu tragen?

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Innen und Außen nichts Getrenntes sind, sondern sich im ständigen Austausch gegenseitig bedingen und verwandeln und dass deshalb der Ausdruck von Freiheit ein kreativer, ein schöpferischer, ein künstlerisch das Leben gestaltender ist. Dem Werden Ausdruck verleihen, das Neue in Bewegung setzen, die Schönheit feiern, das ist Menschsein.

In diesem Prozess war und ist für mich das Schreiben die Konstante. Meine Geschichte, mich in Worte zu fassen, vor allem aber, die Erfahrung des Weges in Worte zu fassen, das war mein »Fahrzeug«, wie es die Buddhisten nennen würden, pragmatisch kann man sagen: meine Methode. Ich nenne es gerne »mein Leitstern«. Und tatsächlich wurde ich auf diese Weise mir selbst zum Leitstern.

Mich ins Leben zu schreiben bedeutete, das Trauma meiner Kindheit, den jahrelangen Missbrauch, zu überwinden; es bedeutete, die Erfahrung der Ausgrenzung, Verachtung, tiefen Verunsicherung hinter mir zu lassen und auch die Stigmatisierung als Opfer abzulegen. Denn etwas in mir wusste von Anfang an, dass mir zwar Schreckliches geschehen war, ich aber dennoch nicht auf das Geschehene zu reduzieren war. Da war dieses Leuchten, das sich in die Welt tragen lassen wollte, und zwar durch mich, so wie ich war und bin. Mich ins Leben zu schreiben bedeutete, meinen sicheren, freien Ort in mir zu finden und von ihm aus zu handeln gegen alle Widerstände, und es bedeutete auch, zu lernen, dass Leben nicht nur Widerstand ist. Es bedeutete, Hilfe anzunehmen, verletzlich zu bleiben, sich führen zu lassen. Mich ins Leben schreiben bedeutete, dem Tod zu begegnen, dem ich bei der Geburt meines zweiten Kindes gerade noch einmal entkommen war, und dem Schmerz, der Ohnmacht, der nicht enden wollenden Trauer, als mein früherer Lebensgefährte mit seinem Kind bei einem Unfalltod starb.

Schreibend konnte ich nicht nur begreifen und verarbeiten, ich spürte auch, dass ich schreibend das Geschehene verwandelte. So erschütternd die Ereignisse auch waren, immer wieder fand ich den Zugang zu der Schöpferkraft in mir selbst. Nie war ich ohnmächtig. Selbst in den schwärzesten Stunden tiefster Trauer spürte ich, dass all dies Teil eines unendlichen Entfaltungsprozesses war, Teil einer Reise, die mich zu mir selbst führte und zugleich immer tiefer und bewusster in all die Dimensionen des Lebens. Ich führte Korrespondenz mit dem Leben und ich war zugleich mein Leben; ich formte es, ich war Mitgestalterin.

Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass es, in gewisser Hinsicht, mit dem Leben nicht anders war als mit dem Schreiben meiner Romane. Die Welten, die hierbei entstehen, entstehen nicht allein durch mich. Immer ist Schreiben ein Akt der Begegnung, das, was in uns ist, begegnet dem, was geschrieben werden will. Da wartet etwas auf uns, es wartet darauf, in Erscheinung zu treten, sich zu entfalten. Schreiben ist Begegnung und Leben ist Begegnung und beides ist unentwegte Verwandlung, Ausdruck des Schöpferischen.

Was ich dabei erfuhr, war, dass trotz aller Widerstände dieser Akt kein Kampf sein muss und dass der kreative Weg zur Selbstentfaltung ein organischer Prozess ist, ein Prozess, in dem man sowohl selbst gestaltet als sich auch dem Leben anvertraut. Ich erfuhr, dass die Aufgaben, die das Leben stellt, uns zwar wachsen lassen können, doch sie sind nicht die Ressourcen. Unsere Ressource ist die Lebensfreude, nicht die Not; wir schöpfen viel mehr aus dem Leuchten, der Liebe, der Lust, der uns innewohnenden kreativen Kraft. Keiner meiner Romane entstand aus Not, alle entstanden aus Lust am Entstehen lassen. Und die Schritte der Selbstentfaltung in unserem Leben sind Ausdruck der Lebensfreude, der Lebendigkeit selbst.

Selbstentfaltung ist kein zielorientiertes Projekt. Es ist mutiges, kreatives Anvertrauen in die Schöpferkraft des Lebens, die uns innewohnt. Der Prozess des »Sich ins Leben schreiben« ist die bewusste Eröffnung eines Briefwechsels mit eben dieser Schöpferkraft. Es ist nicht überhöht, wenn ich sage, dass ich durch diese Entdeckung und Erfahrung erst wirklich das Gefühl hatte, Mensch zu werden, ein ganzer Mensch, ich selbst.

Inzwischen habe ich diese Erfahrung und dieses Wissen vielen Menschen weitergeben dürfen und so konnte ich meine Erkenntnisse auch an anderen überprüfen. Und jetzt gebe ich diese Erfahrung erzählend an Sie weiter.

Es sind Erfahrungen, die dort einsetzen, wo unsere alten Geschichten aufhören, wo die alten Erzählmuster nicht mehr greifen. Denn auch dies habe ich immer wieder beobachtet: Trotz der zahlreichen Entwicklungsmöglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, bleiben viele von uns inmitten von Wunsch und Möglichkeit stecken.

Woran das liegt? Uns fehlen die Landkarten.

Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten wir sie noch, die exakten Anweisungen für den Weg, es gab feste Routen, Abschnitte, Wegweiser und Erfahrungsberichte. Und wer die Reise antrat, der war ein Held oder eine Heldin. Und das Muster der Erzählungen über diese Reise wurde deshalb »Heldenreise« genannt.

Heute aber geht die Reise weiter. Wir sehnen uns nach mehr, die bisherige Entwicklung kommt zu einer Art Abschluss. Was wir erreicht haben, stößt an seine Grenzen, Grenzen, die einengen. Heute geht es nicht mehr allein darum, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, heute sehnen wir uns danach, unsere bis dato errungene Einzigartigkeit nicht in Abgrenzung, sondern in Verbundenheit mit der Größe, Schönheit und Vielschichtigkeit des Lebens zum Ausdruck zu bringen, das erfordert neue Schritte und neue Wege. Moderne Helden reisen anders.

Heute geht es nicht mehr darum, das eine, klare Ziel zu erreichen, die eine Form der Verwirklichung. Heute sehnen wir uns danach, im Wandel heimisch zu werden. Heute ist der Weg ein kreativer Prozess und zugleich ist er die tiefe Bewusstwerdung dessen, wer wir im eigentlichen Sinne sind. Und auch ist nicht mehr allein der Weg das Ziel, heute ist das Ziel ebenso die Landschaft, die wir auf unserer Reise durchschreiten und zugleich entwerfen. Wer heute die nächsten Schritte auf der Lebensreise gehen will, der möchte selbst zum Gestalter, zum Schöpfer dieser Reise werden. Es ist nicht länger ein auferlegter, mit Mühsal belegter Pfad, es ist eine Reise, die wir aktiv gestalten. Dafür gibt es keine vorab festgelegten Routen. Wir machen neue Erfahrungen, denn wir gehen in eine neue Zeit. Und das ist das, wonach wir uns sehnen, ein neuer Mensch zu werden, ohne das Alte zu verleugnen. Der neue Mensch will ein ganzer Mensch sein, heil, ganz und frei. Er will sowohl die Vielgestaltigkeit des Lebens verkörpern als auch dessen Einzigartigkeit. Das ist eine ganz neuartige Aufgabe.

Dass hierbei die Arbeit mit dem Wort, das Schreiben, ein wundervolles Hilfsmittel ist, leuchtet ein. Denn das Wort ist seit eh und je der Mittler zwischen unseren Gedanken und Absichten und unserem Tun, der aktiven Umsetzung. Darum gibt es in diesem Buch viele Übungen, die man schreibend ausführt. Schreibend kann man sich nicht nur über Gelebtes vergewissern, sondern auch das Kommende in die Welt rufen. Das Schreiben ist ein Hilfsmittel, um uns im Co-Schöpfertum einzuüben. Denn das werden wir auf diesem Weg, wir werden Co-Schöpfer, bewusste Gestalterin, bewusster Gestalter des Wandels.

Sie haben also keinen Ratgeber in der Hand und schon gar nicht verspreche ich das Glück, auch wenn es das Ergebnis sein kann. Auch werden Sie von mir nicht hören, was Sie schon kennen, dass der Weg das Ziel ist, selbst wenn man das meinem Traum von damals zufolge meinen könnte. Der Weg ist nur ein Teil des Ganzen. Und hier geht es um das Ganze! Wir entwerfen die Welt, unsere Welt und auch die der anderen neu, wenn wir sie bewusst durchschreiten. Und ebenso gilt: Diese Welt kommt auch neu und anders auf uns zu.

»Komm ins Offene, Freund!«1 so hat uns Hölderlin schon gerufen. »Komm ins Offene, Freundin!«, möchte ich hinzufügen.

Vom Umgang mit diesem Buch

Auf der Reise zu uns selbst will Ihnen dieses Buch Schritte nahelegen, Sie vertraut machen mit einem Kurs, den Sie letztlich selbst wählen und einschlagen. Natürlich gibt es so etwas wie Erfahrung, aber wir alle wissen, dass wir in jeder Hinsicht in einer Zeit des Umbruchs und des Wandels leben, mehr denn je, und deshalb erfahren Sie hier nicht, wie Ihr Weg »geht«, Sie erfahren vielmehr, wie Sie Ihren Weg gestalten können. Und indem sie gestalten, gestalten Sie die Welt. Diesem Prozess ist Heilung innewohnend.

Sie können dieses Buch lesen, Sie können aber vor allem mit ihm arbeiten, Sie finden nach jedem Kapitel Anleitungen dafür. Vielleicht wollen Sie erst einmal alles auf sich wirken lassen und dann erneut von vorn beginnen, um die Übungen mitzumachen. Es ist wichtig, dass Sie sich dabei so viel Zeit nehmen, wie Sie brauchen. Und wie viel Sie brauchen, das wissen allein Sie selbst. Aus meiner Erfahrung heraus bewirken schon die ersten Kapitel oft eine völlig neue Sicht auf die jetzige Lebenssituation. Geben Sie all dem Raum, Atemraum. Heimisch zu werden im Wandel ist kein Projekt, das man etappenweise »durchziehen« kann. Zwar werde ich von Abschnitten der Reise erzählen, diese sind aber nur Markierungen eines organischen Prozesses. Sie helfen, uns selbst beim Werden zu beobachten, uns selbst zu begleiten.

Das Buch bietet kein Programm, ich empfehle aber unbedingt, die Abschnitte nach und nach durchzugehen und nicht vorauszugreifen. Wiederholen können Sie, so oft Sie wollen. Die auf jedes Kapitel folgenden sogenannten Impulse sind Anregungen, sich schreibend zum Gelesenen in Beziehung zu setzen. Das Schreiben dient der Reflexion und der Gestaltung gleichermaßen. Und je öfter Sie schreiben, desto mehr werden Sie merken, dass der Gestaltungsprozess selbst Sie führt. Es geht also nicht darum, besonders gelungene Texte zu verfassen, sondern zu beobachten, was Ihnen Ihre Texte offenbaren, was sich durch das Schreiben in Ihnen klärt und entsteht.

Oft finden Sie Zeitvorgaben für die Übungen, das sind Erfahrungswerte. Es tut gut zu merken, wie viel man in dreißig Minuten schreiben und erkennen kann, und außerdem entzieht die zeitliche Begrenzung der Ausflucht den Boden, dass das alles zu viel sei und wir keine Zeit hätten. Sie haben Zeit! Wenn man pro Woche keine halbe Stunde für das Eigentliche übrig hat, wird es dringend Zeit, den Umgang mit der Zeit zu ändern, oder nicht? Gerade anfangs hilft die begrenzte Schreibzeit auch, nicht zu sehr abzuschweifen, ganz nebenbei ist dies also auch eine Einübung in Fokussierung. Und selbstverständlich können, sollen, dürfen Sie danach das Geschriebene erweitern und ergänzen.

Ganz nebenbei werden Sie, während Sie mit dem Buch arbeiten, Ihren eigenen Lebensroman schreiben und dabei das schöne Gefühl entdecken, was es heißt, sich im Wort aufgehoben zu fühlen, Heimat zu finden in der Schrift.

Einzelne Übungen lassen sich wieder und wieder durchführen. Nicht nur ich, auch meine Seminarteilnehmer haben damit jahrelange Erfahrung gesammelt. Manchmal reicht es schon, eine Seite zu schreiben, um sich wieder »einzunorden«. Die Übungen helfen, immer wieder zurück auf den Pfad zu kommen und sich nach dem auszurichten, worum es eigentlich geht: Unser ganzes Potenzial zu entfalten, um so ein ganzer Mensch zu werden.

Ich bin Autorin, Schriftstellerin. Ich versuche, in diesem Buch »Klartext« zu schreiben. Wenn ich einen Roman schreibe, so fußt auch er auf meinen Erfahrungen, auf Anregungen, auf Recherche, aber dann muss ich beim Schreiben meinen eigenen Zugang entwickeln und meine eigene Sprache finden, um meine Geschichte selbst zu erzählen. Ohne Zitate, ohne Absicherung, ohne Rückhalt, nur so entsteht ein neues Werk.

Da es hier, in diesem Buch, darum geht, diesen Prozess der Entstehung auch auf unser Leben zu übertragen, habe ich größtenteils bewusst darauf verzichtet, das, was ich schreibe und sage, mit Querverweisen, Zitaten, Belegen und Studien zu unterfüttern. Sie werden dementsprechend nur an den wenigen Stellen Zitate finden, an denen sie einfach unabdingbar sind. Beim Prozess des »Sich ins Leben schreiben« geht es ja gerade darum, die eigene Sprache, den eigenen Ausdruck zu finden, und beides haben wir alle.

In meine Seminare kommen auch Menschen, die nicht so gern mit dem Wort arbeiten, für manche ist das Malen und Zeichnen ein adäquater Ausdruck, für andere die Gartenarbeit, die Musik oder die Art, wie sie ihr Umfeld gestalten. Der Weg der Selbstentfaltung ist ein ganzheitlicher Weg, nichts bleibt außen vor. Ich möchte Ihnen dennoch nahelegen, die Schreibübungen zu machen, sie bringen Klarheit und haben Aufforderungscharakter.

Ihren inneren Kritiker, Ihre Ansprüche an das vermeintlich gute Formulieren, an die Rechtschreibung und die Grammatik, das alles legen Sie bei diesen Übungen beiseite. Sie schreiben einfach, um zu erkennen und Sie erkennen, um zu verwandeln. Sie schreiben sich ins Leben ein, das ist die beste Universität, denn sie hat alle Fakultäten.

Auf dem Weg der Selbstentfaltung werden Sie Ihr eigener Leitstern werden. Sie schreiben Ihren eigenen Text, Ihren Lebensroman. Dabei werden Sie sich verändern und nicht nur sich, sondern auch ihre Welt. Im Wechselspiel mit den Bedingungen des Lebens wird diese Reise zu einem Tanz, das Buch bringt Ihnen lediglich ein paar Tanzschritte bei, die Musik spielen Sie selbst, und aufstehen, um zu tanzen, um zu reisen, um den Weg ins Neue zu gehen, das müssen und können nur Sie allein.

Dafür müssen Sie eine Entscheidung treffen, ein erstes großes Ja sagen.

Auch wenn Sie jetzt weiterlesen, treffen Sie eine Entscheidung. Entscheidungen soll man mit offenem Geist und offenem Herzen treffen und mit Eindeutigkeit, mit Klarheit: Ja oder Nein. Halbe Entscheidungen sind keine Entscheidungen. Sie führen zu gar nichts. Wenn Sie lesen, dann seien Sie offen, dann kann auch Ablehnung zur Erkenntnis führen, dies ist geradezu Teil des Weges: Sie prüfen, Sie entscheiden. Es ist Ihr Weg, Ihre Reise. Sie übernehmen die Verantwortung, vielleicht tun Sie das sogar, in einem tiefer gehenden Sinn, zum ersten Mal bewusst und wirklich.

Aber das gilt nur, wenn Sie sich vom Lager erheben und voranschreiten wie die Menschen in meinem Traum. Es hilft in diesem Fall nichts, nur kurz den Allerwertesten anzuheben. Das ist der erste Schritt ins neue Land. Sie müssen sich entscheiden. Wollen Sie auf diese Reise gehen oder wollen Sie es nicht?

Wollen Sie weiterlesen oder nicht?

Anfangen oder vom Wunder des Werdens

Die nächsten Kapitel sind die wichtigsten. Und das liegt daran, dass sie den Anfang darstellen. Den Anfängen wohnt nicht nur der oft zitierte Zauber inne, den Anfängen wohnt alles inne.

Eigentlich müsste man ein ganzes Buch nur über das Anfangen und all die Anfänge in unserem Leben machen. Dem ersten Funken wohnt das Feuer inne, dem ersten Blick in ein Paar Augen die ganze Macht der Liebe, dem Samenkorn, das wir in die Erde legen, der Baum. Vielleicht eine Eiche mit ihrer altehrwürdigen Ausstrahlung, vielleicht ein eleganter Ahorn, vielleicht ein duftender, Nahrung gebender Apfelbaum. Der Baum wird vielleicht zehn Jahre alt, vielleicht kommt aber auch ein Gärtner und reißt den Sprössling aus. Die Menschen, die sich ansehen, dürfen sich vielleicht gar nicht lieben, man verbietet es ihnen. Der Funke wird womöglich sofort gelöscht, vielleicht wird er aber auch weitergetragen und löst ein Buschfeuer aus.

Im Anfang ist tatsächlich alles enthalten, punktgenaue Eindeutigkeit – niemals kann aus einem Feuerfunken Wasser werden und aus dem Apfelkern nie im Leben ein Fisch – und doch sind zugleich alle nur denkbaren Möglichkeiten für diesen einen Anfang da. Und das ist das große Geheimnis, das Wunder des Werdens.

Dem ersten Satz kann ein Roman innewohnen, der erste Pinselstrich entscheidet ein Bild, der erste Schritt auf unserem Weg ins Freie birgt bereits die Freiheit.

Anfänge kann man gar nicht bewusst genug begehen, sie haben etwas Heiliges. Anfangen will aber auch gelernt sein. Meistens bemerken wir gar nicht, dass wir etwas anfangen, und schon gar nicht, wie, und das wird uns im Fortlauf gnadenlos gespiegelt, wenn uns unsere Geschichten überrollen und all die kleinen und größeren Katastrophen uns zum Spielball des Geschehens machen.

Bewusstes Anfangen bedeutet Wertschätzung: dessen, was man tut, und dessen, wer man ist. Und weil das so ist, bedeutet Anfangen zugleich immer auch bereits Ankommen. Sobald Sie sich bewusst auf den Weg der Selbstentfaltung begeben, kommen Sie an. Eine Einsicht und ein Erlebnis, das erschütternd sein kann, erschütternd schön.

Richtiges Anfangen zu erlernen, verändert Ihr Leben in allen Bereichen, und zwar radikal, denn bereits hierdurch werden Sie selbst zum Schöpfer.

Und darum geht es, wenn man sich einschreibt ins Leben, in die Schule der Lebendigkeit und der Kreativität.

Vom Ursprung und wofür wir das große Staunen brauchen

Stellen Sie sich das vor: Eine riesige Kugel gleitet, sich langsam und behäbig drehend, durch ein dunkles, namenloses All, das gefüllt ist mit Raum und Leere, Milliarden anderer riesiger Kugeln und einer großen Portion Geheimnis. Das, um was sich die Kugel dreht, wird später Sonne heißen. Noch aber ist alles unbenannt. Die Kugel selbst ähnelt einer Sonne, ein wabernder, spuckender Feuerball; sie speit Magma, es fliegt ins Universum hinaus, denn da ist noch keine Hülle, die das Werdende schützt. Millionen Jahre lang ein schwarz-rot-oranger Zauber, den niemand sieht, der aber stattfindet. In diesem großen Szenario kühlt die Kugel langsam ab, sehr langsam, wobei ein Zweites entsteht, eine Art äußere Kugel, die die innere schützend umgibt. Und dann, als die Oberfläche erkaltet ist, fängt es irgendwann an zu regnen. Und es regnet, regnet, regnet, jahrtausendelang. Regen, immerzu.

Irgendwann bildete sich aus all dem Niederschlag das Urmeer, und als das geschah, erschien zugleich das Land. Und in diesem Urmeer fing irgendwann eine Art Leben an und das Land überzog wiederum Millionen Jahre später ein Hauch von Grün, womit es sich die Bezeichnung »Land« schon ein wenig mehr verdient hatte, und dann regnete es wieder jahrtausendelang. Aus dem schmalen Grün wurden Gräser und Büsche, die Urahnen unserer Bäume. Den Fortgang der Geschichte kennen wir, zumindest einigermaßen. Dem Meer, das sich inzwischen in mehrere seiner Art geteilt hatte, entstiegen Tiere, sie eroberten die Luft und das Land und aus den Tieren ging irgendwann der erste Mensch hervor, womöglich ein Affe, der die Schönheit entdeckte.

Vom Ursprung dieser Welt gibt es viele alte Geschichten, Mythen. Mal ist es ein Ei, dem alles entschlüpfte, dann eine Silbe, das heilige Aum oder Om, aus deren Klang heraus sich die Welt entfaltete, dann wieder ist es Gott oder die Leere, die plötzlich Sehnsucht nach einem Gegenüber bekam. Mal geschieht etwas, indem ein Name gegeben wird, und mal liegt der Auslöser, wie bei Aristoteles, beim ersten unbewegten Bewegenden, primum movens. Und heute erzählen uns die neuen Geschichten, dass es eine sogenannte Singularität gewesen sei, ein Urknall, der alles erzeugte, auch sich selbst. Welche dieser Erzählungen wir nun bevorzugen, eher die poetischen oder eher die vermeintlich sachlichen, sie alle erzählen von etwas, dem man nur mit großem Erstaunen begegnen kann, von etwas, das plötzlich einfach da war, und zwar ohne Grund, ohne ein »Warum«. Sie erzählen vom Entstehen ohne Anfang und das, was entstand, sind wir. Bis heute wird die Menschheit nicht müde, sich diese Geschichten auf die eine oder andere Art immer wieder zu erzählen, das große Wunder zu erforschen, dass etwas zwar keinen Anfang, aber solche immensen Folgen hat.

Und warum erzähle ich Ihnen das?

Weil die Geschichte vom Entstehen, diese eine große Geschichte, wie alles entstanden ist, wie wir entstanden sind, weil diese Geschichte uns so viel über das Anfangen lehrt. Und das Erste, was sie uns lehrt, ist, dass der Anfang aller Anfänge ein großes Geheimnis ist. Etwas, das wir mit unserem Verstand allein nicht fassen können. Und sich dies bewusst zu machen, ist der Anfang jeder Reise.

Ist es nicht eigenartig, dass das Nachdenken über unser aller Anfang, dass all diese Geschichten keine Angst machen? Immerhin geht es hier um etwas Gigantisches, um eine nicht vorstellbare Kraft. Stattdessen erfüllen uns diese Erzählungen mit Staunen, mit Ehrfurcht und mit einer gewissen Wärme, ja Geborgenheit, die ausgerechnet dann entsteht, wenn wir wissen, dass wir nicht wissen. Vielleicht liegt es ja daran, dass keine dieser Geschichten vom Bösen erzählt, vom Guten allerdings auch nicht. Noch ist nichts da, was zu fürchten oder zu überwinden ist, es gibt auch noch keine Ziele und es wird auch noch nichts »gemacht«. Entstehung, in ihrer reinen Form, findet jenseits der Kategorien von Wollen und Tun, von Erfolg und Misserfolg, von Mut und Angst, von Gelingen und Misslingen statt. Und doch entstand auf diese Art das Größte, das wir uns nur vorstellen können, denn jenseits unseres Kosmos können wir uns (bis jetzt) nichts vorstellen. Das, was entstand, birgt alles und alles, was entstand, lässt sich zurückführen auf dieses Eine, den Ursprung. Und in allem, was ist, ist dieser Ursprung enthalten, denn es ging aus ihm hervor. Ist das der Grund, warum wir eine gewisse Vertrautheit mit diesem Wunder unterhalten? Weil es allem innewohnt?

Wie auch immer, es steht nur eines fest, die Sache bleibt ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das uns und allen Entwicklungen eingewoben ist: Da wir alle diesem einen Ur-Ort entstammen, hat er sogar etwas von Heimat.

Es ist dies der Raum, und kein anderer, aus dem heraus wahre Kreativität entspringt, und im Laufe dieses Buches werden wir lernen, uns aktiv in ihn hineinzubegeben und uns aus ihm heraus zu entfalten. Es ist der Ort ohne »Wenn und Aber«, der Zustand des Werdens. Es ist der Ort echten Beginnens. Denn das, was sich entfalten möchte, hat noch keine Bedingungen, die es erfüllen muss. Es ist der Nullpunkt, der Ort größter Freiheit, größter Offenheit, voller Möglichkeiten. Wir suchen ihn auf in jener gedankenlosen Wachheit der Meditation, Künstler schöpfen aus ihm und die Liebe entspringt ihm. Es ist ein Ort und es ist zugleich ein Moment, denn Raum und Zeit fallen im Augenblick absoluter Präsenz zusammen. Und dies entspricht genau dem, was aller Anfang ist: Raum und Zeit ungetrennt als reines Potenzial.

Es ist erstaunlich: Was wir erreichen wollen, Freiheit, Offenheit, Entfaltung, ohne Einschränkungen, es ist unser aller Anfang. Zwar gibt es keine Umkehr – kaum hat es geknallt, da waren Raum und Zeit auch schon da –, aber diesen Samen bedingungslosen Werdens tragen wir in uns, alles trägt ihn in sich. Und manchmal spürt man ihn, dann werden wir vom Zauber des Anfangs berührt und können sogar einen gedehnten Augenblick lang in ihm verweilen: vielleicht beim Anblick der aufgehenden Sonne, beim Halten eines Neugeborenen, oder wenn sich die Blütenblätter einer Blume voneinander lösen und sie uns ihren Kelch darbietet. Und wie oft geschieht es bei einer Begegnung mit einem Menschen, der in unser Leben tritt, dass wir, kaum ihn erblickend, wissen: Nun wird sich alles verändern, nun fängt etwas Neues an.

Alles Nachklänge des einen großen Anfangs, alles ist offen, alles ist möglich und zugleich ist nichts, aber auch gar nichts beliebig. Hätte sich im Anbeginn auch nur die allerwinzigste Verschiebung ergeben, dann wäre all dies hier nicht. Im größtmöglichen, ja, eigentlich undenkbaren Rahmen läuft Entstehung, Kreation mit ebenso unvorstellbarer Präzision ab. Sich diesem Paradox zu öffnen, ist entscheidend auf dem kreativen Weg.