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»Niemand kann für dich tun, was du für dich selbst tun kannst.« Jorge Bucay Die Autonomie des Einzelnen, seine Begegnung mit der Liebe, seine Auseinandersetzung mit Schmerz und Verlust und die Suche nach Glück, das sind die vier entscheidenden Wege, die zur Erfüllung unseres Daseins führen. ›Selbstbestimmt leben‹ ist der erste Weg, den ein jeder für sich erobern muss, der eine unabhängige Persönlichkeit entwickeln will. Wie kann ich mich selber wahrnehmen? Wie schaffe ich es, mich von den Wünschen und Projektionen anderer, mit denen ich mein Leben verbringe, frei zu machen. Jorge Bucay erzählt, wie Abhängigkeiten entstehen und wie wir uns von anderen unterscheiden und abgrenzen können. Nur wenn wir uns selbst genug lieben, können wir Autonomie im Zusammenleben mit anderen erlangen.
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2016
Jorge Bucay
Wege zum Ich
Niemand ist wirklich unabhängig. Vom ersten Tag unseres Lebens sind wir in soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden. Wir werden erzogen, im Zusammenleben mit anderen gelten bestimmte Regeln, und es wird erwartet, dass wir uns so verhalten, wie andere es von uns verlangen. Sind Freiheit und Unabhängigkeit nur eine schöne Illusion?
Jorge Bucay ist der Auffassung, dass dem nicht so ist. Er untersucht die Geschichte unserer Abhängigkeiten in Familie und Gesellschaft, zeigt ihre unterschiedlichen Formen auf und erzählt, wie es möglich ist, selbstbestimmt und verantwortlich sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Wir alle verfügen über innere und äußere Ressourcen, die es uns ermöglichen, eine Wahl zu treffen, für oder gegen etwas und in voller Verantwortung für unsere Entscheidungen.
So begeben wir uns auf den Weg der Selbstabhängigkeit, der uns weiterführt, hin zum anderen und letztlich zu einem erfüllten Leben.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires, Argentinien, geboren, stammt aus einer Familie mit arabisch-jüdischen Wurzeln. Aufgewachsen ist er in einem überwiegend christlichen Viertel von Buenos Aires. Er studierte Medizin und Psychoanalyse und wurde zu einem der einflussreichsten Gestalttherapeuten.
Jorge Bucay ist im wahrsten Sinn des Wortes ein geborener Geschichtenerzähler. Sein großer internationaler Erfolg verdankt sich der Erfahrung und Kenntnis unterschiedlichster kultureller Einflüsse und seinem stupenden Wissen über den Menschen. Seine Bücher reflektieren alle diese Einflüsse und seine jahrelange therapeutische Erfahrung.
Lisa Grüneisen, 1967 geboren, arbeitet seit ihrem Studium der Romanistik, Germanistik und Geschichte als Übersetzerin. Sie übersetzte unter anderem Carlos Fuentes, Miguel Delibes, Alberto Manguel und Frida Kahlo.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die spanische Originalausgabe erschien 2001
unter dem Titel ›El camino de la autodependencia‹
© 2001 Jorge Bucay
The translation follows the edition by Editorial Sudamericana, S.A., Buenos Aires 2001
Published by arrangement with UnderCover Literary Agents
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg/Simone Andjekovic
Coverabbildung: Marcelino Truong
ISBN 978-3-10-402823-1
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[Widmung]
Einleitung
Statt eines Vorworts
1 Die Ausgangssituation
2 Die Ursprünge
Die Theorie der drei Drittel
Das erste Drittel
Das zweite Drittel
Das dritte Drittel
3 Bedeutung
4 Voraussetzungen
5 Das Rüstzeug
Zugang zur Selbsterkenntnis
Bewusst-Sein
Äußere Ressourcen
Innere Ressourcen
Selbsterkenntnis und Bewusstwerdung
Sich selbst behaupten
Emotionen
Annehmen
Innere Ressourcen
6 Die Entscheidung
Auf dem Weg
Für meine Ursprungsfamilie
Chela, Elías und Cacho,
durch die ich bin, der ich bin.
Mit Sicherheit gibt es einen Weg,
der vielleicht
auf vielerlei Weise
individuell und einzigartig ist.
Vielleicht gibt es einen Weg,
der mit Sicherheit
auf vielerlei Weise
für alle derselbe ist.
Mit Sicherheit gibt es
einen möglichen Weg.
Dieser Weg ist es, den man finden und gehen muss. Vielleicht macht man sich allein auf und ist überrascht, auf dem weiteren Weg all jenen zu begegnen, die in dieselbe Richtung unterwegs sind.
Dieses endgültige, einsame, persönliche, entscheidende Ziel sollte man nicht vergessen. Denn es ist unsere Brücke zu den anderen, der einzige Verbindungspunkt, der uns unweigerlich mit der Welt dessen verbindet, was ist.
Wie auch immer man das endgültige Ziel nennen mag: Glück, Selbstverwirklichung, Erfüllung, Erleuchtung, Erkenntnis, innerer Frieden, Erfolg, Vollendung oder einfach das endgültige Ziel … Es tut nichts zur Sache. Wir alle wissen, dass es darum geht, gut dort anzukommen.
Manche gehen unterwegs in die Irre und treffen ein wenig später ein, andere finden eine Abkürzung und werden zu kundigen Führern für die anderen.
Einige dieser Wegführer haben mich gelehrt, dass es viele Wege gibt, die ans Ziel führen, unendlich viele Ausgangspunkte, Tausende von Optionen und Dutzende von Routen, die in die richtige Richtung führen. Wege, die jeder für sich geht.
Doch es gibt einige Wege, die stets Teil des ganzen Weges sind.
Wege, denen man nicht ausweichen kann.
Wege, die man gehen muss, wenn man weiterkommen will.
Wege, auf denen wir lernen, was man unbedingt wissen muss, um das letzte Wegstück in Angriff zu nehmen.
Für mich sind diese unerlässlichen Wege die folgenden vier:
Der Weg der endgültigen Begegnung mit sich selbst. Ich nenne ihn den Weg der Selbstabhängigkeit.
Der Weg der Begegnung mit dem anderen, mit der Liebe und der Sexualität. Ich nenne ihn den Weg der Begegnung.
Der Weg der Verluste und des Schmerzes. Ich nenne ihn den Weg der Tränen.
Und schließlich den Weg der Erfüllung und der Sinnsuche. Ich nenne ihn den Weg des Glücks.
Auf meiner eigenen Reise habe ich die Hinweise studiert, die andere auf ihrer Reise hinterließen, und ich verwendete einige Zeit darauf, meine eigenen Wegkarten zu zeichnen.
Meine Karten dieser vier Wege wurden in jenen Jahren zu einer Art Leitfaden, der mir dabei half, wieder auf den Weg zurückzufinden, wenn ich die Orientierung verlor.
Vielleicht können meine Bücher dem einen oder anderen eine Hilfe sein, der wie ich immer wieder vom Weg abkommt, und vielleicht auch jenen, die in der Lage sind, Abkürzungen zu finden. Aber eine Karte ist immer etwas anderes als die Landschaft selbst, und wir müssen die Route immer wieder korrigieren, wenn wir aufgrund unserer eigenen Erfahrungen einen Fehler des Kartographen entdecken. Nur so können wir den Gipfel erreichen.
Hoffentlich begegnen wir uns dort.
Das würde bedeuten, dass du es geschafft hast.
Und es würde bedeuten, dass auch ich es geschafft habe.
Jorge Bucay
Die Allegorie von der Kutsche
Eines Tages im Oktober sagt eine vertraute Stimme am Telefon zu mir:
»Komm mal vor die Tür. Da ist ein Geschenk für dich.«
Begeistert renne ich auf die Straße, und da steht sie: eine prächtige Kutsche, die genau vor meiner Tür hält. Sie ist aus glänzendem Nussbaumholz, mit Bronzebeschlägen und Lampen aus weißem Porzellan, sehr vornehm, sehr elegant, sehr »chic«. Ich öffne den Wagenschlag und steige ein. Eine breite, dick gepolsterte Bank aus bordeauxrotem Samt sowie weiße Spitzenvorhänge verleihen dem Innenraum ein herrschaftliches Gepränge. Ich nehme Platz und stelle fest, dass alles wie für mich gemacht ist: Beinfreiheit, Sitztiefe, Deckenhöhe … Alles ist sehr bequem, da ist kein Platz für jemand anderen. Ich schaue aus dem Fenster: Auf der einen Seite ist die Fassade meines Hauses zu sehen, auf der anderen das Nachbarhaus … Und ich sage mir: »Was für ein wunderbares Geschenk! Einfach phantastisch …«, und ich genieße eine ganze Weile dieses Gefühl.
Doch nach einiger Zeit beginne ich mich zu langweilen. Die Aussicht aus dem Fenster ist immer dieselbe. Ich frage mich, wie lange man immer dasselbe ansehen kann. Und ich komme zu dem Schluss, dass dieses Geschenk, das man mir gemacht hat, völlig nutzlos ist.
Gerade, als ich meinem Unmut lautstark Ausdruck verleihen will, kommt mein Nachbar vorbei und sagt, als könne er meine Gedanken lesen:
»Merkst du nicht, dass dieser Kutsche etwas fehlt?«
Ich mache ein ratloses Gesicht, während ich die Polster und Wandbespannungen betrachte.
»Die Pferde fehlen«, setzt er hinzu, bevor ich fragen kann.
Ach, deshalb verändert sich die Aussicht nicht, denke ich. Deshalb ist es so eintönig …
»Stimmt«, sage ich.
Ich gehe zur Poststation und spanne zwei Pferde vor den Wagen. Dann steige ich wieder ein und rufe von drinnen:
»Hüh!!!«
Die Landschaft, die an mir vorüberzieht, ist wunderbar, einzigartig, sie verändert sich fortwährend und versetzt mich in Staunen.
Doch nach einiger Zeit spüre ich, wie die Kutsche zu vibrieren beginnt, und ich bemerke einen Riss in einer der Seitenwände.
Es sind die Pferde, die mich auf schreckliche Wege führen; sie jagen durch sämtliche Schlaglöcher, galoppieren über Randsteine, bringen mich in gefährliche Viertel.
Mir wird bewusst, dass ich keinerlei Kontrolle habe. Die Pferde machen mit mir, was sie wollen.
Am Anfang war die Fahrt wirklich schön, aber irgendwann merke ich, dass es sehr gefährlich ist.
Ich bekomme Angst und stelle fest, dass auch das mir nichts nützt.
In diesem Moment sehe ich meinen Nachbarn in seinem Auto vorbeifahren. Ich brülle ihn an:
»Was hast du mir angetan?«
Er schreit zurück:
»Du hast den Kutscher vergessen!«
»Oh …«, sage ich.
Unter großer Mühe bringe ich mit seiner Hilfe die Pferde zum Stehen und beschließe, einen Kutscher einzustellen. Ein paar Tage später tritt er seinen Dienst an. Er ist ein zuverlässiger, umsichtiger, erfahrener, stets schlecht gelaunter Mann.
Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich bereit bin, das Geschenk, das man mir gemacht hat, wirklich zu genießen.
Ich steige ein und mache es mir bequem, dann sehe ich aus dem Fenster und sage dem Kutscher, wo es hingehen soll.
Er lenkt, er hat die Lage unter Kontrolle, er entscheidet über die angemessene Geschwindigkeit und wählt die beste Route.
Und ich genieße die Fahrt.
Diese kleine Geschichte soll dazu dienen, das ganzheitliche Konzept des Seins zu veranschaulichen.
Bei der Geburt verlassen wir unser »Haus« und erhalten ein Geschenk: unseren Körper. Eine Kutsche, nur gemacht für uns. Ein Fortbewegungsmittel, das sich im Laufe der Zeit allen Veränderungen anpassen kann und doch während der gesamten Reise ein- und dasselbe bleibt.
Nicht lange nach der Geburt wird unser Körper von einem inneren Drang nach Bewegung erfasst, von einer tiefen Notwendigkeit, dem unstillbaren Bedürfnis, sich in Bewegung zu setzen. Doch ohne Pferde ist die Kutsche – unser Körper – nutzlos. Diese Pferde sind unsere Impulse, unsere Triebe und Gefühle.
Eine Zeitlang geht alles gut, doch irgendwann stellen wir fest, dass diese Impulse uns auf riskante und bisweilen gefährliche Wege führen. Dann müssen wir sie zügeln. Hier kommt nun der Kutscher ins Spiel: unser Kopf, unser Intellekt, unsere Fähigkeit zu rationalem Denken. Dieser Kutscher wird uns der beste Wegführer sein.
Man muss sich bewusst machen, dass jeder von uns mindestens drei dieser Komponenten, von denen hier die Rede ist, in sich trägt.
Auf der Reise deines Lebens bist du die Kutsche, du bist die Pferde, und du bist der Kutscher.
Du musst ein Gleichgewicht zwischen all diesen Teilen herstellen und darauf achten, keines der drei zu vernachlässigen.
Wenn du zulässt, dass dein Körper nur von deinen Impulsen, deinen Gefühlen oder Leidenschaften geleitet wird, kann das sehr gefährlich werden. Du brauchst deinen Kopf, um eine gewisse Ordnung in dein Leben zu bringen.
Die Aufgabe des Kutschers ist es, sich Gedanken über den Weg zu machen. Aber letztendlich sind es die Pferde, die die Kutsche ziehen. Lass nicht zu, dass der Kutscher sie vernachlässigt. Sie müssen genährt und gepflegt werden, denn was würdest du ohne die Pferde machen? Was würde aus dir, wenn du nur aus Körper und Gehirn bestehen würdest? Wie sähe das Leben aus, wenn du keine Wünsche und Sehnsüchte hättest? Es wäre wie bei diesen Menschen, die ohne Kontakt zu ihren Emotionen durchs Leben gehen und deren Kutsche einzig und allein von ihrem Verstand angetrieben wird.
Natürlich darfst du auch die Kutsche nicht vernachlässigen, schließlich muss sie die ganze Reise hindurch halten. Und das bedeutet, sie zu reparieren, sie zu pflegen und alles Notwendige zu tun, um sie in einem guten Zustand zu erhalten. Wenn sich keiner um sie kümmert, geht die Kutsche kaputt, und wenn die Kutsche kaputtgeht, ist die Reise zu Ende.
Erst in dem Moment, in dem ich das verinnerlicht habe, in dem ich mir darüber im Klaren bin, dass ich mein Körper, mein Kopfschmerz und mein Appetit bin, mein Verlangen, meine Wünsche und Instinkte; dass ich meine Gedanken bin, mein Verstand und meine Erfahrungen … Erst dann bin ich in der Lage, mich gut gerüstet auf den Weg zu machen. Den Weg, für den ich mich heute entscheide.
