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Selbstverteidigung gegen Stress dient dem Selbstschutz vor stressbedingter Überlastung auch gerade da, wo wir Gefahr laufen, sie selbst herbei zu führen. Nur wer ein gutes Gespür für sich selbst und seinen Gegner hat, kann dessen Bewegungen voraussehen und flexibel darauf reagieren. Standfestigkeit beruht auf körperlicher und geistiger Beweglichkeit und der Fähigkeit, sich auch unter Druck nicht aus der Balance bringen zu lassen. In Balance zu bleiben setzt voraus, in Bewegung zu kommen und offen zu sein für das, was im Hier und Jetzt geschieht. Wie in der Selbstverteidigung gibt es kein Stehenbleiben bei einem erreichten Ziel. Leben ist Bewegung. Die Kunst besteht darin, Tempo und Dynamik der Bewegung so zu steuern, dass wir im Gleichgewicht bleiben.
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Seitenzahl: 100
Veröffentlichungsjahr: 2015
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»Wenn du etwas tust, dann tu es mit festem Entschluss, es zu vollbringen.«
SHUNRYÛ SUZIKI
1/ Einleitung
2/ Was hat Stressbewältigung mit Selbstverteidigung zu tun?
3/ Gegner und Verbündete im Stress
3.1/ Potentielle Gegner im Stress
3.1.1/ Stressoren / Stress erzeugende innere und äußere Einflüsse
3.1.2/ Unwillkürliche Stressreaktionen / eingeschränkte Steuerungsfähigkeit
3.1.3/ Stressverschärfende Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen
3.2/ Verbündete im Stress
3.2.1/ Präsenz / Aufmerksamkeit, Fokus und Aktionsbereitschaft
3.2.2/ Intuition / sich einfühlen, verstehen und entschlossen handeln
3.2.3/ Technik / Körper-, Mental- und Verhaltenstraining gegen Stress
4/ Stressbalance in der Kampfkunst (Budô)
4.1/ Mentale Stärke / Körper und Herz in Ordnung bringen
4.2/ Widerstandsfähigkeit / von der Kraft des fließenden Wassers lernen
5/ Wie Selbstverteidigung gegen Stress funktionieren kann
6/ Anhang
Dank
Anmerkungen
Literatur
Über die Autorin
Balance und Ausgeglichenheit sind wichtige Voraussetzungen, um gesund zu bleiben. Die von außen an uns herangetragenen Anforderungen in Arbeitsund Privatleben und die eigenen Ansprüche in Balance zu halten ist nicht immer einfach. Obwohl uns theoretisch bewusst ist, dass unsere natürlichen und persönlichen Ressourcen nicht unbegrenzt sind, haushalten wir oft sehr schlecht damit.
Schnell fortschreitende technische und gesellschaftliche Entwicklungen schaffen permanent veränderte Rahmenbedingungen, die eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von uns fordern. Die Frage ist, wie wir unter diesen Voraussetzungen in Balance bleiben und unsere Energien bestmöglich einsetzen können.
Trotz des technischen Fortschritts, der uns viele Verrichtungen des Alltags erleichtert und körperliche Belastungen deutlich reduziert hat, trotz eines enormen und hochspezialisierten Wissens in den unterschiedlichsten Bereichen haben sich unsere alltäglichen Belastungen gefühlt nicht verringert.
Stress und Stressfolgen haben im letzten Jahrzehnt nachweislich zugenommen. Dies belegen wissenschaftliche Untersuchungen ebenso wie Mitarbeiterbefragungen in Unternehmen oder Mitgliederbefragungen der Krankenkassen. Sich vor Überlastung durch Stress zu schützen ist zunehmend wichtiger geworden, um Krankheitsentwicklungen vorzubeugen, die durch Stress hervorgerufen oder begünstigt werden.
Selbstverteidigung gegen Stress dient dem Selbstschutz vor stressbedingter Überlastung. Um Widerstandsfähigkeit und Krisenfestigkeit gegenüber Stress und Belastungen zu entwickeln, bedarf es wie in der Selbstverteidigung der Fähigkeit, äußeren Druck und innere Anspannung in Belastungssituationen ausgleichen zu lernen.
Gesunder Ausgleich ist auch der Schlüssel zu nachhaltiger Regeneration unserer Energie-Ressourcen. Wenn wir sie nur verbrauchen, werden sie sich im individuellen wie auch im globalen Sinne bald erschöpfen. Es liegt in unserer Verantwortung, Voraussetzungen für Regeneration zu schaffen für uns selbst und auch für nachfolgende Generationen. Dazu ist es in vielen Bereichen notwendig, alte Gewohnheiten aufzugeben und neue Wege zu gehen.
In Balance zu bleiben setzt voraus, in Bewegung zu kommen und offen zu sein für das, was im Hier und Jetzt geschieht. Wie in der Selbstverteidigung gibt es kein Verharren, kein Stehenbleiben bei einem erreichten Ziel.
Niemand ist auf Dauer Gewinner oder Verlierer. Leben ist Bewegung. Die Kunst besteht darin, Tempo und Dynamik der Bewegung so zu steuern, dass wir im Gleichgewicht bleiben.
Dieses Buch ist das vorläufige Ergebnis eines fortdauernden eigenen Erkenntnisprozesses im Hinblick auf einen gesunden Umgang mit Stress und Belastungen. Aus dem Blickwinkel der Psychologin vor dem Hintergrund verschiedener eigner Aus- und Weiterbildungen erscheint mir eine Schulen übergreifende, integrative Herangehensweise an das Phänomen Stress am geeignetsten. Viele kluge Menschen haben sich zu diesem Thema bereits Gedanken gemacht und hilfreiche Hinweise gegeben, die ich gern zitieren, weitergeben und um meine eigenen Überlegungen ergänzen möchte. Angesichts des enormen Tempos, mit dem Veränderungen in unserer Zeit vonstattengehen, erscheint es zunehmend wichtiger, sich bewusst Zeit zu nehmen, immer wieder zur Besinnung zu kommen, um gut abgewogene, kluge Entscheidungen zu treffen.
Als Resilienz bezeichnet man rein technisch gesehen die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen, bzw. im psychologischen Sinne die persönliche Widerstandsfähigkeit, die uns an Problemen und Krisen wachsen lässt. Die Erfahrung aus jahrzehntelanger eigener Übung verschiedener Kampfkünste und Meditation sowie der Beschäftigung mit den zugrundeliegenden medizinischen, philosophischen und spirituellen Hintergründen lässt das Thema Widerstandsfähigkeit noch in einem anderen Licht erscheinen. Widerstandsfähigkeit vor diesem praktischen Hintergrund bedeutet, der Konfrontation mit den tatsächlichen Gegebenheiten, dem Gegenüber und insbesondere mit sich selbst nicht auszuweichen. Diese Konfrontation führt unweigerlich zur Erkenntnis der eigenen Begrenztheit. Und das ist gut so! Denn bei sich selbst damit anzufangen, die Illusion von Grenzenlosigkeit und das Streben nach Selbstmaximierung und Macht loszulassen, erweist sich als ungeheuer befreiend. Aus dieser Freiheit erwächst der Mut, im Ernstfall nicht wegzuschauen, klar Position zu beziehen und die notwendigen Schritte für nachhaltige Veränderungen zu gehen.
ERLÄUTERUNG DER SCHRIFTZEICHEN:
Die Kanjis (japanische Schriftzeichen) an den Kapitelanfängen stehen im Einzelnen für:
Kapitel 1 – Schriftzeichen für Gefühl
Kapitel 2 – Schriftzeichen für Schützen
Kapitel 3 – Schriftzeichen für Wertschätzung /Achtung
Kapitel 4 – Schriftzeichen für Herz bzw. Beherztheit / Geist bzw. mentale Stärke
Kapitel 5 – Schriftzeichen für Weg
Kapitel 6 – Schriftzeichen für tugendhaftes Handeln
Ziel von Selbstverteidigung ist es, einen Angriff abzuwehren. Es geht nicht darum, einen Wettkampf zu gewinnen, bei dem ein Schiedsrichter darüber entscheidet, ob man besser oder schlechter war als der andere.
Selbstverteidigung dient dem Selbstschutz und erfordert es, sich mit voller Aufmerksamkeit der Konfrontation zu stellen, weil ausweichen nicht möglich ist. Stress und Belastungssituationen gehören zum Leben, wir können ihnen nicht auf Dauer ausweichen. Die Frage ist, ob es uns gelingt, Selbstschutzmechanismen im Umgang mit Stress und Belastungen zu entwickeln.
Der Begründer des Aikidô, UESHIBAMORIHEI1 vermittelte seinen Schülern folgende Verhaltensregel: »In der Konfrontation harmonisiere!« Im Aikidô werden die Angriffe des Gegenübers vom Angegriffenen abgeleitet. Die Energie des Angriffs läuft entweder ins Leere oder wird durch das Aufnehmen und Umlenken der Bewegung gegen den Angreifer selbst gelenkt. In der Konfrontation zu harmonisieren kann als Aufforderung verstanden werden, dem Angreifer kein Angriffsziel zu bieten, und gerade nicht mit Gewalt dagegen zu halten.
Im Stress wie auch in der Selbstverteidigung ist es entscheidend, sich nicht unter Druck setzen zu lassen bzw. den Druck des Gegners von sich abzuleiten. Wer nur auf den Druck reagiert, nimmt sich die Möglichkeit, selbst zu steuern und Einfluss auf das Geschehen zu nehmen.
Wer sich permanent bedrängen lässt, wird sein inneres Gleichgewicht verlieren und sich unterlegen fühlen. Er wird sich auf Dauer nur noch zaghaft zur Wehr setzen und früher oder später unterliegen. Möglicherweise wird er sich auch zu impulsiven Befreiungsschlägen hinreißen lassen, dabei seine Deckung vernachlässigen und umso leichter getroffen werden. Um nicht getroffen zu werden und dem Angreifer weder durch Zaghaftigkeit noch durch Impulsivität ein leichtes Ziel zu bieten, ist es wichtig, selbst initiativ zu werden und zu handeln anstatt nur zu reagieren.
Im Roman Musashi von YOSHIKAWAEIJI2 wird sehr eindrücklich das Verhalten des Schwertkämpfers Musashi beschrieben, der seine Herausforderer warten lässt und sich Zeit nimmt, sich zunächst mental zu ordnen, bevor er sich in die Kampfsituation begibt. Durch das Herstellen der inneren Ordnung, versetzt er sich körperlich, geistig und psychisch in die Lage, seinem Gegner gegenüber zu treten. Er bündelt und konzentriert seine Kräfte auf den Punkt der Auseinandersetzung hin. Er ist ganz bei der Sache, achtsam auf das Geschehen im Hier und Jetzt konzentriert. Er macht sich unabhängig von dem Gedanken an Sieg oder Niederlage und kümmert sich zu allererst um einen inneren Zustand völliger Präsenz und Gelassenheit, was ihm dazu verhilft, in der Auseinandersetzung zu bestehen.
Ein anderes Beispiel für die Bedeutsamkeit des Aufrechterhaltens der inneren Ordnung ist die von DAISETSUSUZUKI3 überlieferte Geschichte eines Teemeisters, der von seinem Fürsten aufgefordert wird, ihn auf eine gefährliche Reise zu begleiten, weil der Fürst während der Reise nicht auf das Ritual der Teezeremonie verzichten will. Der Teemeister ist ein friedliebender Mensch und in der Kampfkunst nicht bewandert, muss sich aber als Samurai kleiden, um potentielle Angreifer abzuschrecken. Als er sich bei einem Zwischenhalt als Samurai gewandet zu einem Spaziergang aufmacht, zieht er die Aufmerksamkeit eines herrenlosen Samurai auf sich, der nach einer Gelegenheit sucht, sich mit einem würdigen Gegner zu messen. Als er diesem gesteht, dass er in Wirklichkeit gar kein Samurai sei und überhaupt nicht kämpfen könne, fordert ihn der Samurai dieser ungeheuerlichen Anmaßung und Beleidigung des Ritterstandes wegen zum Kampf auf Leben und Tod heraus. Zitternd vor Angst gelingt es dem Teemeister wenigstens, einen Aufschub um einige Stunden auszuhandeln.
Für den Moment gerade noch davon gekommen, sucht der Teemeister in aller Eile den nächsten Schwertmeister auf, nicht etwa um auf die Schnelle die Selbstverteidigung mit dem Schwert zu erlernen, sondern um sich von ihm beibringen zu lassen, wie man als Samurai würdevoll stirbt. Der verblüffte Schwertmeister ist noch nie von jemandem mit einem solchen Ansinnen aufgesucht worden. Nach kurzer Überlegung, fordert er den Teemeister auf, zunächst einmal einen Tee zuzubereiten. Der Teemeister wird ganz ruhig macht sich mit äußerster Sorgfalt und Präzision daran, den Tee zu bereiten, so wie er es gelernt und viele Jahre lang Tag für Tag praktiziert hat. Nachdem der Schwertmeister die Zeremonie des Teemeisters beobachtet hat, beruhigt er ihn, er werde wohl doch noch nicht sterben müssen. Wenn er sich mit der gleichen Hingabe und Achtsamkeit, mit der er sich der Teezeremonie widmet, auf den Kampf vorbereiten und seinem Gegner gegenüber treten werde, könne er den Kampf sogar gewinnen.
Als der Teemeister auf dem verabredeten Kampfplatz erscheint, wartet sein Gegner schon ungeduldig auf ihn. Der Teemeister macht sich zunächst in aller Ruhe daran, sich kampfbereit zu machen. Er nimmt seinen Samurai-Helm ab, entledigt sich seiner Rüstung und seines Obergewandes und legt alles sorgfältig zusammen. Mit einer Schnur bindet er sich Ärmel und Hosenbeine hoch, damit sie enger am Körper liegen und ihn nicht in seiner Bewegung behindern. Achtsam, gelassen und mit äußerster Sorgfalt vollzieht er jede einzelne seiner Handlungen. Sein Gegner hingegen wird beim Zusehen immer nervöser. Ein Kämpfer, der es wagt, ihm ohne Helm und Rüstung gegenüber zu treten, muss sich seiner Überlegenheit schon sehr sicher sein. Als der Teemeister mit seiner Vorbereitung fertig ist und ihm lächelnd gegenüber tritt, hält der Samurai die Spannung nicht länger aus. Er fällt vor dem Teemeister auf die Knie und bittet ihn, verschont zu werden. Er möge ihm verzeihen, dass er sich angemaßt habe, einen Meister wie ihn zum Kampf herauszufordern. Die Ausstrahlung von Entschlossenheit und Gelassenheit haben dem Teemeister unerwartet zum Sieg verholfen.
Wenn wir Stress erleben, geht es in der Regel nicht um Leben und Tod. Bei genauer Betrachtung sind die Auslöser für empfundenen Stress ebenso wie die möglichen Konsequenzen aus der Nichterreichung unserer Ziele manchmal völlig überbewertet.
Je größer der empfundene Druck, desto wichtiger ist es, sich um die eigene Balance zu kümmern. Wenn es »brennt« muss man Ruhe bewahren, um nicht vollkommen den Überblick zu verlieren und fatale Fehlentscheidungen zu treffen. Der Teemeister konzentriert sich vollkommen darauf, sorgfältig eins nach dem anderen zu tun. Durch Achtsamkeit und Sorgfalt kann er die Turbulenzen in seinem Inneren in Ordnung bringen und zur Ruhe kommen. Sein Tun verhilft ihm zu der notwendigen Gelassenheit, um sich nicht in seinen Emotionen zu verlieren. Er verliert nicht die Selbstbeherrschung und gerät nicht in Panik, sondern sein Geist wird ruhig, dadurch dass er in seinem Tun verankert ist. Mit äußerster Konzentration widmet er sich seinem Tun und ist dabei so überzeugend, dass der Gegner zutiefst erschrocken an sich selbst und seinem Können zu zweifeln beginnt.
Selbstverteidigung gegen Stress bedeutet, dem empfundenen Druck zu widerstehen und die Willenskraft aufzubringen, sich innerlich zu ordnen.
Sie beginnt damit, die eigenen Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen und gut mit ihnen umzugehen. Wie in der Selbstverteidigung entwickelt sich die nötige Gelassenheit und Souveränität im Umgang mit Stress und Belastungen durch das Training spezifischer Fertigkeiten. Abzuschalten, sich zu entspannen und zu erholen muss ebenso geübt werden, wie realistisch zu planen, sich zu strukturieren und gezielt Verantwortung zu übernehmen bzw. zu delegieren. Nicht zuletzt ist es notwendig, die eigenen Einstellungen und Bewertungsmuster immer wieder kritisch zu überdenken und sich bewusst zu machen, wo wir selbst durch unrealistische Vorstelllungen und überhöhte Erwartungen dazu beitragen, Stress zu verschärfen.