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Henri de Régnier

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Beschreibung

Dieses eBook: "Seltsame Liebschaften" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Inhalt: Das Marmorbild - Eine Geschichte aus dem Cinquecento Balthasar Aldramin - Lebensgeschichte aus dem alten Venedig Der Rivale - Eine Erzählung aus der Zeit des Ancien régime Aus dem Buch: "Fast jeden Tag geschah es, daß Aldramin sie betrat, sei es am Morgen, am Mittag oder am Abend beim Scheine der Fackeln. Seine Gondel erzitterte, wenn er sie mit dem einen Fuße zurückstieß, um den andern auf meine Schwelle zu setzen. Ich vernahm seine Stimme, die mich vom Rande der Treppe aus anrief, denn er sprach viel und lachte gern, und wir genossen unsre Jugend in aller Freiheit. Gewöhnlich war er es, der mich zu den Vergnügungen mit fortriß. Er lag ihnen mit ungewöhnlichem Eifer und in mannigfaltigstem Sinne ob, und er brauchte nichts weniger als den weiten Raum des Tages und die Stunden der Nacht, die er zu einer einzigen Dauer verband, um die Menge der Genüsse zu kosten, die den Kern seines Lebens ausmachten. Die Liebe nahm unter allen den ersten Platz ein." Henri François Joseph de Régnier, Pseudonym Hugues Vignix (1864-1936) war ein französischer Schriftsteller. Seine Lyrik ist der Antike, der Natur und melancholischen Stimmungen gewidmet. Nach einer symbolistischen Phase stand Régnier unter dem Einfluss der Parnassiens. Er verfasste auch Essays und kulturpessimistisch gefärbte Romane.

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Henri de Régnier

Seltsame Liebschaften

Das Marmorbild + Balthasar Aldramin + Der Rivale

Übersetzer: Friedrich von Oppeln-Bronikowski

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4377-1

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
I. Das Marmorbild
II. Balthasar Aldramin
III. Der Rivale

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Henri de Régnier, ein Schüler Mallarmés, wird von einer kleinen Elite von literarischen Feinschmeckern schon lange gekannt und geschätzt, doch ist er erst durch seinen Roman » La double Maîtresse« der allgemeinen Aufmerksamkeit teilhaftig geworden. Die innere Entwicklung, die er durchgemacht hat und deren Niederschlag seine Gedichte, Novellen und Romane sind, läßt sich bei ihm wie bei wenigen zeitgenössischen Dichtern verfolgen und ist auch bei wenigen so typisch für die verschiedenen Phasen des jüngsten Literaturprozesses. Vom Romantiker, der Lebensflucht und Weltentsagung in rätselvollen Liedern besang und müde Stimmungen in märchenhafte Novellen hineingeheimniste, hat er sich Schritt für Schritt zur Lebensbejahung und Wirklichkeitskunst durchgerungen, ganz ähnlich wie der große belgische Symbolist Maurice Maeterlinck.

Henri de Régnier ist 1864 in der träumerischen Weltferne der französischen Provinz geboren, die er in seiner Novelle » Jours heureux« so herzbewegend geschildert hat. Die Eltern waren legitimistische Edelleute, die ein müdes, zurückgezogenes Aristokratendasein führten. Müde und melancholisch tritt er selbst ins Leben; Enttäuschung und Entsagung folgen ihm auf seinem Wege; nur ein letzter Wunsch bleibt ihm: nach Einsamkeit und Stille ... »Die Lampe brennt in einer Ecke des weiten, hochfenstrigen Saales,« heißt es in der Novellensammlung » La Canne de Jaspe«. »Ich stehe am Fenster und drücke die Stirn gegen die beschlagenen Scheiben. Die Blätter sehe ich nicht mehr fallen, aber jetzt fühle ich etwas in mir sich ablösen und langsam abbröckeln. Mich deucht, ich höre in der Stille den Fall meiner Gedanken. Sie fallen von hoch herab, einer nach dem andern, und zergehen langsam, ich aber folge ihrem Fall mit allem Ernst, der in mir ist. Ihr dumpfer, leichter Schall hat nichts mehr von der Schwere dessen, was sie im Leben wollten. Der Stolz entblättert sich, der Ruhm vergilbt ...« Gegenwart und Wirklichkeit versinken ihm in nächtliches Dunkel, während die Bilder der Vergangenheit in seiner Erinnerung aufleuchten und seine Träume erfüllen. Das Einst folgt ihm wie ein Schatten, als sein Schatten ...

Aus diesem zurückgewandten Leben entsteht allmählich eine letzte Freude für den Einsiedler: die am Nachbilden, am Schaffen, ja, am Leben selbst. Das Ideal, das der Träumer im Busen trägt, aber im Leben nicht zu verwirklichen vermag, soll wenigstens im Spiegel der Kunst ein schönes Scheinleben führen. Alle Figuren der ersten Prosawerke zeigen diese Neigung zu Spiegeln; sie gehen an die Quellen, um sich darin zu schauen, und die »Weisen« der großen Stadt in der Novelle »Hermokrates« gehen mit einem Spiegel in der Hand, um sich in ihrem Getriebe nicht zu verlieren. Régnier läßt auch die Natur, den Wald, den Sonnenuntergang, sich im Spiegel sehen, abgekühlt, verkleinert, »frei von dem zu großen Pathos da draußen.« Daher auch die Neigung zu Symbolen. Der Philosoph Eustasius ist der schönen Humbeline ewig dankbar, daß sie ihm »die abgekürzte Formel der Welt« ist. Er will die Welt als Ganzes sehen, ohne die ermüdende Fülle ihrer Einzelheiten, ohne ihre scharfen Ecken und Kanten. Und er stilisiert sie, um sie sich menschlich näher zu bringen. Er leiht ihr idyllische Züge; er schmückt sie mit Abendröten von Claude Lorrainscher Kristallklarheit, er belebt sie mit dem wild dahinbrausenden bacchantischen Treiben Böcklinscher Fabelwesen; und wenn er jetzt wieder dem verzitternden Nachhall der Vergangenheit in seinem Innern lauscht und die Erinnerungen der Kindheit reden läßt, so geschieht dies nicht mehr in symbolischen Liedern, sondern in der liebenden Kleinmalerei eines Schalcken und Mieris. Die Novelle » La Côte verte« offenbart diesen Stilbruch, dieses fortwährende Verlassen eines alten Stilprinzips und das fortwährende Hineinklingen von etwas Neuem, noch halb Unbewußtem, in typischer Weise und verleiht ihr dadurch einen eignen Zauber. In der nächsten Novelle » Jours heureux« ist der Umschwung zur Wirklichkeitskunst bereits vollendet. Die Brücke aus dem Traum- und Fabelland, aus der toten Natur ins Menschenleben, ist ganz abgebrochen. Es ist schlichter Wirklichkeitsstil, den schlichten Kindheitserinnerungen angepaßt, aber von einer Tiefe und Zartheit des Empfindens, bereit ein konsequenter Naturalist nicht fähig wäre.

» II ne s'agit pas d'analyser mais d'evoquer des sentiments«, sagt Régnier einmal, und nachdem er die Realität der Kinderzeit einmal aus sich herausgestellt hat, versucht er mit Glück, seine Gefühle vollends zu objektivieren und in einem Roman, ganz von sich losgelöst, in die Welt der äußeren Tatsachen einzuführen. Er schafft die Gestalt seines »armen« Nicolas von Galandot und transponiert diesen ins ancien régime, das bei einem französischen Aristokraten wohl das nächstliegende ist. Auch hier ist es eine Erinnerung, und zwar eine über sein individuelles Dasein zurückreichende Erinnerung, die ihn dem Leben – oder der Darstellung des Lebens – wiedergibt. Es ist schwer, den Roman » La double Maîtresse« in kurzen Worten zu schildern, da sich um eine sehr einfache Handlung, deren einzelne Phasen nach Art des altfranzösischen Romans freilich sehr ineinandergeschachtelt sind, ein ganzes Gewirr von kleinen Zügen und Tatsachen dreht, lauter angewandte Psychologie, verbunden mit meisterhafter historischer Milieuschilderung und apartem, altmodischem Stil. Der Roman ist getrost als Régniers standard-work zu betrachten und wird in deutscher Ausgabe diesem Bande nachfolgen, bedarf also keiner Inhaltsangabe.

Nach ihm hat Régnier noch eine Gedichtsammlung » Les Médailles d'Argile« verfaßt, anscheinend in dem Bestreben, den einmal gewonnenen Realismus in Sprache und Darstellung auch lyrisch festzubannen. Sie verrät nichts mehr von dem vers libre des einstigen Mallarmé-Schülers, atmet vielmehr die akademische Korrektheit der Versbehandlung seines Schwiegervaters, José Maria de Hérédia. Einen weiteren Fortschritt bedeutet die vorliegende Novellensammlung » Les Amants Singuliers«, deren erste, packendste Novelle unwillkürlich an C. F. Meyers unvergeßliche Renaissanceschilderungen gemahnt. Hier ist auch der letzte Faden zwischen Regniérs Figuren und seinem subjektiven Ich zerschnitten, und der objektiv bildende Künstler schafft mit historischem Sinn alte Kultur-Milieus nach: das italienische Cinquecento mit seinen wilden Leidenschaften und seiner heidnischen Schönheitstrunkenheit, – das Venedig des Rokoko, das so von ungebundenem Glück und sorgloser Zufriedenheit strotzt, daß Stendhal es als das Eldorado preist, in dem er gelebt haben möchte, – und das Zeitalter des Roi Soleil mit seiner stelzbeinigen Würde und seinem, in Allongeperücken daherschreitenden Römertum.

In diesem Zeitalter bewegt sich auch der in der Sprache Saint-Simons gemeisterte Roman » Le bon plaisir«, während Régnier in seiner letzten Schöpfung » Le Mariage de Minuit« den Schritt in die Moderne tut. Freilich ist diese Moderne von ganz besonderer Art; die Menschen, die er schildert, führen eine altmodisch-graziöse Sprache und ein geistreich-frivoles Rokokoleben: es sind die Nachkömmlinge jener alten Noblesse, die von der rohen Faust der Revolution zerbrochen wurde, wie zartes, zerbrechliches Sèvresporzellan. das nur in traurigen Scherben noch überlebt.

Fr. von Oppeln-Bronikowski

I. Das Marmorbild

Inhaltsverzeichnis

Eine Geschichte aus dem Cinquecento

Ich schwöre, als ich Giulietta del Rocco begegnete, hätte ich nie gedacht, sie nackt zu sehen.

Es war an einem schönen Sommernachmittag, wenn auch die Luft nicht von solcher vollkommenen Reinheit und Klarheit war, wie zuweilen, wo ihre Schönheit schier göttlich ist. Kein Wölkchen stand am Himmel, aber ein trockener Dunst trübte das strahlende Licht. Die Schwüle war nicht gewitterhaft, aber drückend. Und ich fühlte meine Ermüdung, denn ich hatte die Stadt schon lange hinter mir.

Gleichwohl setzte ich meinen Weg fort. Das Gelände stieg plötzlich steil an. Trotz meiner Müdigkeit schlug ich den Querweg ein, der nach den hochgelegenen Höfen von Rocco führt. Von oben genießt man eine weite Aussicht über die Ebene und die sumpfige Schlangenlinie des Motterone. Auch ein Pinienhain ist da. Die Luft ist gesünder als in der Niederung, und ich gedachte mich dort bis zum Abend im Schatten der Bäume hinzustrecken und den Heimweg zur Stadt erst anzutreten, wenn es auf den Straßen dunkelt und kühl wird. Ich hoffte in den Höfen etwas zum Abendbrot zu bekommen, eine Satte Milch, Oliven und eine Traube.

Um den Weg abzuschneiden, mußte ich durch den Weinberg des alten Bernardo. Nach meiner Rechnung war es mehr als fünf Jahre her, daß ich den Biederen nicht gesehen hatte, und in diesen fünf Jahren hatten Fleiß und Arbeit mich ans Haus gefesselt. Alles war dieser plötzlichen Neigung zum Opfer gefallen, meine Vergnügungslust und meine gewohnte Trägheit, ja selbst meine Feinschmeckerei. So begierig ich sonst auf Speisen und Früchte war, ich hatte mich nicht einmal mehr zu Tische gesetzt. Ein Stück Brot, im Stehen genossen, ein Glas Wein, hastig hinabgeschlürft, bildeten meine ganze Nahrung. Und wie hatte ich vordem auf den alten Bernardo gelauert, bis ich ihn mit seinem Esel aus einem Winkel des Gemüsemarktes auftauchen sah!

Er schwang seinen dicken Dornstab über der grauen Kruppe des Esels, dessen trockene Hufe auf den flachen Steinen trippelten. Zwischen den Körben, in die er ihn eingezwängt hatte, um ihn zum Markt zu führen, hörte ich die kleine Giulietta lachen. Das Kind trug in seinen Händen Schwertlilien, die es am Motterone-Ufer gefunden hatte, und drehte sich bei den Flüchen seines Großvaters und dem Farzen des Esels um. Bernardo brachte mir Früchte und Gemüse und legte die schönsten von allen, die er zu Markte trug, für mich zurück.

Der anmaßliche, spruchweise Alte war stolz darauf, daß ich ihm Beachtung schenkte, aber mit dem Tage, wo ich dem Schritt seines Esels nicht mehr Gehör gab und nicht selbst an den Korb trat, um mir das Beste eigenhändig herauszusuchen, fühlte er sich in seinem Gärtnerstolz gekränkt und stellte seine Dienste allmählich von selbst ein. Ich sah ihn also nicht mehr und hatte ihn vielleicht auch nie wieder erblickt, denn er war sehr alt, und die Jahre sind in seinem Alter schwer und tückisch.

Die fünf, die ich in der Zurückgezogenheit meines häuslichen Lebens verbracht hatte, waren Gott sei Dank recht fruchtbringend für mich. Wenn der Garten des alten Bernardo in dieser Zwischenzeit schöne irdische Früchte trug, so war die Ernte des Geistes, die ich machte, nicht minder kostbar; denn ihr müßt wissen, daß ich in diesen fünf Jahren zum Meister in meiner Kunst geworden bin.

Ich empfand, um die Wahrheit zu sagen, über die Schnelligkeit meiner Fortschritte eine große Freude und auch eine große Furcht. Jetzt galt es, mich dieser großen Gnade würdig zu erweisen und sie in meinen eignen Augen durch den rechten Gebrauch zu rechtfertigen, denn die ernstlichste Pflicht des Menschen ist nicht die, zu der man ihn zwingt, sondern die, die er sich selbst auferlegt.

Seitdem ward mir im Drang und in der Ungewißheit meiner Gedanken das Haus zu eng. Ich lief ungeduldig und aufgeregt durch die Stadt, ging aufs Land hinaus und suchte einen einsamen Ort auf, bald an den Ufern des Motterone, bald in den Bergen. Ich erklomm die Berglehnen und setzte mich auf einen Felsen, oder ich lag am Ufer und lauschte dem Rauschen des gelben Lehmwassers und dem Flüstern der trockenen Schilfblätter an ihren feuchten Stengeln. Das Schweigen der Felsen und das Murmeln der Wellen war die abwechselnde Unterhaltung meiner einsamen Stunden.

Es war ein Zufall, daß ich bis zu dem Tage, von dem ich euch erzähle, nicht wieder nach den Höfen von Rocco und dem Pinienhain gekommen war. Früher ging ich oftmals dorthin. Er war voller Holztauben, und ich liebte, sie mit der Armbrust zu erlegen. Ich war sehr geschickt in dieser Kunst. Nie verfehlte der Bolzen sein Ziel, aber ich hatte diesem müßigen Spiel schon lange entsagt. Ich hatte das scharfe Auge nicht mehr und die sichere Hand, als ich mich heute ängstlich an die roten Baumschäfte zu lehnen gedachte. Ich wollte mich hier mit geschlossenem Ohr und Auge niederstrecken und die Verwirrung meines Geistes für ein Stündlein verschlafen.

Ich hatte Bernardos Weinberg erreicht. Er war terrassenförmig angelegt. Reife Trauben hingen an den Spalieren. Ich kostete eine Beere, aber ich fand keinen Geschmack an ihrer faden, lauen Flüssigkeit und spie die süßliche Schale wieder aus. Ich hörte hinter mir lachen und wandte mich um.

Ein junges Mädchen stand vor einem großen Korb voller Weintrauben. Wie sie den Arm nach einer Traube reckte, schien sie mir schlank und stark zugleich. Die Schönheit ihres Leibes schimmerte durch ihr Hemd und ihren Rock von grobem Linnen.

* * *

Von Kindheit an war ich ein aufmerksamer Beobachter der Form von Dingen und Wesen. Ich konnte lange Stunden sitzen und die flüchtigen Wolkenbilder, die Adern der Kieselsteine, die Knoten der Baumrinde betrachten. Ich erkannte alles Unbestimmte und Geheimnisvolle, was man bei langer Betrachtung den Dingen enträtselt. Ich liebte den Anblick der Landschaften und der Tiere. Auf der Jagd, wenn ich sie verfolgte, bewunderte ich ihren Lauf oder Flug.

So lebte ich, indem ich dem Leben zusah. Ich diente Mars und Amor. Die Art, wie sich zwei Degen kreuzen und zwei Lippenpaare berühren, begeisterte mich gleichermaßen. Eines Tages umarmte mich meine Geliebte mit einer so holden Gebärde, daß ich die Erinnerung daran noch wo anders als in meinem Gedächtnis bewahren wollte. Denn das menschliche Gedächtnis ist so ungewiß, daß selbst die köstlichsten Bilder, die es aufgenommen hat, vergänglich und flüchtig sind. Aus der Erkenntnis dieses Unbestandes sind die Künste entstanden und aus dem Verlangen, das zu verewigen, was ohne ihren Beistand vergänglich ist. Ich wollte dem nacheifern, was andre so trefflich verstehen. Aber ach, ich besaß die göttliche Kunst nicht. Mein Papier trug nur formlose Linien und bewahrte nur unbezeichnende Gestalten. Ich weinte in ohnmächtiger Wut.

Ich mußte alles lernen. Und ich lernte. Zwanzigmal war ich nahe daran, zu verzweifeln. Aber ich ließ nicht nach. Als fünf Jahre verflossen waren, wußte ich die Farben zu mischen und den Stein zu meißeln und alles, was ist, abzubilden. Es blieb mir nur noch die Wahl dessen, was ich verewigen wollte. Und ich hatte mich entschlossen, einen Frauenleib zu wählen, im Angedenken an das Weib, dessen Kuß mir die Augen geöffnet ...

* * *

Inzwischen hatte die Winzerin die Traube gepflückt, nach der sie gegriffen, und warf sie zu den andern in den Korb. Sie lachte nicht mehr und blickte mich an.

»Sie sind zu heiß, gnädiger Herr, um Euch den Durst zu löschen,« sagte sie mit sanfter und ernster Stimme. »Sie werden erst im Kühlen wieder munden. Aber wenn Euer Herrlichkeit dürstet, so geruhet nur, mit mir in das Haus zu kommen. Unser Brunnen ist kalt, und mein Großvater wird frohen Mutes sein, Euer Herrlichkeit wiederzusehen, wenn Ihr den alten Bernardo noch nicht vergessen habt.«

Und sie begann wieder zu lachen. Mich deuchte, daß ich sie erkannte.

»So bist du denn die kleine Giulietta,« antwortete ich, »die mir einst auf dem Esel Oliven, Melonen und Schwertlilien brachte. Du saßest zwischen den Körben. Wie groß und schön bist du geworden!«

»Ja,« antwortete sie errötend, »ich bin Giulietta, die Großtochter des alten Bernardo. Und ich bin groß geworden.«

Sie hob den Korb auf, daß das Weidengeflecht sich stöhnend unter der Traubenlast bog. Aber sie ergriff die Henkel mit fester Hand und hob die Bürde auf ihre Schulter. Ihr ganzer Körper ward steif, um das Gewicht zu tragen. Ich sah, wie ihre Hüfte den Rock spannte. Sie begann vor mir herzugehen.

Ich folgte ihr. Ihre Haare waren auf ihrem Nacken zusammengeknüpft und wanden sich in schweren Flechten. Sie ging mit festen und gleichmäßigen Schritten.