Send Nudes - Saba Sams - E-Book

Send Nudes E-Book

Saba Sams

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Beschreibung

Verwegen, rotzig, zart: Fragile Intimität und weibliche Selbstfindung in einer Welt voller Ungewissheiten Eine junge Frau trifft ihren ersten Freund – und dessen Hund Petal, der bald nur noch auf sie hört. Eine andere erholt sich langsam von einer Abtreibung, während ihre Freundin sich auf Instagram räkelt. Und ein Mädchen tut alles, springt mit zwölf von Klippen und lügt für die Stiefschwester, nur um deren bester Freundin zu gefallen. Kühn und lakonisch lotet Sams das tückische Terrain des Erwachsenwerdens aus, erzählt von Liebe und Verletzlichkeit, Mutterschaft und ersten Abgründen. Und sie feiert die kleinen Siege, die Frauen in einer Welt erringen, welche sie jeden Tag zu vereinnahmen sucht. »Überragend arbeitet Sams kleinste Verschiebungen in unseren Beziehungen heraus: Schwärmereien, Rivalitäten, Hierarchien. In knappen, rhythmischen Sätzen fängt sie Licht und Dunkel unserer Auseinandersetzung mit Beziehungen, Einsamkeit, Sexualität und Verlust ein.« The Guardian »Eine frische literarische Stimme – abgründig und scharfsinnig und rau.« Emma Cline »Ich habe mich Hals über Kopf in diese umwerfende Sammlung verliebt.« Megan Nolan »Eine überaus hellsichtige, intelligente Autorin.« Nicole Flattery Ausgezeichnet mit dem BBC National Short Story Award 2022 und dem Edge Hill Short Story Prize 2022, auf der Longlist des Longlist des Dylan Thomas Prize 2023

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Aus dem Englischen von Sophie Zeitz

Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Send Nudes bei Bloomsbury Publishing, London.

© Saba Sams, 2022

Published by arrangement with Bloomsbury Publishing Plc.

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Emma Ewbank

Coverabbildung: © Anna Roberts

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Motto

Tinderloin

Über Nacht

Snakebite

Send Nudes

Kite fliegen

Allein hier

Die Mütter und die Töchter

Blue 4eva

Das Brot

Das heutige Kästchen

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meine Großmutter Mimi, kurz für Miraculous

Ja, es war dumm von uns, die uns gesetzten Grenzen nicht zu respektieren und zu versuchen, alles auszuprobieren und überall zu sein. Dumm, verwöhnt und arrogant. Aber wir hatten auch recht.Ichhatte recht.

Mary Gaitskill,Veronica

Tinderloin

Ich lernte Ryan auf Tinder kennen. Er hatte nur ein Foto von sich auf seinem Profil, das mit einem unscharfen Filter bearbeitet war. Ich fand, er sah ganz gut aus. Ich hatte keine hohen Ansprüche. Mein Foto war nicht mal wirklich ich; es war irgendeine schlaksige Braunhaarige, die ich im Internet gefunden hatte, das Gesicht von der Kamera abgewandt. In meiner Bio stand »Tinderloin«, mein Lieblingsfiletstück.

Wir trafen uns im Crown and Sceptre. Ich bestellte Wildschweinwürstchen mit Kartoffelbrei, karamellisierten Zwiebeln und Soße. Ryan war elf Jahre älter als ich. Er arbeitete in der Telefonzentrale eines Taxiunternehmens. Seine Hände waren schön und kräftig, ein gutes Verhältnis zwischen Muskeln und Fett, und er ließ die Knöchel knacken, wenn die Unterhaltung stockte, oder strich die Serviette glatt. Als ich von Papas Geschäft erzählte, witzelte er, er sei Vegetarier. Ich zog die Brauen hoch und grinste; ich hatte gehört, wie er an der Bar Hähnchen bestellt hatte.

Später ging ich mit zu ihm. Er wohnte in der Garage seiner Großeltern. In einer Ecke stand eine ächzende Elektroheizung, und die Wellblechtür gab dem Ganzen eine Werkstattatmosphäre. Ich fühlte mich sofort wohl; es erinnerte mich irgendwie an die Metzgerei. Ein paar Schädel an der Wand neben dem Bücherregal wären auch nicht weiter aufgefallen.

Als ich an dem Abend zum ersten Mal mit Ryan schlief, blutete ich durch die Laken. Ich war sechzehn und hatte lange genug gewartet.

»Heißt das, dass du noch Jungfrau bist?«, fragte er.

Ich sah ihn an und schwieg. Es abzustreiten wäre sinnlos gewesen. Das Blut zwischen meinen Schenkeln war schnell getrocknet und verklebte das Schamhaar, sodass es ziepte, als ich aufstand. Die ganze Garage roch nach Kupfer, als hätte jemand ein frisches Schwein aufgeschnitten.

 

Den nächsten Abend verbrachte ich mit Papa in der Metzgerei und zerlegte ein paar Lämmer. Im Hintergrund lief Radio 4. Papa liebt die Archers und benutzt die Titelmelodie sogar als Klingelton. Wenn ich während der Sendung rede, hebt er die Hand in dem blauen Handschuh, damit ich still bin. Deswegen wartete ich bis zum Ende, bevor ich ihm von Ryan erzählte.

»So was muss ich nicht wissen, Gracie«, sagte er dann.

Er ließ mich nicht einmal fertig erzählen.

»Das gehört sich nicht, okay? Deinem alten Dad von so privaten Sachen zu erzählen. Behalt so was in Zukunft für dich.«

Es ihm vielleicht lieber nicht zu erzählen war mir gar nicht in den Sinn gekommen, aber so ging es mir öfter. Ich hatte Schwierigkeiten, bestimmte Situationen richtig einzuschätzen. Als ich das erste Mal meine Tage bekam, brachte ich meine Unterhose morgens zum Frühstück mit und legte sie neben Papas Cornflakes-Schale, mit dem rotbraunen Fleck nach oben. Ich war völlig fertig. Ich dachte, ich sterbe.

»Erklären sie euch das nicht in der Schule, Gracie?«

Er hatte seine Cornflakes-Schale genommen und im Stehen weitergegessen, mit möglichst viel Abstand zu meiner Unterhose. Erst da erinnerte ich mich: das ganze Zeug in Biologie über den Menstruationszyklus. Ich schob mir die Unterhose in die Tasche und lief in den Garten, um sie zu verbrennen, eine Art von Zeremonie, bevor ich nach Lagerfeuer riechend in die Schule ging. Weil ich kein Geld für Tampons hatte, steckte ich mir zerknülltes Klopapier in die Unterhose, das ganze erste Jahr, bis Papa anfing, mich für die Samstage im Geschäft zu bezahlen.

 

Meine Mutter starb, als ich sechs war. Ich erinnere mich noch daran, wie ich sie einmal im Supermarkt verlor. Ich hatte jeden einzelnen Gang nach ihr abgesucht und sie dann bei den Tiefkühltruhen endlich gefunden. Vor lauter Erleichterung hatte mir das Herz bis zum Gaumen geklopft. Sie stand mit dem Rücken zu mir vor einer der Tiefkühltruhen. Sie trug einen lila Anorak und hatte die Hand zwischen den Eiscremepackungen. Ich rannte auf sie zu, klammerte mich an ihr Bein, drückte das Gesicht an ihre Hose.

»Schätzchen«, sagte die Frau. »Ich weiß nicht, ob du die Richtige erwischt hast.«

Ich sah zu ihr hoch, und es war gar nicht meine Mutter. Sie hatte ein viel älteres Gesicht, mit geplatzten Äderchen unter den Augen wie kleine Quallen. Erschrocken wich ich zurück. Ich wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus, also drehte ich mich um und rannte, so schnell ich konnte. Ich stieß gegen einen Mann, der einen Joghurt in der Hand hatte, und der Joghurt fiel zu Boden. Der Becher platzte, und alles war voller Joghurt, aber ich blieb nicht stehen.

Ich erinnere mich nicht, wie ich meine Mutter fand, aber ich fand sie wohl. Sie starb erst ein Jahr später.

 

Der Sex war nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, aber immerhin war es passiert, und das war die Hauptsache. Die ganze Woche hatte ich das Gefühl, ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben. In Mathe bestand ich einen wichtigen Übungstest, zum ersten Mal überhaupt. Auch beim Fleischzerlegen war ich sehr gut. Papa war beeindruckt von der Gleichmäßigkeit meiner Filets. Er sagte, so schöne hätte er noch nie gesehen, und selbst ich muss zugeben, dass sie ziemlich hübsch waren.

Am Wochenende nach unserem ersten Treffen machten Ryan und ich einen Ausflug in den Park eines Herrenhauses, der öffentlich zugänglich war. Ryan hatte ein Auto, und seine Hündin Petal saß auf dem Rücksitz. Ich hatte Ryan ein paar besonders gute, in Fettpapier eingewickelte Lammkoteletts mitgebracht, und ich war entsetzt, als er eins davon an Petal verfütterte. Petal gehörte zu einer dieser stämmigen Rassen, bei denen die Haut so straff ist, dass sich der Schädel darunter abzeichnet. Ich sah ihre Kiefermuskeln zucken, als sie das Kotelett zermalmte, und dachte an die Mühe, die ich mir beim Schneiden gegeben hatte, an die sorgfältig bemessene Fettschicht, so dick wie Orangenschale.

Auf dem Spaziergang ging Petal entweder auf andere Hunde los, oder sie bellte durch den Drahtzaun die Schafe an. Anscheinend war sie auf den Geschmack gekommen. Als wir zum Parkplatz zurückkamen, hatten Ryan und ich auf dem Rücksitz Sex. Petal saß auf dem Fahrersitz und beobachtete uns durch die Kopfstützen.

»Braves Mädchen«, sagte Ryan immer wieder. Ich wünschte, er hätte es zu mir gesagt.

 

Einen Monat später fand ich heraus, dass ich schwanger war. Ich stand in der Metzgerei, und der Geruch aus dem Fleischwolf war so intensiv, dass ich auf die Straße lief und in den Rinnstein kotzte.

»Mach einen Test«, sagte Papa, als ich zurückkam.

Ich wischte mir mit dem Ärmel der Fleischerbluse den Mund ab. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was er meinte, dann drehte ich mich um und ging wieder raus. Auf dem Asphalt stand eine Pfütze dünner, gelber Galle.

Der Mann in der Apotheke sah aus, als wäre es ihm peinlich, als ich ihn bat, die Toilette benutzen zu dürfen, aber ich hatte den Test schon bezahlt, also ließ er mich. Sofort erschienen zwei rote Linien, so deutlich wie ein Viehzeichen. Dann schlief ich offenbar ein, denn als Nächstes erinnere ich mich, wie ich auf dem Boden der Kabine lag, die Stirn gegen die kalte Kloschüssel gepresst, und der Apotheker an die Tür klopfte und fragte, ob alles in Ordnung sei. Keine Ahnung, wie lange ich dort gelegen hatte.

Ich sagte Papa gleich Bescheid. Er formte gerade Hackfleisch für Burger und sah nicht einmal auf. Unter seinen Händen schmatzte das Fleisch, während er sprach.

»So was passiert«, sagte er. »Wir regeln das.«

Wir riefen am gleichen Abend an. Die Arzthelferin gab mir einen Termin in zwei Wochen. Früher ging es nicht. Papa saß bei mir am Küchentisch, als ich telefonierte, und danach teilten wir uns eine Schweinepastete mit viel Senf. Mit seinen Pasteten hat er Preise gewonnen. Papa hat extra Aufkleber machen lassen. Ich habe ihn nach dem Rezept gefragt, aber er gibt es mir nicht. Er sagt, wenn er stirbt, sollen seine Schweinepasteten mit ihm sterben.

 

Ich schaffte es nicht bis zur Abtreibung. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt hingegangen wäre; auf einmal war ich mir nicht mehr so sicher. Ich begann, im Unterricht abzuschalten, oder mitten im Gespräch mit Papa. Ohne Absicht stellte ich mir ein kleines Baby vor, das fest in meinen Armen schlief. Wenn ich dann wieder zu mir kam, hatte ich keine Ahnung, was in der Zwischenzeit in der echten Welt passiert war. Einmal stand ich im Laden an der Ecke, kaufte Kaugummi und konnte mich nicht erinnern, wie ich dort gelandet war. Als das Blut kam, war es sehr hell, feuerrot. Es passierte in der Schule, in der Schlange zum Mittagessen, und ein Junge namens Oliver zeigte mit dem Finger auf mich.

»Jemand hat die rote Tante zu Besuch«, rief er.

Ich ging nach Hause und blieb dort. Es blutete über mehrere Tage, wurde immer schlimmer, und der Rest kam in Klumpen heraus, mit den schlimmsten Bauchkrämpfen, die ich je hatte. Ein paar Klumpen waren faserig, andere eher rund, dunkel und glänzend wie Nierchen. Ich wusste genug über Fleisch, um zu erkennen, dass das Zeug das Baby war.

Erst am Samstag hörte es auf. Am Morgen in der Metzgerei sagte Papa, ich sehe blass aus. Er schickte mich nach hinten, um Lammkarrees zu parieren. Ich nahm das Ausbeinmesser, das ich am Tag zuvor geschliffen hatte. Die Klinge blitzte in der Sonne, die durch das kleine Fenster schien. Zum ersten Mal seit Wochen konnte ich den Geruch von Lamm wieder ertragen. Ich nahm die Spitze der Klinge und drückte sie auf dem Schneidebrett in meinen linken Daumen. Sie glitt ganz leicht durch den Nagel. Ich spürte, wie das Messer den Knochen streifte, bevor es auf der anderen Seite wieder herauskam. Dann zog ich es wieder heraus. Auf einer Seite war ein horizontaler Strich, fast in der Breite des Nagels, auf der anderen Seite bloß ein Pünktchen, wo die Messerspitze durch die Haut gestoßen war. Das Brett und der Boden waren voller Blut. Man konnte richtig sehen, wie es pumpte; da war eindeutig ein Puls. Der Schmerz war gleichmäßig und intensiv. In diesem Moment fühlte ich mich okay, fast wieder normal.

 

Ryan und ich trafen uns regelmäßig. Wir hingen in seiner Garage ab, sahen Filme, schliefen miteinander. In einer Ecke stand ein Campingkocher, der an eine Gasflasche angeschlossen war, und morgens vor der Schule briet er Eier mit Schweinelachs, den ich aus Papas Laden mitgebracht hatte. Weil Ryan keinen Toaster besaß, briet er das Brot mit dem Fett in der Pfanne knusprig. Petal bekam eine Portion, die so groß war wie meine, und Ryan bekam das Doppelte.

Ich hatte beschlossen, Ryan nichts von der Schwangerschaft zu erzählen, aber als ich das erste Mal nach der Fehlgeburt bei ihm war, spürte ich, dass Petal Bescheid wusste. Sie kam hoch aufs Bett und legte den Kopf in meinen Schoß. Ich kraulte ihr mit der heilen Hand die Ohren, und sie grinste mich mit heraushängender Zunge an. Es war das erste Mal, dass wir einander richtig beachteten, und Ryan war beeindruckt.

»So habe ich sie noch nie mit jemand anderem gesehen«, sagte er.

Ryan machte uns zwei White Russians mit Milch, die in seinem Minikühlschrank stand. Ich hatte noch nie einen Cocktail getrunken, und ich kam mir erwachsen vor. Ich trank sehr vorsichtig, um mich so wenig wie möglich zu bewegen und Petal nicht zu wecken, die auf mir eingeschlafen war. So saß ich stundenlang da, und als ich klagte, dass mir der Rücken wehtue, massierte mich Ryan. Er bohrte mir seine dicken Finger in die Haut, was den Schmerz zwar nicht linderte, aber ich hatte mich ihm noch nie so nah gefühlt. Petal schnarchte pfeifend in der Stille. Sie war warm wie ein laufender Motor.

Am nächsten Tag machten wir einen Spaziergang auf den Hügel über der Stadt. Mit der heilen Hand warf ich Stöcke für Petal. Sie jagte ihnen hinterher und brachte sie vollgesabbert zurück. Ryan ging voraus, die Hände tief in den Taschen. Irgendwann langweilte sich Petal mit mir, und sie legte die Stöcke vor seine Füße. Ryan konnte viel weiter werfen als ich. Nach dem Wurf sah er mich an und zwinkerte mir zu.

»Sie machts mit jedem«, sagte er.

Ich lachte und versuchte während des restlichen Spaziergangs, Petal zurückzugewinnen. Ich wollte, dass sie mir die Stöcke brachte, aber sie tat es nicht.

Anschließend gingen wir in ein Pub. Ich bestellte eine Schale Wasser für Petal und ein Pint für mich. Der Barmann fragte nach meinem Ausweis, aber Ryan legte mir die Hand auf die Schulter.

»Geht schon klar, Kumpel«, sagte er. »Sie gehört zu mir.«

Wir setzten uns mit dem Bier in den Garten. Ryan riss eine Tüte Schweinekrusten auf und legte sie auf den kleinen Tisch. Ab und zu ließ er eine für Petal fallen, die sie aus der Luft schnappte und zermalmte. Inzwischen war es später Nachmittag, und es wurde kühl, also zog ich die Jacke aus und deckte Petal damit zu. Ich bekam sofort Gänsehaut, und als Ryan es sah, zog er seine Jacke aus und gab sie mir. Sie war so riesig, dass sie mich beinahe verschluckte, und zum ersten Mal in meinem Leben kam ich mir niedlich vor. So saßen wir da, mit vertauschten Kleidern, bis spät in den Abend.

Als ich nach Hause kam, war es schon dunkel. Papa wartete im Wohnzimmer auf mich.

»Grace«, sagte er. »Herrgott. Ich habe mir fast die Haare ausgerissen.«

Ich sagte ihm, dass es mir leidtue. Ich hatte den ganzen Tag nicht an ihn gedacht und schämte mich.

»Du warst wieder mit ihm unterwegs, oder?«, fragte er.

»Ja, Papa.«

Papa strich sich mit den Fingerspitzen über die Stirn. »Pass einfach auf dich auf, Gracie, versprochen?«

»Ja, Papa«, sagte ich, und dann ging ich ins Bett.

 

Nachdem ich mir in den Daumen geschnitten hatte, ließ ich die Metzgerarbeit eine Weile schleifen. Ich hatte die Wunde im Krankenhaus nähen lassen, aber sie behinderte mich wochenlang beim Schneiden, was mich frustrierte und ungenau werden ließ. In der Schule konnte ich nicht mehr mitschreiben, also saß ich im Unterricht und starrte aus dem Fenster. Den Lehrern fiel es nicht auf; das hatte ich sowieso meistens gemacht.

Papa war jedes Mal ein bisschen enttäuscht, wenn ich ihm meine Filets präsentierte, aber er legte sie in die Auslage, ohne etwas zu sagen. Ich beschäftigte mich stattdessen im Laden, indem ich Leckereien für Petal einpackte. Eigentlich war ich gar kein Hundemensch, aber Petal hatte mich an dem Wochenende im Park herumgekriegt. Wenn Papa nicht hinsah, ließ ich ein paar Innereien mitgehen oder schnitt ein paar Würstchen von der Schnur. Einmal brachte ich Petal eine ganze Rinderhesse mit. Ich hatte den Laden zugesperrt, und bevor ich ging, stahl ich die Hesse aus dem Kühlraum und balancierte sie auf der Schulter zu Ryan wie bei den Flintstones.

Inzwischen verbrachte ich die meisten Nächte bei ihm, und sobald ich dort auftauchte, kam Petal aus der Garage gerannt, um mich zu begrüßen. Ich legte ihr die Mitbringsel auf die Wiese und sah zu, wie sie sie verschlang, und wenn wir zusammen zu Ryan gingen, zog sie eine rosa Sabberspur hinter sich her.

Es dauerte nicht lange, bis Petal mir gegenüber Beschützerinstinkte entwickelte. Ich wusste, dass sie gelernt hatte, gutes, frisches Fleisch zu erwarten, wenn ich kam, aber ich stellte mir gerne vor, dass unsere Bindung über ihren Appetit hinausging. Wir fühlten uns in der Nähe der anderen wohl, so war das.

Wenn Ryan mich berührte, knurrte sie. Es ging so weit, dass es leichter war, einfach zu warten, bis sie draußen beschäftigt oder auf ihrer Matte eingeschlafen war. Mich störte es nicht; ich fand es irgendwie romantisch.

»Sie liebt dich total«, flüsterte Ryan einmal. Dann beugte er sich über meinen Körper, um nachzusehen, ob die Luft rein war.

 

Eines Abends lud ich Ryan und Petal zu uns ein, um sie Papa vorzustellen. Es war vielleicht sechs Wochen nach der Fehlgeburt, und mein Daumen war verheilt. Ich machte eine Hühner-Pilz-Pastete, wie wir sie auch im Laden verkauften. Die Abendsonne fiel durch die Spitzenvorhänge und sprenkelte das gesamte Esszimmer mit Lichtflecken. Ryan stellte sein Glas ohne Untersetzer ab, und Papa wartete, bis er auf dem Klo war, bevor er einen darunterschob. Petal saß mit uns am Esstisch und leckte ihren Teller sauber. Ich war stolz auf sie.

»Siehst du, Papa«, sagte ich. »Ist sie nicht gut erzogen?«

Papa nickte. »Sie ist ein braver Hund.«

Ryan und ich streckten genau im selben Moment die Hand aus, um Petal zu kraulen. Sie saß zwischen uns. Sie drehte den Kopf zuerst zu mir und dann zu Ryan. An einem Barthaar hing ein Soßentropfen, und sie holte ihn sich mit der Zunge. Wir lachten alle.

»Sie liebt es, im Mittelpunkt zu stehen«, sagte ich.

»Das sehe ich«, sagte Papa.

Später spielten wir im Wohnzimmer Gin Rummy. Papa gewann zwei Runden, und ich gewann eine. Ryan war langsam mit seinen Karten und verwechselte immer wieder Pik und Kreuz. Petal lag auf dem Boden. Im Kamin brannte ein Feuer, und sie schien die Wärme am Bauch zu genießen.

Als wir gingen, schüttelte Papa Ryan die Hand und wollte dann Petal streicheln. Sie bellte einmal, und versenkte die Zähne in seinen Knöchel.

»Es tut mir so leid«, sagte Ryan. »Sie ist nicht gut mit neuen Leuten.«

Ich ging in die Hocke, um Petal direkt in die Augen zu schauen, und ermahnte sie, sich zu benehmen. Sie sah mich schuldbewusst an, also kraulte ich sie kurz unter dem Kinn. Papa machte keinen Aufstand, aber dort unten fielen mir die dunklen Flecken auf, wo das Blut durch seine Hose sickerte.

 

Am folgenden Wochenende heiratete Ryans Cousin in Wales, und Ryan bat mich, in seiner Abwesenheit auf Petal aufzupassen. Ich sagte Papa erst am Donnerstag Bescheid. Er humpelte noch, und ich musste ihm einen Stuhl vor den Laden stellen, damit er sich hinsetzen und ausruhen konnte, wenn gerade keine Kunden da waren. Er war nicht begeistert, dass Petal zu uns kam, aber ich sagte ihm, es wäre zu spät für Ryan, noch jemand anders zu finden.

Langsam machte mir die Arbeit wieder Spaß, jetzt, da es meinem Daumen besser ging. Nach der Schule ging ich direkt in die Metzgerei. Ich hatte ein halbes Schwein, an dem ich Zerlegetechniken übte, und meine Braten wurden wieder wunderschön. Selbst Papa war versöhnt, als ich sie ihm zeigte, doch das hielt nicht lange an. Eines Nachmittags erwischte er mich, als ich eine ganze Schweinerippe für Petal rausschmuggelte.

»Reicht es nicht, wenn du ihr die Füße gibst?«, fragte er und schnalzte mit der Zunge.

»Sie braucht Trost dieses Wochenende, Papa. Es ist komisch für sie, an einem fremden Ort zu sein.«

Papa schüttelte den Kopf. »Wenigstens die Hälfte bringst du zurück.«

Auch wenn es mir nicht passte, teilte ich die Rippe in zwei Teile und legte den einen in die Auslage.

Das Wochenende mit Petal war herrlich. Ich briet eine ganze Blutwurst, die wir uns teilten. Am Samstagnachmittag machten wir einen langen Spaziergang. Ich ging mit ihr zu einer großen Wiese und sah zu, wie sie sich durchs hohe Gras schlug und kleine Trampelpfade hinterließ. Die Sonne war so hell, dass der Tau funkelte. Später, als Petal müde war, lehnte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht hechelnd an mein Bein. Ihr kräftiger Schwanz klopfte gegen meine Schenkel. Ich zog ihr eine Zecke aus dem Rücken und zerdrückte sie zwischen meinen Fingern, sodass mir das warme Blut über den Daumen lief wie Tinte aus einer Patrone.

In der Nacht teilten wir das Bett. Wenn ich zu nah an sie heranrollte, weckte mich ihr saurer Atem, aber am Sonntagmorgen, als der Tag durchs Fenster flutete, war Petal das Erste, was ich sah. Sie grinste mich an und blinzelte. Ich streichelte ihren Bauch und rieb das Gesicht an ihrem Nacken.

Sonntags ging ich immer in die Metzgerei und half Papa, die Schlachtkörper für den Rest der Woche vorzubereiten. Das machte ich, seit ich klein war, und dabei hatte ich den Umgang mit dem Messer gelernt. An diesem Wochenende brachte ich Petal mit. Sie saß brav unter dem Tresen, zuckte nur manchmal mit den Ohren, wenn bei den Archers etwas Gutes passierte, und hinterließ glänzende Flecken auf dem Linoleum, wenn sie die Reste aufleckte, die ich ihr hinwarf.

»Sie hat einen ziemlichen Appetit, dieser Hund.«

»Ja, Papa, nicht wahr?«

»Es ist schön zu sehen, dass du jemandem so nah bist, Gracie, das muss ich sagen.«

»Ja, Papa.«

»Ich meine Ryan.«

»Ach so. Ja, Papa.«

»Wie alt ist er, Grace?«

»Siebenundzwanzig, Papa.«

Papa nahm ein Knäuel Wurstgarn aus der Schublade und begann, es in gleich lange Stücke zu schneiden. Ich benutzte die Schnüre, um Braten zu binden. Den Rest des Nachmittags sagten wir beide nicht mehr viel.