„Die Schafe sind die Bosse auf der Weide“
Radeln in der „heiligen“ Serra da Estrela
Die Radwanderung durch die Serra da Estrela beginnt auf dem Dach Portugals: auf
Penhas Douradas. Auf fast 2000 Metern Höhe entdeckt der Reisende mit riesigen rundgeschliffenen Felsbrocken eines der
Wahrzeichen der Region. Die jüngste Eiszeit hat diese Steine geformt. Ein anderes Wahrzeichen ist der kräftige Käse, der aus der Milch der im Gebirge weidenden Schafe gewonnen wird. Portugal
ist also nicht nur lieblich wie an Algarve, sondern kann auch ziemlich rau
werden. Eis und Schnee sind hier oben nichts Besonderes.
Es stockt einem der Atem. Der vom Flughafen Lissabon kommende Minibus kriecht
die Serpentinen zum höchsten Berg Portugals in der Serra da Estrela hinauf. Das Licht wird spärlicher. Nur ab und zu beleuchtet eine Laterne die kurvige Straße; die Landschaft erscheint immer dunkler, zumal die Straße von Bäumen gesäumt ist. Jetzt leuchten schon die Augen eines vorbei huschenden Fuchses im
Scheinwerferlicht. Leichte Übelkeit steigt auf. Das als schönstes Dorf des Gebirges geltende Manteigas leuchtet mit einem Male tief unten im
Tal auf.
Doch ist der Bus in dieser Höhe von tiefer Dunkelheit umgeben. Das scheint immer so zu sein. Daher hat man
wohl ein Observatorium zum Beobachten der Sterne auf Penhas Douradas – Portugals höchstem Berg – errichtet. Als Besucher fühlt man sich hier in einer total fremden Welt. Die letzte Radwanderung durch ein
so hohes Gebirge liegt mit der Sierra Nevada in Andalusien schon einige Jahre
zurück. Doch an Andalusien erinnert hier in Zentralportugal nur wenig; die strahlend
weißen Dörfer Spaniens gibt es hier nicht. Hier besteht fast alles aus dunklem Schiefer
und aus dem heimischen grauen Granit. Hoffentlich wirkt es am Tage freundlicher
im einzigen Gebiet Portugals, in dem Phänomene der Vergletscherung in großem Ausmaß stattfanden. Gibt es hier wenigstens die lang vermissten Ausblicke von den
Terrassen kleiner Bergcafés nach einem aufregenden Trail auf einem schmalen Gebirgspass? Wenn der Nebel
morgens dampfend aufsteigt? Wenn die Glocken eines Kirchturms in einem hoch
gelegenen Dorf läuten? Lockt hier irgendwo das landauf, landab bekannte Sardinengebäck aus der Kleinstadt Trancoso?
Bei der Ankunft am Hotel „Casa das Penhas Douradas“ legt sich die Verwirrung. Fahrer Nuno Adriano ist so freundlich, das Gepäck zu tragen, so dass der Reisende unbeschwert eintreten kann. Das erst 2013 als
Skihotel errichtete Haus duftet angenehm nach frisch geschlagenem Nadelholz.
Wie ist das möglich? Die Wände bestehen aus skandinavischem Kiefernholz. Im Eingangsbereich hängen Skier an der Wand. Viele dieser Wintersportgeräte sind übers Gebäude verteilt. Das Mountainbike landet erst einmal in der Garage des
fahrradfreundlichen Hotels, in dem sogar Ersatzteile wie Seilzüge und Bremsklötze ausliegen. Ein Zimmermädchen klopft später an der Tür, bringt Teelichter zur stimmungsvollen Beleuchtung. Die höchste Zimmernummer ist die 14. Sie garantiert einen ruhigen Aufenthalt.
Massentourismus gibt es hier nicht.
Am nächsten Morgen ist es sonnig.Vor dem Zimmer erstreckt sich eine Terrasse mit
Liegestühlen. Jetzt sieht die Bergwelt längst nicht mehr so unbezwingbar aus. Die Straße, auf der es übermorgen losgehen soll, schlängelt sich einige Meter entfernt vorbei. Doch heute steht eine Fußwanderung auf einem Schäferpfad durch die von der Eiszeit geprägte Landschaft an. Zunächst jedoch führt der Weg ins Restaurant, in dem es ruhig und entspannt zugeht. Das Buffet ist
reichhaltig. Nichts wird hier abgezählt. Jeder Gast kann milde oder herb schmeckende Käsesorten durchprobieren. Ein würzig duftender Schafskäse fällt auf: der Queijo da Serra da Estrela. Seine Rinde ist so hart, dass sie in
sich eine weiche cremige Masse bewahren kann. Der Deckel des Käses wird abgeschnitten. Mit einem Löffel wird die leicht bittere Masse heraus gehoben, um sie aufs Brot zu
streichen. Auf der Packung steht: Fettgehalt von 45 bis 60, Feuchtigkeitsgehalt
von 61 bis 69 Prozent. Diesen Käse bezeichnen die Bewohner der Gegend als Visitenkarte ihrer Region. Er ist
schon seit mehr als 2.000 Jahren bekannt. Lucius Columella, ein Offizier des römischen Heeres in der besetzten Provinz Hispania, beschrieb damals, wie er
hergestellt wurde. Auch der berühmte Dichter Gil Vicente widmet sich dem Käse in seiner im 16. Jahrhundert verfassten Tragikomödie „Pastoril da Serra da Estrela“. Ein Kilo des Käses dieser Landschaft ist im Fachhandel 30 bis 40 Euro wert. Aldi oder Lidl
verkaufen ihn nicht. Dort gibt es nur eine milde Variante einer Käserei aus Seia. Aufpassen sollte man allerdings vor nicht zertifiziertem
minderwertigem „Queijo da Serra da Estrela“, der immer häufiger mit Kuhmilch verschnitten und unkundigen Touristen am Straßenrand und in Verkaufsständen angeboten wird.
Bedeutung des Begriffes „Serra“
Im empfehlenswerten Werk „Portugal O Sabor da Terra“ verweisen die Autoren Mattoso, Daveau und Belo auf die Bedeutung des Begriffes „Serra“, der den Produkten und Traditionen der Gegend beigefügt ist. Der Wein des Dão zum Beispiel trage auch den Namen „Encosta da Estrela“ (Hang der Estrela); dies sei das Vermächtnis des Viriatus, des Arminius der Portugiesen im Kampf gegen die Römer. Das habe etwas damit zu tun, dass man das Hochgebirge als Ort ansehe, wo
sich auffallend rein Charakter und Tugenden des portugiesischen Volkes erhalten
hätten.
Es habe etwas damit zu tun, dass die Serra der einzige portugiesische Ort sei,
wo der Schnee sich einige Zeit halte. Dies verbinde man obskurerweise mit der
Idee, dass sich dort der Ort der nationalen Reinheit befinde, der legendäre raue Charakter, integer, streng und widerstandsfähig, das heiße, unberührt von Zeit und Zivilisation seiner Bewohner. Dies führe dazu, dort den Ort der Reinheit des Volkscharakters zu suchen; mit der
dunklen Erinnerung an eine gemeinschaftliche Solidarität, zementiert durch den gemeinsamen Kampf gegen die Mauren, in den Anfängen der Reconquista: die Kastelle jener Zeit – Erinnerungen aus Stein – habe man in keiner anderen portugiesischen Provinz so perfekt und so
beeindruckend bewahrt, Bild einer Dauerhaftigkeit, die die Schicksalsschläge der Zeit nicht zu erschüttern vermöchten. Dort könne sich das Vaterland erneuern, von dort komme die Energie, ihre Mentalität ewig zu erhalten. Auch wenn sich Politik, Wirtschaft und Kultur hauptsächlich auf die Küste konzentrierten, die Beira als Randgebiete und die Serra da Estrela seien das
heilige Land, in dem sich die reine Quelle des Volkes befinde.
Vielleicht hat der Bäcker heute morgen das zunächst nur regional bekannte, heute aber über ganz Portugal verteilte, Pão Centeio do Sabugeiro geliefert, ein Roggenbrot, das in manchen Dörfern noch heute in einem gemeinschaftlichen Backofen zubereitet wird. Das nötige Brennholz lieferten früher die als unerschöpflich erscheinenden Wälder des Gebirges. Es soll mehrere Tage haltbar sein; deshalb nahmen es
Schafhirten aus dem rauer Witterung ausgesetzten nahe Manteigas liegenden
Bergdorf Sabugeiro mit in die einsamen Berge. Mit diesem Brot schmeckt der Käse ungewöhnlich gut; fehlt es, mundet er den meisten aufgrund seines prägnanten Geschmacks allzu scharf. Von vielen Gourmets wird er als Delikatesse
bezeichnet, andere probieren ihn aber kein zweites Mal. Sicher lässt sich auf einem der vielen Bauernhöfe in den bis zu 2.000 Meter hohen Bergen Portugals mehr über diesen Starkkäse herausfinden.
Wanderung auf dem Hochplateau
Nach dem Frühstück führt Hoteldirektorin Catarina Silva auf das Hochplateau. Sie schaut trotzig drein, ist um die 30 Jahre jung; oft zu
Späßen aufgelegt und streckt beim Fotografieren neckisch die Zunge heraus. Wie hält es die junge Frau in einem so einsam gelegenen Hotel aus? Sie könnte auch in der Distrikthauptstadt Guarda leben. Wäre es nicht interessanter, statt dieses von hohen Pinien umgebenen Hauses ein
Hotel an der Küste zu führen? Die Antwort fällt unerwartet aus: Sie bevorzuge den Umgang mit Stammgästen, der Kontakt sei persönlicher. Man kenne einander.
Über eine asphaltierte Straße führt der Weg zunächst an Wochenendhäusern mit geparkten Autos vorbei. Sie dienen Jagdgesellschaften häufig als Unterkunft. Hier wird der 101.000 Hektar große Naturpark Serra da Estrela nicht vor Eingriffen geschützt. Der Wanderer geht zunächst an einer Kapelle vorbei, dann an einem zerfallenen Haus aus gewaltigen
Felsen. Dieses erinnert an eine Szene aus der Hobbit-Trilogie, als der Zauberer
Gandalf auf der Wanderschaft mit den Zwergen auf einen von Trollen zerstörten Bauernhof trifft: Hier indes führte ein Arzt eine Praxis; aber nur Trolle können auf dieser Höhe die riesigen Felsbrocken zusammengesetzt haben. Heute erstaunt eine Kapelle
neben der Praxis, Also scheint dort ein reges Dorfleben bestanden zu haben.
Hinter der ehemaligen Praxis geht es in einen kleinen Nadelwald. Die Baumgrenze
ist auf Höhe des Hotels also noch nicht erreicht. Wildschweine haben hier gewühlt, doch der iberische Typ soll nicht aggressiv sein. Manche Jäger sagen, nach einem lauten Pfiff flüchteten sie. Aber heute ist kein einziges Tier zu sehen. Im Wald lässt es sich leidlich laufen, denn es ist weder matschig noch steil. Der von Schäfern angelegte Weg windet sich durch blühenden Ginster, vorbei an mehrere Meter hohen, durch Gletscher der Eiszeit
rundgeschliffenen Granitfelsen; andere Wanderer sind hier heute nicht
unterwegs. Catarina Silva führt zu einem von Schäfern durch den Fels gehauenen Tor, hinter dem sich ein schöner, aber zugiger, Aussichtspunkt befindet, der von einer Mauer geschützt wird. Zeit für eine Rast! Auf einem Pfad zwischen niedrigem Gebüsch geht es dann erstmals bergauf über niedrige dornige Gewächse, bis sich das Gelände abflacht zu einem Plateau mit hohen rund geschliffenen Felsen.
Beschrieben wurde diese Landschaft schon in den 1930er Jahren vom deutschen
Geographen Hermann Lautensach. Er fand kreisförmig um das Hochplateau angeordnete Gebiete mit einer charakteristischen
glazialen Morphologie vor. Von diesen fallen vor allem von Gletschermassen der
Eiszeit zu stromlinienförmigen Rundhöckern umgestaltete Steine auf, ein weiteres Gebiet mit Findlingen im oberen Teil
des Gebirges, ein schmaler Gürtel von Seiten- und Endmoränen sowie ein Gürtel glockenförmiger Felsen, Blockhalden und Geröllfeldern. Umgeben sind sie von Zwergwacholder. Diese Pflanze passt sich gut an
starke Winde, Schneestürme und extreme Kälte an, da sie früh von Schnee bedeckt und damit geschützt ist.
Solch eine eiszeitlich gestaltete Felsenlandschaft kommt nicht oft auf der
Iberischen Halbinsel vor, denn hier waren nur geringe Gebiete vereist. Eine
vergleichbare Landschaft dürfte es außerdem nur in der Nähe von Zamora im galizisch-kastilischen Grenzgebiet geben. Ob Schafe diese
Vegetation nach der Besiedlung beeinflusst haben? Darüber kann man nur spekulieren, ebenso darüber, wie dick die Gletscherkuppel hier einst war. Daveau, einer der Autoren des
historisch-geografischen Werkes „Portugal O Sabor da Terra“ schätzt, es habe sich Eis in einem Umkreis von siebzig Quadratkilometern mit einer
Dicke von 80 Metern auf dem Torre-Plateau befunden. Das unterhalb der Gletscher
talwärts fließende eisige Wasser habe die Talgletscher des Zêzere, Alforfa, Estrela, Loriga, Covão Grande und Covão do Urso genährt.
Heute ist es in der Höhe einsam. Kein Schäfer erscheint plötzlich mit seiner Herde; nicht einmal Glöckchen bimmeln hinter fernen Felsen. Wer hier im Herbst zu Gast ist, sieht, wie
der Wind Nebel vor sich hertreibt durch niedrige Kiefernwälder. Die harten Winter verhindern durch starke Winde, große Kälte und eine dicke Schneedecke, dass die Bäume hoch wachsen. Ein von Schäfern erbauter Steintisch mit Sitzblöcken dient einem Picknick zum Abschluss der Wanderung.
Einige Runden im Schwimmbad und danach ein Glas Wein im Teezimmer bieten im
Hotel Entspannung. Der Raum hat mehrere Sitzgruppen, darauf viele Kissen, ein
in Portugal beliebtes Arrangement. Wer Schweden schätzt, darf sich angesichts eines flackernden Kamins und ausgestellter Skier fast
wie im Skimuseum von Mora am Siljansee fühlen, wo der Vasalauf stattfindet.
Hoteldirektorin Catarina verabschiedet sich am nächsten Morgen mit landesüblichen Wangenküssen vom in kurzer Kleidung startenden Mountainbike-Fahrer. Am Lenker klemmt ein
Garmin Dakota-Navigationsgerät mit den Strecken der kommenden zwei Wochen. Am Gepäckträger hängen zwei mit Wäsche bepackte Ortlieb-Packtaschen. Kamera und Objektive sind im Wanderrucksack „trans alpine pro 28“ von Deuter untergebracht, der sie vor Erschütterungen der Straße schützen soll. Obwohl schon Anfang Mai, kann es morgens um zehn Uhr frisch auf der
Hochebene von Penhas Douradas sein. Die Atemluft dampft. Der Auftakt ist
leicht, die Abfahrt sanft. Schließlich befindet sich das Hotel auf 1.500 Metern Höhe. Nur Torre, Turm und Ziel der Rennradfahrer der Portugal-Rundfahrt auf diesem
Berg, liegt mit gut 1.993 Metern höher. Der nur wenige Kilometer entfernte Turm auf dem höchster Punkt der Estrela hat seinen Namen von dem einst hier errichteten
Granitturm. In der Nähe liegt mit dem Lagoa Serrano ein kleiner Gebirgssee.
Alle Städte der bis nach Viseu reichenden Beira liegen hoch. Viseu befindet sich auf
mehr als 450 Metern Höhe, während die näheren Orte, zum Beispiel auf Seiha 500, Pinhel auf mehr als 600 und Covilhã auf 700 Metern liegen. Übertroffen werden sie allerdings von der am höchsten liegenden Stadt Portugals Guarda auf 1.000 Metern Höhe, der Distrikthauptstadt der Inneren Beira (Beira Interior); dagegen ist
Viseu, mit identischen administrativen Funktionen, die bedeutendste Stadt der
Hohen Beira (Beira Alta). Sie aber zählt nicht zur Serra da Estrela. Bewohnbare Orte lagen schon immer am Fuß der Berge oder auf deren Gipfeln. Je weiter man die Landschaft von Viseu bis
Gouveia nach Osten durchstreift und erlebt, desto mehr verändert sie sich. Die Wälder werden seltener, der Horizont weitet sich. Die Distanz zwischen den Dörfern beginnt sich zu vergrößern und an jedem Ort liegen die Häuser enger beieinander, nicht umsonst, denn Reisende nähern sich der alten Maurengrenze. Auch die häufigen Einfälle der nahen Kastilier fürchtete man in Portugal bis in die frühe Neuzeit hinein.
Was bedeutet Beira?
Den Leser hat bestimmt der häufig benutzte Begriff Beira stutzig gemacht. Einst verstand man darunter in
Zentralportugal die Gebiete Beira Alta und Beira Baixa. Heute fällt die Beira Alta durch eine Verwaltungsreform weitgehend mit dem Distrikt
Guarda zusammen, die Beira Baixa mit dem Distrikt Viseu. Beira Alta und Baixa
werden zur Beira Interior zusammengefasst.
Die Portugiesen verbinden mit dem Begriff Beira schon immer eine geographische
Randlage an einem Fluss, einem Abgrund oder auch am Meer. Dann ist er aber auch
im politischen und historischen Sinne als Grenze zwischen Christen und Moslems
zur Zeit der im frühen Mittelalter einsetzenden Reconquista zu verstehen; im engeren geografischen
Sinne kann man ihn auch als Grenzgebiet zur Serra da Estrela, dem Sterngebirge,
deuten.
Die fundamentale Rolle der Serra da Estrela als Verteilerin des physikalischen
Raums erscheint den Autoren von „Portugal O Sabor da Terra“ bereits ausgedrückt in einem 1527 verfassten Schreiben zur Regelung der Erhebung der Steuern an
den König. Aufgeführt werden die zwischen dem Teil des Mondego und des Rio Côa gelegenen Gebiete, dann die zwischen dem Rio Côa und der Grenze mit Kastilien; im Folgenden zwischen dem Rio Mondego und der
Serra da Estrela, von der westlichen Seite. Den Text aufmerksamer lesend,
registriere man, dass der Verfasser das höhere Massiv der Estrela berücksichtigt, das hauptsächlich aus Granit bestehe und auf den Gipfeln durch seine eiszeitliche
Gletscherlandschaft markiert sei. Die Präsenz der Serra da Estrela als Grenze innerhalb der Beira Alta und Beira Baixa
sei deshalb so fundamental. Im Winter und am Frühlingsanfang wirke das Weiß der Schneegipfel wie eine heilige Erscheinung.
Die Serra da Estrela gliedere genauso wie andere portugiesische Gebirge das
Land. Die Menschen fühlten sich ihrem Teil zugehörig. Nach Galizien und somit im Raum des Rio Douro flachten die Berge ab. Lange, parallel laufende, Täler zwischen den Höhenzügen strukturierten dort den Raum. Es existierten mit den Randgebirgen in der
Estremadura nahe Lissabon und Algarve ebenfalls das Leben trennende Gebirge,
was zum einen ihrer Höhe geschuldet ist, zum anderen aber auch ihren unwirtlichen Bedingungen. Das
Gebirge der Algarve zum Beispiel entspreche mit 500 Metern Höhe im Schnitt nur dem Charakter eines europäischen Mittelgebirges; es bestehe jedoch aus wasserundurchlässigem Schiefer und biete Land- und Forstwirten ungünstige Bedingungen. Sie seien daher extrem siedlungsarm und trennten die
Wohngebiete der Menschen.
Viel lebensfreundlicher sind hingegen die Gebirge Serra do Caramulo und Serra da
Nave zwischen Viseu und Porto, die auch eine Weinregion einschließen, in der die Flüsse Dão und Mondego parallel fließen: Der sandige Boden erhält gute Niederschläge und wird gut durchwässert. Einerseits gibt es dort wohl tiefe und ausgedehnte Täler, aber am Fuße der einschließenden Gebirge fallen kleine tektonische Becken ab und schaffen auf diese Weise
speziell offene und fruchtbare Landschaften, so auch das Tal von Besteiros und
das Becken von Mortágua, nahe von Caramulo, oder auch das von Seia, Arganil und Lousã entlang der Gebirgskette. Die Landwirtschaft wird vornehmlich in den kleinen
abfallenden Becken am Fuße der Gebirge betrieben. Unter 400 Metern herrscht dort intensive Landwirtschaft
mit Weinbergen sowie Orangen- und Olivenplantagen, allgemein Kennzeichen
mediterraner Gebirge. Diesen Teil nennt man auch Beira Transmontana, also
Landschaft jenseits der Berge. Genauso gesehen trennt die Serra da Estrela
nicht nur, sondern strukturiert auch das Land. Die Beira umfasst die Täler des Douro, der bei Porto in den Atlantik mündet, und des Tejo, der bei Lissabon ins Meer fließt. Deshalb sind die Flüsse des Landesinneren nicht mit den beiden großen, die Grenzen von Norden bis Süden bestimmenden Flüssen, zu vergleichen.
Hervorragende Piste zum Radeln
Zurück zur Tour: Für den Radler ist die Orientierung mit dem Navigationsgerät nicht immer leicht. Denn es ist kompliziert in der Bedienung; selbst das Gerät Garkim Dakota beginnt plötzlich rückwärts zu zählen. Kurz nach der Abfahrt zählt es auf einmal ab einem bestimmten Punkt rückwärts, eine Abzweigung zuvor aber gar nicht angezeigt. So erscheint es einfacher,
der Ausschilderung nach Gouveia zu folgen, was kein Verlust ist, denn die
Strecke ist schön. Der Weg führt vorbei an riesigen abgerundeten Felsen, die hoffentlich nicht gerade jetzt
talabwärts poltern. Die Wirkung der Landschaft auf 1.400 Metern wird durch die üppige Ginsterblüte verstärkt. Natürlich kann man auf solch einer Höhe nicht den lieblichen Duft einer Landschaft mit Lavendel oder Rosmarin wie in
der Provence erwarten. Ginster entwickelt sich gerne auf armen und gut
drainierten tiefen Böden und liefern häufig in der obersten Bodenschicht einen milden Humus. Dafür darf man sich aber auf dem Pass nach Gouveia so frei wie in Norwegen fühlen; hier wie dort sieht man nur alle 30 Minuten ein Auto. Der Fahrtwind kühlt bei der Abfahrt. Es war gut, eine lange Hose einzupacken. Der Körper zittert leicht vor Kälte. Erst ab Mittag wird es im Mai wärmer, der ideale Monat für Radtouren in Zentralportugal.
Die Serpentinen der Serra da Estrela sind hervorragend zum Biken ausgebaut. Bis
Gouveia gibt es keine gefährlichen Kurven, die das Rad aus der Bahn werfen könnten; in jedem Fall sollte man abwärts auf unbekannter Piste vorsichtig fahren.Auch hier ist die Straße zwar breit, der Asphalt aer nicht unbedingt glatt; das Rad holpert, weshalb es
sich oft so anfühlt, als hätte man Reifenprobleme. Manchmal gibt es auch Schlaglöcher, die aber für ein ruhig fahrendes Mountainbike unproblematisch sind. Zwar befinden sich
immer wieder Parkbuchten entlang der Straße, leider bestehen viele Ruhesitze aber aus Beton, was im Sommer sicher angenehm
kühlt, im Mai aber zu kalt ist. Insgesamt bietet sich seitlich immer genug Platz,
so dass man sich relativ sicher fühlt. Viele Aussichtspunkte und breite Seitenstreifen machen die Tour angenehm.
Der Blick in die Landschaft reicht in der ersten Stunde sehr weit, ist aber bei
weitem nicht so schön wie später von Seia oder São Romão aus, weil man die im Tal liegenden Dörfer nur in einem Dunstschleier liegen sieht. Die grandiose Bergkulisse wird
hier so nah an der Straße noch nicht wirklich wahrnehmbar. Immer wieder finden sich auch Hinweise auf
den nahen Jakobsweg wie zum Beispiel der, dass Santiago de Compostela in
Galizien mit gut 300 Kilometern unfassbar nah ist. Auf der gesamten Strecke
nach Gouveia gibt es nur kleine Siedlungen und einige verlassene Häuser. Die Landschaft erinnert an die andalusischen Berge, Wiesen werden
unterbrochen von Orangen- und Zitronenhainen, hier aber gibt es nicht die vielfältige Landwirtschaft wie in Spanien. Oft sieht man nur hohe, von Büschen bewachsene, Abhänge. Die Abfahrten erinnern an die Eifel um Adenau und am Nürburgring. Hier wie dort wird auf Schildern dazu geraten, angesichts eines Gefälles von acht Prozent kräftig auf die Bremse zu treten. Es sieht auf dem ersten Blick verführerisch leicht aus; doch welch enorme Abfahrt hinter einem liegt, ist beim
Blick zurück zu erkennen. Hier fahren die Motorradfahrer schneller und lauter als in der
Eifel. Selbst mit Gepäck ist die Eifel insgesamt aber wesentlich anstrengender, weil dort die Straßen schmaler und kurviger sind, und weil es stärkere Anstiege und Gefälle wie zum Beispiel auf dem Markusberg bei Trier oder im Sauerbachtal Richtung
Ahrweiler gibt. Daher vielleicht stehen im portugiesischen Gebirge keine Kreuze
oder Totenköpfe am Straßenrand. Entweder fehlt hier die Tradition, oder es passiert weit weniger, schon
weil es hier weniger Verkehr gibt und die Einheimischen sich streng an
Verkehrsregeln halten. Sie kennen die Verhältnisse genau. Denn zu jeder Zeit könnten Schafe die Straße queren.
Empfehlenswert ist besonders der weitgehend unbenutzte lokale Zuweg nach
Gouveia. Im Ort kommen Jugendliche gerade aus der Schule. Einer ruft „Very good!“ Auf einem Platz im Zentrum läuft eine lächelnde Frau in Motorradkleidung. Sie hat sicher die von außen bunt gekachelte Kirche fotografiert, denn die Kamera hält sie noch in der Hand. Diese aus dem Orient stammende Verzierung findet man in
Portugal häufig. Ein Schild weist zu einem Museum; doch am ersten Tag spürt der Reisende mehr Drang, sich zu bewegen. Vielleicht bietet das gerade einmal
15 Kilometer entfernte Folgosinho mehr. Die Menschen schauen dem exotischen
Radler verwundert nach, doch bietet sich ihnen wenigstens etwas Abwechslung im
Alltag. Es wird wärmer, sobald Nabais erreicht ist, Zeit, sich eine kurze Hose anzuziehen. Doch
bellt dabei ein schrecklicher Hund zehn Minuten lang. Niemand kommt, ihn zu
beruhigen. Sein Herr arbeitet derweil ungerührt auf der Rückseite des Hauses im Garten. Bis aufs unauffällige Dorf Melo folgen keine Orte mehr, eine fast leblose graue Gegend.
Vor Folgosinho erheben sich von Einzelbäumen bewachsene Hänge. Man sieht terrassenartig angelegte Gärten, schmale Bäche und sehr viel gelb blühenden Spanischen Ginster. Ein Schild macht darauf aufmerksam, dass hier gejagt
wird. Überraschend taucht ein älteres Paar mit Wanderstöcken auf. Die Frau hört das Einrasten der Schuhe in die XT-Pedalen. Sie winkt freundlich zurück. Ein Jeep kommt den Weg herunter. Auf der Ladefläche sitzen junge Soldaten und winken ebenfalls. Dann tauchen schon die ersten Häuser von Folgosinho auf. Auf einem Schild ist zu erkennen, dass das Restaurant O
Albertino zum Imbiss einlädt. Es erfreut das Auge, dass hier wenigstens renoviert wird. Zuvor waren
etliche verfallene Häuser zu sehen. Auf dem Dach eines Hauses sind gerade Dachdecker beschäftigt. Offenbar bringen die Soldaten Devisen, so dass es sich lohnt, die aus
grauem Granit errichteten Häuser wiederherzurichten. Eine oberhalb des Zentrums liegende mittelalterliche
Burg ist noch erhalten; auf deren Zuweg laufen einige Soldaten. In der
schlichten Ortskapelle sind keine Kunstschätze zu erwarten. Beim Betreten des Restaurants erfasst den Radler wieder das
Mittelmeergefühl angesichts Karten spielender Männer. Bald bildet sich hinter ihnen sogar eine Reihe Zuschauer. Auch ein Mann in
einem farbig beklecksten Overall schaut herein. Er scheint der einzige zu sein,
der arbeitet. Daher bleibt er auch nur kurz. Für 5,60 Euro bringt eine Kellnerin eine Platte mit weichem sahnigen Gebirgskäse (Queijo Serra); dazu gibt es geräucherte Paprikawurst (chouriço), knusprig gebratene Bauernwurst (salpicão) und viel Brot (pão). Portugiesische Küche ist nicht der spanischen gleichzusetzen. Gewürze und Kräuter werden reichlicher aufgetischt. Schon der Anblick ist appettitanregtend.
Schafe sorgen für Delikatessen
Entspannt geht es abends aufwärts nach Gouveia. Am meisten erfreut es, dass der Weg nicht über die Schnellstraße führt. Da das Navigationsgerät versagt, muss eine vor ihrem Haus fegende Frau Auskunft erteilen, wo es zur
Quinta „Casas da Lapa“ in Madre de Água geht. Ihr Ehemann verlässt seinen Laden und erklärt den Weg geduldig vier Mal: erst zur Brücke am schmalen Rio Torto, dann am Kloster San Francisco vorbei. Viele Mauern
aus Feldstein säumen den Weg zur ersten Übernachtungsstätte. Grillen zirpen, Hunde bellen, Schafe blöken auf Weiden zwischen alten Bäumen am Rande der Weinfelder. Der sanft abfallende Weg zur Quinta mit Hotel und
Restaurant ist allerdings etwas zerfurcht. Um nicht aus der Spur zu geraten,
muss der Radler den Lenker umklammern.
Vanessa steht am Empfang des Hotels, grüßt freundlich und wundert sich, wie frisch der Radfahrer hier eintrifft. Auf die
Mauern angesprochen, erwidert sie, dass diese gerade restauriert worden seien.
Den Weg habe man aber noch nicht in Angriff nehmen können. Das Fahrrad findet Platz im Keller. Die Taschen trägt der Reisende selbst. Vanessa nimmt das Garmin und lacht über das leichte Gepäck. Das zugewiesene Zimmer erweist sich als Standard; immerhin gibt es einen
Balkon. Beim Abendessen erzählt sie, dass sie aus Aveiro an der Küste stamme und Tourismus studiere. Im Restaurant speist noch ein anderer Gast.
Lammrippen stehen auf der Speisekarte. Das Fleisch lässt sich sehr gut vom Knochen lösen. Dazu serviert Vanessa Kartoffelknödel und bissfesten mit Thymian garnierten Wirsing.
Beim Frühstück liegt der Requeijão genannte weiße Frischkäse auf dem Buffet. Er ist sehr leicht und gleicht dem bekannten Hüttenkäse, ist allerdings nicht so krümelig wie dieser. Geschmacklich wirkt er milder als Hirtenkäse. Ihm fehlt dessen Schärfe. Beim traditionellen Herstellungsverfahren erhielt man durch das Erhitzen
der Molke bis zum Siedepunkt und erfolgter Abkühlung eine Flüssigkeit mit kleinen weißen Flocken. Diese wurden durch kleine Körbe aus feiner Kastaniengerte gefiltert. Heute werden sie durch hygienischeres
Material ersetzt. Einmal abgegossen, bildet die weiße dickflüssige Masse den Frischkäse. Er ist ein Lebensmittel mit hohem Nährwert. Ihm werden sogar therapeutische Kräfte zugesprochen. Ein anderer regionaler Käse ist Queijo curado, genauso ein Hartkäse wie Gouda. Geschmacklich ist er aber intensiver als dieser. Gewonnen wird er
durch langsames Ausgießen geronnener Schafsmilch.
Auf diese Käsesorten angesprochen, berichtet Vanessa von einer interessanten Schafrasse
namens Bordaleira da Serra da Estrela. Das Fell ist weiß, die Augen groß und ausdrucksstark; die Hörner sind spiralförmig. Dieses Schaf habe feine, elastische, fettige Wolle und die Molke habe
einen hohen Fettanteil, sagt Vanessa. Nach Angaben der Associação Nacional de Criadores de Ovinos da Serra da Estrela sei es von allen
nationalen Schafrassen das beste Milchschaf. Auf 115.000 Tiere schätzen die Experten den Bestand im Hochgebirge. Einerseits sei es sehr fruchtbar,
zum anderen produziere es durchschnittlich insgesamt bis zu 500 Liter Milch an
220 Tagen im Jahr. Allgemein geben gute Milchschafe in besten Jahren bei vernünftiger Fütterung zwei bis drei Liter täglich. Diese mittelgroße Rasse habe einen zum Maul hin spitz laufenden Kopf. Die Lippen des verhältnismäßig breit geformten Mauls seien wulstig. Ein Weibchen wiege bis zu 55 Kilo, ein Männchen bis zu 100. Die Wolle sei leicht gewellt und fühle sich weich oder leicht rau an.
Von diesen Schafen also stammt der stark würzig schmeckende Käse des Sterngebirges. Woher stammt nun dessen besonderer Geschmack? Ein Extrakt
der Blüte der Distel Cinara cardunculus L, also eine wilde Artischocke, ist des Rätsels Lösung. Sie ist ein typisches, häufig vorkommendes Gewächs des Sterngebirges. Ihr Wirkstoff gilt als stimmungsaufhellend. Mit dem
Aufguss aus dieser Distel wird bei einer Temperatur von zehn bis vierzig Grad
die Sauermilch so gedickt, dass man sie kneten kann; er verleiht dem Käse einen leicht bitteren Geschmack. Das mikrobielle und pflanzliche Lab der
Distel enthält mehr Bitterstoffe als Kälberlab. Es enthält das die Milch spaltende Enzym Gallium. Normalerweise kommen 120 Milliliter
auf 100 Liter Milch. Je höher die Dosis ist, desto prägnanter wird der Geschmack.
Pflanzliche Produkte werden nicht nur in Portugal verwandt, sondern zum Beispiel
auch in Indonesien. Dort gewinnen Produzenten schon seit Jahrhunderten einen
Extrakt aus dem bitteren Saft des Papayastamms, um daraus einen Mozzarella ähnlichen Wasserbüffelkäse herzustellen. Andere Hersteller verwenden stattdessen Zitronensäure. Für italienische Schnitt- und Hartkäse wird manchmal Pastenlab verwendet, das Lipase enthält und dem Käse einen pikanten Geschmack verleiht. Männliche Tiere sind aber bis auf die Zucht für Bauern wertlos, da sie natürlicherweise keine Milch geben; sie dienen zudem höchstens der Erzeugung von Schafsfleisch. Bei Rindern verhält es sich genauso. Um Milch zu geben, müssen Schafe wie Kühe ständig bereit zum Säugen sein, was eine ziemliche Quälerei für sie sein kann. Auch können sie daran erkranken. Da aber nur gesunde und gut genährte Tiere für einen einwandfreien Zustand der Milch in Frage kommen, müssen sie mit Medikamenten versorgt werden. Setzt man allerdings Antibiotika ein,
hemmen diese nicht nur das Wachstum wichtiger Mikroorganismen, sondern kommen
letztlich auch beim Verbraucher an. Ein Umstieg auf Biokäse kann also eine Lösung sein.