Sewastopol im Dezember 1854 - Leo N. Tolstoi - E-Book

Sewastopol im Dezember 1854 E-Book

Leo N. Tolstoi

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Beschreibung

Das große Drama bei Sewastopol erschütterte gewaltig den jungen Dichter-Offizier, zeigte ihm die nackte, abschreckende Häßlichkeit des Krieges und ließ ihn erkennen, wie winzig klein das Leben des Einzelnen ist gegenüber dem Sterben der Massen. Noch viel mehr als im Kaukasus lernte er hier den einfachen, ungebildeten Soldaten kennen und lieben, dessen Tapferkeit und einfache Größe ihn zur Bewunderung hinrissen. Die Liebe und Verehrung für das einfache Volk befestigte sich immer mehr und mehr in seinem Herzen. — In drei ergreifenden Schilderungen, die ihm viel Ruhm eingetragen, beschreibt er dieses lebendige Drama. Es sind: Sewastopol im Dezember 1854; Sewastopol im Mai; Sewastopol im August 1855. Nach der Übergabe Sewastopols wurde Tolstoi vom Kommandeur Kryschanowsky als Kurier nach Petersburg geschickt. Bald darauf legte er das Schwert für immer aus der Hand, um von nun an eine andere Waffe zu führen — die Feder.

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Seitenzahl: 29

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Sewastopol im Dezember 1854

Leo Tolstoi

Inhalt:

Sewastopol im Dezember 1854

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Sewastopol im Dezember 1854, L. Tolstoi

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849646172

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Sewastopol im Dezember 1854

1.

Eben beginnt die Morgenröte den Horizont über dem Sapunberg zu färben; die dunkelblaue Meeresfläche hat bereits das nächtliche Dunkel abgestreift und erwartet den ersten Sonnenstrahl, um in glänzenden Farben zu spielen; von der Bucht her weht es kalt und neblig; es liegt kein Schnee, alles ist schwarz, aber der scharfe Morgenfrost greift das Gesicht an und lässt die Erde unter den Füßen knirschen; nur das entfernte, unaufhörliche, bisweilen von rollenden Schüssen in Sewastopol übertönte Brausen des Meeres unterbricht die Stille des Morgens. Auf den Schiffen ist es still; die achte Stunde schlägt.

Auf der Nordseite beginnt allmählich die Ruhe der Nacht der Tätigkeit des Tages zu weichen: Hier marschiert eine Wachablösung, mit den Gewehren klirrend, vorbei; dort eilt ein Arzt schon ins Lazarett; hier kriecht ein Soldat aus einer Erdhütte, wäscht sich mit eisigem Wasser das sonnenverbrannte Gesicht und betet, nach dem sich rötenden Osten gewendet und sich schnell bekreuzigend, zu Gott; hier schleppt knarrend eine hohe, schwere, mit Kamelen gespannte Madshara (tatarischer Bauernwagen, Anm. des Hgs.) blutige Leichen, mit denen sie fast bis an den Rand beladen ist, auf den Kirchhof ... wir gehen auf den Hafen zu, – hier schlägt uns ein eigentümlicher Geruch von Steinkohle, Feuchtigkeit und Fleisch entgegen; tausend verschiedenartige Gegenstände – Brennholz, Fleisch, Schanzkörbe, Mehl, Eisen usw. – liegen haufenweise am Hafen; Soldaten verschiedener Regimenter, mit Säcken und Gewehren, ohne Säcke und ohne Gewehre, drängen sich hier, rauchen, zanken sich, schleppen Lasten auf den Dampfer, der rauchend an der Landungsbrücke liegt; Privatkähne, voll von allerlei Volk, – von Soldaten, Seeleuten, Kaufleuten, Weibern, – legen an oder stoßen ab.

Nach der Grafskaja, Euer Wohlgeboren, wenn's gefällig ist! bieten uns zwei oder drei verabschiedete Matrosen ihre Dienste an, indem sie in ihren Booten aufstehen.

Wir wählen den, der uns am nächsten ist, schreiten über den halb verfaulten Kadaver eines braunen Pferdes, der hier im Schmutz in der Nähe des Bootes liegt, und gehen ans Steuerruder. Wir stoßen vom Ufer ab. Rings um uns haben wir das schon in der Morgensonne glänzende Meer, vor uns den alten Matrosen, in einem Überrock aus Kamelhaar, und einen blonden Knaben, die unter Schweigen emsig die Ruder führen. Wir sehen die vielen segelfertigen Schiffe, die nah und fern in der Bucht zerstreut sind, die kleinen, schwarzen Punkte der auf dem glänzenden Azur des Meeres sich bewegenden Schaluppen und die auf der anderen Seite der Bucht befindlichen, durch die hellroten Strahlen der Morgensonne gefärbten, schönen und hellen Häuser der Stadt; wir sehen die schaumbespritzte Linie des Molo und der versenkten Schiffe, deren schwarze Mastspitzen hier und da düster aus dem Wasser ragen; unserem Blick begegnet die entfernte feindliche Flotte, die am kristallenen Horizont des Meeres untätig da liegt, endlich sehen wir die durch unsere Ruder in den schäumenden Wellen in die Höhe geworfenen und springenden Tropfen der Salzflut; wir hören den einförmigen Laut von Stimmen, die über das Wasser her zu uns dringen, und die majestätischen Töne der Kanonade, die, wie uns scheint, immer stärker wird in Sewastopol.