Sexueller Kindesmissbrauch und Missbrauchsabbildungen in digitalen Medien -  - E-Book

Sexueller Kindesmissbrauch und Missbrauchsabbildungen in digitalen Medien E-Book

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Beschreibung

Seit Jahren lässt sich ein kontinuierlicher, erheblicher Anstieg von Konsum, Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen in den digitalen Medien verzeichnen. Im Strafgesetzbuch wird diese Deliktform weiterhin als „Kinderpornographie“ bezeichnet. 2021 kam es zu einer maßgeblichen Verschärfung des Sexualstrafrechts in diesem Bereich, die zu einem weiteren Anstieg der Hellfeld-Kriminalität und damit zu einer beträchtlichen Zunahme von Aufgaben in der Begutachtung, dem Risk Assessment und der Therapie führte. Sexueller Kindesmissbrauch in digitalen Medien ist jedoch nicht allein auf Missbrauchsabbildungen begrenzt. So widmet sich das Buch unter anderem auch den Themen Kinderhandel, Erwerb sog. Kindersexpuppen, technische Besonderheiten, Folgen für Betroffene sowie Strukturen und Vernetzungen in der Online-Szene. Das Buch vermittelt aktuell auf breiter Basis die Expertise für Begutachtung, Risk Assessment sowie die Optionen und Methoden für Prävention und Intervention inkl. Hilfsangebote für Täterinnen und Täter und Betroffene.

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Seitenzahl: 565

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Rita Steffes-enn | Nahlah Saimeh | Peer Briken (Hrsg.)

Sexueller Kindesmissbrauch und Missbrauchsabbildungen in digitalen Medien

mit Beiträgen von

M. Allroggen | R. Banse | J. Biedermann | T. von Bodelschwingh | P. Born | T. Brauer | P. Briken | J. Bussweiler | F. Casademont | J.C. Desbuleux | N. Döring | H. Dreßing | C. Ehlert | V. Falck | T. Fetting | F. von Franqué | J. Fuss | A. Gebauer | M. Geiger | M. Gohrbandt | M. Graf | J. Gysi | A. Hill | T. Hösl | J.A. Iffland | H. Jung | M. Joleby | L. Kill | T. Klemm | J. Lätth | V. Märker | A. McMahan | A. May | J. Müller | M. Okulicz-Kozaryna | J.S. Pellowski | N. Puls | T. Quast | C. Rahm | B.U. Reinhardt | M. Rettenberger | B. Riederer | T.-G. Rüdiger | N. Saimeh | C. Schacht | J. Schönborn | A.F. Schmidt | S. Schmidt | A.H. Seiser | R. Steffes-enn | M. Steinebach | G. Strehlow | G. Temme | S. Theel | S. Tozdan | A. Voulgaris | J. Walter | R. Walter | S. Wittmer | C. Witz | V. Würffel

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Das Herausgeberteam

Dr. Rita Steffes-enn, M.A.

Zentrum für Kriminologie & Polizeiforschung (ZKPF)

Kaisersesch

Dr. Nahlah Saimeh

Sachverständigenbüro für Forensische Psychiatrie

Düsseldorf

c/o The Wellem

Düsseldorf

Prof. Dr. Peer Briken

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie

Hamburg

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Unterbaumstr. 4

10117 Berlin

www.mwv-berlin.de

ISBN 978-3-95466-748-2 (eBook: PDF)

ISBN 978-3-95466-749-9 (eBook: ePub)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2024

Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Im vorliegenden Werk wird zur allgemeinen Bezeichnung von Personen nur die männliche Form verwendet, gemeint sind immer alle Geschlechter, sofern nicht gesondert angegeben. Sofern Beitragende in ihren Texten gendergerechte Formulierungen wünschen, übernehmen wir diese in den entsprechenden Beiträgen oder Werken.

Die Verfassenden haben große Mühe darauf verwandt, die fachlichen Inhalte auf den Stand der Wissenschaft bei Drucklegung zu bringen. Dennoch sind Irrtümer oder Druckfehler nie auszuschließen. Der Verlag kann insbesondere bei medizinischen Beiträgen keine Gewähr übernehmen für Empfehlungen zum diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen oder für Dosierungsanweisungen, Applikationsformen oder ähnliches. Derartige Angaben müssen vom Leser im Einzelfall anhand der Produktinformation der jeweiligen Hersteller und anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Eventuelle Errata zum Download finden Sie jederzeit aktuell auf der Verlags-Website

Produkt-/Projektmanagement: Meike Daumen, Berlin

Copy-Editing: Monika Laut-Zimmermann, Berlin

Layout & Satz: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin

Coverbild: Adobe Stock/AI

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Zuschriften und Kritik an:

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]

Vorwort

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

im Jahr 2021 wurde die Nutzung von sogenannter Kinderpornographie in Deutschland als Verbrechen eingestuft. Im gleichen Jahr stieg in diesem Zusammenhang laut Kriminalstatistik 2021 die Hellfeld-Kriminalität in Bezug auf dieses Delikt um 108,8 Prozent. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg von rund 17.800 Personen im Jahr 2020 auf über 36.400 Personen allein im Jahr 2022. Dabei stellen mittlerweile etwa 50 Prozent aller Tatverdächtigen Personen unter 21 Jahren dar. Aufgrund der fehlenden Vorratsdatenspeicherung ist die US-amerikanische Meldestelle National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) die zentrale Meldestelle für die Ermittlungsbehörden in Deutschland. Laut NCMEC-Report wurden in Deutschland im Jahr 2022 138.139 Meldungen registriert. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes lag den Meldungen in rund 90.000 Fällen inkriminiertes Material zugrunde, wobei auch aufgrund der weltweiten digitalen Vernetzung und der Möglichkeiten zur technischen Absicherung von einem deutlich höheren Dunkelfeld ausgegangen wird.

Die dargelegten Entwicklungen verlangen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Phänomen sowohl seitens aller präventiv tätigen Institutionen, der Ermittlungsbehörden als auch der Sachverständigen und Therapeut:innen.

Mit diesem Buch möchten wir allen mit dem Themenspektrum befassten professionellen Akteur:innen aus Ermittlungsbehörden und Justiz, Kriminologie, Forensischer Psychiatrie, Psychologie und Sexualwissenschaft sowie Kinder- und Jugendhilfe und Sozialer Arbeit im Kontext von Intervention und Prävention eine fachliche Handreichung vorlegen.

Unser Dank gilt daher besonders allen hier versammelten Autor:innen, die eine ausgewiesene Expertise auf diesem Gebiet aufweisen und dieses Fachbuch mit ihren Beiträgen als Spiegel des gegenwärtigen Standes von Wissenschaft und Praxis ermöglicht haben.

Dr. Rita Steffes-enn, Dr. Nahlah Saimeh und Prof. Dr. Peer Briken

im November 2023

Inhalt

IEinführung

1Das Kind im BildNahlah Saimeh

250 Jahre Bekämpfung der Kinderpornographie – Eine kritische BestandsaufnahmeJulia Bussweiler und Andreas May

3„Auf einmal waren die Dateien auf meinem Rechner …“ – Technische (Un-)Möglichkeiten – Zum Nutzen IT-forensischer AuswertungenAndrea Gebauer und Julia Walter

4Prävalenzen der Nutzung von Medien mit sexueller Gewalt an Kindern – Vergleich von Hellfelddaten und Dunkelfelddaten mit dem Schwerpunkt DeutschlandJan S. Pellowski, Fritjof von Franqué, Stefanie Schmidt und Peer Briken

5Ein theoretisches Rahmenmodell zur Erklärung der Nutzung von Medien sexueller Gewalt an KindernStefanie Schmidt, Jan S. Pellowski, Fritjof von Franqué und Peer Briken

6Kindesmissbrauchsabbildungen – Die BetroffenenJan Gysi

EXKURS:30 Jahre Dunkelziffer e.V. 1993–2023Vera Falck, Manuela Gohrbandt, Gitta Strehlow, Naemi Puls und Heidemarie Jung

EXKURS:Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch von N.I.N.A. e.V.Tanja von Bodelschwingh

7Fachkräfte als BetroffeneSteffen Theel, Rita Steffes-enn und Bettina Riederer

IIDiagnose und Prognose

1Besonderheiten in der Begutachtung von Nutzern von MissbrauchsabbildungenNahlah Saimeh

2Kriminalprognostische Einschätzungen bei Fällen des Konsums pädosexueller MissbrauchsabbildungenAlexander H. Seiser und Martin Rettenberger

3Systematische Erfassung von Missbrauchsabbildungen im Kontext von Prognostik, Diagnostik und TherapiePetra Born und Barbara U. Reinhardt

4Wirkung von Pornographie und Kinderpornographie auf sexuelles VerhaltenAndreas Hill

5Eine Integrative Typologie von Online-Sexualstraftätern mit kindlichen OpfernMalgorzata Okulicz-Kozaryn, Laura Kill, Alexander F. Schmidt und Rainer Banse

6Die Bedeutung von Antisozialität und Psychopathie für die kriminalpsychologische Beurteilung des Konsums von MissbrauchsabbildungenMartin Rettenberger

7Bandenmäßige versus gewerbsmäßige Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie aus polizeilicher SichtThomas Quast und Jan Schönborn

8Kinderpornographie im Kontext der bandenkriminellen Vereinigung ElysiumBarbara U. Reinhardt und Petra Born

IIIAusgewählte Phänomene

1Online-Entwicklungspfade „pädosexueller Überzeugungstäter“Rita Steffes-enn

2Webcam-Kinderprostitution unter der Prämisse von modernem KinderhandelBettina Riederer

3Katholische Kleriker als KonsumentenHarald Dreßing

4Kindersexpuppen – Ethische, rechtliche und empirische BefundeJeanne C. Desbuleux und Johannes Fuss

5Die Rolle von Frauen im Kontext von Herstellung, Verbreitung und Konsum von MissbrauchsabbildungenSafiye Tozdan

6Kinder und Jugendliche als Produzenten und Verbreiter strafrechtlich relevanter kinderpornographischer DateienMarc Allroggen

7Hands-On und Hands-Off sexuelle Übergriffe durch Jugendliche – Ein Vergleich anhand von FallbeispielenFabiola Casademont und Viktoria Märker

IVPräventions- und Interventionsansätze

1Einsatz von computergenerierten Missbrauchsabbildungen zur Strafverfolgung im DarknetSandra Wittmer und Martin Steinebach

2Die Bedeutung von Medien- und Sexualpädagogik zur Prävention von sexuellem Online-MissbrauchNicola Döring und Christina Witz

3Phänomenologie und Präventionsansätze bei digitalen Sexualdelikten durch minderjährige TatverdächtigeThomas-Gabriel Rüdiger, Jürgen Biedermann und Cindy Ehlert

4Vernetzungsgefahren von Tätern sowie Möglichkeiten des Konsums von Missbrauchsabbildungen im Strafvollzug – Ein Blick hinter die MauernJana Müller

5Die besonderen Bedarfe von Onlinetätern und Konsumenten von dokumentiertem Missbrauch und Kinderpornographie in der BewährungshilfeTobias Brauer, Thomas Fetting und Viola Würffel

6Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Missbrauchsabbildungen und den Grundbedürfnissen des Good Lives ModelsFritjof von Franqué und Rita Steffes-enn

7Interventionen im justiziellen ZwangskontextRita Steffes-enn, Steffen Theel und Michael Geiger

8Psychoanalytisches Arbeiten mit Konsumenten von MissbrauchsabbildungenChristian Schacht

9Selbstkontrolltraining mit Konsumenten von MissbrauchsabbildungenTorsten Klemm

10Behandlung von Konsumenten von Missbrauchsabbildungen von Kindern in der SchweizMarc Graf

11Das Netzwerk „Kein Täter werden“Fritjof von Franqué, Stefanie Schmidt, Jan S. Pellowski und Peer Briken

12Sexualtherapie von Jugendlichen mit pädosexuellen Interessen im DunkelfeldViktoria Märker und Fabiola Casademont

13Mediengestützte Interventionsangebote bei pädophiler PräferenzAlexander Voulgaris, Jan S. Pellowski und Peer Briken

14Prevent it – Ein Therapieangebot im DarknetAllison McMahan, Johanna Lätth, Christoffer Rahm und Malin Joleby

15Kindeswohlgefährdung in Fällen des Besitzes von MissbrauchsabbildungenJudith A. Iffland

16Restorative Justice – Pädophilie als gesellschaftliches FaktumGaby Temme

17Presseberichterstattung über sexuellen Online-Missbrauch – Chancen und Risiken für die PräventionNicola Döring und Roberto Walter

GlossarRita Steffes-enn und Thomas Hösl

I

Einführung

1Das Kind im BildNahlah Saimeh

1.1Das nackte und das bekleidete Kind in der Kunst

Abbildungen von sexuellen Handlungen mit Kindern gab es bereits in der Antike (O’Donnell u. Milner 2007). In der abendländischen Kunstgeschichte begegnet man mit der zentralen Bedeutung des Christus-Knaben für die Bildtradition der primär kirchlichen Auftraggeber gleichermaßen entblößten und bekleideten kindlichen Figuren. Das Christus-Kind z.B. in dem Gemälde der Anna Selbdritt von Leonardo da Vinci (1452–1519), bei dem der Knabe mit einem Lämmchen (als Hinweis auf die Verbindung zu Gott) spielt, ist nackt und die kindliche Nacktheit symbolisiert hier „Unschuld“. Andere Gemälde zeigen den Knaben als Kleinkind mit einem jeglichem Zeitbezug ernst enthobenen Gesicht mit Weltkugel, die Scham mit einem wehenden roten Tuch bedeckt (vgl. Anthonis van Dyk [1599–1641]).

Bis zur Renaissance sind Kinder Miniaturversionen der Erwachsenen. Erst in der Frührenaissance entwickelt sich ein eigenständiger Begriff von Kindheit. Deutlich drastischer und für unseren heutigen Blick schamloser geht die Niederländische Malerei des Barock mit Kindern um. So zeigt J. Jordaens (1593–1678) auf seinem „Bohnenfest“ ein Trinkgelage, bei dem eine Mutter ihrem Sohn, der dem Betrachter das entblößte Gesäß entgegenstreckt, den Hintern abwischt, während sich ein Betrunkener am linken Bildrand übergibt. Pieter Brueghel d.Ä. (um 1525/30–1569) zeigt in seinen „Kinderspielen“ (1560) das Kind in zeitgenössischer Bekleidung beim Spiel, wenngleich damals eine Trennung von Erwachsenen-Vergnügungen und Kinderspielen nicht existierte. Durch das Fehlen eines sozialpsychologischen und entwicklungspsychologischen Kindheitsbegriff waren Kinder in sexualisierte Vergnügungen von Erwachsenen einbezogen (Ariès 1975, S. 178/179). Im 16. Jahrhundert kommt aber auch die Idee auf das Kind vor der Erwachsenen-Sexualität zu schützen. So rieten Kirchenfürsten, Kinder nicht allzu lang den Kammerdienern zu überlassen (Ariès 1975, S. 196).

Portraitiert wurden ohnehin sonst nur Kinder des Hochadels, dann in staatstragender Pose mit erwachsenem Blick, wie z.B. die Portraits der Familie Medici von Filippo Lippi (1406–1469) oder von Bronzino (1503–1572) zeigen (vgl. auch Paetz gen Schieck u. Bergemann 2015).

Die Entdeckung der Kindheit als einer eigenständigen Lebens- und Entwicklungsphase mit besonderen Anforderungen an Pädagogik, Erziehung und Schutz beginnt im Rokoko und formiert sich im Biedermeier des frühen 19. Jahrhunderts. Das politisch und sozioökonomisch erstarkende Bürgertum entdeckt nun die Kinder-Portraits auch für sich, wie z.B. die „Hülsenbeckschen Kinder“ von Philipp Otto Runge (1777–1810) drei Kinder im Vor-und Grundschulalter in zeitgemäßer Bekleidung und selbstbewusster Ernsthaftigkeit zeigen.

Dass sich Bildrezeptionen über Jahrhunderte hinweg immer wieder ändern und Bilder in verändertem Kontext für Irritation sorgen, zeigt der neue Diskurs um die Gemälde von Balthus (1908–2001). Seine Bilder zeigen oftmals Mädchen im Pubertätsstadium Tanner III und IV ohne jegliches pornographische Motiv, aber die Szenerien deuten ein sexuelles „coming of age“ an (vgl. „Thèrese träumend“ 1938). Das Museum Folkwang sagte gar aus Angst vor einer Intervention des Jugendamtes eine Ausstellung mit Fotoarbeiten des verstorbenen Künstlers ab (Ackermann 2014).

Wie widersprüchlich aber die Rezeption des Sexuellen in der figürlichen Kunst sein kann, zeigt die Bronze-Statue „Manneken Pis“ in Brüssel. Die Statue eines urinierenden Knaben in der Hauptstadt der Europäischen Union steht hier nun für „Meinungsfreiheit, Widerstandsgeist und demokratische Werte.“ Nach den Terroranschlägen in Brüssel pinkelte der broncene Jungen in einer Fotomontage auf die Terroristen. Pädo-urophile bzw. sadistisch konnotierte Praktiken werden plötzlich öffentlich salonfähig. Und warum die Mädchen bei Balthus sich nicht mehr vor dem Kamin räkeln dürfen, während der Knabe fortwährend öffentlich urinieren darf, wirft die Frage auf, ob hier geschlechtsspezifische Aspekte den Diskurs verzerren.

Die Brüsseler Skulptur benutzt die Kindlichkeit der Figur als kognitive Exit-Strategie. Das gleichermaßen Aggressive wie Sexuell-Obszöne wird so wegdefiniert. Wäre das „Manneken Pis“ ein erwachsener Mann, stünde sie im Empfangsbereich eines Bordells.

Wie die Malerei, so zeigt auch die Geschichte der Fotografie die Entwicklung vom Elitären zum Allgemeinverfügbaren. Früh kamen erotische Motive auf, wie die männlichen Aktfotos von sizilianischen Knaben im Pubertätsalter in antikisierender Pose eines Wilhelm I.F.A. von Gloeden (1856–1931). Das hebephil anmutende Sujet einer weit beachteten Ausstellung in Memmingen rief die Polizei auf den Plan, die aber unverrichteter Dinge wieder wegfuhr (Kratzer u. Deininger 2010).

Dass Kunstschaffen vor Sexualdelinquenz nicht zwingend schützt, zeigt die Verurteilung des Fotografen Jock Sturges (geb. 1947) wegen sexuellen Missbrauchs im Jahr 2021. Sein fotografisches Werk vor allem nackter Mädchen an FKK-Stränden ist weithin bekannt. Nah am Vorwurf des sexualisierenden Blicks bewegte sich der Fotograf Bernhard Prinz (geb. 1953) mit einer Reihe von Knaben-und Jugendlichen-Bildnissen mit nacktem Oberkörper, die die Assoziation von Stricherjungen weckten.

Mehrdeutig bleibt das optische Spiel mit Erotik, Sinnlichkeit und auch Pornographie (Erwachsener) bei einem der teuersten lebenden Künstler der Gegenwart, Jeff Koons. Seine für achtstellige Summen verkauften „Balloon-Dogs“ spielen in ihrer Prallheit mit pornographischer Ästhetik und der Formensprache von Spielzeug.

Der Unterschied zwischen dem Kind in der Kunst und Kindesmissbrauchsabbildungen liegt in der Mehrdeutigkeit und der Reduktion der Intention. Kindesmissbrauchsabbildungen sind bildhafte Dokumente stattgehabter sexueller Übergriffe. Sie transzendieren nichts, sondern verweisen auf induzierbare genitale Lust mit paraphilen Mitteln.

1.2Das Kinderbild in der Familienfotografie und Werbung

Mit der Verbreitung günstiger, leicht bedienbarer Fotoapparate ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Fotografieren zum Massen-Hobby. Neben der Dokumentation eigener Reisetätigkeit als Zeichen des Nachkriegswohlstands galt dem Laien die Aufmerksamkeit im Bild dem eigenen Nachwuchs. Über Generationen hinweg wurden Babys und Kleinkinder ohne irgendeinen Diskurs über deren Anspruch auf Wahrung von Schamgrenzen nackt in der Wanne oder auf Felldecken abgelichtet und damit ihre intime Körperlichkeit eines Entscheidungsunfähigen dem Betrachter unkritisch feilgeboten. Die Idee, dass Eltern die Verantwortung dafür haben könnten, die Schamgrenzen ihrer Säuglinge und Kleinstkinder stellvertretend für diese zu schützen, sorgt auch heute noch für hitzige Debatten, da damit der voreilig unterstellte Vorwurf der Pädophilie zugleich jeden Diskurs beendet.

Erst mit der UN-Kinderrechtekonvention (Convention oft he Rights oft he Child, CRC) von 20.11.1989 (in Kraft seit 02.09.1990) wurde mit Artikel 34 auch der Schutz vor sexuellem Missbrauch anerkannt und auf eine präventive Pädagogik hingewirkt, die Kindern frühzeitig ein Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper vermitteln soll.

Zugleich spielen Kinder in der Werbewirtschaft eine große Rolle. Sie haben bislang einen festen Platz in der Vermarktung von Süßwaren, Windeln, Baby-Brei und sogar technischen Geräten, weil mittels Kindchenschema ein Produkt-assoziierter Wohlfühleffekt erzeugt werden soll.

Proteste gegen weibliche Aktmodelle zum Vertrieb von Autoreifen gibt es seit dem Erstarken der Frauenbewegung, Prostete gegen Kleinkinder, die für flauschige Badematten werben, nicht.

1.2.1Das (sexualisierte) Kind in der Werbung und der Balenciaga Skandal

Die Modeindustrie umgarnt Kinder sehr früh, um sie zu Marken-Afficionados zu machen und produziert ihre eigenen Skandale. Im Herbst 2022 fand in Paris die alljährliche Fashion Week statt, auf der Modehaus Balenciaga seine Models mit Plüschteddys über den run way laufen ließ, die mit Stil-Accessoires aus der Punk- bzw. BDSM-Szene ausgestattet waren. Zum internationalen Shitstorm geriet das Spiel, das bewusst Ikonen der Niedlichkeit mit rauer Underground-Ästhetik kombinierte, als für die im November 2022 publizierte Fotostrecke Kinder mit dem Plüsch-Spielzeug mit sexueller Anspielung posierten. Eines der Fotos zeigte „beiläufig“ einen Zeitungsartikel zu einem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zum Thema Kinderpornographie. Was das Bild dem Betrachter wirklich sagen wollte, blieb unklar. Zugleich liegen Entschädigungssummen für reale Missbrauchsopfer in den USA im siebenstelligen Bereich (Bayer 2022; Griese 2022; wit/AP 2014).

Linke et al. (2017) untersuchten die Ästhetik animierter menschlicher Körper im deutschen Kinderfernsehen anhand der Waist-to-Hip-Ratio (bei weiblichen Figuren) und der Waist-to-Shouler-Ratio (bei männlichen Figuren) anhand von 327 Charakteren aus internationalen Kinderfernseh-Produktionen. Ihre Untersuchung zeigte, dass Kinder in Bezug auf weibliche Figuren überwiegend mit sexualisierten Körpern mit völlig unnatürlicher Wespentaillen-Ästhetik angesprochen wurden. Männliche Figuren hingegen zeigten eher realistische Körper mit einer nicht taillierten Körpermitte. Die Bandbreite männlicher Figuren reicht von übergewichtigen bis zu schlanken bzw. hyperathletischen Figuren. Wurden bei weiblichen Figuren in 50% der Fälle unnatürliche Silhouetten verwendet, wurden nur 6% der männlichen Erzählfiguren mit einer auf natürlichem Wege nicht erreichbaren Figur abgebildet.

Einer Untersuchung an 5.700 Kleidungsstücken für Mädchen unter zwölf Jahren von führenden US-Kindermodenherstellern erbrachte, dass 69% der Kleidungsstücke vom Design her rein kindlich waren, 25% allerdings sowohl kindliche als auch sexualisierende Inhalte kombinierten (z.B. rosa farbener Leoparden-Minirock) und 4% sogar explizite sexualisierende Merkmale benutzten wie z.B. Brust-Attrappen (Pressetext 2011).

Regelmäßig werden auch YouTube-Videos sekundär mit pädosexuellen Kommentaren versehen, sodass große Konzerne wie Nestlé oder Disney ihre Marketing-Strategien auf YouTube einschränken (Lewanczik 2019).

Zur Frage, welche Bilder Posing-Qualität haben und welche nicht, ist die COPINE Skala von Taylor et al. 2001 die Etablierteste (deutsche Übersetzung von Meier u. Hüneke 2011; Franke u. Graf 2016).

Jutta Croll (2014) arbeitet konkrete Kriterien heraus, nach denen die Bilder analysiert werden:

Gesichtsausdruck,

Make-up/Frisur,

Körperhaltung, Kleidung,

Kameraperspektive und

Accessoires.

Das Herausstrecken von Brust und Po, die Betonung der Hüfte und das Nachahmen sexueller Posen zum Geschlechtsverkehr stellen eindeutige Kennzeichen dar. Zum Bekleidungsstil gehört knappe, enganliegende, mit sexuell-erotischen Stilmitteln spielende Kleidung, Lack-und Lederoutfit sowie Sextoys im Bild. Nach diesen Kriterien hatte die Werbekampagne von Balenciaga ganz unzweifelhaft die rote Linie überschritten.

Von Kindesmissbrauchsabbildungen zu unterscheiden sind die „self-nudes“ oder „self-exposures“, die Kinder und Jugendliche von sich für sich machen. Das sich vor dem Spiegel körperlich explorierende und entdeckende Kind ist heute ein Selfie produzierender Smartphone-User.

1.2.2Die Barbie – Spielzeug mit Sex-Appeal

Der Siegeszug der Barbie-Puppe von Matel seit den 50er-Jahren zeigt indes, dass die Spielzeugindustrie seit langem mit sexualisierenden Formen arbeitet. Die Besonderheit der Barbie liegt in der speziellen Mischung aus Spielzeug und Sex-Appeal für jede denkbare Rolle der Frau. Bei den „Monster-High“-Puppen werden Phantasy-Elemente hinzuaddiert, sie bleiben aber der Attraktivität idealisierter spätadoleszenter Weiblichkeit verbunden. Mit Pornographie hat das nichts zu tun, wohl aber mit der auf Erotik und Sexualität bezogenen Attraktivitätsmustern, die Kindern über ihr identifikatorisches dankbar aufgreifen und sie mit einem sozio-sexuellen Reife-Attribut im Spiel ausstatten, das sie faktisch zum jeweiligen Zeitpunkt noch nicht haben.

1.2.3Das Langzeit-Stillen

Eine sehr kontroverse Debatte dreht sich um die Frage, wie lange das Stillen von Kindern sinnvoll und angezeigt ist. Am 27.05.2015 berichtete SPIEGEL online (2015) von einer Australischen Mutter, die ihre sechs Jahre alte Tochter noch stillt. Auf der Website www.still-lexikon.de findet man Daten, die langjährig stillende Mütter eher als gebildet und gut ausgebildet beschreiben. Demgegenüber stellt sich die Frage, ob diese Praktik nicht letztlich auch die Autonomie-Grenzen des Kindes missachtet. In der Sexualanamnese von Probanden wird regelmäßig gefragt, ab welchem Alter die Eltern nicht mehr die eigene Körperpflege kontrollierten. Es wird deutlich, dass bei der Sensibilität von Kindesmissbrauch und Kindesmissbrauchsabbildungen mitunter mit zweierlei Maß gemessen wird und Frauen als Handelnde deutlich weniger als missbräuchlich handelnd wahrgenommen werden. Nähe-Missbrauch und sexueller Missbrauch liegen hier aber nah beieinander und die Verbreitung von Fotos der Kinder in diesem Zusammenhang lässt schon die Frage aufkommen, wie es mit dem Recht am eigenen Bild des Kindes bestellt ist.

Der Verweis auf sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern in anderen kulturgeschichtlichen Epochen kann hier nicht verfangen, weil die Stellung des Kindes infolge der vielfältigen entwicklungspsychologischen Erkenntnisse eine trennscharfe Positionierung durchaus ermöglicht.

Die Diskussion, ob der Konsum von Kinderpornographie womöglich Hands-On-Delikte verhindert, wird kontrovers geführt, ist aber von dem Faktum, dass den Bildwerken reale Verbrechen zugrunde liegen, nicht loszulösen. Die Diskussion kann also nur ernsthaft geführt werden zu der Frage, ob kinderpornographische Avatare womöglich geeignet wären, Hands-On-Delikte zu verhindern. Die Prognose reiner Bild-Konsumenten wird in verschiedenen Studien als eher günstig angegeben (Franke u. Graf 2016).

Literatur

Ackermann T (2014) Museum sagt schlüpfrige Balthus-Schau ab – na und? URL: https://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article124560763/Museum-sagt-schluepfrige-Balthus-Schau-ab-na-und.html (abgerufen am 08.11.2023)

Ariès P (1975) Geschichte der Kindheit. Vorwort von Hartmut von Hentig. Carl Hanser Verlag München

Bayer C (2022) War der Balenciaga-Skandal am Ende Strategie? Meedia 01.12.2022. URL: https://meedia.de/2022/12/01/war-der-balenciaga-skandal-am-ende-strategie/ (abgerufen am 03.07.2023)

Croll J (2014) Bekämpfung von Grauzonen der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Internet. Combat of the Grey Areas of Child Sexual Exploitation on the Internet. Netzwerk gegen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern, Nov. 2014

Franke I, Graf M (2016) Kinderpornographie. Übersicht und aktuelle Entwicklungen. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 10, 87–97

Griese I (2022) Diese Mode-Kampagne überschreitet eine nicht verhandelbare Grenze. WELT, 03.12.2022. URL: https://www.welt.de/iconist/mode/article242438675/BDSM-Teddys-von-Balenciaga-Der-eine-Skandal-zu-viel.html (abgerufen am 03.07.2023)

Kratzer H, Deininger R (2010) "Es rumort ganz gewaltig in der Provinz". URL: https://www.sueddeutsche.de/bayern/kunst-es-rumort-ganz-gewaltig-in-der-provinz-1.280829 (abgerufen am 08.11.2023)

Lewanczik N (2019) Wegen Sexualisierung von Kindervideos: Nestlé und Disney stoppen YouTube Ads. 21.02.2019. URL: https://onlinemarketing.de/social-media-marketing/sexualisierung-kindervideos-nestle-disney-stoppen-ads-youtube (abgerufen am 03.07.2023)

Linke C, Stüwe J, Eisenbeis S (2017) Überwiegend unnatürlich, sexualisiert und realitätsfern. Eine Studie zu animierten Körpern im Deutschen Kinderfernsehen. Televizion 30/2

Meier BD, Hüneke A (2011) Forschungsberich „Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet“. Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

O’Donell I, Milner C (2007) Child Pornography. Crime, Computers and Society. Routledge London

Patz gen. Schieck A, Bergemann UC (Hrsg) (2015) Das Bild vom Kind im Spiegel seiner Kleidung. Von prähistorischer Zeit bis zur Gegenwart. Schnell und Steiner Regensburg

Pressetext (2011) Mode macht schon Mädchen zu Sexobjekten. Studie: Sexy Kleidung bei Volksschülerinnen weit verbreitet. URL: https://www.pressetext.com/news/20110510026 (abgerufen am 08.11.2023)

SPIEGEL online (2015) Mutter gibt Sechsjähriger noch die Brust. URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/stillen-mutter-in-australien-stillt-sechsjaehrige-a-1035585.html (abgerufen am 08.11.2023)

Still-Lexikon (o.J.) Wer sind diese "langzeitstillenden" Mütter? Bildungsstatus, Erziehungsstil etc. URL: https://www.still-lexikon.de/wer-sind-diese-langzeitstillenden-muetter/ (abgerufen am 08.11.2023)

Taylor M, Holland G, Quayle E (2001) Typologie of Pedophile Picture Collections. Police J. 74–97

wit/AP (2014) Oberster Gerichtshof berät über Entschädigung für Kinderporno-Opfer. URL: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/oberster-us-gerichtshof-beraet-ueber-entschaedigung-fuer-kinderporno-opfer-a-945183.html (abgerufen am 08.11.2023)

250 Jahre Bekämpfung der Kinderpornographie – Eine kritische BestandsaufnahmeJulia Bussweiler und Andreas May

„Gute“ Gesetze müssen „beständig, systematisch, neutral, sachgerecht und bestimmt“ sein (Lepsius 2018). Diese idealtypische Vorstellung von Gesetzgebung ist durch die Realität längst in ernüchternder Weise überholt. Gesetzgebung gilt heute oftmals als methodisch-konzeptionell beschränkt, beliebig, einzelfallorientiert und populistisch (Kubiciel u. Weigend 2019).

Gerade die vielfachen Änderungen des Kinderpornographie-Strafrechts stellen sich kaum noch als Ausprägung eines sich wandelnden Wertesystems oder als eine Reaktion auf neue Tatbegehungsformen infolge des rasanten Technikwandels dar. Sie wirken vielmehr als Versuch des Gesetzgebers, das strafrechtliche Sanktionensystem vornehmlich aktuellen Strömungen und Einstellungen in der Bevölkerung anzupassen. Dieser Prozess wird häufig befeuert durch die Thematisierung des jeweiligen Problempunktes in den Massenmedien, ohne dass eine ausreichende Überprüfung des kriminalpolitischen Handlungsbedarfs anhand empirischer kriminologischer Erkenntnisse erfolgt. Das Thema Kinderpornographie ist zudem ein beliebtes Aktionsfeld für Regulierungsbestrebungen der EU und des Europarates (Hörnle 2021). Ein Gesetzgeber, der auf derart unterschiedliche Impulse reagiert, weil er nach den Regeln des internationalen Rechts bzw. den Geboten der politischen Klugheit auf diese reagieren muss, kann jedoch kaum systematisch arbeiten (Kubiciel u. Weigend 2019). Und so ist es sicher nicht unzutreffend, wenn der frühere Vorsitzende des zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof Fischer die aktuelle Gesetzeslage im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung als Regelungen bezeichnet, die einen Grad an Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit erreicht haben, der ihr Verständnis durch einen Laien praktisch ausschließe (Fischer 2023). Dies gilt in besonderem Maße für das Verbot kinderpornographischer Inhalte, das – geprägt durch neue Tatbegehungsweisen und steigende Fallzahlen, aber auch durch ein erweitertes Bewusstsein für die damit verbundenen Schutzzwecke – eine stetige Erweiterung und Strafverschärfung erfahren hat.

2.1Ein Blick (ganz weit) zurück …

Mit dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23.11.1973 (Bundesministerium der Justiz. kurz: BMJ 1973) schuf der Gesetzgeber erstmals einen eigenständigen Tatbestand (§ 184 Abs. 3 StGB) für als besonders gefährlich oder anstößig geltende pornographische Produkte, der für deren Verbreitung, das öffentliche Zugänglichmachen sowie das Herstellen kinder- (und gewalt-)pornographischer Schriften eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsah.

Heute kaum nachvollziehbar spielte der Schutz der Kinder, als „Darsteller“ von pornographischem Material für dessen Erstellung missbraucht zu werden, in den gesetzgeberischen Überlegungen offensichtlich ebenso wenig eine Rolle wie die heutige Bewertung, dass auch die Nachfragenden am Markt ein gewisses Maß an Verantwortung für zukünftige Missbrauchstaten tragen (Hörnle 2021). Vielmehr wies die Gesetzesbegründung darauf hin, dass durch Wegwerfen oder unsorgsame Aufbewahrung Personen Zugang zu dem pornographischen Material erlangen könnten, die dies sexuell erregen und somit zu Taten motiviert werden würden oder junge Menschen, die dadurch in ihrer psychosozialen Entwicklung beeinträchtigt werden könnten (Bundestag, kurz: BT 1970).

Durch diesen verengten Blick nur auf die Wirkungen der Pornographie auf den Betrachter wurden die Opfer, die Angriffe auf deren körperliche Unversehrtheit und sexuelle Entwicklung, nahezu vollkommen ausgeblendet (Schroeder 1993). Die darauffolgenden 20 Jahre sind schnell erzählt: Es änderte sich nichts.

Erst als der Stern-Journalist Meyer-Andersen im Jahr 1989 nach intensiven Recherchen in der pädophilen Szene eine Serie mit dem Titel „Kinderschänder“ veröffentlichte, die auch die Vertriebswege und das produzierte Video- und Bildmaterial zeigte bzw. beschrieb, gerieten die Tatopfer in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit.

Wie schwer sich der Gesetzgeber damit tat, die Strafbarkeit des Besitzes, der Sich-Besitz- und Drittbesitz-Verschaffung zu begründen, ist den Gesetzgebungsmaterialien des 27. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 23.07.1993 zu entnehmen (BT 1992). Dort findet sich zur Frage der Besitzstrafbarkeit u.a. die Begründung, „kinderpornographische Aufnahmen könn(t)en des Weiteren auch eingesetzt werden, um die beteiligten Kinder zu erpressen oder die Hemmungen anderer Kinder für sexuelles Mittun zu senken“. Auch die Umsetzung der dringend notwendigen Reformen erst vier Jahre nach der Stern-Reportage zeugt nicht gerade von gesetzgeberischer Übereile.

Nach mehreren moderaten Erweiterungen folgte die nächste umfangreichere Reform erst im Jahr 2003 (BMJ 2003) als Folge zunehmender Internetnutzung in Deutschland seit Mitte der 90er-Jahre und damit verbunden einer völlig neuen Dimension und Qualität der Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Im Jahr 2002 wurden mit den Operationen „Artus“, „Twins“ und „Pecunia“ beim BKA drei Umfangsverfahren geführt, die eine große mediale Aufmerksamkeit erfuhren. Allein das Verfahren „Pecunia“, welches die kommerzielle Verbreitung zum Gegenstand hatte, richtete sich gegen 1.400 Beschuldigte, bei denen ca. 50.000 Datenträger und 25.000 Videos sichergestellt wurden (Wilkens 2002). Die Kinderpornographie-Straftaten wurden nun zwar in einem eigenständigen Tatbestand (§ 184b StGB) zusammengefasst. Die grundlegende Abspaltung von der Tier- und Gewaltpornographie führte jedoch keineswegs dazu, dass eine grundsätzliche Novellierung der Definition des Begriffs „kinderpornographische Schriften“ oder der Tathandlungen in Angriff genommen wurde. Vielmehr begnügte sich der Gesetzgeber aufgrund der gemachten Erfahrungen mit (kleineren), geschlossenen Chatgruppen, in denen kinderpornographisches Material getauscht wurde11, damit, den Strafrahmen der Drittbesitzverschaffung dem der Verbreitung anzugleichen. Überdies wurde die Höchststrafe für Besitz und Besitzverschaffung moderat von einem auf zwei Jahre erhöht.

Mit dem am 05.11.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der EU vom 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (BMJ 2008) – und damit zeitlich weit nach der vorgeschriebenen Umsetzungsfrist – entkoppelte der Gesetzgeber die Definition der „kinderpornographischen Schrift“ von dem Verweis auf die Vorschrift des sexuellen Missbrauchs von Kindern in § 176 StGB. Die Neufassung „sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern“ diente einerseits der sprachlichen Vereinfachung (BT 2006), andererseits aber auch der Schließung von Strafbarkeitslücken, die immer wieder dadurch entstanden waren, dass durch neue Tatbegehungsweisen der Straftatbestand des § 176 StGB nicht erfüllt und damit die hieraus entstandenen Produkte nicht als kinderpornographisch zu klassifizieren waren. Daneben wurde 2008 erstmals eine Strafvorschrift für jugendpornographische Schriften eingefügt (§ 184c StGB).

2.2Die „Neuzeit“ – Rechtsentwicklung seit 2015

Auch durch das 49. Strafrechtsänderungsgesetz vom 21.01.2015 (BMJ 2015) und eine damit einhergehende endgültige Entkoppelung des Begriffs des „Missbrauchs“ von dem der „Kinderpornographie“ durch Wegfall des missverständlichen Klammerverweises wurde durch ein medienwirksames Ereignis in Gang gesetzt, das letztlich eine größere (gesetzes-)politische als strafrechtliche Dimension entfaltet hat2. Initiiert durch die Ermittlungen kanadischer Strafverfolgungsbehörden, die sichergestellte Kundendaten der mit Nacktaufnahmen Minderjähriger Handel treibenden kanadischen Firma „Azov Films“ an die Strafverfolgungsbehörden weltweit verteilten, wurden das BKA auf 31 Bestellungen des damaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy aufmerksam. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich die Frage nach der Grenze von Kinderpornographie zu nudistischem Präferenzmaterial. Denn die von Edathy bezogenen Filme bewegten sich in einem von tatsächlichen Wertungen abhängigen Grenzbereich zwischen strafrechtlich relevantem und irrelevantem Material. Sie zeigten Kinder in „vermeintlichen“ – also nicht tatsächlich vorliegenden – Alltagssituationen mit selbstzweckhafter Fokussierung auf Geschlechtsteile – ohne erkennbaren Handlungskontext3.

Und so nahm der Gesetzgeber den öffentlichen Aufschrei über das Verhalten eines Mitglieds des BT zum Anlass, die seit Jahren nur unvollständig ins nationale Recht umgesetzten Vorgaben europäischer Übereinkommen und Richtlinien unter anderem durch eine Neudefinition des Begriffs der Kinderpornographie ins nationale Recht zu implementieren. Denn durch die Lanzarote-Konvention aus dem Jahr 2007 (Europarat 2007) und eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 (EU 2011) war längst die Vorgabe aufgestellt worden, dass der Begriff der Kinderpornographie jegliche Darstellung kindlicher Geschlechtsteile zu primär sexuellen Zwecken beinhalten solle, was trotz Ablauf der Umsetzungsfrist bis dato nicht ins nationale Recht implementiert worden war (BT 2014a; BT 2014b).

Und so verwunderte es nicht, dass in höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen gerade diese Schutzlücken schon erkennbar geworden waren. Sowohl der BGH4 als auch das OLG Hamm5 hoben Urteile vorinstanzlicher Gerichte auf, wenn sich aus den darin getroffenen Feststellungen keine eindeutige sexualbezogene Handlung eines Kindes entnehmen ließ, wie dies bei Bildern von im Planschbecken abgelichteten Kindern und Nahaufnahmen kindlicher Genitalien der Fall war. Auch die Frage der Erheblichkeit der abgebildeten (sexuellen) Handlung6 warf immer wieder Probleme auf, insbesondere wenn die kindlichen Geschlechtsteile nicht unbedeckt zur Schau gestellt wurden, sondern ein Posieren in Unterwäsche, Reizwäsche oder Badebekleidung abgebildet wurde7.

Mit der Gesetzesreform von 2015 sollten diese Probleme gelöst werden. Der Terminus der „Handlung“ wich dem der „Haltung“ bzw. deren Wiedergabe und selbst für die Nahaufnahmen des unbekleideten kindlichen Intimbereichs schuf der Gesetzgeber extra eine Ziffer im Tatbestand des § 184b StGB. Es verblieben allerdings weiterhin Auslegungsprobleme bezüglich der neu geschaffenen unbestimmten Rechtsbegriffe (Krause 2016). Denn auch die Formulierung „ganz oder teilweise unbekleidet“ verrät ihrem Wortlaut nach nicht, welches Körperteil oder nach welchem Prozentsatz der kindliche Körper unbedeckt sein muss. Auch die gesetzgeberischen Termini der „unnatürlich geschlechtsbetonten Körperhaltung“ bzw. „sexuell aufreizenden Wiedergabe unbekleideter Genitalien“ lassen einen breiten Interpretationsspielraum offen8. Daran anschließend dauerte es wiederum ein paar Jahre bis dem Gesetzgeber auffiel, dass die Umsetzung der europäischen Vorgaben damit aber noch immer nicht vollständig gelungen war (BT 2020a). Denn offenbar wurde übersehen, dass die Begriffsdefinition „Kind“ auf europäischer Ebene Personen unter 18 Jahren umfasst (Europarat 2007; EU 2011) und damit nach nationalem Recht sowohl Kinder als auch Jugendliche. Heimlich, still und leise fand dahingehend im 60. Strafrechtsänderungsgesetz, das sich seinem Namen nach primär mit der Modernisierung des Schriftenbegriffs befasst hat, eine am 01.01.2021 in Kraft getretene Angleichung der Definition von Kinder- und Jugendpornographie statt (BMJ 2020).

Doch dieses „Reförmchen“ wurde kaum wahrgenommen, schloss sich doch unmittelbar daran der nächste gesetzespolitische Rundumschlag an, dem erneut medienwirksame Ereignisse zugrunde lagen. Anlass der Reformbestrebungen durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021 waren, wie den Gesetzesmaterialien entnommen werden kann, die Missbrauchsfälle von Staufen, Bergisch- Gladbach, Lügde und Münster. Der Gesetzgeber befand diesbezüglich die Abschreckungswirkung, die von der bisherigen Gesetzeslage entfaltet würde, als unzureichend und die in dem Deliktsbereich ausgeurteilten Strafen als zu gering (BT 2020b). Dieser Beurteilung lag aber offenbar das gesetzgeberische Entsetzen über die Ereignisse und nicht die Erhebung empirisch- kriminologischer Forschungsergebnisse zugrunde (Kinzig 2020).

Auf dieser Basis hielt der Gesetzgeber eine Strafrahmenverschärfung für erforderlich, die dazu führte, dass für körperliche Übergriffe, die sich am unteren Rand der Schutzbereichsgrenze befinden eine Mindeststrafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe existiert9, ebenso wie für jeglichen Umgang mit kinderpornographischen Aufnahmen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben10. Bei den für die Gesetzesverschärfung Anlass gebenden medienwirksamen Missbrauchsfällen, bei denen jeweils der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern relevant war, hat der Gesetzgeber den Strafrahmen hingegen unverändert belassen11.

Diese den eigens gesetzten Zielen widersprechende Reform zeigt eindrucksvoll, dass sich das gesetzgeberische Tun vermehrt einer emotional gesteuerten öffentlichen Meinungsbildung unterwirft und damit einhergehende Folgewirkungen nicht zu überblicken vermag. So existiert aktuell die nur schwer zu erklärende Situation, dass pädosexuelle Nutzer einschlägiger Tauschbörsen, in denen Material des schwersten sexuellen Kindesmissbrauchs getauscht wird, sich der gleichen Strafandrohung gegenübersehen, wie Schüler einer Chatgruppe, in der ein kinderpornographisches Meme mit humoristischer Intention einmalig gepostet wird. Denn ob der Täter in pädosexueller Intention gehandelt hat oder aufgrund sog. „digitaler Naivität“ spielt dafür keine Rolle.

In diesem Zusammenhang blieb im Rahmen der Gesetzesdiskussionen der Einwand aus der Praxis ungehört, dass eine Vielzahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) aufgeführten Fälle der Verbreitung von Kinderpornographie auf minderjährige Tatverdächtige zurückzuführen ist, die aufgrund der Allgegenwärtigkeit internetfähiger Endgeräte und der Bedeutung sozialer Medien diese Inhalte ohne pädokriminelle Absicht weiterleiten.

Dies kann der PKS für das Jahr 2022 eindrucksvoll entnommen werden, wonach ca. 41% der Verbreitungs- und Besitzdelikte des § 184b StGB auf kindliche und jugendliche Täter zurückzuführen sind (BKA 2023). Eine vergleichbare Bewertung ist dem Fall eines Münchener Amtsrichters zuzuschreiben, der den von ihm zu entscheidenden Fall dem BVerfG vorgelegt hat. Angeklagt ist die Mutter eines achtjährigen Mädchens, die dessen selbst erstelltes Material aus Empörung an andere Eltern weitergeleitet hat und sich nun der Androhung eines Verbrechens gegenübersieht (Buchholz 2022). Auch der durch den Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzbegründung für die Strafverschärfung ebenfalls angeführte Einwand stetig steigenden Fallzahlen in der PKS (BT 2020b), vermag vor dem Hintergrund des bisher Geschilderten nur wenig zu überzeugen. Denn allein die Darstellung der Gesetzesgeschichte in diesem Beitrag zeigt, dass es aufgrund der zunehmenden Ausweitung strafrechtlich relevanten Verhaltens naturgemäß zu steigenden Fallzahlen kommen muss. Zudem sind Faktoren wie die Bedeutung digitaler Medien bei der Steigerung der Fallzahlen sowie die Aufhellung des Dunkelfelds bislang nur unzureichend berücksichtigt worden (Biedermann u. Rüdiger 2021).

Und so führt die aktuelle Gesetzeslage zu einer weitflächigen Kriminalisierung und Stigmatisierung von Personen ohne pädokriminelle Absicht und bindet zu deren Verfolgung Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden, die bei der Verfolgung der eigentlichen Überzeugungs- und Missbrauchstäter fehlen.

2.3Kritisieren ist leicht, besser machen ist schwer

Wenn Angehörige unterschiedlicher Professionen, die übereinstimmend vor einer pauschalisierten Strafrahmenerhöhung warnen, im Gesetzgebungsverfahren keinerlei Gehör finden (Suliak 2020), sollte dies nicht leichtfertig damit abgetan werden, dass das Strafrecht ohnehin zunehmend als Mittel einer „wahlkampforientierten Symbolik“ genutzt werde (Greco u. Roger 2016) und die öffentlichen Anhörungen im Rechtsausschuss des BT lediglich zu einem gesetzgeberischen Feigenblatt mutiert seien.

So kritisiert Kubiciel (2020), die Strafrechtswissenschaft verfüge gegenwärtig über kein Theorierepertoire, mit dessen Hilfe sie den Gesetzgeber anleiten und seine „Produkte“ – die Strafgesetze – bewerten könnte. Ihr Leitbegriff (Rechtsgut) sei zu vage und ihr Leitbild „Strafrecht als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes“ zu grobschlächtig, um komplizierte Kriminalisierungsfragen zu beantworten.

Vielmehr folge die Gesetzgebung neuen, erweiterten Leitlinien, denen sich die Kriminalwissenschaften nicht verschließen dürften. So stelle gerade das Sexualstrafrecht als Beispiel für die Expansion des Kriminalrechts etwa keine Reaktion auf die Erosion der Sozialmoral dar. Vielmehr reflektiere sie im Gegenteil eine gestiegene Sensibilität für sexuelle Übergriffe in einer Gesellschaft, die ihre grundlegenden Verhaltensstandards nicht erst bei einer sexuellen Nötigung verletzt sehe, sondern auch bei der (fotografischen) Wiedergabe einer „teilweise unbekleideten“ jugendlichen Person in „unnatürlicher geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Da die politische Bedeutung von Normen der Sozialmoral zunehme, sei es auch naheliegend, Normverletzungen auch mit Mitteln des Strafrechts zu sanktionieren und daher in das methodische und theoretische Instrumentarium der Strafrechtswissenschaft einzubeziehen.

Von zentraler Bedeutung erscheine daher zunächst eine stärkere Berücksichtigung von Erkenntnissen u.a. der Sozialwissenschaften. Immerhin werde in den letzten Jahren wieder verstärkt die Unterfütterung kriminalpolitischer Vorhaben mit empirischen Erkenntnissen angemahnt bzw. über diese gestritten (ebd.).

Der Hinweis auf die Empirie gibt Anlass, auch die Rolle der Ermittlungsbehörden kritisch zu hinterfragen. Empirische Erkenntnisse der Kriminalwissenschaften können nicht allein durch eine Auswertung der PKS erlangt werden. Will man gesetzgeberischen Wertungen wie diejenigen, dass die Einordnung des Kinderpornographie-Besitzes als Verbrechenstatbestand erforderlich sei, da die verhängten Strafen zu niedrig bemessen seien (BT 2020b) und eine negativ generalpräventive Wirkung auf potenzielle Täter ausgeübt werden müsse, um das Geschehen solcher Taten schon im Vorfeld zu verhindern (BT 2020b), wirksam begegnen, bedarf es der Auswertung einer Vielzahl aktueller Strafverfahren. Hierzu sind Staatsanwaltschaften aber schlicht und ergreifend nicht in der Lage. Denn deren Blick ist einerseits primär auf die strafrechtliche Sachverhaltswürdigung gerichtet, andererseits lassen die vorhandenen personellen Ressourcen darüber hinaus gehende, verfahrensübergreifende Feststellungen nicht zu. Die Stellungnahmen in Gesetzgebungsverfahren erschöpfen sich daher häufig in Erkenntnissen aus Einzelverfahren und einem „Bauchgefühl“, das für eine Fortentwicklung des Rechts denkbar ungeeignet ist.

Mit der naheliegenden Lösung, nämlich der Kriminalwissenschaft die Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren zeitnah zur Verfügung zu stellen, tun sich Staatsanwaltschaften jedoch sehr schwer, obgleich die gesetzlichen Möglichkeiten dazu bestehen und das auch schon vor einem rechtskräftigen Verfahrensabschluss12. Offenbar getrieben durch die Angst, es könnten sensible Akteninhalte eines laufenden Verfahrens an die Öffentlichkeit gelangen, wird davon bislang aber nur rudimentär Gebrauch gemacht.

Und so fließen die Ermittlungserkenntnisse – wenn überhaupt – bei Abwarten einer Rechtskraft, die bei großen Verfahren Jahre dauern kann, oft erst in eine kriminologische Bewertung ein, wenn sie eigentlich schon wieder überholt sind.

Dies zu ändern, ist eine Aufgabe, der wir uns stellen sollten. Der Abbau bestehender Vorurteile kann nur durch einen regelmäßigen Austausch zwischen Kriminalwissenschaften und Strafverfolgungsbehörden erfolgen. Nur durch den unmittelbaren Kontakt ist es seitens der Ermittlungsbehörden möglich, ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Informationen die Strafrechtswissenschaft benötigt und seitens der Wissenschaft, die Erkenntnis über aktuelle Kriminalitätsentwicklungen zu erlangen.

Wollen wir im Gesetzgebungsverfahren wieder Gehör finden, müssen wir die Zusammenarbeit intensivieren. Ein regelmäßiger Austausch oder interdisziplinäre Fortbildungsveranstaltungen wären hierzu ein guter Anfang.

Literatur

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1 Die OP Artus wurde (weltweit) gegen 31 Nutzer der IRC-Chatgruppe „roundtable“ geführt.

2 Das LG Verden stellte das Verfahren gegen S. Edathy gegen Zahlung einer Geldauflage v. 5.000 €nach § 153a StPO ein.

4 BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – 4 StR 342/14.

5 OLG Hamm, Beschluss vom 10.03.2016 – 2 RVs 22/16.

6 Nach § 184h Nr. 1 StGB (= § 184c Nr. 1 bzw. nach § 184f. Nr. 1 StGB a.F.) sind sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.

7 BGH, Beschlüsse vom 17.12.1997 – 3 StR 567/97 und vom 02.02.2006 – 4 StR 57 – 0/05.

8 Allerdings eröffnete die gleichzeitige Tatbestandserweiterung des § 201a StGB auf den entgeltlichen Bezug u. die entgeltliche Verschaffung Nacktaufnahmen Minderjähriger eine niederschwellige Sanktionsmöglichkeit.

9 Beispielhaft genannt sei die Berührung eines Kindes durch einen Beschuldigten oberhalb der Kleidung, was den Tatbestand des „einfachen“ sexuellen Kindesmissbrauch nach § 176 StGB erfüllt.

10 Lediglich bei fiktiven Inhalten (z.B. sog. Mangas, Comics, Geschichten) besteht weiterhin eine Strafandrohung von drei Mon. bis fünf J. Freiheitsstrafe bei Verbreitungshandlungen bzw. deren Vorbereitung nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 u. 4 StGB.

11 In § 176c StGB n.F. befindet sich wie in der Vorgängernorm des § 176a StGB a.F. eine Strafandrohung von nicht unter zwei J. Freiheitsstrafe.

12 § 476 StPO sieht dahingehend vor, dass einer Gefährdung durch eine vorzunehmende Anonymisierung u. ein geeignetes Datenschutzkonzept begegnet werden kann.

3„Auf einmal waren die Dateien auf meinem Rechner …“ – Technische (Un-)Möglichkeiten – Zum Nutzen IT-forensischer AuswertungenAndrea Gebauer und Julia Walter

IT-forensische Auswertungen werden in der Regel von Gerichten, Staatsanwaltschaften oder Polizeidienststellen als Zusatzgutachten in Auftrag gegeben. Hierfür werden sichergestellte Datenträger und Mobilgeräte hinsichtlich möglicher verfahrensrelevanter und inkriminierter Inhalte durchsucht.

Abhängig von der mit der Gutachtenerstellung beauftragten sachverständigen Person bzw. forensischen Untersuchungseinheit unterscheiden sich Gutachten in ihrer Form und der Art der Datenaufbereitung. Ziel eines IT-forensischen Gutachtens sollte sein, gewonnene Erkenntnisse und Auswertungsergebnisse stets in übersichtlicher, anschaulicher und vor allen Dingen allgemein verständlicher Weise nachvollziehbar darzulegen.

Im vorliegenden Beitrag wird der Aufbau eines Gutachtens der Forensik.IT GmbH in München erläutert. Dieses besteht generell aus drei Teilen: dem schriftlichen Gutachten, den dazugehörigen Anlagen sowie einem digitalen Datenträger mit allen Dokumenten und Dateien. Dabei finden sich im schriftlichen Gutachtenteil die Zusammenfassung von Untersuchungsergebnissen sowie die Auflistung von festgestellten inkriminierten Inhalten, nicht jedoch die Darstellungen hiervon. Die festgestellten Missbrauchs- bzw. kinderpornographischen Abbildungen per se sind in separaten Anlagen dokumentiert.

Je nach Ermittlungsbehörde ist das IT-forensische Gutachten entweder Teil der Verfahrensakte oder eines Sonderbandes. Die Gutachtenanlagen beinhalten die Darstellungen inkriminierter Inhalte und sind deshalb Bestandteil einer Lichtbildmappe oder eines Beweismittelbandes. Zur Einsichtnahme müssen IT-forensische Gutachten gegebenenfalls eigens angefordert werden (Steffes-enn 2021).

3.1Auftrag

Der Beweismittelauswertung liegt ein Gutachtenauftrag zugrunde, der im Idealfall eine genaue Beschreibung des vorliegenden Sachverhalts beinhaltet. Dieser sollte – insbesondere bei dem Tatanfangsverdacht auf den sexuellen Missbrauch von Kindern – möglichst viele Informationen, zumindest jedoch den Tatzeitraum bzw. -zeitpunkt, die Nutzernamen und Kontaktdaten des oder der Beschuldigten sowie ggf. des oder der Geschädigten umfassen. Zum Teil befinden sich auch Vernehmungsprotokolle unter den Auftragsunterlagen. Aus diesen gehen häufig Behauptungen hervor wie „Ich wurde gehackt“, „Das hat mir jemand zugesandt, der mich fertig machen wollte“. In den meisten Fällen kann man letztendlich durch die Analyse von Daten und Dateien aus verschiedenen Quellen konkret zum Tatanfangsverdacht Stellung beziehen und damit den Sachverhalt oder eine Aussage entweder bestätigen bzw. entkräften.

Zunehmend basieren Aufträge der Ermittlungsbehörden auch auf Anzeigen von Kommunikationsplattformen oder gemeinnützigen Organisationen (z.B. National Center for Missing & Exploited Children, abgekürzt NCMEC). Diese melden Verdachtsfälle von Kinderpornographie an das BKA, welches in Deutschland Ermittlungsverfahren einleitet. Aus dem NCMEC-Bericht, dem CiberTipline Report, gehen u.a. Nutzerdaten sowie Informationen zu inkriminierten Dateien hervor, die über Kommunikationsplattformen bzw. P2P-Netzwerke weitergegeben, hochgeladen oder verbreitet wurden. Zur Identifizierung dieser Bild-/Videodateien sind Hashwerte angegeben.

Bei Hashwerten handelt es sich um alphanumerisch dargestellte Werte, die sozusagen den „Fingerabdruck“ einer (Medien-)Datei darstellen.

Idealerweise sollten diese Informationen in den Auftragsschreiben zur forensischen Auswertung enthalten sein, damit im Untersuchungsergebnis eine konkrete Stellungnahme zum Tatanfangsverdacht möglich ist.

3.1.1Auswertung

Grundlage jeder forensischen Auswertung ist die Reproduzierbarkeit des Ergebnisses. Die originalen Beweismittel werden nicht verändert, die Beweismittelkette wird gewahrt, die Dokumentation erfolgt lückenlos und die Integrität der Daten ist zu jedem Zeitpunkt gesichert. Auftragsabhängig hinsichtlich Art und Umfang erfolgt zunächst die Sichtung der überlassenen Datenträger, insbesondere der vorhandenen Bild- und Videodateien. Da es zum derzeitigen Stand der Technik noch keine umfänglich verlässliche Künstliche Intelligenz (kurz: KI- oder Maschinenlösungen) zur Feststellung von kinderpornographischen Dateien gibt, werden alle Datenträger durchgesichtet und festgestellte inkriminierte Bild-/Videodateien einzeln markiert. Um mögliche Hands-On-Delikte sowie selbst erstellte Missbrauchsabbildungen feststellen zu können, ist die tatsächliche Betrachtung des vorhandenen Materials unerlässlich und nicht durch technische Lösungen zu ersetzen. Auch die Kategorisierung des festgestellten Materials erfolgt „manuell“. Über die Sichtung hinaus werden die Datenträger – stets unter Zuhilfenahme der aktuellsten Auswertesoftware und unterschiedlicher Methoden – nach gegebenenfalls weiteren andersgearteten fallbezogenen Daten durchsucht, beispielsweise nach Standortdaten oder Hinweisen auf Bezahlsysteme.

3.1.2Hard- und Softwarekonfiguration

Unter diesem Punkt werden verfahrensrelevante Informationen der inkriminierten Beweismittel (kurz: BW) dokumentiert. Diese umfassen neben Herstellungs- und Identifikationsdaten auch festgestellte Programme, insbesondere genutzte Kommunikationsplattformen, Benutzernamen, Nutzerkonten, Passwörter und Ablagestrukturen. Durch die Visualisierung von PC-Systemen kann die Nutzeroberfläche dargestellt werden, insbesondere wenn die Gestaltung der Desktopansicht aussagekräftig ist, also beispielsweise der Bildschirmschoner aus einer Abfolge von kinderpornographischen Bildern besteht oder Ordner mit einschlägigen Bezeichnungen bzw. Inhalten für den Schnellzugriff auf der Benutzeroberfläche zur Verfügung stehen. Des Weiteren werden unter diesem Gutachtenpunkt verfahrensrelevante Datei- und Ordnerzugriffe dokumentiert. Dies zeigt u.a., ob zur Datenspeicherung möglicherweise externe Datenträger verwendet wurden und ermöglicht auch eine Identifikation von eventuell nicht unter den Asservaten befindlichen Datenträgern. Ebenfalls von Interesse ist, ob der Nutzer Lösch- oder Verschlüsselungssoftware verwendet hat, ob es Hinweise gibt auf verschlüsselte Bereiche, versteckte oder sichere Ordner, getarnte Speicherorte (z.B. „Calculator“) oder auf Daten, die sich in Cloud-Speichern befinden, also ob sich insgesamt ein hoher Organisationsgrad in Bezug auf die Beschaffung bzw. Speicherung von kinderpornographischem Material feststellen lässt (vgl. Lanning 2010). Der Auswertung von Cloud-Speichern, die in Absprache mit der zuständigen Ermittlungsbehörde vorgenommen werden kann, kommt ebenfalls eine immer größere Bedeutung zu.

3.1.3Nutzungsverhalten

Besonders aufschlussreich in Bezug auf das Nutzungsverhalten ist die Betrachtung der Internetaktivitäten, denn jede Online-Aktion hinterlässt zahlreiche Spuren auf dem System. Hierzu gehören u.a. der Browser-Verlauf, Download-Chroniken, hinterlegte Informationen zur Autovervollständigung von Formularen, Passwörter und Cookies besuchter Webseiten.

An diesen lässt sich u.a. erkennen, in welcher Häufigkeit ein Nutzer auf bestimmte Inhalte zugegriffen hat, ob er diese konkret gesucht oder „ersurft“ hat, zu welchen Zeiten er agiert, ob Seiten- oder Dateizugriffe regelmäßig oder intervallweise stattgefunden haben, ob das Nutzungsverhalten gleichbleibend war oder sich im Laufe der Zeit änderte, wo sein Hauptinteresse liegt, ob es weitere präferenzaufzeigende Themenfelder gibt und vieles mehr. Da es sich hier zumeist um sehr große Datenmengen handelt, kann in der Regel nur ein Auszug daraus im schriftlichen Gutachten aufgeführt werden – die vollständigen Daten werden auf Datenträgern zur Verfügung gestellt, Abbildung 1 zeigt einen Auszug der feststellbaren Daten.

Hierbei ist es in der Regel so, dass sich die verhaltensbezogenen Daten passiv bzw. systemseitig während der Gerätenutzung ergeben. Die kognitiven Verhaltensdaten entstehen durch aktive Eingaben und Befehle des Nutzers. Alle vorgenannten Informationen haben das Potenzial, Aussagen wie „Ich habe auf keinen Fall gezielt gesucht, da bin ich zufällig darauf gekommen“ oder „Ich habe das vielleicht auf meinem Rechner gehabt, aber nie angeschaut“ in entsprechender Weise zu begegnen.

Abb. 1 Verhaltensbezogene und kognitive Nutzerdaten

3.1.4Dokumentation Kinderpornographie

Im juristischen Kontext wird der Begriff „Kinderpornographie“, hier abgekürzt als „KiPo“ verwendet, international spricht man eher von „CSAM“, also „Child Sexual Abuse Material“.

Unter dem Begriff KiPo wird im IT-forensischen Gutachten die festgestellte Anzahl von Dateien mit kinderpornographischen Inhalten sowie deren Verteilung auf die einzelnen Beweismittel aufgeführt. Die Dateien werden hierbei in die Gruppen „KiPo A“ und „KiPo B“ kategorisiert, wobei „KiPo A“ Darstellungen wie folgt umfasst:

„Sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren“ in Anlehnung an StGB § 184b Abs. 1a. KiPo B umfasst folgende Darstellungen: „Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ (StGB § 184b Abs. 1b) sowie die „sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes.“

Zusätzlich zur Anzahl werden die festgestellten Erzeugungsdaten bzw. -zeiträume, die Anzahl der Erzeugungsdaten sowie der Zustand der Bild- oder Videodateien übersichtlich aufbereitet, d.h., ob es sich um ungelöschte/gelöschte gespeicherte Daten handelt oder um automatisch generierte Dateien wie temporäre (Cache-) oder Thumbnail-Dateien. Die Darstellung der Inhalte erfolgt in einer separaten Anlage sowie tabellarisch im Gutachten. Von entscheidender Bedeutung ist der jeweilige Zustand der festgestellten inkriminierten Dateien, der sich grob in die folgenden Kategorien unterteilen lässt: ungelöscht – gelöscht – automatisch generiert.

Sofern ungelöschte KiPo Dateien im Dateisystem vorhanden sind – möglicherweise sogar in strukturierter Weise abgelegt und somit vom Nutzer aufrufbar – kommt diesen Dateien und deren Erzeugungsdaten die größte Gewichtung zu. Je nach Strafermittlungsbehörde liegen die Verjährungsfristen hier bei den festgestellten Erzeugungsdaten bzw. beim Zeitpunkt der Sicherstellung. Zu den ungelöschten Dateien zählen dabei auch die in den „Papierkorb“ verschobenen Dateien, da diese im IT-forensischen Sinn nicht gelöscht sind, da sie für den Nutzer auf einfache Weise wieder einsehbar sind.

Gelöschte Dateien, deren Besitz aufgegeben wurde und auf welche der Nutzer ohne Zuhilfenahme von Wiederherstellungssoftware keinen Zugriff hat, werden im Gutachten entsprechend ausgewiesen, da sie ebenfalls sehr aussagekräftig sein können. Beim Betrieb eines Computersystems werden durch die unterschiedlichen Prozesse und Nutzeraktionen Daten aus den verschiedensten Gründen generiert. Neben Protokolleinträgen, die vor allem im Bereich der IT-Sicherheit von Interesse sind, sind auch automatisch generierte Dateien wichtig. Diese Dateien werden bei der Erstellung entsprechend systeminterner Konventionen benannt und abgelegt. Automatisch generierte Dateinamen oder -pfade können Hinweise auf genutzte Kommunikationsplattformen, Cloud-Speicher oder betrachtete Dateien liefern sowie Datumsangaben beinhalten. Insofern sind diese Dateien sehr bedeutsam, auch wenn der Nutzer hierauf keinen Zugriff (mehr) hat:

Temporäre (Cache-)Dateien werden automatisch von Computerprogrammen (z.B. Browser, Bildverarbeitungsprogrammen, MS Office) oder dem Betriebssystem erstellt. Zweck dieser zeitlich begrenzten Zwischenspeicherung von Daten ist es, den Arbeitsspeicher zu entlasten, Wiederherstellungspunkte bereitzustellen oder den Datenaustausch zwischen Programmen zu organisieren.

Thumbnails („Daumennagel“ i.S.v. Miniaturansicht) sind stark verkleinerte Vorschaubilder, häufig mit sehr geringer Qualität, die als Vorschau für größere Originalbilder dienen. Zweck des Einsatzes von Vorschaubildern ist die Verringerung der Ladezeit und Entlastung von Systemressourcen sowie die Möglichkeit, einen schnellen Überblick über gewisse Inhalte zu geben. Neben Bildern können auch bestimmte Dokumente, Videodateitypen, Webseiten, etc. durch eine Miniaturansicht repräsentiert werden. Ist ein bestimmtes Thumbnail vorhanden, deutet dies darauf hin, dass die zugehörige Originaldatei auf einem von dem untersuchten System verwendeten Datenspeicher vorhanden ist, vorhanden war bzw. je nach genutzter Anwendung auch nur angesehen wurde.

Auftragsabhängig können auch Listen angefertigt werden, aus welchen die einzelnen Erzeugungszeitpunkte chronologisch hervorgehen sowie die Anzahl inkriminierter Dateien pro Erzeugungszeitpunkt. Hierdurch kann u.a. die Nutzungsfrequenz, der Nutzungszeitraum, aber auch der Organisationsgrad hinsichtlich der Ablage von kinderpornographischem Material aufgezeigt werden.

Mit den vorgenannten Erkenntnissen bezüglich Nutzeraktivitäten, Dateiaufkommen und Ordnerzugriffen lassen sich Aussagen wie „Ich habe ganz normale Pornoseiten besucht und auf einmal wurde mir das angezeigt.“, „Ich habe das vielleicht auf meinem Rechner gehabt, aber nie angeschaut“ oder „Ich habe auf keinen Fall gezielt gesucht, ich bin zufällig darauf gekommen“ entweder entkräften oder – zumindest teilweise – verifizieren.

3.1.5Selbst erstellte Missbrauchsabbildungen

Sofern sich bei der Sichtung Hinweise ergeben, dass unter den festgestellten inkriminierten Dateien solche vorhanden sind, die möglicherweise vom Nutzer selbst erstellt wurden (z.B. Bildschirmfotos) oder sogar Aufnahmen, die sogenannte Hands-On-Delikte durch den Nutzer dokumentieren, wird dies im Gutachten gesondert aufgeführt. In diesen Fällen ist es erforderlich, dass auch Vergleichsbilder der Umgebung, Räumlichkeiten, Bettwäsche etc. mit dargestellt werden. Sofern geschädigte Personen, Täter oder Tatorte noch nicht bekannt sind, können diese Hinweise zu deren Identifikation beitragen. Der unmittelbare und direkte Austausch mit der zuständigen Strafermittlungsbehörde ist in diesen Fällen unerlässlich, der Erkenntnisgewinn durch z.B. zur Verfügung gestellte polizeiliche 3-D-Tatortaufnahmen häufig weiterführend.

Die festgestellten Dateien werden mit allen verfügbaren Informationen wie Erzeugungsdaten, Herstellungsdaten, EXIF-/GPS-Daten sowie Hinweisen auf mögliche Aufnahmegeräte in einer separaten Anlage dargestellt sowie im Gutachten tabellarisch aufgelistet.

Unter diesem Punkt werden auch solche Dateien aufgeführt, die vom Nutzer umgestaltet, bearbeitet oder anderweitig verändert wurden, also wenn beispielsweise Kindergesichter auf „regulär“ pornographische Abbildungen montiert wurden oder verfahrensrelevante Namen, Texte etc. hinzugefügt.

3.1.6Kommunikationsdaten

Sehr wichtig und aussagekräftig ist in den meisten Fällen die Auswertung aller feststellbaren Kommunikationsprogramme hinsichtlich möglicher Unterhaltungen des Nutzers mit Geschädigten oder Mittätern. In gesonderten Anlagen werden – abhängig vom Tatanfangsverdacht – solche Chats dargestellt, die einen möglichen Bezug zum Verfahren aufweisen, je nach Umfang vollumfänglich oder lediglich Passagen daraus.

Sofern sich bei Chat-Aktivitäten des Nutzers im Kontakt mit Minderjährigen Hinweise auf „Grooming“, „Sexting“ oder die Verabredung von realen Treffen ergeben, wird dies speziell aufgeführt. Ebenso die Feststellung, wenn der Nutzer beispielsweise mit anderen Kontaktpersonen Verabredungen zum Missbrauch vereinbart hat oder wenn Tipps zum Austausch von Missbrauchsdarstellungen oder verdächtige Links weitergegeben wurden.

Des Weiteren werden verfahrensrelevante Anrufprotokolle, Zeitleisten, Standortdaten, Bewegungsprofile, Internetaktivitäten, etc. im Gutachten aufgelistet bzw. dargestellt. Auch hier handelt es sich zumeist um sehr große Datenmengen, weshalb in der Regel nur ein Auszug daraus schriftlich ausgeführt werden kann – die vollständigen Daten befinden sich auch hier auf einem mitgelieferten Datenträger.

Verbreitung/Weitergabe von Missbrauchsabbildungen: Werden unter den festgestellten inkriminierten Dateien Hinweise auf deren Weitergabe, Empfang oder Verbreitung festgestellt, wird dies in einem eigenen Punkt detailliert behandelt.

Bei der Verbreitung inkriminierter Dateien, also dem öffentlichen Zugänglichmachen von Dateien mittels Peer-to-Peer Software, werden die Einstellungsdetails der jeweils verwendeten Plattform dokumentiert. Anhand von Log-Dateien und durch Hashwert-Abgleiche kann auch bei Dateien auf externen Datenträgern festgestellt werden, ob diese zu einem früheren Zeitpunkt in Verbreitung waren.

Bei Empfang/Weitergabe von kinderpornographischen Dateien über verschiedenste Chat-Plattformen oder per E-Mail werden – je nach Umfang – entweder die gesamte Kommunikation oder nur die entsprechenden Passagen in einer gesonderten Anlage dargestellt sowie die einzelnen Zeitpunkte und Dateinamen übersichtlich tabellarisch im Gutachten aufbereitet. Ebenso werden alle entsprechenden Chatpartner mit ihren Nutzernamen einschließlich des Kommunikationszeitraums und die Anzahl getauschter kinderpornographischer Dateien tabellarisch aufgelistet.

3.1.7Verhältnis Kinderpornograhie/Pornographie

In einem gesonderten Punkt wird die Anzahl der festgestellten strafbewehrten kinder-(und/oder jugend-)pornographischen Dateien der geschätzten Anzahl an gespeicherten nicht-strafbewehrten pornographischen Dateien sowie der Gesamt-Dateianzahl gegenübergestellt.

Hierbei werden die jeweiligen Schwerpunkte der Bildinhalte mit angegeben, also z.B. „Überwiegend weibliche Kinder im augenscheinlichen Alter von 6–9 Jahren in der Kategorie KiPo A“, sowie um welchen Typ von Erwachsenen-Pornographie es sich größtenteils handelt mit einem Hinweis auf das überwiegend festgestellte Alter, die Geschlechtszugehörigkeit und die angewendeten sexuellen Praktiken. Diese Informationen können einen Rückschluss auf die sexuelle Präferenz des Nutzers ermöglichen (vgl. Schuhmann u Osterheider 2019).

3.2Ausblick

Die einem IT-forensischen Gutachten zugrunde liegenden Auswertungsgegenstände weisen häufig eine immense Datenvielfalt auf und können somit tiefe Einblicke in die Persönlichkeit und das deviante Wirken der Gerätenutzer liefern. Daher können sie interdisziplinär von großem Interesse sein und eine wertvolle Grundlage für die Auseinandersetzung u.a. mit Beschuldigtenaussagen bieten (vgl. Kröber et al. 2019; Steffes-enn 2021). Die vorangehenden Ausführungen sind lediglich ein kurzer Abriss aus dem weiten Feld der IT-Forensik und es bleibt festzuhalten, dass es sich bei jedem IT-forensischen Gutachten um ein individuelles Dokument handelt, dessen Inhalt und Form an den vorliegenden Sachverhalt und die Vorgaben der Auftraggeber angepasst ist. Da die Fülle der gewonnenen Daten in der Regel über den auf Papier darstellbaren Umfang weit hinausgeht, werden alle Untersuchungsergebnisse zusätzlich auf einem Datenträger dem Gutachten beigefügt. Hierdurch erhalten sowohl der Auftraggeber als auch andere Prozessbeteiligte unterschiedlichster Fachbereiche die Gelegenheit, sich anhand der mitgelieferten digital gespeicherten Informationen selbst einen Überblick zu verschaffen und Untersuchungsergebnisse nachzuvollziehen.

Literatur

Kröber HL, Brettel H, Rettenberger M, Stübner S (2019) Empfehlungen für Prognosegutachten: Erfahrungswissenschaftliche Empfehlungen für kriminalprognostische Gutachten. Forensische Psychiatrie Psychologie Kriminologie 13, 334–342

Lanning KV (2010) Child Molesters: A Behavioral Analysis. National Center for Missing & Exploited Children

Schuhmann P, Osterheider M (2019) Qualitative Bildanalyse in Fällen von Kinderpornografie. In: Steffes-enn R, Ihm H (Hrsg.) Täter und Taten als Informationsquellen. Anamnese und Fallarbeit. 3., überarbeitete und erweiterte Aufl. 383–398. Polizeiwissenschaft: Frankfurt/Main

Steffes-enn R (2021) Sexuelle Missbrauchsabbildungen – Die Bedeutung von Bildinhalten, Ablagestrukturen, Online-Nutzung und -Kontakten. In: Saimeh N, Briken P, Müller J (Hrsg.): Sexualstraftäter. Diagnostik – Begutachtung – Risk-Assessment – Therapie. 261–273. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin

4Prävalenzen der Nutzung von Medien mit sexueller Gewalt an Kindern – Vergleich von Hellfelddaten und Dunkelfelddaten mit dem Schwerpunkt DeutschlandJan S. Pellowski, Fritjof von Franqué, Stefanie Schmidt und Peer Briken

4.1Einleitung

Um Aussagen über die Häufigkeit der Nutzung von Abbildungen und Filmen mit sexueller Gewalt an Kindern treffen zu können, stehen grundsätzlich zwei Datenquellen zur Verfügung. So veröffentlichen jeweils jährlich das Bundeskriminalamt die polizeilichen Kriminalstatistiken und das Bundesministerium für Justiz die gerichtlichen Kriminalstatistiken. Weiterhin können sozialwissenschaftliche sowie kriminologische Studien herangezogen werden. Idealerweise werden beide Datenquellen beachtet, um Aussagen zu Prävalenzen und Rückfallraten machen zu können (s. Abb. 1).

Abb. 1 Kriminalitätspyramide (Stompe 2017)

Der Bereich von Straftaten, die den Ermittlungsbehörden bekannt sind, wird als Hellfeld bezeichnet. Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik entsprechen ausschließlich jenen Fällen, die zu einer Anzeige geführt haben. Gelingt es der Exekutive, Tatverdächtige zu ermitteln und liegt ausreichender Verdacht vor, werden diese den Gerichten gemeldet, die darüber entscheiden, ob Anklage erhoben wird. Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung kommt es dann ggf. zu einer Aburteilung (Verurteilung oder Freispruch). Entsprechende Zahlen können der Strafverfolgungsstatistik entnommen werden. Ein Großteil von Delikten wird nicht offiziell angezeigt, verurteilt oder berichtet. Dieser als Dunkelfeld bezeichnete Bereich umfasst jene Straftaten, die nicht justizbekannt werden.

Dabei wird zwischen dem relativen und dem absoluten Dunkelfeld unterschieden: Beim relativen Dunkelfeld wird durch Befragungen von Personen, die potenziell geschädigt, straffällig oder Zeugen wurden, strafrechtlich relevantes, aber nicht zur Anzeige gebrachtes Verhalten untersucht, während die hierdurch nicht erfassten Delikte das sogenannte absolute Dunkelfeld darstellen. Dieses ist weder durch Kriminalstatistiken noch durch Dunkelfeldforschung aufzuhellen (Elz 2016).

Nachvollziehbar existiert zwischen Hell- und Dunkelfeld eine Differenz. So verglichen beispielsweise Stoltenborgh et al. (2011) in einer Metaanalyse mit mehr als 9.900.000 Probanden Selbstauskünfte und offizielle Berichte zu sexuellem Kindesmissbrauch. Während die geschätzte Prävalenz bei offiziellen Berichten bei 0,4% lag, betrug sie bei Selbstauskünften 12,7%. Zwar liegt eine vergleichbare Untersuchung zu Medien mit sexueller Gewalt an Kindern nicht vor, jedoch lassen sich die Ergebnisse als Hinweis auf die Differenz von Hell- und Dunkelfelddaten interpretieren. Für die Ressourcensteuerung, z.B. bei der Planung präventiver Maßnahmen, wird man sich an der tatsächlichen Rate von Ereignissen orientieren wollen, die man verhindern möchte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass beide Zugänge Schwächen aufweisen. So können Menschen bei Befragungen Angaben machen, die letztlich nicht überprüfbar sind. Demgegenüber berücksichtigen Kriminalstatistiken keine Vorfälle, die überhaupt nicht gemeldet werden. Insofern erscheint es für eine Annäherung an die wahre Prävalenz wichtig, beide Zugänge miteinander in Beziehung zu setzen.

Ziel dieses Kapitels ist, Forschungsbefunde aus dem Hell- und Dunkelfeld hinsichtlich der Häufigkeit der Nutzung von Abbildungen und Filmen mit sexueller Gewalt an Kindern gegenüberzustellen und das Zustandekommen der Differenzen zu diskutieren. Dabei wird sich auf Befunde zur deutschsprachigen Situation beschränkt.

4.2Befundlage Hellfeld mit Schwerpunkt Deutschland

Aus Hellfelduntersuchungen liegen die meisten verfügbaren Daten vor (Stompe 2017). Laut der polizeilichen Kriminalstatistik werden für das Jahr 2021 insgesamt 39.171 Fälle für den Straftatbestand „Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften“ gemäß § 184b StGB ausgewiesen. Damit entfielen etwa 0,78% der registrierten Gesamtdelinquenz Deutschlands auf diese Deliktart. Nach der Statistik waren von den insgesamt 35.464 Tatverdächtigen 29.281 männlichen und 6.183 weiblichen Geschlechts. Das bedeutet, dass etwa 43 Personen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2021 wegen dieses Straftatbestandes auffällig wurden (Bundeskriminalamt 2022).

Nur ein Teil der angezeigten Fälle führt zu Gerichtsverhandlungen und nicht alle verhandelten Fälle enden mit einer Verurteilung. Ausweislich der gerichtlichen Kriminalstatistik aus dem Jahr 2021 (Statistisches Bundesamt 2022) wurden in diesem Jahr 3.916 Fälle (3.830 davon männlich) von Straftaten gemäß § 184b StGB abgeurteilt, von denen wiederum 3.333 Fälle (davon 3.287 männlich) zu einer Verurteilung führten. Der überwiegende Anteil der Verurteilungen bezog sich dabei auf erwachsene Männer ab dem 21. Lebensjahr (2.782 Verurteilte), wobei der „Altersgipfel“ zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr lag. Die Mehrheit der verurteilten Fälle wurde früher als im vorhergehenden Jahr begangen bzw. zur Anzeige gebracht; nur in rund 6% der Fälle wurde die Straftat im Verurteilungsjahr begangen bzw. zur Anzeige gebracht (Statistisches Bundesamt 2022).