Shakespeares Werke – humorvoll erklärt - Samuel Kerbholz - E-Book

Shakespeares Werke – humorvoll erklärt E-Book

Samuel Kerbholz

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Beschreibung

50 Kapitel:

Die Komödie der Irrungen: Shakespeares Sitcom avant la lettre
Verlorene Liebesmüh: Shakespeares Dissertation über männliche Selbstüberschätzung
Der Widerspenstigen Zähmung: Shakespeares Minenfeld
Zwei Herren aus Verona: Shakespeares Frühwerk oder: Wenn die Bromance toxisch wird
Ein Sommernachtstraum: Shakespeares Trip durch die Zauberwald-Apotheke
Der Kaufmann von Venedig: Shakespeares problematischstes Meisterwerk
Die lustigen Weiber von Windsor: Shakespeares Rache der Hausfrauen
Viel Lärm um nichts: Shakespeares Meisterklasse in verbaler Kriegsführung
Wie es euch gefällt: Shakespeares Feldversuch in radikaler Selbstfindung
Was ihr wollt: Shakespeares queeres Meisterwerk in der Tarnung einer Komödie
Troilus und Cressida: Shakespeares Abrissbirne für heroische Mythen
Ende gut, alles gut: Shakespeares Manifest des unbehaglichen Happy Ends
Maß für Maß: Shakespeares Lehrstück über Machtmissbrauch und das Ende der Unschuld
Perikles, Prinz von Tyrus: Shakespeares Roadtrip durch das antike Mittelmeer
Das Wintermärchen: Shakespeares Masterclass in toxischer Eifersucht und posthumer Erlösung
Cymbeline: Shakespeares Greatest-Hits-Album, aber als Theaterstück
Der Sturm: Shakespeares Abschiedsvorstellung als philosophisches Gedankenexperiment
Titus Andronicus: Shakespeares Jugendwerk oder wie man einen Splatterfilm mit Feder und Tinte schreibt
Romeo und Julia: Shakespeares Lehrstück über Liebe, Dummheit und warum man nicht nach vier Tagen heiraten sollte
Julius Caesar: Shakespeares Lehrstück darüber, wie man eine Republik rettet (indem man sie zerstört)
Antonius und Cleopatra: Shakespeares Epos über das teuerste Midlife-Crisis-Date der Geschichte
Coriolanus: Shakespeares Lehrstück über den Mann, der zu ehrlich war, um Politiker zu sein
Hamlet: Shakespeares Meisterwerk über den Mann, der zu viel denkt und zu spät handelt
Othello: Shakespeares Lehrstück darüber, wie man eine perfekte Ehe durch strategisches Lügen in vier Tagen ruiniert
König Lear: Shakespeares Meditation über den Mann, der alles hatte und beschloss, es strategisch zu ruinieren
Timon von Athen: Shakespeares unvollendetes Meisterwerk über den Mann, der lernte, dass Geld keine Freunde kauft (aber ihre Abwesenheit garantiert)
Macbeth: Shakespeares Lehrstück darüber, wie man in fünf Akten eine funktionierende Karriere, eine Ehe und seine Seele ruiniert
König Johann: Shakespeares vergessenes Meisterwerk über den König, der herausfand, dass Politik bedeutet, ständig zu lügen und zu hoffen, dass niemand die Wahrheit googelt
Heinrich VIII.: Shakespeares letztes Bühnenstück
Die Heinrich VI.-Trilogie: Shakespeares episches Meisterwerk über den König, der zu nett war, und die Nation, die daraufhin beschloss, sich selbst zu zerfleischen
Richard III.: Shakespeares Meisterwerk über den Mann, der bewies, dass Charisma gefährlicher ist als jede Waffe
Richard II. * Heinrich IV., Teil 1 und 2 * Heinrich V * Der Blankvers * Der Rhyme Royal * Venus und Adonis * Lucrece * A Lover's Complaint * The Passionate Pilgrim * The Phoenix and the Turtle * Die Sonette
Shakespeare und Hera (Story)
Mach's wie Macbeth (Story)
Shakespeare und Merlin (Story)
Shakespeare (Akrostichon)
Hamlet und der Geist Belizander (Story)
Shakespeare, Falstaff und Elizabeth (Story)
Ich liebe Shakespeare
Sonett

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

 

Shakespeares Werke – humorvoll erklärt

 

Copyright © 2025 Samuel Kerbholz

Stephan Lill, Birkenhorst 5b, 21220 Seevetal, Germany

 

 

50 Kapitel:

 

Die Komödie der Irrungen: Shakespeares Sitcom avant la lettre

Verlorene Liebesmüh: Shakespeares Dissertation über männliche Selbstüberschätzung

Der Widerspenstigen Zähmung: Shakespeares Minenfeld

Zwei Herren aus Verona: Shakespeares Frühwerk oder: Wenn die Bromance toxisch wird

Ein Sommernachtstraum: Shakespeares Trip durch die Zauberwald-Apotheke

Der Kaufmann von Venedig: Shakespeares problematischstes Meisterwerk

Die lustigen Weiber von Windsor: Shakespeares Rache der Hausfrauen

Viel Lärm um nichts: Shakespeares Meisterklasse in verbaler Kriegsführung

Wie es euch gefällt: Shakespeares Feldversuch in radikaler Selbstfindung

Was ihr wollt: Shakespeares queeres Meisterwerk in der Tarnung einer Komödie

Troilus und Cressida: Shakespeares Abrissbirne für heroische Mythen

Ende gut, alles gut: Shakespeares Manifest des unbehaglichen Happy Ends

Maß für Maß: Shakespeares Lehrstück über Machtmissbrauch und das Ende der Unschuld

Perikles, Prinz von Tyrus: Shakespeares Roadtrip durch das antike Mittelmeer

Das Wintermärchen: Shakespeares Masterclass in toxischer Eifersucht und posthumer Erlösung

Cymbeline: Shakespeares Greatest-Hits-Album, aber als Theaterstück

Der Sturm: Shakespeares Abschiedsvorstellung als philosophisches Gedankenexperiment

Titus Andronicus: Shakespeares Jugendwerk oder wie man einen Splatterfilm mit Feder und Tinte schreibt

Romeo und Julia: Shakespeares Lehrstück über Liebe, Dummheit und warum man nicht nach vier Tagen heiraten sollte

Julius Caesar: Shakespeares Lehrstück darüber, wie man eine Republik rettet (indem man sie zerstört)

Antonius und Cleopatra: Shakespeares Epos über das teuerste Midlife-Crisis-Date der Geschichte

Coriolanus: Shakespeares Lehrstück über den Mann, der zu ehrlich war, um Politiker zu sein

Hamlet: Shakespeares Meisterwerk über den Mann, der zu viel denkt und zu spät handelt

Othello: Shakespeares Lehrstück darüber, wie man eine perfekte Ehe durch strategisches Lügen in vier Tagen ruiniert

König Lear: Shakespeares Meditation über den Mann, der alles hatte und beschloss, es strategisch zu ruinieren

Timon von Athen: Shakespeares unvollendetes Meisterwerk über den Mann, der lernte, dass Geld keine Freunde kauft (aber ihre Abwesenheit garantiert)

Macbeth: Shakespeares Lehrstück darüber, wie man in fünf Akten eine funktionierende Karriere, eine Ehe und seine Seele ruiniert

König Johann: Shakespeares vergessenes Meisterwerk über den König, der herausfand, dass Politik bedeutet, ständig zu lügen und zu hoffen, dass niemand die Wahrheit googelt

Heinrich VIII.: Shakespeares letztes Bühnenstück

Die Heinrich VI.-Trilogie: Shakespeares episches Meisterwerk über den König, der zu nett war, und die Nation, die daraufhin beschloss, sich selbst zu zerfleischen

Richard III.: Shakespeares Meisterwerk über den Mann, der bewies, dass Charisma gefährlicher ist als jede Waffe

Richard II.: Shakespeares Meditation über den König, der zu beschäftigt war mit Poesie, um zu bemerken, dass ihm jemand die Krone stiehlt

Heinrich IV., Teil 1 und 2: Shakespeares episches Coming-of-Age-Drama über den Prinzen, der zwischen Freibier und Verantwortung wählen musste

Heinrich V.: Shakespeares patriotisches Meisterwerk über den König, der entdeckte, dass Kriegsrhetorik die beste PR ist (bis die Leichen sich stapeln)

Venus und Adonis: Shakespeares erotisches Meisterwerk über die Göttin, die entdeckte, dass "Nein" tatsächlich "Nein" bedeutet (aber erst nach 1.194 Versen)

Lucrece: Shakespeares dunkelste Versdichtung über die Vergewaltigung, die eine Republik gründete

Der Rhyme Royal: Oder warum Shakespeare seine traurigste Geschichte in der königlichsten Form erzählte

Der Blankvers: Oder wie Shakespeare das Herzschlag-Metrum erfand, das England nie mehr loswerden sollte

A Lover's Complaint: Shakespeares vergessenes Gedicht über die Frau, die wusste, dass er ein Mistkerl war, aber trotzdem "Ja" sagte

The Passionate Pilgrim: Shakespeares (angebliches) Gedichtbuch über Liebe, Betrug und die Frage, wie viele Fälschungen man einem toten Dichter unterschieben kann

The Phoenix and the Turtle: Shakespeares metaphysisches Liebesgedicht über zwei Vögel, die so sehr eins wurden, dass die Mathematik aufgab

Die Sonette: Shakespeares 154 Gedichte über Schönheit, Besessenheit und die Frage, ob man seine Gefühle auf Instagram posten sollte (hätte es Instagram gegeben)

Shakespeare und Hera (Story)

Mach's wie Macbeth (Story)

Shakespeare und Merlin (Story)

Shakespeare (Akrostichon)

Hamlet und der Geist Belizander (Story)

Shakespeare, Falstaff und Elizabeth (Story)

Ich liebe Shakespeare

Sonett

 

 

 

Die Komödie der Irrungen: Shakespeares Sitcom avant la lettre

Oder: Wie man mit vier Schauspielern acht Identitätskrisen inszeniert

Es gibt Momente im Leben, da wünscht man sich, William Shakespeare hätte eine Therapie gemacht. Nicht wegen Hamlet oder Lear – die hatten ihre Gründe, durchzudrehen. Nein, wegen Die Komödie der Irrungen. Denn nur jemand mit einem tiefen, vermutlich unverarbeiteten Trauma bezüglich Verwechslungen kann auf die Idee kommen, nicht ein, sondern zwei Zwillingspaare in derselben Stadt aufeinanderloszulassen und dann genüsslich zuzuschauen, wie die soziale Realität kollabiert.

Um 1591 schrieb Shakespeare dieses Stück, das im Grunde die Frage stellt: Was passiert, wenn die Welt plötzlich doppelt sieht? Die Antwort: Chaos, Ohrfeigen und existenzielle Verunsicherung. Kurz gesagt: ein durchschnittlicher Dienstag in Ephesus.

Die Handlung: Ein Lehrstück in symmetrischem Wahnsinn

Die Prämisse klingt wie aus einem Handbuch für Drehbuchautoren, die den Begriff "kompliziert" falsch verstanden haben: Zwei Brüder namens Antipholus wurden bei einem Schiffsunglück getrennt. Beide hatten Diener namens Dromio. Auch Zwillinge. Auch getrennt. (Shakespeare liebte offenbar Symmetrie fast so sehr wie Blankverse.) Jahre später landen Antipholus von Syrakus und sein Dromio zufällig in Ephesus, wo – Überraschung! – ihre Zwillinge leben. Niemand weiß vom jeweils anderen. Die Bühne ist bereitet für zweieinhalb Stunden Slapstick mit philosophischem Unterbau.

Was folgt, ist eine Verwechslungskomödie von chirurgischer Präzision: Der falsche Antipholus wird von der falschen Ehefrau begrüßt, der falsche Dromio bekommt Geld, das für den anderen bestimmt war, Türen werden vor der Nase der richtigen Personen zugeschlagen, und am Ende weiß niemand mehr, wer er ist, wo er ist und warum ihn alle Leute kennen, die er noch nie gesehen hat.

Shakespeare bediente sich dabei schamlos bei Plautus' Menaechmi, einer römischen Komödie über ein einzelnes Zwillingspaar. Aber weil Shakespeare niemals etwas tat, ohne es zu übertreiben, verdoppelte er kurzerhand die Zwillinge. Mehr ist mehr. Das ist dieselbe künstlerische Vision, die später zu Stücken mit fünf Akten, drei Nebenhandlungen und einem Bären führen sollte.

Identität: Das, was andere in uns sehen

Oberflächlich betrachtet ist Die Komödie der Irrungen eine Farce. Unterschwellig ist es ein Alptraum über die Auflösung des Selbst. Denn was Shakespeare hier zerlegt, ist nichts Geringeres als unsere Vorstellung von Identität.

Die Antipholus-Brüder sind nicht einfach nur verwechselbar – sie werden verwechselt, permanent, von allen. Und mit jeder Verwechslung bröckelt ihre Gewissheit, wer sie sind. Antipholus von Syrakus wird von einer Frau umarmt, die behauptet, seine Gattin zu sein. Eine Kurtisane verlangt Geld von ihm. Ein Goldschmied überreicht ihm eine Kette, die er nie bestellt hat. Die Welt behandelt ihn wie jemand anderen, und langsam beginnt er, an sich selbst zu zweifeln. Ist er besessen? Verflucht? In einem Albtraum gefangen?

Die erschreckende Erkenntnis: Identität ist keine innere Essenz, sondern ein soziales Konstrukt. Wir sind, wen die anderen in uns sehen. Nimm einem Menschen seine sozialen Bezüge, und er löst sich auf wie ein Screenshot in der Cloud, wenn das WLAN ausfällt.

Die Dromios, die Diener, erleben dasselbe – nur mit mehr Prügel. Sie werden für Vergehen bestraft, die ihre Zwillinge begangen haben. Ihre Identität wird ihnen nicht nur abgesprochen, sie wird gegen sie verwendet. Das ist nicht nur komisch, das ist kafkaesk. Hätte Kafka Comedy geschrieben, hätte es so ausgesehen.

Spiegelung und Doppelgänger: Die unheimliche Seite der Symmetrie

Shakespeare spielt hier mit einem uralten Motiv: dem Doppelgänger. In der Mythologie ist die Begegnung mit dem eigenen Ebenbild ein Todesomen. In der Literatur steht der Doppelgänger für das Unbewusste, das Verdrängte, das andere Ich. Bei Shakespeare ist er vor allem: verdammt verwirrend.

Die Zwillinge sind einander so ähnlich, dass nicht einmal ihre engsten Vertrauten sie unterscheiden können. Adriana, die Ehefrau von Antipholus von Ephesus, erkennt ihren eigenen Mann nicht. Das ist komisch, aber auch verstörend. Wenn die Person, die dich am besten kennt, dich verwechselt – wer bist du dann überhaupt?

Hier wird die Farce zur Parabel: In einer Welt, in der das Äußere alles ist, existiert das Innere nicht. Persönlichkeit, Charakter, Seele – alles Konzepte, die verblassen, wenn zwei Menschen identisch aussehen. Shakespeare seziert die Oberfläche der Welt und zeigt: Darunter ist nichts. Oder zumindest nichts, was sozial zählt.

Die Verdoppelung der Zwillingspaare verdoppelt auch die Komik – und die Verzweiflung. Denn jede Verwechslung zieht weitere Verwechslungen nach sich, in einer Kettenreaktion aus Missverständnissen, die sich exponentiell vermehren. Das ist Chaos-Theorie als Bühnenkunst: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Syrakus führt zu einem Tumult in Ephesus.

Die Auflösung: Familie als Rettungsanker

Am Ende – natürlich – klärt sich alles auf. Die beiden Antipholus-Brüder stehen sich gegenüber, die beiden Dromios ebenfalls. Die Welt atmet auf. Identität wird wiederhergestellt, nicht durch Selbsterkenntnis, sondern durch Anerkennung der anderen. Und hier wird das Stück plötzlich rührend.

Denn die Auflösung erfolgt durch die Mutter, Aemilia, die beide Söhne wiederfindet. Familie, suggeriert Shakespeare, ist der Anker, der uns hält, wenn die Welt verrücktspielt. Sie ist der Ort, an dem wir erkannt werden, nicht weil wir so oder so aussehen, sondern weil wir sind.

Das ist die versöhnliche Botschaft eines Stücks, das zuvor alles daran gesetzt hat zu zeigen, wie fragil unser Platz in der Welt ist. Die Komödie der Irrungen endet mit einer Umarmung. Aber die Verunsicherung bleibt.

Heute: Identitätskrise als Massenphänomen

Hätte Shakespeare heute gelebt, er hätte vermutlich eine Serie für Netflix geschrieben. Die Komödie der Irrungen hat die Sitcom-Struktur perfektioniert, lange bevor es Sitcoms gab: geschlossener Raum (Ephesus), überschaubare Zeit (ein Tag), eskalierendes Missverständnis, Auflösung in letzter Minute. Das ist Fawlty Towers, das ist Seinfeld, das ist jede Episode von Friends, in der jemand verwechselt wird.

Aber die Relevanz des Stücks geht über Sitcom-Mechanik hinaus. Wir leben in einer Zeit, in der Identität ein Dauerthema ist. Wer bin ich online? Wer bin ich offline? Wie viele Versionen von mir existieren gleichzeitig? Soziale Medien haben uns alle zu Antipholus gemacht: Wir bewegen uns durch eine Welt, in der unterschiedliche Versionen unserer selbst existieren, und manchmal verwechseln sogar wir sie.

Die globale Mobilität hat Verwechslungen zur Normalität gemacht. Wir sind Fremde in fremden Städten, werden für andere gehalten, halten andere für Bekannte. Das Gefühl, nicht erkannt zu werden – oder fälschlich erkannt zu werden –, ist kein theatralisches Konstrukt mehr, sondern Alltag.

Und dann ist da noch die Frage nach der Authentizität. In einer Welt, in der wir ständig performen, in der jede Interaktion auch eine Darstellung ist – wer ist dann das echte Ich? Ist das Ich, das bei der Arbeit auftritt, weniger echt als das Ich, das zuhause auf dem Sofa sitzt? Shakespeare hätte seine Freude an dieser Frage gehabt. Und vermutlich zwei weitere Zwillingspaare ins Spiel gebracht.

Warum wir lachen (und uns fürchten)

Die Komödie der Irrungen ist lustig, weil wir wissen, was die Figuren nicht wissen: Dass es Zwillinge gibt. Wir sind die Eingeweihten, die Beobachter, die Götter in der Zuschauerloge. Wir lachen über die Verwechslungen, weil wir die Auflösung kennen.

Aber unterschwellig lachen wir auch, weil wir erleichtert sind, dass uns das nicht passiert. Dass unsere Identität stabil ist. Dass niemand uns mit jemand anderem verwechselt. Dass wir wissen, wer wir sind.

Nur: Stimmt das? Shakespeare legt den Finger in die Wunde und zeigt, dass Identität fragiler ist, als wir glauben. Dass wir im Grunde alle Antipholus sind, nur mit weniger symmetrischen Verwechslungen. Dass die Komödie der Irrungen nicht aufhört, wenn der Vorhang fällt, sondern weitergeht, jeden Tag, in jeder Begegnung, in jeder Frage: Wer bin ich und wer glauben die anderen, dass ich bin?

Das ist das Genie dieses kleinen, chaotischen Stücks. Es ist eine Farce. Und eine Parabel. Und eine Warnung. Und am Ende vielleicht doch nur: ein Dienstagabend in Ephesus, an dem alles schiefgeht. Aber was für ein Abend.

 

Verlorene Liebesmüh: Shakespeares Dissertation über männliche Selbstüberschätzung

Oder: Wie man mit einem Schwur alles verspielt, was man nicht versteht

Es gibt Pläne, die sind so brillant, dass man sofort weiß: Sie werden spektakulär scheitern. Der Turmbau zu Babel. Die Titanic ("unsinkbar!"). Neue Kryptowährungen. Und: Vier junge Männer, die beschließen, drei Jahre lang keine Frauen anzuschauen, um sich ganz der Wissenschaft zu widmen.

Willkommen bei Verlorene Liebesmüh, Shakespeares um 1593 entstandener Feldstudie über männliche Hybris und die Halbwertszeit guter Vorsätze. Ein Stück, das die Frage stellt: Was passiert, wenn Akademiker auf die Realität treffen? Die Antwort: Sie scheitern. Gründlich. Und zwar innerhalb von fünf Minuten, nachdem die erste Frau den Raum betritt.

Das ist keine Komödie. Das ist eine Dokumentation.

Die Handlung: Ein Schwur, vier Idioten, null Chance

Ferdinand, König von Navarra, hat eine Vision. Sein Hof soll zu einer "kleinen Akademie" werden, einem Ort der Gelehrsamkeit und intellektuellen Erhebung. Kein Smalltalk, keine Ablenkungen, keine Frauen. Drei Jahre lang nur Bücher, Disputation und vermutlich sehr schlechte Kaffeemaschinen. Seine drei Freunde – Berowne, Longaville und Dumaine – unterschreiben den Pakt. Berowne zwar unter Protest (er ist der Einzige mit funktionierendem Überlebensinstinkt), aber er unterschreibt.

Dann passiert, was passieren muss: Die Prinzessin von Frankreich taucht auf. Mit diplomatischer Mission. Und drei Hofdamen. Die zufällig genau so attraktiv sind wie die vier Männer überzeugt von ihrer Selbstkontrolle.

Was folgt, ist ein Lehrstück in beschleunigter Selbstdemontage. Einer nach dem anderen verliebt sich. Einer nach dem anderen schreibt heimlich Liebesgedichte. Einer nach dem anderen wird dabei erwischt. Am Ende stehen vier Männer da, die geschworen haben, nicht zu lieben und nun verzweifelt versuchen, ihre Gefühle in pentametrischen Versen zu rationalisieren.

Das ist, als würde man zusehen, wie jemand eine Diät beginnt und dann beim ersten Bäcker zusammenbricht. Nur mit mehr Rhetorik.

Sprache als Versteckspiel: Wenn Wortgewandtheit Lebenslüge wird

Verlorene Liebesmüh ist Shakespeares wortreichstes Stück. Das will etwas heißen bei einem Autor, der Hamlet 30.000 Wörter in den Mund legt. Hier wird parliert, dass sich die Balken biegen. Alliterationen, Wortspiele, rhetorische Kapriolen – die Figuren reden, als würden sie beim Sprechen bezahlt. Pro Silbe.

Aber – und hier wird es interessant – das ist genau der Punkt. Die Sprache ist nicht Ausdruck von Gefühl, sondern dessen Ersatz. Die Männer verstecken sich hinter ihren Worten wie hinter einer Ritterrüstung. Sie glauben, eloquent zu sein, bedeute, recht zu haben. Dass Wortgewandtheit ein Beweis für Tiefe sei.

Spoiler: Ist sie nicht.

Berowne, der Intelligenteste der vier (was nicht viel heißt), erkennt das Problem als Erster. Nach ellenlangen Tiraden über die Macht der Liebe und die Torheit des Schwurs sagt er: "Honest plain words best pierce the ear of grief." Ehrliche, einfache Worte. Das ist die Lösung. Aber kann er sie umsetzen? Natürlich nicht. Er redet weiter. Denn das ist alles, was er kann.

Shakespeare zeigt hier etwas Entlarvendes: Sprache kann eine Waffe sein. Oder ein Schutzschild. Aber sie kann auch eine Krücke sein, auf die man sich stützt, wenn man nicht weiß, wie man geradeausgehen soll. Die Männer in Verlorene Liebesmüh sind sprachlich brillant und emotional minderjährig. Sie können über Liebe reden, aber nicht lieben. Das ist die Tragödie hinter der Komödie.

Pedanterie trifft auf Menschlichkeit: Die Nebenhandlung als Spiegel

Parallel zur Haupthandlung gibt es eine Galerie grotesker Nebenfiguren, die das Geschehen kommentieren, parodieren und verdoppeln. Da ist Holofernes, der Schulmeister, der spricht, als hätte er ein Wörterbuch verschluckt. Don Armado, der spanische Großtuer, der mehr Worte als Verstand hat. Costard, der einfache Bauer, dessen Ehrlichkeit alle anderen Lügen straft.

Diese Figuren sind Karikaturen. Aber sie sind auch Spiegel. Holofernes' pedantische Gelehrsamkeit reflektiert Ferdinands akademische Illusionen. Armados lächerliche Liebeslyrik ist nur eine Spur absurder als Berownes ausgefeilte Sonette. Costard, der die Dinge beim Namen nennt, zeigt, was passiert, wenn man nicht hinter Worten verschwindet: Man wird verstanden.

Shakespeare macht hier etwas Radikales: Er stellt die "gebildeten" Figuren auf dieselbe Stufe wie die Clowns. Mehr noch: Er suggeriert, dass die Clowns ehrlicher sind. Dass ihre Einfachheit dem aufgeblasenen Intellektualismus überlegen ist. Dass Pedanterie sich vor Menschlichkeit blamiert.

Das ist nicht nur Comedy. Das ist ein Frontalangriff auf die intellektuelle Elite seiner Zeit. Und unserer.

Das Ende: Keine Hochzeit, nur Hausaufgaben

Hier passiert etwas Ungeheuerliches: Verlorene Liebesmüh endet nicht glücklich.

Shakespeares Komödien enden normalerweise mit Hochzeiten. Oder zumindest mit Verlobungen. Das ist das Gesetz des Genres. Hier nicht. Als die Männer endlich bereit sind, die Frauen zu heiraten, kommt die Nachricht, dass der Vater der Prinzessin gestorben ist. Sie muss nach Hause. Die Hochzeiten werden verschoben.

Aber nicht einfach verschoben. Vertagt. Um ein Jahr. Unter Auflagen.

Die Prinzessin sagt zu Ferdinand: "Go with me to my father's grave. Spend a year there in hospital work, in silence and humility. If you still love me then, come find me." Die anderen Frauen geben ähnliche Aufgaben. Berowne soll in Krankenhäuser gehen und dort Witze erzählen, um zu lernen, dass Sprache anderen dienen muss, nicht nur ihm selbst.

Das ist brutal. Und genial.

Denn Shakespeare sagt hier: Liebe reicht nicht. Worte reichen nicht. Gefühle reichen nicht. Ihr müsst zeigen, wer ihr seid. Nicht durch Schwüre oder Sonette, sondern durch Taten. Durch Zeit. Durch das mühsame Geschäft, ein anständiger Mensch zu werden.

Das ist kein romantisches Ende. Das ist ein pädagogisches. Die Frauen sind nicht Preise, die man gewinnt, sondern Lehrerinnen, die Hausaufgaben aufgeben. Und die Männer? Sie müssen nachsitzen. Ein Jahr lang. Ohne Garantie, dass sie bestehen.

In einer Shakespeare-Komödie ist das eine Revolution.

Heute: Die Ära der Performance

Hätte Shakespeare heute gelebt, er hätte Verlorene Liebesmüh vielleicht "The Tinder Swindler: An Academic Exercise" genannt. Denn das Stück handelt von etwas, das wir alle kennen: dem Unterschied zwischen dem, wie wir uns darstellen, und dem, wer wir sind.

Die vier Männer sind Hochstapler. Nicht im kriminellen Sinne, sondern im existenziellen. Sie verkaufen sich als gelehrt, kontrolliert, überlegen. Sie inszenieren sich als Asketen, als Philosophen, als Männer mit Plan. In Wahrheit sind sie normale Kerle, die nicht wissen, wie man mit Gefühlen umgeht und deshalb beschließen, sie einfach zu verbieten.

Das ist modernes Verhalten. Wir leben in einer Welt, in der Performance alles ist. Wo man sich auf LinkedIn als "thought leader" verkauft, obwohl man gerade erst gegoogelt hat, was "disruptive innovation" bedeutet. Wo man auf Instagram ein Leben kuratiert, das man nicht lebt. Wo man Tinder-Profile schreibt, als wären es Bewerbungen für einen Job, den es nicht gibt.

Verlorene Liebesmüh ist ein Stück über performatives Intellektuellengehabe. Über Männer, die glauben, dass das richtige Vokabular sie zu besseren Menschen macht. Dass ein Schwur, den man öffentlich leistet, mehr zählt als das, was man heimlich tut. Dass Reputation wichtiger ist als Charakter.

Die Frauen durchschauen das sofort. Sie sind nicht beeindruckt von den Sonetten. Sie spotten über die Verkleidungen (die Männer tauchen als "Russen" verkleidet auf – Shakespeares Version von "Ich bin jetzt jemand anders online"). Sie fordern Substanz. Und als die Männer nur mehr Performance liefern, sagen sie: "Kommt wieder, wenn Ihr erwachsen seid."

Das ist die ultimative Demütigung. Und die ultimative Wahrheit.

Wortspiel vs. Wahrhaftigkeit: Das zentrale Dilemma

Das Herz des Stücks ist ein Konflikt zwischen zwei Modi der Existenz: Sprache und Sein. Die Männer leben in der Sprache. Sie glauben, dass Worte Realität schaffen können. Dass man sich durch Reden zu etwas macht. Die Frauen leben im Sein. Sie wissen, dass Worte billig sind. Dass Taten zählen. Dass man nicht ist, was man sagt, sondern was man tut.

Berowne – wieder er – hat die beste Zeile des Stücks: "Taffeta phrases, silken terms precise, / Three-piled hyperboles, spruce affectation, / Figures pedantical – these summer flies / Have blown me full of maggot ostentation." Glattgebügelte Sätze aus Taffet, dreifach gefütterte Übertreibung, modisch aufgedonnerte Gelehrsamkeit – diese Sommerschmeißfliegen haben mich vollgestopft mit eitler Aufgeblasenheit.

Taft-Phrasen, seidene Termini, dreilagige Hyperbeln – er erkennt, dass seine Sprache ihn korrumpiert hat. Dass er zum Gefangenen seiner eigenen Rhetorik geworden ist. Dass Eloquenz ihn von Echtheit getrennt hat.

Aber – und hier ist der Haken – er erkennt das in einem ellenlangen, hyperartikulierten Monolog voller Metaphern. Er kann nicht aufhören zu reden, selbst wenn er über das Reden-Müssen redet. Das ist Comedy auf Meisterebene. Und existenzielle Verzweiflung.

Wir sind alle Berowne. Wir wissen, dass Authentizität zählt und inszenieren gleichzeitig unsere Authentizität. Wir reden über "ehrliche Kommunikation" in sorgfältig durchdachten Posts. Wir performen Spontaneität. Wir kuratieren unsere Nachlässigkeit.

Shakespeare sah das kommen. 400 Jahre zu früh.

Die verlorene Liebesmüh: Was eigentlich verloren geht

Der Titel ist mehrdeutig. "Love's Labour's Lost" – die Mühe der Liebe ist verloren. Oder: Die Arbeit, die Liebe macht, ist umsonst gewesen. Oder: Die Liebe selbst ist Arbeit, und diese Arbeit ist gescheitert.

Alle drei Lesarten treffen zu.

Die Männer haben Mühe investiert. Schwüre geleistet. Sonette geschrieben. Sich verkleidet. Sich zum Narren gemacht. Und was haben sie bekommen? Hausaufgaben. Ein Jahr Wartezeit. Keine Garantie.

Ihre Liebesmüh ist verloren – aber vielleicht war es die falsche Mühe. Vielleicht zählt nicht, wie sehr man sich anstrengt, sondern wie man sich anstrengt. Vielleicht ist ein Schwur, drei Jahre nicht zu lieben, genauso wertlos wie ein Schwur, für immer zu lieben, wenn beide nur Worte sind.

Das Stück suggeriert: Liebe ist keine Mühe, die man investiert und dann eine Rendite erwartet. Liebe ist ein Prozess. Ein Werden. Eine Veränderung, die man an sich selbst vornimmt, nicht eine Performance, die man für andere aufführt.

Die Männer haben verloren, weil sie gedacht haben, Liebe sei ein Projekt. Mit Ziel, Strategie, Ergebnis. Die Frauen wissen: Liebe ist das Leben selbst. Unplanbar. Unkontrollierbar. Echt.

Warum dieses Stück heute wichtiger ist denn je

Verlorene Liebesmüh ist kein beliebtes Stück. Es wird selten aufgeführt. Es gilt als "schwierig". Zu viele Wortspiele. Zu viele obskure Anspielungen. Kein befriedigendes Ende.

Aber vielleicht ist genau das der Punkt.

Wir leben in einer Zeit, in der alle nach einfachen Lösungen suchen. Nach Life-Hacks. Nach den "5 Schritten zu ..." Nach Abkürzungen. Verlorene Liebesmüh sagt: Gibt es nicht. Ihr müsst die Arbeit machen. Die echte, mühsame, demütigende Arbeit, ein Mensch zu werden.

Das Stück ist unbequem, weil es uns zeigt, dass wir alle ein bisschen wie Ferdinand sind. Dass wir Pläne machen, die an der Realität scheitern. Dass wir uns hinter Worten verstecken, weil wir Angst vor Gefühlen haben. Dass wir performen, statt zu sein.

Und es zeigt auch: Das ist okay. Scheitern ist okay. Solange man bereit ist, danach die Hausaufgaben zu machen.

In einer Welt, in der jeder behauptet, "authentisch" zu sein, während er seinen 47. Instagram-Filter ausprobiert, ist Verlorene Liebesmüh ein Gegengift. Ein Stück, das sagt: Authentizität erreicht man nicht durch einen Schwur oder einen Post. Man erreicht sie durch Zeit. Durch Scheitern. Durch die Bereitschaft, ein Jahr in einem Krankenhaus Witze zu erzählen, bis man lernt, dass Sprache anderen dienen muss, nicht nur einem selbst.

Das ist keine leichte Botschaft. Aber es ist die wahre.

Schluss: Die Komödie, die keine ist

Am Ende von Verlorene Liebesmüh singt ein Kuckuck. Und eine Eule. Frühling und Winter. Leben und Tod. Der Kuckuck singt von Eifersucht (er legt seine Eier in fremde Nester). Die Eule singt von Kälte und Husten.

Das sind keine Hochzeitslieder. Das sind Erinnerungen daran, dass das Leben weitergeht. Dass Komödien enden, aber die Realität nicht. Dass es keine Auflösung gibt, nur den nächsten Tag und den Tag danach, und die langsame, mühsame Arbeit, zu lernen, wer man ist.

Die verlorene Liebesmüh ist nicht verloren. Sie ist verschoben. Auf später. Auf das echte Leben, das beginnt, wenn der Vorhang fällt.

Das ist das Ende, das Shakespeare uns schenkt. Kein Happy End. Sondern etwas Besseres: eine Chance.

Ob die Männer sie nutzen? Das steht in den Sternen. Oder in einem Stück, das Shakespeare nie geschrieben hat: Love's Labour's Won.

Das wäre dann die Fortsetzung. Wenn es sie gibt.

Vermutlich gibt es sie nicht. Vermutlich ist das der Witz.

 

Der Widerspenstigen Zähmung: Shakespeares Minenfeld

Oder: Wie man ein Stück schreibt, über das noch in 400 Jahren gestritten wird

Es gibt Theaterstücke, die sind zeitlos. Und es gibt Der Widerspenstigen Zähmung. Ein Stück, das so problematisch ist, dass Regisseure seit Jahrhunderten versuchen, es zu retten, zu dekonstruieren, zu ironisieren oder einfach so zu inszenieren, dass niemand aus dem Zuschauerraum auf die Bühne stürmt.

Um 1594 schrieb Shakespeare eine Komödie über einen Mann, der eine Frau "zähmt" wie ein widerspenstiges Pferd. Das Ganze wird als Liebesgeschichte verkauft. Das ist ungefähr so, als würde man ein Recruitingvideo für toxische Beziehungen drehen und es "romantische Komödie" nennen.

Die zentrale Frage ist: Meinte Shakespeare das ernst? Oder war das schon damals Satire? Die Antwort ist: Ja. Oder nein. Oder beides. Oder keines. Herzlich willkommen im einzigen Shakespeare-Stück, das man nicht interpretieren kann, ohne sich dabei auf irgendeine Weise schuldig zu fühlen.

Die Handlung: Ein Tutorial in toxischer Männlichkeit

Die Geschichte ist schnell erzählt, auch wenn man danach eine Dusche braucht: Petruchio, ein Glücksritter aus Verona, kommt nach Padua, um eine reiche Frau zu heiraten. Seine einzige Qualifikation: Er hat keine Skrupel. Sein einziger Plan: Geld heiraten, egal wie.

Katharina, die "Widerspenstige" des Titels, ist genau das: widerspenstig. Sie lässt sich nichts gefallen, sagt ihre Meinung und hat die charmante Angewohnheit, Freier zu schlagen. Ihr Vater, Baptista, bietet praktisch eine Prämie für jeden, der sie heiratet, weil er seine jüngere, "zahme" Tochter Bianca nicht verheiraten kann, solange die ältere noch zu haben ist. (Mittelalterliche Familienplanung: Erst die Schwierige loswerden, dann die Angenehme.)

Petruchio sieht seine Chance. Er wirbt um Katharina mit einer Strategie, die man heute "Gaslighting" nennen würde. Er widerspricht allem, was sie sagt. Er nennt sie sanft, wenn sie ihn anschreit. Er behauptet, die Sonne sei der Mond. Er verweigert ihr Essen und Schlaf – zu ihrem eigenen Besten, versteht sich. Das ist keine Werbung. Das ist ein Folterhandbuch.

Am Ende steht Katharina vor einer Versammlung und hält eine Rede darüber, dass Frauen ihren Männern gehorchen sollen. Sie ist "gezähmt". Petruchio hat gewonnen. Applaus, Vorhang, alle gehen nach Hause und fühlen sich hoffentlich furchtbar.

Das Problem: Es ist eine Komödie

Hier wird es heikel. Denn Der Widerspenstigen Zähmung ist als Komödie konzipiert. Das Publikum soll lachen. Über was? Über eine Frau, die gebrochen wird? Über einen Mann, der psychologische Kriegsführung betreibt? Über die Prämisse, dass eine selbstbewusste Frau ein Problem ist, das gelöst werden muss?

Ja. Genau darüber.

Und hier spalten sich die Wege der Interpretation wie die Haare auf dem Kopf eines Shakespeare-Forschers nach seiner dritten Konferenz über dieses Stück.

Lesart 1: Es ist genau so schrecklich, wie es aussieht.Ein Produkt seiner Zeit. Das elisabethanische England war eine patriarchale Gesellschaft, in der Frauen rechtlich ihren Männern unterstellt waren. Gehorsam war eine Tugend. Widerstand ein Laster. Shakespeare schrieb, was sein Publikum sehen wollte: eine "schwierige" Frau wird "korrigiert". Das Stück ist misogyn. Ende der Diskussion.

Lesart 2: Es ist Satire. Offensichtlich.Petruchio ist so übertrieben, so cartoonhaft bösartig, dass das Ganze als Parodie gemeint sein muss. Die finale Rede Katharinas ist so unterwürfig, so überzogen, dass sie nur ironisch gelesen werden kann. Shakespeare zeigt nicht, wie Ehen funktionieren sollen, sondern wie absurd die gesellschaftlichen Erwartungen sind. Es ist eine Kritik, verkleidet als Komödie.

Lesart 3: Es ist eine Performance.Katharina und Petruchio spielen ein Spiel. Sie verstehen einander. Die "Zähmung" ist ein Akt, eine Inszenierung für die Gesellschaft. Katharina lernt, die Rolle der gehorsamen Ehefrau zu spielen, um Macht zu erlangen. Das ist kein Verlust, sondern eine Strategie. Sie gibt Petruchio, was er will – öffentlich. Was privat passiert, bleibt unklar. Vielleicht haben die beiden einfach einen sehr merkwürdigen Sinn für Humor.

Lesart 4: Es ist alles gleichzeitig und nichts davon.Shakespeare war ein Genie der Ambiguität. Er schrieb Stücke, die mehrere Interpretationen erlauben – und keine ausschließen. Der Widerspenstigen Zähmung ist so konstruiert, dass jede Lesart funktioniert. Und keine vollständig. Das ist entweder brillant oder feige. Oder beides.

Die Wahrheit? Wir wissen es nicht. Und Shakespeare ist tot. Also können wir ihn nicht fragen. Was bleibt, ist ein Stück, das uns mehr über uns selbst verrät als über seine Entstehungszeit.

Die Rahmenhandlung: Das Stück im Stück

Etwas, das oft vergessen wird: Der Widerspenstigen Zähmung hat eine Rahmenhandlung. Bevor Katharina und Petruchio auftreten, gibt es eine Szene, in der ein betrunkener Kesselflicker namens Christopher Sly von einem Lord gefunden wird. Der Lord beschließt, Sly einen Streich zu spielen: Er lässt ihn glauben, er sei ein Adliger, der aus einem langen Schlaf erwacht. Zur Unterhaltung wird dann das Stück über Katharina und Petruchio aufgeführt.

Das heißt: Die ganze Geschichte ist eine Inszenierung. Eine Komödie für einen Betrunkenen. Ein Theaterstück innerhalb eines Theaterstücks. Das wirft die Frage auf: Wie ernst können wir das Ganze nehmen?

Die Rahmenhandlung wird nie aufgelöst. Sly verschwindet nach dem zweiten Akt. Er meldet sich nicht mehr. Shakespeare lässt uns im Unklaren, ob das, was wir sehen, "echt" ist (im Kontext der Fiktion) oder nur eine Show für einen bewusstlosen Säufer.

Das ist entweder ein dramaturgischer Fehler – oder ein Geniestreich. Denn es suggeriert: Das Ganze ist ein Spiel. Nehmt es nicht so ernst. Es ist nur Theater. Aber ist das eine Entschuldigung? Oder eine Provokation?

Katharina: Opfer, Strategin oder beides?

Katharina ist eine der faszinierendsten – und frustrierendsten – Figuren in Shakespeares Werk. Zu Beginn ist sie brillant. Sie lässt sich nichts gefallen. Sie hat die schärfste Zunge in Padua. Sie ist intelligent, eloquent und absolut desillusioniert von der Welt um sie herum.

Warum ist sie "widerspenstig"? Vielleicht, weil sie in einer Gesellschaft lebt, die von ihr verlangt, süß und gehorsam zu sein, während ihr Vater sie als Ware behandelt und jeder Mann in der Stadt sie als Problem sieht. Vielleicht ist ihre Widerspenstigkeit keine Charakterschwäche, sondern eine Überlebensstrategie.

Dann kommt Petruchio und bricht sie. Systematisch. Er entzieht ihr Nahrung, Schlaf, Autonomie. Er spielt mit ihrer Wahrnehmung, bis sie nicht mehr weiß, ob die Sonne die Sonne ist. Das ist nicht romantisch. Das ist psychologische Manipulation nach Lehrbuch.

Und am Ende? Die berühmte Rede.

Katharina erklärt einer Versammlung, dass Frauen ihren Männern untertan sein sollen. Dass Männer arbeiten, während Frauen "weich und schwach" sind. Dass Widerstand Rebellion ist und Gehorsam Tugend.

Man kann diese Rede auf drei Arten lesen:

Sie meint es ernst.

Sie ist gebrochen. Petruchio hat gewonnen. Das ist das traurige Ende einer einst stolzen Frau.

Sie spielt.

Sie sagt, was von ihr erwartet wird, um Petruchio zu gefallen – oder um die anderen zu täuschen. Die Übertreibung ihrer Unterwerfung ist so extrem, dass sie nur Satire sein kann. Sie spielt das Spiel besser als alle anderen.

Sie hat verloren und gewonnen.

Sie hat ihre Freiheit aufgegeben, aber Sicherheit gewonnen. In einer Welt, in der Frauen keine Macht haben, ist Anpassung eine Form von Überleben. Sie macht das Beste aus einer unmöglichen Situation.

Alle drei Lesarten sind möglich. Keine ist befriedigend.

Moderne Inszenierungen versuchen oft, Katharina zu "retten", indem sie die Rede ironisch spielen lassen. Sie zwinkert. Sie übertreibt. Sie macht deutlich: Das ist ein Spiel. Aber selbst dann bleibt der Beigeschmack: Sie muss spielen. Die Alternative ist Isolation. Oder Schlimmeres.

Petruchio: Charmeur oder Soziopath?

Petruchio ist ein Problem. Er ist witzig, energisch, selbstbewusst. Er hat großartige Zeilen. Er ist der Motor des Stücks. Und er ist ein Manipulator, der eine Frau psychisch zermürbt, um sie zu kontrollieren.

Das ist die Schwierigkeit mit diesem Stück: Petruchio funktioniert als Figur. Er ist charismatisch. Man kann verstehen, warum Schauspieler die Rolle lieben. Aber das macht ihn nicht zu einem guten Menschen. Oder zu einem romantischen Helden.

Seine Strategie ist klar: Er verwirrt Katharina so sehr, dass sie aufgibt. Er nennt Schwarz Weiß. Er lobt sie für Eigenschaften, die sie nicht hat. Er inszeniert Szenen, in denen sie als Problem erscheint, damit er sie "retten" kann. Das ist die Blaupause für jeden toxischen Partner, der je existiert hat.

Und das Publikum lacht. Warum? Weil es lustig inszeniert ist. Weil Petruchio selbstironisch agiert. Weil die Absurdität der Situation komödiantisches Potenzial hat. Aber lachen wir über ihn – oder über das, was er tut? Das ist nicht dasselbe.

Einige Inszenierungen versuchen, Petruchio als jemanden zu zeigen, der Katharina "befreit", indem er ihr zeigt, wie man das System manipuliert. Er bringt ihr bei, die Regeln zu brechen, indem er vorgibt, sie zu befolgen. Das ist... eine Interpretation. Eine, die viel Goodwill erfordert. Und eine sehr spezifische Regie.

In den meisten Lesarten bleibt Petruchio das, was er ist: Ein Mann, der eine Frau als Projekt sieht. Ein Fixer Upper: ein renovierungsbedürftiges, sanierungsbedürftiges Objekt. Ein Problem, das gelöst werden muss. Und am Ende hat er gewonnen. Weil das Stück ihm recht gibt.

Heute: Warum wir dieses Stück noch spielen (und warum wir es vielleicht nicht sollten)

Hier die unbequeme Wahrheit: Der Widerspenstigen Zähmung wird immer noch gespielt. Und es funktioniert. Publikum lacht. Kritiker streiten. Theater verkaufen Tickets.

Warum? Weil das Stück etwas trifft, das immer noch relevant ist: Die Frage nach Macht in Beziehungen. Nach Rollenerwartungen. Nach der Performance von Geschlecht.

Wir leben in einer Welt, in der #MeToo die Strukturen toxischer Männlichkeit offengelegt hat. Wo über Konsens, Gleichberechtigung und emotionale Manipulation diskutiert wird wie nie zuvor. Und dann gibt es Der Widerspenstigen Zähmung, ein Stück, das all das auf die Bühne bringt – nur dass es vor 400 Jahren geschrieben wurde und nicht weiß, auf welcher Seite es steht.

Moderne Inszenierungen versuchen, das Stück zu "retten":

Katharina spielt ihre Unterwerfung ironisch.

Petruchio wird als Karikatur gezeigt, lächerlich statt heroisch.

Die Rahmenhandlung mit Sly wird betont, um klarzustellen: Das ist alles nur eine Show.

Das Ende wird umgeschrieben: Katharina rebelliert oder verlässt Petruchio oder dreht den Spieß um.

Aber selbst dann bleibt die Frage: Warum spielen wir dieses Stück überhaupt noch?

Die ehrliche Antwort: Weil es provoziert. Weil es unbequem ist. Weil es uns zwingt, über Dinge zu sprechen, die wir lieber verdrängen würden. Über die Tatsache, dass Beziehungen immer noch Machtspiele sind. Dass viele Menschen – bewusst oder unbewusst – Rollen spielen, um akzeptiert zu werden. Dass "Anpassung" manchmal als Liebe verkauft wird.

Der Widerspenstigen Zähmung ist ein Spiegel. Und manchmal zeigt der Spiegel Dinge, die wir nicht sehen wollen.

Performative Anpassung: Die moderne Lesart

Hier eine These: Der Widerspenstigen Zähmung ist nicht über Unterdrückung. Es ist über Performance.

Katharina lernt, eine Rolle zu spielen. Die Rolle der gehorsamen Ehefrau. Nicht, weil sie gebrochen wurde, sondern weil sie erkannt hat, dass die Gesellschaft ein Theaterstück ist, und sie kann entweder mitspielen oder ausgeschlossen werden.

Das ist keine Kapitulation. Das ist Pragmatismus.

Wir alle spielen Rollen. Im Job sind wir "professionell". Mit Freunden sind wir "locker". In der Familie sind wir "pflichtbewusst". Wir passen uns an, je nach Kontext. Ist das Verlust der Identität? Oder ist das soziale Kompetenz?

Katharina wird nicht gezähmt. Sie lernt zu performen. Und vielleicht – nur vielleicht – ist sie am Ende die Cleverere. Denn während Petruchio glaubt, er habe gewonnen, hat Katharina gelernt, wie man das Spiel spielt. Und wer das Spiel versteht, kann es manipulieren.

Das ist eine Lesart, die dem Stück Würde zurückgibt. Aber es ist auch eine Lesart, die viel hineininterpretiert. Die Frage bleibt: Hat Shakespeare das gemeint? Oder wollen wir nur, dass er das gemeint hat?

Die finale Rede: Das giftigste Geschenk der Literatur

Katharinas Schlussmonolog ist berüchtigt. Und er ist lang. Sehr lang. Sie erklärt, dass Frauen ihren Männern dienen sollen, dass Männer die Beschützer sind, dass Widerstand gegen den Ehemann Rebellion gegen die natürliche Ordnung ist.

Hier eine Kostprobe:

"Thy husband is thy lord, thy life, thy keeper,Thy head, thy sovereign."

Dein Ehemann ist dein Herr, dein Leben, dein Hüter. Dein Kopf, dein Souverän.

Das ist ... viel.

Wie spielt man das heute? Wie liest man das? Drei Möglichkeiten:

Wörtlich.

Katharina meint es ernst. Sie ist gezähmt. Das ist das Ende ihrer Geschichte. (Dann ist das Stück eine Tragödie, die als Komödie verkauft wird.)

Ironisch.

Katharina übertreibt bewusst. Jeder im Raum – außer vielleicht Petruchio – versteht, dass das Satire ist. (Dann ist das Stück klüger, als es aussieht.)

Ambivalent.

Sie meint es

und

sie meint es nicht. Sie hat internalisiert, was von ihr erwartet wird und findet darin Sicherheit. Aber sie hat auch verloren. (Dann ist das Stück ein Kommentar über Sozialisation und Zwang.)

Die meisten modernen Inszenierungen wählen Option 2. Katharina zwinkert. Sie übertreibt. Sie macht deutlich: Das ist Performance.

Aber selbst dann – selbst wenn sie es nicht ernst meint – muss sie es sagen. Das ist der Punkt. In einer Welt, in der Frauen keine Macht haben, ist die Performance der Unterwerfung der Preis für Akzeptanz.

Das ist nicht weniger tragisch, nur weil es ironisch gespielt wird.

Warum dieses Stück uns nicht loslässt

Der Widerspenstigen Zähmung ist das Shakespeare-Stück, das wir am liebsten vergessen würden – aber nicht können. Es ist unbequem. Es ist problematisch. Es ist ein Relikt aus einer Zeit, die wir überwunden haben wollen.

Aber haben wir?

Die Fragen, die das Stück stellt, sind immer noch relevant: Wer hat Macht in Beziehungen? Wie viel von uns selbst geben wir auf, um geliebt zu werden? Wie viel Performance steckt in jeder Partnerschaft? Und wann wird Anpassung zur Unterwerfung?

Das sind keine angenehmen Fragen. Aber sie sind real.

Der Widerspenstigen Zähmung funktioniert, weil es uns an Dinge erinnert, die wir lieber verdrängen. An die Tatsache, dass Geschlechterrollen immer noch existieren. Dass viele Menschen sich verbiegen, um in Beziehungen zu "passen". Dass toxische Dynamiken oft als Liebe getarnt werden.

Das Stück ist ein Spiegel. Und Spiegel lügen nicht.

Fazit: Das Stück, das keine Antworten gibt

Am Ende bleibt Der Widerspenstigen Zähmung das, was es immer war: ein Rätsel. Ein Test. Eine Provokation.

Ist es misogyn? Ja.Ist es Satire? Vielleicht.Ist es klüger, als es aussieht? Möglich.Sollten wir es noch spielen? Kommt darauf an, wie.

Die einzige Gewissheit: Wir werden weiter darüber streiten. Regisseure werden weiter versuchen, es zu "retten". Wissenschaftler werden weiter Aufsätze schreiben. Publikum wird weiter lachen – oder empört sein. Oder beides.

Und vielleicht, vielleicht war das Shakespeares Plan. Ein Stück zu schreiben, das sich nicht auflösen lässt. Das jede Generation zwingt, sich die Frage zu stellen: Was akzeptieren wir? Was performen wir? Und was sind wir bereit zu verzeihen – oder zu vergessen?

Die Widerspenstige ist nicht gezähmt. Sie ist auf der Bühne. Und sie stellt immer noch Fragen.

Wir haben nur keine Antworten.

 

Zwei Herren aus Verona: Shakespeares Frühwerk oder: Wenn die Bromance toxisch wird

Oder: Die Geschichte zweier Freunde, von denen einer ein Soziopath ist und der andere offenbar keine Selbstachtung hat

Es gibt frühe Werke, die Potenzial zeigen. Und es gibt Zwei Herren aus Verona. Ein Stück, das Shakespeare vermutlich zwischen 1590 und 1595 schrieb, als er noch herausfinden musste, wie man Charaktere schreibt, die nicht komplett wahnsinnig sind. Das Ergebnis: eine Komödie über Freundschaft, Verrat und die Frage, wie viel man einem Kumpel verzeihen kann, bevor man einen Therapeuten braucht.

Die Handlung liest sich wie eine Liste schlechter Entscheidungen: Valentine und Proteus sind beste Freunde aus Verona. Valentine zieht nach Mailand und verliebt sich in Silvia. Proteus folgt ihm, verliebt sich ebenfalls in Silvia, verrät seinen Freund, verrät seine eigene Freundin Julia, versucht Silvia zu vergewaltigen, wird dabei erwischt – und Valentine vergibt ihm. Sofort. Ohne Fragen. "Bro, kein Problem."

Das ist keine Komödie. Das ist eine Fallstudie in toxischer Männlichkeit mit Musikuntermalung.

Und doch: Das Stück hat einen Hund. Crab. Der beste Charakter in der gesamten Shakespeare-Sammlung. Ein Hund, der nichts tut, nichts sagt und trotzdem jede Szene stiehlt, in der er auftaucht. Das ist entweder ein dramaturgischer Unfall oder ein Meta-Kommentar darüber, dass Tiere bessere Menschen sind als Menschen.

Die Handlung: Eine Anleitung, wie man Freundschaften ruiniert

Zu Beginn sind Valentine und Proteus unzertrennlich. Valentine beschließt, nach Mailand zu gehen, um die Welt zu sehen und sich weiterzubilden. Proteus bleibt in Verona, weil er in Julia verliebt ist. Die beiden schwören sich ewige Freundschaft. Männer umarmen sich. Es gibt Tränen. Es ist rührend. Es wird nicht halten.

Valentine kommt in Mailand an und verliebt sich prompt in Silvia, die Tochter des Herzogs. Sie erwidert seine Gefühle. Alles ist wunderbar. Bis Proteus auftaucht.

Proteus' Vater hat beschlossen, dass sein Sohn auch nach Mailand soll. Julia bleibt zurück, schwört ihm ewige Treue und gibt ihm einen Ring. Proteus schwört zurück. Dann sieht er Silvia. Und vergisst Julia. Sofort. Komplett. Als wäre sie ein Browsertab, den man schließt, weil man zu viele offen hat.

Ab hier wird es wild:

Proteus verrät Valentine beim Herzog und sorgt dafür, dass dieser aus Mailand verbannt wird.

Julia, verzweifelt über Proteus' Schweigen, verkleidet sich als Page und folgt ihm nach Mailand.

Proteus wirbt um Silvia, die ihn abweist, weil sie Valentine liebt und weil Proteus sich benimmt wie jemand, der bei Tinder sofort "Hey Süße" schreibt.

Valentine wird von Räubern gefangen, die ihn – beeindruckt von seiner Eloquenz – zu ihrem Anführer machen. (Das ist die einzige gesunde Beziehung im ganzen Stück.)

Proteus verfolgt Silvia in den Wald und versucht, sie zu vergewaltigen.

Valentine taucht auf, rettet Silvia und konfrontiert Proteus.

Proteus sagt: "Sorry, Bro."

Valentine sagt: "Kein Problem, Bro" – und bietet an, auf Silvia zu verzichten, damit Proteus sie haben kann.

An dieser Stelle schreit Julia (immer noch als Page verkleidet) "WAS ZUM TEUFEL", entlarvt sich, und Proteus erinnert sich plötzlich, dass er Julia eigentlich liebt. Alle versöhnen sich. Der Herzog verzeiht allen. Es gibt Hochzeiten. Vorhang.

Das ist keine Handlung. Das ist ein Verkehrsunfall in Zeitlupe.

Proteus: Der Freund, vor dem deine Mutter dich gewarnt hat

Proteus ist eine der moralisch fragwürdigsten Figuren in Shakespeares Gesamtwerk. Und das ist eine Liste, die Iago, Richard III. und Macbeth umfasst.

Sein Name ist Programm: Proteus, der griechische Meeresgott, der seine Gestalt ständig wechselt. Shakespeare gibt uns hier einen Charakter ohne moralisches Rückgrat, der seine Loyalitäten wechselt wie andere Leute ihre Socken. Und zwar nicht aus überzeugenden dramatischen Gründen, sondern einfach, weil er es kann.

Die Chronologie seines Verfalls:

Schwört Julia ewige Liebe. (Süß!)

Sieht Silvia. Vergisst Julia. (Okay, nicht ideal, aber Menschen verlieben sich.)

Verrät seinen besten Freund beim Herzog. (Ab hier wird es problematisch.)

Lügt alle an. (Standard-Soziopath-Verhalten.)

Versucht, Silvia zu vergewaltigen. (ALARMSTUFE ROT.)

Und dann – dann! – sagt Valentine: "I forgive you." Und bietet ihm Silvia an. Als wäre sie ein Sandwich, das man teilen kann.

Das ist der Moment, in dem das Stück jede moralische Glaubwürdigkeit verliert. Nicht, weil Proteus so schrecklich ist (Bösewichte gibt es in der Literatur), sondern weil Valentine ihm vergibt. Sofort. Ohne Konsequenzen. Ohne Reflexion. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, ob ein Mann, der gerade versucht hat, seine Freundin zu vergewaltigen, vielleicht nicht der beste Kandidat für bedingungslose Vergebung ist.

Die Frage ist: Warum schreibt Shakespeare das so?

Möglichkeit 1: Shakespeare ist jung und unerfahren. Er versteht noch nicht, wie man Charakterbögen schreibt. Proteus ist böse, weil die Handlung es erfordert, und ihm wird vergeben, weil Komödien nun mal mit Vergebung enden müssen.

Möglichkeit 2: Es ist ein Kommentar über männliche Freundschaft in der Renaissance, wo Homosozialität wichtiger war als romantische Liebe. Valentine verzeiht, weil die Männerfreundschaft heiliger ist als alles andere. (Das macht es nicht weniger verstörend, erklärt aber den historischen Kontext.) Homosozialität: Phänomen, dass Menschen sich in vielen Situationen mit Menschen umgeben, die ihnen geschlechtsbezogen ähnlich sind (laut Wikipedia).

Möglichkeit 3: Shakespeare trollt uns. Er zeigt absichtlich, wie absurd unkritische Vergebung ist. Das Stück ist eine Satire auf toxische Bromance. (Das wäre brillant. Ist aber vermutlich zu viel erhofft.)

Die ehrliche Antwort: Wahrscheinlich Möglichkeit 1. Mit einem Hauch von Möglichkeit 2. Und einem Wunschdenken von Möglichkeit 3.

Valentine: Der Freund, der bessere Freunde braucht

Valentine ist das Gegenteil von Proteus: loyal, ehrlich, romantisch. Er ist der "gute" Gentleman. Das Problem: Er ist so gut, dass er dumm wird.

Valentine verliebt sich in Silvia. Das ist schön. Silvia liebt ihn zurück. Das ist auch schön. Der Herzog will Silvia mit einem reichen Idioten namens Thurio verheiraten. Das ist nicht schön, aber dramaturgisch notwendig.

Valentine plant, mit Silvia zu fliehen. Er vertraut seinen Plan Proteus an. Proteus verrät ihn sofort. Valentine wird verbannt. Und seine Reaktion auf diesen Verrat? Erstmal keine. Er ist traurig, dass er von Silvia getrennt ist. Dass sein bester Freund ihn verraten hat? Nebensache.

Später, im Wald, rettet Valentine Silvia vor Proteus' Vergewaltigungsversuch. Gut! Endlich! Der Held handelt! Und dann ... dann vergibt er Proteus. Und bietet ihm Silvia an.

Das ist der Moment, in dem Valentine von "loyal" zu "Fußabtreter" wechselt.

Die Frage, die sich stellt: Ist Valentine edelmütig? Oder hat er einfach keine Selbstachtung?

In der Renaissance galt die Freundschaft zwischen Männern als die höchste Form der Liebe. Romantische Liebe war schön, aber Freundschaft war ewig. Valentine verkörpert dieses Ideal. Er stellt Proteus über Silvia. Die Bromance siegt über die Romance.

Das Problem: Proteus hat gerade versucht, Silvia zu vergewaltigen. Es gibt Grenzen. Auch in der Renaissance. Vermutlich.

Valentines Vergebung ist entweder ein Zeichen unerschütterlicher Loyalität oder ein Zeichen dafür, dass er dringend Grenzen setzen lernen sollte. Modernes Publikum tendiert zur zweiten Interpretation. Elisabethanisches Publikum hätte vermutlich mit den Schultern gezuckt. "Jungs eben."

Das macht es nicht besser. Nur historisch erklärbarer.

Julia: Die einzige Person mit funktionierendem Kompass

Julia ist die Heldin dieses Stücks. Nicht, weil sie perfekt ist, sondern weil sie die Einzige ist, die tatsächlich Konsequenzen für ihr Handeln zieht.

Sie liebt Proteus. Proteus verlässt sie. Sie könnte zuhause bleiben und weinen. Stattdessen verkleidet sie sich als Page, reist nach Mailand und konfrontiert ihn. Das ist Unternehmungsgeist. Das ist Entschlossenheit. Das ist mehr, als Valentine oder Proteus je zeigen.

Verkleidet als "Sebastian" wird Julia Proteus' Diener. Sie muss mitansehen, wie er um Silvia wirbt. Sie muss Liebesbriefe überbringen. Sie muss zuhören, wie er sie, Julia, vergisst. Und sie tut es. Nicht, weil sie masochistisch ist, sondern weil sie verstehen will. Weil sie wissen will, ob Proteus die Liebe wert ist, die sie ihm gibt.

Die Antwort: Nein. Offensichtlich nicht. Proteus ist ein Desaster in Menschenform.

Aber am Ende – nachdem Proteus sich "entschuldigt" hat (mit der emotionalen Tiefe eines Post-its) – nimmt Julia ihn zurück. Warum? Weil das Stück mit Hochzeiten enden muss. Weil Komödien so funktionieren. Weil Shakespeare jung war und noch nicht wusste, dass Frauen auch "Nein, danke" sagen dürfen.

Julia verdient Besseres. Das weiß das Publikum. Das weiß vermutlich auch Shakespeare. Aber die Konventionen des Genres erlauben es nicht. Also bekommt sie Proteus. Und wir alle fühlen uns unwohl dabei.

Der einzige Trost: In modernen Inszenierungen lässt Julia oft durchblicken, dass sie Proteus nur zurücknimmt, weil die Alternative – Alleinsein in einer patriarchalen Gesellschaft – schlimmer ist. Das ist nicht glücklich. Aber es ist ehrlich.

Crab: Der wahre Star

Inmitten dieses moralischen Trümmerhaufens gibt es einen Lichtblick: Crab, der Hund.

Crab gehört Launce, dem Diener von Proteus. Launce ist ein Clown, im technischen Sinne des elisabethanischen Theaters. Seine Aufgabe: komische Zwischenspiele liefern. Und er liefert. Vor allem durch Crab.

Crab tut nichts. Er ist ein Hund. Er sitzt auf der Bühne. Er bewegt sich nicht. Er bellt nicht. Er ist einfach ... da. Und genau das macht ihn brillant.

Launce beschwert sich bei Crab über dessen Undankbarkeit. Crab reagiert nicht. Launce erzählt bewegende Geschichten über seine Familie. Crab ignoriert ihn. Launce übernimmt die Schuld für Crabs Missgeschicke (der Hund hat ins Zimmer des Herzogs gepinkelt). Crab zeigt keine Reue.

Das ist Comedy auf höchstem Niveau. Nicht durch Dialog, sondern durch Timing. Durch die Spannung zwischen Launces emotionalem Monolog und Crabs vollständiger Gleichgültigkeit.

Crab ist die ehrlichste Figur im Stück. Er tut nicht so, als würde er sich kümmern. Er performt keine Loyalität. Er ist ein Hund. Und darin liegt eine Weisheit, die alle anderen Charaktere nicht besitzen.

Die Ironie: Crab ist loyaler als Proteus. Zuverlässiger als Valentine. Authentischer als alle Menschen auf der Bühne. Er ist das moralische Zentrum eines Stücks, das dringend eines braucht.

Shakespeare wusste das. Deshalb ist Crab unvergesslich. Und deshalb sind die "zwei Herren" es nicht.

Freundschaft vs. Liebe: Das Renaissance-Dilemma

Das zentrale Thema von Zwei Herren aus Verona ist der Konflikt zwischen Freundschaft und Liebe. Was ist wichtiger? Wen wählt man, wenn man sich entscheiden muss?

In der Renaissance war die Antwort klar: Freundschaft. Die Liebe zwischen Männern (platonisch, homosozial) galt als edler, beständiger, bedeutsamer als die Liebe zu Frauen. Romantische Liebe war vergänglich, Leidenschaft flüchtig. Freundschaft war ewig.

Das erklärt, warum Valentine bereit ist, Silvia aufzugeben. Die Freundschaft zu Proteus ist heiliger. Selbst nachdem Proteus ihn verraten und seine Freundin angegriffen hat.

Modernes Publikum findet das absurd. Zu Recht. Aber historisch gesehen war das die Norm. Männerfreundschaft stand über allem. Frauen waren wichtig – als Ehefrauen, Mütter, Töchter. Aber die tiefste emotionale Bindung teilten Männer untereinander.

Das Problem: Shakespeare zeigt nicht zwei ideale Freunde, die sich gegenseitig erheben. Er zeigt einen Soziopathen und sein Opfer. Proteus ist kein Freund. Er ist ein Parasit. Und Valentine ist kein loyaler Gefährte. Er ist ein Enabler, ein Ermöglicher.

Wenn das Stück eine Frage stellt – "Was ist wichtiger, Freundschaft oder Liebe?" – dann ist die Antwort, die es gibt: "Keins von beiden, wenn beide toxisch sind."

Das ist vermutlich nicht die Antwort, die Shakespeare beabsichtigt hat. Aber es ist die Antwort, die wir bekommen.

Heute: Bromance, Authentizität und digitale Freundschaft

Zwei Herren aus Verona fühlt sich antiquiert an. Und ist es auch. Aber die Fragen, die es stellt, sind aktueller, als man denkt.

Wie wichtig ist Freundschaft im Vergleich zu romantischen Beziehungen? Wie viel verzeiht man einem Freund? Wann wird Loyalität zur Selbstaufgabe?

Wir leben in einer Zeit, in der Freundschaften zunehmend durch Bildschirme vermittelt werden. WhatsApp-Gruppen, Instagram-Likes, Discord-Channels. Wir haben mehr "Freunde" als je zuvor – und fühlen uns einsamer. Die Frage nach Authentizität ist zentral: Wer ist wirklich loyal? Wer performt nur Freundschaft?

Valentine und Proteus sind ein Extremfall. Aber wie viele Freundschaften basieren auf Gewohnheit statt auf echter Verbindung? Wie oft vergeben wir Verhalten, das wir nicht vergeben sollten, weil "wir uns schon so lange kennen"? Wie oft bleiben wir in toxischen Dynamiken, weil wir nicht wissen, wie man sie verlässt?

Das Stück zeigt auch: Männerfreundschaft wird oft unkritisch idealisiert. Die "Bromance" als unantastbare Bindung – wichtiger als alles andere. Aber wenn diese Freundschaft auf Ungleichheit basiert – wenn einer gibt und der andere nimmt –, ist das keine Freundschaft. Das ist Ausbeutung.

Proteus nutzt Valentine aus. Valentine lässt es zu. Das ist keine ideale Freundschaft. Das ist eine Fallstudie in Co-Abhängigkeit.

Die moderne Lektion: Loyalität ist wichtig. Aber Grenzen auch. Freundschaft bedeutet nicht, alles zu verzeihen. Es bedeutet, ehrlich genug zu sein, um zu sagen: "Das war nicht okay." Und mutig genug, um Konsequenzen zu ziehen.

Crab hätte das verstanden. Die Menschen im Stück nicht.

Das Ende: Vergebung ohne Veränderung

Das Ende von Zwei Herren aus Verona ist so unbefriedigend, dass man sich fragt, ob Shakespeare absichtlich provozieren wollte oder einfach nicht wusste, wie man ein Stück beendet.

Proteus wird vergeben. Julia nimmt ihn zurück. Valentine bekommt Silvia. Der Herzog segnet alles ab. Die Räuber werden begnadigt. Alle sind glücklich.

Außer dem Publikum.

Denn es gibt keine Veränderung. Proteus hat nicht gelernt. Er hat sich nicht gewandelt. Er hat gesagt "Sorry" und damit ist die Sache erledigt. Valentine hat keine Grenzen gesetzt. Julia hat keine Garantie, dass Proteus nicht wieder eine andere Frau sieht und sie vergisst.

Das ist Vergebung ohne Reue. Versöhnung ohne Verantwortung. Ein Happy End, das sich hohl anfühlt.

Moderne Inszenierungen versuchen, das zu retten:

Manche enden mit Julia, die Proteus skeptisch ansieht – ein "Ich beobachte dich."

Manche zeigen Silvia, die Valentine fragt: "Wolltest du mich wirklich

verschenken

?"

Manche lassen Crab als letzten Kommentar auf die Bühne schieten. (Das ist nicht kanonisch, sollte es aber sein.)

Diese Rettungsversuche sind notwendig. Denn sonst bleibt ein Stück, das sagt: "Männer können alles tun, solange sie sich am Ende entschuldigen."

Das ist keine Moral. Das ist ein Problem.

Warum wir dieses Stück (nicht) spielen sollten

Zwei Herren aus Verona ist Shakespeares meistignoriertes Stück. Aus gutem Grund. Es ist nicht sein bestes Werk. Es ist vermutlich nicht mal sein zehntbestes.

Aber es ist lehrreich. Nicht, weil es zeigt, wie Freundschaft funktioniert, sondern weil es zeigt, wie sie nicht funktioniert. Es ist ein Anti-Vorbild. Eine Warnung. Ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man Loyalität über Moral stellt.

Das Stück fragt: Wie weit geht Freundschaft? Und die Antwort, die es gibt, ist: zu weit. Viel zu weit.

Aber innerhalb dieser Katastrophe gibt es Momente von Brillanz. Julia, die sich weigert, passiv zu bleiben. Launce, der seinem Hund bedingungslose Liebe gibt, obwohl dieser sie nicht erwidert. Crab, der einfach existiert und damit jede Szene gewinnt.

Das sind die Lektionen, die bleiben. Nicht Valentines naive Vergebung. Nicht Proteus' nichtexistente Reue. Sondern die kleinen Momente von Menschlichkeit – und Hündlichkeit – die zeigen: Es gibt einen besseren Weg.

Zwei Herren aus Verona ist kein großes Stück. Aber es ist ein ehrliches. Es zeigt Shakespeare am Anfang seiner Karriere, noch ungeschliffen, noch experimentell, noch nicht sicher, wie man Moral und Comedy verbindet.

Und es zeigt uns: Selbst Genies fangen klein an. Manchmal sogar mit einem Hund, der auf die Bühne pinkelt.

Das ist vielleicht die tröstlichste Erkenntnis von allen.

 

Ein Sommernachtstraum: Shakespeares Trip durch die Zauberwald-Apotheke

Oder: Was passiert, wenn man Liebeszauber, Esel und Amateur-Theater mixt

Es gibt Theaterstücke, die die menschliche Natur sezieren. Und es gibt Ein Sommernachtstraum. Ein Stück, das 1595/96 entstand und die Frage stellt: Was wäre, wenn Liebe keine tiefe emotionale Verbindung wäre, sondern das Ergebnis eines Feenelfs, der im Dunkeln den falschen Leuten Blumensaft ins Auge tropft?

Die Antwort: Chaos. Wunderschönes, absurdes, heilsames Chaos.

Ein Sommernachtstraum ist Shakespeares Kommentar dazu, dass nichts von dem, was wir ernst nehmen – Liebe, Vernunft, gesellschaftliche Normen –, wirklich ernst ist. Dass die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit ungefähr so stabil ist wie eine WLAN-Verbindung im Keller. Dass Theater absurd ist. Dass Liebe noch absurder ist. Und dass am Ende alle glücklich werden, nicht weil es Sinn ergibt, sondern weil die Magie es so will.

Das ist keine Komödie. Das ist eine philosophische Abhandlung, verkleidet als Feen-Rave mit Eselskostüm.

Die Handlung: Vier Plots auf der Suche nach einem Regisseur

Ein Sommernachtstraum hat nicht eine Handlung. Es hat vier. Gleichzeitig. Das ist, als würde man versuchen, vier verschiedene Netflix-Serien parallel zu schauen, während man auf Ketamin ist.

Plot 1: Die LiebendenHermia liebt Lysander. Lysander liebt Hermia. Soweit, so einfach. Demetrius liebt auch Hermia. Helena liebt Demetrius, der sie hasst. Hermias Vater will, dass sie Demetrius heiratet. Der Herzog von Athen (Theseus) gibt ihr die Wahl: heirate Demetrius oder stirb. Oder werde Nonne. (Renaissance-Dating war kompliziert.)

Hermia und Lysander beschließen zu fliehen. Helena erfährt davon und verrät den Plan an Demetrius. Alle rennen in den Wald. Dort wartet bereits ...

Plot 2: Die FeenOberon, König der Feen, streitet mit seiner Ehefrau Titania über einen indischen Wechselbalg. (Ehestreit in der Feenwelt betrifft selten Haushaltsaufgaben, öfter entführte Kinder.) Oberon beschließt, Titania zu bestrafen, indem er Puck – seinen Diener, eine Art anarchistischer Kobold mit ADHS – beauftragt, eine Zauberblume zu holen. Der Saft dieser Blume lässt jeden, der ihn auf die Augenlider bekommt, sich in das erste Wesen verlieben, das er beim Aufwachen sieht.

Oberon will, dass Titania sich in etwas Abstoßendes verliebt. Puck liefert: einen Handwerker mit Eselskopf.

Gleichzeitig sieht Oberon, wie Demetrius Helena schlecht behandelt, und beauftragt Puck, ihm den Liebessaft zu geben, damit er sich in Helena verliebt. Puck verwechselt Demetrius mit Lysander. Plötzlich lieben beide Männer Helena, da Oberon auch Demetrius das Mittel verabreicht hat. Hermia fühlt sich verraten. Helena denkt, alle machen sich über sie lustig. Es wird handgreiflich.

Plot 3: Die HandwerkerEine Truppe athenischer Handwerker probt ein Theaterstück für die Hochzeit des Herzogs. Das Stück heißt "Pyramus und Thisbe" und ist das schlechteste Stück, das je geschrieben wurde. Oder zumindest das schlechteste, das je aufgeführt wurde.

Bottom, der Hauptdarsteller (und Egomane), wird von Puck in einen Esel verwandelt. Titania, unter dem Einfluss des Liebeszaubers, wacht auf, sieht Bottom und verliebt sich sofort. Sie umschmeichelt einen Mann mit Eselskopf. Shakespeare nennt das Komödie. Therapeuten nennen das Symptom.

Plot 4: Die RahmenhandlungTheseus, Herzog von Athen, bereitet seine Hochzeit mit Hippolyta vor. Sie ist Amazonenkönigin. Er hat sie im Krieg besiegt und "erobert". Das ist romantisch, wenn man in einer Zeit lebt, in der Entführung als Flirttechnik gilt.

Am Ende des Stücks kommen alle vier Plots zusammen: Die Liebenden sind entwirrt (richtig zugeordnet durch weitere Blumensaft-Anwendungen), Titania ist befreit, Bottom ist wieder menschlich, und die Handwerker führen ihr furchtbares Stück auf. Alle lachen. Alle heiraten. Puck entschuldigt sich beim Publikum. Vorhang.

Das ist keine Handlung. Das ist eine kontrollierte Detonation von Subplots.

Liebe als Wahnsinn: Die zentrale These

Das Geniale an Ein Sommernachtstraum ist, dass Shakespeare hier etwas tut, was er sonst selten tut: Er gibt zu, dass Liebe keinen Sinn ergibt.

In anderen Stücken ist Liebe erhaben (Romeo und Julia), tragisch (Othello), kompliziert (Viel Lärm um nichts). Hier ist Liebe: Zufall. Biologie. Ein chemischer Prozess, ausgelöst durch Blumensaft, der von einem inkompetenten Kobold verteilt wird.

Lysander liebt Hermia. Dann bekommt er den Zauber und liebt Helena. Dann wird der Zauber aufgehoben und er liebt wieder Hermia. Hat sich Lysander verändert? Nein. Hat sich seine "wahre Liebe" verändert? Nein. Die einzige Variable: Magie.

Die Botschaft: Liebe ist nicht tief. Sie ist arbiträr. Wen wir lieben, hängt davon ab, wen wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sehen. Oder, moderner formuliert: Wer uns zur richtigen Zeit auf Tinder nach rechts wischt.

Helena sagt es selbst: "Love looks not with the eyes, but with the mind; / And therefore is wing'd Cupid painted blind."

Liebe sieht nicht mit den Augen, sondern mit dem Geist. Und Cupido ist blind. Das heißt: Liebe ist eine Halluzination. Eine schöne, notwendige, aber letztlich irrationale Illusion.

Hermia ist am Anfang des Stücks bereit zu sterben für Lysander. Am Ende ist sie wieder mit ihm zusammen, aber nur, weil Oberon eingegriffen hat. Ist ihre Liebe weniger real? Oder war sie nie real?

Shakespeare sagt: Spielt keine Rolle. Liebe ist, weil wir glauben, dass sie ist. Das ist entweder romantisch oder nihilistisch. Vermutlich beides.

Puck: Anarchie als Dramaturgie

Puck – auch bekannt als Robin Goodfellow – ist der Motor des Stücks. Ohne ihn gäbe es keine Handlung. Nur vier Leute, die im Wald rumstehen und über Gefühle reden.

Puck ist Chaos in Feenform. Er macht keine Fehler, weil er inkompetent ist, sondern weil er sich nicht besonders dafür interessiert, was passiert. Er ist der Praktikant, den man überwachen sollte, aber trotzdem alleine lässt. Mit magischen Substanzen.

Oberon sagt: "Gib Demetrius den Liebessaft."Puck denkt: "Welcher Typ war nochmal Demetrius? Egal, der hier sieht athenisch aus."Chaos entsteht.

Das Brillante: Puck weiß, dass er Chaos stiftet. Er genießt es sogar. Seine berühmte Zeile: "Lord, what fools these mortals be!"

"Meine Güte, was für Narren diese Sterblichen sind." Das sagt jemand, der gerade zwei Männer dazu gebracht hat, sich um eine Frau zu prügeln, die gestern noch keiner von ihnen wollte. Puck ist nicht einfach ein Trickster. Er ist ein Meta-Kommentator. Ein Regisseur, der sein eigenes Stück sabotiert, um zu sehen, was passiert.

Am Ende des Stücks wendet sich Puck direkt ans Publikum:

"If we shadows have offended,Think but this, and all is mended,That you have but slumber'd hereWhile these visions did appear."

Wenn wir Schatten euch beleidigt haben, denkt einfach: Ihr habt geschlafen. Das war alles ein Traum.

Das ist der ultimative Disclaimer. Shakespeare sagt: "Falls das Stück Unsinn war – war es Absicht. Es war ein Traum. Träume ergeben keinen Sinn. Beschwert Euch nicht."

Das ist entweder brillant oder die beste Ausrede, die je ein Autor gefunden hat.

Bottom: Der Schauspieler, den jeder kennt

Nick Bottom ist Schauspieler. Oder glaubt zumindest, einer zu sein. In Wahrheit ist er ein Weber mit Hauptdarsteller-Ambitionen und null Selbstreflexion.

Bei der Probe für "Pyramus und Thisbe" will Bottom nicht nur Pyramus spielen. Er will auch Thisbe spielen. Und den Löwen. Und die Wand. Er ist überzeugt, dass er alle Rollen besser spielen kann als der Rest der Truppe. Das ist nicht Selbstbewusstsein. Das ist Narzissmus.

Dann verwandelt Puck ihn in einen Esel. Bottom bemerkt es nicht sofort. Als seine Kollegen schreiend weglaufen, denkt er: "Die machen Witze." Er beginnt zu singen. Titania wacht auf, sieht ihn und verliebt sich.

Hier passiert etwas Wunderbares: Bottom, der ständig versucht, im Mittelpunkt zu stehen, bekommt endlich, was er will. Eine Feenkönigin, die ihn anbetet. Diener, die ihm jeden Wunsch erfüllen. Er wird wie ein König behandelt.

Und was macht Bottom? Er bestellt Heu. Er lässt sich die Ohren kratzen. Er genießt es, ohne es zu hinterfragen.

Das ist das Genie von Bottoms Charakter: Er ist zu selbstverliebt, um zu bemerken, dass etwas nicht stimmt. Oder vielleicht ist er einfach so selbstsicher, dass er denkt: "Natürlich verliebt sich eine Feenkönigin in mich. Ich bin Bottom."

Als der Zauber bricht und Bottom wieder ein Mensch ist, erinnert er sich an die Nacht wie an einen Traum. Er sagt: "I have had a most rare vision." Eine seltene Vision. Er versteht nicht, was passiert ist. Aber er weiß: Es war außergewöhnlich.

Bottom ist der einzige Sterbliche, der direkten Kontakt zur Feenwelt hat. Und er behandelt es wie einen guten Trip. Keine Angst, keine Ehrfurcht. Nur: "Das war wild. Jemand sollte das aufschreiben."

Das ist entweder Bottoms größte Stärke oder sein größter Mangel an Bewusstsein. Vermutlich beides.

Theater über Theater: Die Metaebene

Das Herzstück von Ein Sommernachtstraum ist die Aufführung von "Pyramus und Thisbe". Eine Tragödie über zwei Liebende, die aufgrund eines Missverständnisses sterben. Eine Geschichte, die Shakespeare fünf Jahre später als Romeo und Julia