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Shi Heng Yis herausfordernste Lebensmomente und wichtigste spirituelle Einsichten Shi Heng Yi gehört zu den bekanntesten Meistern des 21. Jahrhunderts. Er nimmt uns mit seinen autobiografisch geprägten Einsichten mit auf eine innere Reise und schildert einschneidende Phasen und Erfahrungen seines Lebens. Mit all seiner Begeisterung und Überzeugung hat er sich seiner Lebensaufgabe gewidmet. Doch wer oder was bin ich jenseits der Rollen und Pflichten? Wie finde ich Ruhe inmitten der Bewegung? Was bedeutet es, ein wahrhaft freier Mensch zu sein? Aus der Tiefe des Zen-Buddhismus werden Fragen aufgeworfen, Spiegel gereicht und Einsichten geboten. Die Lehren des Zen führen nicht zu abgeschlossenen Antworten, sondern zu einer lebendigen und wachen Präsenz - zu einem Leben, das nicht beherrscht, sondern gemeistert wird. Neun Kapitel der Wandlung, Weisheit und inneren Klarheit In diesem außergewöhnlich offenen Buch gewährt Shi Heng Yi seltene Einblicke in seinen Lebensweg – ehrlich, berührend und voller Tiefe. In neun Kapiteln erzählt er von prägenden Momenten, inneren Kämpfen und den Erfahrungen, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist. Doch dies ist mehr als eine Autobiografie: Jedes Kapitel führt den Leser über die persönliche Geschichte hinaus in eine meditative Innenschau. Zen-buddhistische Einsichten eröffnen einen Raum zur Selbstreflexion, zur Klärung und zur persönlichen Transformation. Die zeitlosen Lehren des Zen werden nicht nur erklärt, sondern in den Alltag übersetzt – als konkrete Impulse zur Integration für ein bewusstes, kraftvolles und erfülltes Leben. Shaolin Mind richtet sich an alle, die sich selbst besser verstehen wollen – und den Mut haben, ihrem Weg mit Klarheit und Herz zu folgen. Mit zahlreichen Fotos und Kalligraphien
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Seitenzahl: 292
Veröffentlichungsjahr: 2025
Shi Heng Yi
Die Suche nach wahrer Freiheit
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Shi Heng Yis herausfordernste Lebensmomente und wichtigste spirituelle Einsichten
Shi Heng Yi gehört zu den bekanntesten Meistern des 21. Jahrhunderts. Er nimmt uns mit seinen autobiografisch geprägten Einsichten mit auf eine innere Reise und schildert einschneidende Phasen und Erfahrungen seines Lebens. Mit all seiner Begeisterung und Überzeugung hat er sich seiner Lebensaufgabe gewidmet. Doch wer oder was bin ich jenseits der Rollen und Pflichten? Wie finde ich Ruhe inmitten der Bewegung? Was bedeutet es, ein wahrhaft freier Mensch zu sein? Aus der Tiefe des Zen-Buddhismus werden Fragen aufgeworfen, Spiegel gereicht und Einsichten geboten. Die Lehren des Zen führen nicht zu abgeschlossenen Antworten, sondern zu einer lebendigen und wachen Präsenz - zu einem Leben, das nicht beherrscht, sondern gemeistert wird.
Neun Kapitel der Wandlung, Weisheit und inneren Klarheit
In diesem außergewöhnlich offenen Buch gewährt Shi Heng Yi seltene Einblicke in seinen Lebensweg – ehrlich, berührend und voller Tiefe. In neun Kapiteln erzählt er von prägenden Momenten, inneren Kämpfen und den Erfahrungen, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist.
Doch dies ist mehr als eine Autobiografie: Jedes Kapitel führt den Leser über die persönliche Geschichte hinaus in eine meditative Innenschau. Zen-buddhistische Einsichten eröffnen einen Raum zur Selbstreflexion, zur Klärung und zur persönlichen Transformation. Die zeitlosen Lehren des Zen werden nicht nur erklärt, sondern in den Alltag übersetzt – als konkrete Impulse zur Integration für ein bewusstes, kraftvolles und erfülltes Leben.
Shaolin Mind richtet sich an alle, die sich selbst besser verstehen wollen – und den Mut haben, ihrem Weg mit Klarheit und Herz zu folgen.
Mit zahlreichen Fotos und Kalligraphien
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Motto
Vorwort
Die Anfänge
Kung Fu – mein Lebensweg
Familienleben
Jugend – die Suche nach der tieferen Wahrheit
Neue Möglichkeiten in Berlin
In den Fußstapfen der Meister
Das Erwachen beginnt
Shi Heng Yi
Die große Freiheit
Innenschau
Der Tempelaufbau
Der Beginn meiner Vision
Eine Universität der Meister
Die Geisteshaltung – das fehlende Element
Nur der Kreis hat keinen Anfang und kein Ende
Zu Ehren von Shaolin
Es kommt, wie es kommen muss
Die etwas andere Art des Kampfkunsttrainings
Die Illusion wächst
Innenschau
Zwischen Mystik und Kampfkunst
Die Grenze meines Verständnisses
Kunst oder Kampf?
Freiheit – die Präsenz im Fluss
Das Feuer ist entfacht
Kontakt zum Großmeister
Ohne große Worte
Struktur und Leid
Das nächste Level
Wenn die Zeit reif ist, dann erscheint der Meister
Innenschau
Irrungen und Wirrungen
Der Tempel, eine spirituelle Stätte
Anschuldigungen
Ich gehe meinen Weg
Summercamp 2023
Innenschau
Die Show in der Show
Dreharbeiten in Südkorea
Gedanken am Wasserfall
Der Kampf gegen das selbst kreierte Ego
Emotionsverarbeitung
Die Heimat der Energie
Innenschau
Der Ruf
Eine außergewöhnliche E-Mail
Los Angeles
Das 3 x 3 der Kampfkünste
Abendessen
Lebensfragen
Auf der Suche
Einsichten
Innenschau
Die Verbindung mit der Shaolin-Gemeinschaft
Kritik
Audienz in Venedig
Der China-Plan
Die Reise nach China
Das klärende Gespräch
Die Steintafel bringt es ans Licht
Innenschau
Leben ist Veränderung
Der Wahrheit ins Auge blicken
Der Wahrheit dienen wir zuerst
Der Rücktritt
Die Übergangsphase
Das Lösen karmischer Knoten
Innenschau
Neue Wege
Schmerz und Licht
Der Blick nach vorne
Innenschau
Nachwort
Danksagung
Weiterführende Links und Kurse
Für meinen Sohn Adam
Shifu bedeutet wörtlich »Lehrer« (shi) und »Vater« (fu).
Ich fühle mich gesegnet, nunmehr auf wundervolle Art und Weise ein wahrer Vater für meinen Sohn zu sein.
Eine neue Meisterschaft beginnt.
Es gibt drei Dinge, die nie verborgen bleiben werden. Die Sonne, der Mond und die Wahrheit.
Friedrich Hebbel
Shaolin, der Inbegriff einer Kultur und Lebensweise, deren Ursprung mehr als 1500 Jahre zurückreicht, kann in der modernen Welt einen richtungsweisenden Weg aufzeigen, um mehr Einsicht über das eigene Leben, die eigenen Ziele und die eigenen Begrenzungen zu erlangen. Vom Anbeginn unseres Seins bis zur Illusion unseres Schaffens. In meinem ersten Buch Shaolin Spirit – Meistere dein Leben habe ich grundlegende Ansichten und Perspektiven hierzu geteilt.
Mit Shaolin Mind – Die Suche nach wahrer Freiheit möchte ich dich einladen, mich auf meiner bisherigen Lebensreise zu begleiten. Wir alle begegnen entlang unseres Weges elementaren Lebensthemen und Emotionen, die es zu überwinden und aufzulösen gilt – wie Leistungsdruck, Rückschläge, Hindernisse, Zweifel, der Umgang mit Verlusten, falsche Erwartungshaltungen, Einsamkeit, Sinnsuche, Moral, Illusionen und vieles mehr. Anhand einzelner Lebensphasen, die tiefe Einblicke in meine Gedanken- und Gefühlswelt geben, möchte ich dir aufzeigen, wie ich diese durch meine Erfahrungen und Erkenntnisse überwunden und aufgelöst habe. Ein für mich hilfreicher Bestandteil auf dieser Erkenntnisreise waren die Einsichten und die Lehren des Zen-Buddhismus, den ich dir auf ganz persönliche Weise verständlich und praktikabel näherbringen möchte.
In den vergangenen Jahren habe ich mit viel Freude und Bestimmtheit meine Zeit und Energie vorrangig damit verbracht, Menschen über das Praktizieren von körperlichen Übungen einen simplen und gangbaren Weg zu mehr Achtsamkeit zu zeigen. Die körperliche Praxis, gepaart mit Übungen und Methoden zur Entwicklung mentaler Fähigkeiten, wie beispielsweise der Konzentrationsfähigkeit, des Fokus und der Achtsamkeit, war der Einstieg, um nunmehr in weitaus tiefere Ebenen unseres Menschseins und Bewusstseins vorzudringen. In diesem Buch teile ich Einsichten aus persönlichen Erlebnissen, inneren Konflikten sowie Gedankengängen und Kontemplationen, die mich im Laufe der Jahre kontinuierlich zu mehr Klarheit geführt haben. Mehr denn je verschwimmt in unserer modernen Welt die Unterscheidung zwischen Realität und Illusion, Authentizität und Täuschung, Original und Fälschung. Ich möchte auch dir die Möglichkeit eröffnen zu lernen, mit einem klareren Blick auf uns und unser Umfeld durch dieses Leben zu navigieren und die Fähigkeit zu erlangen, zwischen Illusion und Wirklichkeit zu unterscheiden, um deine persönliche Antwort auf die dir innewohnende Sehnsucht nach dem Sinn des Seins zu finden.
Das Jahr 2024 war für mich emotional, mental und körperlich eines der gefühlt schwierigsten Jahre meines Lebens. Diese Tatsache stellt den Ausgangspunkt dieses Buches dar, das von den Anfängen, dem scheinbaren Höhepunkt meines Schaffens und schließlich dem Loslassen alter Muster und Strukturen erzählt.
Im ersten Teil eines jeden Kapitels werde ich die Lebensphase detailliert beschreiben. Der zweite Teil des Kapitels umfasst eine Innenschau in meine Gedankenwelt und prägende Emotionen, gepaart mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen und Lehransätzen des Zen-Buddhismus. Dies kann vielleicht auch dir helfen, herausfordernde Themen im Leben zu meistern.
Ich spüre und erkenne, dass die Lehren von Shaolin, mit dem richtigen Geist und der richtigen Intention praktiziert, ein hilfreicher Weg sein können, um zur Essenz allen Lebens vorzudringen. Zum Kern und zum Herzen. Shaolin ist Chan. Shaolin ist Zen. Die Shaolin-Philosophie vereint körperliche Praktiken mit Spiritualität. Wir können die Kampfkunst nicht ohne ihre Verbindung zum Zen sehen.
Mit den persönlichen Einblicken in mein Leben glaube ich Themen aufzugreifen, die alle Menschen in gewissen Lebensabschnitten beschäftigen. Vor allem diejenigen, die sich unweigerlich mit einem Perspektivwechsel konfrontiert sehen.
Am Ende des Weges stehen Einsicht, das Loslassen eingefahrener Strukturen, Muster, Konzepte, selbst kreierter Illusionen und Trugbilder, die dazu führen, dass wir unseren inneren Frieden, unsere wahre Freiheit kompromittieren. Je weniger wir der Vergangenheit anhaften und uns um die Zukunft sorgen, umso freier können wir in der Gegenwart sein. Das Leben im Jetzt, das eines der Grundprinzipien des Buddhismus darstellt, ist essenziell für unsere persönliche Zufriedenheit.
Mir ist es eine Freude, dich auf dem Weg zu deiner persönlichen Zufriedenheit und bei deiner Suche nach wahrer Freiheit mit meinen Erkenntnissen zu unterstützen.
Mögen unsere Taten dem Wohle aller Wesen zuteilwerden.
Kapitel 1
Suche
Mit vier Jahren begann ich, Shaolin-Kung Fu zu praktizieren. Im Bereich der chinesischen Kampfkunst gibt es zahlreiche Stile, die im umgangssprachlichen Gebrauch als Kung Fu bezeichnet werden. Kung Fu bedeutet sinngemäß übersetzt »harte Arbeit« oder »durch Anstrengung Fähigkeiten erlangen«. In den Jahrzehnten meiner Praxis stellte ich fest, dass Kung Fu viel mehr sein kann als das reine Entwickeln körperlicher und geistiger Fähigkeiten. Kung Fu ist ein Ausdruck unserer Essenz.
Auf Anraten meines Vaters und dank seiner Initiative trat ich in eine Kampfkunstschule ein. In diesen jungen Jahren praktizierte ich Kampfkunst sicherlich nicht, weil ich mich für philosophische Themen interessierte. In erster Linie bereitete mir das körperliche Training einfach Spaß. Gleichermaßen von Bedeutung war, dass meine Eltern das Training für sinnvoll erachteten.
Das Kung Fu-Training gab mir bereits im Kindesalter eine wegweisende Struktur vor, die über die Struktur im Kindergarten, in der Schule und in meinem Elternhaus hinausging. Dreimal in der Woche stand Training auf meinem Plan, unabhängig davon, was gerade in meinem Leben passierte. Es gab stets eine einfache und geradlinige Konstante.
Kampfkunstpraktizierende wissen, dass durch das Training eine Vielzahl von charakterlichen Eigenschaften entwickelt werden kann. Dazu gehören Beharrlichkeit und Disziplin, die sich durch regelmäßiges Training, das Einhalten von Regeln und den respektvollen Umgang mit dem Lehrer entwickeln. Innerhalb der Kampfkünste hat der Respekt, insbesondere gegenüber dem Meister oder Lehrer, einen hohen Stellenwert. Die Selbstbeherrschung, also der kontrollierte Umgang mit Aggressionen und Emotionen, ist zentral. Körperlich und mental forderndes Training ermutigt dazu, nicht aufzugeben, auch wenn es schwierig wird. So folgte ich den Anweisungen meines Kung Fu-Meisters, ohne sie je infrage zu stellen. Bereits seit jüngstem Kindesalter hatte ich die Möglichkeit, vor allem durch das Kampfkunsttraining, mich mit diesen Werten und Charaktereigenschaften zu beschäftigen und diese zu verinnerlichen. Mein Meister verstand es zudem, mein Leistungsvermögen zu steigern, indem er, sobald ich Trainingsinhalte beherrschte, immer noch mehr forderte. Somit entwickelten sich meine körperlichen Fähigkeiten enorm schnell, jedoch ergab sich zugleich unbewusst ein Gefühl, dass mein Trainingsstand nie ausreichend war. Es war im Grunde nie gut, so wie es war. Es ging immer noch mehr.
Mein erster Kung Fu-Meister war Großmeister Chang Kwan Chun, sein weltlicher Name lautete Frankie Dow. In diesem Zusammenhang gilt es zu erwähnen, dass in Asien das Meister-Schüler-Verhältnis traditionell einen hohen Stellenwert hat und insbesondere auch im patriarchalen System des Shaolin-Tempels bis zum heutigen Tage gepflegt wird. Der Respekt und die Demut dem Meister gegenüber sind ein grundlegendes Element einer solchen Bindung, die ich auch zu Großmeister Chang Kwan Chun pflegte. In der Realität bedeutete dies, dass ich zwar sehr wenig mit meinem Meister sprach und sogar eine gewisse Distanz zwischen uns herrschte, sich dahinter aber der Wunsch und das Vertrauen verbargen, etwas von ihm lernen zu können und dies vor allem auch zu wollen. Ich war demütig und willig zu lernen, stets im Vertrauen darauf, dass er das Ziel hatte, mich besser zu machen.
Meine Eltern kamen 1978 nach Deutschland. Sie waren vor dem kommunistischen Regime aus Laos geflohen und gehörten zu den sogenannten Boatpeople. Sie wollten in einem Land leben, das mehr Sicherheiten und Perspektiven bot. 1979 wurde mein Bruder geboren, ich erblickte 1983 das Licht der Welt.
Meinen Eltern war es wichtig, dass wir eine gute Erziehung und Ausbildung genießen. In ihrer Erziehung spielte der Respekt gegenüber den Eltern eine große Rolle, und sie wollten uns Kindern unbedingt eine gute Absicherung für das weitere Leben ermöglichen. Dies hatte aber auch zur Folge, dass wir uns einem liebevollen, aber gleichzeitig autoritären Führungsstil unterwarfen und ich generell unter einem bestimmten Druck aufwuchs. Die Ansprüche meiner Eltern im Hinblick auf meine Schulleistungen und später auch Studienleistungen waren enorm hoch. Die Note »befriedigend« oder eine schlechtere Note war keine Option. Die Note »gut« war zwar in Ordnung, aber es hätte doch auch ein »sehr gut« sein können. Das Gefühl »gut ist nicht gut genug, es geht immer noch besser« war ein stetiger Wegbegleiter meiner Erziehung. Ich stand konstant unter dem Leidensdruck, es meinen Eltern recht zu machen und ihnen beweisen zu müssen, dass ich gut bin und es noch besser kann. Gleichzeitig versuchten sie, mir alles zu ermöglichen, was meiner Entwicklung nach ihren Maßstäben zugutekam.
Davon abgesehen war mein Leben sehr simpel. Ich lebte mit meinen Eltern und meinem Bruder in einer kleinen bescheidenen Wohnung in einem ärmlichen Viertel in Kaiserslautern, dem sogenannten Kalkofen. Am Wochenende arbeitete ich als Fahrradkurier, um mein Taschengeld aufzubessern. Das durch die Arbeit verdiente Geld investierte ich, um Gutes noch besser zu machen, und optimierte stetig die Komponenten meines Mountainbikes, denn neben dem Kung Fu begeisterte ich mich leidenschaftlich für Mechanik und Technik. In der Hauptsache war ich während meiner Jugend mit Schule, Kampfkunst, Zweirad- und später auch Vierradtechnik beschäftigt. Ich war zunächst ein sehr redseliges Kind. Im Laufe der Jahre, besonders in der frühen Jugendzeit, änderte sich dieses Verhalten jedoch. Ich nahm eher die Beobachterrolle ein und ging in die Kommunikation mit mir selbst. Dadurch wurde ich im Außen oftmals als eine introvertierte Person wahrgenommen.
Im frühen Jugendalter wurde mir allmählich klarer, dass mein seit Jahren durchgeführtes wöchentliches Training stark durch meine Lieblingsfilme geprägt war, die Filme über Shaolin. Jet Li, Jackie Chan und Bruce Lee waren die Ikonen der chinesischen Kampfkunst, die natürlich für mich und viele andere meiner Generation Idole und im Bereich des Kung Fu Vorbilder waren. 1979 drehte Jet Li mit Shaolin Temple seinen ersten Film und wurde dadurch in seiner Heimat China regelrecht zur Kultfigur. Ebenso wie bei seinem Schauspielkollegen Jackie Chan beeindruckte mich insbesondere die faszinierende Akrobatik, die Kampfkunstfertigkeit und ihre Körperbeherrschung. In meinen Augen waren sie die Koryphäen der Kampfkunstwelt, die maßgeblich dazu beigetragen hatten, dass die verschiedenen Shaolin-Schulen in Europa an Popularität gewannen.
Zwar gibt es innerhalb von Shaolin verschiedene Stilrichtungen, doch durch diese Filme realisierte ich mehr und mehr, dass ich mich bereits seit meinem vierten Lebensjahr mit genau jenem Shaolin-Kung Fu beschäftigte. Mich begeisterten die Stunts und ich bewunderte die Kampfkünstler aus tiefstem Herzen. Ich wollte herausfinden, wie ein Mensch beim Springen in solche Höhen fliegen konnte und wie es möglich ist, diese Präzision an Körperkoordination auszuüben.
Mir war klar, die Filme hatten ihre Spuren hinterlassen. Je deutlicher ich die Parallelen zwischen meiner realen Welt und der Filmwelt erkannte, desto wissbegieriger wurde ich. Ich praktizierte seit vielen Jahren einen aus dem Shaolin-Tempel stammenden Kampfstil. Über das Interesse an den reinen körperlichen Fähigkeiten hinaus entstand in mir der Wunsch, in Erfahrung zu bringen, was der genaue Ursprung des Shaolin-Kung Fu war und welche Werte dahinterstanden.
Bei meinen Recherchen kristallisierte sich heraus, dass Shaolin auch mit Spiritualität zu tun hat. Es wurde augenscheinlich von Mönchen praktiziert und mit dem Begriff Kriegermönch immer wieder in unmittelbaren Zusammenhang gebracht. Ich wollte herausfinden, warum diese Kampfkunst ihren Ursprung in einem Tempel hatte. Es gibt zahlreiche andere Kampfkünste, die beispielsweise in einer Akademie oder in regulären Schulen praktiziert werden, also in ganz gewöhnlichen Kampfkunstschulen. Shaolin-Kung Fu hingegen war mit seiner Verbindung zu einer Ordensgemeinschaft einfach sehr speziell.
Der Shaolin-Orden wurde in China begründet, sein Ursprungskloster liegt am Berg Songshan in der Provinz Henan im Herzen des Landes. Es ist der einzige buddhistische Orden, der die Kampfkunst als Möglichkeit des Ausdrucks buddhistischer Lehren ansieht und praktiziert.
Ich beschäftigte mich in meiner Freizeit immer intensiver mit dem Buddhismus. Beim Shaolin-Kung Fu ging es nicht nur um diese reine Körperlichkeit. Das spürte ich deutlich. Das körperliche Training machte meinen Körper resistenter, schneller und flexibler, aber ich fragte mich zeitweise dennoch, wo genau sich im Kung Fu das buddhistische, vielmehr das meditative Element versteckte. Die Frage, inwieweit Shaolin mit dem Zen- oder, wie es in China heißt, dem Chan-Buddhismus verbunden ist, begleitete mich in nicht unerheblichem Maße bei meinen Trainingseinheiten.
Nach einer für mich zur damaligen Zeit eher lästigen Sitzmeditation sah ich es vor meinem geistigen Auge. Shaolin ist Chan. Shaolin ist Zen. Shaolin ist Meditation. Diese Sitzmeditationen schienen doch für irgendetwas gut zu sein. Die Frage, die sich jetzt stellte, war: Wo finde ich Lehrer und Meister mit diesem Wissen, von denen ich lernen konnte?
Die Kampfkunstschule, bei der ich seit meinem vierten Lebensjahr trainierte, nannte sich Shaolin Green Dragon Kung Fu. Nach vierzehn Jahren entschlossener Praxis legte ich dort 2001 meine Meisterprüfung unter Großmeister Chang Kwan Chun ab.
Er wurde 1946 in den USA, in New Jersey, geboren und war Soldat bei der US Air Force, die in Ramstein, in der Nähe von Kaiserslautern, stationiert ist. Er lehrte sein umfassendes Wissen in den Stilrichtungen der »Gottesanbeterin« und des »grünen Drachen«. Seine Großmeister gehörten zu den weltweit höchsten Referenten des Stils der Gottesanbeterin. Bereits seit 1978 unterrichtete er in Kaiserslautern Shaolin Kung Fu, Qigong und Tai-Chi. Neben seinem Unterricht in der Organisation war er Mitbegründer einer Tai-Chi-Akademie. Er lebte bis 2006 in der Pfalz und starb 2013 im Alter von 66 Jahren in Florida.
Ich erinnere mich an das Training an einem Mittwochabend, als Großmeister Chang Kwan Chun vor dem Training mit der Nachricht auf mich zukam, dass der Muttertempel in China eine Delegation aus fünf Kriegermönchen nach Berlin entsandt hatte, um die erste offizielle Vertretung für Shaolin unter deutscher Geschäftsführung zu etablieren. Ich fühlte, dass sich damit die Möglichkeit eröffnete, die nächste Etappe meiner Kampfkunstpassion aufzunehmen.
Als dann im Juli 2001 der Shaolin Tempel Deutschland in Berlin gegründet wurde, entstand eine Kooperation zwischen unserer bestehenden Schule in Kaiserslautern und der neuen offiziellen Shaolin-Vertretung in Berlin. Die guten Beziehungen ermöglichten es mir, regelmäßig nach Berlin zu reisen, um direkt von den fünf Kriegermönchen zu lernen. Es war eine geradezu surreale Vorstellung für mich, denn immerhin kamen sie aus dem sagenumwobenen Shaolin-Tempel in Dengfeng. Ich war stolz und dankbar, diese Erfahrung machen zu dürfen, und hatte das Gefühl, es würde sich ein Kreis schließen.
Meine Faszination für die Kampfkunst war immer durch die Vorstellung von Kriegermönchen, die zahlreiche Kung Fu-Stile beherrschten, motiviert gewesen. Ihnen eiferte ich nach. Die Mönche des Shaolin-Tempels entwickelten und praktizierten Kung Fu, um ihre Körper für die strapaziösen Meditationen zu stärken. Ich hatte einige Meister und Großmeister zwischen meinem vierten und achtzehnten Lebensjahr kennenlernen dürfen, aber erstmalig hatte ich nun die Gelegenheit, von Shaolin-Mönchen zu lernen und unterwiesen zu werden, die direkt aus dem Ursprungstempel kamen.
In meinem Kopf hatte ich eine klare Vision von ihnen: Würde, Disziplin und Spiritualität. Der Inbegriff von erleuchteten Kriegern in Form von Mönchen. Ich verband mit ihnen Eigenschaften mythischer Helden und war sicher, sie würden Antworten auf die existenziellen Fragen der Menschheit haben:
Woher kommen wir?
Wohin gehen wir?
Wie funktioniert die Welt?
Was passiert nach dem Tod?
Einerseits philosophisch und geistig gebildet und andererseits im Bereich der Kampfkunst mit enormen Fähigkeiten bestückt. Entsprechend der Legende der Kriegermönche, deren Bild ich in meinen Visionen verankert hatte, mit einer 1500 Jahre alten Tradition und Geschichte, in deren Zentrum die Kampfkunst steht. Eine Tradition, in der Körperbeherrschung und geistige Haltung gleichermaßen eine Rolle spielen.
Mit dieser Vorstellung und Erwartungshaltung reiste ich nach Berlin und trat den abgesandten Meistern entsprechend ehrfürchtig gegenüber. Ohne dass sie viel getan hätten, begegnete ich ihnen mit tiefem Respekt. Sie waren für mich etwas Besonderes und ich begab mich sehr bewusst auf die Schülerebene. Vor mir standen die Koryphäen meiner Kindheit. Es waren die ersten Kriegermönche, die vom Muttertempel China nach Deutschland kamen. Für mich war das eine große Ehre, von genau ihnen lernen zu dürfen. Ich wollte mit ihnen trainieren, ihren Erfahrungsschatz auskundschaften und ihre Geheimnisse erfahren. Ich wollte herausfinden, ob die wahren Gegebenheiten mit der Legende, wie ich sie kannte, übereinstimmen.
Bei dem Austausch zwischen der Kampfkunstschule in Kaiserslautern und dem Shaolin-Tempel in Berlin entwickelte sich schnell eine Regelmäßigkeit. Nicht selten fuhr ich zweimal in einem Monat nach Berlin, um einige Tage mit den Meistern dort vor Ort zu trainieren. Was das Körperliche betraf, waren sie mir weit überlegen. Im Hinblick auf die Spiritualität oder die Vorstellung, die ich von meinen Vorbildern hatte, erschien mir an der ein oder anderen Stelle manches hingegen merkwürdig.
Die Zusammenarbeit intensivierte sich. Die Mönche kamen auch nach Kaiserslautern und ich verbrachte bereits seit geraumer Zeit mehrere Trainingstage in Berlin. Somit ergaben sich immer mehr Möglichkeiten, die abgesandten Vertreter des Shaolin-Tempels näher kennenzulernen. Da ich sowohl mit der Administration unserer Schule als auch mit der Leitung in Berlin im guten Kontakt stand, bekam ich unweigerlich Einblicke hinter die Kulissen.
Es gab Erzählungen und Berichte vom Hörensagen, die ich so nicht erwartet hätte, wenn sie denn der Wahrheit entsprachen. Wenn sich diese Shaolin-Mönche nicht gerade auf dem Kampfkunstfeld bewegten, verhielten sie sich wie ganz normale Menschen, und das passte nicht zu meinem Bild der legendären Kriegermönche und meiner Erwartungshaltung. Eiferte ich etwa hier einer Illusion nach?
Sie waren herausragende Kampfkünstler und hatten durchweg sehr beeindruckende körperliche Fähigkeiten. Aber warum sie als Kriegermönche bezeichnet wurden, warf viele Fragen in mir auf. Ich kannte genügend Menschen, die außerordentliche körperliche Fähigkeiten aufwiesen. Der Grund, warum ich den Mönchen so viel Respekt zollte, waren nicht die reinen körperlichen Fähigkeiten. Ich suchte nach dem Zusammenhang zwischen dem Geistigen und der Kampfkunst. Ich war auf der Suche nach der Spiritualität, die mit dem Kung Fu verbunden war. Es war dieser Zusammenhang, der mich beschäftigte. Die Antworten von Fragen fielen für mich nicht befriedigend aus. Anfänglich schob ich es auf die fehlenden Sprachkenntnisse. Die Mönche kamen aus China und waren mit der deutschen Sprache in keiner Weise vertraut. Ich vermisste die Tiefe in den Antworten, wie ich sie von spirituellen Menschen erwartet hatte. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass die Meister in der Kampfkunst außer Konkurrenz waren. Doch mein Wunsch, ein tieferes Verständnis in den Bereichen des Buddhismus, der Spiritualität und des Geistigen zu erlangen, wurde zu jenem Zeitpunkt leider nicht erfüllt.
Mittlerweile hatte ich mich innerlich von meiner eigenen Vorstellung im Zusammenhang mit dem Begriff Mönch etwas distanziert. Mir wurde deutlich, dass man hier in Europa mit »Mönch« etwas völlig anderes assoziiert als in der Shaolin-Tradition. Im Muttertempel in China werden grundlegend zwei Arten von Mönchen ausgebildet. Zum einen der Scholar Monk, der »gelehrte Mönch«, zum anderen der Warrior Monk, der »Kriegermönch«. Wenn wir in Europa an christliche Klöster denken, geht damit die Vorstellung einher, dass ein Mönch höchste geistliche Reife besitzt und somit geistliches Wissen verinnerlicht hat. Dazu gehören auch Regeln, die die Mäßigung in allen Bereichen des Lebens vorschreiben, unter anderem das Zölibat, keine Familiengründung, Gehorsam und Demut, um nur einige zu nennen. Dies entspricht in China in etwa den Scholar Monks, den gelehrten Mönchen. Auch sie folgen dieser Art von Regelwerk und Entsagung.
Die Shaolin-Mönche aus China, die wir nach dem Verlassen des dortigen Tempels in der Welt treffen, sind in der Regel keine rein geistlichen Mönche, sondern, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, zu einem hohen Prozentsatz Kriegermönche. Während ihrer Ausbildung im Muttertempel halten sie sich dort auch an Regeln, aber danach folgen sie meist nicht so konsequent dem gleichen Regelwerk, wie geistliche Mönche es praktizieren. Sobald sie zur Repräsentation das Kloster verlassen, werden sie zwar als Warrior Monks bezeichnet, was jedoch mit der klassischen und verbreiteten Vorstellung von einem Mönch nichts gemein hat. Im Gegenteil projizieren wir unsere europäische Vorstellung auf das Erscheinungsbild der Shaolin-Mönche.
Die Bilder und damit auch die Erwartungshaltung, die ich gegenüber einem Shaolin-Mönch hatte, formten sich durch die Medien und meine Recherchen. Mit dieser Idealvorstellung trainierte ich. Ich war überzeugt davon, dass diese Mönche friedvolle, disziplinierte, geistig entwickelte, lebensbejahende, mitfühlende, willensstarke und körperlich überlegene Wesen sind. Doch das Bild von der Welt der Shaolin wurde innerhalb eines kurzen Zeitraums zurechtgerückt.
Auf dem Rückweg vom Training bei einem erneuten Besuch in Berlin kamen plötzlich Selbstzweifel auf. Mittlerweile war ich 22 Jahre alt und hatte mich bislang seit 18 Jahren mit intensivem Kung Fu-Training beschäftigt. Ich investierte den Großteil meiner Lebenszeit in diese Tradition. War es möglich, dass ich mir die ganzen Jahre eine Illusion aufgebaut hatte? Gab es diese Art von Shaolin-Mönch, wie ich ihn mir ausgemalt hatte, überhaupt nicht? War es einfach eine Kreation in meinem Kopf? Ich überlegte mir, ob gerade mein ganzes Leben an mir vorbeizieht. Meine Freunde reisten um die Welt, hatten eine Freundin und genossen das Leben. Ich dagegen versuchte mich die ganze Zeit, voller Erwartung und Begeisterung, in die Shaolin-Kultur einzubringen. Jetzt stellte ich am Ende doch fest, dass es hier um die gleichen Themen ging wie überall in der Welt. Statt mit Erhabenheit über den weltlichen Dingen zu stehen, gab es auch in diesem Umfeld Disharmonie und Emotionen.
Alle fünf Kriegermönche waren in ihren speziellen Bereichen körperlich auf dem höchsten Niveau. Ich hatte mich schon vorher, wenn auch nicht auf tiefster Ebene, mit der buddhistischen Lehre beschäftigt. Daher waren mir Begriffe wie Harmonie, Frieden, Mitgefühl oder Balance vertraut. Genau damit verband ich den Buddhismus. Nach wie vor war ich auf der Suche nach dem Zusammenhang zwischen Zen und ebenjener Shaolin-Praxis. In der Annahme, dass Zen die Basis von Shaolin darstellt, erwartete ich, dass die Lehren des Buddhismus von seinen Vertretern auch repräsentiert und gelehrt werden. Diese Erwartungen wurden leider nicht erfüllt oder ich konnte es zu jenem Zeitpunkt nicht erkennen. Ich war definitiv um eine Illusion ärmer geworden.
Obwohl ich keine spirituellen Antworten fand, hielt ich die Verbindung zu den Shaolin-Meistern aufrecht, denn ich mochte sie auf menschlicher Ebene durchaus. Zugegebenermaßen wünschte ich mir nach wie vor nichts mehr, als von einem der Meister persönlich als Schüler aufgenommen zu werden. Wer in ein Meister-Schüler-Verhältnis mit einem Meister treten möchte, muss ihn darum bitten. Insofern der Meister diesem zustimmt, bekommt man einen Ordensnamen. So ist es im Shaolin üblich. Da ich nun ausreichend Gelegenheit hatte, die Meister zu studieren, entschied ich mich dazu, Meister Shi Yan Hai zu fragen, ob er sich vorstellen könnte, dass ich unter seiner Obhut als Schüler lernen könnte. Er schien mir die höchste Autorität zu haben, auch in Bezug auf Entscheidungen, die getroffen wurden. Zu meiner Überraschung kam er, ohne lange zu überlegen, am nächsten Tag auf mich zu und beehrte mich mit dem Ordensnamen, den ich bis zum heutigen Tage in der Welt der Shaolin-Gemeinschaft trage: Shi Heng Yi.
Dies geschah ohne großes Tamtam. Es gab keine Zeremonie, keine weiteren Worte, nur die Namensübergabe. Ich fühlte mich sehr geehrt. Ab diesem Tag nannte ich mich Shi Heng Yi, in erster Linie, wenn ich für die Shaolin-Kultur auf Mission ging.
Der Ordensname enthält grundsätzlich drei Silben. Shi steht immer vorneweg. Es ist die Kurzform von Shakyamuni, dem Familiennamen von Prinz Siddhartha Gautama, dem Buddha. Shi als Kurzform von Shakyamuni bedeutet im übertragenen Sinne, »zur Familie Buddhas« gehörend. Buddha ist »der Erwachte«. Der Buddhismus ist demnach die Lehre vom Erwachen. Wenn jemand zur Familie Buddhas gehört, dann muss es in meinen Augen jemand sein, der Interesse am Weg des Erwachens hat.
Danach folgt die zweite Silbe, bei meinem Namen lautet sie Heng. Die zweite Silbe steht für die Zugehörigkeit zur Shaolin-Generation, in meinem Fall ist es die 35. Generation. Wörtlich übersetzt bedeutet Heng so viel wie »dauerhaft« oder »ewig während«.
Die dritte Silbe wird nach den Charakteristika ausgewählt, die der Schüler aufweist oder entwickeln sollte. Bei mir steht Yi für Rechtschaffenheit. Rechtschaffenheit bedeutet, moralisch korrekt, ehrlich und gewissenhaft zu handeln. Eine rechtschaffene Person hält sich an ethische Grundsätze, ist aufrichtig und bemüht sich, das Richtige zu tun. Im Buddhismus steht Rechtschaffenheit auch für ein Leben im Einklang mit innerer Wahrheit, Mitgefühl und Gerechtigkeit.
Mein Bestreben war es immer, jeder einzelnen Silbe meines Namens gerecht zu werden. Es geht bei Weitem nicht darum, wie die Kampfkunst nach außen repräsentiert wird, sondern es steckt eine Geisteshaltung dahinter. Obwohl die Namensgebung als solche keine große Sache war, so hatte sie für mich eine enorme Bedeutung.
Trotz meiner Entwicklung und der Ehre, jetzt einen Ordensnamen zu tragen, schlich sich doch immer das Gefühl ein, dass ich gerade etwas im Leben verpasste. Ich stellte mir die Frage, ob ich mich womöglich in einer eigens kreierten Shaolin-Illusion verfangen haben könnte. Vieles ergab für mich keinen Sinn.
Ich begann, an der Technischen Universität in Kaiserslautern Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Maschinenbau zu studieren. Denn nicht außer Acht zu lassen war, dass ich den Erwartungen meiner Eltern gerecht werden musste. Insgesamt jedoch lockerte ich die Zügel ein wenig bei mir. Auf meiner Suche nach tiefen spirituellen Erkenntnissen im Shaolin-Kung Fu fand ich nach wie vor keine passenden Antworten. Zusätzlich gab es Reibereien auf der Leitungsebene meiner Kampfkunstschule, was bedauerlicherweise zum Bruch mit meinem damaligen Kampfkunstmeister Chang Kwan Chun führte. Aufgrund dieser ganzen Ereignisse hatte sich durchaus einiges an negativer Energie in mir angestaut. Ich beschloss, den Blick nach vorne zu richten und zu schauen, was das Leben außerhalb von Shaolin noch zu bieten hatte. Nach einiger Studienzeit hatte ich bei einem meiner Seminare eine Erkenntnis. Es wurden Tutorien angeboten, um sich mit anderen Kommilitonen auszutauschen. Nach einigen Zusammenkünften merkte ich, dass ich zunehmend weniger Lust hatte, mich mit anderen zu treffen, um Lösungen zu erarbeiten. Es war fast nicht möglich, im Fach Höhere Mathematik allein zu lernen, da die Thematik zu komplex war. Ich erkannte, dass ich ein Einzelgänger bin, im Grunde schon immer gewesen war. Ich war einfach kein Teamplayer. Der Kampfsport gehört zu den Individualsportarten. Teamsport machte mir schon während der Schulzeit keinen Spaß. Die Idee des Gewinnens oder Verlierens von anderen abhängig zu machen, entsprach nicht wirklich meiner damaligen Lebensansicht. In einem der Tutorien versuchte ich, mich an der Gruppendiskussion zu beteiligen, aber in meinem Kopf kamen schon wieder Zweifel auf.
Am gleichen Abend, als wären meine Gedanken laut geworden, rief mich mein bester Freund Alwin an, den ich bereits seit der Grundschule kannte. Alwin ist gebürtiger Rumäne. Er war gerade aus den USA zurückgekehrt, wo er seinen Highschool-Abschluss gemacht hatte. Wir hatten uns fast drei Jahre nicht gesehen. Bei unserem ersten Treffen berichtete ich ihm, dass das Studium eher bescheiden lief und ich schon an meinen Fähigkeiten zweifelte. Alwin schlug vor, mit mir in seine Heimat Rumänien zu fahren, um dort zwei Wochen gemeinsam zu verbringen. Er suchte ebenfalls gerade nach einem Weg, den er jetzt mit seinem Abschluss beschreiten konnte. So war diese Auszeit, dieser Abstand zum Alltagsleben, für uns beide eine Möglichkeit herauszufinden, wie es weitergehen könnte. In diesen zwei Wochen nahm ich alles mit, was mir begegnete. Das war Balsam für meine enttäuschte Seele. Es gab ein Leben außerhalb von Kung Fu, dem Wirtschaftsingenieurwesen und den Erwartungshaltungen, die ich in Deutschland ständig verspürte. Die Menschen in Rumänien hatten nicht viel Geld, aber sie versprühten eine Energie, die mit mir resonierte, und es schien ihnen richtig gut zu gehen. Es fühlte sich für mich an, als wären sie trotz äußerer Umstände innerlich frei. Mir gefiel es dort und wir entschieden, gemeinsam ein Studium in Rumänien aufzunehmen.
Nach aufwendiger Recherche entdeckten wir einen Studiengang, der uns nach einigen Semestern an der westfälischen Wilhelmsuniversität in Münster schließlich an deren Partner-Universität in Cluj-Napoca im Nordwesten Rumäniens brachte. Am Ende hätten wir sogar ein Doppeldiplom in der Tasche. Ich brauchte einen Abschluss, der etwas hermachte, um meine Eltern zufriedenzustellen, wenn ich schon mein Studium in Kaiserslautern hinschmiss. Der Studiengang Politikwissenschaften, Fachrichtung European Studies mit den Sprachen Englisch, Deutsch und Rumänisch, mit Kommunikationswissenschaften im Nebenfach sollte meine neue Richtung werden. Ich hatte mich vorher noch nie mit Politik beschäftigt, aber die Entscheidung war gefallen.
Alwin und ich zogen gemeinsam nach Münster und mir wurde immer mehr bewusst, dass ich nur einen bestimmten Teil von mir gelebt hatte. Ich lebte eine Weile in den Tag hinein, merkte aber, dass ich die Kampfkunst nicht ganz an den Nagel hängen wollte. Das hätte keinen Sinn ergeben. Es war ein starkes Bedürfnis, wieder körperlich aktiv zu werden. In Münster fand ich leider keine Shaolin-Kung Fu-Schule, aber ich trainierte weiterhin und suchte mir eine Kampfkunstschule, um auch Erfahrungen in anderen Kampfkünsten zu sammeln.
Es war spannend und irritierend zugleich während der Zeit in Münster und Rumänien. Ich würde nicht behaupten, dass ich undiszipliniert war, aber damals holte ich nach, was ich vom Gefühl her bislang verpasst hatte. In manchen Wochen sah ich den Tag nicht und war eher nachtaktiv. Im Nachhinein betrachtet, war das wohl meine rebellische Phase. Ich fühlte mich frei, stürzte mich in jedes Vergnügen, jedoch war mir bewusst, dass ich mich ebenfalls auf das Studium konzentrieren musste. Diesmal musste ich es zu Ende bringen und konnte nichts schleifen lassen. Meine Eltern waren in großer Sorge, weil ich das erste Studium bereits abgebrochen hatte. Auf meiner Agenda stand also ein Doppeldiplom, eingebettet in einen Lebensstil, der mir gleichermaßen Spaß und Abwechslung bereitete.
Nach dem Vordiplom in Münster ging es nach Cluj-Napoca, wo ich dann später mein Doppeldiplom entgegennehmen durfte. In Rumänien fühlte ich mich frei. Ein Gefühl der Selbstverwirklichung und Lebensfreude überkam mich und ich blieb noch ein halbes Jahr länger, weil es mir so gut gefiel. Aber ich wusste wieder nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Da ich keine Entscheidung erzwingen wollte, beschloss ich, auch wegen des Nebenfachs Kommunikationswissenschaften, erst einmal als Praktikant bei der Telekom in Düsseldorf anzufangen. Es schien mir schlüssig, diese Station im Lebenslauf zu haben. Doch nach einem Jahr dort, mittlerweile war ich 26 Jahre alt, konnte ich der zentralen Frage, die im Raum stand, nicht mehr ausweichen. Wohin sollte das Ganze jetzt führen?
Die Studienaufenthalte in Münster und Rumänien waren prägend. Ich hatte viel über mich gelernt, vor allem auf persönlicher Ebene. Ich entdeckte völlig neue Facetten an mir. Nach meiner Ankunft in Cluj-Napoca war ich sprichwörtlich explodiert, da ich über Jahre so vieles in mir unterdrückt hatte. Ich wollte zu dem Leitbild, das mir meine Eltern aufoktroyiert hatten, einen Kontrapunkt setzen. Ich wollte bewusst einen anderen Weg einschlagen als den, den man von mir erwartete. Die gestaute Energie brach aus mir heraus wie ein Vulkan. Zum einen im negativen Sinne mit allen Dramen und Gefahren, bis hin zum Kontakt mit der Kriminalität. Zum anderen im positiven Sinne, denn ich traf die unterschiedlichsten Menschen und probierte vielerlei Dinge aus. Dies hat meine Wahrnehmung für meine Möglichkeiten und mein Potenzial geschärft. Am Ende hatte ich Erfahrungen und Einsichten für meinen zukünftigen Weg gewonnen.
Wenn du aufhörst zu suchen und einfach schaust, wirst du entdecken, dass du selbst das Ziel bist.
Huangbo Xiyun (gest. 850) – Zen-Meister
Als ich anfing, über die Shaolin-Tradition zu recherchieren, wurde sie weitestgehend im Zusammenhang mit körperlichem Training beschrieben. Dem Training von Kung Fu, Qigong und Tai-Chi-Chuan, wobei der Fokus auf der Entwicklung von Kraft, Flexibilität und Selbstkontrolle lag. Nirgendwo wurde erläutert, was Zen ist, obwohl sich in den Lehren der Satz findet: Shaolin ist Chan.
Für mich war dieser Satz eine Offenbarung, denn genau darin lag der Ursprung meiner Suche. Genau das hatte mir bei den mir bekannten Praktiken gefehlt.
Chan hat seine Wurzeln in China und entwickelte sich in Japan weiter, wo es als Zen bekannt wurde, und beeinflusste später auch den Westen maßgeblich.
Der Ursprung des Chan-Buddhismus liegt im Shaolin-Kloster. Bodhidharma, ein indischer Mönch, gilt als sein Begründer. Der Legende nach kam er im sechsten Jahrhundert ins Shaolin-Kloster und meditierte dort in der Nähe neun Jahre lang in einer Höhle. Er wird nicht nur als Ahnherr des Chan, sondern auch als geistiger Vater der Shaolin-Kampfkunst gesehen, da er Übungen entwickelte, um die körperliche Gesundheit der Mönche zu stärken, woraus das Shaolin-Kung Fu entstand.
