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Ein unverzichtbarer Leitfaden für Frauen in der sich rasant wandelnden Arbeitswelt
Zu keiner Zeit waren Frauen so gut ausgebildet wie heute. Und dennoch scheitern sie immer wieder beim beruflichen Aufstieg. Sind in der mittleren Führungsebene noch verhältnismäßig viele Frauen ›geduldet‹, wird die Luft in den oberen Etagen dünner. Dabei sind Frauen durchweg gute Teamplayer mit psychologischem Gespür, Integrationskraft, Kreativität und Flexibilität – sie können also genau das, was in der neuen, vernetzten Arbeitswelt gefordert wird. Der Wandel der Wirtschaft ist in vollem Gang. Wenn weibliche Führungskräfte und junge Berufseinsteigerinnen sich heute nicht abschrecken lassen, dann ist beiden geholfen: der Wirtschaft und ihnen selbst. Das Buch will aufklären, damit Frauen erkennen können, was sie behindert. Sie sollten wissen, wie die alten, nach wie vor wirksamen, männlich geprägten Strukturen funktionieren. Die Autorin will Frauen anspornen und motivieren, die sich verändernde Wirtschaftswelt offensiv mitzugestalten und auch Macht nicht zu verschmähen.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2016
Christiane Funken
Sheconomy
Warum die Zukunft der Arbeitswelt weiblich ist
C. Bertelsmann
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1. Auflage© 2016 beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: buxdesign, MünchenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-17043-1V001www.cbertelsmann.de
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1Neue alte Arbeitswelt
Alte Zuschreibungen
Strukturen lösen sich auf
Selbstverwirklichung und Überforderung
Privatheit als Ressource
Entgrenzung und »Weiblichkeit«
Parallelität der Strukturen
Durchhalten
Kapitel 2Mythen erkennen!
Hartnäckige Vorurteile
Mythos Weiblichkeit
Mythos Mutter
»A good mother is always there«
Rabenväter unbekannt
Kapitel 3Individuell performen!
»Männliche« und »weibliche« Strategien
Impression Management
Authentizität und Geschlecht
Bewährungsprobe Projekt
Darstellung der eigenen Ambition
Double Bind
Die Herausforderung bewältigen
Kapitel 4Netzwerken!
Netzwerke und Networking
Vertrauen und Kontrolle
Differenztabu
Frauen netzwerken anders
Mentoring – Chance und Risiko
Management und Kumpanei
Kapitel 5Weniger planen!
ArbeitskraftunternehmerIn sein
Frauen planen anders
Der souveräne Faulenzer
Die Flexiblen
Wer sich Flexibilität leisten kann
Planen und verunsichern
Kapitel 6Karriere wollen!
Von der Pyramide zum Netz
Spezialistenlaufbahn
Projektlaufbahn
Den eigenen Wert als Marktwert erkennen
Kapitel 7Macht wagen!
Macht als Gegenteil von »Weiblichkeit«?
Macht – unweigerlich ein Thema
Körper, Stimme und Haltung
Die Vielfalt der Macht
Macht durch Kommunikation
Machtspiele und gemeinsames Handeln
Glossar
Anmerkungen
Register
Vorwort
2010 – die Turbulenzen der Weltwirtschaft beruhigten sich allmählich, und die zähen Debatten um die Frauenquote gingen in die x-te Runde. Ich stand vor einem imposanten verglasten Gebäude – der Firmensitz eines großen deutschen Unternehmens mit Umsätzen in Milliardenhöhe. Ich war mit einer leitenden Managerin verabredet – in der riesigen Eingangshalle wartete bereits ihr Assistent auf mich.
Wir fuhren mit dem Aufzug zur vorletzten Etage. Von Stockwerk zu Stockwerk wuchs mein Respekt. Ich rechnete damit, eine Frau zu treffen, die stolz und selbstbewusst auf ihre höchst erfolgreiche Berufslaufbahn zurückblickt. Auch freute ich mich darauf zu erfahren, wie sie bisher die so genannte »gläserne Decke« durchstoßen hatte und wann mit dem letzten großen Schritt in Richtung Chefetage, Vorstand oder Aufsichtsrat zu rechnen sei. Im Übrigen erwartete ich nützliche Ratschläge für jene Frauen, die gerade voller Elan und Engagement ins Berufsleben einstiegen oder als junge Führungskräfte ihre Karriere vorantreiben wollen.
Doch das Ergebnis dieses Gesprächs war ernüchternd und entsprach in keiner Weise meinen Erwartungen. Schlimmer noch: es war kein Einzelfall, sondern wurde durch all die weiteren Interviews bestätigt, die ich mit gestandenen Managerinnen im Alter von 50 plus aus großen deutschen, österreichischen und Schweizer Unternehmen führte. Überall bot sich ein ähnliches Bild: Empörung, Resignation und Frustration. Die einen kämpften erbittert um den weiteren Aufstieg, die anderen machten nur noch Dienst nach Vorschrift – die dritten standen kurz vor dem Ausstieg.
Das Fazit dieser Frauen war: No return on investment. Ihr enormes Engagement während der langjährigen Berufstätigkeit hatte sich – so die einhellige Meinung – keineswegs ausgezahlt. Nicht nur der Zutritt zu den Chefetagen blieb ihnen verwehrt, auch die adäquate Anerkennung ihrer großen Erfolge und anhaltenden Leistungsfähigkeit blieb aus. Sie hatten in der Regel weniger Personalverantwortung und kleinere Budgets als ihre gleichrangigen Kollegen, keine Teilhabe an relevanten Entscheidungsprozessen und – keine Gestaltungsmacht. Massiv gekränkt durch die Missachtung ihrer Kompetenz und Leistungsfähigkeit mussten sie sich nun auch noch mit der langweiligen Routine der einmal erreichten Position abfinden. Denn seit Langem waren sie – im Gegensatz zum kontinuierlichen oder gar rapiden Aufstieg der Jahre zuvor – nicht mehr befördert worden.
Ich war beunruhigt: Wenn diese klugen und leistungsstarken Frauen ihre persönlichen und beruflichen Investitionen erzürnt bereuen oder frustriert reduzieren, sich selbst also nicht als Vorbild erleben, was kann jüngere Frauen dann überhaupt motivieren, sich in die »Höhle des Löwen« zu begeben?
Ich wollte es genauer wissen, also führte ich eine weitere Studie mit Führungskräften der Generation 35 plus durch.
Mich interessierte, ob diese jungen Frauen ähnliche Erfahrungen machten wie ihre Vorgängerinnen, die eine klassische Aufstiegskarriere in traditionellen, hierarchischen Unternehmen der Industriewirtschaft absolviert hatten.
Auch wollte ich prüfen, ob der vielfach diagnostizierte Wandel der Industriewirtschaft hin zu einer Art Ideenwirtschaft – wir sprechen heute von Wissensökonomie – tatsächlich schon Einzug in den Arbeitsalltag gehalten hat oder noch vor uns liegt.
Und schließlich galt es abzuschätzen, welche Konsequenzen die »schöne neue Arbeitswelt« für Frauen in der Wirtschaft haben wird.
Worauf müssen Frauen sich einstellen? Auf mehr Chancen oder auf erhöhte Risiken?
In der modernen Arbeitswelt wird gerne von neuen Leitbildern und von Diversität als wirtschaftlichem Grundprinzip gesprochen. Gleichzeitig sind die alten Ansichten über Führung und Beschäftigung noch immer lebendig. Diese Situation führt zu Widersprüchen auf unterschiedlichsten Ebenen.
Einerseits hat sich ein Arbeitsethos etabliert, das den Einsatz der ganzen Persönlichkeit verlangt und einhergeht mit enormer Leistungsverdichtung, entgrenzten Arbeitszeiten und durchaus positiv erlebter Autonomie für die Beschäftigten. Andererseits wird diese aktiv eingeforderte Arbeitsmoral in vielen, immer noch hierarchisch geführten Unternehmen durch die alten Strukturen und Kulturen behindert.
Gleichzeitig werden große Bereiche der Service- und Sachbearbeitung digitalisiert und die Produktion automatisiert. Es entstehen neue Tätigkeitsbereiche, die Kooperation, Interaktion und Kommunikation mit stets wechselnden Partnern und Orten voraussetzen. Diese »Wissensarbeit« erfordert nicht nur spezifische Eigenschaften und Fähigkeiten, sondern auch eine Arbeitshaltung, die Selbstreflexion und Selbstorganisation voraussetzt. Frauen sind hierfür bestens geeignet; erstens durch ihre – zumindest gegenwärtig noch – vorherrschende Sozialisation »als Frau« und zweitens durch das »unfreiwillige Alleinstellungsmerkmal«, verschiedene Lebensbereiche (Privates und Berufliches) sinnvoll koordinieren zu können. Entgrenztes Arbeiten ist ihnen also keineswegs fremd.
Noch zögern viele Frauen, die historisch neue Chance zu ergreifen und den fundamentalen Wandel der Arbeitswelt aktiv zu nutzen und mitzugestalten. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen es ihnen hierbei nicht gerade leicht machen.
Über die »gläserne Decke« und die geeigneten Mittel, sie zu durchbrechen, ist bereits viel geschrieben worden. Zumeist wird den Frauen erklärt, wie sie die subtilen Hindernisse umgehen und erfolgreich Karriere machen können. Solche Beschreibungen der »gläsernen Decke« und die entsprechenden Empfehlungen in den einschlägigen Ratgebern beziehen sich jedoch in erster Linie auf die Lage der Frauen in traditionellen, hierarchisch organisierten Unternehmen. Jene Widersprüche, Chancen und Risiken, die aus der Parallelität von »neuen« Arbeitsanforderungen (der Wissensökonomie) und »alten« Arbeitsbedingungen resultieren, sind bisher kein Thema. Und auch die Möglichkeiten, die eine gewandelte Arbeitswelt für Frauen eröffnet, geraten nicht in den Blick.
Diese »blinden Flecken« möchte ich in meinem Buch tilgen.
Erstmalig in der Wirtschaftsgeschichte sind Frauen nicht nur darauf angewiesen, dass sich die Einstellung der Männer ändert. Denn es ist die Arbeitswelt, die sich ändert! Frauen können von diesem Wandel enorm profitieren – solange sie ihn verstehen und aktiv mitgestalten. Dabei will ich sie unterstützen. Im Laufe der letzten etwa zehn Jahre habe ich mehrere empirische Studien zur Lage von Frauen in diversen Unternehmen und Arbeitsbereichen durchgeführt.1 Die Ergebnisse dieser Studien liefern die Grundlage für meine nun folgenden Überlegungen.
Ich möchte all den Frauen Mut machen, die gerne und lustvoll arbeiten; die vor Herausforderungen nicht zurückschrecken und sich nicht scheuen, mit Macht und Verantwortung umzugehen; die mit Karriere viele Aspekte verbinden – nicht nur eine Aufwärtsbewegung; die sich stetig weiterentwickeln möchten – beruflich wie privat; modernen Frauen also, die Karriere und Familie, Berufliches und Privates, Lebenszeit und Arbeitszeit miteinander verbinden wollen.
Kapitel 1Neue alte Arbeitswelt
»Man ist abends bei der Arbeit, man ist am Wochenende bei der Arbeit. Man ist permanent mit den Gedanken bei der Arbeit.«
(Hanna B., 34)1
»Wenn du nicht mehr kannst, dann nehme ich den nächsten.«
(Mark F., 35)
Manhattan aus der Vogelperspektive. Eine faszinierende Sicht, wie sie nur das Kino zu bieten hat. Man möchte bei diesem Anblick verweilen. Doch schon zoomt die Kamera auf eine dichte Menschenmenge, die zum Eingang eines Wolkenkratzers drängt. Von dort wandert der Blick an der Fassade des Hochhauses nach oben. Stockwerk türmt sich auf Stockwerk. Der Aufstieg, so die unverkennbare Botschaft, ist ein langer, mühseliger Weg. Dann wechselt die Einstellung:
Nun zeigt das Bild ein Großraumbüro. Über hundert Arbeitsplätze – ausgestattet mit Schreib- und Rechenmaschinen – reihen sich aneinander. Die Beschäftigten haben jeweils exakt die gleiche Arbeitsfläche zur Verfügung, und jeder Tisch trägt eine kleine Plakette mit ihren Namen. Gehilfen und ZuarbeiterInnen wuseln zwischen den Tischen umher, der Raum ist vom Rattern und Klackern der Schreib- und Rechenmaschinen erfüllt. Hoch über den Arbeitenden ist eine Uhr angebracht. Sobald die Zeiger 17.20 Uhr erreichen, stellen die Frauen und Männer ihre Arbeit, zum Teil mitten in der Bewegung, ein, und der Raum leert sich rapide. Niemand bleibt länger an seinem Arbeitsplatz sitzen. Jeder bedeckt seine Geräte mit einer Schutzhülle, die er am nächsten Morgen, am nächsten Arbeitstag wieder entfernen wird. Lediglich ein junger Mann verharrt einsam an seinem Schreibtisch. Es scheint zunächst, als wäre er als Einziger im gesamten Bürokomplex zu Überstunden bereit.
Dies ist die erste Szene von Billy Wilders legendärem Film Das Appartement aus dem Jahr 1960. Sie veranschaulicht die in Industrienationen des 20. Jahrhunderts entwickelte und lange vorherrschende fordistisch-bürokratische Arbeitsorganisation; sie drückt präzise aus, was viele Jahrzehnte lang sowohl für Werktätige als auch für Angestellte galt: die klare Zuteilung der drei Faktoren »Arbeitsplatz«, »Aufgabenbeschreibung« und »Arbeitszeit«.
Im Film kippen diese Zuschreibungen jedoch rasch ins Ironische. Es stellt sich heraus, dass die Hauptfigur, der kleine Angestellte C. C. Baxter, nicht deshalb im Büro bleibt, weil er dort Überstunden macht, sondern weil er nicht nach Hause kann. Er hat sein Appartement als Liebesnest an seine Vorgesetzten vermietet. Anstelle sklavischer Fleißarbeit verfolgt er also eine Aufstiegsagenda, die um einiges vielversprechender erscheint.
Alte Zuschreibungen
Heute scheint diese Form streng kontrollierter, fast maschinell anmutender Büroarbeit längst der Vergangenheit anzugehören. Der Kontrast wird deutlich, wenn wir im Vergleich zu den aufgereihten Schreibtischen aus Das Appartement jene Arbeitswelt betrachten, die Dave Eggers in seinem gefeierten Roman Der Circle von 2014 beschreibt.
Die naive, begeisterungsfähige Mae trifft darin auf ein Unternehmen, genannt »Circle«, das einem freundlichen und zugleich totalitären Campus gleicht – die MitarbeiterInnen des »Circle« wohnen in direkter Nachbarschaft zu ihren Büros auf einem Gelände, das dem Konzern gehört, und nehmen in ihrer Freizeit an Aktivitäten teil, die ebenfalls vollständig vom »Circle« organisiert werden. Mae sitzt zwar allein an ihrem Schreibtisch, doch hat sie fünf Monitore vor sich, an denen sie nicht nur die aktuellen Arbeitsprozesse, sondern auch die ständig aktualisierten Freizeitpläne ihrer KollegInnen verwalten muss. Arbeit und Freizeit sind bei ihr zu einem Hybrid verschmolzen, das vom Zwang zur Optimierung angetrieben wird – Maes Arbeitsleistung wird von ihren Kunden nach derselben Skala von 1 bis 100 bewertet, die sie bald auch dazu nutzt, die »Performance« ihres Freundes beim Sex zu benoten. Durch intensive Teilnahme an Freizeitaktivitäten, die der »Circle« für seine MitarbeiterInnen organisiert, kann sie zudem ihre Platzierung auf einem Index erhöhen, der in die Beurteilung ihrer »Gesamtperformance« einfließt.
Der Circle stellt freilich eine satirisch eingefärbte Utopie dar. Dennoch versicherte eine Google-Mitarbeiterin dem Autor, er habe ihren Arbeitsalltag exakt so beschrieben, wie er tatsächlich schon heute ist.2
Mae kann in Der Circle nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit trennen und gerät deshalb in Konfliktsituationen. In Das Appartement ist es genau umgekehrt: Gerade die Unvereinbarkeit von Arbeit und Freizeitvergnügen erzeugt komische Effekte – zum Beispiel wenn C. C. Baxter die Rendezvous der Vorgesetzten in seinem Appartement unter großen Mühen so koordinieren muss, als wären sie Arbeitstermine. Komisch ist auch, dass die Chefs in Das Appartement offenkundig nicht von unternehmerischen Handlungsmaximen angetrieben werden, wie es ihrer Position im Unternehmen eigentlich entspräche, sondern stets nur das nächste Date planen – und dem armen Baxter auch noch seine Vorräte an Cheesecrackern wegknabbern.
Auch wenn es nur Film- und Romanszenen sind, so wird doch klar: Arbeitsweise und -umgebung der meisten Beschäftigten in großen Unternehmen haben sich in den zurückliegenden fünfzig Jahren grundlegend verändert. Dennoch sind uns die Begriffe »Arbeitsplatz«, »Aufgabenbeschreibung« und »Arbeitszeit« noch immer vertraut. Wir gehen »zur Arbeit« und kommen »von der Arbeit« zurück, wir fangen zu einer bestimmten Zeit mit der »Arbeit« an und haben irgendwann »Feierabend«, wir erledigen »in der Arbeit« eine bestimmte, von Vorgesetzten zugewiesene Aufgabe. Wir sprechen von einem »Berg« oder einem »Haufen Arbeit«, der noch »ab-« oder »wegzuarbeiten« sei; wir beschreiben die Arbeit als ein aufgewühltes Meer, in dem wir zu »versinken« drohen; wir reden vom »Arbeitsbereich«, als ließe sich die Arbeit umzäunen wie eine Kleingartenparzelle.
Doch diese Redeweisen täuschen über die bereits erfolgten Veränderungen hinweg.
Unsere Arbeitswelt befindet sich in einem vielgestaltigen Wandel, der sich auf nahezu sämtliche modernen Lebensbereiche auswirkt. So vieldeutig dieser Wandel sich darstellt und so schwierig es sein mag, ihn auf eine kurze Formel zu bringen, so lässt sich doch sagen: Aus der industriellen Arbeit ist ein neuer Typus von Arbeit hervorgegangen, der einerseits traditionelle Grenzen durchlässig macht und gleichzeitig Sehnsucht nach den alten, vertrauten Regelungen weckt. Die Rede ist von der Wissensökonomie. Sie ist durch eine Form der Arbeit charakterisiert, die vor allem auf geistigen, nicht direkt sichtbaren Prozessen beruht. Der materielle Aspekt von Arbeit steht dabei nicht mehr im Vordergrund. Stattdessen hat die Immaterialisierung der Wertschöpfungsketten durch vielfältige Prozesse der Digitalisierung und Globalisierung die Arbeitenden selbst erfasst.
Konkret bedeutet dies: Ein erheblicher Teil der Beschäftigten in mittleren und großen Konzernen der »Ersten Welt« wie Telekom, Henkel, SAP, Vorwerk – um nur einige zu nennen – ist heute nicht mehr mit der Produktion von materiellen Dingen, wie zum Beispiel Tassen, Autos oder Haarshampoos, befasst, sondern produziert Konzepte, Ideen, Strategien und Problemlösungen, also im weitesten Sinne wissensbasierte Dienstleistungen. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass bis 2020 der Anteil an Wissens- und Servicearbeit auf 85 Prozent steigen wird.3
Um zu begreifen, wie sehr die Wissensarbeit unsere Arbeitswelt verändert, lohnt sich ein kurzer Blick auf die traditionellen Unternehmen der Industriewirtschaft, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden, bis in die 1970er Jahre hinein prägend waren und auch heute noch keineswegs verschwunden sind.
In diesen Betrieben waren Planung und Ausführung von Arbeit strikt getrennt und folgten bürokratischen Prinzipien. Die Zuständigkeiten der Beschäftigten wurden nach Kopfarbeit (Manager) und nach Handarbeit (Arbeiter und Angestellte) aufgeteilt. Entwicklung, Produktion, Rechnungswesen oder auch Vertrieb waren jeweils eigenständige, streng voneinander getrennte Funktionsbereiche. Ihre jeweiligen Leiter verfügten über sehr viel kaum zu kontrollierende Macht, mit weitreichenden Folgen. Karrieren waren innerhalb dieser hermetisch getrennten Teilbereiche ausschließlich als Aufstiegs- oder Kaminkarrieren möglich und üblicherweise mit mehr Geld, Personalverantwortung, Macht und Prestige verbunden.
Mittlerweile organisieren nahezu alle Unternehmen ihre ehemals eigenständigen und abgeschotteten Teileinheiten um, sodass sich Wertschöpfungsprozesse je nach Auftrag und Kundenorientierung immer wieder neu formieren können. Damit solch fluide, netzwerkartige Strukturen überhaupt funktionieren können, sind Dezentralisierung, flachere Hierarchien, Team- und Projektarbeit, partizipative Führungsstile und das sogenannte »Empowerment«4 der Mitarbeitenden erforderlich. Dies gilt gleichermaßen für traditionelle Branchen (etwa Automobil- und Energieunternehmen oder auch Maschinenbau) wie für die moderne Medien-, Kultur-, Freizeit-, Tourismus- oder auch Gesundheitsbranche. Daraus resultieren neue Anforderungen an alle Beteiligten, besonders aber an die (Hoch-)Qualifizierten. Software-Entwickler, Betriebs- und Volkswirte, Juristen, Vertriebler, Werber und Pressereferenten, Personalentwickler oder auch Experten aus Produktion, Absatz, Beschaffung, selbst Ingenieure und deren jeweilige Assistenten etc. – sie alle entwickeln und »verkaufen« Produkte, die in erster Linie mit ihrer Person und dem speziellen Wissen zu tun haben, das sie sich persönlich aneigneten.
Für die Beschäftigten bedeutet dies: Nicht das in der Ausbildung und durch Berufserfahrung erlernte und erworbene Fachwissen zählt heute am meisten, sondern die Fähigkeit, mit diesem Wissen umzugehen, es kreativ, flexibel und lösungsorientiert einzusetzen und auf diese Weise neues Wissen zu generieren. Für die Mehrzahl der Arbeitsplätze besteht das Anforderungsprofil heute nicht mehr darin, stets wiederkehrende Aufgaben zuverlässig zu erledigen, sondern in der innovativen Bewältigung von komplexen Problemstellungen, oft unter hohem Zeitdruck. Das bestehende Wissen wird nicht als unumstößliche Wahrheit angesehen (»Wir haben das immer so gemacht, also machen wir es auch weiterhin so!«), sondern als formbare Ressource und ist mit Nichtwissen als Motor gekoppelt. Der Begriff Wissen ist dabei nicht mit Daten zu verwechseln, die für viele Unternehmen heute enormen Wert besitzen. Daten an sich bedeuten noch nichts. Sie müssen erst von Individuen interpretiert werden, um die Form von Wissen annehmen und problemspezifisch verwertet werden zu können. Ebendies geschieht in der Wissensökonomie.
Ebenso wichtig ist: Die Generierung von Wissen entsteht immer in Zusammenarbeit, im Austausch mit anderen. Von den MitarbeiterInnen wird deswegen zunehmend erwartet: Sie sollen Netzwerke bilden und pflegen, teamfähig sein und sich permanent auf wechselnde Arbeitsumfelder und Themenbereiche einstellen.
Der Arbeitsplatz scheint mehr und mehr zu einem Ort zu werden, den wir in uns haben, den wir nicht verlassen können. Die Arbeit ist uns gewissermaßen auf den Leib gerückt. Die meisten Menschen gehen heute nicht mehr zur Arbeit. Sie sind schon da, sobald sie aufwachen.
Strukturen lösen sich auf
Noch in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts war die Arbeitswelt überwiegend von starren hierarchischen Strukturen, formalen Abläufen und festgelegten Kommunikationswegen geprägt. Die Arbeitsprozesse waren standardisiert, ließen sich in kleinste Schritte aufteilen und zeitlich genau berechnen (Fordismus/Bürokratie). Die Arbeitenden glichen Robotern, die bis ins Detail durchstrukturierte Aufgaben zu erledigen hatten – im Rahmen genau vorgegebener Zeitfenster.
Es war eine Welt, in der sich die überwiegend männlichen Arbeitnehmer damit abzufinden hatten, nicht als ganze Person, sondern »nur« als Funktionsträger jeden Morgen ihr Werk oder ihr Büro zu betreten. Jener Teil ihres Selbst, der nichts mit Arbeit zu tun hatte, jener diffuse Part, in dem es um Interessen, Bedürfnisse, Gefühle und Träume ging, sollte von der Familie, also den Frauen, die zu Hause blieben, bespielt werden.
Dem Arbeitsleben haftete damals etwas grundsätzlich Mechanisches an. Sinn stand auf der einen Seite, Arbeit auf der anderen. »Identifikation», »Teamarbeit«, »Kreativität« oder »innovative Problemlösungskompetenz« waren keine Maßstäbe, mit deren Hilfe die Produktivität eines Arbeitenden oder die Kultur eines Unternehmens bewertet wurden. Maßgeblich für die Angestellten war in erster Linie die Höhe ihres Gehalts, weniger bedeutsam waren der Inhalt ihrer Arbeit, die soziale Qualität des Arbeitsumfeldes oder Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Um des Geldes willen zu arbeiten war ein nüchternes Ziel, das die Sachlichkeit des Arbeitsumfeldes adäquat widerspiegelte. Kommunikation, Sozialkompetenz oder Kreativität wurden eher als Störfaktoren wahrgenommen und in das Private, und damit in die Sphäre des »Weiblichen« verwiesen: miteinander reden, Bedürfnisse und Interessen ausgleichen, die »Truppe« zusammenhalten. Gerade weil man sie für Expertinnen auf diesen Gebieten hielt und ihr Auftreten ansonsten als unsachlich galt, wurde Frauen der Zugang zu genau jener Sphäre der Arbeitswelt verwehrt, die Karriereambitionen voraussetzt und entsprechende Chancen bietet.
Die durchgängige Standardisierung der Arbeitswelt, ihr vorsätzlicher Mangel an Sinnlichkeit und vermeintlich »weichen« Faktoren erzeugte aber auch ein starkes Unbehagen angesichts des zum bloßen Funktionsträger verkommenen, im Innersten entkernten Menschen. Dieses Unbehagen sickerte bis in die damals erfolgreichen Kinderbücher durch. Bei Momo sind es die stets in graue Anzüge gekleideten Zeitsparer, die nicht nur im anthroposophischen Weltentwurf eine soziale Bedrohung darstellen. Sie spiegeln die Angst wider, die kalkulierenden Befehlsempfänger könnten die Herrschaft auch in jenen Lebensbereichen übernehmen, die nichtfunktionalisiert, familiär und vor allem frei bleiben sollten.
Grau schien damals die einzig passende Farbe zu sein, die das Leben eines Angestellten in einem Unternehmen veranschaulichte. Grau war der Flanellanzug, in dem er täglich zur Arbeit ging, bunt dagegen die Welt der Frauen und Kinder, von der er nach Feierabend bestenfalls eine Ahnung bekam. Die Welt der Arbeit galt als eine Welt ohne Gefühle, in der die Menschen emotional verarmen konnten, eine Welt also, die dem, was man unter »Weiblichkeit« verstand, diametral entgegengesetzt war.
Erinnern wir uns an die kleinen, gerahmten und sorgfältig auf dem Schreibtisch platzierten Fotos von Frau und Kindern, die typischerweise als Fenster fungierten in jene Welt, die all das repräsentierte, was eben nicht Arbeit war. Solche Bilderrahmen sind zwar auch heute nicht gänzlich aus den Büros verschwunden, doch der sehnsüchtige Charakter ist ihnen verloren gegangen. Das, was die Bilder repräsentierten – Familienglück, Zuneigung, Geborgenheit –, wird heute in die Arbeit selbst verschoben. Arbeit soll nicht mehr die graue Gegenseite zur Freizeit sein, sondern selbst jene Sehnsüchte erfüllen, die ehedem mit freier Zeit verbunden wurden: Selbstverwirklichung, Individualität und Sinn. Arbeit generell hat heute die Vervollkommnung der eigenen Person zum Ziel; die einzelnen Aufstiegsstufen sind ein »persönlicher Weg«, ein »project of the self«.5
ENDE DER LESEPROBE