Shriivan 2 - Julia Storm - E-Book

Shriivan 2 E-Book

Julia Storm

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Beschreibung

Oraion liegt Gefangen im Kerker eines skrupellosen Kaisers, der versucht die Macht über Oraions Drachenseele zu erlangen. Um dies zu verhindern macht sich Loran auf den Weg ihn zu befreien. Gleichzeitig schickt er seine Verbündete in Sicherheit. Nur haben Tami und Rachon ganz eigene Pläne um die Macht der Menschen über ihr Volk zu schwächen. Wird es Loran gelingen seinen Freund zu retten, und werden Tami sowie Rachon ihren Auftrag ausführen ohne dabei in die Hände der Sklavenhändler zu gelangen?

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Inhaltsverzeichnis

Esha

Tami

Norikay

Loran

Oraion

Loran

Rachon

Loran

Esha

Oraion

Norikay

Tami

Loran

Oraion

Norikay

Rachon

Esha

Tami

Oraion

Norikay

Esha

5. Epoche, Ark 238

Der von Gemälden gesäumte Gang war trotz seiner Höhe stickig. Mehr noch vermittelte er dem jungen Mädchen ein unangenehmes Gefühl. Der stetige rhythmische Klang der Rüstungen ihrer beiden Wachen sowie das unheimliche Klirren der Ketten um ihre Handgelenke verbesserten diesen Eindruck kaum.

Verstört und unsicher hastete sie hinter den Männern her, die sie schnellen Schrittes erbarmungslos durch den prunkvollen, erhabenen Palast zerrten. Ein wundervolles Gebäude, erfüllt von Schönheit, warmen Farben und verspielten Details. Trotzdem wirkte der Palast kalt.

Sie hatte viele Arken draußen in den Straßen der Stadt gelebt. Dabei Zeiten des Hungers durchlebt, von gestohlenen Dingen gezehrt oder sich von kleinen unvorsichtigen Vögeln, die sie manchmal erlegte, ernährt. Arkenlang war sie den Soldaten, den Männern des Königs, ausgewichen, hatte im Schatten, hinter all dem Glanz und dem Schein der Kaiserstadt, gelebt.

Manchmal, in lauwarmen Nächten, hatte sie auf niederen Dächern gesessen während sie sich dabei erwischte, davon zu träumen, wie ein Leben am Hofe des Kaisers wohl sein mochte. Würde es besser sein? Ganz bestimmt. Das dachte sie sich zumindest. Schon bald würde sie allerdings erfahren, ob das Leben im Palast zwischen all den Edelleuten und dem Kaiser tatsächlich besser war, als das da sein auf den Straßen, welches sie bisher führte. Im Moment fühlte es sich noch nicht so an. Die Ketten scheuerten an ihren Handgelenken, dazu zündete sie einer der Soldaten schroff an, sie solle schneller laufen, der Prinz sei ein ungeduldiger Mann. Er warte nicht gerne. Mit zusammengebissenen Zähnen legte sie einen Zacken zu, rannte nun halbwegs, um den großen Schritten der Männer folgen zu können.

Gehorsam war nicht ihre größte Stärke, trug sie doch das Seelenfragment eines wilden Tieres in sich. Doch sie war schlau genug zu wissen, wann sie ihrem Trotz nicht nachgeben sollte. Auch wenn sie diese Erkenntnis erst gerade gelernt hatte.

Als die Männer des Kaisers durch die ärmeren Viertel der Stadt geritten kamen, konnte sie es nicht unterlassen, sich von ihrem Trotz verleiten zu lassen, der sie schlussendlich in ebenjene Situation brachte. Wenn sie sich brav, wie all die anderen Bettler, Gaukler und Diebe, in den staubigen Sandboden geworfen, dabei dem alten Kaiser die Füße geküsst, wie man es von ihr verlangt hätte, würde sie sich vielleicht nach wie vor draußen auf den Straßen herumtreiben, ohne ihre Handgelenke in klirrenden Ketten wiederzufinden.

Doch sie musste sich wehren. Gegen die Regeln des Mannes ankämpfen, um dessen Blick auf sich zu ziehen. Durch die durchscheinenden, sanft wogenden Vorhänge seiner Sänfte beobachtete der Kaiser sie. Ihr langes struppiges, blondes Haar, das schmale, schnittige Gesicht und die dunklen wütend blitzenden Augen. Ehe sein Blick ihren Körper begutachtete, unangenehm lang auf ihren Brüsten, die sich gerade erst formten, hängenblieb, nickte er kurz einem seiner Soldaten zu.

»Bringt dieses wilde Ding in den Palast, wascht sie, kleidet sie ein. Anschließend übergebt sie dem Prinzen. Er wird seinen Gefallen an ihr finden«, waren die Anweisungen des Kaisers gewesen, weshalb sie nun hier war.

Gewaschen, geschrubbt, die Haare gekämmt, bis sie in einem feinen sanften Schleier um ihr Gesicht fielen. Noch nie fühlte sich ihr Haar so seidenweich an. So zart. Sanft wie der dunkelrote, halb durchsichtige Stoff, in den einige Mägde sie gekleidet hatten. Wehleidige Blicke schenkten sie ihr dabei, weshalb dem Mädchen ein ungutes Gefühl durch den Magen jagte. Nachdenklich sah sie an sich herunter, konnte ihre kleinen Brüste durch den Stoff sehen. Sogleich ärgerte sie sich über die anzüglichen Blicke der Soldaten, die sie durch das verwirrende Netz aus Gängen führten. Solche Blicke kannte sie. Unten in den Hurenvierteln gab es haufenweise Männer, deren Augen mit ebensolch gefährlichem Blitzen erfüllt waren. Schon früh lernte sie, dass sie sich von dort fernhalten sollte als junge Frau. Das tat sie auch, solange sie irgendwie sonst klarkommen konnte. Ein Schauer durchfuhr sie, während ihre Erinnerungen an jene Straße noch lebendiger wurde, auch wenn sie weit entfernt von diesem dreckigen Ort war.

Nach einer weiteren Treppe, die sie offensichtlich in einen Turm hinaufführte, stoppten die beiden Wachen vor einem großen, schweren Holztor, das mit goldenen Gravuren verziert war. Mit einem Türklopfer, der durch den gesamten Treppengang hallte, kündeten die Männer sich an. Unsicher tapste das halbstarke Mädchen von einem Fuß auf den anderen, verschüchtert, was sie gleich erwarten würde. Warum musste sie zum Prinzen gebracht werden? Hatte der Kaiser nicht mehr Einfluss? Warum sollte der Prinz über ihr Fehlverhalten urteilen?

Als die Tür geöffnet wurde und sie eintraten, musste sie erst einige Male blinzeln. Vom fensterlosen Korridor in den lichtdurchfluteten Raum brauchten ihre Augen einen Moment, um sich umzugewöhnen. Der Nachteil von Katzenaugen. Sie brauchten länger als die der Menschen. Die beiden Soldaten vor ihr gingen währenddessen in die Knie, grüßten so den jungen Mann, der sich von einer goldenen Liege erhob, während er sie neugierig musterte. Mägde huschten umher, füllten die Weinkaraffe auf und stellten Esswaren auf den Tisch. Der Geruch allein reichte aus, um dem Mädchen das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Unsicher kniete sie sich schließlich ebenfalls hin. Vielleicht bekam sie so etwas von den Leckerbissen ab.

»Mi Raniar. Ein Geschenk Eures Albas. Wir fanden dieses Mädchen in den Gassen der Stadt. Ein ziemlich eigensinniges Ding. Wild und trotzig. Das veranlasste Euren Alba, sie Euch zum Geschenk zu machen.« Der schwarzhaarige Prinz verzog seine schmalen Lippen zu einem amüsierten Lächeln.

»Wie gütig von meinem ehrwürdigen Alba.« Er kam auf sie zu, schlich um sie herum, so dass sein Duft, süß und schwer, sie einnebelte. Gleichzeitig verdrängte er den des Essens. Vor ihr blieb er stehen, ergriff ihr Kinn, streckte ihren Kopf nach oben, so dass sie ihn ansehen musste. Dunkle, blaue Augen fixierten sie interessiert.

»Wie heißt du, Mädchen?«

»Esha«, antwortete sie brav, woraufhin er ihr Kinn losließ.

»Ich danke den Herren. Ihr dürft nun wegtreten.« Die Soldaten verneigten sich abermals, bevor sie aus der Tür verschwanden. Mit einem Knall, der Esha erzittern ließ, fiel diese ins Schloss und zeigte an, dass sie nun allein mit dem Prinzen war. Der Mann, den sie doppelt so alt schätzte wie sich selbst, strich sanft an ihrem Arm herunter, nahm vorsichtig ihre lange, dünne Hand in die seine, sodass er sie galant zu den goldenen Liegen führen konnte.

»Setz dich, meine Schönheit. Iss etwas. Du siehst hungrig aus«, stellte er fest. Ungläubig, weshalb ihr gerade ein solches Angebot unterbreitet wurde, sah sie den Prinzen an, der ihr daraufhin ermutigend zunickte. Sofort griff sie nach einer Platte, auf der ein fettes, gebratenes Hühnchen lag. Grob riss sie den Schenkel ab und begann sofort, darauf herumzukauen. Der Geruch sowie der Geschmack des Fleisches ließen sie beinahe wahnsinnig werden. Noch nie hatte sie etwas so Herrliches gekostet.

Nach dem Hühnchen griff sie nach braun gebratenen Rippchen. Sie konnte nicht einmal genau sagen, um welches Tier es sich einst handelte, doch sie dankte insgeheim den Göttern, dass sie ihr einen solchen Genuss ermöglichten.

Der Prinz saß währenddessen auf der Liege ihr gegenüber und studierte sie mit seinen ungewöhnlich dunklen Augen. Nicht einmal sie hatte solche dunklen Augen, schoss es durch ihren Kopf. Schwarz wie die Nacht mit einem verräterischen blauen Schimmer in ihnen. Auf seinen Lippen lag ein amüsierter Ausdruck, der sie warnte. Die Ketten, die zu ihren Handgelenken führten, lagen locker in seinen Händen. Doch allein sein Lächeln reichte, damit sich ihre feinen Haare im Nacken prickelnd aufstellten. Vorsichtig legte sie den Rest ihrer angefangenen Rippen auf einen goldenen Teller vor sich und wischte anschließend die Hände wie auch den Mund an einem dafür vorgesehenen Stofftuch ab. Zumindest glaubte sie, dieses Tuch sei dafür. Sie hatte solche Tücher bereits in edleren Gaststätten gesehen, wenn sie hin und wieder durch die Fenster hinein linste, um ihre Vorstellungen von einem reichen Leben lebendiger zu gestalten.

»Was für eine Strafe erwartet mich? Ich war ungehorsam Eurem Alba, dem Kaiser, gegenüber.« Von ihrem Gegenüber ging etwas Gefährliches aus, das ihr erst jetzt richtig bewusst wurde. Etwas, das ihren Fluchtinstinkt weckte. Doch wie sollte sie fliehen, solange er ihre Ketten festhielt. Ansonsten wäre sie sicher schneller gewesen als er. Niemand rannte so schnell wie sie.

»Ich weiß, dass du ungehorsam warst.« Auf diese Worte hin stand er gespielt träge von seiner Liege auf, um dann zu ihr zu kommen. Dort setzte er sich neben sie, strich sanft über ihren klar hervorstechenden Schlüsselbeinknochen, ehe seine Hand abermals unter ihrem Kinn Halt fand.

Sie fühlte sich unter seinen Berührungen unwohl, wollte nicht, dass er ihr so nahekam und sie streichelte. Sie fürchtete sich aber auch davor, was passieren würde, wenn sie abermals ungehorsam sein würde. Sie hatte von vielen gehört, dass die Rorjek von den Menschen verachtet wurden. Das der Kaiser sie alle abschlachtete. Was wenn er herausfinden würde, dass sie eine von ihnen war? Oder wusste er es bereits?

»Mein Mädchen. Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten. Solange du tust, was ich von dir verlange, brauchst du den Tod nicht zu fürchten«, versprach er ihr. Überrascht wich sie von ihm zurück, doch die Ketten hielten sie zurück. Woher wusste er, dass sie den Tod fürchtete? Oder hatte er nur gut geraten? Jeder fürchtete den Tod. Sicherlich war es nur Zufall, dass er darauf anspielte.

»Komm her, mein Mädchen. Ich werde dich lehren, gehorsam zu sein. Wir werden es üben, bis du mir nicht mehr widersprichst. Jeden meiner Wünsche wirst du mir von den Lippen ablesen.« Daraufhin wanderte seine Hand ihre Taille entlang, zog sie enger zu sich. Sie sperrte sich, versuchte, ihn von sich wegzudrücken. Bilder fluteten ihre Gedanken. Bilder, die ihr von einer der Dirnen aus den düsteren Hurenvierteln einst eingepflanzt worden waren. Sie hatte sie vor den Männern und ihrer Gier gewarnt.

Eshas Körper verkrampfte sich bei dem Gedanken an die Frau. Sie war eine wie sie. Eine Rorjek, die unentdeckt zwischen den Menschen lebte. Ihren Unterhalt verdiente sie sich an der Lust der Männer, was ihr einen harten traurigen Ausdruck ins Gesicht gezeichnet hatte.

Als die Hand des Prinzen weiter über ihren Körper fuhr, an Stellen, wo sie noch nie jemand je berührt hatte, japste sie verzweifelt auf, versuchte, sich loszureißen. Doch die Ketten um ihre Handgelenke ließen sie nicht von ihm fliehen. Schließlich schien er ihres Widerstandes müde, denn er packte sie grob, warf sie auf die Liege und schob sich über sie. Sein Körper, schwer wie ein Fels, hielt sie gefangen, während er mit seinem Gesicht näherkam, ihren Hals küsste, bevor er mit der freien Hand begann, ihr Kleid herunter zu ziehen, um ihre Brüste zu massieren.

»Lasst mich bitte. Bitte, bitte, vergebt mir. Ich werde nie mehr ungehorsam sein. Bitte. Lasst mich nur gehen«, flehte sie, als er mit seiner Hand zwischen ihren Beinen angekommen war. Er hielt inne, sah sie aus seinen dunklen Augen an, grinste jedoch nur noch breiter.

»Ich sagte dir doch, mein Mädchen, du sollst gehorsam sein. Das will ich dir beibringen, also widersprich mir nicht.«

5. Epoche, Ark 243

»Mein Mädchen, hörst du mir überhaupt zu?« Seine Stimme drang durch ihre Erinnerungen, triggerte sie, weshalb sie augenblicklich nickte.

»Natürlich, mein Herr. Es tut mir leid, der Wolf ist entwischt. Ich gab mein Bestes, nur leider war es nicht genug. Aber wie ich diesen Streuner und seine beiden Gefährten einschätze, werden sie töricht genug sein, um hier aufzukreuzen«, erwiderte Esha unterwürfig, senkte dabei ihr Haupt, um dem Prinzen den nötigen Respekt zu erweisen. Prinz Harjath kam einen Schritt auf sie zu, fuhr mit seinem Finger ihr Schlüsselbein entlang, ehe seine Hand auf ihrem Dekolleté liegen blieb. Sein Atem, warm und schwer, streifte über ihre Wange, als er sich zu ihrem Ohr vorbeugte und flüsterte: »Das hoffe ich doch.« Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr, »wirst du heute Nacht das Bett mit mir teilen, oder lieber neben dem Drachen in den Kerkern schlafen?« Sie hörte die Drohung heraus, wusste sogleich, worauf er hinaus wollte. Er würde sie bestrafen. Dafür, dass sie so leichtsinnig den Wolf hatte entkommen lassen. Doch sie ließ sich nicht mehr so leicht einschüchtern. Außerdem wusste sie, dass ihn solche kleinen Rebellionen weiter anstachelten. Es gefiel ihm, solche Spiele zu spielen, weshalb sie durch diese Gier, die er ihr entgegenbrachte, ein klein wenig Macht über ihn erlangte.

»Ich bevorzuge die Kerker, Mi Raniar«, raunte sie ihm entgegen, weshalb ihm ein Grinsen über die Lippen zuckte.

»Ich liebe deine Sturheit. Das weißt du ganz genau«, knurrte er mit erregter Stimme. Dann ließ er von ihr ab. »Du wirst heute Nacht in meinen Gemächern sein. Zuvor werden wir allerdings unserem neuem Freund einen kleinen Besuch abstatten. Möchtest du dabei zusehen, wie ich ihn breche? Ach, weshalb frage ich überhaupt. Klar willst du. Also komm«, entschied der Prinz kurzerhand für sie, woraufhin sie ihm durch den Palast in die eisigen, gefürchteten Kerker folgte. Der Prinz schritt zielstrebig vor ihr, nahm am Eingang eine Fackel von einem der Wachmänner entgegen, bevor er in die Dunkelheit der unterirdischen Gemäuer eintrat. Labyrinthe, die kaum jemand verstand. Doch der Prinz kannte sich blind dort unten aus. Esha folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl. Sie hasste diese Welt unter der Oberfläche.

»Öffnen!«, fauchte der Thronfolger, woraufhin sich sofort einer der beiden Wachen vor der Tür umdrehte, den Schlüssel in das Schloss steckte und die Tür öffnete. Knarrend stieß er sie auf, eiligst trat er zur Seite, um die beiden einzulassen. Esha folgte Prinz Harjath in den großen, runden, fensterlosen Raum. Ihre Augen fielen augenblicklich auf den jungen Drachen, der an Ketten von der Decke hing. Er blinzelte, denn seine Augen mussten sich erst an das Licht der Fackel gewöhnen. Sie konnte es absolut nachvollziehen. Ihre Augen brauchten ebenfalls einen Moment länger, um sich an verschiedene Lichtverhältnisse anzupassen.

»Mein junger Freund«, begrüßte Harjath ihn, ging dabei im Kreis herum, wobei er die Fackeln in den Haltern entzündete, damit er genug Licht haben würde, für was auch immer er mit dem jungen Drachen vorhatte. Oraion folgte ihm mit seinen glühenden roten Augen. Esha stand nach wie vor beim Eingang, musterte dabei Oraion mit einem entzückten, zufriedenen Lächeln.

Es war viel zu einfach gewesen, ihn zu fangen. Der betäubende Wein, von dem er viel zu viel getrunken hatte, dazu sein Verlangen, welches ihr schließlich zum Erfolg verholfen hatte. Dass ihr Plan so reibungslos ablaufen würde, hätte sie jedoch nicht erwartet. Vor allem, dass er sich auf ihr kleines erotisches Angebot anspringen würde. Sie hatte vermutet, ihn nach ihrem Aufenthalt auf dem Dach gewaltsam fesseln zu müssen. Dass er sich so freiwillig zu ihr ins Bett wagte, spielte ihr nur zu.

Als sein Blick auf ihr zum Ruhen kam, konnte sie sich ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen. Er sagte nichts, sah sie nur an, mit einer Mischung aus Unglauben, Enttäuschung gepaart mit Verachtung, die sie tiefer traf, als sie es wollte. Knurrend schritt sie um ihn herum, so dass er ihr nicht mehr folgen konnte mit seinem Blick und stellte sich hinter ihm in die Schatten.

Nachdem der Prinz die Fackeln entzündete, steckte er die Letzte in den dafür vorgesehenen Halter. Erst dann drehte er sich zu Oraion herum. Esha blieb hinter ihm im Dunkeln, wo sie reglos darauf wartete, was passieren würde. Sie kannte schließlich die Torturen bereits. Wie oft hatte sie bereits zugesehen? Viele ihrer Soldaten hatte der Prinz so gezähmt und für sie bereitgestellt.

»Es tut mir außerordentlich leid, dass unser erstes Zusammentreffen unter solch unangenehmen Umständen erfolgt«, sprach Harjath mit künstlichem Bedauern in der Stimme. Oraion verzog kurz verächtlich seinen Mund, hielt allerdings seine Worte zurück. Esha hob eine Augenbraue. Er schien klüger, als sie geglaubt hatte, nicht aufbrausend, voller leerer Drohungen, wie es der Mantikor gewesen war. Ihre Gedanken gingen zum hellhäutigen Mann zurück. Hatte er wirklich geglaubt, mein Meister würde ihn ohne zu brechen frei herumlaufen lassen? Jemand so Gefährlichen wie ihn? Nachdenklich schüttelte sie den Kopf.

»Soll ich dir verraten, wer zuletzt an deiner Stelle hier gehangen hat?«, fuhr der Prinz fort, ohne auf Oraions Erwiderung zu warten. Seine dunklen Augen ruhten glühend und listig auf seinem neusten Opfer. Esha wusste, dass der Prinz geradewegs durch seine Stirn hindurch sehen konnte, auf seine Gedanken, die durch seinen Kopf gingen. Es war also schlicht egal, ob er antworten würde oder nicht. Der Prinz würde herausfinden, was er dachte.

»Ich glaube nicht, dass es dir egal ist, mein Freund. Er war es nämlich, der dich an mich verraten hat«, meinte der Prinz verschlagen. Oraion schnaubte auf, fixierte den Prinzen jedoch aufmerksam. Antwortete aber weiterhin nicht.

»Richtig erraten. Der alte Xero war so freundlich um mir zu verraten, dass weit wertvollere Seelen in seinem Clan zu finden seien als seine Wenigkeit.«

»Wie machst du das?«, fauchte Oraion wütend, fixierte den Prinzen, als wollte er ihn gleich aufspießen. Kluger Junge, schoss es ihr durch den Kopf. Die meisten haben länger gebraucht, um zu begreifen, dass er Gedanken lesen kann.

»Ich verrate dir ein kleines Geheimnis, mein junger Freund«, meinte Harjath mit honigsüßer Stimme.

»Nenn mich nicht Freund, wenn du mich in Ketten legst«, fauchte Oraion zurück, doch der Thronerbe blieb amüsiert.

»Ich bin anders als die Menschen.« Ein amüsiertes Grinsen huschte kurz über die Lippen des Prinzen. »In mir schlummern Kräfte, die mich zu etwas Besonderem machen. Aber alles verrate ich dir hier nicht. Schließlich besteht darin die Stärke, den Gegner in Unwissenheit zu lassen.«

»Ich dachte, ich wäre dein Freund?«, konterte Oraion schlagfertig, weshalb Esha bewundernd die Augenbrauen anhob. Er war nicht auf den Mund gefallen. Doch bald würde ihm diese Schlagfertigkeit nichts mehr nutzen. Harjath machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. Umrundete ihn erneut gemütlich, bevor er hinter Esha stehen blieb. Unsicher senkte sie den Blick, wartete darauf, dass er an ihr vorbeischritt. Doch er blieb und schien ihre Gedanken zu lesen. Dann erst ging er wieder nach vorn, trat an einen großen Tisch, auf dem verschiedenste Instrumente lagen. Von Nadeln über Zangen zu schmalen haarscharfen Messern. Vorsichtig nahm er eine der Nadeln vom Tisch, holte eine der Ampullen herunter, öffnete den Deckel, um die Nadel darin zu tauchen. Diesen Ablauf tat er mit einer solchen Gemütlichkeit, dass Esha richtig hibbelig wurde. Sie wusste allerdings, dass es Absicht war, denn es verunsicherte Oraion neben ihr mehr und mehr. Sie konnte sehen, wie er seine Muskeln anspannte, sein Atem sich beschleunigte. Auch sein sonst sehr ruhiger Puls wurde schneller. Langsam machte sie einen Schritt näher an ihn heran und flüsterte ihm genüsslich ins Ohr: »Er wird dir Qualen bereiten, die du noch nie zuvor gespürt hast. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist?« Sie hielt inne, sah ihn von der Seite her an, fuhr nach einer kurzen Pause fort, ehe er antworten konnte. »Es wird erst aufhören, wenn er es will.«

Einen Moment verharrte Oraion, dann riss er sich an den Ketten hoch, rammte ihr seine Füße in die Taille, so dass sie nach Luft keuchend zu Boden stürzte. Überrascht rappelte sie sich auf, zog einen ihrer Knochendolche hervor und legte ihn ihm an die Kehle.

»Na los, tu es. Töte mich. Dann ersparst du mir diese Tortur, die mich so werden lässt, wie du es bist.« Sie hätte ihm seinen Wunsch vielleicht erfüllt, wenn nicht Prinz Harjath schneller gewesen wäre.

»Esha, leg den Dolch nieder. Das ist genau, worauf er hinaus will. Und du insgeheim doch auch«, fuhr er sie an, kälter als eine sternenlose Nacht draußen in der Wüste. Überrascht wich sie vor Oraion zurück. Sah dabei ihren Meister verwirrt an. Was meinte er damit? Sie verstand nicht. Kurz kreuzte sie mit ihrem Blick den seinen, was ausreichte, um zu erkennen, dass sie später büßen würde, dafür, die Kontrolle verloren zu haben. Wie konnte sie auch nur? Empört steckte sie den Dolch zurück in den Ledergurt, sah dabei gleichzeitig zu, wie Harjath sich nun Oraion zuwandte.

»Nach wie vor gefährlich, selbst in Ketten. Das gefällt mir.« Er lächelte ihn an, hob die Nadel an, hielt sie zwischen sich und Oraion, so dass Oraion sie ansehen musste. Lang und dünn. Gemacht, um durch dicke feste Haut bis tief ins Fleisch einzudringen.

»Du bist sicherlich vertraut mit dem dunkelroten, wunderschönen Blutkuss. Diese Blume sollte in der Region, in der du aufgewachsen bist, verbreitet sein. Kennst du auch die Wirkung ihres Giftes?« Oraion brauchte nichts zu sagen. Sein Ausdruck sprach Bände. Esha schluckte schwer. Harjath lächelte süffisant, als er die Nadel umdrehte und sie ihm ohne Vorwarnung eiskalt in die Brust rammte. Oraion schrie erschrocken auf, biss aber sogleich die Zähne zusammen und musterte den Prinzen stur. Seine Augen glühten förmlich, als wollte er sich nächstens verwandeln. Esha beobachtete die Situation aus sicherer Ferne. Sie konnte sehen, wie Oraions Körper zu zittern begann, wie die Wirkung des Giftes sich langsam entfaltete. Zufrieden zog Harjath die Nadel wieder aus dessen Körper, ging zum Tisch zurück, wo er sie mit einem weißen Tuch abwischte.

»Spüre, wie sich das Gift in deinen Adern ausbreitet. Wie es deine Muskeln schmerzhaft zusammenziehen lässt. Du wirst die Kontrolle über deinen Körper verlieren, unkontrolliert zittern, in den Ketten hängen wie ein Fisch, der seinen letzten Kampf verliert.« Nach wie vor biss Oraion verbissen seine Zähne zusammen. Offensichtlich war er versucht, dem Prinzen nicht die Genugtuung zu geben, laut aufzuschreien. Doch lange hielt er es nicht mehr aus. Vor Schmerz schrie er auf, begann, unkontrolliert zu zucken. Das Klirren der Ketten wurde von seinem Schmerzensschrei übertönt. Esha schloss geschockt die Augen. Unbemerkt wendete sie ihren Blick zur Seite. Ein Fehler, den sie sogleich bereute. Prinz Harjath trat an sie heran, packte sie im Genick und zog sie nahe zu sich heran.

»Das, mein Mädchen, ist dafür, dass du Sympathien für den Burschen entwickelst! Wage ja nicht, noch einmal Mitleid mit ihm zu haben!« Seine Stimme klang wütend an ihrem Ohr. Sie zitterte, hasste, dass er mehr in ihr lesen konnte, dessen sie sich überhaupt bewusst war. Sie hatte doch keine Sympathie für diesen Burschen entwickelt. Er war ihr egal. Oder etwa doch nicht? Doch zur Klärung dieser Frage kam sie nicht mehr, denn sie spürte im nächsten Moment den Stich der Nadel, nahe an ihrem Herz vorbeigehend. Sofort breitete sich das Gift in ihrem Körper aus. Geringschätzig, ohne jegliche Gefühle, sah Harjath ihr in die Augen, stieß sie anschließend zu Boden, wo sie sich krümmte. Ihre Muskeln zogen sich durch die Wirkung des Giftes zusammen, ehe sich die Wirkung vollends ausbreitete und es sich anfühlte, als würden tausend Nadelstiche jeden Millimeter ihres Körpers durchdringen. Verzweifelt schrie sie auf, krallte ihre Nägel in den Boden, versuchte irgendwie, irgendwo Halt zu finden. Doch der Schmerz riss sie in die tiefe Dunkelheit, die sie so sehr fürchtete. Oraion ist schuld. Er hat das zu verantworten, raunte die dunkle Stimme in ihrem Kopf, machte sie beinahe wahnsinnig. Tränen rannen ihre Wangen herunter. Schreie entwichen ihrer Kehle, vermischten sich mit denen des jungen Drachen.

»Bitte, mach, dass es aufhört. Meister! Bitte vergebt mir. Vergebt mir!« Doch die Schmerzen hielten an. Quälten und mahnten sie über Stunden, jemals wieder Sympathien für irgendjemanden aufzubringen, außer für den Prinzen selbst.

Als die Schmerzen schließlich nachließen, lag sie erschöpft auf dem Boden. Nach wie vor zitterte ihr ganzer Körper. Sie hatte Muskelkater überall. Doch das war weit weniger schlimm, als die Tortur zuvor. Als sie eine warme Hand auf ihrer Schulter spürte, wich sie nicht zurück, sondern sah dankbar auf. Der Prinz hielt ihr seine andere Hand hin und half ihr, aufzustehen.

»Komm her. Komm mit, ich werde dir die Schmerzen etwas lindern.« Die Worte klangen sanft, beinahe liebevoll. Erleichtert stand sie auf, folgte dem Mann ohne Widerwillen. Niemals würde sie ihn wieder enttäuschen. Sie liebte ihn zu sehr dafür. Wie konnte sie auch? Entrüstet über sich selbst schüttelte sie den Kopf und begann zu weinen.

»Mein Mädchen. Nicht doch. Ich weiß, dass es dir leid tut. Ich verzeihe dir.« Sie sah auf, in seine schwarzen Augen, bemüht um ein zaghaftes Lächeln. Seine Worte waren Balsam für ihre geschundene Seele.

»Ich danke euch, Mi Raniar.« Er nickte großzügig, führte sie abschließend durch den prunkvollen Palast hinauf zum höchsten der vielen Türme, in denen sich seine Gemächer befanden.

Tami

Loran schnallte sich die Lederbeinschienen um seine Waden. Zurrte sie fest unter ihrem verurteilenden Blick. Nach wie vor konnte sie nicht glauben, was er ihr antat. Dass er sie fortschickte. Fort von ihm, wo er sich ihr doch gerade erst geöffnet hatte. Stur bestrafte sie ihn mit Schweigen. Mit ihrem vorwurfsvollsten Blick versuchte sie, sich so über die Angst um ihn hinwegzutäuschen. Sie wollte nicht, dass er allein ging. Er und Jostan gegen die gesamte Macht des Wolraten-Palastes.

»Sehra, du solltest dich bereit machen«, mahnte sie Rachon, der das Zimmer in jenem Moment betrat. Sie wendete den Blick von Loran ab, um ihren Orda zu mustern. In der ledernen Rüstung, mit den beiden Säbeln über dem Rücken gekreuzt, wirkte er gefährlicher und männlicher denn je. Ein entfernter Schatten ihres Albas. Sein ernster Blick, hinter dem er seine Sorge nicht ganz verbergen konnte, erübrigte den Rest. Er war ein gutaussehender junger Mann, musste sich Tami eingestehen. Etwas, dass ihr bisher noch nie aufgefallen war. Bisher blendete sie der Hass ihm gegenüber immer zu sehr, als dass ihr solcherlei Dinge aufgefallen wären.

»Schon gut«, murrte sie, schritt mürrisch zu ihrem Bett, auf dem ihr Celes ebenfalls lederne Rüstungsteile platzierte. Dazu hatte sie ihr zwei Dolche gelegt und den passenden Hüftgurt mit Scheiden, in denen die Dolche verstaut wurden.

Noch vor einigen Tagen hätte sich Tami nicht zurückhalten können, um die Waffen in die Hand zu nehmen. Die Griffe zu spüren. Das Gewicht abzuwägen. Doch nun zeigten ihr die Waffen nur erbarmungslos, dass sie in Zukunft auf sich allein gestellt war. Loran würde nicht da sein, um sie zu beschützen. Vielleicht nie wieder, giftete ihre innere Stimme. Rachon trat einen Schritt auf sie zu, legte sanft eine Hand auf ihre Schulter und fixierte sie mit seinem typischen raubtierartigen Blick.

»Es wird alles gut werden. Ich versprech es dir«, raunte er. Tami seufzte.

»Versprich nichts, das du nicht halten kannst«, keifte sie, erlaubte ihm dann, sie in eine aufmunternde Umarmung zu ziehen. Das erste Mal überhaupt, dass er sie umarmte, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf. Früher war es Oraion gewesen, der sie tröstete, in dessen Armen sie gelegen hatte, wobei sie sich fragte, ob sich so eine Umarmung eines Ordas anfühlte, der einen liebte und nicht hasste. Nun lag sie in Rachons Armen. Die Umarmung fühlte sich nicht schlecht an, war aber weit von der schlichten Vertrautheit und Zuversicht von Oraion entfernt. In was für eine verkehrte Welt war sie hier nur geraten.

Nach einem Augenblick wand sie sich vorsichtig wieder aus seinen Armen, lächelte ihn dankbar an, bevor sie sich endlich daran machte, die Rüstung anzulegen. Auch wenn Celes mit ihnen reisen würde, somit wohl die beste Verteidigung gegen den Tod darstellte, da sie tiefste Wunden in wenigen Sekunden heilen konnte, so hatte Jostan darauf bestanden, ihnen zumindest einen leichten Schutz mitzugeben.

Die Rüstungen bewahrte er aus einer längst vergessenen Zeit auf. Aus einer Zeit, in der sich einige der Seelenträger vereinten und versuchten, die Ortschaften entlang des Kransars einzunehmen. Er selbst unterstützte damals die Rebellion, war allerdings dank seiner Gabe der Tarnung nicht erwischt worden, als die kaiserlichen Ritter die Rebellionen niedermetzelten.

Daraufhin hatte er sich in die Gaststätte zurückgezogen, in welcher sie ihm vor einigen Tagen begegnet waren, ein Waffenlager im Keller, um hin und wieder Männern Waffen zu verkaufen, die sich zu wehren versuchten. Seelenträger, wie er einer war. Nun verteilte er, so viel er konnte, auf sie alle, denn er glaubte, sie würden einiges brauchen können.

Insgeheim wünschte sich Tami, dass sie all die Waffen und Rüstungsteile niemals anlegen müsste, sondern einfach mit Loran verschwinden konnte. Doch sie wusste, das würde nicht gehen. Ihr Gewissen würde es niemals zulassen. War also nicht eigentlich sie schuld am Bevorstehenden? Sie drängte darauf, Oraion zu befreien. Oder hätten Loran, Rachon, ja selbst Jostan und Celes ein schlechtes Gewissen, wenn sie den jungen Drachen seinem Schicksal überließen? Wahrscheinlich. Verbittert schnaubte sie auf. Jostan ging es wahrscheinlich am wenigsten um Oraion als Person, sondern darum, welche Macht der Kaiser mit ihm erlangen würde, falls er ihn für sich gewann. Dies wollte er verhindern.

Sie steckte gerade die beiden Dolche in die Lederscheiden, als Loran an sie herantrat und sanft zu sich umdrehte. In seinen Augen konnte sie Kummer und Sorge lesen. Etwas, das sie tief traf. Sie mochte es nicht, ihn so zu sehen. Gerade erst war er beinahe gestorben, was sie ihm niemals verziehen hätte. Und nun? In wenigen Augenblicken würde er sich von ihr verabschieden. Vielleicht würde er nie mehr zurückkehren.

»Geh nicht«, flüsterte sie deshalb traurig. Vielleicht konnte sie ihn umstimmen. Den todbringenden Plan stoppen. Konnten sie nicht einen anderen Weg einschlagen?

»Ich muss gehen. Das weißt du«, erwiderte er leise. Bekümmert seufzte sie. Sie wollte ihm in die Augen sehen. Die unergründlichen silbernen Seen noch genießen, solange er da war.

»Wir könnten gemeinsam diesen Varalis aufsuchen. Wenn Jostans Behauptungen stimmen, und er eine neue Rebellion anstiften will, wird er den Nutzen von Oraion sehen. Sicherlich würde er Männer aussenden können, die erfahrener sind als du.« Loran schloss die Augen und fuhr sich ungeduldig durch seine silbernen Strähnen.

»Du weißt so gut wie ich, dass es nicht einfach werden wird, diesen Feuerfuchs zu finden. Falls wir ihn finden würden, wüssten wir nicht, wie viele Männer unter seinem Kommando stehen, geschweige denn überhaupt irgendwelche. Und wie du sagtest, Oraion ist wertvoll. Er kann gefährlich werden. Abgesehen davon ist er unser Freund. Ich will ihn nicht länger als nötig in diesem Palast wissen«, gestand er. Tami senkte den Blick. Sie hasste es, dass er so verdammt recht hatte.

»Aber bitte nehmt Rachon mit. Er kann vielleicht helfen«, flehte sie ihn an. Nicht, dass sie ihren Orda unbedingt in Gefahr haben wollte. Doch dass Loran nur in Jostans Begleitung war, behagte ihr noch weniger. Jostan war kein Kranurj. Ein Chamäleon, nichts weiter. Klar konnten seine Tarnkünste von Vorteil sein. Aber würden sie reichen, um in den Palast hineinzukommen - und wieder hinaus?

»Und euch beide alleine reisen lassen? Auf keinen Fall. Er kann gut auf euch aufpassen. Außerdem hast du dieses Weibsbild Esha selbst gehört. Der Kaiser will euch nicht, ihr seid zum Tode verurteilt, wenn ihr der Gepardin nochmals über den Weg lauft«, konterte Loran.

»Ich weiß. Das ist ja auch der Grund, warum du mich nicht dabei haben willst, aber ich kann schon auf mich selbst aufpassen«, erwiderte sie störrisch, woraufhin er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Das bezweifle ich keinen Moment«, flüsterte er ehrlich, legte den Kopf schräg und lächelte sie an.

»Versprich mir, dass ihr uns finden werdet«, flehte sie ihn an, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten.

»Wie war das mit den Versprechen, die man vielleicht nicht halten kann?«, entgegnete er ihr, entlockte ihr damit ein verärgertes Schnauben. Verfluchte Wölfe mit ihrem scharfen Gehör.

»Versuch es wenigstens«, forderte sie ihn leise auf. Loran strich ihr zärtlich über ihren schwarzen Haarschopf und wollte bereits etwas erwidern, als sie unterbrochen wurden.

»Na los, ihr Verliebten. Wir sollten längst auf den Straßen sein«, forderte Rachon sie auf, der abermals ins Zimmer sah. Sofort versteinerten sich Lorans Gesichtszüge. Die Wärme und Zuneigung verschwand unter der eisernen Miene, die er nur allzu oft trug. Tami drehte sich knurrend zu ihrem Orda um, wollte ihm bereits alle Flüche der Götter anhängen, als Loran auch schon an ihr vorbeischritt, hin zu Rachon um ihm auf die Schulter zu klopfen, bevor er den Raum verließ. Tami folgte den beiden Männern, wenn auch mit Unbehagen. Jostan wartete bereits auf sie, in seiner Hand hielt er eine Fackel.

»Sicher, dass du das Haus anzünden willst?«, wollte Rachon wissen. Der schwarze stämmige Mann nickte. Er wirkte stärker und jünger, als bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Sein Gang war nicht mehr so gebeugt.

»Ich könnte es nicht ertragen, meine Gaststätte eines Tages in anderen Händen zu wissen. Sie war meine Heimat. Niemand sonst soll sie bekommen.« Rachon hob kurz eine Augenbraue, klopfte dem Mann aufmunternd auf die Schulter, ehe er nach draußen ging. Tami und Loran folgten ihm mit beklommener Miene.

Draußen stand bereits Celes in ihrer unnatürlichen Schönheit. Sie hatte das fuchsrote Pferd gesattelt, saß im Sattel, während sie mit einem melancholischen, leeren Blick die Gaststätte betrachtete. Wehmut lag in ihm. Tami sah noch einmal zu Loran, der verbittert lächelte. Unsicher, wie weit sie gehen durfte, oder er sie lassen würde, strich sie ihm über den Arm und nickte ihm zum Abschied zu.

»Wir werden uns wiedersehen«, flüsterte sie, sich selbst im Unklaren darüber, ob es eine Feststellung oder eine Frage war. Mit bleischwerem Herzen schritt sie von ihm weg zu ihrem Orda, übergab ihm ihre beiden Dolche, die sie bei der Verwandlung nicht gebrauchen konnte. Sie konnte Lorans Blick auf sich spüren, als sie sich verwandelte, um kurz darauf in der Gestalt des weißen Pferdes vor ihm zu stehen.

Rachon strich ihr beruhigend über den muskulösen Hals, ehe er an Loran herantrat.

»Wir werden in den Loriet auf euch warten. Wer weiß, vielleicht finden wir dort Verbündete«, verabschiedete er sich von ihm. Loran nickte. Einen Moment sahen sie sich steif an, ehe sich Rachon einen Ruck gab und den Silberhaarigen in eine freundschaftliche Umarmung zog. Lorans Lippen verzogen sich zu einem kurzen Lächeln, als auch er seine Arme um den Burschen legte und ihm den Rücken klopfte. Als sie sich voneinander lösten, flüsterte er Rachon etwas zu, was den schwarzhaarigen Burschen ernst nicken ließ.

Mit grimmiger Miene kam er zu ihr, schwang sich mit Leichtigkeit auf ihren Rücken, in dem Moment, als Jostan das Haus verließ. Hinter ihm zog dunkler Rauch aus der Tür, gefolgt von ersten Flammen, die sich züngelnd aus dem Fenster reckten. Sein Blick wanderte zu seiner Frau, der er einen kurzen wehmütigen Blick schenkte. Dann hob er kurz die Hand zum Abschied und wandte sich Loran zu. Die beiden würden den Schmugglerpfad nehmen. Über die Hauptstraße, durch die Schlucht im Gebirge, trauten sie sich nicht. Sie würden dort leicht entdeckt werden.

Ohne sich ein weiteres Mal umzusehen, schritt Jostan davon, im Hintergrund brannte sein Haus, sein Hab und Gut nieder. Loran schenkte Tami einen letzten Blick. Voller Hoffnung und Furcht. Ein Blick, der sie traurig aufwiehern ließ. Das rote Pferd neben ihr stieg mit ein, auch wenn es kaum wusste weshalb. Celes nickte ihnen kurz zu. Sie drehte ab. Tami folgte ihr. Einmal mehr verschwand alles hinter ihr. Von allem, was sie je besessen hatte, war ihr nun nur noch ihr Orda geblieben.

Norikay

Gedankenverloren sah sie über die Palastgärten, welche von ihrem Balkon aus gut überschaubar waren. Grüne Oasen in der staubigen, trockenen Stadt, die sich hinter den Palastmauern erstreckte, um irgendwann mit dem trostlosen Braun der Wüste zu verschmelzen. Der Himmel war klar, keine Wolke, nichts verunreinigte das unendliche Blau, welches sich wie ein Tuch über das Wüstenkönigreich spannte. Würde all das einmal ihr gehören? Leise seufzte sie, blinzelte dabei einige Male schnell. Was für ein hinterhältiger Gedanke. Falls das Kaiserreich irgendwann ihr gehören sollte, hieß dies, ihr Ur’alba und ihr Alba waren gestorben. Dass sie sich so etwas überhaupt vorstellen konnte.

Kaiser Oianar lag wohl schon seit ein zwei Arken - oder waren es nun schon drei? - in seinem Turm und kam kaum mehr heraus. Sein Zustand verschlechterte sich anfangs rapide, doch seit einigen Monden war die Krankheit konstant geblieben; wenn es sich denn um eine Krankheit handelte.

Im Palast wurde gemunkelt, dass der alte Kaiser dieselben Symptome aufwies, wie ein stark Solitinabhängiger. Solitin kam aus dem Westen. Es war eine weitverbreitete Droge, die einem Wahnvorstellungen bescherte. War die Dosis jedoch zu hoch angesetzt, konnte es gravierende Schädigungen an den eigenen Gedanken haben und soweit führen, dass man sich ganz im Nebel des Rausches verlor. So wie ihr Ur’alba, der nur noch selten Worte von sich gab, und wenn, waren es zusammenhanglose wirre Brocken.

Norikay schüttelte ungläubig den Kopf. Ihr Ur’alba würde sich sicherlich nicht mit solchen Stoffen betäuben. Er war ein Kämpfer, ein starker Mann mit Ehre und Prinzipien. So sehr, wie er die Rorjek hasste, hasste er auch Substanzen, die aus Menschen leere Hüllen machten. Genau wie Solitin.

Während sie darüber nachdachte, kam ihr der Gedanke, sie könnte sich wieder einmal bei ihrem Ur’alba blicken lassen. Über die letzten Ereignisse hinweg, hatte sie kaum Zeit gefunden. Die Aufträge ihres Albas häuften sich von Tag zu Tag. Offensichtlich war er in äußerst guter Laune, seit Esha gemeinsam mit ihr diesen Burschen herbrachten, denn er erteilte ihr die Befehlsmacht über sein Heer. Zumindest über die Aufsicht der neuen Auszubildenden. Eine solch ehrenvolle Aufgabe nahm sie sich selbstverständlich zu Herzen. Endlich schien ihr Alba mehr in ihr zu sehen, als das hübsche Gesicht und zwei volle Brüste.

Sie wollte sich gerade zufrieden von der Aussicht abdrehen, als ihr eine Gestalt auffiel, die durch den Garten der Kaiserin schlenderte. Sofort war das ruhige, gelassene Gefühl fort, das sie gerade eben noch einhüllte. Der braunhaarige Mann war sauber gekleidet, in einer schwarzen Robe mit Goldelementen, die sie verzierte. Die Farben der Kaiserfamilie. Zornig biss sie die Zähne aufeinander, während sie den eingebildeten Pfau beobachtete, wie er selbstgefällig durch den Garten schritt bis er aus ihrem Sichtfeld verschwand.

»Was will er denn hier?« Selten lud ihr Alba seinen ältesten Bastardsohn in den Palast ein. Und bisher war es noch nie vorgekommen, dass der Tölpel in solch feiner Kleidung herumstolzierte. Verdrießlich drehte sie sich ab, ging in das schattige Zimmer, wo sie mit ihren Gedanken allein war. Sie brauchte sich nicht um diesen Bastard zu kümmern. Sollte er doch durch die Säle des Palastes stromern, sein Blut würde niemals an das ihre reichen. Und nachdem ihre Maa bei der Geburt des fünften Kindes, gemeinsam mit dem Jungen, gestorben war, konnte ihr niemand mehr den Thron streitig machen. Sie war das älteste rechtmäßige Kind von Prinz Harjath. Mit einer schnellen Bewegung ihrer Hand winkte sie eine ihrer Dienerinnen herbei, die ihr den Umhang um die Schulter legte. Mit geschickten Fingern schloss sie die Schnallen, bevor sie zurückwich. Kurz nickte Norikay der Frau zu und ging zügigen Schrittes auf die Tür zu.

»Schick nach Hemend. Er soll mich nach Mitte des Tages in der Eingangshalle treffen.« Sie sah auf die Dienerin zurück, die sich sofort verneigte.

»Wie Ihr wünscht, Mi Rani.« Zufrieden nickte Norikay und ergriff die Türklinke, um auf den Gang zu treten. Wenn sie ihren Ur’alba noch besuchen wollte, musste sie sich beeilen. Es blieb ihr nicht mehr viel Zeit, dann würde sie sich mit ihren Sehras treffen, um mit ihnen gemeinsam zu speisen. Flink