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Beratungshäuser versprechen jungen, ehrgeizigen Absolventen viel Verantwortung, noch mehr Geld und eine steile Karriere. Blutjunge Menschen jetten von nun an quer durch Deutschland, Europa und die Welt, immer auf der Suche nach dem nächsten Deal, dem nächsten Bonus, dem nächsten Kick. Dieser Debütroman hält einfach mal drauf. Drauf auf die Licht- und Schattenseiten dieser elitären Branche. Frau Dr. Taylor, Anfang 30, Single, blond, smart und schnell auf der Karriereleiter nach oben kletternd führt das Leben einer kosmopolitischen Nomadin. Ein Leben aus dem Koffer, kaum schlafend, voller Leidenschaft und Ehrgeiz von einem zum nächsten Assessment Center durch die Welt und ihr eigenes Leben jagend und stolpernd - immer 24/7.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Beratungshäuser versprechen jungen, ehrgeizigen Absolventen viel Verantwortung, noch mehr Geld und eine steile Karriere. Blutjunge Menschen jetten quer durch Deutschland, Europa und die Welt, immer auf der Suche nach dem nächsten Deal, dem nächsten Bonus, dem nächsten Kick. Dieser Roman hält einfach mal drauf. Drauf auf die Licht- und Schattenseiten dieser elitären Branche. Frau Dr. Taylor, Anfang 30, Single, blond, smart und schnell auf der Karriereleiter nach oben kletternd, führt das Leben einer kosmopolitischen Nomadin. Ein Leben aus dem Koffer, kaum schlafend, voller Leidenschaft und Ehrgeiz, von einem zum nächsten Assessment Center, durch die Welt und ihr eigenes Leben jagend und stolpernd – immer 24/7.
Die Ali, Diplom-Psychologin, Unternehmensberaterin, Managerin und jetzt Autorin, war für diverse Beratungshäuser in der freien Wirtschaft tätig, u.a. in den Fachgebieten Management Diagnostik, Leadership Development und Talent Management. Die Ali, geboren in Heide (Holst) in Dithmarschen, lebt und schreibt in Hamburg auf St. Pauli.
FÜR MICH
„ It’s better to burn out
than to fade away.”
- Kurt Cobain -
Prolog
The Managing Consultant
AC/DC
Der Kandidat
Die Feedbacks
Das Kompetenzmodell
Menschenhändler
Der Pitch
Der Kunde
Auf Reisen
Im Hotel
Nach Hause
Die VIPs
Beraterin in Love
Früher war alles besser
18 Std nach Abpfiff
Epilog
Glossar
Meine letzten Worte
Danksagung
Das hier ist für dich. Alles, alles was du jetzt in deinen Händen hältst. Meine Geschichte, mein Buch, für dich. Ich will dich an mich ranlassen, ran an mein Leben, rein in mein Leben. Ich fühle mich gerade wie eine Jungfrau, eine Jungfrau vor dem ersten Mal. „Kannst du dich noch daran erinnern, an diesen Moment? Damals?“
Jungfräulich liege ich nun vor dir und weiß nicht was die nächsten Minuten, Stunden passieren wird. Ich frage mich wie es sich anfühlen wird, die Elektrogefühle so neu, Blut pulsiert, ich zittere, so unwissend. Dabei tun es doch so viele, immer, jeden Tag tun sie es: präsentieren ihre Kunst, spielen eigene Musik oder lesen eigene Geschichten vor oder auch fremde, auf großen oder kleinen Bühnen, überall, manchmal nur mit einer Gitarre an einer Straßenecke in einer kalten Winternacht…
Nur ich habe sowas hier noch nicht gemacht. Ich bin immer noch jungfräulich und ich bin so unglaublich aufgeregt vor meinem ersten Mal. Mit dir. Heute. Hier. Ich möchte mich dir heute schenken, mich dir hingeben. Ich will es mit dir tun. Lässt du mich fallen? Lass mich fallen. Ich lass mich fallen, ziehe mich jetzt vor dir aus und erzähle dir zum ersten Mal eine von mir selbst geschriebene Geschichte…
Ich frag mich gerade, ob diese Einleitung jetzt adressatengerecht formuliert ist? So ganz nach dem Berater-Motto „Denk nicht drüber nach WAS du sagst, sondern zu WEM du sprichst!“ Autor habe ich vergessen, aber das ist ja typisch für meine Klientel, wo doch das Prinzip gilt: klaue coole Sprüche und perform best with just-in-time productions (JIT), um absolute Professionalität bei absoluter Ahnungslosigkeit zu garantieren (oder so ähnlich).
War die Einleitung jetzt zu ordinär für dich? Oder zu disruptive? Bewegst du dich jetzt schon out of your Comfort Zone? Oder bist du neugierig geworden und willst mal deine Beliefs crushen bzw. validieren?
Dieses Buch hat den Dateinamen „20190214_Sich das Leben nehmen_ver38_Buch print wC final_6_as.docx“.
In dieser Datei findest du einige Fakten und Analysen, Überlebensstrategien, Bullshit-Bingo-Phrasen, Abkürzungen, intime Momente und Alltägliches des Berater-Daseins. Immer, immer viel zu tun, immer on the Run und nie vergessen, immer wichtig! Und das Beste: egal in welcher Branche, egal wie viele Kapitälchen deine Beratung auch trägt oder tragen kann, du bist Teil einer genialen Maschinerie einer völlig überflüssigen Spezies, die sich jeden Tag wieder selbst beweisen muss, warum andere sie und nur sie brauchen.
Hey, nicht das du mich falsch verstehst, ich lieb(t)e meinen Job.
Also, lies dieses Buch oder auch nicht. Mach dir ein Bild oder nicht.
„Viel Erfolg!“
Ähm, nee, völliger Quatsch! „Viel Spaß“ wünsche ich natürlich. Aber tägliche Automatismen lassen sich nur schwerlich „deleten“.
Wichtig: jegliche Ähnlichkeiten mit meinem Leben oder dem von Kollegen sind natürlich rein zufällig und/oder gewollt.
Und noch eine Anmerkung: ich bin nicht immer eineindeutig wo ich mich befinde. Ob ich mich nun in einem Hotel, einem Trainingscenter oder in den hauseigenen Konferenzräumlichkeiten auf einem Firmengelände vergnüge, ähm, abschufte. Aber eigentlich ist das auch völlig egal. Wir Psychologen nennen das auch „hohes D“. Jedenfalls in so einem Test mit zwei Buchstaben, der keiner Validitätsprüfung standhalten würde, jedenfalls nicht denen von Prof. Dr. Zielinski oder Dr. Amelang (ein Insider für Psychologen muss ja wohl mal drin sein).
Und noch was: ist selbst gepublished, also dieses Buch, was du jetzt in den Händen hältst. Also: meine Worte, meine Kapitel, meine Titel, mein Stil, meine Regeln und Regelbrüche sowie selbstgemachte Rechtschreibfehler – meins eben!
Die Ali
( An Introduction in Deutsch)
A very nice and warm welcome! My name is Taylor, Dr. Taylor. I’m a Managing Consultant. Ich berate Kunden beim Design und bei der Implementierung von komplexen HR-Lösungen im Bereich der Management Diagnostik. Auf gut Deutsch: wir stellen für Sie auf Unternehmensseite sicher, dass Sie auch die richtigen Kerle (ab und zu auch mal ne Lady) an der richtigen Stelle sitzen haben, die auch noch hoch committed (entschuldigt den Sprachwechsel) und loyal (auch ein Fremdwort oder?) sind. Naja, die den Laden „mega" finden und in der Lage sind auch die CI (die Kultur halt) zu leben. Was habe ich letztens gelesen: „Leadership is action, not position!“ Scheint bei 99% der profilneurotischen, testosterongesteuerten Horde noch nicht angekommen zu sein. Da kann sich das Marketing noch so viel Mühe geben und die liebe HR-Psycho-Tante sich noch so viel ausdenken.
Es fällt mir doch schwerer diese ganzen Anglizismen nicht zu verwenden, ich werde sie daher nicht nicht verwenden.
Mein Job besteht darin so viele Bälle wie möglich gleichzeitig in der Luft zu halten, dabei zu lächeln, nicht zu schlafen und Sehnenscheidenentzündungen zu unterdrücken, denn mittels meines Laptops kann ich an allen Orten dieser Welt vorgeben, im Büro zu sein bzw. an sehr wichtigen, kultivierten aber vor allem professionellen Locations dieser Erde – immer on. Als eine kosmopolitische Nomadin der neuen Generation, reise ich quer durch die Republik, durch Europa und manchmal um die Welt – jeden Tag aus dem Koffer. Ein Leben wie auf Droge: für monatliches Schmerzensgeld, Boni, Firmenwagen und Co. versklavt sich der Consultant. Jeden Tag… jeden Tag eine kleine Dosis… nie schlafen… immer 24/7 – immer! Ich schweife ab.
Wie jeder Berater, der etwas auf sich hält, habe ich auch eine Bio für euch. Wie die Sed-Cards von Models – geht beim Berater natürlich weniger darum wie der Kopf „aussieht“, sondern was da im Kopf „drin ist“ (s. Anhang nächste Seite).
Montagmorgen, 6 Uhr! Tja, wer jetzt denkt, ich liege in meinem Bett und habe verschlafen. Denkste! Ich verschlafe nie – jedenfalls denken das die Kunden. Nein, ich bin natürlich schon Sonntagabend angereist. Scheiß drauf, dass ich Sonntagmittag schon keine Freizeit mehr hatte und mit Koffer-Packen beschäftigt war. Dementsprechend kurz fiel der Brunch mit den Ladys aus. Da bekomme ich gar nix mehr mit von dem ganzen Wer-mit-wem-oder-wer-wann-wo-in-welchem-Bett. Naja, dann kann man auch nicht neidisch werden.
Ich erwache also in einem Hotel, was ich niemandem zumuten möchte: „das Schneiders“. Es hat Jugendherbergscharakter, so klein und dreckig ist mein Zimmer. Wenn du ins Bad gehst (wenn man drin steht ist man schon drin) entdeckst du sehr häufig so grüne und braune Flecken in der Dusche, gar nicht drüber nachdenken. Habe wohlwissend zu Hause geduscht, meinen Baumwoll-Trekking-Schlafsack und die Ohrstöpsel mitgenommen (Regel Nr. 1), nie die Ohrstöpsel vergessen, das letzte bisschen Privatsphäre. In diesem Hotel, diesen Titel hat es nicht mal verdient, rauchen und saufen unter der Woche Bauarbeiter auf dem Flur und grölen Witze in fremden Sprachen um die Wette. Woher ich weiß, dass es Witze sind?! Das Gelächter (auch mit Ohrstöpsel!). Wäre das jetzt ein Film und kein Buch, dann bitte einmal zurückspulen – denn meistens sieht ein Wochenstart doch so aus:
Montagmorgen, 4.30 Uhr! Mist, verpennt! Sprung ins schon wartende, vorbestellte Taxi. Nie morgens bestellen (Regel Nr. 2), da kriegt man keins, besonders nicht in Hamburg bei Regen. „Zum Flughafen, danke.“ Wohin fliege ich heute noch mal? Handy herauskramen, ach ja, Berlin.
Am Berliner Flughafen angekommen bin ich relativ fix am Taxistand – also, wenn es einen Triathlon geben würde für die Strecke vom Aufstehen im Flieger bis zum Hinsetzen im Taxi – ich wäre definitiv in der 1. Liga! Tricks werden hier nicht verraten, aber bei der Buchung ist der Sitzplatz entscheidend, nur Handgepäck, Flughafenkenntnisse, rutschfeste High-Heels und los geht’s.
Taxi in die Pampa, wieder Kreditkarte, Quittung nicht vergessen, schnell ins Hotel einchecken und den Koffer an der Rezeption abgeben. Auf’s Zimmer? Dafür ist keine Zeit. „WAS? Was?“ Ach ja, die Ohrstöpsel vom Handy entfernen, wieder in Kontakt treten mit der Gesellschaft, mit anderen Menschen. „Ja, danke. Ja, ich freue mich auch hier zu sein.“ „Ob ich schon mal hier war?“ „Häh?“ Immer dieselbe Scheiße bei diesem Hotel. Ich war schon gefühlte hundert Millionen Mal hier. Jetzt erst merke ich, dass ich anfange zu schwitzen, denn wenn die erst in ihrer Datenbank anfängt zu suchen (die muss Excel-basiert sein oder noch im DOS-Modus programmiert), dann ist auf jeden Fall mein Puffer von „Zwanzig-Minuten-in-Ruhe-vorbereiten-bevor-die-HR-Lady-kommt“ dahin. Also heißt es warten.
Wieso gibt es RezeptionistInnen, die einen freundlich begrüßen und mit Namen ansprechen (Trage ich schon mein Namensschild? Nein.) und die, die stur bürokratisch nach deutscher Vorschrift handeln. However, nachdem ich mich namentlich vorgestellt habe, muss ich auch noch meine Privatadresse ins Formular eintragen. Die Postleitzahl? Gott, ich schreibe mir doch nie selbst. Höchstens mal ein Päckchen über Amazon verschicken (die Rechnung an mich und die verspätete Geburtstagslieferung an eine Freundin). Hab ich nachts um halb zwei auch schon mal vertauscht… Sehr peinlich! Und ich hatte mich so auf ein Päckchen gefreut, als ich nach über einer Woche mal obligatorisch an einem Samstag meinen Briefkasten gecheckt habe und eine orangefarbene Karte fand. Bei der Post direkt schon das Päckchen geöffnet. Dann das drei Wochen verspätete Geburtstagsgeschenk für Steffi in der Hand… nun gab es keine Ausreden mehr! Während ich so in mich hinein grinse fällt mir auch noch die Geschichte ein, wo ich mit zwei Kollegen zu einem Kundengespräch geladen war und der Rezeptionist etwas irritiert schaute als wir eintrafen: Dr. Taylor, Herr Dr. Müller und Herr Dr. Schlosser von der Beratung mit Kapitälchen für Herrn Dr. Weber. Cool, wie im Mittelalter: alle Berufsgruppen repräsentiert und wir gehören alle dem Stadtrat an und entscheiden über die Besteuerung des jährlichen Marktes zur Erntezeit. Ich schweife ab.
Also, nach dem ganzen Hickhack an der Rezeption, schnell noch zur Toilette, Rouge auflegen, Lipgloss nachziehen und nach 4h Schlaf und 3h Reisezeit frisch den Kandidaten entgegentreten, die dich entweder hassen, Angst vor dir haben, dir in den Arsch kriechen oder einfach nur sie selbst sind – in dem Falle verspricht der Tag vielversprechend zu werden. Klamotte sitzt auch? Ja, nee, doch nicht. Scheiße. Die Naht am Hosensaum ist gerissen. Ach, das war ja schon vor der Reinigung so, vergessen. Also doch rauf ins Zimmer und dieses blöde Nähset suchen, gibt’s doch in jedem Hotelzimmer. Außer der Bibel und der Minibar (ja, ich habe auch dort nachgeschaut) finde ich nix. Ich krame in meiner Handtasche, irgendwo war da doch noch so ne alte Sicherheitsnadel. Geschafft. Nur, dass ich jetzt beim Gehen ein wenig klimpere, aber das höre hoffentlich nur ich.
Es geht los. Ab zum Konferenzraum. Klimper, klimper. Frühstück kann man hier vergessen, bekomme eh nix runter, auch wenn Motivationstrainer, Ironmans oder sonst wer mir sagen „Frühstück wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettler“. Gut und schön, aber das passt nicht in die heutige Zeit von Managern und Beratern in der freien Wirtschaft oder allen anderen Berufsgruppen, Entschuldigung.
8 Uhr. Pünktlich (also mein pünktlich) treffe ich im Konferenzbereich ein. Von der HR-Lady noch keine Spur. Gut, dann erst einmal Räume checken, auspacken und vorbereiten. Dabei reiße ich mir noch einen Fingernagel ein. Super, kommt bei Frau mit rot lackierten Fingernägeln richtig toll. Wo ist meine Assistenz heute Morgen überhaupt? Handy bimmelt. Mist, den Klingelton vergessen auszustellen. Ups, das ist mein Super-Assi, der separat angereist ist und von der Rezeptionistin festgehalten wird, weil er die PLZ vom Firmensitz nicht weiß. Mann, ein Blick auf unser Geschäftspapier werfen vielleicht?!
8.15 Uhr. Alles vorbereitet, Tische verschoben, Beamer angeschlossen, Namensschilder verteilt, Präse gecheckt, Schulungsmaterialien verteilt. Was vergessen? Nee, nix. Als ich mir die Zeitpläne für alle Beteiligten schnappe, die ich am Wochenende noch mal angepasst habe, weil der Kunde wieder alles umgestellt hat (Anzahl der Beobachter, Teilnehmer und Räume), fällt mir auf, dass ich die alte Version vom Freitag eingepackt habe. Shit. Naja, ich habe einen Super-Assi (auch wenn der heute sehr verschlafen aussieht) dabei, der macht dann eine Just-In-Time-Production (JIT) im Nebenraum. Hoffentlich surrt der Drucker nicht so laut.
8.30 Uhr. Die HR-Lady taucht auf. Noch etwas verschlafen, entschuldigt sie sich fürs Zuspätkommen und fragt, ob sie noch was helfen kann? Sie hätte sich da auch noch einige Anpassungen für den Zeitplan am Wochenende überlegt und ob wir das noch ändern könnten. Klar, gerne. Kein Problem. Warum bin ich Samstagabend nur so spät zur Party gegangen? Ach ja, habe noch 2h für die Zeitpläne benötigt. Gut, dass das für die Katz war. Dann noch etwas Small Talk, aber die HR-Lady ist echt nett. Etwas chaotisch von Zeit zu Zeit, aber ehrlich und authentisch, wenn auch ein wenig angespannt aufgrund der hohen Herren, die da gleich kommen.
9 Uhr. Sind alle da, nur der Kaffee nicht, noch nicht – wie immer. Zu festes männliches Händedrücken, schief sitzende Krawatten (zum Glück keine Motivkrawatten heute dabei und hey, heute auch mal ohrhaarfreie Zone, na dann!), frisch gereinigte Anzüge, blinkende und surrende Smartphones, ein Gemisch aus Davidoff Cool Water, Boss und Litamin-Shampoo schwebt durch den Raum. Alle haben noch gaaaaaaaaaaaanz wichtige Dinge zu tun, genau, Montagsmorgen um 9 Uhr. Wenn man jetzt als mindestens 10 Jahre jüngere, blonde Beraterin den Fehler begeht und Aufmerksamkeit erzwingt: Verloren (Regel Nr. 3)! Es ist doch immer wieder erstaunlich was Gruppendynamik gepaart mit der Macht der Stille für eine Wirkung erzielt. Auf einmal sitzen sie alle brav da – wie Klassenkameraden in der Schule und hören aufmerksam zu – alle highly committed und so was von present. Die Schulung der Exekutives (nein, keine Henker) für das AC kann beginnen, damit die Kandidaten (Teilnehmer) auch so objektiv wie möglich beobachtet und bewertet werden.
10.30 Uhr. Kaffeepause. Mein Super-Assi hat die Pläne fertig, der Kaffee ist auch eingetroffen. Alles gut?! Bis jetzt ja, aber der Schein trügt immer. Habe das Gefühl irgendwas vergessen zu haben. Aber was?
Nachdem ich am Vormittag alle kniffligen Fragen beantwortet habe, immer noch lächeln kann und nicht den Berater hab raushängen lassen, bin ich zum Teil der Gruppe geworden. Jetzt bringt’s echt Spaß! Das sind die Momente, die ich liebe an meinem Job, denn jetzt plaudern alle von ihren Erfahrungen, fragen um Rat und tauschen sich aus. Für mich ist das wie eine eigene Teilnahme an einem Führungsseminar. Pure Weiterbildung.
12.30 Uhr. Lunchbreak. Nix Bedeutendes: nur zwei Kundentelefonate geführt, Mails gecheckt, nicht zu spät im Restaurant aufgeschlagen, nur ein Salat – wie war das mit dem König? Naja, die Herren gönnen sich Grünkohl mit Kassler oder Currywurst mit Pommes. Das eine wird zu Hause von den feinen Manager-Ehefrauen wahrscheinlich nicht gekocht und das andere darf man vor den Kindern heutzutage nicht mit Genuss verspeisen. Der Head of Sales hängt wie alle Vertriebler natürlich zuerst qualmend draußen vor der Tür und telefoniert. Nach und nach folgen die anderen und schwirren wie Ameisen auf Kokain über den Vorplatz. Ich gehe derweil zurück in den Konferenzraum und bereite den Nachmittag vor. Mein Super-Assi fragt, ob er sich heute Abend nach dem Abendessen verdrücken könne, er habe heute Abend noch ein Date mit einer Internetbekanntschaft. „Klar“, meine ich, „bei deinem Einsatz heute Vormittag…“ und grinse. Er weiß nämlich genau, was meine Meinung ist zum Thema Privatleben: es gibt noch eines!
13.30 Uhr. Nachdem alle mit einer 10-minütigen Verspätung eingetrudelt sind geht’s weiter: Rollenspiele üben. Da ich die Gruppe am Vormittag studieren konnte, habe ich mir gedacht, der Head of Sales mimt in der Übung „Vertriebsgespräch“ mal den Kandidaten (Kunden) und der Head of Strategic Buying den Rollenspieler (Vertriebler). Da alle das AC schon kennen und nur die Optimierungen nach dem Piloten (ja so nennt man nun einmal die Projekte, die das erste Mal ausgerollt worden sind) einstudieren müssen, kann ich mich genüsslich in die „leidenschaftslose“ Moderation zurückziehen.
Der GM aus USA fand die Leistung des Head of Sales nicht so gut, meint, das funktioniere nicht auf dem amerikanischen Markt. Und bums, startet die Diskussion über interkulturelle Diskrepanzen. Ich hatte das schon früher erwartet. Die HR-Lady wirkt nervös und spielt verstohlen mit ihren High Heels unter dem Tisch. Warum nur? Ah, da fällt mir auch wieder ein, was noch ungeklärt war! Mist, das hätte mir nicht passieren dürfen. Hatte die ganze letzte Woche auf eine Antwort gewartet von HR, ob dies der internationale Standard sein soll (da dieses AC zur Entwicklung eines internationalen Talent-Pools benutzt wird) oder aber ob im globalen Roll-Out auch lokale Anpassungen erlaubt sind. Der Vorstand hatte sich dazu noch nicht geäußert, obwohl die Konzeption vor drei Monaten abgeschlossen war, der Pilot vor 1 ½ Monaten gelaufen und genau diese Frage immer noch ungeklärt geblieben ist. Der Head of Finance, ein sehr smartes Kerlchen, stellt just genau diese Frage an die HR-Lady. Die krümmt sich und tut in ihrer Aufregung das, was Frauen in Führungspositionen lassen sollten: emotional werden! In die Falle getappt. Das heißt nicht, dass ich ein Verfechter davon bin, dass Frauen sich das männliche Gehabe antrainieren sollten. Jedes Geschlecht hat seine Waffen, aber viele Frauen haben noch zu wenig verstanden, was die ihren sind. Ich versuche ihr mittels Blickkontakt mitzuteilen, dass ich ihr gerne helfen würde, wenn sie mich lässt. Sie lässt mich nicht. Auch so ein Fehler, sich keine Verbündeten zu schaffen. Der Finanzchef wirkt völlig überfordert mit so viel Emotionalität und wirrer Aneinanderreihung von inhaltslosen Phrasen und starrt mich mit großen Augen an. Ich greife ein. Ich beantworte seine Frage. Seine Gesichtsmuskeln verraten eigentlich, dass er noch nicht 100% überzeugt ist und ich stelle schneller als ich sollte die Frage, ob ich seine Frage beantwortet habe „Nein, haben Sie nicht, Dr. Taylor. In keinster Art und Weise!“ Super, jetzt möge doch der Boden unter mir aufgehen. Da