SILBER UND STAHL - Nicole Seidel - E-Book

SILBER UND STAHL E-Book

Nicole Seidel

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Beschreibung

Der weißhaarige Hexer Geralt hat mit seinen Abenteuern einen legendären Ruf erlangt. Oft wird er als herzloser, monsterschlachtender Mutant bezeichnet, aber die Menschen sind auf seine Kampfkünste mit dem Schwert und seine übernatürlichen Fähigkeiten angewiesen, denn es geht dabei oft um ihr eigenes Leben. Wer wie ich nicht genug von diesem Antihelden bekommen kann, wird mit diesen Geschichten vielleicht ein wenig gesättigt ...oder auf ein Neues infiziert.

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Seitenzahl: 930

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Nicole Seidel

SILBER UND STAHL

Alle meine Hexer-Erzählungen in einem Band

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Epilog

I - Sieben Raben

II - Rabentod

III - Varulfen

IV - Der Rosenturm

V - Iorweth

V.I - Schönheit ist vergänglich

V.II - Der Königsmörder – Flotsam

V.III – Der Königsmörder Vergen

V.IV – Der Königsmörder Loc Muinne

VI - Die Bestie

VII - Asgardia, das vergessene Land

VIII - Nicht von dieser Welt

IX - Vesemirs Erinnerungen

X - Krähenkönig

XI.I – Haupt unter Dornen: Der Schrein des vergessenen Gottes

XI.II – Haupt unter Dornen: Der Spielmann

XI.III – Haupt unter Dornen: Die Jagd beginnt

XI.IV – Haupt unter Dornen: Das verborgene Erbe der Vran

XII Eskel und Ingalis

XIII - Herzensangelegenheit

XIV – Kapitel 3: Prinz Nuada und die Wilde Jagd

Impressum neobooks

Epilog

Durch die Nacht schwingt ein sanftes Lied.

Wölfe unter den Bäumen schlummern

Fledermäuse im Winde schwingen

Doch eine Seele wacht voller Furcht

Vor Ghulen und Weibern und derlei Gemurch

Geralt von Riva folgt seinem wundervollen Klang. Hätten Menschen diesem Lied gelauscht, ihnen hätten sich die Nackenhärchen aufgestellt, doch nicht so dem Hexer. Er sucht zielstrebig nach der Sängerin dieses Liedes.

Am Flussufer wandert eine einsame Gestalt. Eine Frau mit rötlichem Haar und in ein dunkles Kleid gekleidet. Sie hebt eine Puppe auf, die eines der verlorenen Kinder zurückgelassen hatte.

„Nicht schlecht“, wendet Geralt ein. „Ewig her, dass ich das gehört habe.

„Die Leute haben es vergessen“, kommentiert die Frau. Sie dreht sich nicht zu dem näherkommenden Hexer um, löst stattdessen das hochgesteckte Haar.

„Sie haben …andere Dinge im Kopf.“ Geralt bleibt stehen, hält das Silberschwert in der Rechten.

„Dinge wie mich?“ Die hübsche Frau dreht sich langsam herum.

„Sie bezahlen mich für deinen Tod.“ Des Hexers Stimme ist so kalt wie ein Grab.

Der Umhang löst sich von ihren Schultern und fällt zu Boden. Sie wendet sich amüsiert zur Seite. „Damals hätte kein Gold der Welt einen Hexer zu so einem Vertrag bewegt.“ Sie knöpft ihr Kleid auf, wendet sich schließlich wieder dem Hexer zu und offenbart ihre wahre Natur.

„Die Zeiten haben sich geändert.“ Geralt wartet, während der Stoff zu Boden fällt und die Bruxae sich bereits verflüchtigt hat.

Geralt folgt ihr mit nachtsehendem Blick. Ein Gatter schwingt auf und zeigt ihm, dass sie in die Scheune geflüchtet ist. Während er sich vorsichtig dem Eingang nähert, trinkt er aus einer kleinen Phiole Schwarzes Blut. Glühender Schmerz durchdringt seine Blutbahnen.

Kurz darauf öffnet er das Scheunentor und tritt hinein. All seine Sinne sind gespannt. Seine Katzenaugen funkeln, sein Blick schweift suchend umher. Sein Wolfsmedaillon vibriert, während er sich weiter in den Raum hineinarbeitet. Von seinem Gürtel löst er eine Mondstaub-Bombe und wirft sie. Sie zerschellt am Gebälk, feinster Silberstaub durchdringt die Luft und legt sich auch auf die unsichtbare Bruxae, macht ihre Kontur sichtbar.

Sie greift sofort an. Der Hexer blockt ihre Schläge mit dem Silberschwert. Seinen beiden Hieben kann sie jedoch ausweichen. Dann klirren Vampirklauen auf Silberstahl. Zwischendurch materialisiert sie sich, teilt harte Schläge aus. Doch Geralt steht ihr in nichts nach.

Ein heftiges Aard wirbelt ein Wagenrad, Holzteile und Stroh durch den Raum. Die Bruxae ist schnell. Unvorhersehbar. Ein wuchtiger Hieb in Geralts Rücken bringt ihn zu Fall. Während er auf die Füße taumelt, ist sie hinter ihm, reißt seinen Kopf zur Seite und schlägt ihre Fänge in seinen Hals.

Unerwartet lässt sie ihn los, springt von ihm fort. Und unwilliges Fauchen entlockt sich ihrer Kehle. Geralts Blut tropft ihr aus dem Maul.

Der Hexer liegt am Boden. Langsam schreitet die Bruxae auf ihn zu. Endlich wirkt das SchwarzeBlut in ihrem untoten Organismus. Adern treten hervor. Sie faucht. Geralt erhebt sich, wirft ihr eine Aard-Welle entgegen, die sie durch die Scheune fliegen lässt. Greift nach seinem Silberschwert.

Die Bruxae kommt schnell auf die Beine. Fauchend springt sie dem angeschlagenen Hexer entgegen. Greift nach ihm. Seine Klinge trennt ihren linken Arm an der Schulter ab. Ihr nackter Leib zeigt erste Anzeichen von Alterung und Austrocknung. Eine Drehung und Geralt trifft sie an der Brust.

Nun ergreift sie die Flucht, krabbelt wie ein dreibeiniger Käfer zum Ausgang der Scheune. Der Hexer holt seine Armbrust hervor und spickt das Monster mit Pfeilen. Die zwei Bolzen mit den Silberspitzen dringen ihr in die Seite und den Rücken, halten ihre Flucht auf, während Geralt ihr langsameren Schrittes folgt. Der Hexer ist angeschlagen. Sie versucht ihm zu entkommen, kann aber nur noch kriechen.

Vögel schweigen die ganze Nacht

Bis die erste Kuh am Morgen erwacht

Völlig entkräftet fällt der Hexer neben der sterbenden Bruxae zu Boden. Ihr trauriger, ungläubige Blick ruht auf ihm. Er dreht sich auf den Rücken, erliegt seiner Erschöpfung. Schläft ein.

Doch eine Seele wacht voller Furcht

Anders der Hexer, mutig und kühn

Bezahlt in Gold für seine Müh‘

Die Sonne geht auf und wirft ihre warmen Strahlen über die staubige Erde. Zerteilt die Wände der Scheune, das Gatter darum und die umliegende Bäume in ein einladendes Spiel von Licht und Schatten. Geralt erwacht plötzlich, fährt auf. Die Klauen der Vampirin zeichnen noch sein bärtiges Gesicht. Ein Blick zur Seite, doch bereits knöchern sind die Überreste der Bruxae.

Er schlägt dich, zerhackt dich

Teilt dich entzwei

Isst dich im Ganzen

Am Stück und im Ganzen…

Geralt steht auf, schwingt sich auf sein Pferd Plötze und reitet zur nahegelegenen Stadt zurück, um sich seine Belohnung abzuholen.

I - Sieben Raben

Ein Müller hatte sieben Söhne

Söhne groß, gescheit und stark

Doch im Tausch für eine Tochter

Baut er jedem Sohn den Sarg

Die Mutter weint um jeden Buben

Sieben Tränen in ein Tuch

Und zur Rettung ihrer Söhne

Sprich sie einen bösen Fluch

Den Söhnen schwarze Federn wachsen

Flügel schlagen in der Luft

Erheben sich als sieben Raben

Entkommen so des Vaters Gruft

Kein Wort verliert sich über Schrecken

Die in jener Nacht gescheh’n

Die Tochter sucht die sieben Brüder

Die sie nie mehr würde sehn

Sieben Jahre will ich schweigen

Sieben Jahr kein Lächeln zeigen

Sieben Jahre Trauer tragen

Sieben Jahre und ein Tag

Sieben Raben sollen steigen

Sieben Jahre will ich leiden

Sieben Jahre nicht verzagen

Sieben Raben

Und im Lauf von sieben Jahren

Reift das Töchterlein zur Frau

Entdeckt im Schuppen sieben Särge

Und weiß um ihr Tun genau

Spricht die selben Zauberworte

Die die Brüder einst verflucht

Will sich opfern für die Burschen

Die sie hat solang gesucht

Niemals hat sie mehr gesprochen

Ihr Gemahl trägt’s mit Geduld

Doch seine Mutter schiebt ihr heimlich

Beweise zu für schlimme Schuld

Kann vor Gericht sich nicht verteidigen

Wird verurteilt und bleibt stumm

Und mit dem ersten Schlag des Henkers

Sind die sieben Jahre um

(Saltatio Mortis)

I

Die Sommersonne stach vom wolkenlosen Himmel herab und die steppengleiche Landschaft tat ihr übriges um jeden Wanderer in dieser Ödnis einzulullen. Vier schwarze Punkte kreisten über diesen unbarmherzigen Horizont und kamen näher dem Abgrund, als sie dort eines einsamen Reiters gewahr wurden. Die braune Stute ließ am langen Zügel den Kopf hängen und setzte träge einen Huf vor den anderen. Sein Reiter hatte sich die Kapuze seines dunklen Umhangs über den Kopf gezogen, um sich so vor der prallen Sonne zu schützen. Unter seinem Umhang blitzten seine Nietenmanschetten an den Armen hervor und Strähnen weißen Haares drangen seitlich des gesenkten Gesichts hervor. Am Sattel hingen eine kleine Holztruhe und ein großes Eisenschwert.

Die vier schwarzen Punkte kamen schnell näher und identifizierten sich schließlich als vier schwarze Vögel: als vier Raben. Sie kreisten über dem Reiter und machten krächzend Lärm.

„Krah, das ist er!“ krähte einer.

„Bist du dir – krah – sicher?“ wandte ein zweiter ein.

„Krah! Er muss es sein, krah!“ erwiderte der dritte.

Der vierte Rabe schwieg und stieß herab auf den ahnungslosen Reiter. Seine Krallen schlugen sich in den groben Stoff der Kapuze und zogen daran.

„Verdammt!“ Der überraschte Mann schlug nach dem Vogel, der frei kam und sich wieder in die Luft erhob.

Die Stute tänzelte und der Kämpfer sprang elegant aus dem Sattel und hielt unerwartet das Eisenschwert in der Hand. Mit der freien Linken streifte er sich die Kapuze vom Kopf – darunter kam ein fast hübsches, junges Männergesicht zutage, wären seine Züge nicht so versteinert und die Narbe am linken Auge nicht so tief gewesen. „Ruhig, Plötze. Das sind nur Raben.“ Die Stute schüttelte sich die Fliegen von den Augen und beruhigte sich.

Seine markant-gelbfahlen Augen richteten sich gegen den Himmel und schauten verwundert auf die über ihn kreisenden vier Raben.

„Ja – krah!“

„Er ist es! Krah!“

„Krah – der Hexer!“

Geralt von Riva steckte das Eisenschwert zurück an den Sattel. Hatte er gerade Raben reden hören? „Lasst mich in Ruhe“, rief er zu den Vögeln hinauf. Sein Wolfsamulett auf der Brust zog an ihm, hier war Magie am Werk.

Da flog wieder einer der Raben hinab und landete vor ihm auf dem Weg. „Krah, seit ihr der Hexer Geralt von – krah – Riva?“ wollte der schwarze Vogel wissen. Das Tier war recht groß, maß im Ganzen über einen halben Meter.

Ohne Furcht trat Geralt an den Vogel heran und setzte sich in die Hocke, um etwa auf gleicher Höhe mit ihm zu sein. „Was willst du von mir?“

Die anderen drei Raben flogen nun ebenfalls hinab zum Boden und ließen sich hinter ihrem schwarzen Federbruder nieder.

„Krah, wir suchten dich“, meinte der kleinste von ihnen.

„Nun, da bin ich.“

„Wir sind – krah – verzaubert und brauchen deine – krah – Hilfe!“

Das Wolfsamulett ruckte sehr an der Kette und sprach ganz deutlich auf die Magie, mit denen die Raben umgeben waren, an. Geralt nickte nur stumm.

„Krah, wir sind sieben an der Zahl“, meinte der vorderste Rabe.

„Und haben – krah – ein Schwesterlein“, erwiderte der kleinste.

„Ein – krah - Fluch wurde über uns gelegt“, sprach der nächste Rabe.

Der Hexer setzte sich auf seinen Hosenboden direkt vor die vier Raben. „Erzählt mir eure Geschichte von Anfang an.“

Und so erzählten die Raben ihre Geschichte...

II

Es war einmal ein reicher Müller in Mühlbachstadt, dem hatte seine Frau bereits sieben Söhne geboren und trug ein achtes Kind unterm Herzen. Edelward war mit sieben Jahren der älteste, der quirligen Jungs. Ihm folgten die 6-jährigen Zwillinge Petrad und Paulad. Gustad war vier. Dann gab es noch ein Zwillingspaar mit 3 Jahren: Andward und Alfward. Der jüngste mit einem Jahr hieß Martrad. Die Mutter Elevin gebar alsbald ihrem Mann Conrad Mühlenbach eine ach so sehr gewünschte Tochter, die die glücklichen Eltern Sabryn tauften.

Die ersten Jahre verliefen mehr als glücklich, doch dann erkrankte das Mädchen unbekannt. Es begann, als sie 6 Jahre wurde. Mit jedem Monat der verstrich nahm ihre Vitalität ab. Sabryn wollte nicht mehr spielen, blieb irgendwann nur noch im Haus und siechte immer mehr vor sich hin. Sie wurde dünn, blass und apathisch.

Der Müller Conrad grämte sich immer mehr, denn das kleine Mädchen war sein Ein und Alles. Jeder Arzt, jeder Heiler, jeder Alchemist und jeder Zauberer der des Weges kam musste sich das Kind ansehen. Aber niemand konnte seinen Zustand ändern. Als sie neun wurde, lag Sabryn nur noch in ihrem Bettchen und starrte apathisch an die Decke, näher dem Tod als dem Leben.

In seiner großen Verzweiflung suchte Conrad schließlich die alte Hexe Alesandretta im nahen düsteren Wald auf.

„Das Mädchen ist verflucht!“ geiferte die Vettel. „Bevor sie zehn wird, wird sie sterben. Willst du dieses Unheil von ihr nehmen, musst du ein großes Opfer bringen.“

„Alles was nötig ist werde ich tun, um mein Herzschatz zu retten!“ beschwor der Müller Conrad.

„So soll es sein. Baue in einem Monat sieben Särge. Bringe diese Särge zur schwarzen Burgruine auf der anderen Seite dieses Waldes. Dann lege vor einer Vollmondnacht lebend je einen deiner Söhne hinein. Sperr sie dort ein und verlasse diesen Ort noch am gleichen Tag und kehre nie mehr dorthin zurück! Ist die Nacht dann vorüber und wurde dein Opfer angenommen, ist der Fluch von Sabryn genommen und sie wird ein gesundes, hübsches Mädchen werden.“

„All meine Söhne?!“ Müller Conrad war aschfahl geworden.

Die Vettel stand über ihm und kratzte mit ihren dürren Finger über sein Gesicht. „Das Mädchen wird sterben, unternimmst du nichts!“

Der Mann sprang auf und floh aus dem düsteren Häuschen der Hexe und ritt zurück zu seiner Mühle. Tagelang überlegte er hin und her. Doch als er sein geliebtes kleines Mädchen so reglos daliegen sah, schloss er sich in seiner Scheune ein und hämmerte und sägte was das Zeug hielt.

Doch als er dann zwei Wochen später die sieben Kisten auf einen Wagen lud, überraschte ihn seine Frau Elevin. „Conrad, was hast du da die ganze Zeit über gemacht. Was ist das? Sind das“ – sie betrachtete die Kisten genauer – „etwa Särge?“

„Geh mir aus dem Weg, Weib. Und lass mich tun was ich tun muss!“

„Was musst du tun?“

„Unser kleines Mädchen retten.“ Conrad hievte den letzten Holzsarg auf die Ladefläche des Wagens und spannte eine Plane darüber. Dann schob er wortlos seine Frau zur Seite und setzte sich auf den Kutschbock und befahl den zwei Zugpferden anzutraben.

Die Müllerfrau schaute ihm nach. Sie hatte genau die Anzahl der Särge gezählt: sieben. Dann blickte sie mit feuchten Augen über den Hof und sah ihre sieben Söhne spielen.

Bald brach der Abend an und Elevin Mühlenbach saß in ihrem Schlafgemach und weinte. Vor wenigen Minuten hatte ihr Mann Conrad die sieben Jungs eingesammelt und war mit ihnen fortgefahren. Sie ahnte, wo er sie hinbringen würde – dorthin, wo er die Särge gebracht hatte. Sie hielt ein weißes Taschentuch auf dem Schoss und da tropften sieben blutige Tränen in es hinein.

„Mein Leid ist unsagbar groß und unerträglich, legt mein Mann unsere sieben Söhne in diese Särge. Heilige Erdgöttin hilf mir dieses Unheil abzuwenden! Die schwarze Nacht soll sie schlucken, bevor meine sieben Söhne den Tod finden. Sieben Jahre will ich warten auf sie. Sieben Jahre leiden und Trauer tragen. Sieben Jahre nicht verzagen bis die sieben Söhne kehren heim zu mir.“

„Wo fahren wir hin, Vater?“ fragte Martrad der jüngste, der vor fast vier Monaten zehn geworden war.

„Ich will euch einen geheimen Ort zeigen.“

Eine halbe Stunde später waren alle acht auf dem Wagen an der schwarzen Ruine angekommen. Sie hieß so, weil die Mauerüberreste schwarz vom Ruß waren. Doch im Hauptkomplex war ein Raum unversehrt geblieben.

„Wer lebte hier mal?“ wollte Gustad wissen.

„Das weiß niemand mehr.“ Der Vater holte einen Wasserbeutel hervor und reichte ihn seinen Söhnen. „Stillt erst mal euren Durst, meine Söhne. Bitte – trinkt alle.“ Und der Beutel ging reihum. Der Vater hatte vorsorglich ein Betäubungsmittel ins Trinkwasser gegeben, das alsbald seine Wirkung tat und alle sieben Jungen in Schlaf versetzte.

Er brachte jeden einzelnen hinüber in den dunklen Raum, wo er auch die Särge aufgestellt hatte. Eine Fackel erhellte spärlich vom Eingang her den mit wenig Unrat belegten Raum. Jeden Sohn legte er in einen der Holzsärge und nagelte den Deckel mit vier Nägeln zu. Draußen setzte die Dämmerung ein, als der Müller das geschwärzte Gebäude verließ, die Fackel nahm er mit. Sein Tempo zurück war wesentlich langsamer, als auf dem Hinweg.

Die untergehende Sonne verschwand hinter den Baumwipfeln und hüllte die schwarze Ruine in Dunkelheit. Drinnen lagen schlafend sieben unschuldige Buben in absoluter Finsternis. Ein sanfter Windhauch wirbelte Laub auf und vom Himmel herab stieß ein schwarzer Schatten auf den Eingang der Ruine zu. Die Schwingen des Vogels rauschten und sein dreifaches „Krah!“ durchbrach die Ruhe schaudernd. Doch niemand sah, wie der Rabe durch die Öffnung flog und auf dem ersten Sarg nieder sank. Die Jungen darin schliefen noch und hörten somit nicht das viermalige Klopfen des Schnabels. Jedes Klopfen löste einen Nagel und das Schlusskrähen vollzog die Verwandlung – unsichtbar im tiefsten Dunkeln verborgen. Dies wiederholte der einsame Rabe noch sechs Mal an jedem einzelnen Sarg. Dann flog er so unerwartet fort, wie er gekommen war.

Die Nacht brach herein. Eine einsame krumme Gestalt folgte einem schmalen Pfad, eine Öllampe in der Hand haltend, die ihr den Weg leuchtete. Die Gestalt, die sich des Nächtens so heimlich durch den Wald schlich war keine geringere als die alte Hexe Alesandretta. Und ihr Ziel waren die verkohlten Mauern der schwarzen Ruine.

Ein kratziges Kichern entrann sich ihrer faltigen Kehle, als die alte Frau die sieben Särge im Raum stehen sah. „Ah, lecker! Das wird ein Festmahl für mich geben!“ Denn die Vettel Alesandretta dürstete es schon lange nach frischem, jungem Menschenfleisch.

Sie ging an den vordersten Sarg heran und ihre langnaglige Klauenhand griff den Sargdeckel und zog ihn mit einer unglaublichen Kraft nach oben, die man der Alten nie zugetraut hätte. Doch der Sarg im Innern war leer – die dunkle Bewegung im finstersten Eck übersah sie.

„Was?!“ schrie sie auf und rannte zum nächsten Sarg. Ein Griff, ein Krachen und wieder lag kein Junge darin.

Sie lief zum nächsten, griff den Deckel und zog ihn auf – auch hier kein Bube.

Beim vierten flog der Deckel fort und ein schwarzer Schatten flatterte ihr ins Gesicht. Wild fuchtelte die Alte den Vogel von sich. „Fort, du Höllenvieh!“ Da flogen drei weitere Schatten aus den bereits offenen Särgen: Raben.

„Ah! Man hat mich reingelegt!“ schrie Alesandretta und stolperte aus dem Raum. „Man hat mich um meinen Lohn gebracht!“ grummelte die Alte, während sie fluchend den Weg zurück lief.

Die vier Raben flatterten einige Zeit aufgeregt ihm Raum umher, bis sie sich um die Öllampe versammelten und sich gegenseitig besichtigten.

„Bist du das – krah – Edelward?“ wurde der größte unter ihnen gefragt.

„Krah, ja. Und du – Gustad?“

Wieder ein Nicken. „Krah – was ist mit uns geschehen?“

Da klopfte es aus den restlichen drei Särgen und ersticktes Krähen war daraus zu hören. Die vier verwandelten Rabenbrüder halfen ihren drei Brüdern aus den Holzkisten heraus, sie mussten nur noch je die Deckel zur Seite schieben – was sie mit Krallen und Schnäbel dann auch schafften.

„Krah – der Vater war’s!“

„Ein – krah – Opfer für das Schwesterlein.“

Denn sie kamen schnell dahinter, was ihnen geschehen war und warum, sie waren keine dummen Müllersöhne.

Der Müller Conrad war nach Hause gefahren und hatte sich wachend neben das Bettchen seines Töchterleins gesetzt und war dann schnell eingeschlafen.

Der Hahn krähte auf dem Misthaufen und sagte so der Sonne guten Morgen. Sabryn schlug ihre Äugelein auf und fand ihren Vater im Sessel schnarchend vor.

„Papa, ich hab Hunger!“

Conrad blinzelte ganz verwundern, erhob sich und nahm sein Töchterlein in die Arme und drehte sich voller Freude im Kreis.

„Hihi“, lachte das Mädchen, „mir wird schwindelig, Papa!“

„Sabryn, mein Liebling!“

Seit diesem Tage wurde es wieder anders auf dem Müllerhof. Ein helles Mädchenlachen klang über den Hof und der Müller Conrad verhätschelte das Töchterlein, so oft er nur konnte. Doch die Mutter des Mädchens blieb seither traurig zurück und erledigte ihre Arbeiten auf der Mühle wie mechanisch.

Erst als fast täglich sieben Raben auf dem Dach der Mühle saßen und das menschliche Treiben darunter stets ausführlich beobachteten, hegte Elevin neue Hoffnung, diese Raben mögen ihre Söhne sein, die dem Tod in Gestalt schwarzer Vögel entkommen waren.

So zogen die Jahre ins Land...

Als Sabryn fast vierzehn war, lief sie einmal einen schmalen fremden Pfad im Wald entlang, der bei einer schwarzen Ruine endete. Seit ihrem Erwachen vor dreieinhalb Jahren hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass etwas Entscheidendes in ihrem Umfeld fehlte. Aber sie erinnerte sich nicht daran. Sie jagte zwei Schmetterlingen nach, die sie immer weiter in die Ruine hinein führten.

Unheilvoll dunkel gähnte ihr der Eingang zum verrotteten Haus entgegen. Mutig schritt Sabryn darauf zu und zwängte sich an der halb aus den Angeln gerissenen Tür ins düstere Innere. Sie tastete sich voran und stieß plötzlich mit dem Bein gegen einen festen Wiederstand. „Autsch!“

Sie fühlte neben sich eine Holzkiste ohne Deckel. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die räumliche Dämmerung und sie erblickte weitere sechs Kisten, die willkürlich im Raum verteilt waren. Und diese Kisten hatten Deckel, die neben dran lagen und die Form von ... „Das sind ja Särge!“ entfuhr es dem Mädchen.

Doch sie waren leer, was Sabryn ganz gut fand. Wer wohl darin gelegen hatte? Sieben Särge. Da schob sich plötzlich eine Erinnerung aus früherer Kindheit vor ihr geistiges Auge: Sieben Buben umringten sie, spielten mit ihr, verhätschelten sie. Sieben Brüder. Und sie erinnerte sich wieder an sie und wusste nun, was den leeren großen Raum in ihrem Herzen einst ausgefüllt hatte: „Ich habe sieben Brüder! Doch wo sind sie? Was ist mit ihnen geschehen?“

Sabryn rannte hinaus. Lief den Weg durch den Wald zurück, schnurstracks zur Mühle zurück. Dort fragte sie den Vater – doch der verleugnete die sieben Söhne. Da lief sie zur Mutter und fragte sie nach ihren Brüdern – doch diese rannte weinend fort und schloss sich ins Schlafzimmer ein. Viele Tage lang wollte niemand ihr eine Auskunft geben.

„Ich werde fortlaufen und sie suchen gehen“, meinte eines Abends das Mädchen. „Ich weiß, dass ich einst sieben Brüder hatte. Mein Herz sagt es mir. Es sagt mir auch sie sind nicht tot!“

„Diesen Unsinn schlag dir aus dem Kopf, Kind“, meinte der Vater und sperrte sie über Nacht in ihrem Zimmer ein, so dass sie nicht fortlaufen konnte.

Doch gegen Mitternacht, als alle schliefen, schlich sich die Mutter Elevin in das Zimmer ihrer Tochter und erzählte ihr von der schändlichen Tat ihres Mannes Conrad. Auch sie glaubte nicht daran, dass die sieben Buben tot seien und erzählte ihr von den sieben Raben, die anfangs einige Zeit die Mühle bewacht und beobachtet hatten. Doch nach einem lauen Winter waren die sieben Vögel verschwunden.

„Mutter, ich werde sie suchen gehen!“

„Ich werde dich nicht aufhalten, mein Kind.“

So packte sich das Mädchen Sabryn ein Bündel mit Ersatzkleidung und Essensproviant und machte sich noch in der gleichen Nacht auf. Sie lief fort und suchte ihre Brüder.

Doch die sieben Brüder im schwarzen Federkleid hatten sich nie wirklich fort von der Mühle begeben. Ein oder zwei waren immer in der Nähe gewesen und hatten das Schwesterlein bewacht, während die restlichen Vögel am Himmel die Welt erkundet hatten. So auch an diesem Morgen, schraken die jungen Zwillinge Andward und Alfward auf und suchten erst Sabryn... doch als sie immer weitere Kreise um die Mühle und Mühlbachstadt zogen fanden sie ihr Schwesterlein auf einer Straße nach Westen laufend vor.

Zu Anfang war die Wanderlust des Mädchens noch ungebrochen, aber in einer regnerischen Nacht, in der sie sich nirgends unterstellen konnte, begann der große Kummer. Ihre Tränen mischten sich mit dem Regen, sie war bis auf die Knochen nass und fror entsetzlich – und wollte nur noch nach Hause.

Da setzten sich sieben Raben zu ihr und spendeten ihr Trost. Sabryn erkannte sie. Zuerst war die Freude groß – Kummer und Regen vergessen. Und beschützt von sieben schwarzen Vögeln schlummerte das Mädchen ein.

Mit den ersten Sonnenstrahlen erschien eine hübsche Frauengestalt am Wegesrand. Ihre Haut schimmerte golden und ihr Kleid am schlanken Leib war aus allen herbstlichen Farben von Grün-Gelb-Brauntönen gefertigt. Es war die Erdgöttin Gaia, die da vor ihnen stand – doch weder die Rabenbrüder noch Sabryn erkannten sie. „Meine sieben schwarzen Freunde, ihr dürft nur an der Seite eures Schwesterleins bleiben, wenn sie ein Opfer bringt.“

„Ein Opfer? Gerne, wenn nur die Brüder bei mir bleiben können!“ Demütig senkte das Mädchen den Kopf vor der Göttin, denn ihr Strahlen blendete sie ein wenig.

„So soll es sein. Fortan – bis dass der Fluch behoben sei – sollst du Schweigen!“ Sanft berührte die goldene Frau das Mädchen und verschwand im Wald.

Und seit diesem Morgen blieb Sabryn stumm. Doch hatte sie die Gewissheit, dass ihre Brüder mit Klauen und Schnäbeln über sie wachten. So zog sie noch einige Zeit weiter des Weges.

Irgendwann fand ein junger Kaufmann, das umherwandernde Mädchen und verliebte sich in sie. Er bat sie, ihn nach Feldwaldingen zu begleiten und seine Frau zu werden. Auch Sabryn war sehr angetan von dem hübschen jungen Kaufmann mit Namen Hubwald Engerling und willigte ein. So hielt sie Hochzeit mit fünfzehn und schien ein glückliches Leben führen zu können, wäre da nicht die Mutter des Kaufmanns gewesen: Hagnessa Engerling.

Von Anfang an hegte Hagnessa Argwohn gegen das unbekannte, sanfte Mädchen das niemals ein Wort sprach. Aber sie war fleißig, hübsch und ihr Sohn Hubwald liebte die junge Frau aufrichtig, so musste die Mutter die Rivalin im Haus tolerieren. Aber akzeptieren konnte sie sie nicht!

Als sie des Öfteren beobachten konnte, dass sich die Anvermählte heimlich im nächtlichen Garten mit sieben Raben traf, die sie wie Kätzchen liebkoste, war ihr das Mädchen unheimlich. Sie erzählte ihrem Sohn davon, doch Hubwald wusste von den sieben Raben, die Sabryn stets irgendwo nahe waren. „Die Raben sind harmlos, Mutter. Lass Sabryn nur machen.“

„Irgendwas stimmt mit dem Mädchen nicht, Hubwald. Sicher lastet ein Fluch auf ihr – oder sie ist eine Hexe!“

„Ach, Mutter, rede nicht so einen Unsinn. Sie ist ein ganz liebes Mädchen – lass sie in Ruhe!“

Da ihr Sohn hinter der jungen Frau stand, entsann sich die Mutter einen bösen Plan, um das stumme Mädchen los zu werden, dazu brauchte sie einen verschwiegenen Dieb und die Gelegenheit ihr etwas Belastendes unter zu schieben. Über ein halbes Jahr intrigierte Hagnessa gegen die verhasste Schwiegertochter... und als ihr Kaufmannssohn mal wieder auf Geschäftsreise war, trieb ihr heimtückischer Plan saure, grausame Früchte!

Man fand Diebesgut – weitgehend Schmuck reicher Damen der Stadt – im Zimmer Sabryns, die daraufhin verhaftet wurde.

III

„Sie ist – krah – natürlich unschuldig!“ beendete der größte Rabe seine Geschichte.

„Da sie stumm ist, krah, kann sie sich nicht verteidigen“, erwiderte der kleinste. „Und ihr – krah – Mann ist auch noch nicht zurück.“

„Hilf uns, krah, Geralt von Riva!“

„Wie weit ist es nach Feldwaldingen!“ fragte der Mann und erhob sich. Er klopfte sich den Staub von der Hose.

„Krah – zwei Tagesritte etwa.“

„Du bist Edelward, der älteste?“ Geralt zeigte auf den großen, vorderen Raben.

Dieser nickte.

„Ich bin – krah - Gustad und die beiden, krah, kleinen hier sind Alfward und Andward“, sagte der mittlere Rabe.

„Nun, gut. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich euch helfen kann, aber ich versuch’s. Führt mich nach Feldwaldingen.“ Der weißhaarige Kämpfer schwang sich in den Sattel.

Die vier Raben erhoben sich und flogen ihm voraus.

Unterwegs erfuhr Geralt, dass die Raben den dortigen Henker vergiftet hatten, um eine eventuelle Vollstreckung auszusetzen. Auch eine Gerichtsverhandlung war bereits abgehalten worden, in der die Beweise – beziehungsweise die Diebesbeute – sichergestellt worden war und weitgehend alle Belastungen auf eine Zeugin – die Mutter Hagnessa – ausgerichtet waren. Sie war es auch, die eine kostbare Kette einer reichen Freundin im Zimmer des Mädchens gefunden hatte und daraufhin die Gendarmerie verständigt hatte. Im Zimmer fand sich dann noch weiterer gestohlener Schmuck und Hagnessa habe beobachtet, wie sich Nächtens Sabryn immer heimlich mit schwarzen Raben getroffen hatte, die ihr sicher die gestohlenen Schmuckstücke gebracht hatten.

Der Vogt Mainer von Richtweih war sichtlich ungehalten über die mittägliche Störung beim Essen. Aber als Stadthalter und oberster Richter kam ihm der fremde Besucher dann doch gelegen, als der ihn ganz unverblümt nach Arbeit fragte.

„Du bist ein Hexer?“ Der Vogt – ein stattlicher Mann mit erfahrenen Zügen, dessen fortgeschrittenes Alter das kurze schwarze Haar immer grauer werden ließ – biss sich ein weiteres Stück vom Truthahnschenkel ab.

Geralt nickte und ignorierte seinen hungrigen Magen, der beim Geruch des saftigen Truthahns vor ihm zu knurren angefangen hatte.

„Wir haben hier keine Ungeheuer. Aber mein Henker ist krank geworden und bald steht eine Vollstreckung an.“

„Ich töte keine Menschen“, wandte Geralt ein.

„Hexer werden doch zum Töten abgerichtet. Das ist eure Passion. Die Arbeit eines Henkers ist viel leichter, sein Opfer bewegt oder wehrt sich meist nicht mehr.“ Mainer von Richtweih lachte auf, als einziger von seinem Witz angetan. „Ich zahle gut.“

„Ich nehme an.“

„Gut. Hauptmann Joule Weiden zeigt dir alles, was du brauchst und wissen musst.“ Der Vogt winkte ihn mit dem abgenagten Truthahnknochen nach draußen.

Dort erwartete ihn schon der Hauptmann – ein Jungspund mit lockigem dunkelblondem Haar und einem Spitzbärtchen. Seine goldknöpfige Uniform trug er mit einer stolzen Erhabenheit, die Geralt so noch nie gesehen hatte. Wortlos folgte er ihm, seine Stute Plötze am langen Zügel führend.

„Der Stall ist dort.“ Hauptmann Joule zeigte auf einen Gebäudekomplex links. „Daneben ist die Kantine und oben findest Du ein Zimmer für dich. Der Richtsaal ist mit im Stadthalterhaus. Die Gendarmerie ist in diesem rechten großen Haus unter gebracht. Dahinter ist das Gefängnis und etwas die Straße hinunter findest du ein gutes Wirtshaus.“ Joule Weiden winkte einem seiner Untergebenen und beauftragte ihn, sich um Geralts Pferd zu kümmern. „Dort, “ er zeigte auf das zweistöckige Haus mit der Küche, „findest du Claude, er ist für alles Organisatorische zuständig. Er wird dir weiterhelfen. Ich hab noch zu tun.“ Sagte er und ließ den Hexer stehen.

Geralt nahm sein Eisenschwert und die Schatulle vom Sattel und ging zum mittleren Haus hinüber. Ein breiter Flur zweigte in verschiedene Räume ab, aus der Küche stürmte ein fettleibiger Kerl mit leuchtenden Augen und einer einnehmend-herzlichen Art. „Ah, du musst der neue Henker sein! Ich bin Claude. Wie ist dein Name?“

„Geralt.“

Claude stutzte kurz, erkannte das Wolfsamulett und die mutierten Katzenaugen, klopfte dann aber dem Hexer freundlich auf die Schulter. „Willkommen, Hexer Geralt. Dort die Treppe hoch und das linke hintere Zimmer ist für dich.“ Er drückte ihm einen Schlüssel in die Hand. „In zwei Stunden gibt es Abendbrot – bis dahin kannst du dich ein wenig mit der Örtlichkeit vertraut machen.“ Sprach auch er und verschwand.

Hm, zwei Stunden, bis sein Magen was zu essen bekommen sollte, dachte Geralt. Sein Zimmer war sauber, aber schlicht eingerichtet. Ein einfaches Bett mit einer Strohmatratze mit Decke. Ein Tisch unter einem kleinen Fenster, davor zwei Stühle. Auf der Gegenseite ein Waschtisch mit Schüssel. Eine große Truhe stand vor dem Bett. Mehr Komfort gab es nicht. Geralt legte seine Habseligkeiten auf den Tisch und schloss das Zimmer hinter sich ab.

Der Hexer umrundete das Haus der Stadtwache und entdeckte das Gefängnis auf Anhieb, war es doch das einzige Gebäude mit vergitterten Fensterluken. Im Vorraum lungerten drei Gardisten rum, sichtlich in ihrem ereignislosen Job unterfordert und daher gelangweilt und reizbar.

„Hi Bursche, was suchst du hier?“ meinte ein dunkler Mann in den besten Jahren, ebenfalls mit einem schmalen Bärtchen, was in Feldwaldingen wohl gerade Mode war. Er stellte sich Geralt in den Weg. Die beiden anderen blieben in respektvoller Habachtstellung hinter ihm sitzen.

Da trat Hauptmann Joule Weiden in den Raum. „Beruhige dich Garfyld. Das ist Geralt von Riva – er ist unser neuer Henker.“ Er reichte dem weißhaarigen Mann ein gefaltetes Dokument. „Hier ist deine Vollmacht.“

„Dann willkommen Henker.“ Ein hintergründiges Lächeln umspielte die schmalen Lippen Garfylds, mit einer ausholenden Geste setzte er sich wieder hinter seinen Tisch. „Was kann ich für dich tun, Kollege?“ Er legte einen provozierenden Unterton in jedes gesprochene Wort.

Geralt stand ihm allein gegenüber, Hauptmann Joule war geschäftig wieder nach draußen verschwunden. „Habt ihr zur Zeit Gefangene?“ fragte er ruhig.

„Nur eine – hier in Feldwaldingen leben anständige Leute.“

Der Raum war winzig klein, gerade mal einen auf zwei Meter – jede Gefängniszelle, wovon es ein Dutzend gab, hatte dieses winzige Maß. Etwas Stroh lag in der hinteren Ecke und darauf kauerte eine kleine dreckige Gestalt. Gegenüber der schweren Holztür, ein winziges vergittertes Fenster. Geralt stand in der offenen Tür und schaute auf Sabryn Engerling herab. Hinter ihm stand der Wachsoldat, der ihm die Zelle geöffnet hatte.

„Wenn sie als Diebin überführt wird, wirst du ihr die Hände abhaken – das macht man hier mit dreisten Dieben so“, meinte Garfyld.

Geralt schwieg. Er hatte aus dem hinteren Bereich der Zellen ein Schaben und Krähen gehört. Er verließ die Zelle und wandte sich den Geräuschen entgegen. Drei Zellen weiter, die Tür stand offen, entdeckte der Hexer einen Käfig auf dem Boden. In dem Käfig kauerten drei Raben. „Was habe die Vögel verbrochen?“

„Das sind die Diebeshelfer der Hexe! Wir konnten sie fangen, aber es sind wohl sieben Raben, die der Hexe geholfen haben!“ erläuterte Garfyld mit Verachtung in der Stimme.

Geralt drehte sich zu dem Wachmann um und starrte ihn mit eisigem Blick an. „Solange ihre Schuld nicht einwandfrei erwiesen und sie verurteilt wurde, hat das Mädchen einen Namen. Sie ist sicher keine Hexe und dass diese Vögel ihr geholfen haben sollen – bei was auch immer – bezweifle ich.“

„Du bist kein Richter, das entscheidet der!“ brummte Garfyld beleidigt, aber sichtlich von der unheimlichen Aura des Hexers eingeschüchtert. „Das Urteil steht fest! Es wurde nur noch nicht ausgesprochen, weil ihr Mann, der Kaufmann Engerling noch nicht zurück ist. Aber er wird in höchstens drei Tagen zurück erwartet. Dann ist alles andere nur noch Formsache!“ Damit ließ er den weißhaarigen Mann einfach stehen.

Geralt ging zu dem Käfig mit den drei Raben darin. „Petrad? Paulad? Und Martrad?“

Ein dreistimmiges „Krah – Ja!“ erklang.

„Eure Brüder haben mich gefunden – ich versuche euch zu helfen.“

„Krah – ja!“

In einer kleinen Stube hatte Claude für eine Handvoll Männer das Abendbrot aufgetischt: fettdurchzogene Schweinesteaks, beige zu weichgekochte Kartoffeln, grüne fade Stangenbohnen und eine scharfe dunkle Soße, die sich jeder der Anwesenden reichlich über die Zutaten goss, um ein wenig Geschmack ins Essen zu bringen. Geralt war der einzige, der mit einem Heißhunger alles in sich hinein schlang.

Links neben ihm saß ein großer, kräftiger Kerl, der eine ungesunde grünliche Gesichtshaut und ein finsteres Gemüt hatte. Als er einige Bissen getan hatte erhob er sich plötzlich und stürmte in die Ecke des Zimmers, in der ein Eimer stand und erbrach sich darin.

„Herman, wir sind am essen!“ grollte Claude und löffelte sich eine ganze soßetriefende Kartoffel in den Mund. „Seit Tagen ist Herman nur noch am Kotzen. Du, Geralt, hast übrigens seine Arbeit übernommen.“

Das war also der vergiftete Henker, dachte Geralt und sah kurz zu Herman hinüber, der in der Ecke über dem Eimer kauerte. Der stattliche Mann gab einen erbärmlichen Anblick ab. Jedenfalls hatten die sieben Rabenbrüder den Mann nicht tödlich vergiftet, dachte Geralt beruhigt.

Mit am Tisch saß noch der spindeldürre Stadtschreiber Pontius Glave und Claudes Küchenhelfer Pippin, ein pickelgesichtiger Jüngling von siebzehn Jahren, der ständig unruhig mit den Beinen unterm Tisch schlenkerte.

Es wurde wenig gesprochen.

Der weißhaarige Hexer lag seit einiger Zeit wach auf seinem Bett und beobachtete, wie eine Spinne ihr Netz über ihm an der Decke in einer Ecke sponn. Im Zimmer war es zwar dunkel, doch seine verwandelten Augen konnte jede Einzelheit sehen.

Er hörte das leise Rauschen vier Flügelpaare, die im Hof landeten. Ein lauteres vierstimmiges Krähengeschrei, zunächst fragend-rufend, dann erbost, als ein Netz über die Vögel geworfen wurde und die letzten der sieben Raben gefangen wurden.

Sicher steckte eine gewisse Absicht dahinter, überlegte Geralt. Die Brüder wollten mit ihrem Schwesterlein zusammen sein. Ob er den Fluch brechen konnte?

IV

Das Richterpodest war noch unbesetzt, davor standen zwei Tische nebeneinander. Am linken saß ein kleiner, unscheinbarer Mann im mittleren Alter und farblosdunkler Kleidung: Minister Jörg Unruh, der hier die Anklage übernahm. Hinter der reichgeschnitzten hölzernen Absperrung waren zehn Reihen unbequemer Bänke aufgestellt, die vollbesetzt mit Zuschauern waren – meistens reiche, angesehene Bürger der Stadt Feldwaldingen. Gerade führte Hauptmann Joule Weiden die Angeklagte Sabryn herein. Sie war sauber, trug ein sauberes Kleid und war ein hübsches, blondes junges Fräulein. Hinter ihnen ging ein junger Mann im edlen blauen Mantel, sicher der Kaufmann Hubwald Engerling, der wohl auch dafür gesorgt hatte, dass seine Frau sich zur Verhandlung hatte baden dürfen.

Geralt, der am hinteren Teil der Absperrung stand, bemerkte den hasssprühenden Blick einer dunkelhaarigen Matrone, als das Paar an ihnen vorbei lief. Ein weiterer Minister, etwas untersetzt und mit lichtem Haar, rannte den Gang zwischen den geteilten Bankreihen entlang und setzte sich mit Sabryn und Hubwald an den anderen Tisch. Hauptmann Joule stellte sich neben Geralt an die Wand und behielt den Saal im Auge.

Stadtschreiber Grave betrat von hinter dem Podest den Richtsaal und hämmerte mit einem Hämmerlein auf den Holztisch, um Ruhe zu bittend, dann betrat Vogt Mainer von Richtweih den Saal – er trug einen weinroten weiten Mantel und darüber eine Goldkette aus geprägten Dukaten um den Hals; sicher die Merkmale eines Feldwaldingener Richters.

Pontius Grave trat vor den Richtertisch und verlas mit näselnder Stimme die Anklageschrift. „Hiermit eröffne ich die Verhandlung gegen die Kaufmannsfrau Sabryn Engerling. Sie wird beschuldigt teuren Schmuck entwendet zu haben. Minister Unruh, bitte legen sie dem Gericht nochmals alle aufgeführten Beweise vor.“

Der unscheinbare Mann in grauer Kleidung erhob sich. Vor sich auf dem Tisch lagen diverse Schmuckstücke: Halsketten, Fingerringe, Ohrhänger und Broschen aus Gold, Silber und mit wertvollen Edelsteinen verziert. „Die Dame Hagnessa Engerling fand im Zimmer der Angeklagten unerwartet eine Kette vor, die sie sofort einer Freundin des Hauses, Dame Evita Lochmare, zuordnen konnte. Da Sabryn Engerling des Sprechens nicht mächtig ist, rief Dame Engerling sofort nach der Gendarmerie. Die nach einer gründlichen Durchsuchung des Zimmers weiteren Schmuck fand. Schnell stellte sich heraus, dass die teuren Stücke über einen Zeitraum von acht Monaten aus diversen Haushalten entwendet worden waren.“ Minister Unruh deutete auf die vor ihm liegenden Schmuckstücke. „Weiter beobachtete die Dame Engerling des Öfteren, wie sich ihre Schwiegertochter des Nachts mit sieben Raben heimlich im Garten traf. Sicher hat sie die Vögel dazu abgerichtet, die edlen Schmuckstücke zu stehlen und ihr zu bringen.“

„Das ist doch blanker Unsinn!“ wandte erbost der junge Kaufmann ein.

Sabryn blieb die ganze Zeit über stumm und starrte demütig zu Boden.

Da erhob sich der verteidigende Minister Steffen Klamm und bat den Kaufmann um Ruhe in dem er ihm den Arm auflegte. „Die Anklage beruht auf einer einzigen Aussage, die der Dame Hagnessa Engerling.“

„Welchen Grund sollte die ehrenwerte Dame Engerling haben, um zu lügen? Und fanden sich nicht die gestohlenen Schmuckstücke im Zimmer Sabryns? Selbst die sieben Raben konnte gefangen werden.“

Resigniert zuckte Minister Klamm die Schultern und setzte sich wieder.

Geralt beobachtete diese Farce mit innerer Verachtung. Seine Menschenkenntnis und sein Instinkt sagten ihm, dass die edle Dame Hagnessa – deren Blick hasssprühend war – die eigentlich Schuldige war. Aber es gab keine eindeutigen Beweise, die dies belegen konnten. Sabryn war stumm und die verzauberten Raben wurden von diesen Menschen nicht verstanden. Er konnte nur hoffen, dass die Zeit mit ihm war und dass das alles dazu gehörte, um den Fluch zu brechen.

Richter und Vogt Richtweih erhob sich. „Genug!“ brummte er. „Die Beweise sind eindeutig und Sabryn Engerling schuldig des mehrfachen Diebstahls. Wie es im Gesetz steht ist die Strafe für Langfinger folgendermaßen: Ihr wird die rechte Hand abgehackt! Ihre Helfershelfer, die sieben Raben, werden ertränkt. Das Urteil soll morgen Mittag vollstreckt werden. Hiermit ist die Verhandlung beendet.“ Vom aufkommenden Tumult in den Zuschauerreihen ungerührt, verließ der Vogt den Richtsaal durch die Hintertür.

Kaufmann Hubwald hielt seine hübsche Frau tröstend im Arm. Der Saal wurde geräumt. Die Mutter blieb auf Distanz, zwar hatte sie gewonnen, was die Schwiegertochter anging, aber den Sohn hatte sie dabei verloren.

Hauptmann Joule stupste den Hexer an. „Morgen hast du Arbeit.“

Geralt schwieg mit grimmigem Blick.

V

Vor Geralt lag die schwarze Henkerskleidung aus Leder, die er sich widerwillig überzog. Schwarze Hose, schwarzes Wams, schwarze Handschuhe und die Henkerskapuze – so dass niemand erkennen konnte, wer unter der Marke des Henkers steckte. Die Lederkappe bedeckte den ganzen Kopf und hatte nur Öffnungen für die Augen und kleinere zum Atmen. Dann hob er das zweischneidige Beil auf – ungewohnt lag die Waffe in seiner Hand. Dann verließ er sein Zimmer und ging zum Richtplatz.

Über Nacht war auf dem Marktplatz ein Podest errichtet worden. Auf dem Holzboden stand ein Richtblock, ein großes Wasserfass und ein Balken auf dem die sieben Raben bereits festgebunden saßen. Alle Bewohner Feldwaldingen sammelten sich um diesen Podest herum. Alle Männer, Frauen und Kinder. Alle reichen und ärmeren Bürger. Alle jungen und alten. Der Vogt Mainer saß auf seinem Balkon oberhalb des Marktplatzes in seinem Stadthalterhaus und hatte den besten Platz.

Geralt stand abwartend zwischen Wasserfass und Richtblock, das Henkersbeil vor sich umgekehrt und darauf gestützt.

Ein Wagen brachte die Verurteilte zum Richtplatz. Sie trug das Kleid vom Vortag, hielt den Blick gesenkt.

In vorderster Reihe, aber an unterschiedlichen Stellen, machte der Hexer – und nun Vollstrecker – den Ehemann Hubwald und die Schwiegermutter Hagnessa aus. Hauptmann Joule führte Sabryn vom Wagen hinauf zum Podest und band den rechten Arm auf dem Richtblock fest, dazu musste das Mädchen davor niederknien.

Stadtschreiber Grave trat herbei. „Heute wird das Urteil über die des schweren Diebstahls überführte Sabryn Engerling vollstreckt. Ihr soll die rechte Hand abgehackt werden, damit ihrer diebischen Natur Einhalt gebietet wird. Weiter sollen ihre sieben Helfer, diese sieben Raben, in diesem Wasserfass ertränkt werden, damit kein ehrenwerter Bürger von diesen diebischen Vögeln mehr ihres Eigentums beraubt werden. Henker tue dein Werk.“

Vom Kirchturm schlug eine Glocke die Mittagsstunde an. Gong!

Erwartungsvolles Schweigen trat über die Zuschauermenge, als Bewegung in den Henker kam. Gong! Gong!

Die Sonne stand hoch im Zenit. Gong!

Geralt trat langsam zum Richtblock. Gong!

Ein weiterer Schritt und er stand davor. Gong!

Drei Raben flatterten aufgebracht mit den Flügeln, konnten aber nicht fortfliegen, da sie an den Balken festgebunden waren. Gong! Gong!

Der Henker prüfte die festgebundene Hand des Mädchens. Gong!

Sabryn kniete mit gesenktem Kopf davor, die offenen blonden Locken verbargen ihr Gesicht. Gong!

Der Henker hob das große scharfe Richtbeil. Gong!

Und ließ es mit einer leichten Drehung auf den Richtblock herab sausen. Gong!

Zitternd blieb es im Richtblock stecken, dicht daneben unversehrt die Hand des Mädchens. Eine Locke ihres blonden Haares fiel lautlos neben der Klinge zu Boden.

Und da geschah es. Die Luft um die sieben Raben knisterte und schwarze Schatten ließen die Vögel verschwinden. Ihre kleinen Federkörper zogen sich in die Höhe und verwandelten sich in menschliche Körper zurück. Die Fußfesseln barsten, schmerzvolles Stöhnen entrann sich sieben Jungenkehlen. Und alsbald lagen sieben Jünglinge mit hell- bis dunkelblonden Locken um dem Balken herum und rappelten sich auf zittrige Füße. Jeder trug schlichte Leinenkleidung in Braun und Beige. Die sieben entwandelten Müllersöhne – alle im erwachsenen Alter von siebzehn bis dreiundzwanzig Jahren – betrachteten freudig ihre menschliche Gestalt und fielen sich erleichtert in die Arme.

„Ah, der Fluch ist gebrochen!“ sagte Sabryn, „ich habe meine Brüder wiedergefunden!“

„Teufelswerk!“ schrie Dame Hagnessa.

Da sprangen die vier ältesten Brüder in die Menge und ergriffen einen rothaarigen Knaben von dreizehn und die Dame Hagnessa und schoben beide zum Richtplatz hinauf.

Geralt hatte derweil seine Henkerskapuze abgezogen und das Mädchen vom Richtblock befreit. Ihr Mann Hubwald war hinauf geeilt und hielt das zitternde Mädchen im Arm.

Hauptmann Joule befahl seiner Gendarmerie dem drohenden Tumult entgegen zu wirken. Vogt Richtweih war aufgebracht aufgesprungen und brüllte vom Balkon herunter: „Was ist da los! Erklärt euch!“

„Ihr habt gehört“, wiederholte Edelward, der älteste Müllersohn, und richtete seine Worte dabei an den rothaarigen Knaben und die Schwiegermutter. „Erklärt euch!“

Aus dem rothaarigen Bengel sprudelten die Worte nur so heraus. „Diese Dame hat mich angeworben. Ich sollte ihr immer wieder Schmuck aus den reichen Anwesen klauen. Sie hat mich gut bezahlt.“

„Du verlogener kleiner Rotzbengel!“ geiferte die ehrenwerte Dame Hagnessa.

„Mutter, du! Aber warum?“

„Gebt es endlich zu“, wandte Geralt mit funkelndem Blick zu. „Ihr habt verspielt, meine Dame!“

„Diese Hexe hat mir meinen Sohn weggenommen“, fauchte die Matrone. „Vom ersten Tag an habe ich sie gehasst. Sie war mir ein Gräuel.“

„Sie stiftete mich dazu an“, meinte der rothaarige Dieb. „Ich brauchte das Geld, denn irgendwie musste ich mich und meine kranke Mutter ja ernähren.“

„Schlag den beiden die Hände ab!“ brüllte jemand aus der Menge.

„Ruhe!“ versuchte Hauptmann Joule Weiden die aufgebrachten Bewohner zu beruhigen.

„RUHE!“ grollte Geralt von Riva und schickte eine magische Welle über die Köpfe der Menschen. Die gehorchten unvermittelt. „Niemandem wird die Hand abgehakt. Die fehlbeschuldigte Dame Sabryn soll selbst das Urteil über diese Frau und diesen Jungen fällen.“

„Ich danke euch, Henk... Herr.“ Die junge Frau löste sich aus der Umarmung ihres Mannes und trat nach vorne zu ihren Brüdern, dem kleinen Dieb und ihrer Schwiegermutter. „Ich hege keinen Groll gegen diese beiden, oder diejenigen die mich sonst noch fälschlich beschuldigt haben. Ich bin über froh, dass der Fluch der sieben Jahre vorbei ist und ich meine Brüder zurück habe. Ich will nicht über sie richten.“

„Und ich habe keine Mutter mehr“, meinte der Kaufmann zu der Matrone.

„Ungesühnt darf dieses Vergehen nicht bleiben“, sprach der Vogt vom Balkon herab und legte seine ganze Autorität in die Stimme. „Solche intriganten Personen wollen wir in unserer Mitte nicht dulden, darum werden diese beiden Individuen aus unserer Gemeinschaft verbannt. Jagt sie aus unserer Stadt!“

Hauptmann Joule stieß unmittelbar danach die ältere Dame und den Rotschopf vom Richtplatz in die Menge. Hagnessa und ihr kleiner Dieb mussten einen Spießrutenlauf durch die schubsende Menge bis zur Stadtgrenze über sich erdulden. Sie stolperten geschlagen aus der Stadt. Nichts war ihnen geblieben, außer dem eigenen Hass und die kollegiale Demütigung. Noch eine Weile schubsten sie sich gegenseitig, wütend aufeinander, während sie einsam der Straße folgten.

Am gleichen Nachmittag noch kündigte Geralt die Henkersstelle, auch weil der eigentliche Henker Herman plötzlich unerwartet gesundete.

„Du erhältst für deine unerledigte Arbeit natürlich keinen Lohn“, meinte der Vogt, als Geralt ihm die Vollmacht zerriss.

So etwas war er gewohnt, darum stampfte er wortlos aus dem Stadthalterhaus. Zudem hatte er einen stattlichen Beutel Münzen vom Kaufmann Hubwald Engerling erhalten, der es ihm dankte, dass Geralt ihm seine geliebte Frau Sabryn von einem Fluch erlöst hatte. Erst hatte er das Geld von den beiden gar nicht annehmen wollen, doch sie hatten darauf bestanden.

Die Brüder wollten erst mal zur Mühle zurück kehren, der trauernden Mutter wegen. Und dann stand den sieben jungen Männern die ganze Welt offen.

Geralt selbst schwang sich auf seine Stute und ritt anderntags fort von Feldwaldingen. Eine kleine Sache wollte er noch erledigen, um diese ganze Angelegenheit zum endgültigen Abschluss zu bringen.

VI

In Mühlbachstadt hatte Geralt von Riva schnell erfahren, wo er die Person, die er suchte, finden würde. Schnell fand er den Weg zu der einsamen Hütte im Wald und zügelte Plötze. Er schwang sich aus dem Sattel und seine Hand ruhte auf dem Griff seines Silberschwertes, aber er ließ die Waffe noch in der Scheide stecken.

„Alesandretta“, rief er. „Komm raus!“ Die Sonne stand tief hinter ihm und warf lange Schatten. Auch sein narbiges junges Gesicht lag im Schatten, nur die mutiert-fahlen Augen leuchteten kalt.

Die Tür der Hütte öffnete sich und ein altes Weib trat heraus. „Willkommen mein Herr. Was ist dein Begehr?“ krächze die Vettel, blieb aber im sicheren Abstand zum Hexer stehen und fixierte ihn mit kühlem, wissenden Blick.

Geralt erkannte in der gebrechlich-wirkenden krummen Gestalt sofort die wahre Natur des Wesens. Er hatte vor sich eine Trollfrau und Zauberin.

„Du bist die kleinste und hässlichste Trollfrau, die mir je begegnet ist“, meinte er.

„Man tut was man kann. Was willst du – Hexer?“ Das letzte Wort schleuderte sie ihm wie ein Giftstachel entgegen. „Ich habe nie einem Menschen was zuleide getan.“

„Was ist mit den sieben Müllersöhnen und deren Schwesterlein Sabryn?!“

„Ja, was ist mit ihnen?“ tat die Vettel unwissend.

„Der Fluch ist gebannt worden. Die Rabenbrüder haben ihre menschliche Gestalt zurück.“

„Ich hab nichts damit zu tun.“

„Du hast den Müller dazu verleitet seine Söhne in Särge zu sperren. Hast du das Mädchen zuvor verflucht?“

„Ach, das! Ich bin dabei betrogen worden!“ Aus den Fingerspitzen der Alten sprühten gelbe Blitze und trafen Geralt unerwartet in die Brust.

Der weißhaarige Hexer taumelte getroffen zurück, fing sich und zog noch im gleichen Moment sein silbernes Schwert. Seine Stute wieherte erschrocken auf und trabte einige Schritte fort. Geralt rannte der Vettel nach, die an der Hütte vorbei in den Wald verschwunden war.

Zweige knackten und wiesen ihm die Richtung. Eine weitere Blitzsalve flog dem Hexer entgegen, die er mit dem Schwert abwehren konnte. Er beschleunigte und holte die krumme Gestalt schnell ein und bekam sie am Kleidkragen zu fassen.

„Lass mich in Ruhe!“ geiferte das faltige Bündel. „Ich hab nichts getan!“ Blitze knisterten aus ihren klauenartigen Fingern hervor.

„Warum wehrst du dich dann so?!“ Geralts Schwertspitze lag am Hals der Vettel, die ihre Gegenwehr daraufhin aufgab. „Ich kann dir nicht so recht glauben, du stinkst nach Lüge.“

„Ah, hab Erbarmen mit einer alten, hungrigen Frau!“ bettelte Alesandretta. „Erbarmen, Herr!“ Und ein Beschwichtigungszauber zischte aus ihren faltigen Mund.

Tatsächlich lockerte sich Geralts Griff unmerklich und er senkte das Schwert, doch dann schüttelte er den Zauber von sich.

Diese zwei Sekunden Zögern reichten der Trollzauberin aus, um sich aus seinem Griff zu befreien. Doch sie floh nicht, sondern ging zum ultimativen Angriff über. Ihre erst gebrechliche Gestalt mutierte zu einer zähnefletschenden hässlichen Kreatur, die sich mit scharfen Klauen und weitem Maul auf den Hexer stürzte. Ihr Ziel, die Kehle des weißhaarigen Mannes.

Die Reflexe des trainierten Hexers waren übernatürlich. Mit dem linken Arm wehrte er das geifernde Maul der Bestie ab und rammte ihr das Silberschwert in die magere Brust. Alesandretta starb, in seinem Arm verbissen, zwei Herzschläge später. Er schüttelte den Kadaver ab und untersuchte den Arm. Die Nietenmanschette hatte die Zähne abwehren können, aber durch den Handschuh waren einige scharfe Zähne gedrungen und hatten ihn verletzt. „Verdammt!“ Obwohl die drei Wundmale nur klein waren, brannten sie wie Feuer. Trollsabber war giftig.

„Plötze, komm her mein Pferdchen.“

Er zog sich den Handschuh aus und griff nach dem Holzkasten am Sattel und holte daraus zwei Elixiere. Eines trank er, ein anderes träufelte er auf die Einstiche. Sofort hörte das Brennen auf.

Der Kadaver der Vettel lag in ihrer Hütte, die lichterloh brannte. Das beste Grab für eine Trollzauberin war das Feuer.

Geralt von Riva schwang sich in den Sattel und ritt – ohne noch ein einziges Mal zurück zu sehen – den Waldweg entlang.

Wieder einmal hatte er die Menschheit von einem bösen Wesen befreit. Das war seine Aufgabe als Hexer, dazu war er ausgebildet und verwandelt worden, um es mit jeder Art von Ungeheuer aufnehmen zu können. Aber diese Bestimmung machte ihn verdammt einsam und ruhelos.

Ende

II - Rabentod

Auf einem Baum drei Raben stolz

Oh weh oh weh oh Leid oh weh

Auf einem Baum drei Raben stolz

Sie waren so schwarz wie Ebenholz

Der eine sprach: Gefährte mein

Wo soll die nächste Mahlzeit sein

In jenem Grund auf grünem Feld

Ruht unter seinem Schild ein Held

Seine Hunde liegen auch nicht fern

Sie halten wacht bei ihrem Herrn

Seine Falken kreisen auf dem Plan

Kein Vogel wagt es ihm zu nahen

Da kam zu ihm ein zartes Reh

Ach das ich meinen Liebsten seh

Sie hebt sein Haupt von Blut so rot

Der Liebste den sie küsst war tot

Sie gräbt sein Grab beim Morgenrot

Am Abend war sie selber tot

Oh großer Gott uns allen gib

Solch Falken solche Hund solch Lieb

Rabenballade (Schelmish)

Niemand hatte den jungen Ritter davor gewarnt, was dann über ihn herfallen würde. Die einfachen Leute eines kleinen Bauerndorfes hatten den Ritter auf seinem stolzen braunen Ross in Begleitung zweier schlanker hellen Hunde, angehalten und um seine Hilfe gebeten. Sie appellierten an seine tugendhafte Ritterlichkeit und baten ihn, sie von dem Ungeheuer zu befreien, das sie immer wieder heimsuchte und schon fünf männliche Kinder, eine Frau und drei junge Männer das Leben gekostet hatte.

Sie beschrieben ihm den Weg. „Dort hinter dem Waldstück auf einem Hügel steht ein knorriger uralter Baum, dort sitzt das Ungeheuer. Von dort tötet es.“

Der namenlose, edle Ritter trabte alsbald durch den Wald und sah schon von weitem den Hügel mit dem markanten, knorrig-alten Baum, der kaum noch Blattwerk trug.

Mutig ritt er auf den Hügel zu. Dort stand der Baum und auf einem kahlen Ast saßen drei große Raben. Ungerührt beobachteten sie die Ankunft des Ritters. Weit und breit war niemand anderes zu entdecken.

Plötzlich knurrten die beiden schlanken Jagdhunde, als eine zierliche Gestalt hinter dem Baumstamm, wo sie sich wohl versteckt hatte, hervortrat. Die Hunde, die vorausgeeilt waren, beugten freudig ihre Brust und wedelten mit den Ruten. Ein Naturwesen, eine Nymphe stand vor ihnen und streichelte ihnen die Köpfe. Ein hübsches Nymphenwesen mit grünen Haaren und blasser Haut. Sie trug ein zartes Gespinst aus beige-transparenter Seide, wie durchscheinendes Spinnengewebe, das ihren weiblich-vollkommenen Jungfrauenkörper nur unzureichend bedeckte. Ihre zarten bloßen Füßchen tanzten anmutig über das saftige Gras.

„Mädchen, gib dich fort von hier“, rief der junge Ritter und zügelte sein Ross wenige Meter vor der hübschen jungen Frau. „Hier soll sich ein blutrünstiges Ungeheuer herumtreiben. Du bist hier in arger Gefahr!“

„Ein Ungeheuer?“ Die Stimme der blass-grünen Nymphe war wie das Rauschen eines Wildwasserbaches – kristallklar und kalt. „Du bist in Gefahr.“ Sie lachte auf und drehte sich im Kreis.

Vom Blutgeruch vertrieben galoppierte das reiterlose braune Ross über die Hügel. Ihm entgegen kam ein einsamer Reiter. Er setzte dem Tier nach, bekam die Zügel zu fassen und stoppte das verängstigte Ritterpferd.

„Hoh! Ruhig mein Hübscher, “ schnurrte der kräftige Kerl auf der braunen Stute. Seine Hand auf den Nüstern des fremden Pferdes haltend, beruhigte es schnell. Eingehend betrachtete der weißhaarige Kämpfer, der ein wertvolles Silberschwert auf den Rücken geschnallt trug, das edle Tier. Der hochwangige Sattel, an dem ein großes Schild hing, der breite Brustgurt und das bunte Zaumzeug zeigten ritterliche Abzeichen.

„Wo ist dein tugendhafter Herr abgeblieben?“ fragte sich Geralt von Riva und sein scharfer Blick folgte den Weg, den das panische Ross genommen hatte. Weit hinten gewahrte er auf einem Hügel einen seltsamen knorrig-alten Baum, darunter lag etwas ...jemand.

„Komm Plötze, sehen wir mal nach, was da los ist.“

Als sich der weißhaarige Hexer dem Hügel näherte sprangen ihm zwei bellende Hunde entgegen. Mit seiner Rechten formte er das Zauberzeichen Axii und die Hunde verstummten gelähmt und fielen schlafend zu Boden.

Mit scharfem Blick sog er die Szenerie unter dem Baum in sich ein. Der Ritter saß gegen den Stamm gelehnt in seinem eigenen Blut. Über ihn gebeugt eine zarte, grünhaarige Nymphenfrau, die sich in dem Moment erhob und umdrehte, als Geralt vom Baum nur noch fünf Meter entfernt war. Er schluckte einen Fluch herunter, als er das viele Blut sah, das die aufgerissene Kehle des jungen Ritters entströmte und das von den rosigen Lippen des fast nackten Mädchens rann. Nein, das Wesen vor ihm konnte keine Nymphe sein, trank sie doch Blut wie ein Vampir!

Noch während der Hexer aus dem Sattel sprang griff er nach dem silbernen Schwert an seinem Rücken und hielt es bereits in der Hand, als seine Füße auf dem Boden aufkamen.

Das Mädchen wischte sich das verräterische Blut von den Lippen und wiegte ihren vollkommenen Jungfrauenkörper aufreizend im Takt eines lautlosen Liedes. Die bereits tiefstehende Sonne erfasste ihren Leib und sie bot ihm ihre Reize schamlos dar. Sie schwebte von dem Leichnam weg, blieb aber auf Distanz zu dem Mann mit dem Schwert.

„Bitte tu mir nichts“, stammelte sie und fiel vor ihm auf die Knie.

Mit einem schnellen Satz war Geralt bei ihr und vergrub seine Linke in ihre wilde grüne Haarmähne. Die Schwertklinge in der Rechten drückte gegen den Hals des Mädchens. Wunderschön und unschuldig wirkend wie eine Waldnymphe und doch so gefährlich und blutrünstig wie ein Vampir – was für ein Zwitterwesen hatte er da vor sich?

„Wer – was bist du?“

„Ich weiß es nicht, edler Herr“, säuselte die Schöne wie ein Wildbach.

Sie stöhnte unter seinem Griff, hob ihre Brüste vor, schob ihr rundes Becken näher an ihn heran. Eine Hitzewelle durchströmte seinen gestählten Leib und seine Lenden zuckten. Sie legte ihm ihre Hände auf die Hüften, drückte ihre Finger näher an seinen Schritt heran.

Sein Wolfsamulett ruckte an der Kette am Hals und sein Hexerinstinkt brachte ihn schließlich wieder zur kühlen Vernunft. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken herunter und er löste sich von dem Nymphenwesen, ohne ihren Kopf loszulassen oder die Klinge von der Kehle zu nehmen. „Lass deine Finger bei dir!“ knurrte der weiße Wolf, wie er oft auch genannt wurde.

„Wer bist du?“ fragte Geralt erneut.

Sie wann sich unter ihm, versuchte seinem Griff, seiner Klinge zu entweichen und ritzte sich dabei selbst an der magischen Silberklinge. Sie schrie auf, als das Schwert ihr eine rauchende Wunde ins Dekolleté schnitt. Kraftlos sank sie in seinem Griff zusammen, da ließ der Hexer sie los. Ein Schluchzen ging durch ihren Körper und sie krabbelte auf allen Vieren von ihm fort. Ihr praller Hintern lud den Mann zu einer intimen, dreckigen Fantasie ein – aber Geralt schüttelte den unpassenden Gedanken fort.

Er folgte der Nymphe und stoppte sie schließlich mit der Klinkenspitze, die er ihr erneut gegen die Kehle gedrückte. Wie ein räudiger Hund schaute sie ihn tränendurchströmt an. Er hatte dann doch Mitleid mit ihr und zog sein Schwert zur Seite.

„Als ich erwachte, “ begann sie zu erzählen, „kannte ich weder Mutter noch Vater. Aber da war ein Mann, er sagte, er hätte mich erschaffen. Doch woraus erschaffen?“ Sie blickte mit tränennassen Augen hinüber zu des Ritters blutigen Leichnam. „Wozu erschaffen? Das sagte er mir nicht. Und in mir brannte ein unstillbarer Hunger nach Blut.“

Sie kauerte vor Geralt, starrte auf ihre blutbefleckten Hände. „Ich bin aus seinem Schloss geflohen – oder er hat mich fortgejagt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts über mich. Ich kenne nur diesen Hunger. Dieses unstillbare Verlangen in mir.“

Sie hielt ihm ihren Arm hin. „Dies ist das Zeichen meines Schöpfers, dies brannte er mir ein.“

Der Mann umfasste ihre Hand und betrachtete das Brandmal am Handgelenk. Es ähnelte einer Sanduhr – oder einer liegenden Acht, Symbol für die Unendlichkeit. Aber Geralt kannte niemanden der dieses Symbol sein Eigen nannte. Aber es musste sich zumindest um einen Alchemisten oder Zauberer handeln, wenn er Mutationen hervorbrachte.

Das Nymphen-Vampir-Wesen schwieg, schaute einige Zeit traurig vor sich auf den Boden. Geralt stand über ihr, dachte nach, was er mit ihr tun sollte. Da nahm sie ihm diese Entscheidung ab.

Ohne Vorwarnung sprang das Mädchen ihn an die Kehle, grub tief ihre Klauenfinger in seinen Nacken und versuchte ihre langen Fangzähne in seine Kehle zu schlagen. Mit bloßen Fäusten wehrte er sie ab, riss ihr an den Haaren den Kopf nach hinten, um so ihren scharfen Vampirzähnen zu entgehen. Zwei mutierte Wesen kämpfen engumschlungen miteinander.

Mit aller Kraft hielt er den Kopf der Vampirin von seinem Hals weg. Sie hatte ihre schlanken Beine um seine Hüften geschlungen und hielt sich so an ihm fest. Ihre klauenbewehrten Finger kratzten ihn durchs Gesicht. Sie roch sein Blut und entwickelte Berserkerkräfte. Immer näher kamen ihre Fänge seinen Adern am Hals, die dick hervortraten. Ihre Beine drückten ihm die Luft aus den Lungen, ganz kurz ließ er nach, da spürte er ihren Biss am Hals.

Der Schmerz entwickelte in ihm neue Kräfte. Mit Entsetzen hörte er ihr schmatzendes Geräusch und wie sie sein Blut schluckte.

Unerwartet ließ sie ihn plötzlich los, schüttelte sich vor Krämpfen und wand sich am Boden vor Schmerzen. Sie spuckte sein giftiges Blut aus und würgte und wälzte sich unkontrolliert am Boden.

„Ich schmeck dir wohl nicht, Vampir!“ knurrte Geralt, zog sein Silberschwert und stieß die Klinge in den jungfräulichen Leib der vampirischen Nymphenfrau. „Wenn ich mich vorstellen darf. Ich bin Geralt von Riva. Ich bin Hexer und geschaffen worden, um Ungeheuer zu töten.“ Tief trieb er das Schwert aus purem Silber in sie hinein und pfählte sie. Um die Wunde knisterte ein vernichtendes Feuer, das die vampirischen Anteile des Mischwesens auflösten. Zurück blieb nur ein Häufchen Asche.

Die Sonne schickte sich an schlafen zu gehen. Der weißhaarige einsame Kämpfer ritt auf seiner braunen Stute den Hügel hinab auf ein Waldstück zu, dahinter wusste er ein Bauerndorf, wo er sicher ein Quartier für die Nacht finden konnte. Er führte ein edles Ross am Zügel und zwei helle Hunde folgten ihm. Alle drei Tiere würde er versuchen dort zu verkaufen.

Die drei Raben, die dem ganzen bewegungslos und lautlos zugesehen hatten, verließen nun ihren Platz auf dem dürren Ast und ließen sich auf dem noch frischen Leichnam des Ritters nieder. Eine leckere Mahlzeit erwartete sie...

Ende

III - Varulfen

Die Jungfrau sollte nach Hause gehen

Die Linde rauscht am Hain

Sie nahm den Weg durch den dunklen Wald

Denn sie war von der Lust getrieben.