Single Mom Supper Club - Jacinta Nandi - E-Book

Single Mom Supper Club E-Book

Jacinta Nandi

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Beschreibung

Zwei Britinnen, zwei Deutsche, viermal alleinerziehend und ein großer Kulturclash: Kayla, Tamara, Antje und Nana sind befreundete Mütter, die einander ebenso scharfzüngig kritisieren und bedingungslos unterstützen. In bissig-humorvoll erzählten Episoden folgen wir den Frauen und ihren Kindern durch ihren Alltag, von Kindergeburtstag mit Kokain im Familienbadezimmer bis zum Elternabend mit Crush auf den neuen Klassenlehrer: Britin und Wahl-Berlinerin Nandi erzählt in ihrem ersten Roman von einem Leben unter Deutschen, von den bürokratischen Hürden für Alleinerziehende – und vom Trost, den man an den unmöglichsten Orten findet. Jacinta Nandis Roman Single Mom Supper Club liest sich wie Working Moms meets Fleabag: very british, very zeitgeisty, sehr politisch und sehr, sehr lustig.

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Seitenzahl: 365

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jacinta Nandi

Single Mom Supper Club

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

Drei Engländerinnen, eine Deutsche, viermal alleinerziehend: Kayla, Tamara, Antje und Lina sind befreundete Mütter, die einander ebenso scharfzüngig kritisieren wie bedingungslos unterstützen. Als ihr monatlicher Supper Club durch die Momfluencerinnen-Cocaine-Moms-Clique infiltriert wird, führt der Generationenclash zu Chaos. In bissig-humorvoll erzählten Episoden folgen wir den Frauen und ihren Kindern durch ihren Alltag, vom Kindergeburtstag mit Kokain im Familienbadezimmer bis zum Elternabend mit Crush auf den neuen Klassenlehrer: Britin und Wahl-Berlinerin Nandi erzählt in ihrem neuen Roman von einem Leben unter Deutschen, von bürokratischen Hürden für Alleinerziehende, von Generationskonflikten unter Müttern, von Klasse und Herkunft, von Verrat – und vom Trost, den man an den unmöglichsten Orten findet.

 

Jacinta Nandis Roman Single Mom Supper Club liest sich wie Workin’ Moms meets Fleabag: very British, very zeitgeisty, sehr politisch und sehr, sehr lustig. 

Vita

Jacinta Nandi, 1980 in Ostlondon geboren, ist Tochter eines britischen Inders und einer leidenschaftlichen nordenglischen Kommunistin und Feministin. Im Jahr 2000 kam sie nach Berlin, um Deutsch zu lernen. Dort ist sie geblieben, TEFL-Lehrerin, alleinerziehende Mama und letzten Endes auch: Autorin geworden. Sie war Mitglied der legendären Berliner Lesebühne «Die Surfpoeten» und schrieb u.a. für den Exberliner, die taz und das Missy Magazine, gründete das PoC-Künstler:innen-Kollektiv «Parallelgesellschaft» und ist Kolumnistin des «Familientrios» der Süddeutschen Zeitung. Sie hat zwei Söhne und wohnt in Berlin-Lichtenrade.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Coverabbildung Juan Moyano/Stocksy/Adobe Stock

ISBN 978-3-644-02146-4

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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Hinweise des Verlags

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Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

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www.rowohlt.de

Die Single Moms

Die normalen Mütter:

ANTJE: Antje ist Berlinerin, 41 Jahre alt, alleinerziehende Mutter eines Sohnes, Flynn. Sie arbeitet als Deutschlehrerin und Job-Coach für Arbeitsuchende. Der Single Mom Supper Club war ihre Idee.

 

TAMARA: Tamara, Antjes Nachbarin und beste Freundin, ist Britin und auch alleinerziehende Mutter, aber von drei Kindern. Sie hat die Zwillinge Charlie und Anna und Piper (der ein bisschen komisch ist). Tamara schreibt ein Buch über «post separation legal abuse», ein Buch, das vielleicht nie richtig fertig wird.

 

KAYLA: Kayla, ebenfalls Britin, ist Kellnerin, Putzfrau und «Mädchen für alles». Fast vierzig und oft ziemlich k.o., aber ihre Teenie-Tochter Lucia macht alles perfekt (meistens zumindest).

 

SAD-LINA: Niemand kann sich daran erinnern, warum und seit wann sie Lina «Sad-Lina» nennen. Die britische Übersetzerin mit indischen Wurzeln hat einen neunjährigen Sohn, Georgie, und ist nicht wirklich alleinerziehend. Doch sie lebt in einer toxischen Beziehung. Wenn sie ihn nicht bald verlässt, wird sie ihn vielleicht ermorden müssen.

Die Cocaine Moms:

LEXI: Lexi, Ende zwanzig, leitet die «Prosecco-Coaching-Sessions», ist «Money-Mindset-Manifestations»-Trainerin und ganz und gar Girl-Boss. Sie liebt Bali und Ibiza, aber auch ihre Datsche am Rand von Berlin. Sie hasst das Wort «alleinerziehend» und glaubt an das Gute im Menschen. Sie hat eine kleine Tochter, Clara-Sophie.

 

NANA: Nana hat etwas Königliches an sich. Sobald die anderen jungen Cocaine Moms in Panik geraten, wird sie ganz ruhig und entspannt. Nana hat die Dinge im Griff. Sie hat zwei kleine Kinder, Liza-Lu und Paul.

 

SASCHA: Saschas Kind heißt Milo. Sascha mag es nicht so gerne, wenn andere Menschen hässlich sind. Und sie will Millionärin sein, bevor sie ihren 35. Geburtstag feiert.

 

TUGBA: Tugba ist immer freundlich, immer fröhlich und sieht das Beste in allen. Sie hat einen kleinen Sohn namens Maximilian.

Die Kinder:

FLYNN: ist super

CHARLIE: ist super

ANNA: ist super

PIPER: ist super

LUCIA: ist super

GEORGIE: ist super

CLARA-SOPHIE: ist super

MILO: ist super

LIZA-LU: ist super

PAUL: ist super

MAXIMILIAN: ist super

Die Kinder sind alle super, wer Kinder hasst, ist selbst schuld.

Die Männer:

HERR MÜLLER: Zunächst nur Lucias Klassenlehrer. Er findet den Kommunismus bescheuert, Ostdeutschland aber trotzdem toll.

 

RUBEN: Tamaras Loser-Bruder, der zu viele Drogen nimmt.

 

DER VERTICKER: Kaylas Nachbar, der nett und nutzlos ist.

 

DER BETRÜGER: Der eigentlich Jonas heißt und im Biomarkt einkaufen geht.

 

JOCHEN: Ein sehr unglücklicher Mann. Er ist nicht Georgies leiblicher Vater. Er arbeitet als Firmenberater, und absolut niemand kann sich vorstellen, was das genau bedeuten soll.

Sich Kümmern Müssen

Antje steht vor der Badezimmertür und flüstert Tamara wütend zu: «Wie lange braucht er denn noch?!»

Tamara schaut Antje unschuldig an. «Ich habe ihm gesagt, er kann sich so viel Zeit nehmen, wie er will.»

«Ich fass es einfach nicht, dass du eine obdachlose Person zu meinem Supper Club mitgebracht hast, Tamara. Das geht nicht. Manchmal denke ich, du nimmst den Supper Club überhaupt nicht ernst.»

Tamara, betrunken wie ein Seemann in einem Kinderzeichentrickfilm, schaut sie überrascht an. Sie ist wirklich sehr betrunken. Und hat Schluckauf. Sie schwankt umher wie eine zerfledderte Fahne im Wind. Tamara ist viel zu betrunken, um beleidigt zu sein.

Sie guckt ihre Freundin überrascht an.

«Woher weißt du, dass er ein Penner ist?», fragt sie.

«Tamara, man nennt die Obdachlosen nicht mehr ‹Penner›.»

Tamara flüstert: «Er hat eigentlich eine Wohnung, Antje. Oder zumindest einen Keller in Neukölln, in dem er schlafen darf. Er hat nur seine Schlüssel verloren.»

Tamara, zierlich und klein, erinnert mit ihren kurzen widerspenstigen Locken, ihrer blassen Porzellanhaut, dem großen Kopf und dem zarten Körper immer ein wenig an ein verlassenes Kind aus einem 1960er-Jahre-Film, einen Taschendieb oder einen rußverschmierten Schornsteinfeger. Vielleicht erklärt das ihre besondere Affinität zu Menschen ohne festen Wohnsitz. Antje dagegen hat die Ausstrahlung einer Projektmanagerin oder einer Jobcenter-Mitarbeiterin, in anderen Worten: gar keine.

Zwei andere Frauen kommen aus dem Wohnzimmer.

«Soll ich Tamara zur Couch bringen?», fragt Kayla höflich. Die Frau, die unsicher hinter ihr steht, wird von allen nur «Sad-Lina» genannt. Kayla sieht aus wie das Gegenteil von Tamara: solide. Gar nichts ist porzellanen an ihr. Sie erinnert an einen Baum, der schon sehr lange im Wald steht und nach der Sonne wachsen will. Niemand ist beim ersten Treffen sicher, welche Ethnizität Kayla hat. Manche denken, sie sei Schwarz, manche denken mixed-race, manche sagen höflich «ethnically ambiguous», es gibt sogar Menschen, die sie für weiß halten. Und viele in Berlin sagen: «Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, ich sehe dich nur als Mensch.»

Tamara setzt sich auf den niedrigen Schuhschrank im Flur. Sie wackelt sogar beim Sitzen. Es ist der typische Flur einer typischen Alleinerziehenden: auf dem Boden ein Schulranzen, ein Schlitten, Schneehosen, Regenhosen, eine Kiste voller alter Bücher, die weggebracht werden müssten, Gummistiefel. Kayla, Antje und Sad-Lina schauen Tamara an. Wird sie gleich herunterfallen?

«Es ist echt peinlich», sagt Antje, «wenn man über vierzig ist und so betrunken ist wie ein …»

Antje zögert, sie weiß nicht, welches Wort sie benutzen soll.

«Lord», schlägt Kayla vor.

«Herr», sagt Sad-Lina.

«Alkoholiker», schließt Antje.

Kayla und Sad-Lina versuchen, Tamara zurück ins Wohnzimmer zu bugsieren. Sie wiegt bestimmt nur 35 Kilo, denkt Kayla, sie müssen langsam gehen, sie laufen mit ihr wie Krankenschwestern mit einer alten Oma, sie müssen vorsichtig sein, sodass Tamara nicht über die Sachen, die in Antjes Flur gelagert sind, stolpert. «Ich glaube, so betrunken, wie Tamara gerade ist, so betrunken können Alkoholiker nicht mehr werden. Deswegen trinken sie immer weiter, oder? Immer mehr und immer weiter. Sie wollen etwas verlieren, etwas vergessen, aber sie schaffen es einfach nicht. Tam weiß gerade kaum noch, wer sie ist.»

«Ich bin Tamara Greenway», sagt Tamara, träumerisch, unschuldig.

«Du sollst Alkoholiker:innen sagen!», ruft Antje. «Ihr Ausländer gendert nie richtig, deswegen vergesse ich es selbst auch immer, weil ich so viel mit euch rumhänge. Alkoholiker. INNEN.»

Antje bleibt vor der Badezimmertür stehen wie eine Wache.

«Ich bleibe hier, um zu kontrollieren, dass diese obdachlose Person nichts aus meiner Wohnung klaut», sagt sie.

«Okay!», ruft Kayla.

«Es ist echt peinlich, dass sie so betrunken ist!», ruft Antje.

«Jaahaaa», ruft Sad-Lina.

«Es gehört sich einfach nicht, zu einer Abendessensverabredung total besoffen und in Begleitung mit einer obdachlosen Person zwei Stunden zu spät zu erscheinen!», krakeelt Antje.

«Jaaaaaaa!», rufen die zwei Frauen im Chor, während sie Tamara auf die Couch legen.

«In Deutschland zumindest!», ruft Antje.

«In England auch nicht!», ruft Kayla zurück.

Antje starrt ihre Badezimmertür an. Wann wird er fertig sein, dieser Obdachlose? Sie hofft, dass er sich kein Heroin spritzt, aber das glaubt sie nicht, denn sie kann die Dusche immer noch hören. Sie hat eine sehr gute Dusche, sie wird ihm gefallen. Bestimmt sind die Duschen im Obdachlosenheim total kalt und schlecht, denkt sie.

Sie starrt die Tür an und sagt laut genug, sodass die anderen Mütter in ihrem Wohnzimmer es hören können, jedoch nicht so laut, dass sie es tatsächlich gut verstehen:

«Dann werde ich mit diesem Obdachlosen wohl schlafen müssen. Wir wissen alle, dass er deswegen hier ist. Wenn Tamara nicht kann, dann werde ich mich eben um ihn kümmern.»

Sie ruft den anderen Mamas zu: «Schläft Tamara schon?»

Sie rufen wieder im Chor zurück: «Jaaa!»

Antje streichelt das Holz der Tür.

«Ich werde mich darum kümmern», sagt sie sich. «So wie immer. Ich muss mich immer um alles kümmern.»

Und dann seufzt sie.

Muttermilch

«Es müsste eigentlich relativ leicht sein, bei einem Vaterschaftstest zu schummeln», sagt Lexi, eine der fünf jungen, hübschen Momfluencerinnen, die Tamara zum Spielplatzdate eingeladen hat.

«Echt?», fragt Tamara. «Wieso?»

Small Talk unter Alleinerziehenden ist immer ein bisschen interessanter als unter verheirateten Müttern: gewalttätige Ex-Männer, neue Liebesbeziehungen, Fälschungen von Vaterschaftstests. Bei verheirateten Müttern geht es fast immer nur darum, dass man klagen will, weil man das Kind nicht zu der Schule im Einzugsgebiet schicken möchte, und darum, dass der Ehemann scheiße ist.

«Ja, total», sagt die hübsche junge Mama. «Man müsste doch eigentlich nur im Wartezimmer dem Mann direkt vor dem Test einen Blowjob anbieten, und dann gehst du dein Baby wickeln. Beim Wickeln spuckst du das …»

«Das was?»

Lexi flüstert: «Sperma …»

Tamara sagt irritiert, angewidert: «Okay?»

Lexi redet weiter: «… des Mannes in den Mund des Babys. Und dann, wenn die Ärzte kommen, mit ihren Stäbchen und so, um die DNA in den Wangen des Babys zu testen … Sperma ist eigentlich dasselbe wie DNA, weißt du. Das ist eigentlich dasselbe.» Tamara guckt sich die junge Frau, die gerade vom Gespräch abgelenkt wird, weil ihr Kind eine Reiswaffel braucht, genau an: ihre roten Haare, «natürlich» geschminkt (Männer würden glauben, dass sie ungeschminkt ist), gesunde, leicht gebräunte Haut. Und so, so, jung. So fucking jung. Tamara fühlt sich sehr alt, wenn sie diese Mama anschaut.

Tamara glaubt, sie hätte, wenn sie diese Frau auf der Straße gesehen hätte, trotz teurerem Kinderwagen und der passenden teuren Prada-Sonnenbrille und Prada-Handtasche dazu, nicht eine Sekunde lang daran gedacht, dass sie Mutter sein könnte. Sie hätte sie auch nicht als eine Teenie-Mama eingestuft, wegen dem Prada. Aber vielleicht als eine Babysitterin. So ein rich kid aus Zehlendorf, das für ein bisschen Taschengeld babysittet. Jemand mit Pferden im Stall am Stadtrand. Sie sieht so jung aus, aber auch so reich und gesund und glücklich. So gesund, wie nur reiche Teenagerinnen aus Zehlendorf sein dürfen. Zu gesund, um eine Teenie-Mama zu sein. Zu viele Zähne im Mund.

«Wie alt bist du eigentlich?», fragt Tamara Lexi.

«Fast dreißig», sagt Lexi, die ihr Kind hastig fotografiert beim Waffelnrunterschlucken.

«Fast dreißig», sagt Tamara. «Fast erwachsen. Mit dreißig ist man wirklich ein echter Mensch.»

Und ab vierzig ist eigentlich alles vorbei, fügt sie heimlich hinzu.

In Tamaras Heimat England sagt man manchmal: Du weißt, dass du alt wirst, wenn dir auffällt, wie jung die ganzen Bullen aussehen. Tamara bemerkt die jungen Polizisten schon ab und zu – merkt vor allem, wie hart die Berliner Bullen geworden sind, oft haben sie kalte Augen wie Soldaten. Sie brüllen herum, als würden sie denken, dass sie in einem Hollywoodfilm mitspielen. Früher waren sie dicker und sanfter, jetzt sind sie alle ein kleines bisschen scary. Aber sie glaubt, dass für Alleinerziehende über vierzig die jung aussehenden Bullen nicht so entscheidend sind. Es sind die Frauenärzte und Spielplatzmütter, die zu jung aussehen. Neulich war sie bei einem Frauenarzt, der wie ein Fötus aussah. Was soll das? Sie lief ins Untersuchungszimmer, sah ihn an, kleiner Fötus auf dem Stuhl, und ohne etwas zu sagen, lief sie wieder heraus, nickte der Frau an der Rezeption höflich zu und rannte schnell aus der Praxis, die Treppen runter, raus auf die Straße.

Tamara ist alt geworden: Sie möchte ihre ausgeleierte Muschi keinem Fötus-Gynäkologen zeigen müssen, und Spielplatzmütter, die unter fünfunddreißig sind, sehen für sie aus wie Teenager.

«Ich glaube, ein Haken bei deinem Plan ist, dass ein Mann, der bereit ist, einen Blowjob im Vaterschaftstestwartezimmer zu bekommen, vielleicht nicht drauf bestehen wird, den Vaterschaftstest überhaupt zu machen, oder?», sagt Tamara höflich.

«Total leicht zu verfälschen!», sagt Lexi bloß, die Tamara nicht wirklich zuhört, und seufzt zufrieden.

«Ja», sagt Tamara.

«Ich sage nicht, dass man das machen soll», erklärt sie. «Ich sage nur, dass das eine Option ist.»

«Ich werde darüber nachdenken», sagt Tamara ernst. «Falls ich mich jemals in so einer Situation wiederfinde.»

«Wahrscheinlich ist es leichter», sagt eine der anderen jungen Mütter, Tugba, nachdenklich, «dem Wissenschaftler im Labor, also dem Typ, der den Test macht, auch einen zu blasen, und dann überredest du ihn, das falsche Kästchen anzukreuzen. Denn das Problem ist, glaube ich: Babys werden den Geschmack» – eine höfliche Pause entsteht – «nicht mögen.»

«Ja. Das klingt echt nach einem guten Plan», sagt Tamara tonlos. «Es gibt aber auch Wissenschaftlerinnen, manchmal zumindest.» Sie guckt kurz weg, um zu kontrollieren, dass ihr jüngster Sohn Piper noch am Leben ist.

«Wäre es eigentlich Kindesmissbrauch, Sperma in den Mund eines Babys zu spucken?», fragt eine dritte Mutter nachdenklich.

«Wahrscheinlich?»

«Ja, aber wenn der eine Millionär ist und der echte Papa arbeitslos oder so?», ruft die erste Mama trotzig.

«Würdest du es tun?», fragt Tamara lächelnd. «Würdest du das wirklich in den Mund deines Babys spucken?»

«Ich würde es niemals, niemals tun!», sagt die erste Mama.

«Ach so», sagt Tamara.

«Aber ich verstehe nicht, warum mehr Menschen es nicht tun», sagt sie. «Als ich im Wartezimmer auf den Vaterschaftstest warten musste, dachte ich die ganze Zeit: Warum spucken eigentlich nicht mehr Frauen die Spermien von Millionären in die Münder ihrer Babys?»

«In Amerika kann man Vaterschaftstests bei Rossmann kaufen», sagt eine der anderen Mamas.

«Gibt’s Rossmann in Amerika?», fragt Tamara.

«Ja, heißt CVS oder so.»

«Und du kannst da nicht abtreiben», sagt die vierte Mutter in der Gruppe, die bisher noch gar nicht gesprochen hat. «Vaterschaftstests sind in dem Drogeriemarkt erhältlich, aber Abtreibungen beim Frauenarzt nicht möglich. Es ist im Grunde genommen illegal, dass eine Frau fremdgeht.»

«Die armen Amerikanerinnen!», sagt die erste und seufzt wehmütig.

Tamara schaut sich jetzt die vier jungen Mamas genauer an, die sie zum Spielplatzdate am Dreiländereck – Kreuzberg, Neukölln, Treptow – eingeladen hat.

Zwei weiße Frauen, Lexi und Sascha, eine Schwarze, die Nana heißt, und eine Deutschtürkin. Tugba.

Alle sportlich verkleidet, sportlich und glamourös. Die Blonde, Sascha, hat ein Baseballcap auf und große Ohrringe an. Nana, die Schwarze, hat die längsten Nägel, die Tamara je gesehen hat, an einer Mama zumindest. Lang und fake und quadratisch und hart. Tugba ist die Einzige, die keine Turnschuhe anhat, sondern hohe Heels, mit denen man auf eine Hochzeit gehen könnte. Oder zur Bachelorette-Party davor.

Tamara weiß, dass Sascha, die irgendwie trashiger ist als Lexi, mal Kandidatin bei GNTM gewesen ist. Mehr Schminke, mehr Schmuck. Mehr Trash. Lexi, die denkt, dass es leicht wäre, bei einem Vaterschaftstest zu schummeln, sieht sanfter aus als die anderen: Mit ihren roten Haaren sieht sie aus wie eine dieser deutschen Moms, die Workshops anbieten, wie man die deutschen Schulpflichtgesetze umgehen kann, um sich ein Jahr Homeoffice auf Bali zu leisten. Und es ist kein Zufall, dass sie so aussieht – denn genau so eine Bali-Homeoffice-Mama ist sie auch. Lexis Kind kommt kurz zu ihr, und Lexi gibt ihr eine Kirsche und macht schnell ein Foto. Lexis Kind ist ein zweijähriges dickes perfektes Clownfisch-Kind, langsam, glücklich und rund, ein bisschen tollpatschig und natürlich komplett in Beige gekleidet.

Jetzt guckt sich Tamara Nana an: dünn und groß, sehr groß, sehr dünn, Schwarz, oder vielleicht mixed-race? Wahrscheinlich mixed-race. Eigentlich ist sie hübscher als die anderen drei Frauen, denkt Tamara, sie hat etwas Königliches in den Augen. Man denkt nicht an Heidi Klum, wenn man sie anschaut. Sie ist viel zu schön für GNTM. Sie gehört in eine andere Welt als in die Welt, in der Heidi Klum Königin geworden ist.

Und Tugba. Sie hat lockiges schwarzes Haar, das nicht zu ihren dünnen Wangen und ihren großen Kulleraugen passt, rote Lippen – so rot wie ein Londoner Bus – und eine Botox-Stirn. Sie ist eigentlich ein bisschen zu dünn. Quite an achievement, really, denkt Tamara. Und sie lächelt zu viel, denkt Tamara. Lächelt zu viel und sieht dabei immer angestrengt aus.

Trotz dieses übertriebenen Glamours – oder genau deswegen – sehen die vier Mamas aus wie Teenies. Wie unschuldige Kinder. Mit Kindern.

Wenn sie ihre Kinder anfassen, sehen sie unschuldig aus; aber auch ein bisschen wie eine Werbung für Abtreibungen. Bairns w. bairns, Kinder mit Kindern, würden die Schotten sagen. Warum habt ihr nicht abgetrieben, liest sie wie Untertitel immer in ihrem Kopf, wenn sie die vier mit ihren Kindern anschaut. Ihr hättet abtreiben sollen. Wie wär’s mit einer kleinen Abtreibung, soll eine Stimme im Hintergrund immer aus dem Off sagen, während sie ihre Kinder mit Bioreiswaffeln und klein geschnittenen Weintrauben versorgen.

Tamara will sie alle umarmen und dann in eine Zeitmaschine verfrachten und heimlich eine Abtreibungspille in ihre Cornflakes mischen.

Tamara entfernt sich ein bisschen von der Gruppe, guckt nach ihren drei Kindern, Anna, Charlie und Piper, danach starrt sie Schwäne im Kanal an. Haben Schwäne Patchworkfamilien, so wie wir, gibt es bei denen Deadbeat-Dads und glamouröse Mamas, die wie laufende Werbungen für Abtreibungen aussehen? Oder leben sie wie Homo heidelbergensis in Gruppen zusammen?

Sie erinnert sich daran, wie es dazu gekommen ist, dass sie in Berlin lebt und sich mit diesen fancy Baby-Mamas verabredet hat.

Tamara ist eine dieser Britinnen, die dem UK wegen der politischen Lage im Land – UKIP, Tories, schlechte Infrastruktur – entfliehen wollten. Eine von denen, die sich für Berlin entschieden haben wegen der relativ billigen Miete. Sie ist zwei Jahre vor dem Brexit-Referendum nach Berlin gekommen, hat sich eine Wohnung in Tempelhof gemietet und sich dafür beglückwünscht, dass die Kitaplätze und Mietkosten in Berlin tatsächlich so billig waren wie erhofft und die Parks so sauber und die Krankenversicherung so gut.

Aber die Wahrheit ist: Tamara ist nicht ganz wie die anderen Eltern, die gekommen sind, um den Brexit und die Tories zu vermeiden. Klar, sie lehnte ab, wofür UKIP und der Brexit stehen, und sie wollte in einem Land leben, in dem alles funktionierte und Angela Merkel so souverän herumgirlbosste. Aber bei ihr war die Politik eigentlich eine Ausrede, ein Alibi. Sie wollte im Grunde genommen nur ihrem Junkie-Ex Pavel entkommen. Es war alles erstaunlich easy dank eines Relocation-Scouts: Ihre Wohnung in Notting Hill konnte sie untervermieten, ihre Arbeit als Familienanwältin kündigen, um dann mit einem ganz okayen Vorschuss von einem sehr großen britischen Verlag nach Tempelhof zu ziehen und ein Sachbuch zum Thema Trennungsgewalt zu schreiben.

Leider gelingt ihr das Schreiben des Buches nicht so gut wie das des Exposés (was aus ihr gerutscht ist wie die unkomplizierte Geburt eines dreizehnten Kindes). Danach hat die Pandemie mit den ganzen Lockdowns und Nicht-Lockdowns, die Realität der Kindererziehung in einem neuen, fremden Land ihren Alltag erschwert – ihre mentale Gesundheit geschädigt, bla, bla, bla, – und das Schreiben auf keinen Fall beschleunigt. Eigentlich hätte sie in der Pandemie anstelle einer Buch-Deadline gerne einfach noch mal zwei Jahre Elternzeit gehabt, sagt sie oft, sich selbst und auch zu anderen. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob das die Wahrheit ist.

Das Buch wäre jetzt schon fertig, denkt sie, wenn Piper normaler wäre. Piper. Ihr jüngstes Kind. Er ist kein pflegeleichtes Kind. Na ja, welches Kind ist wirklich pflegeleicht. Nur Kinder anderer Mütter können pflegeleicht sein! Aber Piper ist echt der Horror, manchmal. Nein, nein, korrigiert sie sich im Kopf: Manchmal ist er fast normal. Tamaras ältere zwei Kinder sind im Vergleich zum fast normalen Piper ziemlich pflegeleicht. Zwillinge, die schon in der Schule sind, Charlie und Anna. Neun, aber eigentlich neunzehn. Anna zwanzig Minuten älter – und man merkt es jeden Tag aufs Neue. Womit Tamara nicht gerechnet hatte: Irgendwann entschied ihr nutzloser Ex, auch nach Berlin zu ziehen. Das war etwas, das sie nie erwartet hatte. Irgendwie dachte sie, er würde für immer in London bleiben. Wahrscheinlich ist es dumm von ihr gewesen, einem polnischen Ex entkommen zu wollen, indem sie nach Berlin zieht. Aber sie war, wie die meisten Brit:innen, so ignorant, wenn es um europäische Geografie ging, dass sie, bis sie nach Berlin zog, gar nicht wusste, dass man Polen von hier aus innerhalb von zwei Stunden erreichen kann. Jetzt ist er hier, ihr nutzloser polnischer Ex, Pavel, und Tamara und die Kinder gar nicht so frei, wie sie es sich gewünscht hatte.

Als Tamara in Berlin ankam, wurde sie in verschiedenen Facebook-Gruppen für englischsprachige Alleinerziehende aktiv: «Single Moms Berlin», «Amazing Single Moms Berlin», «Single Moms Alone Together in Berlin». In einer dieser Gruppen lernte sie die Frauen kennen, darunter Kayla und Antje, die inzwischen ihre besten Freundinnen sind.

Kayla, Antje und sie sind alle um die vierzig. Kayla ist tatsächlich brillant: witzig, schüchtern, charmant, mit einem scharfen Humor, der sich erst zeigt, wenn man sie näher kennt. Sie ist Mutter einer Teenagerin, Lucia, und erinnert ein wenig an Miss Rabbit aus Peppa Pig – immer beschäftigt mit drei oder vier verschiedenen Jobs, die sich ständig ändern. Mal putzt sie für ältere Männer, mal arbeitet sie in Cafés, oft babysittet sie, und manchmal passt sie auf Hunde auf. Ihre Tanzausbildung in Großbritannien wird in Deutschland nicht anerkannt. Und Antje ist überzeugt, dass Kayla nicht alle ihre Jobs anmeldet.

Antje Gerlach ist, nun ja, ein wenig schrecklich. Wirklich schrecklich. Eine Frau, bei der man sich bei jedem Treffen fragt, warum man überhaupt mit ihr befreundet ist. Sie stammt aus Köpenick, hat keine deutschen Freundinnen und arbeitet als Deutschlehrerin und Karriereberaterin für Langzeitarbeitslose. Aber nachdem sie in die Nähe gezogen ist – so nah, dass sie sich vom Balkon aus zuwinken können –, ist sie ein fester Bestandteil von Tamaras Leben geworden. Tamara braucht Antje. Sie braucht sie zum Babysitten, für Anrufe beim Klempner, zum Übersetzen von Nachzahlungsbescheiden. Tamara nutzt sie aus. Sie muss sie ausnutzen, weil sie Antje wirklich braucht.

Über die Facebook-Gruppen für englischsprachige alleinerziehende Mütter in Berlin hat Tamara von Lexi und den «Cocaine Moms» erfahren (so nennen Antje, Kayla und Tamara sie heimlich). Lexi ist die berühmteste von den jungen Cocaine Moms. Sie nennt sich selbst «Single Mom» – niemals würde sie «alleinerziehend» sagen, niemals. – Sie ist «Money-Mindset-Manifestations-Trainerin», «Single-Mom-Coach» und, natürlich, Bali-Mom. Sie scheint sehr reich und sehr glücklich zu sein.

Tamara ist skeptisch gegenüber dem Begriff «Ruhm», aber diese vier Mütter, Nana, Lexi, Tugba und Sascha, sind fraglos Berlins Instagram-Royalty. Nana hat 100000 Follower – und jeden Tag werden es mehr. Sascha, eine Prinzessin, oder vielleicht eher: Dame, hat 75000 Follower, nur Tugba ist mit ihren 30000 streng genommen noch im Anfängerbereich. Heute Vormittag ist Tamara aus irgendeinem mysteriösen Grund von Lexi zu dieser Spielplatzverabredung über den Insta-Chat eingeladen worden. Sie sagte sofort Ja. Und nach der Kita kam sie mit ihren Kindern nach Kreuzberg, um diese Frauen auch einmal live zu erleben.

Tamara muss als freiberufliche alleinerziehende Autorin, die noch kein Buch veröffentlicht hat, ständig die Fragen beantworten: Lebst du davon, kannst du davon leben, wovon leben Sie eigentlich, kann man davon leben. Wenn sie jedes Mal einen Euro bekommen würde, wenn sie das gefragt wird, könnte sie tatsächlich davon leben. Neulich sagte sogar die Erzieherin von Piper zu ihr: «Aber davon leben Sie nicht wirklich, oder? Vom Schreiben? Sie leben eigentlich von Bürgergeld, oder?» Tamara hasst diese Frage, sie hasst es, weil sie nicht wirklich davon lebt, sondern von der Miete aus Notting Hill und sich dafür schämt – und sie hasst auch den Teil von ihr, der stolz darauf ist, dass sie mehr oder weniger davon leben kann. Ist das nicht snobistisch, elitär, von der Miete anderer leben zu wollen? Leider will sie genau diese Frage den vier jungen Mamas jetzt stellen. Wovon lebt ihr, lebt ihr wirklich davon, lebt ihr von dem Influencerinnen-Dasein?

Sascha, Lexi, Tugba und Nana sind für Tamara ein totales Mysterium. Tamara versteht nicht, wie genau sie ihr Leben finanzieren – ihre Reisen nach Mallorca, Ibiza, Bali, ihre Schönheits-OPs und Chanel-Handtaschen. Ist es wirklich so profitabel, viele Follower auf Insta zu haben? Es muss so sein. Es muss wirklich so sein – obwohl Kayla glaubt, dass sie heimlich verticken, und Antje glaubt, dass sie alle heimlich Sexarbeiterinnen sind.

Nachts, wenn Piper schläft, aber sie bei ihm liegen muss, weil er sonst Angst kriegt, schaut sie sich stundenlang die Insta-Reels von den vieren an, lautlos, und fühlt sich dabei wie eine schlechte Feministin. Wovon lebt ihr, und warum habt ihr nicht abgetrieben, denkt sie sich dann im Dunkeln.

Tamara guckt zurück zu den Mamas und sieht, dass ihre Zwillinge sie suchen.

«Piper hat Durst», sagt Anna, als ob sie petzen würde.

«Wir wollen ihm eine Cola kaufen», sagt Charlie.

«Und uns ein Eis», sagt Anna.

«Will Piper auch ein Eis?», fragt Tamara.

Anna zuckt mit den Schultern. Piper spielt konzentriert, er gräbt und sollte dabei nicht gestört werden, und Tamara erlaubt ihren ältesten Kindern, Eis und ein Getränk zu holen, aber keine Coca-Cola für Piper, nur Apfelschorle.

Sie dreht sich wieder zu den Müttern auf dem Spielplatz und sieht, wie Tugba mit ihrem dreijährigen Kind, Maximilian, ein paar Selfies macht. Lebt sie wirklich davon? Tamara kann es einfach nicht glauben.

Tamara weiß, dass diese Babys, die die jungen Baby-Mütter doch nicht abgetrieben haben, teilweise reiche Väter haben. Aber so reich? Wie reich ist ein reicher Kindsvater? Wie viel zahlt ein reicher Mann? Tamara selbst hat keine Ahnung, sie hat von Pavel, dem Junkie-Ex-Vater ihrer Kinder, nie einen Pfennig gesehen.

«Wahrscheinlich fragst du dich, warum wir uns mit dir treffen wollten. Also, die Sache ist die. Wir wollen, dass du zu unserem Single Mom Supper Club kommst», sagt Sascha jetzt. Sie klingt wie eine Chefin im Vorstellungsgespräch, die mit dem Small Talk fertig ist und über das Gehalt sprechen will.

«Single Mom Supper Club», sagt nun auch Lexi.

«Wir kochen richtig gute Sachen», erklärt Nana. «Unser Supper Club ist der beste in Berlin.»

«Wir kochen wirklich voll gute Sachen», sagt Sascha. «Manchmal Gourmet, manchmal traditionell. Manchmal so ironisches Fast Food. Aber das Niveau ist wirklich immer sehr, sehr hoch.»

«Aber deine Freundin, diese schreckliche Antje, die darf nicht kommen», sagt Lexi.

«Wir mögen sie nicht», erklärt Sascha.

«Die hat voll die komischen Vibes», sagt Lexi. «Wir haben sie mal beim Single-Moms-Picknick kennengelernt.»

«Ich mag ihr Gesicht nicht», sagt Sascha. «Ich mag nicht, wie ihr Gesicht ausschaut.» Sie zeigt mit kreisenden Bewegungen auf ihr eigenes Gesicht, um Tamara klar zu zeigen, was das Problem ist.

«Aber die dicke Engländerin, deine beste Freundin, die darf kommen», sagt Nana großzügig.

«Die Schwarze», sagt Lexi.

«Kennt ihr euch?», fragt Tamara, etwas überrascht.

«Ich habe sie einmal in Berghain gesehen», lächelt Nana.

«Kayla», sagt Sascha. «Deine Freundin Kayla darf kommen. Die ist megasympathisch. Die hat ein nettes Gesicht.»

«Ist sie Schwarz?», fragt Nana.

«Darf man das fragen?», fragt Tamara zurück. Wenn man das fragen darf, dann frage ich dich gleich, ob du mixed-race bist oder Schwarz, denkt sie.

«Ich glaube, ich darf das», sagt Nana und lächelt. Tamara nickt. Jetzt weiß sie, dass sie nicht fragen darf.

«Sie ist mixed-race», sagt Tamara. «Kayla. Adoptiert von Weißen.»

Hätte sie das mit der Adoption eigentlich sagen dürfen, denkt sie. Wahrscheinlich nicht, oder?

«Oh wie süß!», sagt Tugba. «Adoptiert von Weißen! Wenn ich weiß wäre, würde ich auch ein Schwarzes Baby adoptieren. Sie darf auf jeden Fall kommen! Kayla, die dicke Schwarze Engländerin, darf kommen.»

Lexi guckt hoch, ihr Blick ist nicht mehr so indifferent.

«Eigentlich ist das mein Supper Club», sagt sie stolz.

«Ach so», sagt Tamara.

Charlie und Anna kommen zurück mit Eis und einer Apfelschorle für Piper.

«Darf ich ein bisschen Eis abessen?», fragt Tamara Charlie, als sie merkt, was für ein leckeres Eis er sich ausgesucht hat.

«Nein», sagt er.

Sie guckt ihn genervt an und sagt: «Aber ich gab dir das Geschenk des Lebens, Charlie! Ich will nur einen kleinen Bissen von deinem Eis. Bitte?»

«Du sollst ihn nicht so manipulieren, Mama», sagt Anna missbilligend. «Das ist Manipulation. Das ist unfair von dir gerade.»

«Ja, und vielleicht wollte ich dieses Geschenk nicht. Vielleicht wollte ich gar nicht geboren werden», sagt Charlie. Tamara rollt mit den Augen. Nichts nervt mehr, als wenn dein neunjähriges Kind mit dem Selbstmord flirtet.

«PIPER!», schreit sie. «KOMM! APFELSCHORLE!»

Aber Piper kommt nicht. Piper gräbt weiter. Stattdessen kommen die kleinen Kinder alle angerannt. My Apfelschorle brings all the babies to this side of the playground, denkt Tamara. Tugbas dreijähriges Kind Maximilian kommt angelaufen. Der deutscheste Name ever für ihren superdeutsch aussehenden Sohn. Passt doch. Lexis zweijährige Tochter, hübsch und dick, Clara-Sophie. Saschas zweijähriger Sohn, Milo. Nanas Kinder: ein dreijähriges Mädchen, Liza-Lu, ein fünfjähriger Junge, Paul.

Die jungen Mamas haben nicht vor, ihren Kindern Apfelschorle zu geben. Die Mamas haben, wie alle perfekten deutschen Mütter, alle Trinkflaschen dabei, aber da sie Instagram-Royalty sind, haben sie große Stanley-Cups für sich und die älteren Kinder und kleine teure Trinkflaschen für die Kinder, die fast noch Babys sind. Kinderkleidung in Beige ist die Uniform für Influencer-Kids, und diese großen Stanley-Cups gehören zum Outfit eben auch dazu, denkt Tamara. Die Mamas füttern ihre Kinder wie Vogelmütter: Die Kinder kriegen Wasser, Biokekse, Weintrauben, die klein geschnitten sind, Reiswaffeln, Gurken, Banane. Wenn sie ausgetrunken haben, watscheln sie weg, um zu spielen. Piper kommt immer noch nicht.

Als die Kinder wieder weg sind, steht Tamara auf und redet mit den jüngeren Mamas, als wäre sie ihre Schuldirektorin.

«Ich fühle mich sehr geschmeichelt, danke. Aber. Ich habe schon einen Single Mom Supper Club.»

Die Mamas protestieren. Man darf bei zwei Supper Clubs Mitglied sein! Es ist ja nur einmal pro Monat! Und ihr Supper Club ist viel besser! Ein einziger Supper Club reicht doch nicht für jemanden, der gerne kocht!

«Nein», sagt Tamara sehr streng. «Ich kann NICHT mitmachen bei irgendwelchen neuen Single-Mom-Aktivitäten», sagt sie. «Keine neuen Supper Clubs, Book Clubs, Babysitting-Circles, nichts mehr. Ich muss mein Buch fertig schreiben. Und ich kann Antje – obwohl sie schrecklich ist – und ihren Supper Club nicht verlassen. Ich, ich, ich … Ich bin in Antjes Supper Club tief verstrickt.»

«Kann man das, was Antje da organisiert, überhaupt Supper Club nennen?», fragt Tugba.

«Was kocht die immer so?», fragt Nana.

«Wahrscheinlich Kohlrabi», sagt Sascha gemein.

«Kohl», sagt Nana, noch gemeiner.

«Bei uns ist der Kochstandard wirklich hoch», sagt Lexi. «Wir sind ambitionierte Clubber. Wir nehmen das ernst.»

«Wir machen immer ein Thema und wir nutzen immer» – Sascha atmet tief aus – «die BESTEN Zutaten! Die allerbesten! Wir machen nicht einfach so Jamie Oliver nach. Wir meinen es ernst.»

«Jetzt weiß ich, dass ich nicht zu euch wechseln kann», sagt Tamara. «Jamie Oliver ist für mich hohe Kochkunst.»

«Wir haben bei unserem Supper Club immer Koks dabei», flüstert Lexi.

Tamara ist ein bisschen schockiert.

«IMMER?», fragt sie. «Immer? Nicht nur, wenn es Gründe gibt zu feiern?»

«Ist so verdauungsfördernd, oder?», sagt Sascha fröhlich.

«Ich kann nicht zu euch wechseln», sagt Tamara. «Okay. Ich komme zu euch, aber ich bringe Antjes Supper Club mit.»

«Wir könnten die Supper Clubs zusammentun», sagt Lexi nachdenklich.

«Entweder ich komme mit Kayla und den anderen, oder ich komme gar nicht. Das ist mein letztes Angebot.»

«Lass die schreckliche Antje doch bei uns Mitglied werden», sagt Lexi zu Sascha.

«Die ist aber wirklich so schrecklich», sagt Sascha.

Die Frauen fangen jetzt an, Geschichten miteinander auszutauschen, in denen Antje besonders schrecklich war. Tamara hört zu und ist überrascht, dass sie sich doch so oft live gesehen haben. Jede neue Geschichte ist schlimmer als die davor. Einmal habe sie bei einem Single-Mom-Picknick gesagt, dass wenn Kinder an ihren Augen ziehen, um «Schlitz»-Augen zu machen, dass das Redefreiheit wäre. Oder Kunstfreiheit. Irgendeine Freiheit jedenfalls. In Gegenwart einer Vietnamesin! Und einmal habe sie einer Frau gesagt, deren Ex wollte, dass sie abtreibt, dass sie keinen Unterhalt verlangen sollte. Mitten im Legoland Discovery Centre! Wer sagt so etwas im Legoland Discovery Centre?! Und einmal, nach einer Pyjamaparty, habe sie ein Kleidungsstück, das bei ihr gelassen worden ist, UNGEWASCHEN zurückgegeben.

«Wenn wir sie dabeihaben, wird sie nach dem Supper Club die Sachen, die sie mitgebracht hat, wieder einpacken und mit nach Hause nehmen. Und das ist wirklich nicht unser Vibe, Tamara. Du passt voll in unseren Supper Club, obwohl du so …» Sascha zögert höflich.

«Alt bin?», sagt Tamara fragend.

Sascha nickt höflich.

«Alt bist.»

«Die schreckliche Antje ist wirklich so krass schrecklich», sagt Nana. «Sie hat die Persönlichkeit einer verheirateten Frau.»

«Die in Spandau lebt.»

«So schlechte Vibes, immer wenn ich sie sehe, will ich mich sofort umbringen.»

«Warum ist sie eigentlich so schrecklich?», fragt Nana. «Was ist ihr passiert?»

Tamara zuckt mit den Schultern.

«Ihr Kind ist ganz nett», sagt Sascha. «Flynn, oder?»

«Ich glaube, sie ist schwanger geworden von dem ersten Mann, mit dem sie je gef… gevögelt hat», sagt Nana. «Ich habe gehört, dass die schreckliche Antje ihrem Kind immer Flaschenmilch gegeben hat», fügt sie hinzu.

Nanas Aussage löst großes missbilligendes Gemurmel aus. Flaschenmilch! Nicht gestillt! Keine Muttermilch gegeben! Warum sie nicht direkt abgetrieben habe, wenn sie nicht bereit war zu stillen, schimpft eine.

«Ich denke, diese Frauen, die nicht stillen wollen, sollen ihre Babys beim Jugendamt abgeben», sagt Nana. Ihre großen Augen werden noch größer, als sie das sagt, so groß und rund wie ihre Ohrringe.

«Ich habe immer gestillt», sagt Sascha. «Jedes Mal ein Jahr. Ein ganzes Jahr lang», sagt sie. «Es war ganz leicht, nicht zu koksen oder zu trinken in der Zeit. Weil ich meine Kinder liebe.»

«Ein Jahr ist das Mindeste!», sagt Tugba empört.

«Diese Frauen stillen nicht, weil die Titten dadurch kaputtgehen, aber das Geld, das man bei der Flaschenmilch spart, das kann man ja in eine Brust-OP investieren.»

Tamara ist ein bisschen überrascht von der Verachtung von Flaschenmilch. Sie selbst ist nicht so überzeugt von den speziellen Kräften von Muttermilch. Sie hat Piper viel länger gestillt als die Zwillinge, und er ist komischer geworden als die zwei. Wo ist er gerade, denkt sie, guckt kurz nach ihm, denn sie hat ihn eine Weile nicht gesehen. Vielleicht liebe ich ihn einfach mehr als die Zwillinge, denkt sie und unterdrückt den Gedanken schnell. Er braucht einfach mehr Aufmerksamkeit, sagt sie sich, Piper ist ein Jahr länger in der Kita geblieben, weil er so komisch ist. Nicht komisch, korrigiert sie sich. Anders. Ach, das klingt eigentlich schlimmer, oder. Er braucht so oft Hilfe – die Zwillinge brauchen fast nie Hilfe. Piper ist anstrengend, denn er ist ein Kind, das immer Hilfe braucht. Bei jeder Aktivität braucht er mehr Hilfe als andere Kinder. Mehr Hilfe, mehr Geduld, mehr Aufmerksamkeit. Außer wenn er, wie gerade eben, eben keine Hilfe braucht: Dann ist er verschwunden, und zwar komplett verschwunden, und man hat seine Ruhe.

Sie beobachtet ihn, er scheint beschäftigt zu sein mit dem Herumgraben. Total konzentriert buddelt er ein großes Loch, ignoriert all die anderen Kinder um ihn herum, macht keinen Ärger, streitet sich nicht, kriegt keine Wutanfälle. Vielleicht wird er bald normal sein, denkt sie. Manchmal kommt er ihr fast normal vor.

Tamara widmet ihre Aufmerksamkeit wieder den jungen Insta-Moms:

«Angeblich ist das okay mit dem Alkohol und dem Stillen», sagt Tamara. «Angeblich ist es okay zu trinken, wenn du stillst, der Alkohol geht nicht wirklich über in die Milch. Beim Koks weiß ich’s nicht.»

Lexi schnieft, dreht den Kopf, wirft ihre roten Haare elegant auf die Seite.

«Ich habe manchmal gekokst, als ich gestillt habe», sagt sie leise. Schnieft wieder. Indifferent. Oder sogar stolz. Oder eine Mischung.

«Lexi!», rufen die anderen Mamas empört.

«Das darf man nicht!»

«Dann wächst das Kind nicht richtig!»

«Dann wird dein Kind drogenabhängig!»

«Ich habe einfach abgepumpt und dann die abgepumpte Milch weggeschmissen», sagt Lexi ruhig. «Ich meine, COME ON, das ist besser, als FLASCHENMILCH zu geben.»

Tamara sieht, wie Piper mit einem anderen Kind spricht. Ihr Körper versteinert, sie ist bereit reinzuspringen. Aber das Kind geht weiter, und Piper gräbt wieder.

«Ich glaube», sagt sie, «dass es Leute gibt, die denken, dass Flaschenmilch besser ist als Koksmuttermilch.»

«Aber bestimmt keine Ärzte», sagt Lexi überheblich.

«Die Menschen, die so etwas sagen würden, die verstehen nicht, was Muttermilch überhaupt ist», erklärt Nana. «Natürlich soll man nicht koksen, wenn man stillt. Aber wenn man wegen einmal Koksen abstillt …»

«Das ist unverantwortlich», sagt Lexi streng.

«Die meisten Menschen verstehen überhaupt nicht, was Muttermilch ist», sagt Tugba.

«Muttermilch ist voll mit Vitaminen», sagt Lexi.

«Und voll mit deinen guten Bakterien», sagt Sascha.

«Dein ganzes Immunsystem steckt darin», sagt Nana.

Jetzt trinken sie alle gleichzeitig aus ihren Stanley-Cups, es könnte synchronisiert sein, denkt Tamara. Diese vier Mamas, sie könnten Aliens sein, die gerade erst gelandet sind und die Gestalten von Mütter-Influencerinnen übernommen haben, als Kostüm, um nicht aufzufallen. Insgeheim fühlt sie sich aber doch sehr geschmeichelt, dass diese jungen Mamas, die ihr wirklich so komisch, so fremd sind, dass sie sie für Aliens hält, sie rekrutieren wollen für ihren coolen, anspruchsvollen Supper Club. So muss sich ein Fußballer fühlen, wenn Manchester United am Wochenende mitten in der Sommerpause anruft, um dich für die neue Saison zu rekrutieren.

«Ich komme zu eurem Supper Club», sagt sie nun entschlossen. «Aber ich bringe Antje und Kayla mit. Und wir kochen, was wir wollen, auch Jamie Oliver, auch Kohlrabi. Aber ich komme gerne, wenn ihr wollt. Ich habe nur keine Kapazitäten für zwei Supper Clubs.»

«Okay», sagt Lexi. «Ihr kommt alle zu uns. Aber ich sage dir jetzt schon: Wir geben der schrecklichen Antje kein Koks ab!»

«Und ich esse keine Kohlrabisuppe», sagt Nana.

«Und vergesst nicht: keine Männer erlaubt», sagt Lexi.

«Cismänner», ergänzt Nana.

«Keine Cismänner erlaubt», sagt Sascha.

«Okay», sagt Tamara.

«Eine nicht binäre Person, die Kinder hat, darf kommen.»

«Und Jungs sind erlaubt», sagt Nana. «Nur Cismänner nicht.»

«Kinder sind immer willkommen, wir warten immer, bis sie schlafen, bevor wir koksen», sagt Sascha.

«Aber wenn du eine Babysitterin findest, ist das auch okay.»

«Ich hoffe, dass es okay für Antje sein wird, dass wir so gut kochen», sagt Nana voller Mitgefühl. «Wir kochen wirklich richtig gut. Ich hoffe, sie schämt sich nicht, wenn sie den Unterschied bemerkt.»

Plötzlich erscheint Nanas Tochter: ihr Gesicht voll mit Blut und Matsch, Zweigen in den Haaren und Erbrochenes auf dem beigefarbenen Overall.

«Kaputt Digga», sagt sie, und während die anderen Mamas verzweifelt versuchen zu interpretieren, was das bedeuten soll, fällt Tamara auf, dass sie Piper nicht mehr sehen kann.

«Anna!», bellt sie. «Hast du deinen Bruder gesehen?»

«Piper hat gesagt, er will nach Hause gehen», sagt Anna. Tamara sucht den ganzen Spielplatz ab, jedes Klettergerüst, jeden Zentimeter des Geländes, jeden Busch. Sie schickt die Zwillinge zum Späti. Kein Piper. Er ist verschwunden. Komplett verschwunden. Wo ist er bloß? «Sollen wir noch einmal zum Späti, Mama?», fragt Anna. Tamara läuft zum Kanal, die Menschen hätten es bemerkt, wenn er sich in den Kanal geschmissen hätte, oder? Sie sieht, wie eine Ente versucht, sich aus einer Plastiktüte zu befreien. Anna und Charlie kommen vom Späti zurück, ohne Piper, und Tamara wird langsam verzweifelt. «Lass uns die Polizei rufen, Mama!», ruft Charlie begeistert. Er ist noch wirklich nicht acab geworden, denkt Tamara. Sie ist kurz davor, die anderen Mamas in ihre Suchaktion zu involvieren, als sie an dem Loch, an dem Piper gegraben hat, vorbeiläuft. Sie guckt hinein – und da sitzt er drin. Ganz unten. War er da die ganze Zeit? Warum hat sie nicht sofort dort hineingeguckt? Wie hat er so ein großes und tiefes Loch graben können? Es ist das größte Loch, das ein Kind im Spielplatzsand hätte graben können. Eigentlich ist es eine Höhle. Er sitzt nicht drin, sondern steht, und ein Kind sitzt unter ihm. Ein Kleinkind. Und Piper pinkelt auf seinen Fuß.

«PIPER!», ruft sie panisch.

«WARUM MACHST DU SO WAS?»

Er guckt hoch aus dem Loch und lächelt freundlich. «Er wollte nicht, dass ich auf seine Hand pinkle, Mama.»

Sie holt die zwei Kinder schnell und panisch heraus, bringt das Pinkelopfer zum großen Wasserhahn, wäscht ihm den Fuß sorgfältig ab. «Wo ist deine Mama?», fragt sie hektisch. «Renn schnell zu ihr, wir müssen nach Hause.» Sie wird dieser Spielplatzmutter nicht Bescheid geben. Was soll sie sagen? Entschuldigung, mein Kind hat gerade auf den Fuß Ihres Kindes gepinkelt, das tut mir so leid, manchmal ist er komisch, aber ich habe Ihrem Kind den Fuß abgewaschen, ciao. Sie holt schnell Anna und Charlie, packt ihre Sachen zusammen und hetzt alle ihre drei Kinder raus aus dem Park, ab nach Hause.

«Ich möchte auf der Bank sitzen und meine Apfelschorle genießen», sagt Piper, leise, schüchtern, aber entschlossen. Tamara ist eigentlich die einzige Person auf der Welt, die ihn richtig verstehen kann, weil er so leise vor sich hin murmelt und weil sie an seine Art zu sprechen gewöhnt ist. Anna und Charlie verstehen ihn ganz gut, aber nur Tamara ganz und gar. Die eine Erzieherin – es war die Frau, die davon ausging, dass Tamara mit Sozialhilfe aufstockt – hat sich verweigert, einen Sprachtest für die Grundschule zu machen, weil er so leise und so wenig spricht. Sie hat einfach auf dem Formular hingeschrieben: KANN ES NICHT BEURTEILEN, WEIL PIPER NIE REDET. Tamara guckt ihn an und sagt leise, dass sie jetzt wirklich losmüssen und er die Apfelschorle trinken soll, während sie laufen. «Ich hätte dir Coca-Cola gekauft», sagt Anna. «Coca-Cola ist ungesund», sagt Tamara. «Warum verkaufen sie das, wenn sie wissen, dass es ungesund ist, Mama?», fragt Piper ehrlich interessiert. Tamara nimmt ihm die Apfelschorle ab, steckt sie in ihre große Handtasche, küsst Piper auf die Wange. Vielleicht liebt sie ihn am meisten, denkt sie, nein, denkt sie, er braucht mich am meisten. Sie will ihn überall küssen oder vielleicht lecken, wie Dumbos Mutter ihn abgeleckt hat, trotz der riesigen Ohren, ihren fast normalen Jungen, der jeden Tag normaler wird. Sie will seine Ängste – oder wenn sie ehrlich ist: das Seltsame an ihm – weglecken von seiner Haut, mit einer großen nassen Elefantenmamazunge.

«Wir hauen ab», flüstert sie Lexi zu, während alle Mamas damit beschäftigt sind, Nanas Kind zu untersuchen. «Ist die Kleine okay?»

«Ja, total, sieht nur schrecklich aus. Ist hingefallen. Ich freue mich so sehr, dass du jetzt bei uns dabei bist, Tamara. Bei unserem Supper Club. Und vergiss bitte nicht, dass wir anspruchsvoll kochen!», sagt Lexi. «SEHR ANSPRUCHSVOLL UND KEINE CISMÄNNER ERLAUBT!», ruft Lexi ihr hinterher, als sie mit den Kindern raus aus dem Park zum U-Bahnhof rennt. Sie hat es geschafft, sie konnte ein Gespräch mit der Mama des Pinkelkinds vermeiden. Urin ist sowieso steril, sagt sie sich.

«Mama», sagt Piper leise, als sie kurz vor der U-Bahn-Station sind.

«Ja», sagt sie. Sie händigt ihm jetzt seine Apfelschorle aus, und er fängt sofort an zu trinken, langsam und genüsslich.

«Ist es eigentlich verboten, auf den Fuß eines anderen Kindes zu pinkeln?»

«Ja», sagt sie.

«Warum hast du mir das nie gesagt?», fragt er sie.

«Ich kann nicht alles, was verboten ist, auflisten», sagt sie.

«Du könntest es versuchen!», sagt er.

«Hat Piper auf den Fuß von einem anderen Kind gepinkelt?», fragt Charlie neugierig.