Sisi – Kaiserin wider Willen - Allison Pataki - E-Book
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Sisi – Kaiserin wider Willen E-Book

Allison Pataki

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Beschreibung

Der Roman über Sisi – Rebellin ihrer Zeit und große Liebende.

Österreich, 1853: Ohne darauf vorbereitet zu sein, wird die junge bayerische Prinzessin Sisi Kaiserin am Hof der mächtigen Habsburger, dem Zentrum der politischen Intrige und feudalen Ränkespiele. Die Ehe mit Kaiser Franz Joseph wird aus Liebe geschlossen, und es gelingt der freien, naturverbundenen Frau, die Zuneigung ihres Volkes zu gewinnen. Doch schon bald muss Sisi sich fragen, wie sie die Rolle der Monarchin erfüllen kann, ohne sich selbst zu verlieren – und ohne die Liebe zu Franz Joseph aufs Spiel zu setzen ...

Eine epische Geschichte über Macht, Liebe und eine der spannendsten Epochen der Geschichte Europas.

»Ein wunderbarer Roman über eine missverstandene Herrscherin, der den rebellischen, glamourösen Geist Sisis heraufbeschwört.« C. W. Gortner.

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Seitenzahl: 601

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Über das Buch

Österreich, 1853: Eigentlich reist die fünfzehnjährige Elisabeth nur als Begleitung ihrer Schwester an den Hof der Habsburger, wo Helene den jungen Kaiser Franz Joseph heiraten soll. Schnell wird jedoch klar, dass Sisis schüchterne Schwester am intrigenreichsten Hof Europas kaum Fuß fassen wird – ebenso wenig wie die freiheitsliebende Sisi selbst. Dennoch kommt es bald zu einer zarten Annäherung zwischen ihr und dem Bräutigam ihrer Schwester, und plötzlich macht Franz Joseph ihr und nicht Helene den Hof. Doch die Liebesheirat des jungen Kaiserpaares steht unter keinem guten Stern. Sisi leidet unter der Bevormundung ihrer Schwiegermutter, die sich nur eines von ihr wünscht: einen Erben. Trotz alledem will sich Sisi von den Zwängen des Hofzeremoniells nicht vereinnahmen lassen und kämpft für ihre Selbstbestimmung.  

Ein hervorragend recherchierter Roman voll spannender Details und vielschichtiger, authentischer Figuren über die faszinierende, viel geliebte »Elfenkönigin«.

Über Allison Pataki

Allison Pataki studierte Anglistik in Yale und arbeitete als Journalistin erfolgreich für die New York Times, ABC News, The Huffington Post u.v.a. sowie für zahlreiche Fernsehsender, bevor sie ihren Kindheitstraum vom Schreiben wahr werden ließ. Heute erscheinen ihre Bücher in mehr als zwölf Ländern und sind New-York-Times-Bestseller. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Familie in New York.

Mehr zur Autorin unter www.allisonpataki.com.

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Allison Pataki

Sisi - Kaiserin wider Willen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Gabriele Weber-Jarić

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Motto

Einführung

Prolog — Budapest 8. Juni 1867

Teil I

Kapitel 1 — Schloss Possenhofen Juli 1853

Kapitel 2 — Ischl August 1853

Kapitel 3 — Ischl August 1853

Kapitel 4 — Ischl August 1853

Kapitel 5 — Ischl August 1853

Teil II

Kapitel 6 — Schloss PossenhofenSeptember 1853

Kapitel 7 — Hofburg April 1854

Kapitel 8 — Salzburg Dezember 1854

Kapitel 9 — Hofburg März 1855

Kapitel 10 — Sommerresidenz Schloss Schönbrunn Frühling 1855

Kapitel 11 — Burgpalast, Budapest Frühling 1857

Kapitel 12 — Sommerresidenz Schloss Schönbrunn Sommer 1857

Teil III

Kapitel 13 — Sommerresidenz Schloss Schönbrunn August 1862

Kapitel 14 — Hofburg Herbst 1862

Kapitel 15 — Kissingen Juni 1866

Kapitel 16 — Hofburg Dezember 1866

Kapitel 17 — Sommerresidenz Schloss Schönbrunn Frühling 1867

Kapitel 18 — Budapest Juni 1867

Kapitel 19 — Budapest 8. Juni 1867

Dank

Gespräch mit Allison Pataki

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Für meine Eltern, Libby & George

Eine Möwe bin ich von keinem Land, Meine Heimat nenne ich keinen Strand, Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle; Ich fliege von Welle zu Welle.

Kaiserin Elisabeth »Sisi« von Österreich

»So schnell verdunkelt sich des Glückes Schein.«

William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum Sisis liebstes Theaterstück

Einführung

Es ist das Jahr 1853. Das Habsburger Kaiserreich umfasst große Teile Europas, dehnt sich im Osten bis zum zaristischen Russland, im Westen bis Italien und zur Schweiz, stößt im Norden an Sachsen und Preußen, im Süden an die Balkanstaaten Bosnien und Serbien.

Kaiser Franz Joseph I., eines der mächtigsten gekrönten Häupter der Welt, herrscht über 40 Millionen Untertanen, die unter anderem österreichischer, ungarischer, deutscher, böhmischer, mährischer, serbischer oder italienischer Herkunft sind. Sie sind Katholiken, Protestanten, Juden oder Muslime.

Das Habsburger Kaiserreich ist also der Vielvölkerstaat überhaupt, ein mehrsprachiger Flickenteppich, der weder von Nationalität, Religion, Sprache noch anderen Zugehörigkeiten zusammengehalten wird. Nur eine Instanz verbindet die Vielfalt der Länder, Menschen und Interessen, und das ist Franz Joseph. Er ist ein gut aussehender Mann Anfang zwanzig, mit gewelltem, kastanienbraunem Haar und blauen, ernst blickenden Augen. Er ist Kaiser von Gottes Gnaden, gesegnet, mehr Institution als Mensch.

Im Jahr 1848 besteigt er den Habsburger Thron als Kaiser Franz Joseph I. Es ist das Jahr, in dem es in Europa überall zu Aufständen von national Gesinnten und liberalem Bürgertum kommt, die sich gegen die absolut regierenden Monarchien richten. Nirgendwo ist der revolutionäre Eifer größer als im Habsburger Kaiserreich, nirgendwo wird er so gnadenlos bekämpft.

Franz Joseph übernimmt den Thron von seinem Onkel Ferdinand I., der als schwacher Herrscher gilt, und festigt seine Herrschaft im ganzen Kaiserreich.

Während eines Spaziergangs in Wien greift ihn im Jahr 1853 ein ungarischer Nationalist an und sticht von hinten auf ihn ein. Es ist keine lebensgefährliche Verletzung, der Kaiser kann der Obhut seiner Hofärzte übergeben werden, dennoch spürt man die Erschütterung im gesamten Kaiserreich. Der Ruf nach einem Erben Franz Josephs wird laut.

Aufgrund seines guten Aussehens, seines Charmes und nicht zuletzt seines glanzvollen Kaiserreichs mangelt es nicht an jungen Aristokratinnen, die sich liebend gern als seine Braut sähen.

Der einflussreichste Ratgeber des jungen Kaisers ist weder ein Militarist noch ein Politiker hohen Rangs, sondern seine Mutter, Erzherzogin Sophie. Sie ist diejenige, die ihn von Kindheit an auf seine Rolle als Kaiser vorbereitet und dafür gesorgt hat, dass er seinem Onkel auf den Thron folgt, der eigentlich Erzherzog Franz Karl, dem Vater von Franz Joseph, zugestanden hätte. Und Sophie hat bereits eine Braut im Auge.

Ihrem Rat gehorchend lädt Franz Joseph seine hübsche Cousine Helene aus Bayern zu sich ein. Für die junge Frau ist diese Einladung beängstigend und schmeichelhaft zugleich. Helene hat eine jüngere Schwester, die »Sisi« genannt wird. Sisi, eine lebhafte Fünfzehnjährige, begleitet Helene auf ihrer Reise.

Sie alle ahnen nicht, wie sehr sich ihr Leben – und die Welt, die sie kennen – verändern wird …

Prolog

Budapest 8. Juni 1867

»Majestät, wir sind so weit.«

Sie dreht sich um, deutet ein Nicken an, wedelt mit der Hand. »Ich weiß, ich muss in meine Rolle schlüpfen.« Sie schiebt die Arme in die Ärmel ihres Kleids. Der Brokat, tadellos zugeschnitten und genäht, legt sich um ihren Körper. Noch immer hat sie sich nicht an die Schwere der Stoffe gewöhnt. Ihr ist, als wögen sie mehr als ihr erschöpfter Leib.

Um sie herum schwirren und plappern nervöse Bedienstete, summen wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm.

»Wir müssen den Rock bauschen.«

»Passen Sie auf die Verschnürungen auf!«

»Wir müssen gehen!«

»Ist es wirklich schon so weit?«

»Sind Sie bereit, Hoheit?«

Die kaiserliche Friseurin tritt vor sie und wirft einen letzten prüfenden Blick auf ihr Haar. Bald wird die Krone daraufgesetzt werden. Noch einmal steckt sie eine Locke fest. Ihre Haare werden als die wertvollsten Kronjuwelen der Habsburger bezeichnet, sie seien es gewesen, so sagt man, die das Herz des Kaisers damals erobert hätten.

Sie tritt vor, begutachtet sich in dem Ankleidespiegel und muss zugeben, dass sie einen großartigen Eindruck macht.

Ihr Kleid ist weiß, mit eingewebten Silberfäden, es umschließt ihre schmale Taille, das Mieder ist aus schwarzem Samt. Aber es ist ihr Gesicht, das alle sehen wollen. Jeder hat von ihren schön geschnittenen, honigbraunen Augen gehört, ihren fein ziselierten Wangenknochen. Von ihren Lippen, über die der Kaiser, als er sie erblickte, gesagt hat, dass sie ihn an »Erdbeeren« erinnern. Der Kaiser. Ihr Herz verkrampft sich. Gott, sie ist so müde. Wird sie überhaupt die Kraft haben, diesen Tag durchzustehen?

Jemand klopft. Ihr Herz macht einen Stolperschritt, ihr Blick zuckt zu der schweren Eichentür hinüber. Wer von beiden steht davor? Der Kaiser? Oder … er? Bei dem Gedanken an ihn erhitzen sich ihre Wangen, und inwendig tadelt sie sich. Sogar nach allem, was sie hinter sich hat, errötet sie noch immer wie eine Sechzehnjährige bei dem Gedanken an ihn oder wenn sein Name fällt. Ihr Ehemann ruft diese Reaktion nicht mehr hervor.

Die Tür öffnet sich knarrend, klingt wie eine Wache, die über den Durst getrunken hat und im Schlaf schnarcht. Er tritt ein und sieht sie. Bei ihrem Anblick verschlägt es ihm den Atem, er starrt sie an.

»Sisi«, mehr bringt er nicht hervor. Er breitet die Arme aus, als wolle er sie umfangen, doch dann nimmt er die Bediensteten wahr, und reißt sich zusammen.

»Elisabeth«, sagt er und räuspert sich. »Bist du bereit?«

Sie überlegt. Ist sie bereit? Wahrscheinlich war sie es von Anfang an nicht. Sie hebt den Kopf, strafft die Schultern.

»Ja.« Sie nickt kurz und bewegt sich auf ihn zu. Der Saum des Kleids schleift über den Boden, die Pracht ist einfach zu schwer. Sie seufzt und geht weiter.

Von draußen ist die Menge zu hören. Keine Hochrufe oder vereinzelte Schreie, sondern ein dumpfes Rauschen. Gleichbleibend. Wie die Wellen des Meers, unaufhaltsam und unaufhörlich.

Er bietet ihr seinen Arm an. Sie nimmt ihn und spürt seine steif gestärkte Uniform auf ihrer weichen Haut. Die Tür wird ganz aufgezogen. Sie blinzelt, möchte ihr Gesicht mit der Hand bedecken, sich vor den vielen neugierigen Blicken schützen … Blicke, die sie studieren und aufsaugen, als wäre sie etwas zum Verzehr. Der vertraute Instinkt zu fliehen, überkommt sie. Sie bekämpft ihn. Richtet sich höher auf.

Und dann hört sie die Rufe. »Sisi!«

Sie atmet durch, wappnet sich, wendet sich ihm zu. »Wir können.« Es ist so weit.

Teil I

Kapitel 1

Schloss Possenhofen Juli 1853

Sisi duckte sich hinter die dicht stehenden Büsche. Doch dann wagte sie rasch noch einmal einen Blick darüber hinweg. Ihre Beine waren sprungbereit, ihr Herz hämmerte wie das eines Menschen, der gejagt wird.

»Kommt raus, ihr Feiglinge!«

Sisi sah den Reiter, der über die Wiese preschte, eine dunkle Silhouette vor dem zinnenbewehrten, weißen Schloss und dem tiefblauen Himmel. Sie duckte sich tiefer. Carl hatte sie und Helene nicht entdeckt. Er riss an den Zügeln seines Pferds, als wollte er es daran erinnern, wer von ihnen der Herr war, auch wenn seine Schwestern stets über sein Herrschaftsgebaren lachten.

Sisi beobachtete ihren Bruder, erahnte seine Gedanken und verachtete ihn dafür. Wahrscheinlich stellte er sich vor, ein germanischer Krieger zu sein, der auf seinem Hengst gegen die Ungarn oder Polen ritt und auf dem Schlachtfeld Ruhm erntete.

»Carl, der Wohltätige, Herzog in Bayern, will, dass ihr hervorkommt und euch eurem Herrn ergebt!« Sein Blick glitt über die Büsche und den Waldsaum. »Küsst meinen Ring, und ich werde mich gnädig erweisen – gnädiger als ihr es verdient. Falls ihr aber weiter weglauft und euch wie Ratten versteckt, muss ich euch aus euren Löchern herausscheuchen, und dann werdet ihr euch wünschen, ihr hättet euch ergeben.« Sein Pferd scharrte mit den Hufen, um sich gegen die zu fest gezurrten Zügel zu wehren.

Sisi wurde das Versteckspiel leid. Die Chancen waren nicht gerecht verteilt. Säße sie auf ihrem Pferd, würde sie Carl bis zur bayrischen Grenze hetzen, und das wusste er. Doch als sie und Helene losgezogen waren, um unter den Bäumen unten am Seeufer Blumen zu pflücken, hatte sie nicht mit ihrem Bruder gerechnet.

Helene, die neben Sisi hockte, machte einen ängstlichen Eindruck und flüsterte: »Komm, Sisi, wenn wir uns nicht ergeben, ergeht es uns schlecht.«

»Unsinn.«

Carl war zwei Jahre jünger als Sisi, aß gern und war in der Pubertät in die Breite gegangen. Nun wog er zweimal so viel wie seine Schwester, doch sie war schlauer als er.

»Wir werden Carl, dem Wohltätigen, zeigen, was für ein großartiger Gegner er ist.« Sisi las einen schweren, glatten Stein auf. Helene seufzte.

»Wie ihr wollt!«, rief Carl in Richtung Wald. »Ihr habt euer Schicksal gewählt. Und dieses Schicksal bedeutet Schmerzen.« Er schlug die Lederstiefel in die Flanken seines Pferds und stürmte los. Das Pferd wieherte.

Sisi spürte, wie der Erdboden vibrierte.

»Das haben wir jetzt davon«, sagte Helene, als die Hufschläge lauter wurden.

»Sei still, Néné«, murmelte Sisi und wünschte, sie säße auf dem Rücken ihres Pferds. »Wenn ich ›los‹ sage, rennst du los. Hast du mich verstanden?«

»Und wohin soll ich rennen? Etwa in den See?«

»Nein, in die andere Richtung. Über die Wiese zum Schloss.«

»Und Carl direkt in die Arme?«

»Tu, was ich dir sage, und verlass dich auf mich.«

Helene nickte widerstrebend.

Sisi spähte über die Büsche. Ihr Bruder hatte die Wiese überquert und näherte sich ihrem Versteck. Mit halb zugekniffenen Augen suchte er die Büsche ab, seine Schwestern entdeckte er noch immer nicht. Sisi hob die Hand mit dem Stein und zielte. Die Hufschläge klangen nun wie Trommeln. Sie wartete, bis Carl noch näher war und schleuderte den Stein in sein Gesicht.

Carl schrie auf, glitt aus dem Sattel und krümmte sich. Aus seiner Nase tropfte Blut.

»Los, Néné, lauf!« Sisi sprang auf, stürzte aus den Büschen hervor und rannte los.

»Du Biest!«, rief Carl, als sie an ihm vorbeilief, doch er folgte ihr nicht.

Triumphierend raste Sisi über die Wiese. Zwar waren ihre Beine nicht so schnell wie die ihres Pferds, aber sie waren kräftig und beweglich, schließlich war sie von Kind an auf Berge gestiegen, im See geschwommen und durch die Felder und Wiesen gestreift.

Sie warf einen Blick über ihre Schulter. »Beeil dich, Néné.« Als ihre Schwester bei ihr war, packte sie ihren Arm und zerrte sie mit sich. Sie stammten zwar von denselben Eltern ab, doch darin erschöpften sich ihre Gemeinsamkeiten auch schon. Anders als Sisi blieb Helene gern im Schloss, lernte Sprachen, las philosophische und religiöse Schriften, stickte oder schrieb in einer ruhigen Ecke am Kamin Briefe. Wenn sie draußen waren, übernahm stets Sisi das Kommando.

Dann hatten sie die Wiese hinter sich, stürmten Hand in Hand in den Schlosshof und an einem verblüfften Bediensteten vorbei in die Eingangshalle. Sisi ließ Helene los und spähte durch ein Sprossenfenster hinaus auf den Hof. In diesem Moment tauchte ihr Bruder auf seinem Pferd auf.

Sisi wandte sich ab. »Papa!« Sie öffnete die Tür zum großen Salon und schlüpfte mit Helene hindurch. »O Papa, gut, dass du da bist.«

Herzog Max Joseph saß in einer Ecke des abgedunkelten Raums in einem Ohrensessel und schlief. Seine Stiefel waren schlammverkrustet. Auch die Pfoten der beiden Jagdhunde, die zu seinen Füßen dösten, waren verdreckt. Die Tiere hoben die Köpfe, als Sisi und Helene hereinkamen. Der Herzog aber schlief weiter, eine qualmende Pfeife auf seinem Schoß.

»Papa, wach auf!« Sisi nahm ihm die Pfeife ab und legte sie auf einen Beistelltisch.

Stöhnend und ächzend kam ihr Vater zu sich. Sein Atem roch nach Bier.

»Papa, Carl ist hinter Néné und mir her.«

»Was?« Ihr Vater rieb seine blutunterlaufenen Augen.

Sisi hörte, wie Carl in der Eingangshalle einen Diener anfuhr und wissen wollte, wohin sie und ihre Schwester gelaufen seien.

»Sisi.« Ihr Vater setzte sich auf. Seine Augen waren ebenso honigbraun wie ihre, doch sein Blick war glasig. »Wie schön, dass du gekommen bist. Ich muss dir das Trinklied vorsingen, das ich heute gelernt habe.« Er schenkte seiner Lieblingstochter ein verschmitztes Lächeln, reckte den Zeigefinger und schwenkte ihn im Takt mit dem Lied, das er anstimmte. Dann brach er ab, blickte sich suchend um. »Wo sind die Gäste? Schon gegangen?«

Von draußen näherten sich Carls Stiefelschritte.

»Papa, bitte hör mir zu.«

Carl öffnete die Salontür. »Jetzt bist du dran, Sisi.« Seine Nase hatte aufgehört zu bluten, doch auf seiner Oberlippe haftete getrocknetes Blut. »Du hast mir einen Stein ins Gesicht geworfen.«

Sisi richtete sich zu voller Höhe auf. »Geschah dir recht.«

»Papa, tu doch was«, sagte Helene leise.

Ihr Vater starrte auf die Flammen des Kaminfeuers. Dann griff er nach dem leeren Bierkrug auf dem Beistelltisch, setzte ihn an den Mund, um noch den letzten Tropfen herauszuholen.

»Sisi«, flüsterte Helene. »Was sollen wir denn jetzt machen?«

Sisis Triumphgefühl verflog. Wahrscheinlich hätte sie Helenes Rat folgen und sich Carl ergeben sollen. Nun ärgerte sie sich über sich selbst. Wieder einmal hatte ihr Stolz ihr im Weg gestanden.

Carl spürte, dass er dabei war, die Oberhand zu gewinnen, und packte Helenes Arm.

Sisi ballte die Hände zu Fäusten. »Lass sie sofort los!« Sie wusste, dass sie den Kampf mit Carl verlieren würde, doch sie hob die Faust, wollte ihm wenigstens den ersten Schlag versetzen.

»Da seid ihr also«, ertönte die Stimme ihrer Mutter, die unbemerkt eingetreten war – eine schlanke, groß gewachsene Frau mit schwerer, brünetter Lockenfrisur und in einem schwarzen Seidenkleid mit Reifrock. Bei ihrem Anblick ließ Carl von Helene ab und wich zurück.

Herzogin Ludovika durchquerte den Salon mit raschen Schritten und zog die Vorhänge auf. Eine feine Staubwolke stieg auf. »Helene und Elisabeth, ich habe euch überall gesucht.«

»Mama.« Sisi flüchtete sich zu ihrer Mutter und atmete auf.

»Sisi, was ist mit dir – ?« Der Blick ihrer Mutter fiel auf den Mann, der im Ohrensessel seinen Rausch ausgeschlafen hatte, dann auf die Schmutzspuren auf dem Teppich. »Wie sieht es denn hier aus?« Sie seufzte, und für einen Moment erkannte man ihre Verärgerung. »Nun müssen die Dienstboten den Teppich schon wieder säubern.« Wie für sich fügte sie hinzu: »Staub muss auch gewischt werden, und die Löcher in den Vorhängen müssen gestopft werden.« Sie seufzte erneut. »Und ich muss in der Küche fragen, ob sie die Eier schon aus dem Hühnerstall geholt haben.« Ihr kritischer Blick wanderte durch den Salon. Wieder einmal hatte sie zu viel zu tun und zu wenig Zeit, um alles zu bewältigen. Ihr Mann interessierte sich weder für den Haushalt noch für die Anliegen der Kinder, nicht einmal für die Bittgesuche der hiesigen Bauernschaft, die ihn hin und wieder erreichten.

Sie betrachtete ihre Töchter, die sich wie verängstigte Kätzchen an sie schmiegten, und dann ihren Sohn, der Blut an der Oberlippe hatte. Kopfschüttelnd trat sie an ein Fenster und schaute hinaus, als könne sie so ihrer Familie und dem verschmutzten Salon entrinnen.

»Gackel!«, sagte sie scharf. »Ist das dein Pferd, das da frei und allein auf dem Hof steht?«

Gackel war Carls Kosename, den er in der Wiege erhalten hatte, weil er als Säugling Laute wie ein gackerndes Huhn von sich gegeben hatte.

Als ihr Sohn nicht antwortete, wandte Ludovika sich zu ihm um. »Ist es dein Pferd, oder nicht?«

Carl zuckte mit den Schultern.

»Bring das Tier sofort in den Stall. Wenn du dich nicht um dein Pferd kümmern kannst, nehmen wir es dir weg.«

»Ja, Mutter.« Carl schleuderte Sisi einen Blick zu, der besagte: Wir sind noch nicht fertig.

»Dieser Junge«, sagte Sisis Mutter, als Carl verschwunden war. Dann begutachtete sie ihre Töchter. »Ihr seid auch nicht besser. Dreckig wie die Bauern.« Sie deutete auf den Schmutzrand unten an Sisis Rock.

Trotz dieses Vorwurfs, den sie ihren Töchtern nicht zum ersten Mal machte, verbot sie ihnen nie, draußen spazieren zu gehen, zu reiten oder am See zu angeln.

»Sei nicht so laut«, sagte Sisis Vater. »Ich höre kaum, was meine liebe Freundin sagt.«

Sie sahen zu ihm hinüber. Offenbar war er noch immer nicht ganz nüchtern und führte im Geist weiter Gespräche mit den Besuchern, die sich längst verabschiedet hatten.

Sisi verzog das Gesicht. Jeder im Schloss wusste von den Mätressen ihres Vaters, wahrscheinlich war es in ganz Bayern bekannt. Doch sie selbst brachten die offenen Hinweise auf seine Liebschaften jedes Mal auf.

Ihre Mutter ging darüber hinweg. »Wir wär’s mit einem Spaziergang an der frischen Luft, Max?« Sie trat zu ihrem Mann, roch naserümpfend an einem der leeren Gläser auf dem Beistelltisch.

»Steh auf, Max, du hast heute schon genug Zeit verplempert.« Sisis Mutter zog an der Wolldecke, die ihr Mann über sich gebreitet hatte. Er hielt die Decke fest, klemmte sich den Saum unter die Arme.

»Verschwinde!«, knurrte er. In einem Mundwinkel bildete sich ein Speichelbläschen.

»Max, ich bitte dich«, sagte seine Frau ruhig und beherrscht. Sie bewahrte stets Haltung, auch wenn sie inwendig so zornig wie Sisi sein mochte. »Bitte, steh auf!«

»Lass mich zufrieden«, antwortete ihr Mann. »Und sprich vor unseren Gästen nicht so mit mir. Ich möchte die Unterhaltung mit dem Baron fortsetzen.«

Seine Frau musterte ihn und schien zu überlegen, ob es sich lohnte, weiter mit ihm zu diskutieren. Schließlich ging sie zur Tür und rief nach draußen: »Bitte eine Kanne Kaffee für meinen Mann.« Dann wandte sie sich ihren Töchtern zu und klatschte in die Hände. »Und ihr wascht euch und zieht euch um. Zum Abendessen seid ihr bitte gekleidet, wie es sich gehört. Euer Vater und ich« – sie drehte sich kurz zu ihrem Mann um – »haben Neuigkeiten für euch.«

*

»Sisi, mein wildes Mädchen! Helene! Wie immer durften wir auf euch warten. Kommt, setzt euch.« Der Kaffee musste seine Wirkung getan haben, Sisis Vater machte einen wachen Eindruck.

Sisi und Helene ließen sich an dem großen Mahagonitisch nieder.

Das Essen wurde an diesem Abend im Bankettsaal serviert. An den Wänden hingen präparierte Tierschädel – unter ihnen ein Elch, ein Rentier, ein Fuchs in leuchtendem Orange. Sie zählten zu den Trophäen, die Sisis Vater von seinen Jagdreisen mitgebracht hatte, auch wenn es einem, in Anbetracht seiner unsteten Hände und der noch immer blutunterlaufenen Augen, schwerfallen mochte, ihn sich als versierten Jäger vorzustellen. Doch ebenso wie Sisi liebte er es, durch die Natur zu streifen, vielleicht noch mehr, als mit Frauen anzubändeln und Alkoholisches zu trinken. In Possenhofen hielt er es nie länger als einige Monate aus, danach verschwand er wieder zu einer seiner Expeditionen.

»Eure Mutter hat darauf bestanden, dass wir uns zum Essen fein machen«, fuhr Sisis Vater fort. »Ich frage mich, was es damit auf sich hat?« Er zwinkerte Sisi zu, und für einen Moment hatte sie ihn wieder gern.

In dem ungeordneten Haushalt der Familie waren formelle Abendessen eine Seltenheit. Der Herzog war abends meistens fort, und seine Frau, die stets versuchte, zumindest einen Ansatz von Ordnung herzustellen, hatte Mühe, ihre eigenwillige Kinderschar im Zaum zu halten, erst recht zu dieser Jahreszeit, wenn die warmen Tage lang und schön waren. Am schlimmsten war ihre Tochter Sisi. Sie verbrachte den Großteil ihrer Zeit im Freien, kehrte abends schmutzig und noch sonnengebräunter als am Vortag zurück und schlang in der Küche einen Teller kalt gewordene Suppe hinunter.

Sisi nahm an, dass dieses Abendessen mit den Neuigkeiten zusammenhing, die ihre Mutter am Nachmittag angekündigt hatte. Sie überlegte, ob ihre Eltern wieder ein Kind erwarteten. Das waren die Neuigkeiten, an die sie seit der Geburt von Carl, Marie, Mathilde, Sophie und Max gewöhnt war. Ihre Eltern waren einander zwar nicht zugetan, dennoch kamen sie anscheinend gern und häufig zusammen, um Nachkommen zu zeugen. Es war immer das Gleiche: Ihr Vater ging auf Reisen, war plötzlich wieder da, es kam zu einem chaotischen Familienfest und Wochen später war ihre Mutter erneut schwanger.

Aber vielleicht handelte es sich dieses Mal doch um etwas anderes. In den vergangenen Tagen war ihre Mutter wie aufgescheucht umhergelaufen. So war sie nicht, wenn sie schwanger war.

Sisi und Helene waren wie ihre Mutter schwarz gekleidet. Bei Sisi handelte es sich um ein einfaches Kleid aus Crêpe.

»Immer schwarz«, hatte sie beim Ankleiden geklagt.

»Sei still«, hatte Helene geantwortet. »Lass Mama nicht hören, dass du schon wieder wegen der Trauerkleidung maulst.«

»Aber ich bin Schwarz leid. Und die Großtante so und so, die gestorben ist, habe ich nicht einmal gekannt. Ich möchte Blau tragen. Oder Grün. Oder Rosarot.« Sisi versuchte, den kräftigen Händen von Agata auszuweichen, der polnischen Kammerfrau, die Sisis Haar gebürstet hatte und dabei war, zwei feste, lange Zöpfe zu flechten.

»Halten Sie still, Prinzessin Elisabeth.« Agata rückte Sisis Kopf zurecht. »Immer sind Sie ungeduldig. Warum sind Sie nicht so artig wie Ihre Schwester?«

Am Banketttisch saß Carl seinen Schwestern gegenüber, auch er in einem schwarzen Anzug und mit schwarzer Krawatte. Dort, wo ihn der Stein getroffen hatte, deutete sich ein Bluterguss an. Er warf Sisi einen finsteren Blick zu und nestelte an seiner Krawatte, als säße sie zu eng.

Da die Kinder der Familie erst mit zwölf Jahren an den Familienessen teilnehmen durften, waren die anderen Geschwister nicht mit am Tisch. Sie aßen mit ihrer Kinderfrau und ihren Erziehern im Kinderzimmer.

Bei Tisch bediente eine junge Frau. Die Erwachsenen tranken Wein, die Kinder nahmen Wasser mit einem kleinen Schuss Wein darin zu sich. Als die Dienstbotin Carl Wasser nachschenken wollte, verlangte er Bier. Sie tat, als hätte sie nichts gehört.

Das Essen wurde aufgetragen – Schüsseln mit Kartoffeln, verschiedenen Gemüsesorten und üppige Fleischplatten.

»Da wir jetzt alle zusammen sind«, begann Sisis Mutter, die anders als ihr Mann gerade und hoheitsvoll am Tisch saß.

Sisis Vater hob die Hand. »Bevor du loslegst, möchte ich etwas bemerken.«

Seine Frau zog die Brauen hoch. »Und das wäre?«

»Ich glaube, dass die Dienstboten wieder einmal meine Mumie angefasst haben.« Seine Frau runzelte die Stirn. Ihr Mann beachtete sie nicht und sprach weiter. »Sie sollen die Finger davonlassen.«

Sisis Mutter seufzte. »Wir haben sie tausendmal gebeten, deine ägyptischen Erinnerungsstücke nicht anzurühren, und ich bin sicher, dass sie sich daran halten.« Sie lehnte sich zurück, um sich eine Scheibe Fleisch auftun zu lassen.

»Sie haben sie angefasst«, beharrte ihr Mann. »Irgendetwas sieht anders aus.«

Es waren altbekannte Beschwerden, auf die Sisis Mutter normalerweise unwirsch reagierte. Dieses Mal nicht.

»Es sind wertvolle Artefakte, die man nicht berühren darf«, sagte ihr Mann verdrießlich.

Wie so oft wunderte sich Sisi, dass ihrem zechfreudigen Vater, der als Jäger, Lebemann und Frauenheld von sich reden machte, so viel an der Sammlung lag, die er in Possenhofen aufbewahrte, unter ihnen Relikte, die er vor vielen Jahren in Ägypten erworben hatte. Damals hatte er den Tempel von Dendur besucht, Steine und eine Mumie mitgebracht. Sie selbst hatte sich von jeher vor der mumifizierten jungen Frau gefürchtet, die im Studierzimmer ihres Vaters ausgestellt war. Sie war ungefähr so groß wie Sisi, und Carl hatte sich anfangs einen Spaß daraus gemacht, ihr den Leichnam unter den verkrusteten, vergilbten Bandagen detailliert zu schildern.

»Also gut.« Sisis Mutter wechselte einen resignierten Blick mit Sisi und nahm einen Schluck Wein. »Ich werde die Dienstboten noch einmal darauf hinweisen.«

»Auch die Tempelsteine sollen sie nicht anrühren.«

»Nein, auch die nicht.« Sisis Mutter rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Nun aber zum Thema.« Sie richtete ihren Blick auf ihre Töchter. »Ich sagte ja schon, dass ich – dass wir Neuigkeiten haben.«

»Und welche sind das?«, fragte Sisi. Beim Ankleiden hatten sie und Helene vergeblich versucht, diese Neuigkeiten zu erraten.

»Vielleicht hat man für Carl eine zukünftige Braut gefunden«, hatte Helene mit einem spöttischen Lächeln vorgeschlagen, während sie Agata half, Sisis schweres Haar zu flechten.

»Die Ärmste«, sagte Sisi, und dann hatten sie alle drei gelacht.

Doch es ging nicht um Carl. »Euer Vater und ich haben über die Zukunft von euch Mädchen nachgedacht«, sagte ihre Mutter und warf ihrem Mann einen Blick zu. »Nicht wahr, Max?«

Er war mit seinem Essen beschäftigt und gab ihr keine Antwort.

Sisi schwante Schreckliches.

»Sicherlich erinnert ihr euch noch an eure Tante Sophie.«

»Deine Schwester, die Erzherzogin von Österreich?«, fragte Helene.

Sisi erinnerte sich an diese Tante, der sie vor einigen Jahren auf einer Reise nach Innsbruck begegnet war. Sie war ebenso hochgewachsen und schlank wie ihre Mutter, doch, anders als Sisis Mutter, hatte sie eine gewisse Härte ausgestrahlt, die sich in ihrer Art, ihrer Stimme, sogar in ihrem Lächeln ausgedrückt hatte.

Es war im Jahr 1848 gewesen, jetzt fiel es Sisi wieder ein. Überall in Europa hatte es Aufstände gegeben, in Wien war es zu blutigen Straßenkämpfen gekommen, und die kaiserliche Familie war nach Olmütz geflüchtet. Bei dem Treffen in Innsbruck hatte Tante Sophie, die mit einem jüngeren Bruder des Habsburger Kaisers verheiratet war, ihre bayrische Familie um Hilfe gebeten.

Es war im Sommer gewesen, und sie hatten sich in der Habsburger Residenz, der Innsbrucker Hofburg, getroffen.

Sisi war damals zehn Jahre alt, doch sie erinnerte sich noch gut, wie beeindruckt sie von den schroffen, schneebedeckten Bergen ringsum gewesen war, höher als die, die sie von zu Hause kannte.

»Da oben ist der Gipfel der Welt«, hatte Helene ehrfürchtig gesagt. Und Sisi hatte sich gefragt, wo über den hohen Bergen und dem blauen Himmel der göttliche Himmel begann.

Am ersten Abend hatte ihre Mutter sie, Helene und Carl in den Kinderzimmern zurückgelassen. Sisi war ihr nachgelaufen und hatte gesehen, wie sie mit Tante Sophie und Männern in schneidigen Uniformen in einem der Salons verschwand. Alle hatten einen besorgten Eindruck gemacht und im Flüsterton gesprochen.

Tagelang hatte sie mit ihren Geschwistern und fremden Kinderfrauen in den Kinderzimmern bleiben müssen. Nur Carl hatte es dort gefallen, er hatte Süßigkeiten genascht und sich mit Zinnsoldaten und einer Spielzeugeisenbahn vergnügt. Sisi hatte sich nach ihrer Mutter gesehnt. Zu Hause in Bayern war sie höchstens einmal für einige Stunden von ihr getrennt. Auch verbrachte sie die Sommertage nie drinnen, sondern stromerte durch die Gegend rings um Possenhofen.

Sie hatte sich die Zeit damit vertrieben, am Fenster hinaus auf die Berge zu schauen, und überlegt, ob die Vögel auch in den Felsen Nester bauten.

Eines Nachmittags hatte sie die Kinderzimmer auf der Suche nach ihrer Mutter verlassen, war durch menschenleere Räume und Korridore gewandert, bis sie sich verlief. Panisch hatte sie den Rückweg gesucht – und war auf Tante Sophie gestoßen, die ihr mit klackernden Schuhen entgegenkam.

Im ersten Moment hatte Sisi sie für ihre Mutter gehalten und war erleichtert zu ihr gerannt, mit ausgestreckten Armen. Dann hatte sie ihre Tante erkannt und aufgeregt »Tante Sophie, Tante Sophie« gerufen.

Tante Sophie schlug ihr ins Gesicht, betrachtete sie missbilligend und sagte: »Benimm dich. Kinder rennen weder herum noch sprechen sie Erwachsene an. Aber anscheinend weiß meine Schwester nicht, was Erziehung bedeutet. Kehr zu deinen Geschwistern zurück.« Sie hatte den Rock ihres Kleids geglättet, den Sisi in ihrem Überschwang berührt hatte, und ihren Weg fortgesetzt.

»Ja, Helene«, durchbrach die Stimme ihrer Mutter Sisis Erinnerungen. »Sophie ist meine ältere Schwester und die Ehefrau von Erzherzog Franz Karl von Österreich.«

»Wisst ihr, wie man sie nennt?«, fragte Sisis Vater mit einem boshaften Lächeln.

Seine Frau sah ihn warnend an. »Bitte, Max, das muss jetzt nicht sein.«

»Tante Sophie wird als der einzige Mann am österreichischen Hof bezeichnet.« Sisis Vater brach in lautes Lachen aus und griff nach seinem Glas Wein.

Mit zusammengekniffenen Lippen wartete Sisis Mutter, bis sich die Heiterkeit ihres Manns gelegt hatte. Dann sprach sie weiter: »Vor Jahren hat Österreich eine schwierige Zeit durchgemacht. Bis der damalige Kaiser Ferdinand die Regierungsgeschäfte an seinen Neffen Franz Joseph übergeben hat.«

»Darum ging es, als wir in Innsbruck waren, oder?«, fragte Sisi. Ihre Eltern sprachen selten über Politik, und Possenhofen war so abgelegen, dass die Nachrichten über politische Unruhen und Veränderungen nur sporadisch zu ihnen durchdrangen. Dennoch wusste auch Sisi, dass ihre Tante im Habsburger Kaiserreich eine Frau mit Einfluss war.

»Richtig, wir waren im Sommer achtundvierzig in Innsbruck. Während der Aufstände«, antwortete ihre Mutter. »Nach Ferdinands Rücktritt hat Sophie dafür gesorgt, dass der Thron an ihren Sohn Franz Joseph überging und ihm erhalten blieb, bis er selbst reif genug war, um für Stabilität zu sorgen.«

Sisi erinnerte sich nur noch schwach an ihren Cousin Franz Joseph. Er war damals achtzehn Jahre alt gewesen, ein schmaler, ernster junger Mann, der für die Kinderzimmer zu alt gewesen war. Aber es waren seine Eisenbahn und seine Zinnsoldaten gewesen, mit denen Carl gespielt hatte.

Sisi hatte Franz Joseph nur wenige Male gesehen und stets war er von Beratern, Dienstboten und seiner Mutter umgeben gewesen. Doch sehr deutlich war ihr noch im Gedächtnis, dass er von seiner Mutter beherrscht wurde. Bei allem, was er sagte oder tat, blickte er zu ihr und schien auf ihr bekräftigendes Nicken zu warten. Warum man ausgerechnet diesen unsicheren und schüchternen jungen Mann anstelle seines Vaters zum Kaiser ernannt hatte, war Sisi ein Rätsel.

»Meine Schwester war und ist zielstrebiger als die Männer am Wiener Hof«, fuhr ihre Mutter fort. »Vielleicht hat der ein oder andere diese Eigenschaft als nicht damenhaft empfunden, doch Sophie hat dafür gesorgt, dass sich das Kaiserreich hält. Und sie besteht auf … wie soll ich es sagen?« – wieder warf sie ihrem Mann einen Blick zu –, »… auf der Einhaltung des Protokolls, das ihrem Rang gebührt.«

»Richtig.« Ihr Mann hob sein Glas. »Lasst uns auf Tante Sophie trinken. Die Frau, die über Leichen geht.« Er nahm einen großen Schluck.

Seine Frau musterte ihn ungehalten.

»Dann ist unser Cousin also seit fünf Jahren Kaiser?«, stellte Sisi fest.

Helene schien sich für die Unterhaltung nicht zu interessieren und stocherte in ihrem Essen. Sie hatte nie großen Appetit.

»So ist es«, antwortete ihre Mutter lächelnd.

»Er macht seine Sache sogar recht gut«, sagte Sisis Vater. »Die Aufständischen in Ungarn und Italien sind in Haft, im Exil oder hingerichtet worden. In Ungarn haben die Russen den Österreichern geholfen, aber zurzeit scheint Franz Joseph schlau genug, sich aus den russischen Kriegsplänen gegen das Osmanische Reich rauszuhalten, ganz gleich, was ihm der Zar für seine Hilfe verspricht. Trotzdem« – Sisis Vater runzelte die Stirn –, »wahrscheinlich sind ihm nun weder die Ungarn noch die Italiener oder die Russen grün.« Er schüttelte den Kopf. »Er muss aufpassen. Vor allen den Ungarn kann man nicht trauen.«

»Was du nicht alles weißt«, sagte seine Frau spitz.

»Warum hat sein Onkel die Regierungsgeschäfte abgegeben?«, fragte Sisi.

»Es heißt, dass es der Wunsch des Volkes war«, antwortete ihre Mutter. »Aber Ferdinand ist auch krank. Und Sophies Ehemann, Franz Karl, hat zugunsten seines Sohnes auf den Thron verzichtet.«

Sisis Vater lachte. »Ich würde sagen, es war Sophies Wunsch. Und weh dem, der etwas anderes wünscht.«

»Wie dem auch sei.« Ein Ausdruck der Irritation huschte über das Gesicht seiner Frau. Dann fuhr sie fort. »Zurzeit gibt es für Franz Joseph eine weitere Pflicht, die er erfüllen muss. Das verlangen sowohl seine Mutter als auch sein Volk.« Sie machte eine Kunstpause.

»Welche?«, fragte Sisi.

Ihre Mutter nippte an ihrem Wein. »Was meinst du wohl?«

Sisi zuckte mit den Schultern.

»Er muss heiraten, was denn sonst.« Der Blick ihrer Mutter wanderte zu Helene. »Schließlich braucht er Erben. Deshalb ist er zurzeit auf Brautschau.«

Noch immer sah sie Helene an, und in Sisi begann sich ein Verdacht zu regen. Zuerst war er ganz schwach, vergleichbar mit einer schemenhaften Figur hinter einem beschlagenen Fenster. Dann wurde er stärker, und ihr Herz begann aufgeregt zu schlagen.

Einen Moment lang herrschte Stille. Carl riss seine Krawatte ab, Sisis Vater trank. Helene war leichenblass geworden.

Sisis Mutter schob ihren Teller fort und legte die gefalteten Hände auf den Tisch. »Nicht einmal im Traum hätte ich gewagt, für eine meiner Töchter eine so großartige Zukunft zu erhoffen. Ich – « Ihre Stimme brach.

Sisi versuchte sich zu erinnern, ob ihre Mutter jemals auf ähnliche Weise von ihren Gefühlen übermannt worden war. Soweit sie wusste, war das bisher nie geschehen.

Ihre Mutter räusperte sich und hatte sich wieder in der Gewalt. »Doch nun kann es sein, dass eine meiner Töchter bald Kaiserin von Österreich wird.«

Helene starrte sie an. »Du meinst doch wohl nicht, dass ich …«

»Doch.« Ihre Mutter nickte. »Es ist der Wunsch meiner Schwester. Du wirst dich mit Kaiser Franz Joseph verloben.«

Helene schüttelte den Kopf.

»Helene wird Kaiserin von Österreich.« Sisi Mutter lächelte in die Runde.

Sisi konnte sich denken, was in ihrer Schwester vor sich ging. Sie kannte Helene beinah ebenso gut wie sich selbst, schlief nachts mit ihr im selben Bett. Wie oft hatte Helene sich abends an sie gekuschelt, ihre kalten Füße zum Wärmen unter Sisis Beine geschoben und ihr flüsternd Geheimnisse anvertraut. Sie kannte die Scheu ihrer Schwester, ihr Interesse an philosophischen und religiösen Gedanken. Helene, die sich vor jedem Tanzunterricht drückte, indem sie behauptete, krank zu sein, sollte Kaiserin von Österreich werden? Dem kaiserlichen Hof in Wien vorstehen?

»Stell dir vor, dass du irgendwann einen Sohn zur Welt bringst«, sagte ihre Mutter. »Dann bist du nicht nur Kaiserin, sondern auch Kaisermutter und eine der mächtigsten Frauen der Welt.«

Sisis Vater ließ sich Wein nachschenken und prostete Helene zu. »Auf die zukünftige Kaiserin.«

Auch Sisi hob ihr Glas. »Auf Helene«, sagte sie und studierte die Miene ihrer Schwester. Doch die verriet nichts.

»Wir steigen auf in der Welt«, fuhr ihr Vater fort. »Auch Carl stehen nun alle Türen offen.«

Carl schien wenig geneigt, sich über Helenes und seine Zukunftsaussichten zu freuen. Er blickte mürrisch vor sich hin. Helene machte einen benommenen Eindruck.

Schließlich schnaubte Carl ein Lachen hervor. »Néné wird eine schöne Braut abgeben. Weiß sie überhaupt, was sie im Bett des Kaisers machen muss?«

»Carl, schäm dich!«, zischte seine Mutter und sah ihren Sohn rügend an, bis er den Blick senkte.

Unter dem Tisch tastete Sisi nach der Hand ihrer Schwester, die feucht und kalt war.

»Es ist eine große Ehre für Helene«, sagte Sisis Mutter. »Wir sind sehr stolz auf sie.« Sie gab den Dienstboten das Zeichen zum Abservieren.

»Mama«, sagte Helene leise.

»Ja?«

»Mama, ich …«

»Heraus damit, Helene!«, verlangte ihre Mutter ungeduldig. Sie hatte noch nie viel Verständnis für Helenes schüchterne Art gehabt.

»Ich möchte Franz Joseph nicht heiraten.« Helene schlug sich beschämt die Hände vors Gesicht.

Carl feixte.

Herzog Max sah Sisi fragend an. »Geht es deiner Schwester nicht gut?«

Sisi strich Helene über den Rücken und bat sie flüsternd, sich zu beruhigen. An ihren Vater gewandt sagte sie: »Die Nachricht ist so überraschend gekommen, dass Néné ein wenig Zeit braucht, um sie zu verdauen. Im Moment steht sie noch unter Schock.«

Helene schüttelte ihre Hand ab. »Tu nicht so, als wüsstest du, was ich empfinde«, sagte sie ungewohnt heftig. »Du bist nicht diejenige, die wie Vieh verhökert wird.«

Sisi errötete. Ihre Schwester hatte recht. Es war nicht ihr Schicksal, über das entschieden wurde, ohne dass man sie nach ihren Wünschen fragte.

Ihre Mutter betrachtete Helene pikiert. »Ich verstehe dich nicht. Jedes andere Mädchen wäre im siebten Himmel.«

»Ich nicht.« Helene begann zu weinen.

»Helene, bitte. Eines Tages hättest du doch sowieso heiraten müssen. Einen der sächsischen Prinzen oder jemanden aus einer der italienischen Fürstenfamilien. Und dann weinst du, weil es der Kaiser von Österreich ist? Eine bessere Partie ist doch gar nicht denkbar.«

Helene schüttelte den Kopf. »Bitte, Mama, bitte zwing mich nicht.«

»Franz Joseph ist ein lieber Junge – nein, ein Mann. Er wird dich gut behandeln. Und Tante Sophie wird dir beistehen und dich in das Leben am kaiserlichen Hof einführen.«

»Ich will ihn trotzdem nicht heiraten.«

»Du bist neunzehn Jahre alt und musst doch gewusst haben, dass dir demnächst eine Heirat bevorsteht.« Ludovika sah Sisi Hilfe suchend an.

»Ich kenne ihn doch gar nicht«, sagte Helene.

Sisi sah, dass ihre Mutter kurz davor war, die Geduld zu verlieren.

»Ja und? Meinst du, ich hätte deinen Vater vor unserer Ehe gekannt?« Sisis Mutter schaute zu ihrem Mann hinüber, der das zigste Glas Wein leerte. »In meiner Hochzeitsnacht habe ich bittere Tränen vergossen und trotzdem meine Pflicht getan.«

Ihr Mann schnaubte verächtlich.

»Himmel noch mal.« Sisis Mutter stand auf und setzte sich zu Helene. »Nun reg dich nicht auf, du dummes, furchtsames Mädchen.« Sie legte einen Arm um ihre Tochter.

Helene lehnte sich an sie. »Ich möchte niemanden heiraten, Mama.«

Ihre Mutter zog ein Taschentuch hervor und wischte Helenes Tränen ab. »Dann müsstest du in ein Kloster gehen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass du das möchtest. Stattdessen wirst du die schönsten Schlösser besitzen, ein großes Vermögen, Kinder …«

Helene antwortete nicht. Doch dann sagte sie: »Ich würde durchaus ins Kloster gehen.«

Sisi sah sie verdutzt an. Das hatte nicht einmal sie von ihrer Schwester gewusst.

Auf dem Gesicht ihrer Mutter spielten sich widersprüchliche Emotionen ab. Mal schien sie mit ihrer weltfremden, bildungseifrigen Tochter zu fühlen, die im Beisein anderer kaum ein Wort über die Lippen brachte. Dann wieder erkannte man ihre Verärgerung über Helenes störrisches Verhalten, die Begriffsstutzigkeit, mit der ihre Tochter nicht zu erfassen schien, dass eine Pflicht auf sie wartete, der sie zu gehorchen hatte.

Sisi hatte Mitleid mit Helene. Sie würde der Pflicht nicht entkommen. Pflicht war etwas, das ihrer Mutter teuer war und worauf sie sich oft und gern bezog. Schließlich erfüllte auch sie täglich ihre Pflicht, ganz gleich, wie schwer ihr das mitunter bei ihrem Ehemann fiel.

»Vielleicht möchtest du ja, dass jemand mit dir an den österreichischen Hof geht.« Mit einer leichten Kopfgeste deutete sie auf Sisi.

Sisis Herz begann hoffnungsvoll zu schlagen.

»Was wäre denn, wenn Sisi und ich dich begleiten?«, fragte ihre Mutter betont munter. »Würdest du dich dann besser fühlen?«

Helene nickte erst nach langem Zögern.

Sisis Gedanken überschlugen sich. Sie würde Possenhofen verlassen und am prächtigen Wiener Hof leben. Sie würde eleganten Höflingen und Hofdamen begegnen und sehen, welche Kleidung man zurzeit trug. Das wäre eine ganz andere Welt als das einfache Leben, das sie in Possenhofen führte. Sie begann in diesen Bildern zu schwelgen – und dann machten sie ihr plötzlich Angst.

»Was meinst du dazu, Sisi?«

»Ich würde gern nach Wien gehen.« Sie drückte Helenes Arm. »Was glaubst du, wie lustig das wird.«

»Lustig?« Sisis Mutter zog die Brauen zusammen. »Du scheinst das für ein Abenteuer oder irgendeinen Roman zu halten, Elisabeth. Es ist weder das eine noch das andere.«

Sisi erschrak. Ihre Mutter hatte streng geklungen.

»Deine Rolle wird es sein, deiner Schwester beizustehen und ihr zu dienen, als wärst du ihre Zofe. Hast du das verstanden?«

Sisi nickte. »Ja, Mama.« Doch gleich darauf malte sie sich wieder aus, am österreichischen Hof zu leben, wo ihre Schwester eine der mächtigsten Frauen Europas wäre.

»Du wirst dafür sorgen, dass Helene immer einen tadellosen Eindruck macht.«

»Ja, das kann ich.« Noch einmal nahm Sisi die Hand ihrer Schwester. »Jetzt freu dich doch, Néné. Ich werde bei dir sein.«

Helene rang sich ein Lächeln ab.

»Bei Hof gibt es viele Möglichkeiten, etwas falsch zu machen und in Schwierigkeiten zu geraten«, fuhr ihre Mutter an Sisi gewandt fort. »Meine Schwester wird dich genau beobachten, und sie ist nicht so nachsichtig wie ich. Ich möchte von ihr nicht hören, dass sie an deinem Benehmen Anstoß nimmt, weil du dich ständig in irgendwelche Höflinge verliebst oder andere Dummheiten machst. Vergiss, wenn du dort bist, nie, dass meine Schwester mich immer auf dem Laufenden halten wird.«

»Ja, Mama.«

Ihre Mutter seufzte. »An einen Bräutigam für dich denken wir erst, wenn Helene sich in ihrer neuen Rolle zurechtgefunden hat.«

*

Nach dem Essen stiegen die Schwestern schweigend die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.

Der Habsburger Hof! Sisi konnte nicht anders, immer wieder ging ihre Phantasie mit ihr durch. Sie stellte sich opulente Banketts vor, Ballsäle, in denen Wiener Walzer getanzt wurde, und Damen in kostbaren Kleidern mit weiten, duftigen Röcken von gut aussehenden Herren über das Parkett geführt wurden. All das würde sie mit ihren fünfzehn Jahren erleben.

»Ich bin froh, dass du mit mir kommst«, sagte Helene, während sie den von Kerzen beschienenen Flur zu ihrem Zimmer durchquerten.

Sisi fand, dass ihre Schwester nicht sonderlich froh klang.

Sie öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. »Soll ich Agata beschwatzen, uns ein bisschen Wein zu bringen?«

Helene schüttelte den Kopf und ließ sich auf das große Bett sinken. »Ich bin ganz durcheinander.«

Sisi trat an die Fenster, um die Vorhänge zuzuziehen, und blickte hinaus in die blaue Abenddämmerung. Der Wald jenseits der Wiese ragte dunkel auf, nur der See besaß noch einen hellen Schimmer. Sie schaute am Ufer entlang. Ein Reiter war unterwegs, und aus den Bauernhäusern in der Ferne stieg Rauch aus den Schornsteinen auf. Tagsüber und bei klarem Wetter konnte sie von hier bis zu den bayrischen Voralpen sehen. Sie liebte diesen Blick, hätte die Szenerie mit geschlossenen Augen malen können. Als sie daran dachte, dass sie nun bald darauf verzichten musste, spürte sie ein schmerzliches Ziehen in der Brust.

»Du bleibst doch nur so lange bei mir, bis du selbst heiratest«, sagte Helene. »Und was dann?«

Sisi schloss die Vorhänge und drehte sich zu ihrer Schwester um.

»Dein Mann wird dich auf sein Schloss mitnehmen, nach Sachsen, Preußen oder Ungarn. Und dann bin ich allein.« Helenes Unterlippe begann zu beben.

Sisi setzte sich zu ihrer Schwester. »Du hast doch gehört, was Mama gesagt hat, ich darf mich ja nicht einmal verlieben. Ich werde erst an Heirat denken, wenn du mindestens ein halbes Dutzend süße kleine Erzherzoge und Erzherzoginnen in die Welt gesetzt hast. Das verspreche ich dir.«

Einen Moment lang schien Helene beruhigt, dann furchte sich ihre Stirn. »Ich glaube, eine Ehe ist etwas ganz Schreckliches.« Sie stand auf, streifte ihr schwarzes Kleid ab und ließ es fallen. In ihrem dünnen Unterkleid und mit der blassen Haut wirkte sie auf Sisi noch zarter und zerbrechlicher als sonst. Und dieser schmächtige Körper sollte dem Habsburger Kaiser Erben schenken?

Die Tür öffnete sich, Carl kam herein. »Aha«, sagte er und deutete auf Helene, »das also sieht der österreichische Kaiser in seiner Hochzeitsnacht.«

Doch die neue Rolle, die Helene einnehmen würde, schien auch ihn zu beeindrucken.

Helene trat ihre Schuhe ab und verschwand hinter einem Paravent.

»Ich habe euch gehört«, sagte Carl weiter. »Ihr habt von eurer Zukunft gesprochen.«

»Geh auf dein Zimmer, Gackel.« Sisi nahm einen von Helenes Schuhen und warf ihn nach Carl.

Carl wich ihm geschickt aus. »Wisst ihr, dass Franz Joseph schon mehrere Geliebte hatte? Unsere arme, unschuldige Helene. Hoffentlich hat er sich keine Krankheit eingefangen, die er an sie weitergibt.«

»Pass du lieber auf, dass du dich später nirgendwo ansteckst«, sagte Sisi. »Falls du überhaupt ein Mädchen findest, dem du gefällst.«

Carl errötete. »Ich hoffe, Helene bereitet sich gut auf die Hochzeitsnacht vor. Franz Joseph ist sehr erfahrene Mätressen gewöhnt. Wenn Néné etwas falsch macht, wird sie für ihn eine große Enttäuschung sein.«

Sisi sah ihn böse an. »Warum verziehst du dich nicht?«

»Dir wird es nicht besser ergehen«, fuhr Carl fort. »Du weißt genauso wenig wie Helene. Warum glaubt ihr, erzählt Mama uns immer, dass sie in der Hochzeitsnacht geweint hat?«

»Aber du, du weißt Bescheid, oder?« Sisi stand auf und trat zu ihrem Bruder. »Sei lieber nett zu Helene. Oder möchtest du, dass der österreichische Kaiser erfährt, wie eklig du zu seiner Braut bist? Und jetzt geh endlich.«

Carl zögerte noch einen Moment, doch dann machte er kehrt und lief zu seinem Zimmer.

Sisi schloss die Tür. »Warum muss er immer so gemein sein? Vom wem hat er das?«

Sie hörte ihre Schwester weinen. »Néné, komm wieder hervor, Carl ist weg.« Langsam wurde sie es leid, ihrer Schwester gut zuzureden, und ihr kam der Verdacht, dass ihr als Helenes Zofe kein leichtes Leben bevorstehen würde. »Nimm dir Carls Worte nicht zu Herzen. Er ist doch nur neidisch, weil er nicht mit uns nach Wien kommen darf.«

Helene trat im Nachtkleid hervor. »Es hört sich alles so furchtbar an.«

»Was?« Sisi löste ihre Zöpfe. »Kaiserin eines großen Reichs zu werden? Die kostbarsten Kleider zu tragen? Zu Walzermusik zu tanzen?« Sie lockerte ihr Haar, das ihr in schweren Wellen über den Rücken fiel.

»Nein«, flüsterte Helene. »Das, was Carl über die Hochzeitsnacht gesagt hat.«

»Carl ist dreizehn Jahre alt und hat nicht den leisesten Schimmer.« Sisi hielt inne, als ihr einfiel, dass sie und Helene auch nicht viel mehr wussten, darin hatte Carl recht gehabt. Ihre Mutter erging sich stets nur in Andeutungen, die verwirrend und beunruhigend waren. Worte wie »Pflicht« und »Unterwerfung« spielten dabei eine Rolle. Handlungen, die man »ertragen« musste, um für den Fortbestand der Familie zu sorgen. »Agata hat von jemandem erfahren, dass es gar nicht so schlimm ist, sondern eigentlich ganz schön.«

»Von wem hat sie das erfahren?« Helene ließ sich auf dem Hocker vor ihrem Toilettentisch nieder.

Sisi zuckte mit den Schultern. »Von den Mädchen in der Küche wahrscheinlich. Die unterhalten sich ständig über so was. Nur mit uns sprechen sie nicht darüber.« Im Grunde war das seltsam, dachte sie, immerhin war es an ihr und ihren Schwestern, eines Tages Kinder zu gebären. Daher müsste man ihnen eigentlich auch erklären, wie der Weg dorthin aussah.

»Aber Carl scheint etwas mitbekommen zu haben.«

Sisi lachte. »Weil er anfängt, sich bei den Mädchen herumzudrücken.«

Helene seufzte schwer. »Glaubst du, wenn ich Franz Joseph heirate, muss ich auch … du weißt schon.«

Sisi nickte ernst. »Natürlich musst du das.«

»Dann werde ich ihn um eine lange Verlobungszeit bitten.«

Sisi begann sich auszukleiden. »Denk einfach nicht mehr daran. Du musst es doch auch nicht oft machen. Nur bis Franz Joseph genügend Söhne hat.«

»Und was, wenn es wie bei Mama ist? Sie hat zehn Kinder zur Welt gebracht. Also hat sie es auch zehnmal mit Papa getan.«

Sisi musste lachen. »Das ist in der Tat schockierend.« Auch Helene fing an zu kichern.

»Wie schön, dass ihr so guter Laune seid«, sagte ihre Mutter, die mit neuen Kerzen eintrat. »Néné hat sich offenbar in das grässliche Schicksal, Kaiser Franz Joseph zu heiraten, ergeben.«

Sie legte die Kerzen auf den Nachttisch und drückte jeder Tochter einen Kuss auf die Stirn. »Bleibt nicht so lange auf.« Beim Verlassen des Zimmers fügte sie hinzu: »Und vergesst nicht – «

» – zu beten«, beendete Sisi ihren Satz.

»Gute Nacht.«

Sisi kletterte ins Bett und stieß das schwere Plumeau fort. Es war zu warm, um sich zuzudecken, und ihre Unterhaltung mit Helene hatte sie zusätzlich erhitzt.

Einen Moment lang sah sie ihrer Schwester beim Bürsten der Haare zu. Offenbar hatte sie sich ein wenig beruhigt. Deshalb griff Sisi das Thema Heirat noch einmal auf. »Warum hast du auf Mamas Ankündigung so heftig reagiert? Man hätte meinen können, sie wollte dich mit dem Fleischer unten im Dorf vermählen.«

Helene legte ihre Bürste ab und stieg zu Sisi ins Bett. »Wenn ich den Fleischer heiraten würde, könnte ich in Possenhofen bleiben. Und wir könnten jeden Sonntag zum Essen kommen.«

Sisi lachte. »Und den Braten mitbringen.«

»Und Carl würde sich vor meinem Mann fürchten, weil der Fleischer dreimal so stark ist wie er. Darum wäre er immer freundlich zu mir.«

Sisi ließ ihren Blick durch das Zimmer gleiten. »Possenhofen wird mir fehlen.«

Helenes Miene trübte sich wieder. »Mir auch.«

»Ich bin gespannt, wie Franz Joseph geworden ist.« Sisi versuchte, sich das Bild des zurückhaltenden jungen Manns noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Aber eigentlich wusste sie nur noch, dass sein Haar kastanienbraun gewesen war. »Wie sonderbar das alles ist.« Sie fragte sich, wie es sein würde, wenn Helene und Franz Joseph sich träfen. Sicher gab es unter den Hofdamen in Wien welche mit einer besseren Ahnenreihe als sie, junge Frauen aus souveränen Häusern, denen es aus irgendwelchen Gründen nicht gelungen war, die Gunst des Kaisers zu erringen. Wahrscheinlich würden sie darauf warten, dass Helene Fehler machte, und diese benutzen, um Sisis Schwester herabzusetzen. Allein deshalb würde Helene die bedingungslose Zuneigung des Kaisers gewinnen müssen, und dazu musste sie alles tun, um ihm zu gefallen.

»Im Vergleich zum allerhöchsten Erzhaus der Habsburger gelten wir nicht viel«, spann Sisi den Faden weiter. »Wir sind nur bayerische Prinzessinnen aus einer herzoglichen Nebenlinie der Wittelsbacher.«

Helene gab ihr keine Antwort. Sie holte das Plumeau zurück und verkroch sich darunter.

»Néné, sag doch was.« Sisi kuschelte sich an ihre Schwester. Auch solche Momente würde sie künftig vermissen. Sie bekämpfte den Kummer, der hochkommen wollte. »Wie fühlst du dich denn jetzt?«

Es dauerte eine Weile, bevor Helene antwortete: »Ich fühle mich nicht sehr … kaiserlich.«

»Ach, Néné, du musst einfach mehr Selbstvertrauen haben. Du bist hübsch und hast ein liebes Wesen. Der Kaiser wird eine so entzückende Braut bekommen, wie er sie sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hätte. Jedermann wird sagen, wie bezaubernd du bist.«

*

Als Helene in einen unruhigen Schlaf gefallen war, stand Sisi auf und trat ans Fenster. Es war eine wundervolle Sommernacht. Der Mond stand tief am Himmel und warf einen blassen Schein auf den See und über die Wiese.

Sie griff nach ihrem Morgenmantel und schlüpfte in die roten Samtpantoffeln, die sie im vergangenen Dezember zu ihrem fünfzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und die nach zahlreichen heimlichen Nachtausflügen bereits reichlich strapaziert aussahen. Doch in den Rillen der Sohlen haftete die Erde von Possenhofen, weshalb Sisi beschloss, die Pantoffeln als Erinnerung an ihr Zuhause nach Wien mitzunehmen.

Sie verließ das Zimmer und schlüpfte aus dem Haus.

Draußen lief sie hinunter zum See. Vom Wald her drang der Ruf eines Käuzchens, am Seeufer waren die knatternden Balzrufe der Frösche zu hören und in der Wiese zirpten die Grillenmännchen, die ihre Flügel aneinanderrieben, als wären sie in diesem Konzert die Geigen. Sisi breitete die Arme aus und atmete die warme Nachtluft ein.

Ihre Eltern hatten sie nicht nach streng religiösen Glaubenssätzen erzogen, ihr Vater war ohnehin, anders als ihre Mutter, liberal gesinnt und neigte zum Freidenkertum.

Für ihn wie auch Sisi musste man nicht in die Kirche gehen, um Gott zu begegnen, zumal Sisi ohnehin kein Wort der lateinischen Messe verstand. Vielmehr spürte man Seine Gegenwart in den majestätischen Bergen, der Sonne, die jeden Morgen auf- und jeden Abend unterging, im sanften Licht des Monds. Er steuerte die Abläufe der Natur und die Jahreszeiten, die jede auf ihre Weise schön war. Sogar in einer Gämse, die geschickt und geschmeidig über Felsen kletterte, oder einem Pferd in vollem Galopp sah sie Gottes Hand.

Sisi drehte sich zum Schloss um, das sich hell von der Dunkelheit abhob, und ihr wurde wehmütig zumute. Sollte sie das wirklich aufgeben, um am Wiener Hof zu leben?

Sie entdeckte eine Gestalt, die aus der Seitentür trat und die Wiese überquerte. Es war ihr Vater, wahrscheinlich auf dem Weg zu einer seiner Geliebten im Dorf. Seufzend blickte sie ihm nach und betete, dass Franz Joseph ihrer Schwester ein treuerer Ehemann sein würde.

Wie war ich einst so jung und reich An Lebenslust und Hoffen; Ich wähnte nichts an Kraft mir gleich, Die Welt stand mir noch offen.

Sisi

Kapitel 2

Ischl August 1853

Je näher sie dem Ziel ihrer Reise kamen, desto verzagter wurde Helene, und als sie die Grenze nach Österreich überquert hatten, fröstelte sie trotz des warmen Sommertags.

Langsam begann ihr Verhalten Sisi zuzusetzen.

»Jeder am Wiener Hof wird dich mögen, Helene«, sagte ihre Mutter. »Aber du musst lächeln.« Auch sie schien Helenes Gebaren beunruhigend zu finden.

Helene starrte wortlos vor sich hin.

»Bald sind wir im Hotel. Da werden wir uns frisch machen und umziehen, bevor wir meine Schwester und den Kaiser treffen«, sprach ihre Mutter betont munter weiter.

Es war für ihre Mutter nicht einfach, gute Laune zu mimen, dachte Sisi. Während der Reise hatte sie unter Migräne gelitten, mitunter so schlimm, dass sie die Augen geschlossen und bei jedem Erdbuckel, über den die Kutsche geholpert war, schmerzhaft das Gesicht verzogen und ihre Schläfen massiert hatte.

Nun musterte sie ihre Töchter abwechselnd, als wollte sie die beiden miteinander vergleichen. Fiel ihr Blick auf Helene, wirkte sie ratlos und schüttelte den Kopf.

Sisi hatte die Reise Spaß gemacht. Sie hatte aus dem Kutschfenster auf die vorbeiziehende Landschaft geschaut, in die frische, würzige Luft geschnuppert, die von draußen hereindrang, die Berge und die hübschen Ortschaften entlang der Strecke bewundert. Ihre Augen glänzten, ihre Wangen waren gerötet, und unentwegt kommentierte sie das, was sie sah. Nun konnte sie es kaum erwarten, ihrer Tante und ihrem Cousin wiederzubegegnen.

Helene schenkte der Landschaft keinen Blick, hatte auf der ganzen Reise kaum einen Bissen zu sich genommen und sich mit fahlem Gesicht immer tiefer in ihr schwarzes Kleid verkrochen.

»Im Hotel legen wir die Trauerkleidung ab«, erklärte ihre Mutter zum hundertsten Mal. Vielleicht hoffte sie, ein farbenfrohes Kleid würde aus Helene die Braut machen, die der Kaiser erwartete.

Sisi blickte weiter aus dem Fenster und lenkte sich von Helenes Trübsinn ab, indem sie sich das Leben in den Häuschen und Bauernhöfen am Wegrand ausmalte. Sie kam zu dem Schluss, dass die Berghirten es wahrscheinlich am besten hatten. Sie verließen die Höfe oder ihre Almhütten in aller Herrgottsfrühe und zogen mit ihren Herden über die grünen Hänge. In ihrem Beutel steckten ein Laib Brot, ein Kanten Käse und ein wenig Wein. Am Mittag ruhten sie sich auf einem sonnenbeschienenen Fleck aus, der blaue Himmel über ihnen so nah, dass man glaubte, ihn anfassen zu können. Und niemand sagte ihnen, was sie zu tun hatten.

»Hier würde es meinem Pferd gefallen«, sagte sie und verspürte einen ersten Hauch Heimweh. »Stundenlang könnte ich mit ihm über diese schönen Wiesen und Felder reiten.« Weder ihre Mutter noch ihre Schwester gab ihr eine Antwort.

»Mama, meinst du, ich kann in Wien reiten?«

»Das weiß ich nicht.« Ihre Mutter lehnte den Kopf gegen die Kutschwand und schloss erneut die Augen. »Wahrscheinlich wirst du zu viel zu tun haben, um reiten zu können. Vergiss nicht, dass du dich mit dem kaiserlichen Hof vertraut machen und jeden von Bedeutung kennenlernen musst. Man wird dir die höfische Etikette beibringen, von der du noch keine Ahnung hast. Die Wiener Hofgesellschaft wird sich kaum für deine Reitkünste interessieren. Stattdessen erwarten sie eine wohlerzogene, kultivierte junge Dame. Das Gleiche gilt für Helene.«

»Wenn ich nicht reiten kann, weiß ich nicht, ob ich es dort aushalte.« Sisi hatte es kaum ausgesprochen, als sie bereits wünschte, sie könnte ihre Worte zurücknehmen.

Die Augen ihrer Mutter flogen auf. »Du wirst das tun, was man von dir verlangt«, sagte sie barsch.

»Entschuldige, Mama«, entgegnete Sisi kleinlaut. Sie hatte ihre Mutter selten so unduldsam wie auf dieser Reise erlebt.

Ihre Mutter seufzte und schloss wieder die Augen.

Nach einer Weile sagte sie: »Es tut mir leid, dass ich so schroff zu dir war. Ich habe einfach Angst, dass … Ich möchte doch nur, dass meine beiden Töchter am Wiener Hof erfolgreich sind.«

Sisi überlegte, ob es dort wirklich ganz anders als in der bayerischen Königsfamilie zugehen konnte, mit der sie vertraut war. Ihre Mutter entstammte dieser Familie schließlich, ebenso wie ihre Schwester, die Erzherzogin Sophie. Sie wünschte, ihre Mutter würde daraus Zuversicht schöpfen und ließe sich ihre Sorge nicht so deutlich anmerken, sie verunsicherte Helene dadurch nur noch mehr. »Natürlich werden wir erfolgreich sein«, sagte sie fest. »Du hast nicht den geringsten Grund, Angst zu haben. Außerdem hast du gesagt, dass Tante Sophie uns helfen wird.«

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe jedenfalls, dass sie es tut.«

Sisi verspürte Mitleid mit ihrer Mutter. Sie war so glücklich gewesen, als sie erfahren hatte, dass Helene die Braut von Kaiser Franz Joseph werden würde. Dann hatte sich die Nachricht im bayrischen Königreich herumgesprochen, und scharfe Zungen hatten ihr klargemacht, wie wenig die viel zu frei erzogene Helene –und Sisi erst recht – geeignet seien, am Wiener Hof zu bestehen. Danach hatte ihre Mutter begonnen, die Mädchen für Benimmfehler zu schelten, die sie zuvor anstandslos geduldet hatte. Gleich zu Beginn der Reise hatte Sisi ihren Unmut abbekommen. Da hatte sie dem Kutscher beim Tränken der Pferde geholfen und war mit nassen Flecken auf dem Kleid in die Kutsche zurückgekehrt.

»Lass dir das nicht noch mal einfallen«, herrschte ihre Mutter sie an. »Du bist kein Stallbursche.«

Überhaupt hatte sie ständig Regeln aufgestellt.

Wagt es ja nicht, Tante Sophie Widerworte zu geben!

Am Wiener Hof wird nicht wie ein Pferd durch den Flur galoppiert!

Am Wiener Hof erscheint ihr zum Essen nicht verdreckt wie ein Bauer!

Inzwischen hatte Sisi den Eindruck, dass in der Hochachtung, die ihre Mutter ihrer Schwester entgegenbrachte, eine gehörige Portion Furcht enthalten war. Kurz vor ihrem Aufbruch hatte sie am Studierzimmer ihres Vaters ein Gespräch ihrer Eltern belauscht, da hatte sie denselben Eindruck gehabt.

»Was, wenn Helene und Sisi den Kaiser, ohne es zu wissen kränken? Oder noch schlimmer, wenn sie Sophie kränken? Sie ahnen doch gar nicht, wie streng es am Habsburger Hof zugeht.« Das war die Stimme ihrer Mutter.

»Helene und Sisi sind keine Bauerntrampel, sondern zwei entzückende junge Damen«, hatte ihr Vater geantwortet. »Und sie gehören zu den Wittelsbachern, wenn ich das hinzufügen darf.«

»Aber sie sind gesellschaftlich ungeschliffen. Statt ihnen Benimm- und Tanzunterricht zu geben, haben wir sie reiten, bergsteigen und angeln lassen.« Sisis Mutter, die sonst so großen Wert auf Haltung legte, hatte panisch geklungen und war im Zimmer auf und ab gelaufen. »Außer Possenhofen haben sie noch nicht viel gesehen. Sophie wird das im Handumdrehen erkennen.«

»Das ist doch genau das, was deine Schwester wünscht. Eine Schwiegertochter, die sie nach ihren Vorstellungen formen und gängeln kann. Sie wird Helenes fehlenden Schliff als etwas Vorteilhaftes betrachten.«

Daraufhin schwieg Sisis Mutter eine Weile, bis sie schließlich sagte: »Langsam kommt mir der Verdacht, dass diese Ehe für Helene doch nicht das Richtige sein könnte. Vielleicht haben wir zu sehr an die Aussichten gedacht, die sich unserer Familie durch diese Verbindung bieten, und zu wenig an das Leben, das auf Helene zukommt. Und auf Sisi.«

Als sie ihren Namen hörte, trat Sisi noch einen Schritt näher an die halb geöffnete Tür.