Smoke (eBook) - ars vivendi verlag - E-Book

Smoke (eBook) E-Book

ars vivendi verlag

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Beschreibung

Nicole Kidman tut es, Robbie Williams braucht es und Matt Damon hat versucht, es aufzugeben – das Rauchen. Für die einen bedeutet es immer noch Genuss pur, für die anderen eine lästige, verwerfliche Sucht. Und derzeit polarisiert wohl kaum ein anderes Thema unsere Gesellschaft so sehr wie der Griff zum Glimmstängel. Für gut ein Viertel der Bevölkerung gilt weiterhin die Losung: 'Ich rauche, also bin ich.' Für sie – und für alle nostalgischen Ex- und toleranten Gelegenheitsraucher – ist diese wunderbare literarische Anthologie über das herrlichste Laster der Welt gedacht. Mit 21 exklusiven Nikotingeschichten von Thommie Bayer, Larissa Boehning, Veit Bronnenmeyer, Adelheid Dahimène, Susanne Heinrich, Sandra Hoffmann, Wladimir Kaminer, Thomas Lang, Alexa Hennig von Lange, Petra Nacke, Mathias Nolte, Selim Özdogan, Sascha Pranschke, Horst Prosch, Antje Rávic Strubel, Elmar Tannert, Elmar Vogt, Sabine Weigand, Joseph von Westphalen, Tom Wolf und Michael Zeller. 'Die Zigarette ist der vollendete Ausdruck eines vollkommenen Genusses: Sie ist exquisit und lässt uns unbefriedigt.' Oscar Wilde

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Geschichten vom blauen Dunst

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage September 2008)

 

© 2008 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

 

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Hanna Stegbauer

Korrektorat: Stephan Naguschewski

Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-518-2

 

Ein leidenschaftlicher Raucher, der

immerzu von der Gefahr des Rauchens

für die Gesundheit liest, hört

in den meisten Fällen auf – zu lesen.

Winston Churchill

Inhalt

 

Veit Bronnenmeyer – Der erste Kontakt

Larissa Boehning – Wie schön es wäre

Thommie Bayer – Kleine Handreichung zum perfekten Mord

Selim Özdogan – Was man kennt

Adelheid Dahimène – Kreuzschraubenverhängnis

Elmar Vogt – Das HFC3-Syndrom

Sascha Pranschke – Links und rechts vom Äquator

Alexa Hennig von Lange – Wo brennt’s denn?

Tom Wolf – Smoke-Collect – Champagnerluft und Tradition

Mathias Nolte – Gitane, mon amour!

Petra Nacke – Ausgesperrt – Notizen einer Trotzraucherin

Horst Prosch – Was ich nicht wollte

Sabine Weigand – Bekenntnisse eines Scharlatans

Michael Zeller – Drei Gold Dollar

Sandra Hoffmann – La figlia del mio capo

Elmar Tannert – Nichtraucherflug

Antje Rávic Strubel – Genussmittel

Thomas Lang – Das zweite Mal

Susanne Heinrich – Die ersten Amerikaner

Wladimir Kaminer – Der perfekte Mann

Joseph von Westphalen – Die Welt ist nicht sauber

Die Autoren

 

 

Veit Bronnenmeyer – Der erste Kontakt

2020 wurden der deutsche Astronaut Mark Eckstein und der russische Kosmonaut Dimitri Belomor als letzte Besatzung auf die Internationale Raumstation ISS geschossen – und vergessen. Also, nicht wirklich vergessen, aber als das Space Shuttle, welches Dimitri und Mark zur Erde zurückholen sollte, bereits an der Startrampe stand, löste sich die Hälfte der Hitzeschutzkacheln in Wohlgefallen auf, und die letzten beiden Sojus-Kapseln der Russen waren derart verrostet, dass nicht einmal die russische Weltraumbehörde einen Start genehmigte. Weder NASA noch ESA noch Russland oder China hatten zu dieser Zeit Geld für die Entwicklung oder den Bau bemannter Raumfahrzeuge übrig. Man versprach, die beiden baldmöglichst wieder zu Erde zu holen, gab aber im gleichen Atemzug zu bedenken, dass es ein bis zwei Jahre dauern könne. Da traf es sich gut, dass Dimitri und Mark verschiedene Pflanzenarten mit an Bord gebracht hatten. Zum einen halfen sie, das Sauerstoffproblem zu lösen. Zum anderen waren auch fünf Tabakspflanzen dabei. Rein zufällig waren die beiden Raumfahrer beide hartnäckige Raucher geblieben, obwohl der Tabakgenuss in Europa in allen öffentlichen Räumen bereits verboten und in Russland zumindest nicht mehr gerne gesehen war. Gleichwohl gab es noch Zigaretten, denn auf die Einnahmen aus der Tabaksteuer wollte keine Regierung verzichten. Mark war seit Jahren über die zunehmende Kriminalisierung seines Hobbys so empört, dass er zwei Stangen Filterzigaretten mit an Bord geschmuggelt hatte. »Per Aspera ad Astra« stand auf den Schachteln – »Durch Mühsal zu den Sternen«, sehr passend. Und da sich einerseits die Bodenkontrollstationen kaum noch für die ISS interessierten (sie sollte nach dieser Mission sowieso außer Dienst gestellt werden) und man andererseits nicht mit Sicherheit davon ausgehen konnte, dass die irdischen Anti-Raucher-Gesetze auch im Weltraum galten, richteten sich Mark und Dimitri in einem ausgemusterten Forschungsmodul einen Raucherraum ein. Sie hegten und pflegten die Tabakspflanzen und freuten sich, als sie prächtig gediehen. Als nach einem Monat die zwei Stangen Zigaretten zur Neige gingen, konnten sie eine erste vorsichtige Ernte wagen.

In den folgenden drei Monaten genossen Mark und Dimitri ungetrübte Rauchfreuden mit selbstgezogenem Feinschnitt, den sie ORBIT nannten. Irgendwann wurde es Dimitri langweilig und er begann, im Columbus-Teil eine Werkstatt einzurichten. Tagelang feilte er, bohrte, sägte und schweißte. Schließlich kam er zufrieden lächelnd zum abendlichen Rauchtermin und verkündete, dass sie morgen eine neues Modul an die ISS montieren würden, es würde Zeit für einen Weltraumspaziergang. Tags darauf stiegen Mark und Dimitri mit einem russischen Werkzeugkoffer aus und brachten ein neues, nicht gerade großes Modul an der zentralen Einheit der ISS an, unmittelbar neben der Ein- und Ausstiegsschleuse. Es handelte sich um einen etwa helmgroßen Aschenbecher. »Also, ein wenig sinnlos ist das jetzt schon«, frotzelte Mark über die Sprechverbindung. »Erstens brauchen wir zum Rauchen nicht vor die Tür, zweitens brennt im Vakuum sowieso keine Zigarette und drittens würden die Kippen eh nicht da drin bleiben, wegen der Schwerelosigkeit.«

»Und warum rauchst du?«, antwortete Dimitri knapp. »Weil es Sinn macht? Oder weil es Spaß macht?« Er dokumentierte das Werk auf einer Space-Camera. »Außerdem war mir langweilig, und bloß weil etwas heute noch nicht geht, muss das ja nicht für alle Zukunft gelten. Nächste Woche fangen wir an mit Wodka-Brennen!«

Es dauerte dann noch zwei Wochen, bis es zum ersten Kontakt der Menschheit mit einer außerirdischen Rasse kam. Dimitri weckte Mark eines Tages aus dem Mittagsschlaf und meldete, dass ein unbekanntes Raumschiff sich daran machte, an der ISS anzudocken. Zuerst dachten sie noch, es handle sich um ein Shuttle, das sie zur Erde zurückbringen sollte. Als sich aber bei genauerem Hinsehen sowohl die Bauart als auch die auf dem Schiff angebrachten Schriftzeichen als völlig fremd erwiesen, wurde es den beiden mulmig. Als das unbekannte Schiff schließlich angelegt und die Schleuse sich dampfend und zischend geöffnet hatte, betrat eine humanoide Lebensform die ISS. Sie trug einen silbern glänzenden Raumanzug und verfügte über zwei Beine, vier Arme und drei Augen. Auch mund- und nasenähnliche Organe waren in dem blauhäutigen Gesicht zu sehen. Der, die oder das Fremde zog eine kleine Schachtel aus seinem Anzug und entnahm ihr einen grünen zylindrischen Gegenstand von etwa 10 Zentimeter Länge. Gleichzeitig gestikulierten die verbleibenden drei Arme wild und ein Schwall fremd klingender Laute knarzte durch die Station.

»Das kann doch nicht sein«, stammelte Mark, »ich glaube, der will …«

»Feuer«, sagte Dimitri und warf dem neuen Freund eine Schachtel Streichhölzer zu.

 

 

Larissa Boehning – Wie schön es wäre

 

Es sieht so wunderbar aus, so elegant. In Schwarz und der große Silberschmuck an den Fingern und der sauerkirschrote Mund und dann ab und zu der Filter, der von diesen Lippen umrahmt wird, tief einatmen, es muss gut schmecken, es muss große Gedanken befördern, es muss größte Einsichten ins Weltgeschehen eröffnen, es kringelt sich die Luft ums Gesicht, die langweilige Luft, die man sonst nie sieht, so macht das Rauchen Unsichtbares sichtbar. Ach, es gibt viele Gründe, warum ich manchmal gerne rauchen würde. Hier sind die ersten, die mir einfallen.

 

1. Man kann immerzu vom Aufhören reden

Ich kann immerzu nur vom Anfangen reden. Ich will anfangen mit dem Sport, anfangen, mich gesund zu ernähren, ich will anfangen mit dem Schreiben des Romans, ich würde gerne mal übers Aufhören nachdenken. Dem Anfangen steht etwas im Weg, was viele Namen hat. »Schweinehund«, zum Beispiel. Genau betrachtet könnte das ein interessanter Zeitgenosse sein. Im Park sehe ich die Hundebesitzer, die lautstark ihre vergrößerten Bettwanzen herumbefehlen. Die Tiere scheinen so beliebt zu sein, weil sie jeden Befehl befolgen. Sie sind wie Kinder, nur eben ohne eigenen Willen, ohne komplizierte Essenswünsche, Schlafrituale, Zahnpastaphobien. Sie sind quasi der Inbegriff des modernen komplikationslosen Kindes. In Berliner Parks haben Hunde freien Auslauf, Kinder vergnügen sich auf abgezäunten Arealen. Ein Hund, der zur Hälfe noch Schwein ist, scheint mehr eigenen Willen zu haben als die Promenadenmischungen, die ich im Park ihren Herrchen hinterherhüpfen sehe. Ein Schweinehund sagt: Nein. Ich will nicht. Ich habe keine Lust. Ich habe anderes zu tun. Ich lasse mich nicht zum Anfangen überreden. Ich fange gar nichts an. Genauer gesagt: Ich liege hier herum und denke ausschließlich darüber nach, wie ich alle Menschen vom Anfangen abhalten kann. Ich liebe es, meinen Rücken am Gatter zu scheuern, gegen das Licht die Augen zu schließen und meine knapp bemessene Zeit bestmöglich zu vertrödeln. Mit Nichtstun und heiligem Schlendrian. Alle anderen sollen es mir gleichtun.

Wäre ich Raucher, könnte ich rauchen und dabei übers Aufhören nachdenken. Und darüber das Anfangenwollen vergessen. Und anfangen. Es wäre so einfach. Wäre ich nur Raucher.

 

2. Man schult jeden Tag seinen blinden Fleck

Ich stelle mir das so vor: Ich krame in meiner Handtasche nach der Schachtel, klappe mit dem Daumen den Deckel auf, schaue hinein, sehe meinen Vorrat, entnehme eine, lege die Schachtel gut sichtbar auf den Tisch vor mir, da ich ja beide Hände brauche, um mein Feuerzeug zu suchen, dabei fällt mein Blick auf den trauerkartenschwarzen Rand, auf die grauenerregenden Mitteilungen in seiner Mitte (SIE STERBEN FRÜHER! SIE BEKOMMEN KREBS IM GANZEN KÖRPER! SIE ALTERN DOPPELT SO SCHNELL!) und was sehe ich? Nichts. Ich nehme das Schwarz auf dem Weiß gar nicht wahr. Ich sehe, wenn’s hoch kommt, noch so ein Muster, aber das hält keine tiefere Bedeutung bereit. Es ist eher ein Op-Art-Muster, worin mein Blick verschwinden kann. Es saugt meinen Blick auf und ich bin vollkommen befreit von schlechten Gefühlen, ich danke meinem ­blinden Fleck, der jedes Mal so gute Arbeit leistet. So einen blinden Fleck wünsche ich mir beim Durchstreifen der Stadt sehr oft. Dann könnte ich einfach die Riesenanzeigetafeln an Großkreuzungen übersehen, die wenig gekonnten Graffitis auf den Spielplatzgeräten, die Hundehaufen am Fuß der Linde vor meinem Haus, das griesgrämige Gesicht der Dame hinterm Postschalter. Ich könnte jedes Mal eine Zigarette zur Hand nehmen, wenn ich meinen blinden Fleck brauche. Und einen Blick auf die Schachtel werfen und schauen, ob es noch funktioniert.

 

3. Man ist nie allein mit einer Zigarette

Ich sitze im Café und habe nur meinen Tassenhenkel oder mein Latte-Glas, an dem ich mich festhalten kann. Zur Not noch das Zuckertütchen, das gequetscht und gefaltet werden kann. Eine einsame Frau, die vor einem Cappuccino sitzt und dabei eine Zigarette raucht, sieht einfach besser aus. Sie sieht nicht aus wie eine gestresste Halbtagsmutter, die mal eben die zehn Minuten Mittagschlaf ihres Kindes nutzt, um möglichst viel Koffein in sich hineinzukippen. Sie sieht aus wie eine nachdenkliche Schriftstellerin, die an dem ersten Satz ihres nächsten Werkes feilt. Die Wörter in ihrem Inneren hin und her wendet, sie auf einen Grund fallen lässt und horcht, wie sie klingen. Während die Zigarette verglimmt, der Rauch aufsteigt, der Blick ins Unendliche gerichtet ist: Ah, was sagt Sigune zu Jenny, was Siegfried zu Jule, wie klingt der Augenblick, wenn die Zikaden verstummen, wie leuchtet ein Pool in der Nacht, wie tanzen zwei Menschen miteinander, die sich eigentlich hassen, wie lieben sie sich danach beim Anblick von Lonesome George, der letzten Schildkröte seiner Art, für den es keine passende Frau mehr gibt. Große Gedanken, größte Einsichten, wie schon gesagt, sieht alles besser aus mit Rauch. Sieht nach Arbeit aus. Nach: Ich bin nicht einsam, weil ich meine Gedanken habe.

Vor ein paar Tagen durchstöberte ich einen Secondhand-Laden für Kinderkleidung in einem Berliner Szenebezirk. Drei Mütter unterhielten sich, eine saß am Verkaufstresen, ihr gehörte der Laden, eine saß in einer Holzkarre auf einem Haufen T-Shirts, eine auf einem grünen Hüpfball. Sie dachten darüber nach, wie es wäre, mal ein paar Tage ganz allein auf einer einsamen Insel zu sein, ohne die krakeelenden Kinder, den schlechtgelaunten Ehemann, ohne Masern, Husten, Abendbrotmachen, und auch ohne ihre Freundinnen. Die Mutter auf dem Hüpfball vertrat die These, dass es ihr ausreichen würde, allein dort zu sein, sie habe ja sich zum Reden und könne sich so »intellektuell selbstbefriedigen«, wie sie es nannte. Die Mutter in der Holzkarre sagte, sie würde sich binnen Stundenfrist umbringen. Die Mutter hinterm Tresen, die Besitzerin, rauchte und sagte: Ich brauch nur meinen Vorrat, dann vermisse ich nichts. Soll mein Mann in der Zwischenzeit ganz zu seiner Freundin ziehen. Alle Probleme würden sich einfach nur dadurch lösen, dass ich auf der Insel bin und in Ruhe eine rauche.

 

4. Man lebt ein Leben wie in einem französischen Film

Wie leicht und luftig dort von den Abgründen des Lebens erzählt wird. Wie Éric Rohmers Filme nachleuchten. Und wie wunderbar die Frauen in diesen Filmen rauchen. Lässig, sexy, nervös, weltbewegend nebenbei. Marie Rivière in Das grüne Leuchten. Zusammen mit ihren Freundinnen am Holztisch im verwilderten Blumengarten. Sie spielen nicht rauchen. Sie können noch rauchen. Sie reden über ihre Einsamkeit, über das Unglück mit den Männern, über Horoskope, Schwindel und den Zufall und qualmen wie Schlote. In Deutschland unternimmt Stefan Krohmer mit Sommer ’04 den Versuch, so wie Rohmer zu erzählen, und scheitert. Denn Martina Gedeck sieht beim Rauchen so aus, wie ich beim Rauchen aussehe. Wie der letzte Heuler. Es fehlt nur noch, dass sie anfängt zu husten.

In Spanien rauchen Frauen im Gehen auf der Straße, es ist immer noch eine provozierende Geste, die zeigt, dass sie berufstätig sind, Geschäfte machen, und nicht ihre Zeit damit vertrödeln, die Hemden ihrer Männer im Patio aufzuhängen. Es gibt in diesen Ländern diese Frauen mit den tiefen Stimmen, meine Tante Musine hat so eine Stimme, ich telefoniere gerne mit ihr, sie spricht fließend alle romanischen Sprachen und ist mit ihren weiten 70er-Jahre-Kaftan-Kleidern und den pechschwarz gefärbten und hochtoupierten Haaren mein Inbegriff einer alternden Diva. Die nie in einem Film aufgetreten ist. Aber ein Leben wie in einem französischen Film führt. Meine Tante Musine hat diese rauchige Stimme, den Geruch von Gauloises um sich, Tabakkrümel unterm Sofakissen und Glutlöcher an den Flügelärmeln ihrer Kaftane. Sie spricht ein Kauderwelsch aus Französisch, Spanisch und Deutsch, so wunderbare Wörter wie »Apanage« habe ich bei ihr, der geschiedenen Frau, kennengelernt. Unter Musines Kauderwelsch liegt eine solide Schicht Zigarettenrauch, unzählige Filterlose, die all ihre Wörter in Filzwolle einstricken. Ihre Stimme wäre die einzig passende Synchronstimme für eine alternde französische Diva, die in jedem ihrer Filme geraucht hat, die noch heute raucht, die rauchen wird, bis sie ins Grab fällt. Wenn Musine raucht, ist sie glücklich. Wenn gerade keine Zigarette zur Hand ist, fällt sie in tiefen Kummer über ihren verschwundenen Mann, über ihren Rauswurf aus dem Bungalow mit Pool hoch oben über dem Genfer See, über die fünf Konzertflügel, die sie mal besessen hat – für jedes Wohnzimmer einen – und die sie alle ­verkaufen musste, weil ihre Apanage jetzt so klein ist, so klein wie ihre Wohnung, in die ihr Ex-Mann sie gesteckt hat, wo er doch wieder ein Haus mit 600 Quadratmetern bezogen hat. In ihrer Wohnung haben nur noch ihre 70er-Jahre-Kleider Platz, der Reichtum ihrer Jugend, in Wahrheit nehmen sie einen Großteil der Wohnung für sich ein, außer ich komme zu Besuch, dann schenkt sie mir jedes Mal ein Kleid. Mal ein schwarzes mit Brandlöchern in den Flügelärmeln. Mal ein pinkfarbenes mit handgestickten Rosetten und Applikationen. Mal ein kunterbuntes mit fünffachen Rüschen am Dekolleté. Jedes für sich ein Kleid wie aus einem Film.

In Deutschland sehen die Büros der meisten Tatort-Kommissare aus wie Nichtraucher-Zonen mit Orangenblütenduft-Tapeten. Ich möchte gerne mal wieder einen deutschen Film sehen, in dem alle Schauspieler richtig rauchen. Genussvoll, sexy, nebenbei. Als Zeichen der Emanzipation. Zur lustvollen Selbstzerstörung. Als Ablenkung von all der Unbill des Lebens.

 

5. Zigarettenautomaten speichern freundlicherweise mein Leben

Das finde ich eine reizvolle Vorstellung. Ich stecke meine Kreditkarte in den Schlitz des Automaten, so kann er überprüfen, dass ich auch wirklich volljährig bin. Ich gebe ihm bereitwillig Einblick. So wissen die vielen, immer unterschiedlichen Zigarettenautomaten dann, wo ich mal gewesen bin. Falls ich meinen Weg vergesse. Falls mir ein Stück meiner Geschichte abhanden kommt. Dann kann ich den Betreiber um eine Auskunft bitten. Es gibt bestimmt eine Art Selbstauskunftsstelle für Benutzer von Zigarettenautomaten. Ich kann meine Mengen abfragen, die Frequenz meiner Käufe, die Uhrzeiten. Ich kann mich erinnern: Ja, da an dem Kieler Automaten am Hafen, da habe ich mir die erste Schachtel nach dem Aufhören gekauft, weil es einfach nicht anders ging, als am Hafen auf das Einlaufen der Fähre zu warten und zu rauchen. Ich war zu nervös. Der Schwede kam ja das erste Mal zu Besuch. Da steh ich doch nicht am Kai wie eine langweilige Nichtraucherin und lasse mir meine 200-Euro-Frisur zerzausen, ohne dabei zu rauchen. Der Filmkuss mit dem Schweden. Seine blonden Haare glänzen in der Wintersonne, die schräg über der Förde hängt. Ich trage ein weißblau gestreiftes Kleid mit neckischen Blumenkräuseln am Rocksaum, einen dunkelblauen Mantel, Seidenstrümpfe und Stiefel. Ich habe meine Baskenmütze über ein Ohr gezogen und halte die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger, während meine Hand auf seinem breiten, schwedengoldenen Nacken liegt. So steigen hinter seinem Kopf, den er mir zuneigt, die Kringel unserer Liebe auf.

Falls ich das mal vergessen sollte, kann mir der Automat auf die Sprünge helfen. Kiel. 11.34 Uhr. Eine Packung Marlborolight. Ach ja. Henrik Agnusson.

 

6. Man kann in Ruhe auf der Straße stehen und rauchen

So im Niemandsland vor der Glasdrehtür, Gesellschaft leistet der Edelstahl-Aschenbecher mit Sanddach, und man raucht und lässt die fiese Bemerkung der Teamassistentin über die eigene Socken-Krawatten-Kombination sich in Luft auflösen. Man atmet den billigen Deo-Geruch der Teamassistentin ein und atmet sie mitsamt ihrem Zickengeflüster wieder aus. Man beruhigt sich und genießt die Stille zusammen mit der Drehtür und dem Aschenbecher. Man genießt sogar den Regen, der alle anderen düsteren Gedanken wegzuwaschen vermag: Den Blick des Chefs auf die Excel-Tabelle, die einfach nicht richtig funktionieren will. Die Geste des Kollegen, wie er das Kinn nur einen Zentimeter zu hoch trägt, als er aus dem Zimmer des Abteilungsleiters kommt und so zu dir rüberguckt und dich ganz klein werden lässt. Die an den Mund gelegte Hand der blonden Neuen, wie sie der Kollegin, mit der du leider mal etwas gehabt hast, etwas zutuschelt, nein, wie beide tuscheln. Wie die blöde Kollegin, die, ehrlich gesagt, der letzte Heuler war, – wie diese Tussi dabei ist, dir jede Chance bei der Blonden zu vermasseln. Und wie die sich über ihre kleine Rache freut. Auch diese Gedanken kannst du vom Regen abwaschen lassen, mit dem Zigarettenrauch ausatmen, und sie mit allem anderen zusammen in die verwüsteten Zwischenräume der Bürotürme schicken. Wie wunderbar ist dieses Reinigungsritual, wenn man nur Raucher ist. Was machen die armen Nichtraucher-Kollegen in der Zwischenzeit? Sie verheddern sich im Klatsch und in den Intrigen, sie kommen von den bösen Blicken des Chefs nicht los, ihnen bleibt nur ein kurzer Ausflug ins Internet zum Abreagieren, und das ist auch verboten. Sie werden noch gekündigt, weil sie Nichtraucher sind und ihnen die Möglichkeit zum Draußenstehen und Durchatmen genommen ist. Sie stehen nicht neben der Drehtür. Sie werden durch die Drehtür gequirlt. Sie haben keinen schweigsamen Edelstahl-Kollegen als Gehilfen, sie haben gar niemanden. Sie können sich in der neonbeleuchteten Teeküche einen Beruhigungstee brauen, aber ist das wirklich das Gleiche?

7. Als Raucher kann man ein richtiges Feindbild sein

So schaue ich die Mütter auf dem Spielplatz an, die in unmittelbarer Nähe ihrer Kinder rauchen: Ahhh, grrrrr, iiiihhhhhrrrrrr fürrrrchhhhterrrrliiichen Ego-Mütttttteeerrrrr. Ich will euch am liebsten gleich alle beim Jugendamt anzeigen, wegen fahrlässiger Herbeiführung von Asthmaerkrankungen bei euren Kindern. Ich würde am liebsten zu euch gehen, und euch die Fluppe verkehrt herum in den Mund stecken. Ich würde euch am liebsten gleich eure meist etwas bleichgesichtigen Kinder entreißen und sie in Pflege nehmen. Ihr seid mein erklärtes Feindbild. Ihr seid die Täter, die die Mütterpolizei auf dem Spielplatz so dringend braucht. Es muss die Bösen und die Guten geben. Sonst fällt die Welt ins Ungleichgewicht. Wenn es nur noch selbstkochende Bio-Mütter mit Lammfell im Edel-Bugaboo gäbe, wenn es nur noch Mütter gäbe, die ihre Kleinen in den Römer King plus auf die hohe Rückbank ihres Geländewagens schnallten und dabei pädagogisch sinnvolle Lieder trällerten, wenn sich alle nur noch zu ihren Süßen in den Sand setzten und mit ihnen Kuchenbacken übten, bis der Arzt kommt –, wenn es so weit wäre, dann bräuchte es doch unbedingt das Feindbild der rauchenden Mutter. Ach, huste nur ein bisschen, Kleiner, dann lockert sich wenigstens deine chronische Bronchitis. Ach, atme nur ein bisschen dicke Luft ein, das härtet ab für die kommende Klimakatastrophe.

Mir fällt meine Hebamme ein, eine zupackende Frau von Anfang fünfzig, die mal die folgende Geschichte erzählte: Sie besuchte die Frischentbundene im Wochenbett. Sie fand zuerst das Zimmer gar nicht, die Luft war geschwängert von Qualm. Sie dachte, es brennt irgendwo. Lief in die Küche, ins Bad, ins Kinderzimmer, in dem die drei anderen Kinder ungerührt vor ihrer Playstation hockten. Was sie nur hören, nicht sehen konnte. Sie lief weiter und fand das Schlafzimmer. Da thronte die Mutter mit ihrem Neugeborenen und stillte es einhändig, schon gut geübt. Und zündete sich noch geübter mit nur einer Hand eine neue Zigarette an der alten an. Dieser Anblick brachte die resolute Hebamme das erste Mal in ihrem Berufsleben zu dem Gedanken, ob sie den richtigen Beruf gewählt hatte. Sie verzweifelte aber nicht. Sie nahm der Mutter das Kind ab, ließ das allgemeine Geschrei über sich ergehen und rief die Feuerwehr. Die lüftete ordentlich und legte die Rechnung auf den Tisch. Die Hebamme rechnete der Mutter vor, wie viele Zigaretten sie davon hätte kaufen können. Die Mutter versprach Besserung. Natürlich rauchte sie ungerührt weiter. Die Hebamme wechselte nicht ihren Beruf. Aber sie meldete sich beim Jugendamt und trat in eine Art Zeugenschutzprogramm ein. Sie verabschiedete sich von ihrem Schwur, alles, was sie in den Wohnungen sieht, geheimzuhalten. Sie erklärte sich bereit, das Amt von Vorkommnissen, die nicht im Sinne der Kindgesundheit sind, zu unterrichten.

Die rauchende Mutter kann noch richtig Aufruhr erzeugen. Sie taugt noch als echtes Feindbild. Ich könnte meine Hebamme zur Verzweiflung bringen, ein ganzes Amt in Bewegung versetzen, wenn ich als Mutter richtig rauchen würde. Falls sich niemand mehr für mein Leben und meine Sorgen interessiert, dann setze ich mich einfach auf den Spielplatz und smöke, wie man im Norden sagt, was die Schachtel hergibt. Mal schauen, wie lang die Mütter-Polizei braucht, wenn man sie ruft.

 

8. Man kann noch leidenschaftlich suchen

»Annette spürte plötzlich brennendes Verlangen nach einer Zigarette. Sie erinnerte sich, vor dem Einschlafen die letzte geraucht zu haben. Sie musste also noch einmal aufstehen, um in ihr Zimmer zu gehen, vielleicht steckte noch eine in der Handtasche, manchmal fielen sie aus der Schachtel.« So beginnt ein Absatz in Marlen Haushofers Erzählung Die Tapetentür. Natürlich lässt sich nichts mehr finden. Unter der Couch, in allen Ecken sucht Annette und schimpft dabei auf die viel zu gewissenhafte Zugehfrau, die viel zu viel Wert auf Sauberkeit legt. »Wer gab der Person das Recht, sie ­einfach wegzuräumen? Annette konnte sie ja absichtlich dort versteckt haben, um in Zeiten der Not einen kleinen Trost zu finden. Finsterer Hass auf die tüchtige Frau Malina befiel sie.« Annette bleibt bäuchlings auf dem Teppich liegen und sinnt über ihr Schicksal als Hausfrau, die auch noch eine Putzfrau hat, und wie schlecht diese Kombination ist, wenn man dringend eine letzte Zigarette sucht, die man rauchen muss, weil man gerade erfahren hat, dass der Ehemann fremd geht.

Schließlich findet sie doch noch ein zerbröseltes Tabakteilchen in der Tasche einer alten Wollweste, die ihrem Mann gehört. Eine »Veteranin«, wie sie schreibt, »aber immer noch eine Zigarette«. Selbstredend ist sie unendlich glücklich über den Fund.

Als Nichtraucherin kann ich nur noch nach dem Goldohrring suchen, den ich von meinen Eltern zum Geburtstag bekommen habe und sowieso nie mochte. Ich kann nach der individuell angepassten Kontaktlinse meines Freundes suchen, die ein kleines Vermögen wert ist. Wir kriechen über den Badezimmerboden und tasten uns durch verklebte Ecken und schimmelige Silikondichtungen. Ich kann nach dem Inlay suchen, das zusammen mit dem Kirschkern herausgeflogen ist und nun irgendwo auf der Wiese liegt. Aber auch hier keine Leidenschaft, kein tief empfundener Zwang bei der Suche. Ich suche nur, weil ich keine Zahnzusatzversicherung habe.

 

Wie schön es wäre. Wie bereichernd. Wie wunderbar und elegant. Wie schützend. Wie sicher ich mich fühlen könnte. Wie es ab und zu die letzte Rettung sein könnte. Im pinkfarbenen 70er-Jahre-Kleid, mit dem geliebten Goldschmuck an den Fingern und der sauerkirschrote Mund und ab und zu der Filter, der von diesen Lippen umrahmt wird, tief einatmen, große Gedanken denken, größte Einsichten ins Weltgeschehen haben, das Wesen der Liebe begreifen, des Glücks, wie in einem französischen Film, für Augenblicke ergänzt und ganz sein, keine Angst haben vor schiefen Blicken, vor der Einsamkeit des Angestellten- oder Halbtagsmutterdaseins. Himmel, gibt es viele Gründe, warum ich übers Anfangen nachdenken sollte.

 

 

Thommie Bayer – Kleine Handreichung zum perfekten Mord

Es ist ganz einfach, viel simpler, als man glaubt. Man muss kein geübter Gewaltler sein, der sich durch unehrenhaftes Ausscheiden aus der Bundeswehr in Verbindung mit einem eindrucksvollen Vorstrafenregister als einschlägig vorgebildet ausweisen kann, es reicht, wenn man ein wenig Kamikazementalität einbringt. Denn der perfekte Mord ist eine Art Selbstmordattentat. Modern, schlank, so was wie »Lean-Killing«, und verbraucht nicht viel Ressourcen. Und er geht so: Man stellt sich auf einem Bahnsteig neben das Opfer, zündet sich eine Zigarette an und fertig!

Statt des Bahnsteigs kann man auch ein Fußballstadion nehmen, eine Straßenbahnhaltestelle, das Freibad oder eine Parkbank. Wichtig ist nur, dass dem Opfer der Geruch in die Nase gerät. Das ist nämlich tödlich. Um die dreitausend Menschen sterben neuerdings jährlich daran, das haben Wissenschaftler herausgefunden, denen auf Erden derzeit niemand widerspricht, auch wenn sie dereinst im Himmel für ihren Pfusch von Einstein einen Tritt in die Eier und gleich hinterher von Newton eine Ohrfeige kassieren werden, die sie auf dem Luftweg direkt in die Abteilung für Inquisitoren, Hexenjäger und Bartholomäusnacht-Veteranen befördern wird.

Vorbei die Zeiten, da man sich als Mörder noch mit verräterischen Hilfsmitteln wie Pistole, Hackebeil, Kettensäge oder Garotte ausstatten, teures Gift kaufen oder gar Körperkraft aufwenden musste, vorbei auch die Zeiten, da man aufwendige Logistik betrieb, um die Leiche verschwinden zu lassen, oder sich lästigen Konsequenzen wie dem Beseitigen von Spuren oder Vertuschen des Motivs widmete. Das geht jetzt alles viel sauberer, zeitgemäßer und eleganter. Ein schlankes Zigarettenetui und ein formschönes Feuerzeug tragen in der Anzug- oder Hosentasche nicht einmal allzu unschön auf, so dass der stilbewusste Mörder durchaus auch mal einfach so, zwischen zwei Terminen oder nach Feierabend bei gleichzeitiger Entspannung durch einen Drink oder Chillout-Musik aus dem iPod, seiner Neigung nachgehen kann.

Das Geniale an dieser Methode liegt auf der Hand: Die Sache verläuft nämlich zeitversetzt. Das arglose Opfer spürt erst einmal gar nichts, so dass sich der Mörder in aller Ruhe aus dem Staub machen kann. Erst in dreißig oder fünfzig Jahren wird das Opfer seinen Verletzungen erliegen, und bis dahin ist erstens die Tat verjährt, zweitens der Mörder dreimal umgezogen und nicht mehr zu ermitteln, drittens, und das ist das Extra-Geniale daran, schon selber tot, weil Raucher ja vier Jahre früher sterben.

 

Spaß beiseite. Es drängt sich ein ungeheuerlicher Verdacht auf: Was, wenn all diese spektakulären terroristischen Attentate nur Ablenkungsmanöver wären, die den Blick der abendländischen Öffentlichkeit auf die eigentliche Bedrohung vernebeln sollen, während man tatsächlich den Westen seit sechzig Jahren massiv ins demographische Hintertreffen pafft?

Vielleicht lohnte sich ein Blick auf die wahren Besitzverhältnisse in der Tabakindustrie? Würde es irgendwen verwundern, wenn hinter allen Verflechtungen, Briefkästen und Fassaden schließlich die unversöhnliche Fratze des fundamentalistischen Islam zum Vorschein käme? Während man uns hier einlullt mit Botschaften, die uns in Sicherheit wiegen sollen – ständig steigende Lebenserwartung, medizinischer Fortschritt, Verbesserung aller Lebensbedingungen etc. – werden wir in Wirklichkeit mit generalstabsmäßiger Perfektion von diesem Planeten runtergeraucht!

Und wir gutgläubigen Simpel halten Zigaretten für ein Genussmittel, dessen Genuss zwar, vor allem im Unmaß, dem Genießenden schadet, aber auch nicht mehr als Autofahren, Alkoholtrinken, Fettessen, Süßlutschen, Freizeitsport, Ferienfliegen und so weiter, wir denken immer noch, ein Tod mit siebzig sei eben der Lauf der Welt, egal woran wir letztlich sterben – das ist falsch. Wir werden ausgerottet. Auf dem Bahnsteig, im Stadion, an der Haltestelle stehen sie, die Selbstmordattentäter, und bevor sie die Waffe zücken, sehen sie ganz unschuldig aus, man erkennt sie höchstens an der schlechten Haut oder ihrem Unterschichthabitus, ansonsten wirken sie wie normale Menschen, dabei sind sie hinter uns her, eine Armee von Killern, die nur eines will: unsere Lungen zerstören.

Gottseidank wird diesem Genozid nun ein Ende gemacht, der Gesetzgeber schreitet ein, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Volksseele überkocht und sich in Raucherpogromen Luft verschafft. Das ist dann eine nur allzu verständliche Überreaktion, denn irgendwie muss man sich ja wehren.

Deshalb hier der Hinweis an die Mörder: Ihr müsst eure Taten in der nächsten Zeit vollbringen, bald ist die Lücke dicht und der perfekte Mord verboten. Dann schafft ihr es nicht mehr, jährlich dreitausend Leute einen ganzen Tag früher ins Grab zu quarzen, dann werden alle hundert Jahre alt, und wir erobern den Erdball zurück.

 

 

Selim Özdogan – Was man kennt

Das Stück hatte mir nicht gefallen, aber das war meistens so. Theater interessierte mich nicht sonderlich, man musste so lange still sitzen, DVDs konnte man wenigstens ausmachen, auch schon mal nach zehn Minuten.

Wladimir hatte es nicht leicht bei mir, ich verwechselte zwar nicht Schauspieler und Rolle, aber er hatte diesem Stück halt sein Gesicht geliehen, und beim Schlussapplaus hatte er sich auf so eine eitle Weise verbeugt, dass ich dachte, er würde mit Vergnügen alles spielen, wenn nur genug Leute zusahen.