Sniper - Stefan Strasser - E-Book

Sniper E-Book

Stefan Strasser

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Beschreibung

Sportschützen, Jäger, Waffenbesitzer und allgemein an Waffen Interessierte erhalten mit dem neuen Buch "Sniperwissen kompakt" einen Einblick in die Welt der Scharfschützen. Man kennt sie aus Filmen: Wenn bei einer Geiselnahme Verhandlungen nicht mehr weiterhelfen, kommen die Scharfschützen zum Einsatz. Konzentriert und ruhig warten sie auf ihre Möglichkeit – und oft gibt es exakt nur eine –, den Gegner auszuschalten. Dass auf diese Weise auch in Wirklichkeit so manche Entführung zum Wohle der Opfer beendet werden konnte, muss man keinem zeithistorisch Interessierten näher erklären. Doch was zeichnet einen Scharfschützen – auch Sniper genannt – aus? Wie trainieren sie und bereiten sich auf ihre Einsätze vor? Stefan Strasser, selbst mit dem Metier vertraut, legt mit "Sniperwissen kompakt" eine Schützenfibel für Präzisions- und Scharfschützen vor, die allgemein Waffenfreunde interessieren dürfte. Man muss also nicht selbst Scharfschütze sein, um zu diesem Werk zu greifen. Von "Scharfschützen" spricht man im allgemeinen Sprachgebrauch übrigens im militärischen Zusammenhang, bei Antiterror-Einheiten und Polizei wird hingegen der Begriff "Präzisionsschützen" bevorzugt. Angefangen von der entsprechenden Ausrüstung und vor allem der Waffe, spannt sich der Bogen der Erklärungen bis hin zum Training taktischer Szenarien. Breiter Raum wird bei den Themen "Ballistik" und "Geschoßflug" den theoretischen Grundlagen eingeräumt. Aber auch witterungsbedingte Einflüsse wie Wind und der Wechsel von Tag und Nacht werden analysiert – Inhalte, die neben Scharfschützen auch für alle, die regelmäßig mit Waffen zu tun haben, von Interesse sind. Themen wie "Feuerunterstützung", "Countersniping" oder die Königsdisziplin "Moving Targets" führen dann wieder tief in die Welt der Scharfschützen zurück und geben Einblick in eine geheimnisumwobene Disziplin.

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Seitenzahl: 550

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Stefan Strasser

Sniper

Militärisches und polizeilichesScharfschützenwissen kompakt

4., völlig überarbeitete und vermehrte Auflage

Umschlaggestaltung: Werbeagentur Rypka GmbH, 8143 Dobl/Graz, www.rypka.at

Umschlagfoto Vorderseite: Archiv C. G. Haenel GmbH, Suhl

Bilder Innenteil: S. 16 (3): Archiv C. G. Haenel GmbH; S. 345 oben (2): APA-Bilderdienst;

S. 362: Archiv Schießschule Andreas Bach; alle anderen Bilder: Archiv des Verfassers

Wir haben uns bemüht, bei den hier verwendeten Bildern die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Falls es dessen ungeachtet Bildrechte geben sollte, die wir nicht recherchieren konnten, bitten wir um Nachricht an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne kostenlos unser Verlagsverzeichnis zu:

Ares Verlag Verlag GmbH

Hofgasse 5 / Postfach 189

A-8011 Graz

Tel. +43 (0)316/821636

Fax. +43 (0)316/835612

E-Mail: [email protected]

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter: www.ares-verlag.com

ISBN 978-3-99081-018-7

eISBN 978-3-99081-036-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, des auszugsweisen Nachdrucks oder der Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by Ares Verlag, 4., völlig überarb. u. verm. Aufl. 2020

Layout: Werbeagentur Rypka GmbH, Dobl/Graz

Stefan Strasser

sniper

Militärisches und polizeiliches Scharfschützenwissen kompakt

Inhalt

Einführung

1.Zur Geschichte des Scharfschützenwesens

2.Präzisionsschütze und Scharfschütze – Grundlegendes

Unterscheidungen

Probleme, mit denen bis vor wenigen Jahren noch viele Spezialeinheiten zu kämpfen hatten

Anforderungen an einen Präzisions-/Scharfschützen

Auswahl und Training

Beobachten

Der Schützentrupp und seine Aufgaben

Das Rüstzeug

3.Die Ausrüstung

Auswahl der Ausrüstung

Gebrauch optischer Entfernungsmesser

4.Waffe und Munition

Anforderungen an eine Präzisionsschützenwaffe

1. Grundforderungen

2. Die Waffen

3. Die Munition

Behördenmunition

Vorsicht bei Halbautomaten

.408 CheyTac

Handgeladene Munition

5.Die geeignete Optik

Begriffe rund ums Zielfernrohr

Das Scharfschützen-Zielfernrohr

Von Marken, Türmen und Trends

6.Das Datenbuch

Tipps

Die Grundlagen

7.Ballistik

1. Innenballistik

2. Mündungsballistik

3. Außenballistik

4. Zielballistik

Schießen durch Glas und Stahl

Munition und Ballistik

Wirkungsweise verschiedener Geschossarten

Mögliche Todesursachen durch Schussverletzungen

Die Mär vom Dum-Dum-Geschoss

Bleifreie Jagd-Büchsengeschosse im Vergleich zu konventionellen Projektilen

Der finale Rettungsschuss

8.Der Geschossfflug

Die Einflüsse von Luftgewicht, Luftdruck, Wind, Hitze, Höhe, Feuchtigkeit, Regen und Bekleidung

Der Einfluss des Lichts

Rechtsdrall

Der Magnuseffekt

Bergauf oder bergunter – immer halt drunter?

Steiler Schuss auf ein 3-D-Ziel

Hinter Waffe und Optik

9.Grundlagen der Schießausbildung

Das Setzen von Leistungszielen

Der Weg zum sicheren Schuss

Nie Gehörschutz vergessen!

Checkliste vor jedem Schuss

Wider das „Mucken“

Trefferanalyse klassischer Schützenfehler

Ziel verfehlt – was nun?

Die Rolle des Beobachters beim Übungsschießen und im Einsatz

Techniken zur Leistungsverbesserung

Abzugskontrolle

Verkanten

Erkennen und Ausschalten von Fehlern

Zusammenfassung

10. Anschlagsarten

1. Voraussetzungen

2. Die Anschlagsarten

Schießen unter der ABC-Schutzmaske

Pro und Contra verschiedener Anschläge

11. Das Zielen

Das Auge

Parallaxen

Vergrößerung

Zielbild und Augenabstand

Kontrolle des Zielfernrohrs

Anschießen des Gewehrs

12. Das Ermitteln der Entfernung

Bestimmen und Schätzen von Entfernungen

Charakteristische Schätzfehler

Methoden zum Schätzen der Entfernung

Laserentfernungsmesser (LEM)

Trefferablagen bei falscher Entfernungsermittlung

13. Von Winkelminuten und MilDots

1. Messung nach Winkelminuten

2. Messung nach MilDots

Winkelminuten-Tabelle

Weitere Hilfsmittel

14. Der Faktor Wind

Der Windmesser

Erkennen der Windrichtung

„Mirage-Wellen“

Tipps aus der Praxis

15. Schießen auf bewegliche Ziele

Der Vorhalt

Der Vorhaltewinkel

Ziel überholen oder begleiten

Schießen aus dem Hubschrauber / von einem Fahrzeug

Bekämpfen von Zielen, die sich nur kurz zeigen

Tipps für das Training

Zum Thema Sicherheit

16. Schießen bei Nacht

Sehen und Hören bei Nacht

Nachtsichtgeräte

Nachtsichtwaffen/Nachtsichtoptiken

Der Mond als Helfer

Schießen beim Wechsel von Dunkelheit und Licht

17. Schießen mit Schalldämpfern

Richtig messen

Die Kunst der Tarnung

18. Tarnen und Täuschen, Waffentarnung

1. Grundlagen der Tarnung

Tarnung gegen Wärmebildgeräte

2. Waffentarnung

19. Scharfschützenanzug und Ghillie-Tarnanzug

1. Der Scharfschützenanzug

Tarnmuster

2. Der Ghillie-Fransentarnanzug

Abwehr von Plagegeistern

Wenn der Kittel brennt

Scharfschützentaktik

20. Aufgaben des Scharfschützen

Der Scharfschütze als demoralisierende Waffe

Der Scharfschütze als Fotograf

Zum Thema Feinderkennung

Der Scharfschütze in Angriff und Verteidigung

21. Die Annäherungsphase (Stalk)

Die Entdeckung der Langsamkeit

Nutzen von Deckungen

Die Kunst des Kriechens

Beziehen der Stellung bei Nacht

22. In der Stellung

Anlage der Stellung

Auswahl der Stellung

In der Präzisionsschützenstellung

Der Schuss

In der Scharfschützenstellung

Ablösung

Durchschlagen

Selbst- und Kameradenhilfe

23. Abwehr gegnerischer Scharfschützen

Ziele feindlicher Scharfschützen

Lokalisierung von Scharf- und Heckenschützen

Taktik bei Beschuss im Zug- oder Gruppenrahmen

Kampfmäßiges Schießen mit Kurz- und Fremdwaffen

Das Dragunow-Waffensystem

Der Scharfschütze des ehemaligen Warschauer Paktes

24. Einsatz in bebautem Gelände

Im Krieg und in Grauzonen

Taktiken in bebautem Gelände

25. Wüste und Winter

1. Wüste

2. Dschungel

3. Arktis und Winter

26. Übungen

Trefferanzeige beim Feldschießen

Beispiele taktischer Schießübungen

Erhalten und Festigen des Wissens

Zusammenfassend und abschließend zu Ausrüstung und Verhalten des Scharfschützen

Anhang

Die wichtigsten metrischen und angelsächsischen Maße im Vergleich

Abkürzungen für Geschosse

Danksagung

Literaturverzeichnis

Ungezählte Artikel aus folgenden Fachzeitschriften der zurückliegenden 27 Jahre:

Vorbemerkung zur 4. Auflage

Im Verlauf der Jahre seit Erscheinen der Erstauflage dieses Buches hat der Autor bei vielen Schießveranstaltungen und Seminaren, die er geleitet und auch bei anderen Schießtrainern besucht hat, sehr viel positive Resonanz auf dieses Buch erhalten – aber auch konstruktive Kritik und Anregungen. Da der Autor nach dem Motto lebt, dass man Gutes immer noch verbessern kann, hat er sich also wieder an seinen Schreibtisch gesetzt und die neuen Themenbereiche und Anregungen ausgearbeitet. Vonseiten der Jägerschaft wurde an ihn herangetragen, mehr auf Zielballistik einzugehen. Auch diesem Punkt – besonders hinsichtlich der „Bleifrei-Problematik“ der Jagdgeschosse – will der Verfasser gerne nachgehen und seine persönlichen Erfahrungen darlegen. Auch die Thematik Zielfernrohr, Verstellmaß und Absehen-Deckungsmaße wird – neben anderen Themenbereichen – ausführlicher behandelt.

Stefan Strasser

im Sommer 2019

Einführung

1.Zur Geschichte des Scharfschützenwesens

Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Scharfschützenwesens. Um einige Zusammenhänge deutlicher werden zu lassen, die für das allgemeine Verständnis wichtig sind, genügt an dieser Stelle ein kurzer Abriss.

Viele Jahreszahlen geistern durch die einschlägige Literatur, die auf den Einsatz besonders ausgebildeter „Scharfschützen“ oder – im englischen Sprachbereich sniper – Bezug nehmen. Woher stammen diese Begriffe? Soldaten wehren sich gegen die Auslegung, „Scharfschütze“ sei eine Abwandlung von „Scharfrichter“, wobei der Scharfschütze im Unterschied zum Scharfrichter zum Vollzug der „Todesstrafe“ eine präzise, auf Distanz wirkende Waffe verwende. Ein hervorragendes Seh- und Beobachtungsvermögen, ein scharfer Blick, der den Scharfschützen grundsätzlich auszeichnet, wird der Sache vermutlich gerechter.

Sniper leitet sich vom englischen Begriff für Schnepfe her, snipe. Die Schnepfe lässt sich auf Grund ihres ruckelnden Zickzack-Fluges mit der Flinte äußerst schwierig treffen (was der Verfasser als Jäger nur bestätigen kann); und bei der Jagd mit der Flinte in alten Tagen bot sie nur ein kleines Ziel. Der beständige und treffsichere Schnepfenjäger war somit der sniper. Im Laufe der Zeit wurden damit äußerst versierte Gewehrschützen bezeichnet und in Folge auch die heutigen Scharf- und Präzisionsschützen*.

Besonders ausgebildete und mit gezogenen Gewehren bewaffnete Soldaten sind spätestens seit dem 18. Jahrhundert bekannt. Oft gehörten sie der Jägertruppe an, die sich – wie der Name besagt – aus Angehörigen jagdlicher und forstlicher Berufe rekrutierte. Deutsche Jägerbataillone – stellvertretend für alle anderen seien hier die hessischen und preußischen genannt – erwarben sich auf den europäischen und nordamerikanischen Kriegsschauplätzen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts einen solch gefürchteten Ruf, dass sie von fremden Nationen regelrecht angekauft wurden oder zum Vorbild für die Aufstellung eigener, ebenso mit gezogenen Gewehren (rifles) bewaffneter Truppen wurden. Im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) standen sich in englischem Sold stehende hessische Jäger und amerikanische riflemen (Büchsenschützen), oft genug deutscher Abstammung, gegenüber.

Die amerikanischen longrifles (Langbüchsen) führen sich auf die klassischen deutschen Jägerbüchsen zurück; von deutschen und schweizerischen Büchsenmachern in der „Neuen Welt“ zur Langbüchse weiterentwickelt. Obwohl die Engländer selbst Jägertruppen einsetzten, geißelten sie die oft aus großer Distanz feuernden riflemen der „Rebellen“ als äußerst unfair und unehrenhaft. Letztere brachten den auffällig gekleideten und sich in dichten Formationen bewegenden „Rotröcken“ in offener Schlacht und aus dem Hinterhalt empfindliche Verluste bei.

Der Erfolg machte Schule, und Scharfschützen-Einheiten waren in künftigen Konflikten kein ungewohntes Bild mehr; so in den napoleonischen Kriegen (1805–1815) und im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865). In dieser Zeit tauchen auch die ersten Zielfernrohre auf. Und man begann sich zu tarnen.

Wie schon die preußischen Jäger des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) Uniformen in gedeckten Farben getragen hatten, stattete Nordstaaten-Oberst Berdan seine Berdan Sharpshooters (Berdan-Scharfschützen) mit grünen Röcken und Mützen aus.

Der Burenkrieg in Südafrika (1899–1902) offenbarte in bisher unbekanntem Ausmaß, was hervorragende und geschickt die Vorteile des Geländes nutzende Gewehrschützen erreichen konnten. Die Briten entrichteten einen hohen Blutzoll an die naturverbundenen und von Jugend an mit der Waffe vertrauten Burenkommandos. Offensichtlich hatten sie die Lehren der nordamerikanischen Schlachtfelder und der napoleonischen Kriege vergessen und stellten erst in Südafrika bewegliche, berittene Schützentruppen auf.

Mit dem Ersten Weltkrieg und dem damit verbundenen Stellungskrieg schlug die Geburtsstunde des neuzeitlichen Scharfschützenwesens. Schon zu Kriegsbeginn zog das deutsche Heer präzise Jagdbüchsen im Armeekaliber 7,9 mm ein und ließ ausgesuchte Dienstgewehre mit Zielfernrohren bestücken. Schützen mit Jagdinstinkt hielten damit blutige Ernte in den Gräben der Franzosen und Engländer; bis auch diese sich auf diese neue, alte Kampfart besannen.

Auch im Gebirgskrieg, etwa an der Dolomitenfront, brachten österreichische, deutsche und italienische Scharfschützen dem jeweiligen Gegner empfindliche Verluste bei. Wer den Film „Berge in Flammen“ kennt, in dem Regisseur und Hauptdarsteller Luis Trenker seine Kriegserlebnisse verarbeitete, wird sich an die eindrückliche Szene mit dem italienischen Scharfschützen erinnern. Es scheint aber fast so, dass nur die deutsche Seite eine spezielle Scharfschützenschule unterhalten und eine Art Scharfschützenabzeichen (Eichenblatt) verliehen hat.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges verschwanden die Scharfschützen spurlos aus den Armeen, um erst über 20 Jahre später eine Wiedergeburt zu erleben. Während des Russisch-Finnischen Winterkrieges 1939–1940 machten finnische Scharfschützen mit schier unglaublichen Abschusszahlen von sich reden. Die erfolgreichsten unter ihnen, Suko Kolkka und Simo Häyhä, erzielten 400 und 505 bestätigte Abschüsse (einschließlich der Zahlen des „Fortsetzungskrieges“ bis 1944). Auch die Sowjets waren keine Anfänger im Scharfschützenwesen, ganz im Gegenteil. Der Umgang mit Zielfernrohrgewehren gehörte lange vor dem Zweiten Weltkrieg sogar zur vormilitärischen Ausbildung der Komsomolzen, der kommunistischen Jugendorganisation. Doch erst der so verlustreiche Winter 1939/40 führte zum massiven Auf- und Ausbau von Scharfschützeneinheiten in der Roten Armee.

Als 1941 die Deutsche Wehrmacht ins Sowjetreich einmarschierte, bekam sie bald große Probleme mit sowjetrussischen Scharfschützen. Die Rote Armee setzte als einzige Streitmacht auch weibliche Scharfschützinnen ein. Sie erwiesen sich als ebenso geeignet und gefährlich wie ihre männlichen Kameraden.

Die sowjetische Propaganda schlachtete die Erfolge der Scharfschützen aus und machte sie zu Helden. Ihr Zugpferd war der aus dem Ural stammende Wassili Saitsew, der allein in Stalingrad insgesamt 140 Abschüsse erzielt und es insgesamt auf über 400 gebracht haben soll. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Saitsew ein hervorragender Scharfschütze war, bei der sowjetischen Zählweise dürfte jedoch auch Propaganda eine Rolle gespielt haben.

Im Gegensatz dazu waren eine genaue Buchführung im so genannten Scharfschützenbuch und die Bestätigung von zwei Zeugen Voraussetzungen zur Anerkennung von Abschüssen auf deutscher Seite. Abschüsse beim Angriff oder bei der Abwehr eines Feindangriffs durften beispielsweise nicht angerechnet werden. Der erfolgreichste deutsche Scharfschütze war der Tiroler Matthias Hetzenauer mit bestätigten 345 Abschüssen, gefolgt von Sepp Allerberger und dem Ostpreußen Bruno Sutkus mit 257 beziehungsweise 209 bestätigten Abschüssen. Alle drei standen an der Ostfront im Einsatz. Dergleichen Zahlen sind aus dem Westen nicht bekannt; allein das Vorhandensein deutscher Scharfschützen sorgte jedoch auf angloamerikanischer Seite für erhebliche Unruhe.

Beispiel der norwegischen Waffenfertigung aus dem Waffenmuseum in Kongsberg: das Krag/Jørgensen 1912 mit Zielfernrohr

Einige Scharfschützenwaffen des Zweiten Weltkrieges; von links nach rechts: K 98k mit Zielfernrohr (ZF) Zeiss „Zielvier“, Mosin-Nagant mit ZF 4-fach PE, Mosin-Nagant mit ZF 3,5-fach PU, Tokarew-Halbautomat mit ZF 3,5-fach PU. (Fa. Transarms, Worms)

Bei den Abwehrkämpfen in der Normandie 1944 sollen deutsche Scharfschützen in größerem Umfang auch K 98k mit Schalldämpfer eingesetzt haben.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wiederholte sich, wie schon 1918, die Abrüstung der „Waffengattung Scharfschütze“ bei fast allen kriegführenden Staaten. Nur wenige Armeen behielten Scharfschützen bei, darunter das US-amerikanische Marineinfanteriekorps (U. S. M. C., United States Marine Corps) und in größerem Maße die Sowjetarmee, bei der Zielfernrohr-Gewehrschützen standardmäßig den Schützenzug verstärkten.

Die Amerikaner – besonders das U. S. M. C. – setzten während des Korea-Krieges (1951–1953) und anschließend in Vietnam (1961–1975) Scharfschützen recht erfolgreich ein. Männer wie Carlos Hathcock mit 92 bestätigten Abschüssen in Vietnam wurden zu Legenden des U. S. M. C. Zumindest erfolgte im Heer und bei der Marineinfanterie eine Spezialisierung in der Ausbildung von Scharfschützen.

Als nächster für die Entwicklung des modernen Scharfschützenwesens „bedeutender“ Konflikt kann der Falklandkrieg gelten. 1982 besetzte Argentinien die unter britischer Flagge stehende Inselgruppe im Südatlantik. Bei der Rückeroberung brachten argentinische Scharfschützen den Engländern empfindliche Verluste bei. Diese setzten ihrerseits Scharfschützen der Sondereinheit SBS (Special Boat Squadron) und der Marineinfanterie (Royal Marines) ein.

Als zeitliche Parallele zu diesem Konflikt kann der Verfasser seinen Wehrdienst und die damalige „Scharfschützenausbildung“ der Bundeswehr anführen. Da er sich während der Grundausbildung als guter Gewehrschütze erwies, erhielt er aus der Waffenkammer ein – zugegeben – sehr gut schießendes G3. Er konnte den Waffenkämmerer dabei beobachten, wie er das 4-fach-Zielfernrohr (ZF) montierte, um dann damit für vier Wochen auf den „Scharfschützenlehrgang“ an die Infanterieschule Hammelburg geschickt zu werden.

Die Ausbilder gaben sich redlich Mühe, den Lehrgangsteilnehmern so viel wie möglich darüber beizubringen, das waffentechnische Material und die Munition waren für richtige Präzisionsarbeit, so wie wir sie heute verstehen, aber einfach ungeeignet. Auf 500 m war Schluss mit Präzision und genaue Treffer überwiegend Glückssache. Die damaligen Bundeswehr-Scharfschützen waren eben Zielfernrohr-Gewehrschützen. Auch diese Schützengattung ist taktisch sehr wertvoll, hat aber wenig mit den eigentlichen Scharfschützen gemein.

Die US-Streitkräfte haben beispielsweise im Irak-Konflikt neben ihren Snipers zusätzliche ZF-Gewehrschützen (Designated marksmen) ins Leben gerufen. Scharfschützen wurden während des Golf-Krieges 1991, während der friedenssichernden Maßnahmen auf dem Balkan, in Somalia und an anderen Orten zum festen Bestandteil jeder infanteristischen Einsatzeinheit der Amerikaner.

Es vollzog sich aber gezwungenermaßen ein Wandel in der Einsatztaktik. Bei so genannten humanitären oder friedenssichernden Einsätzen ist weniger der klassische Scharfschütze, als vielmehr der an die polizeilichen Taktiken angelehnte Scharf-/Präzisionsschütze gefragt, der über militärische Fertigkeiten verfügt.

Die Grenzen zwischen Militär und Polizei scheinen in diesem Bereich immer mehr zu verschwimmen.

* Es gibt eine klare Trennungslinie zwischen militärischen Scharf- und polizeilichen Präzisionsschützen. Die Aufgabenstellung beider „Waffengattungen“ unterscheidet sich in einigen grundsätzlichen Punkten (siehe auch Kapitel 2). Ist in der Folge von „Scharfschützen“ die Rede, sind entsprechend ausgebildete und mit Zielfernrohrgewehren bewaffnete Soldaten gemeint. Unter „Präzisionsschützen“ versteht man hingegen besonders ausgebildete und ausgerüstete Angehörige polizeilicher Spezialeinheiten. Die Bezeichnung Scharf-/Präzisionsschütze betrifft beide „Waffengattungen“.

2.Präzisionsschütze und Scharfschütze – Grundlegendes

Eines möchte dieses Buch auf jeden Fall: Die Rolle des Scharf-/Präzisionsschützen als Spezialisten darstellen, der ein kleiner, aber wichtiger Teil eines großen Ganzen ist. Die „chirurgische“ und oft einsatzentscheidende Wirkung und die demoralisierende Wirkung auf den Gegner sind seine Markenzeichen. Eines ist der Scharf-/Präzisionsschütze aber auf keinen Fall: ein Eigenbrötler, der kaltblütig und menschenverachtend seine Opfer aus dem Hinterhalt „abknipst“.

Nach terroristischen Anschlägen zu Beginn der 1970er Jahre und verschiedenen Pleiten bei der Befreiung von Geiseln aus den Händen krimineller oder terroristischer Gewalttäter begannen die deutschen Länderpolizeien 1973 mit der Aufstellung so genannter Präzisionsschützenkommandos (PSK), die allmählich in die Spezialeinsatzkommandos (SEK) integriert wurden. Auch Österreich, die Schweiz und die meisten europäischen Länder stellten damals ähnliche Sondereinheiten auf. Es zeigte sich, dass eine nahtlose Zusammenarbeit beim Ausschalten des Täters (oder der Täter) und der Evakuierung der Geisel(n) nur dann reibungslos funktioniert, wenn der jeweils andere Teil weiß, wie die Kollegen arbeiten. Viele Außenstehende verkennen, dass der Präzisionsschütze bei Geiselnahmen ausschließlich als letztes Mittel, als Ultima ratio, eingesetzt wird.

Auf der militärischen Seite hingegen wird der Scharfschütze selbst von Vorgesetzten, die es eigentlich besser wissen müssten, zum Teil falsch eingesetzt. Sie sehen ihn als Infanteristen, der halt mit einem Zielfernrohrgewehr bestückt ist. Keinesfalls kann – und darf – der Scharf-/Präzisionsschütze die Antwort auf alle taktischen Probleme darstellen. Bei einer Geiselnahme beispielsweise kann er ohne die „Kavallerie“ der Zugriffstrupps im Endeffekt wenig bewirken, da er nur eine Lücke aufreißt. Wird diese Lücke aber im Zusammenspiel mit der „Kavallerie“ im richtigen Augenblick geöffnet, ist dies die beste Voraussetzung für das weitere zielgerichtete Handeln und damit für einen erfolgreichen Abschluss des Einsatzes.

Der technische Fortschritt wird ohne Zweifel einen gewichtigen Einfluss auf die Arbeitsweise, Ausrüstung und Ausbildung der Scharf-/Präzisionsschützen ausüben. Doch dazu später mehr.

Unterscheidungen

Der militärische Scharfschütze (Sniper) ist oft allein, meist jedoch mit einem Beobachter (Spotter) auf dem Gefechtsfeld unterwegs und erfüllt seinen Auftrag innerhalb eines Rahmenauftrags in der Regel frei. Er sucht sich seine Stellung selbst, bestimmt sein Ziel (hochwertiges Sach- oder Mannziel) in einer adäquaten Entfernung (meist ab 300 m bis hin zu 1500 m, je nach Kaliber und Auftrag), wählt den günstigsten Zeitpunkt für die Schussabgabe und verschwindet dann ungesehen aus seinem Einsatzraum. Je nach Auftrag tötet oder verwundet der Scharfschütze seinen Gegner oder beschädigt bzw. vernichtet wertvolle Kampfmittel, wie Raketen, Satellitenanlagen usw. Der Scharfschütze bewegt sich im Feindgebiet und muss sich erst zu den eigenen Kräften durchschlagen, um wieder in Sicherheit zu sein. Er muss immer darauf gefasst sein, dass der Gegner ebenfalls Scharfschützen zu seiner Vernichtung bereithält.

Die Aufgaben des polizeilichen Präzisionsschützen sind ganz anders gelagert. Präzisionsschützen werden bei einer entsprechenden „Lage“ alarmiert, wie es in der Fachsprache heißt. Ihnen werden somit Zeit, Ort, Personenziel und sämtliche Einsatzumstände aufgenötigt. Sie müssen überwiegend auf relativ kurze Entfernungen einen Täter angriffs- oder fluchtunfähig schießen bzw. einen so genannten finalen Rettungsschuss anbringen. Beim Präzisionsschützen zählt nur der hundertprozentige Treffer.

Der Präzisionsschütze bewegt sich in sicherem Gebiet und hat es meist mit Einzeltätern oder kleinen Tätergruppen zu tun. Trotzdem sollte er sich mit dem Gedanken an Heckenschützen vertraut machen, die ihm auflauern können. Dieses Szenarium fließt mehr und mehr in die moderne Ausbildung ein. Aus bestimmten Gründen kann auch ein Schuss auf größere Entfernungen erforderlich werden (Nothilfeschuss, Flughafen- oder Gebirgslagen, Selbstverteidigung gegen Amokschützen, Streckenschutz bei Staatsbesuchen usw.).

Deshalb üben nicht nur der militärische Scharf-, sondern auch der polizeiliche Präzisionsschütze den Schuss auf weite Distanz. Dabei werden sie mit vorher unbekannten bzw. auf kurzen Entfernungen nicht messbaren Abweichungen konfrontiert. Abgesehen davon verschafft das Wissen, z. B. auf 300 m einen Bierfilz zu treffen, jedem Präzisionsschützen eine gehörige Portion Selbstsicherheit für den Einsatz.

Probleme, mit denen bis vor wenigen Jahren noch viele Spezialeinheiten zu kämpfen hatten

Nach den Vorkommnissen bei den Olympischen Spielen 1972 in München aus der Not geboren und der Kriminalitätsentwicklung folgend, stellten in Deutschland sowohl Bund (Bundesgrenzschutz, BGS – heute Bundespolizei BPol) als auch die Länder (Länderpolizeien) Spezialeinheiten auf. Da sich die Polizei deutlich vom Militär unterscheiden wollte bzw. musste, traten anfangs teils schwerwiegende Probleme und manchmal auch Denkfehler auf, die sich in manchen Bereichen lange Jahre hartnäckig hielten. Besonders bei den Präzisionsschützen fehlten Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Einheiten, so dass es eigentlich selbst an den einfachsten Voraussetzungen fehlte. Hier einige Beispiele:

• Niedriger oder kein Standard für die Auswahl der Schützen. Hier lernte man jedoch sehr schnell, die besten Leute zu finden

• Nicht qualifizierte Schützen

• Ungenügende Bewaffnung (Jagdgewehre)

• Falsche Kaliber- und Munitionswahl (mangelnde Präzision, Vollmantelgeschosse usw.)

• Keine, ungeeignete oder schlechte Funkausstattung

• Zu wenig Training (1 x pro Monat und weniger)

• Keine schriftlichen Trainingsvorgaben und Leistungsstandards

• Keine Aufzeichnungen über die Leistungskurve

• Keine Datenbücher für die Schützen

• Unrealistisches Training (z. B. nur unter Idealbedingungen und/oder ausschließlich in geschützten Innenanlagen oder bei sonnigem Wetter)

• Wirklichkeitsfremde Ziele (nur Ringscheiben, nur 100 m, keine 3-D-Ziele usw.)

• Keine beweglichen Ziele (Moving targets)

• Wenig einstudierte Abläufe (Drills) zum Thema „Schießen – nicht schießen“

• Keine nachvollziehbaren bzw. wissenschaftlichen Testaufbauten bei Beschussversuchen

• Unzweckmäßige Ausrüstung

Zum Glück für alle Präzisionsschützen, die heute ihren Dienst versehen, hat sich eine ganze Menge geändert, so dass im Unterschied zu den 1970er Jahren jetzt von absoluten Profis gesprochen werden kann. Die Zeit und die vielen innovativen Gedanken mussten erst in vielen Köpfen reifen. Mit den Aufgaben wuchs dann die Professionalität, so wie sich auch in Zukunft alles weiter ändern wird, die Technik weiter fortschreitet und die Waffen- und Munitionsentwicklung noch mehr verfeinert wird.

Ein ähnlicher Wandel vollzog sich bei den deutschen Scharfschützen mit ihrer neuen Rolle innerhalb der Bundeswehr. Einen riesigen Sprung vorwärts bedeutete die Einführung des Scharfschützengewehres G22 im Kaliber .300 Winchester Magnum (WinMag) der Firma Accuracy International. So war die Reichweite gegeben, das theoretische Rüstzeug holte man sich bei NATO-Partnern. Bei der Bundeswehr dauert manches halt länger, wird dann aber oft dreimal so gut. Das erwies sich bei der Scharfschützenausbildung, besonders beim Kommando Spezialkräfte (KSK).

Haenel RS 9 im Farbton RAL 8000 ohne und mit Schalldämpfer.

… oder in klassischem Schwarz. (Bilder mit freundlicher Genehmigung der Fa. C. G. Haenel.)

Da mittlerweile auch bereits das G 22 von Accuracy International in die Jahre kommt, lief für die Spezialkräfte der Bundeswehr im Jahr 2016 eine Ausschreibung für ein neues Scharfschützengewehr im Kaliber .338 Lapua Magnum, welche die Firma Haenel mit ihrem RS 9 für sich entscheiden konnte. Es ist zu erwarten, dass sich mehrere andere Staaten bei der Beschaffung am Ausgang dieser Erprobung orientieren werden.

Anforderungen an einen Präzisions-/Scharfschützen

Der folgende Abschnitt versucht, logisch aufbauend, ein gewisses „Rucksack-Wissen“ für den gesamten Präzisions- und Scharfschützenbereich zu vermitteln.

Vor jeder Ausbildung steht erst einmal die Auswahl der Kandidaten, die dann in den Personenkreis der „Auszubildenden“ aufgenommen werden. Wer eignet sich zum Scharfschützen? Wer Ambitionen in diese Richtung entwickelt, sollte folgende Fragen ehrlich beantworten: Sind Sie ein Hitzkopf? Geraten Sie schnell in Rage? Mögen Sie die Jagd? Haben Sie schon jemals eine Woche in der Natur allein verbracht? Waren Sie schon allein zelten? Wie oft haben Sie dabei am Tag gegessen? Gab es deutliche Unterschiede in Ihrer Psyche zwischen dem ersten und dem letzten Tag?

Der Leser erkennt, in welche Richtung es geht. Grundsätzlich muss ein guter Scharfschütze drei Dinge mitbringen. Die Fähigkeit, einen präzisen Schuss aus dem Hinterhalt anzubringen, kommt dabei an letzter Stelle. Disziplin und Intelligenz stehen davor; es sind die wichtigsten Qualitäten.

Alle namhaften militärischen Verbände bzw. polizeilichen Spezialeinheiten der Welt wählen und bilden den Scharf-/Präzisionsschützen nach annähernd den gleichen Gesichtspunkten aus:

1. Er muss viel Selbstbewusstsein besitzen und psychologisch auch auf Ausnahmesituationen vorbereitet sein. Geistige Stabilität, Geduld, Konzentrationsfähigkeit und Improvisationsvermögen sind Grundvoraussetzungen.

2. Er sollte bereit sein, auf jede einsatzrelevante Entfernung ohne Zögern seinen Gegner zu bekämpfen bzw. Straftäter final auszuschalten.

3. Er sollte Rechtsschütze sein (Umgreifen an der Waffe verrät den Schützen).

4. Das Sehvermögen ist das Hauptwerkzeug des Präzisionsschützen. Er sollte deshalb kein Brillenträger sein. Brillen können verloren gehen, zerbrechen oder in der Sonne reflektieren (zum Thema Brille siehe auch Seite 259 f.). Noch fataler wäre Farbenblindheit.

5. Er sollte Nichtraucher sein, denn Raucher werden bei Nikotinentzug unruhig. Eine glimmende Zigarette könnte überdies die Stellung verraten.

6. Naturverbundenheit und Naturkenntnis sind auch für polizeiliche Präzisionsschützen von Vorteil (Lagen außerhalb bebauten Geländes).

7. Er muss eine unerschütterliche Selbstdisziplin besitzen. Er darf nicht in Panik verfallen, wenn etwas schief läuft, und muss stets den Überblick behalten.

8. Er muss umfangreiches Wissen in den Bereichen Ballistik, Munition, Zieloptiken, ballistischer Schutz und Waffen besitzen. Ebenso sind Kenntnisse im Orientierungs- und Meldewesen unerlässlich.

9. Er muss in hohem Maße stressresistent sein. Ausgeglichenheit ist wichtiger für Präzisionsschützen als Schießleistungen oder technische Kenntnisse. Ein gewisses Maß an Schießfertigkeit ist natürlich unerlässlich. Aber Schießen lässt sich erlernen. Einen Mann nur unter dem Blickwinkel der Trefferleistung auszuwählen, ist ein großer Fehler. Der Kopf muss stimmen.

10. Er muss ein hervorragender Schütze sein bzw. werden.

11. Er muss Freiwilliger und hoch motiviert sein. Nur Freiwillige nehmen die Mehrbelastungen und Mühen in Ausbildung und Einsatz auf sich.

Warum das alles so wichtig ist? Ein Scharfschütze muss mehrere Tage ein Ziel anpirschen oder auf der Lauer liegen können, um dann einen einzigen gezielten Schuss anzubringen. Oder er wird nach Tagen zurückkommen und nicht geschossen haben, weil sich kein lohnendes Ziel zeigte. Das Zeitfenster für einen Schuss kann oft nur drei Sekunden betragen. Wer „rumhängt“, Tagträumen nachhängt, ständig ans Essen denkt oder irgendetwas anderes macht, als sich auf das Ziel zu konzentrieren, wird kein Schützenglück haben. Natürlich muss auch der Scharf-/Präzisionsschütze einmal abschalten, essen oder ruhen. Deshalb ist ein zweiter Mann so immens wichtig.

Auswahl und Training

Die Güte eines Scharf-/Präzisionsschützen hängt in erster Linie von seiner Auswahl und seiner Ausbildung ab. Stellt sich im täglichen Dienst sehr früh ein geeigneter Mann heraus, sollte er ohne Ansicht von Person und Dienstgrad gefördert werden. Viel zu oft wählen Vorgesetzte, die Tätigkeit und Anforderungen dieser „Waffengattung“ nicht oder nur unzureichend kennen oder falsch interpretieren, Scharf-/Präzisionsschützen aus.

Sehr oft werden auch Männer ausgewählt, die in ein grobes Schema passen oder die besonders einsatzfreudig erscheinen. Es sind nicht zwingend die richtigen Leute. Es sollte eine Persönlichkeit ausgewählt werden, die das „kleine Einmaleins“ der militärischen Grundausbildung verstanden hat und dessen Blick nicht durch Klischees getrübt ist.

Der potentielle Schütze muss sich in seiner Einheit wohlfühlen und sich auf jeden Fall in die Gruppe einfügen können; er muss „teamfähig“ sein, wie es neudeutsch heißt. Eine beständig gute Schießleistung oder zumindest das entsprechende Potential muss vorhanden sein. Ebenso sind überdurchschnittliche Fähigkeiten in den grundlegenden Anforderungen, einschließlich der körperlichen Fitness, mitzubringen. Auch Zuversicht und ein gesunder Humor helfen, schwierige Situationen im Nachhinein zu verarbeiten.

Die Liste der Anforderungen unterscheidet sich von Land zu Land, von Armee zu Armee, von Verband zu Verband und von Polizeitruppe zu Polizeitruppe. Sie wird hauptsächlich von der Lebensweise und Mentalität des jeweiligen Volkes, der Größe der Armee bzw. des Polizeiapparates und anderen Faktoren beeinflusst. Hier einige allgemeingültige Grundsätze der „Anforderungsliste“:

• Weitreichende militärische Fähigkeiten und Naturverbundenheit (auch bei Polizeieinheiten). Darüber hinaus überdurchschnittliche Schießleistungen bzw. das Potential dazu.

• Intelligenz ist lebensnotwendig für den Scharf-/Präzisionsschützen, ist jedoch nicht alles. Er muss über einen gesunden Menschenverstand verfügen und in der Lage sein, eine taktische Situation zu erfassen und die Folgen seines Handelns abzuschätzen.

• Körperliche Fitness ist ein weiterer Punkt, der keine Abstriche duldet. Der Aspirant muss über eine überdurchschnittliche körperliche Leistungsfähigkeit verfügen und über ein hohes Maß an Ausdauer. Der Scharfschütze ist kein Sprinter-Typ, sondern eher ein zäher Ausdauerläufer, der vielleicht geringfügig langsamer, dafür aber über einen umso längeren Zeitraum hinweg seinen Auftrag erfüllt. Er muss nicht unbedingt der Schnellste sein, sondern eher jener, der immer mit vollständiger Ausrüstung ankommt. Die geistige Fitness ist ebenso wichtig, und der Bewerber darf keinerlei Tendenzen zu Überreaktionen zeigen. Er muss sich ständig unter Kontrolle haben und über die Fähigkeit verfügen, Dinge bis zum Schluss durchzudenken wie ein Schachspieler, ohne je Beherrschung und Geduld zu verlieren oder sich zu verzetteln. Er muss die Meinung anderer annehmen und Kritik einstecken können.

• Der gesunde Sinn für Humor wurde bereits erwähnt. Er ist essentiell, da das Leben eines Scharfschützen oft brutal und unerbittlich ist. Die Unfähigkeit, haarigen Situationen eine lustige Seite abzugewinnen, wird unweigerlich zu Stress führen, was sich wiederum in Fehlern niederschlägt oder eine seelische Erschöpfung herbeiführt. Kein Schütze weiß alles! Er kann immer von anderen lernen. Ein Scharf-/Präzisionsschütze, der glaubt, alles zu wissen, wird bald tot sein. Allzu oft sind gute Schützen zu selbstsicher und unbedarft. Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, ist lebensnotwendig. Tatsächlich lässt sich Angst mit Hilfe von Humor kontrollieren. Humor verleiht Mut, mit einer ständigen Lebensgefahr umzugehen und „ihr ins Auge zu sehen“.

• Der ideale Kandidat ist Nichtraucher. Raucher sollten ermutigt werden, die Sucht aufzugeben. Dieses Vorhaben ist bei jeder Gelegenheit zu unterstützen. Rauchen sollte aber kein Ausschlussgrund für einen an sich guten Bewerber sein. Es muss ihm aber verdeutlicht werden, dass Rauchen für Scharf-/Präzisionsschützen lebensgefährlich sein kann. Rauchen beeinträchtigt unter anderem die Nachtsehfähigkeit. Durch die verstärkte Bindung von Karbon-Monoxid im Blut verliert der Raucher gegenüber einem Nichtraucher etwa 20 % Nachtsichtfähigkeit. Dieser Effekt nimmt auch mit zunehmender Höhenlage zu. Auf Meereshöhe sind es etwa 20, auf 3000 m Höhe bereits 40 %.

• Reife ist ebenso wichtig. Reife hängt nicht vom Alter ab. Der Bewerber muss sich seiner Verantwortung voll bewusst und auch bereit sein, sie zu übernehmen. Er muss also erwachsen genug zu sein, um sensible Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Er muss über die Selbstdisziplin verfügen, selbständig an sich zu arbeiten, um ein höheres Leistungsniveau zu erreichen. Trotzdem muss er sich in die Gemeinschaft fügen können, da er ständig als Teil einer Gruppe bzw. eines Trupps arbeiten muss. Ein „einsamer Wolf“ ist keine gute Wahl.

• Taktisches Verständnis und die Fähigkeit, günstige Gelegenheiten beim Gegner zu erkennen und sofort umzusetzen, etwa das Herausfiltern von Schwachstellen und das Ausnutzen derselben, sind weitere Voraussetzungen. Manches kommt mit jahrelanger Erfahrung, aber in der Regel „hat man es, oder man hat es nicht“.

• Geduld ist die Tugend des Jägers. Durch alle Erfahrungsberichte seit dem Ersten Weltkrieg zieht sich wie ein roter Faden die Forderung nach unerschütterlicher Geduld. Der Scharf-/Präzisionsschütze muss stets feuerbereit sein und ohne Konzentrationsverlust auch noch nach zwölf Stunden in der Stellung sein Ziel genau treffen. Scharf-/Präzisionsschützen denken analytisch, zeigen keine großen Gefühlsschwankungen, überlegen jeden Schritt. Sie haben gelernt, ihre Gefühle zu beherrschen und zu kontrollieren. Deshalb sind sie beileibe noch keine emotionslosen Maschinen.

• Er muss willig – im Sinn von lernbereit – sein. Großsprecher und Angeber lassen sich nur durch genaue Beobachtung erkennen. Vorgesetzte sollten besondere Aufmerksamkeit darauf legen, was ein ruhiger, scheinbar „unterwürfiger“ Mann tut und was ein Quatschkopf sagt – und nicht tut. Taten haben Gültigkeit, Worte nicht. Läuft der Mann weiter, wenn die anderen schon aufgeben? Reißt er die anderen mit? Hilft er ihnen sogar noch? Nimmt er für den Erfolg auch Unannehmlichkeiten in Kauf? Gibt er auch oder nimmt er nur? Und zuletzt: Führt er den Befehl aus und schießt, wenn es nötig ist? Das wird man allerdings erst wissen, wenn es so weit ist. Die letzte Entscheidung sollte (nach Meinung des Verfassers) allerdings dem Schützen überlassen bleiben, da er die Verantwortung für den Schuss übernehmen muss. Ist der Schuss erst gebrochen, kann keine Macht der Welt das Geschoss zurückholen.

Leute zu finden, die alle diese Kriterien erfüllen, ist schwierig. Erfüllt ein Kandidat aber mehrere Punkte und zeigt den Willen, anderen nachzueifern, dazuzulernen und mehr zu erreichen, bringt er gute Voraussetzungen mit.

Eine rigorose Auswahl und ein hohes Lehrgangsniveau vermitteln dem Scharf-/Präzisionsschützen die Sicherheit, besser ausgebildet zu sein als das Gros seiner Gegner, was zu wesentlich höheren Überlebenschancen im Gefecht führt.

Bei der britischen Armee muss ein Bewerber in der Ausbildung sieben Punkte erfüllen, um Scharfschütze werden zu können. Diese Kernfertigkeiten bilden die Grundlagen, auf denen alles aufgebaut wird. Ohne sie wird jeder Bewerber scheitern und, schlimmer noch, im Einsatz wahrscheinlich sein Leben verlieren. Das Versagen in nur einem Teilgebiet führt zum Nichtbestehen des Lehrgangs. Dies mag hart klingen, erklärt sich aber von selbst. Diese sieben Punkte lauten:

• Schießfertigkeit

• Beobachtungsgabe

• Fähigkeit zum Entfernungsschätzen

• Orientierungssinn und Navigation

• Tarnen und Täuschen

• Anpirschen (Stalk)

• Spezielles Scharfschützenwissen

Auch polizeiliche Präzisionsschützen sollten sich an diesen militärischen Maßstäben orientieren. Denn es könnten unverhofft Lagen in ländlichen Gebieten oder im Gebirge anstehen. Sie werden aber sicherlich nicht so häufig wie ihre Kameraden beim Militär unter stacheligem Brombeerdickicht liegen müssen.

Die heutigen Lehr- und Unterrichtsmethoden und die Standards haben sich seit dem Ersten Weltkrieg kaum geändert, obgleich Ausrüstung, Bekleidung, Waffen, Optik und Munition ständig verbessert worden sind und die Ausstattung an Hilfsmitteln erheblich zugenommen hat.

Der Scharfschütze überlebt einzig und allein dank des Basiswissens, das jeder Infanterist bereits in der Grundausbildung vermittelt bekommt. Leider vergessen viele Soldaten dieses Wissen nur allzu schnell oder sind schlichtweg zu bequem, es in die Praxis umzusetzen. Wer nutzt schon gerne einen verschlammten Straßengraben, wenn nebenan die Straße ein wesentlich schnelleres, einfacheres und vor allem bequemeres Vorankommen verspricht? Es wird schon keiner herschauen und mich entdecken!

Es fällt auf, dass der Nachwuchs in vielen Einheiten nur mehr wenig bereit ist, sich zu schinden. Und den wenigen Idealisten wird ihr Enthusiasmus auf Grund zeitgeistlicher oder politischer Vorgaben von manchen Vorgesetzten oft gründlich ausgetrieben. Wegen ihres Ideenreichtums und ihrer Motivation gelten Spezialeinheiten als „unbequem“.

Natürlich haben heutige Scharfschützen weit mehr Aufgaben zu bewältigen als ihre Vorgänger im Ersten oder Zweiten Weltkrieg, wozu sie ein erhebliches Mehr an Ausrüstung bedienen und mit sich herumschleppen müssen (GPS, Funk, Laptop, Feuerleitgerät, Satellitentelefon, viele, viele Batterien usw.). Aber das Grundwissen, um als Scharfschütze seinen Auftrag zu erfüllen und um zu überleben, hat sich seit den schlammigen Gräben von 1914 bis heute nicht geändert.

Obgleich es möglich ist, jedem gesunden Menschen das Schießen mit einem Zielfernrohrgewehr beizubringen, wird es immer Kandidaten geben, die den korrekten Augenabstand zum Zielfernrohr nicht einhalten oder auch bestimmte Themenfelder wie Ballistik nie begreifen können. Solche Leute sind woanders besser aufgehoben. Auf dem Scharfschützenlehrgang würden sie nur kostbare Ausbildungszeit, Munition und Ressourcen vergeuden.

Wer nicht schießen kann, kann auch kein Scharfschütze werden.

Um es abschließend zu wiederholen: Scharfschützen sind nicht die Lösung aller Probleme, die sich auf irgendeinem Gefechtsfeld stellen. Sie können jedoch – gut ausgebildet, mit den entsprechenden Freiheiten und dem nötigen Rüstzeug versehen – entscheidende Unterstützungsarbeit leisten. Es wird immer Einsätze geben, bei denen Scharfschützen überhaupt nicht benötigt werden, und Szenarien, bei denen sie unverzichtbar sind.

Ist ihr Einsatz unumgänglich, müssen folgende grundlegende Fragen geklärt werden:

• Sind die Einsatzentfernungen realistisch?

• Sind Beobachtungs- und Einwirkmöglichkeiten eingeschränkt?

• Fehlt es dem Auftrag an taktischer Flexibilität?

• Sind Ausweichmöglichkeiten (Rückzug) gegeben?

• Ist eine Hintergrundgefährdung auszuschließen?

Beobachten

a) Grundlagen und Trainingsmethoden

Unsere verstädterte Lebensweise hat die Leistungsfähigkeit unserer Augen beeinträchtigt. Der Mensch ist ja nicht mehr gezwungen, auf große Distanzen Einzelheiten zu erkennen. Wir leben in bebauten Gegenden, so dass das Auge am Blick in die Weite gehindert wird. Wie jeder Muskel des Körpers verkümmert auch der Augenmuskel, wenn er nicht gefordert wird. Die Gabe, sowohl auf große Distanzen als auch im Detail zu sehen, haben wir als Kinder noch alle besessen, aber bis zum Erwachsenenalter verloren.

Beobachten erfordert ebenso große Sorgfalt und Präzision wie Schießen auf große Entfernungen. Zweck der Beobachtung ist, den Gegner zu erkennen. Dazu muss der Scharfschütze in der Lage sein, Tarnung mit seinen Augen zu „durchdringen“. Hierbei helfen ihm optische Geräte und die Kenntnis der Natur. Eine umfassende Ausbildung an optischen Hilfsmitteln (Fernglas, Spektiv, Zielfernrohr, Nachtsicht- und Wärmebildgerät usw.) ist unerlässlich. Der Scharf-/Präzisionsschütze ist in erster Linie Beobachter und somit das Auge seiner Einheit – egal ob Militär oder Polizei. Er muss sich auf seine Beobachtungsgabe verlassen und seinen Gegner entdecken können, ganz gleich wie geschickt sich dieser verbirgt.

Ebenso muss der Scharf-/Präzisionsschütze ein gesundes Misstrauen besitzen und alles hinterfragen, was nicht natürlich aussieht oder ihm eigenartig erscheint. Erst dann darf er mit seinen Handlungen fortfahren. Um einen Gegner zu lokalisieren, wird das Gelände bzw. die Tatörtlichkeit systematisch und penibel abgesucht. Es wird alles unter die Lupe genommen, was nicht an seinem Platz ist, dort nicht hingehört oder vorher dort noch nicht war. So suchen Scharfschützen insbesondere nach herumliegenden Folien- oder Papierfetzen, einer Änderung der Wuchsrichtung im Gras oder einer Schnittstelle an Ästen und Baumstämmen. Vielleicht befinden sich auch Pflanzen an einer völlig falschen Stelle (z. B. ein Buchsbaum mitten auf einer trockenen Wiese). Ein Farbton, der nicht in die Umgebung passt, muss die Aufmerksamkeit des Scharf-/Präzisionsschützen erregen, z. B. ein Fleck völlig verdorrten Grases in einer ansonsten saftig-grünen Wiese.

Man spricht bei all diesen Auffälligkeiten von so genannten Zielanzeichen (Target indicators), also Hinweisen auf die mögliche Anwesenheit eines Gegners. Dazu gehören Geräusche, Bewegungen, Gerüche, untaugliche Tarnung, Verhalten von Tieren. Der Scharfschütze lernt in der Ausbildung, alle Arten von Zielanzeichen oder sonstige Einzelheiten zu erkennen, die auf den Gegner schließen lassen (Laubwerk zeigt in die falsche Richtung, ein Hauch von Dunst an einem kalten Morgen, Auffliegen von Vögeln, Abspringen von Wild usw.). Einige Beispiele von Verhaltensmustern bei Tieren:

• Schafe in einer Herde laufen vor Menschen weg.

• Kühe (wohl die gelangweiltesten Geschöpfe der Erde) laufen auf jede Ablenkung zu.

• Hasen machen bei Aufmerksamkeit Männchen und blicken in Richtung potentieller Gefahr (auf die Löffel achten – sie zeigen wie Richtmikrofone in Richtung der Irritation).

• Kaninchen laufen immer den kürzesten Weg zum Bau – also nicht unbedingt von der Gefahr weg.

• Reh- und Rotwild sichert in der Regel in Richtung der Gefahr und springt dann ab.

• Amseln kommentieren Störungen bzw. Bewegungen von Menschen und Tieren (Fuchs, Katze) mit Warngeschrei.

Jede Ungereimtheit in der Natur muss der Scharfschütze hinterfragen. Eine Absuche des Geländes führt dann zur Klärung der Ursache. Jeder Gegenstand erzählt eine Geschichte. Das Erkennen von Zusammenhängen und die Unterscheidung von normal und unnormal, natürlich oder künstlich, verbessern die Ausgangsposition. Ebenso muss er seinen sechsten Sinn nutzen und lernen, sich auf ihn zu verlassen. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann. Das Ignorieren innerer Alarmglocken kann das Ende bedeuten. Insbesondere die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges lehren, dass Scharfschützen nur einmal einen Fehler machen. Im Duell gibt es keinen zweiten Sieger.

Neben dem sechsten Sinn und scharfen Augen sind sensible Ohren eine weitere Lebensversicherung. In den meisten Fällen werden Gegner mit den Augen (unter Mithilfe optischer Geräte) ausgemacht. Bei der Beobachtung eines Geländeabschnitts nimmt man auch Geräusche wahr. Diese werden gefiltert, um nacheinander ausgeschlossen bzw. in natürliche und unnatürliche Geräusche unterteilt zu werden. Die Wahrnehmbarkeit der Laute hängt vom Gegenüber und der Windrichtung ab. Ein Zug Infanterie auf dem Marsch verursacht deutlich mehr Lärm als ein Spähtrupp oder gar ein feindlicher Heckenschütze. Fühlt sich der Gegner sicher, wird er unaufmerksamer und deshalb lauter sein.

b) Systematik der Geländebeobachtung

Eine gute Beobachtungsgabe in Verbindung mit einem guten Gedächtnis ist eine unschlagbare Kombination. Das menschliche Auge kann etwa 60 Eindrücke in der Sekunde verarbeiten. Wer den Kopf schneller bewegt, als das Gehirn die Eindrücke verarbeitet, wird keine Einzelheiten erkennen.

Das zu beobachtende Gelände wird in Abschnitte, Sektoren, eingeteilt, die dann nacheinander abgearbeitet werden. Jeder einzelne Sektor ist immer wieder abzusuchen, um Veränderungen zu erkennen. Werden solche erkannt, muss ergründet werden, was diese Veränderungen verursacht hat.

Der unter der Bezeichnung „Kill flash“ oder „Anti Reflection Device“ (ARD) bekannte Wabengittervorsatz für Zielfernrohre und Beobachtungsoptiken: Dieser Vorsatz erzielt bei nur 50 mm Bautiefe die gleichen Reflektionsschutzwerte wie eine 12 cm lange Lichtschutzblende. Jeder taktische Gewehrschütze sollte sich diesen Vorsatz zulegen. Zur besseren Tarnung kann er bemalt oder mit Tarnklebeband beklebt werden. Solche Wabenfilter empfehlen sich auch für die Jagd: Wild reagiert ebenso auf das Blitzen des Objektives, wenn Licht reflektiert wird – auch Mondlicht, besonders beim Sauen- oder Fuchsansitz.

Das Entfernungsschätzen, die Zielerkennung und das Erkennen verdeckter Bewegung kann ständig, auch in der Freizeit beim Spazierengehen usw., geübt werden. Das gesamte Ausbildungsprogramm wird im weiteren Verlauf des Buches erläutert.

c) Beobachtungsmethoden

Man unterscheidet zwei Methoden:

1. Die dreistufige schnelle Absuche

Sie ist nichts anderes als der hastige Blick in die Runde zur groben Eigensicherung nach Beziehen der Stellung. In rund 30 Sekunden muss das Gelände sondiert sein. Hierbei werden alle auffälligen Abschnitte von links nach rechts kontrolliert. Ist das Auge auf einen fixen Punkt gerichtet, nimmt es Bewegungen auf große Entfernungen leichter wahr. Es folgt eine genauere, ein- bis zweiminütige Absuche nach dem Motto: „Wo würdest du dich an Stelle des Gegners verstecken?“

2. Die detaillierte Beobachtung

Die schnelle Absuche schließt Gefahren im Nahbereich aus. Jetzt kann eine genaue Beobachtung des Geländes erfolgen. Der vorherige Beobachtungsbereich links – rechts wird jetzt in verschiedene Absuchbereiche (Zifferblatt) eingeteilt. Jeder Sektor wird genau abgesucht, danach zum nächsten gewechselt. Die detaillierte Beobachtung geschieht ohne Zeitlimit.

Bei der Entfernung unterscheidet man grob zwischen nah – mittel – weit. Zunächst wird der Bereich nah (bis ca. 50 m) abgesucht, da aus dieser Distanz die größte Gefahr droht. Die Abbildung verdeutlicht die Systematik des Absuchens.

Als Zwischenstufe der beiden Beobachtungsmethoden kann die bereits beschriebene Absuche mit dem Fernglas in vier bis acht Minuten dienen.

Schema zur Geländebeobachtung: Der Bereich nah – mittel – weit mit der Unterteilung links – halblinks – geradeaus – halbrechts – rechts. Die Absuche erfolgt von links nach rechts, dann von rechts nach links und wieder von links nach rechts.

Neben der oben gezeigten Methode kann man die Sektoren auch nach Örtlichkeiten einteilen, an denen Ziele auftauchen können, und/oder nach Geländegegebenheiten. Der Beobachter mit dem Spektiv sucht die großen Distanzen ab, während sich der Schütze auf die kürzeren Entfernungen konzentriert.

Die Sektoren werden mit etwa 10 m Überlappung abgesucht, um zu verhindern, dass versehentlich an der Grenzlinie etwas übersehen wird oder Bereiche vergessen werden. Nachdem die systematische Absuche aller Sektoren abgeschlossen ist, werden die einzelnen Sektoren unregelmäßig weiter beobachtet. Haben sich Veränderungen ergeben, ist zu ergründen, warum sie sich ereignet haben (könnten). Beobachten durch optische Geräte ist anstrengend und ermüdet das Auge. Es beginnt zu tränen und der Beobachter kann in Folge verschiedene Dinge übersehen. Hin und wieder eine Pause gibt dem Auge Gelegenheit zur Erholung.

Folgende Merkpunkte sind die Essenz verschiedener Gespräche, eigener Erfahrungen des Verfassers und einem Merkzettel, den ihm ein österreichischer Kollege aushändigte:

Wichtige Beobachtungsregeln

• Das Gehirn kann keine Einzelheiten erkennen, wenn es nicht ausreichend Zeit erhält, sie über das Auge aufzunehmen.

• Von rechts nach links suchen. Das Auge ist gewöhnt, von links nach rechts zu lesen. Die Absuche in entgegengesetzter Richtung lässt Details schneller erkennen.

• Erst durch Visualisierung wird das Gehirn zur Sucharbeit befähigt.

• Schatten sind Verbündete. Beobachte ihr Wandern und nutze sie als Tarnung.

• Geduld ist der Schlüssel zum Entdecken des Gegners.

• Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Studiere die Gewohnheiten des Gegners und entdecke seine Grundbedürfnisse. Er will es bequem haben, warm, trokken und windstill. Er hält sich gern in der Nähe von Straßen und Gebäuden auf.

• Der Mensch ist von Natur aus träge. Deshalb sucht er sich seinen Marschweg immer entlang der „einfachsten“ Geländelinien (parallel zu Flüssen und Gewässern; an Gebirgskämmen entlang; in Tälern; als kürzeste, einfachste Route zwischen zwei Punkten und daran entlang)

Für den Scharf-/Präzisionsschützen bedeutet dies: Um unentdeckt zu bleiben, sollte er seine Marschroute abseits der genannten Örtlichkeiten, am besten in den Wald verlegen, wo auch immer möglich mit dem Waldrand in Sichtweite, aber tief genug in Deckung, um nicht gesehen zu werden. Bei der Suche nach gegnerischen Scharfschützen wird er besonders genau jene Stellen beobachten, über die er sich selbst bewegen würde.

Offene Geländeteile sind am schmalsten und niedrigsten Punkt zwischen zwei Deckungen zu überqueren. Solche Geländepunkte müssen besonders aufmerksam beobacht werden, da sie der Gegner ebenfalls taktisch nutzen wird. Ebenso wird der Gegner Flüsse und Straßen an Biegungen überqueren. An Bergkämmen bewegt er sich unterhalb der Gipfellinie entlang. Wenn möglich, sind die höchsten Geländepunkte zur Beobachtung zu nutzen, aber die Stellung sollte gedeckt sein (Hintergrund). Hervorragend eignen sich ein Biwakplatz oder ein Versteck in vertretbarer Nähe zu einer Wasserstelle (Trinkwasser). Da solche neuralgischen Punkte gerade von Scharfschützen beobachtet werden, ist die Entdeckungsgefahr beim Gang zur Wasserstelle besonders hoch.

Wichtige Straßen und die einzigen Anfahrtswege zu Objekten sind stark gesichert. Aber Vorsicht: nicht auf Scheinstellungen hereinfallen!

Aufspüren von Stellungen schwerer Waffen

Leichter als die Suche nach gegnerischen Scharfschützen gestaltet sich das Aufspüren von Stellungen für Unterstützungswaffen innerhalb eines Stellungssystems. Bauliche Maßnahmen dieser Größenordnung lassen sich nur schwer verbergen. Ist das Gefecht im Gange, ist leicht zu erkennen, aus welcher Richtung es am lautesten „rummst“. Aber vorher bestehen gewisse Schwierigkeiten.

In befestigten Stellungen sind schwere Waffen immer mittig im Stellungssystem oder flankierend eingesetzt. Auch eine besonders massive Bauweise der Unterstände oder Kampfstände weist auf schwere Infanteriewaffen hin.

d) Beobachten bei Nacht

Nachts muss sich der Scharf-/Präzisionsschütze ebenso umsichtig verhalten wie am Tag. Die Dunkelheit bietet ihm auf Grund der weiten Verbreitung von Nachtsichtgeräten längst keinen Schutz mehr. Sie sind aus zahlreichen Quellen erhältlich; selbst eine bekannte Kaffee-Handelskette bot im November 2002 Nachtsichtgeräte der 1. Generation für unter 200 Euro an.

Das Auge erreicht seine volle Nachtsichttauglichkeit erst nach etwa 30 Minuten. Man kann diese Zeitdauer etwas herabsetzen, wenn man, bevor man aus einem beleuchteten Zimmer in die Dunkelheit tritt, etwa zehn Minuten vorher eine Brille mit roten Gläsern trägt.

Der Grund für die reduzierte Nachtsichtfähigkeit liegt darin, dass nachts ein anderer Bereich der Netzhaut mit lichtempfindlichen Nervenstäbchen für das Sehen aktiviert ist als am Tag. Tagsüber ist der unmittelbar gegenüber der Iris befindliche Bereich der Netzhaut aktiv. Nachts hingegen arbeiten die diesen Bereich umgebenden Nervenzellen effektiver. Um bei Nacht besser sehen zu können, soll man daher nicht direkt auf das Objekt blicken, sondern daran „vorbeischauen“, um die nachtaktiven Sinneszellen am Randbereich der Netzhaut zu aktivieren.

Hilfsmittel für das Beobachten bei Nacht

• Aktive und passive Nachtsichtgeräte. Sie haben jedoch auch Nachteile: aktive Nachtsichtgeräte kann der Gegner orten. Restlichtverstärker funktionieren nur mit Restlicht – ist kein Licht vorhanden, kann auch keines verstärkt werden (absolute Dunkelheit).

• Normale Tages-Optiken (Zielfernrohr, Fernglas, Spektiv). Je größer der Objektivdurchmesser, desto höher die Nachtsichttauglichkeit (abhängig von der Vergrößerung; siehe Kapitel über Optiken).

• Wärmebildgeräte. Sie funktionieren auch bei Tageslicht. Dazu mehr auf Seite 243 und im Farbbildteil auf S. I, Bild 2.

Übrigens: Der Biorhythmus erreicht seinen Tiefstpunkt zwischen 02.30 Uhr und 03.15 Uhr. Statistisch gesehen ist die Gefahr, entdeckt zu werden, in dieser Zeitspanne am geringsten. Andererseits ist aber auch die eigene Aufmerksamkeit geschwächt, was gefährlich werden kann. Nebenbei bemerkt hat der Angriff der Allianz im ersten Golfkrieg 1991 genau um 02.55 Uhr begonnen …

e) Grundlagen und Trainingsmethoden

Die wichtigste Tätigkeit beim Üben des Beobachtens ist die Gedächtnisschulung mit Hilfe von Merkübungen, so genannten KIMs (Keep in memory – im Gedächtnis behalten). Hier ein Beispiel: Auf einem Tisch liegen neun Gegenstände, die nach einer Minute mit einem Tuch abgedeckt werden. Die Kandidaten werden nun abgelenkt; sie müssen Kniebeugen machen, Waffen zerlegen, ein Lied singen, Fragen beantworten usw. Nach rund zehn Minuten werden Fragen zu den Gegenständen gestellt, die sie schriftlich beantworten müssen. Angestrebt wird eine Erfolgsquote von 70 % bei Einzelpersonen. In der Gruppe lässt sich die Quote auf 80 % und mehr anheben.

Eine Steigerung der vorherigen Übung ist das Beobachten im Gelände. Die Ausbilder stellen 20 unterschiedliche (militärische) Ausrüstungsgegenstände zusammen, aus denen sie jeden Tag zehn bis zwölf auswählen und im Gelände verteilen. Bei der Auswahl der Gegenstände legen die Ausbilder besonderes Augenmerk auf:

• Glas wie in/an optischen Geräten

• Metall mit (teilweise) blanken Oberflächen

• Waffen aller Typen und Nationen

• Magazine, Essgeschirre, Kisten und sonstige Behälter

• Gerätewesten, Kleidung (Tarnmuster), Munition usw.

• Antennen, Bajonette, Schanzwerkzeug

• Zylindrische Objekte (wie Milan-Startrohr, Tragebehältnis für Panzerfaustgranaten)

• Kabel, Schnüre, Seile, Drähte

• Farben (Schwarz kommt in reiner Form im Bewuchs nicht vor)

Die Gegenstände werden zwischen 10 m und 300 m auf einem Geländestreifen von etwa 150 m Breite so versteckt, dass sie nur mit Fernglas bzw. Spektiv zu erkennen sind. Von einem festgelegten Punkt aus müssen die Scharf-/Präzisionsschützen innerhalb von 30 Minuten die Gegenstände finden. Danach erstellen sie innerhalb von 10 Minuten eine Geländeskizze mit den eingetragenen Gegenständen. Auch hier gilt die Erfolgsquote von 70 %.

Als nochmalige Steigerung werden die Gegenstände teilweise verdeckt, so dass von einem AK-Sturmgewehr etwa nur Lauf und Vorderschaft zu sehen sind. Anhand dieser Teile müssen die Kandidaten Typ und beispielsweise Herkunftsland der Waffe bestimmen. Vielleicht können sie anhand des Mündungsfeuerdämpfers eine bestimmte Variante erkennen, wie beispielsweise die Kurzausführung AK 74 SU. Taucht eine solche Waffe auf, liegt die Vermutung nahe, dass eine Spezialeinheit gegenüberliegt usw. Die Fähigkeit, Details zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen, die wiederum zu neuen Erkenntnissen führen, macht den Scharf-/Präzisionsschützen zu einer Schlüsselfigur der Aufklärung. Werden die Teilmeldungen mehrerer Scharfschützentrupps im Führungsstab gesammelt, ergibt sich bei richtiger Auswertung ein Gesamtbild, das die Führung im Vorfeld gegnerischer Aktionen zu Gegenmaßnahmen veranlassen kann. So werden die Reaktionszeiten im Ereignisfall drastisch verringert und eigene Verluste vermieden.

Erst wenn die Scharfschützenschüler vorgenannte Übungen mit einer Erfolgsquote von mindestens 70 % erfüllt haben, kann die Ausbildung weitergehen. Die Schüler dürfen auf keinen Fall gleich überfordert werden. Wie jeder Muskel muss auch das Gehirn erst trainiert werden, bevor man ihm Höchstleistungen abverlangen kann.

Auch das Anfertigen von Puzzles stellt ein gutes Gedächtnistraining und eine Schulung für Auge und Geist zum Erkennen von Einzelheiten dar. Kombiniert mit einer halben Stunde Trockentraining und Abzugsschulung ist ein verregneter Nachmittag schnell vergangen.

Zu den fortgeschrittenen Übungen gehört das Einbinden von sich bewegenden Gegenständen und Menschen; etwa ein Spähtrupp, den der Scharfschütze von seinem Beobachtungspunkt aus genau verfolgt. Anschließend gibt er an, welche Waffen und Ausrüstung er erkannt hat, welche Gegenstände seine Aufmerksamkeit erregt haben und warum, Bewegungsrichtung usw.

Oder aber eine Serie anderer Ereignisse läuft ab (z. B. kreuzen Zivilfahrzeuge seinen Beobachtungsbereich), die er entweder protokollieren oder per Funk melden muss. Nach Abschluss der Übung werden gezielte Fragen gestellt (Autofarbe, Kennzeichen, Zahl der Insassen, welche Kleidung oder Uniform usw.).

Beobachtungsübungen stellen hohe Anforderungen. Von der Fernspähtruppe einmal abgesehen, legt wahrscheinlich keine andere Truppengattung so großen Wert auf das Beobachten wie die Scharfschützen. Daher muss der Scharf-/Präzisionsschützenschüler hart an sich und seinem Gehirn arbeiten. Es könnte sein Leben davon abhängen.

Der Schützentrupp und seine Aufgaben

Der Schützentrupp ist die grundlegende taktische Einheit für Scharf-/Präzisionsschützen, weshalb er gleich in diesem Zusammenhang vorgestellt werden soll. Beginnen wir mit der Polizei. Bei den SEK kann er grundsätzlich aus bis zu drei Mann bestehen:

• Truppführer

• Schütze 1

• Sicherer/Beobachter/Schütze 2

Ausnahmen sind möglich. Das Schützentrio hat den Vorteil, dass in der Stellung die einzelnen Positionen durchgewechselt werden können, um eine Übermüdung der Männer zu verhindern. Auf Grund der Brisanz der Einsätze – das Leben unschuldiger Geiseln steht auf dem Spiel – ist es äußerst wichtig, immer hochkonzentrierte Beamte hinter den Waffen zu haben. Präzisionsschützen dürfen sich nichts vormachen und sollten offen sagen, wenn die Konzentration nachlässt und besser der nächste Mann einspringt. Ebenso wichtig ist eine gegenseitige Überwachung. Den Begriff „Sekundenschlaf“ kennt jeder.

Die Beamten nehmen je nach Lageerfordernis die entsprechende Bewaffnung und Ausrüstung mit zum Einsatzort. Oft verbietet sich auf Grund der Einsatzsituation oder der Anzahl der Einsatzkräfte die Einteilung von Dreimann-Schützentrupps. Es können dann auch Zweimann-Trupps oder Einzelschützen zum Einsatz kommen. Letztere jedoch nur in absoluten Ausnahmesituationen. An die Folgen der Übermüdung, der fehlenden Nahsicherung usw. ist hierbei besonders zu denken.

Gegen eine sinnvolle „Mischbewaffnung“ (.308 Gewehr/.223 Sturmgewehr/9 mm Maschinenpistole) der Truppmitglieder spricht schon aus Gründen der Eigensicherung wenig, sofern es die Einsatzsituation zulässt bzw. erfordert.

Jeder Präzisionsschütze muss Wasser und Verpflegung für mindestens 8 Stunden mitführen, um unabhängig zu bleiben. Es ist keineswegs aus der Luft gegriffen, dass Einzelschützen in einer Geländestellung im Gebirge 14 Stunden auf dem Bauch liegen müssen und nicht abgelöst werden können (Stellung noch zur Nachtzeit bezogen, bei Tageslicht stellt sich heraus, dass keine Ablösung über die freie Fläche nachgeführt werden kann und diese frühestens nach Einbruch der Dunkelheit eintrifft). Beim Militär gliedert sich der Trupp normalerweise in

• Scharfschütze (Sniper) und

• Beobachter (Spotter).

Je nach Lage geht der Schütze auch allein in den Einsatz. Grundsätzlich herrscht beim Militär eine strenge Trennung zwischen Schützen und Beobachter, wobei beide als Scharfschützen qualifiziert sein müssen und im Allgemeinen auch beide ihre Scharfschützenausrüstung mitführen. Ebenso strikt werden in der Regel die Aufgaben verteilt:

a) Der Scharfschütze (Sniper)

arbeitet den Einsatzplan aus und

• hält Verbindung mit anderen Einheiten;

• sichert während des Marsches nach hinten;

• führt während des Anpirschens (Stalk);

• wählt die Schützenposition aus;

• errichtet die passende Stellung, je nach Auftrag auch für mehrere Tage;

• beobachtet, berichtet, sammelt Informationen;

• sucht und identifiziert das oder die gesuchten Ziele und legt die Zielprioritäten fest;

• ermittelt die Zielentfernung(en), den/die entsprechenden Schusswinkel und die Winddaten;

• stimmt mit dem Beobachter den günstigsten Zeitpunkt zur Schussabgabe ab;

• sichert den Zugriffstrupp beim Vorgehen;

• bekämpft (auf Kommando) das vorher ausgewählte Ziel, sagt das Abkommen an und bereitet sich für einen eventuellen Nachschuss vor.

b) Der Beobachter (Spotter)

• bereitet spezielle Ausrüstung vor;

• führt beim Marsch;

• verteidigt mit dem Sturmgewehr;

• übernimmt die Nahsicherung in der Stellung;

• sichert beim Anpirschen (Stalk) nach hinten;

• fertigt Feuer- und Entfernungsskizzen an;

• überwacht das Gelände, während der Schütze die Stellung ausbaut, und sucht nach lohnenden Zielen bzw. nach Anzeichen für Ziele (Target indicators);

• unterstützt bei der Entfernungsermittlung;

• errechnet mit Datenbuch und Wetterdaten die Trefferabweichung, teilt die Zielfernrohr-Einstellung dem Schützen mit, gibt den Feuerbefehl und beobachtet mit dem Spektiv das Ziel;

• beobachtet anhand der Luftverwirbelung hinter dem Projektil (Trace) die Geschossflugbahn, die Trefferwirkung und korrigiert den Schützen beim eventuellen Nachschuss;

• notiert Informationen;

• stimmt sich mit anderen Trupps über Funk ab und hält Verbindung zum Einsatzstab.

Ein Scharfschützentrupp muss in der Lage sein, im Einsatz zu überleben und dem Gegner möglichst großen Schaden zuzufügen. Die Truppaufgabe besteht darin, präzises Feuer zu liefern, was wiederum eine enge Zusammenarbeit voraussetzt. Schütze und Beobachter ergänzen sich bestmöglich; sie sprechen die gleiche Sprache und lassen bei der Erfüllung ihrer gemeinsamen Aufgaben keine Missverständnisse aufkommen. Diese Aufgaben umfassen:

• Ermittlung von Wetterdaten und deren Einfluss auf die Geschossflugbahn

• Ermittlung der Zielentfernung

• Ermittlung der notwendigen Verstellungen am Zielfernrohr

• Beobachtung des Geschosseinschlags

• Korrektur beim Fehlschuss auf die richtige Einstellung

• Ausschalten des Ziels

Amerikanische Sniper teams halten sich an folgende neun Eckpunkte:

1. Warnungen (alarmieren Schützen oder Beobachter und bereiten auf eine mögliche Handlung vor)

2. Ermittlung des Zielstandorts (kurz und methodisch)

3. Zielbeschreibung (präzise genug, um das Ziel erkennen zu können)

4. Beschreibung des Status (was macht das Ziel gerade?)

5. Entfernungsermittlung

6. Bestätigung der Entfernungsermittlung (evtl. durch eine andere „Messmethode“)

7. Ermittlung der Verstelldaten nach Entfernung bzw. Haltemaßen

8. Windabweichung. Sie wird vom Beobachter ermittelt und an den Schützen weitergegeben

9. Feuerkommando. Der Beobachter verfolgt die Geschossflugbahn anhand der Trace und teilt die Trefferablage mit. Ist nach neun Sekunden der Schuss nicht gefallen, ermittelt der Beobachter selbständig die neuen Entfernungsund Winddaten und teilt sie dem Schützen mit

Ausdauer

Ein Scharfschützentrupp kann nicht unbegrenzt arbeiten. Seine Tätigkeit ist sowohl physisch als auch psychisch äußerst anstrengend und ermüdend. Jeder Einsatz setzt eine penible Planung des Ablaufs voraus. Vorgesetzte müssen sorgfältig Kräfteansatz, Logistik und Einsatzdauer abwägen sowie eine zeitgerechte Ablösung vorsehen. Militärische Überlegungen gehen von einer Einsatzdauer unter einer Woche in Feindgebiet aus, eher fünf Tage. Sollte ein Einsatzleiter oder Kommandeur hinsichtlich der Einsatzdauer ins Uferlose abdriften, ist es Pflicht des Trupps, hier Klartext zu reden. Nur realistische Forderungen und Ziele lassen sich erfüllen!

Die körperliche Leistungsfähigkeit und damit auch die Einsatzdauer werden beeinflusst durch die Art und den Umfang von Ausrüstung und Verpflegung (Wasser). Die geistige Leistungsfähigkeit muss daran gemessen werden, wie lange der Trupp voll konzentriert arbeiten kann.

Jeder Einsatz, der länger als 24 Stunden dauert, reduziert schrittweise die Konzentrationsfähigkeit. Schlafentzug führt zu einem immer tieferen Leistungseinbruch. Schütze und Beobachter müssen sich gegenseitig ablösen, um eventuell die Zeit zu strecken und Leistungsreserven zu bilden.

Bei einer Einsatzdauer von mehr als 48 Stunden sollte ein zweiter Trupp als Ablösung eingeplant werden, um volle Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Die Ablösung hält sich normalerweise in der Nähe des letzten Sammelpunktes in einem ausgebauten Versteck auf (Rally point).

Bereits in der Ausbildung sollten „ideale“ Trupps zusammengestellt werden, damit sich die Truppkameraden über einen längeren Zeitraum kennen lernen und aufeinander einspielen können. So lernt jeder die Stärken und Schwächen des anderen kennen, und die Partner können sich gegenseitig ergänzen. Die Schweizer Armee verfolgte z. B. lange Zeit die Strategie, naturverbundene „Bauernburschen“ mit gewitzten Großstädtern in einem Team zu verschmelzen. Naturkenntnis, mit Einfallsreichtum gepaart, sollten hier einen Leistungsvorteil bringen (aus Schriftenreihe des Schweizer Unteroffiziersverbandes).

Die Kommandosprache

Ein Scharf-/Präzisionsschützentrupp wird das Gespräch untereinander auf das absolute Minimum beschränken, um einerseits nicht auf sich aufmerksam zu machen und andererseits nicht wichtige Funkdurchsagen zu überhören. Sind Mitteilungen nötig, sollte eine kurze und prägnante Kommandosprache gewählt werden, am besten in Gestalt eines standardisierten Dialogs. In Feindnähe wird Sprechen gewöhnlich nur nötig sein, wenn ein erkanntes Ziel zu bekämpfen ist oder Lageänderungen zur Mitteilung zwingen.

Britische Scharfschützen halten sich beispielsweise an das Merkwort „EDICT“, um nichts zu vergessen:

• E LEVATION (Erhöhung/Entfernung)

• D EFLECTION (Windabdrift)

• I NDICATION (Zielansprache)

• C ONFIRMATION (Bestätigung)

• T IME TO FIRE (Feuer frei)

Das Gespräch für die Zielansprache wird dann etwa wie folgt ablaufen:

• Elevation

(Beobachter)

„580 Meter, 32 Klicks hoch“

• Deflection

(Beobachter)

„Wind 6 Klicks nach rechts“ oder „25 cm rechts“

• Indication

(Beobachter)

„Verfallene Scheune, linke Ecke, Offizier“

• Confirmation

(Schütze)

„Erkannt!“

• Time to fire

(Beobachter)

„Feuer frei!“

Bundeswehr und US-Streitkräfte verwenden ähnliche Verfahren.

Innerhalb von drei Sekunden sollte der Schuss brechen, ansonsten beginnt die Zielansprache erneut mit aktuellen Windwerten. Nach der Schussabgabe meldet der Schütze das Abkommen, während der Beobachter die Trefferlage bzw. den Fehlschuss mitteilt und die Korrekturwerte ermittelt. Der Beobachter erteilt den Feuerbefehl erst, wenn er in der Lage ist, die Geschossflugbahn über die Verwirbelungen hinter dem Projektil (Trace) zu beobachten. Sollte der Schuss unterbleiben müssen, sagt der Beobachter „Stop“. So weiß der Schütze, dass es ein Problem gibt oder sich ein lohnenderes Ziel zeigt. Hat sich die Situation bereinigt, werden die Zielfernrohr-Einstellungen wieder auf „Null“ gedreht und das ganze Prozedere beginnt mit neuen Daten von vorn.

Ebenso simpel ist etwa mit der Zielansprache an einer Hausfassade zu verfahren. Einige Einheiten verwenden eine simple Methode, indem sie an der Fassade die Öffnungen wie ein Koordinatensystem abzählen. Das Erdgeschoss ist 0, der 1. Stock 1 usw. auf der Y-Achse. Die X-Achse enthält die Anzahl der Öffnungen. So lautet die Zielansprache auf einen Heckenschützen im dritten Stock am vierten Fenster von links schlicht: „3, 4, Heckenschütze!“

Hat die Hausfassade sehr viele Fenster (Hotel- oder Bürokomplex), lässt sich ein verfeinertes Verfahren anwenden. Etwa indem der Beobachter ergänzt: „6. Fenster von rechts!“ oder „Dachgeschoss, 2. Gaube!“ usw. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Fenster von links nach rechts mit den Buchstaben A, B, C, D … und die Stockwerke von oben nach unten mit 1, 2, 3, 4 … zu bezeichnen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch Farbcodes wären denkbar. Die Angabe von prägnanten Orientierungspunkten verkürzt die Gesprächsdauer. Eine truppinterne Geländetaufe ist von Vorteil.

Schütze und Beobachter müssen die Zusammenarbeit ständig aufs Neue üben. Dies wird nirgends deutlicher als bei internationalen Wettkämpfen, denn dort werden manchmal Teams aus verschiedenen Nationen gemischt. Beispielsweise bekommt ein Scharfschütze der Fremdenlegion einen Beobachter der italienischen Alpini zugeteilt. Der Verfasser hat bei verschiedenen Schießen erstklassige Schützen und Beobachter kennen gelernt, die aber im Trupp nicht funktionieren konnten, da Sniper und Spotter in unterschiedlichen Sprachen parlierten. So entstanden Missverständnisse, in deren Folge sich Fehler einschlichen, die dann zu „Fahrkarten“ oder schlechten Treffern führten – vom Zeitverlust einmal abgesehen.

Das Rüstzeug

3.Die Ausrüstung

Auswahl der Ausrüstung

Moderne taktische Operationen sind äußerst ausrüstungsintensiv. Insbesondere dann, wenn in der Gruppe, im Trupp, im „Team“ verschiedene Rollen zu erfüllen sind.

Die besten Beispiele liefern die polizeilichen und militärischen Spezialeinheiten. Beide – Militär und Polizei – benötigen ein vollständiges „Equipment“ sowohl für Einsätze im Gelände als auch im bebauten Areal. Nicht zu vergessen die Unmenge an Elektronik und Stromversorgung, die vor allem den Spezialisten der Polizei die Arbeit erleichtert.

Je nach Einsatzort kommen hinzu:

• Tauchgeräte

• Berg- und Abseilausrüstung

• Fallschirm für HAHO/HALO*

Auch die Klimazonen – Wüste, Gebirge, Dschungel, Arktis – spielen eine Rolle; man denke nur an Sonderkleidung und -ausrüstung für kalte und heiße Zonen.

Schnell werden Gewichtsklassen erreicht, die ein Mann aus eigenen Kräften nicht mehr bewegen kann. Man erinnere sich nur an jene Fernsehbilder von Sondereinheiten in Afghanistan und im Irak 2003, die ihre Rucksäcke auf den Boden legten, sich selbst mit dem Rücken darauf platzierten, die Tragegurte anlegten, um sich dann seitwärts in Bauchlage zu drehen. Über den Umweg „auf allen Vieren“ richteten sie sich dann unter großer Anstrengung auf. Wer kann mit so viel Gepäck noch längere Strecken marschieren und kämpfen?