So muss ich dich wiedersehen - Patricia Vandenberg - E-Book

So muss ich dich wiedersehen E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Fee Norden bummelte durch die Theatinerstraße. Sie nahm sich einmal Zeit, denn es war ein herrlicher Frühlingstag, und die neue Fußgängerzone war wirklich sehr schön geworden. Fee fuhr selten in die Stadt, aber wenn es Frühling wurde, war es für eine attraktive junge Frau verlockend, sich ein paar hübsche neue Kleider zu kaufen. Außerdem standen zwei Geburtstage bevor, und da mussten auch Geschenke besorgt werden. Silbrig leuchtete Fees Haar unter den Sonnenstrahlen, und viele bewundernde Blicke aus Männeraugen folgten ihr, auch neidische von weniger hübschen Frauen und Mädchen. Bei Fee stimmte alles. Schlank und wohlgeformt war ihr Körper, graziös ihr Gang auf wunderschönen langen Beinen, und ihr Gesicht – ja, da konnte man sie wahrhaftig mit einer Fee aus dem Märchenbuch vergleichen. Sie hatte die Anmut einer selbstbewussten Frau, die nicht oberflächlich und auch nicht eitel war. Sie gehörte nicht zu jenen, die sich immer wieder lieber selbst in den spiegelnden Schaufensterscheiben betrachtete, als die Auslagen. Eine andere junge Frau folgte Fee, ohne dass diese es bemerkte. Fee hatte ein hübsches Kostüm in einem Schaufenster gesehen, konnte aber kein Preisschild entdecken. Fee dachte gar nicht daran, Preise zu zahlen, die ihr überhöht erschienen. Die Mode wechselte viel zu schnell. Doch dieses Kostüm gefiel ihr ausnehmend gut, und sie betrat das Geschäft, um sich nach dem Preis zu erkundigen und ob es in ihrer Größe zu haben sei. Der Preis war annehmbar, ihre Größe war vorhanden. Sie probierte es, und es saß wie angegossen. Der Kauf war perfekt. Auch diesbezüglich war Fee Norden heikel. Wenn ihr etwas nicht auf Anhieb gefiel, verlor sie die Lust. Sie konnte nicht stundenlang probieren, wie so manche andere, und deshalb war sie auch in diesem Geschäft eine bevorzugte, gern gesehene Kundin.

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Dr. Norden Aktuell – 10 –

So muss ich dich wiedersehen

Patricia Vandenberg

Fee Norden bummelte durch die Theatinerstraße. Sie nahm sich einmal Zeit, denn es war ein herrlicher Frühlingstag, und die neue Fußgängerzone war wirklich sehr schön geworden.

Fee fuhr selten in die Stadt, aber wenn es Frühling wurde, war es für eine attraktive junge Frau verlockend, sich ein paar hübsche neue Kleider zu kaufen. Außerdem standen zwei Geburtstage bevor, und da mussten auch Geschenke besorgt werden.

Silbrig leuchtete Fees Haar unter den Sonnenstrahlen, und viele bewundernde Blicke aus Männeraugen folgten ihr, auch neidische von weniger hübschen Frauen und Mädchen.

Bei Fee stimmte alles. Schlank und wohlgeformt war ihr Körper, graziös ihr Gang auf wunderschönen langen Beinen, und ihr Gesicht – ja, da konnte man sie wahrhaftig mit einer Fee aus dem Märchenbuch vergleichen. Sie hatte die Anmut einer selbstbewussten Frau, die nicht oberflächlich und auch nicht eitel war. Sie gehörte nicht zu jenen, die sich immer wieder lieber selbst in den spiegelnden Schaufensterscheiben betrachtete, als die Auslagen.

Eine andere junge Frau folgte Fee, ohne dass diese es bemerkte. Fee hatte ein hübsches Kostüm in einem Schaufenster gesehen, konnte aber kein Preisschild entdecken. Fee dachte gar nicht daran, Preise zu zahlen, die ihr überhöht erschienen. Die Mode wechselte viel zu schnell. Doch dieses Kostüm gefiel ihr ausnehmend gut, und sie betrat das Geschäft, um sich nach dem Preis zu erkundigen und ob es in ihrer Größe zu haben sei.

Der Preis war annehmbar, ihre Größe war vorhanden. Sie probierte es, und es saß wie angegossen. Der Kauf war perfekt.

Auch diesbezüglich war Fee Norden heikel. Wenn ihr etwas nicht auf Anhieb gefiel, verlor sie die Lust. Sie konnte nicht stundenlang probieren, wie so manche andere, und deshalb war sie auch in diesem Geschäft eine bevorzugte, gern gesehene Kundin. Eine Änderung war nicht nötig. Schon eine Viertelstunde später verließ Fee das Geschäft.

Die junge Frau, bescheiden gekleidet, stand in der Passage, und nun fiel Fee Nordens Blick, fast magnetisch angezogen von diesen müden dunklen Augen, auf sie.

Fee verhielt den Schritt, ihre Augen wurden weit, fragend, forschend.

»Steffi«, murmelte sie fast unbewusst.

»Du erkennst mich?«, fragte eine tonlose Stimme. »Felicitas Cornelius, du erkennst mich wirklich noch?«

Der Ausdruck in dem müden grauen Gesicht erschütterte Fee. »Stefanie Brockmann«, sagte sie leise. »Wie lange ist es her, dass wir uns nicht gesehen haben?«

»Zehn Jahre, Fee«, erwiderte die andere. »Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, denn ich bin schon eine gute halbe Stunde hinter dir her gelaufen.«

»Und warum hast du mich nicht früher angesprochen?«, fragte Fee.

»Ich hatte Angst, dass du dich nicht an mich erinnern könntest oder wolltest«, erwiderte Stefanie.

»Welch ein Unsinn«, sagte Fee. Dann streckte sie ihre Hand aus. »Steffi, was ist denn mit dir los?«, fragte sie beklommen.

»Gar nichts. Überhaupt nichts ist los mit mir. Aber ich mag dir nichts vorjammern.«

Fee dachte an ein bezauberndes Mädchen, das mit dieser Frau wenig Ähnlichkeit hatte. An ein Mädchen mit strahlenden Augen und blondem Haar, das dem ihren glich. Manchmal hatte man sie sogar für Schwestern gehalten, als sie nebeneinander auf der Schulbank saßen. Jetzt waren die Augen stumpf und auch das Haar, und armselig sah Stefanie aus in ihrem abgetragenen Mantel. Richtig hungrig!

»Das Wiedersehen muss gefeiert werden«, sagte Fee impulsiv. »Hast du etwas vor, Steffi?«

»Ich habe nie etwas vor. Ich möchte nur nicht immer allein sein, deshalb bummele ich durch die Stadt«, erwiderte Stefanie.

»Dann darf ich dich zum Essen einladen? Ich habe einen Mordshunger bekommen«, sagte Fee.

Das stimmte zwar nicht, aber Fee wusste, dass Stefanie hungrig war.

»Also, wenn du nichts vorhast, steht einem gemeinsamen Mittagessen doch nichts im Wege«, sagte Fee rasch. »Ich habe mir heute mal Urlaub von meiner Familie genommen.«

»Du hast eine Familie?«, fragte Stefanie Brockmann.

»Verheiratet, zwei Kinder«, erwiderte Fee leichthin, obgleich es sie einige Überwindung kostete, sich so unbefangen zu zeigen. »Aber wir können uns mal richtig unterhalten, Steffi. Gehen wir in den Ratskeller. Meine Füße sind müde vom Laufen.«

Sie schob ihre Hand unter den Arm der anderen, die stehen geblieben war.

»Du darfst mir diese Einladung nicht abschlagen, Steffi. Ich freue mich sehr, dass wir uns nach dieser langen Zeit wiedertreffen. Nun komm schon.«

»Ich habe kein Geld«, sagte Stefanie heiser.

»Ich habe dich eingeladen. Guter Gott, wir waren Freundinnen, und wir wären es bestimmt geblieben, wenn uns die Umstände nicht auseinandergerissen hätten.«

Fee erinnerte sich plötzlich dieser Umstände. Der Tod ihrer Mutter, die plötzliche Entscheidung von Stefanies Vater, München zu verlassen, um einen Posten in einem großen Konzern anzunehmen. Er war ein berühmter Chemiker gewesen, mit Ehren und Anerkennungen überhäuft. Ja, ganz genau konnte Fee sich erinnern.

Sehr vermögend waren die Brockmanns. Immer schick und eigentlich die Hübscheste von allen in der Klasse war Stefanie, ein lebensfrohes Mädchen und außerdem auch die Klassenbeste.

Und jetzt lief sie wie eine Bettlerin herum. Fee konnte es noch nicht begreifen, aber ihr war es auch egal, dass sie nun mit recht merkwürdigen Blicken gemustert wurden.

Sie fand einen Tisch in einer Ecke, in die Stefanie sich buchstäblich verkroch.

Fee schob ihr die Speisekarte zu. »Such dir etwas Leckeres aus«, sagte sie.

Stefanie schüttelte den Kopf. »Ich bin dir nicht nachgelaufen, weil ich ein Almosen wollte«, sagte sie. »Ich wollte nur mit dir sprechen. Ich war einfach glücklich, dich wiederzusehen.«

»Dann rede jetzt nicht so dummes Zeug. Bist du einverstanden, wenn ich für uns bestelle? Ach was, du wirst gar nicht gefragt. Ich weiß noch, was du am liebsten mochtest. Leberspätzlesuppe und Rahmschnitzel.«

»Mein Gott, hast du ein gutes Gedächtnis«, sagte Stefanie.

»War doch auch mein Leibgericht«, erwiderte Fee mit leicht forcierter Heiterkeit. Mit ihrem bezaubernden Lächeln gab sie die Bestellung auf.

»Nun erzähl mal von dir, Steffi. Bist du schon länger wieder in München?«

»Nein, erst ein paar Tage«, erwiderte Stefanie tonlos. Ihre Hand zitterte, als sie das Weinglas an die Lippen hob. Sie sah wirklich zum Gotterbarmen aus, und Fee kam zu der Überzeugung, dass sie am Ende aller Kraft war. Aber wodurch war sie in einen solchen Zustand gekommen?

Fee musste Stefanie immer wieder zum Essen ermuntern. Endlich kam ein bisschen Farbe in ihr Gesicht.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Fee leise.

»Du hast mir schon geholfen, indem du mich nicht hast stehen lassen. Ich habe eine elende Zeit hinter mir«, sagte Stefanie mit erstickter Stimme.

»Du warst krank?«

»Das auch. Ach, Fee, es ist eine zu lange und abscheuliche Geschichte. Ich werde damit nicht fertig. Jetzt, da ich dich wiedergetroffen habe, wird die Vergangenheit wieder lebendig, die schöne Vergangenheit meine ich, die Jugend, die Schulzeit.«

»Dann hast du doch studiert«, half Fee ihr weiter.

Stefanie nickte. »Chemie«, sagte sie geistesabwesend. »Ich habe mit meinem Vater gearbeitet. Er ist tot. Vor zwei Jahren ist er am Herzinfarkt gestorben.« Ihre Hand fuhr zur Kehle, als hätte auch sie Atembeklemmungen.

Fee hatte indessen einen Entschluss gefasst. »Du kommst jetzt mit hinaus zu uns«, sagte sie, »die Stadtluft bekommt dir nicht.«

Stefanie schüttelte den Kopf, aber Fee nahm keine Notiz davon.

»Wir kennen uns lange, Steffi. Machen wir uns nichts vor. Du bist in keiner guten Verfassung, und ich denke nicht daran, dich jetzt im Stich zu lassen. Du schleppst etwas mir dir herum, was heraus muss. Ich dränge dich nicht, aber wie du weißt, habe ich Medizin studiert und kann ganz gut beurteilen, dass du unter schweren Depressionen leidest.«

Stefanie folgte ihr dann fast willenlos. Das heißt, Fee ließ ihren Arm nicht mehr los und sprach aufmunternd auf sie ein.

Schweigend steuerte sie dann ihren Wagen durch die belebten Straßen der Innenstadt und erst, als sie diese hinter sich gelassen hatten, begann sie wieder zu reden.

»Ich heiße jetzt Norden«, begann Fee, »mein Mann ist auch Arzt. Ihm und den Kindern zuliebe übe ich meinen Beruf nicht mehr aus. Wir haben zwei kleine Söhne.« Sie sprach ziemlich schnell, denn sie hoffte, dass Stefanie auftauen würde, bevor sie daheim angelangt waren, denn dann würden sie vorerst keine Zeit für eine Unterhaltung finden, weil der kleine Danny bestimmt schon sehnsüchtig auf seine Mami wartete.

»Bist du verheiratet?«, fragte Fee.

»Nein, ich war verlobt«, erwiderte Stefanie dumpf. »Bei mir ist alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte.«

»Das kann ich nicht glauben. Du warst doch unsere Intelligenzbestie, weißt du noch, dass sie dich so genannt haben?«

»Ich wünschte, ich wäre eine Bestie«, sagte Stefanie bitter, »dann hätte ich um mich gebissen und gekratzt und mich gewehrt. Aber nur mit der Intelligenz ist es halt nicht zu machen. Ich werde dir die Geschichte erzählen, Fee, aber es ist eine abscheuliche Geschichte, wie ich schon sagte.«

»Rede dich frei«, wurde sie von Fee ermuntert, und dafür fuhr sie dann noch einen ziemlichen Umweg.

*

Stefanie hatte studiert und wie nicht anders zu erwarten war, ihre Examen glänzend bestanden. Sie hatte ihren Doktor gemacht und dann mit ihrem Vater an der Entwicklung einer Heilsalbe gearbeitet. In dem Mitarbeiter ihres Vaters, Klaus Heffner, meinte sie dann den richtigen Lebensgefährten gefunden zu haben.

Mehr als ein Jahr waren sie verlobt, als sie durch einen Zufall die schreckliche Entdeckung machte, dass Klaus Heffner ihren Vater schmählich hintergangen hatte, der völlig in seinen Forschungsarbeiten versponnen war.

Klaus Heffner hatte die Formel für die Heilsalbe an einen ausländischen Konzern verkauft, während Dr. Brockmann immer noch an einer möglichen Verbesserung arbeitete.

»Ich wagte nicht, Vater das zu sagen«, erklärte Stefanie gequält. »Er hätte es womöglich auch nicht geglaubt. Ich versuchte es ihm schonend beizubringen und sagte ihm, dass sich der ausländische Konzern eine solche Salbe hätte patentieren lassen. Er hat das zuerst gar nicht zur Kenntnis genommen und mir erwidert, dass seine bedeutend besser werden würde, wenn die Versuche abgeschlossen wären. Da nahm ich mir ein Herz und bat ihn, Klaus nicht mehr an diesen Versuchen zu beteiligen. Er wurde stutzig und fragte mich, ob ich Grund hätte, ihm nicht zu trauen. Das gab ich zu. Klaus war weggefahren, nachdem ich ihn zur Rede gestellt hatte. Natürlich bestritt er es. Tatsächlich war alles raffiniert eingefädelt worden.

Zwei Tage später fand ich Vater tot im Labor. Ein Herzinfarkt hatte sein Leben beendet. Es war entsetzlich. Ich dachte, ich würde verrückt. Ich war ahnungslos, dass Klaus am Abend bei ihm gewesen war. Das sagte mir unser Hausmeister erst nach der Beerdigung, weil er sich wunderte, dass Klaus nicht anwesend war. Noch später gestand mir dann der Hausmeister, dass es zwischen Vater und Klaus eine Auseinandersetzung gegeben hätte.«

Ihre Stimme war immer leiser geworden. Ihre Hände hatten sich ineinander verkrampft.

»Hast du nichts gegen dieser Heffner unternommen?«, fragte Fee.

»Ich war unfähig, und wie sollte ich es ihm beweisen, dass er Vater die Formel gestohlen hatte? Ich fühlte mich mitschuldig an Vaters plötzlichem Tod, weil ich Klaus auch vertraut hatte. Ich habe mich verkrochen, Fee. Manchmal war ich nahe daran, Schluss zu machen. Aber jetzt ist etwas eingetreten …«, sie unterbrach sich, weil ihr Blick auf die Uhr am Armaturenbrett gefallen war. »Mein Gott, es ist spät, ich halte dich zu lange auf«, sagte sie.

»Wir können daheim weiterreden«, sagte Fee. »Ich bitte dich, unser Gast zu sein, Steffi.«

*

Dr. Daniel Norden hatte schon ein paarmal von der Praxis aus daheim angerufen. Seit Fee in den Banküberfall verwickelt gewesen war, hatte er immer Sorge, wenn sie in die Stadt fuhr.

Jetzt war er unruhig, und bevor er seine Hausbesuche machte, fuhr er zu seinem Haus. Kurz zuvor waren Fee und Stefanie eingetroffen, und Danny betrachtete die Fremde noch mit ziemlicher Skepsis.

Seinen Papi empfing er deshalb doppelt freudig. Auch Daniel war erstaunt, Besuch vorzufinden. Er war auch nicht gerade erfreut, als Fee ihm erklärte, dass sie Stefanie eingeladen hätte. Aber Fee mochte dafür triftige Gründe haben. Dass Stefanie tief deprimiert war, hatte er natürlich auch gleich festgestellt.

Er hatte jetzt nicht viel Zeit. Fee begleitete ihn zum Wagen und gab ihm ein paar Stichworte.

»Ist schon recht, mein Schatz«, sagte Daniel und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. »Mach ihr erst mal ein belebendes Bad.«

Freilich war es auch Fee nicht entgangen, dass Stefanie nicht frisch aussah, dass ihr Haar strähnig war und ihre Kleidung nicht gerade sauber. Es war ihr unbegreiflich, wie sehr sich das einst so aparte, gepflegte Mädchen verändert hatte. Die Krise, in der sie sich befand, hatte sie anscheinend gleichgültig gegen alles gemacht. Man konnte sie sich jetzt nicht selbst überlassen.

Stefanie war achtundzwanzig, aber in dem derzeitigen Zustand konnte man sie gut zehn Jahre älter schätzen. Allein das war schon erschütternd, abgesehen von der völligen Resignation, die schon krankhafte Züge trug.

Taktlos wollte Fee nicht sein. Ganz vorsichtig fragte sie: »Möchtest du dich ein bisschen frisch machen, Steffi? Ich habe einen wunderbaren Badezusatz, der entspannt und ermuntert.«

Stefanie blickte an sich herab. »Ich bin schmuddelig«, sagte sie leise. »Aber als ich nach München kam, wurde mir mein Koffer gestohlen.«

Auch das noch, dachte Fee, aber nicht einen Augenblick wäre ihr der Gedanke gekommen, dass dies eine Lüge sein könnte. Nein, lügen konnte Steffi nicht, so sehr sie auch gedemütigt sein mochte.

»Ich bringe dir Sachen«, sagte Fee. »Bitte, Steffi, wir sind Freundinnen, da sollte gegenseitige Hilfe selbstverständlich sein.«

»Ich kann mich aber nicht revanchieren«, sagte Steffi.

»Weiß man es? Jedenfalls wirst du dir jetzt keine Gedanken machen, sondern alle Hemmungen über Bord werfen.«

»Du bist so lieb, Fee«, sagte Steffi mit erstickter Stimme. »Hoffentlich ist dein Mann nicht böse.«

»Er ist nie böse.«

Fee brachte ihr einen Bademantel, Wäsche und ein Kleid aus ihrem Bestand. Es war begreiflich, dass sie beide Hemmungen hatten, aber Fee mit ihrem Optimismus verstand es, solche zu überbrücken.

Sie beschäftigte sich dann mit Danny und erklärte ihrer hochgeschätzten Haushilfe Lenni, dass Stefanie Brockmann eine Schulfreundin von ihr sei.

»Es geht ihr nicht gut«, sagte sie, aber sie wusste ja, dass Lenni ein Herz hatte für alle Bemitleidenswerten, war sie selbst doch auch einmal in einem ganz schlimmen seelischen Zustand gewesen.

»Is’n das ’ne Tant?«, fragte Danny.

»Eine Freundin von Mami«, erwiderte Fee. »Sei bitte lieb zu ihr. Sie ist traurig.«

Das verstand der kleine Danny schon. Traurig war er auch manchmal, wenn ein Spielzeug kaputt ging, und vor allem auch dann, wenn sein Papi keine Zeit für ihn hatte, oder wenn er Omi und Opi lange nicht gesehen hatte und nur immer mit ihnen telefonieren konnte.

Jetzt hatte Fee jedenfalls Zeit, sich mit ihm und dem kleinen Felix zu beschäftigen, denn Steffi genoss das erquickende Bad.

Fee hörte dann, wie der Fön summte. Sie erinnerte sich, welch wunderschönes Haar Steffi gehabt hatte. Alle hatten es bewundert, weil es so dicht und lockig war und in der Farbe feingesponnenen Goldes glänzte, während ihres einen silbrigen Schimmer besaß.

Was würde Steffi ihr nun noch zu erzählen haben? Um was für eine Salbe handelte es sich, die ihr Vater da erforscht hatte? Es gab so viele Salben, eigentlich zu viele, die immer auf der gleichen Basis zusammengestellt waren.

Aber gegen manche Hautkrankheiten war noch immer kein richtiges Mittel gefunden worden. Fee dachte dabei an ihre Friseurin Susi, ein reizendes junges Mädchen, das seit einiger Zeit an Ekzemen an den Händen litt. Auch Daniel hatte ihr nicht helfen können. Es blieb Susi nichts weiter übrig, als ihren Beruf aufzugeben. Aber schlimm war es für sie besonders deshalb, weil sie heiraten wollte, jetzt aber so voller Komplexe war, dass sie die Hochzeit immer wieder hinausschob, obgleich sie einen netten und verständnisvollen Verlobten hatte. Susi wurde einfach die Angst nicht los, dass erwünschte Kinder mit dem gleichen Leiden behaftet sein könnten.

Sehr viel ging Fee durch den Sinn, während sie mit den Kleinen spielte, bis dann Steffi wieder erschien.

Ganz weit riss Danny die Augen auf. »Ist jetzt aber hübsch, die Tant’«, sagte er mit der Unbefangenheit eines kleinen Kindes.

Wirklich verändert war Steffi, aber Fees kritische Augen sahen zuerst, dass das schöne, jetzt auch wieder leuchtende blonde Haar schon von vielen weißen Strähnen durchzogen war. Viele Frauen ließen sich solche einfärben, und es sah auch apart aus. Aber bei Steffi waren sie bestimmt nicht künstlich erzeugt.

Das helle pastellfarbene Wollkleid stand ihr gut zu Gesicht, und die leichte Röte ihrer Wangen machte sie jener Steffi ähnlicher, die neben Fee die Schulbank gedrückt hatte.

»Ich fühle mich gleich ganz anders«, sagte Steffi leise. »Viel besser. Danke, Fee. Ich konnte mir kein Zimmer mit Bad leisten.«

»In welchem Hotel hast du gewohnt?«, fragte Fee.

»In einer kleinen Pension, aber ich konnte sie nicht mehr bezahlen. Ein paar hundert Euro waren auch in dem Koffer, der mir am Bahnhof gestohlen wurde. Ich habe noch ein Konto, aber ich wollte es nicht angreifen. Ich wollte es verwenden, um Vater zu rehabilitieren.

»Wieso rehabilitieren?«, fragte Fee verwundert.

»Ich habe dir doch von der Salbe erzählt. Jetzt habe ich erfahren, dass sie aus dem Verkehr gezogen wurde, weil sie mehr schädlich als nützlich war, und nun will Klaus Heffner die Schuld auf meinen Vater abwälzen. Du ahnst nicht, was ich mitgemacht habe und was noch auf mich zukommt.«

»Doch, ich ahne es«, erwiderte Fee. »Du musst mir alles erzählen, Steffi. Vielleicht können wir dir helfen. Wir kennen einen guten Chemiker. Götz Dietwald.«

»Götz Dietwald«, wiederholte Steffi. »Ich kenne ihn flüchtig. Er hatte zwei Semester vor mir die Examen gemacht.«

»Das ist fein«, sagte Fee. »Er wohnt gar nicht weit von uns. Aber jetzt musst du mir wirklich alles sagen.«

Danny beschäftigte sich lieber mit seinem Baukasten. Felix hatte ein Schlafstündchen eingelegt und Lenni einen guten Kaffee zubereitet.