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Hans Albrecht, erfahrener und erfolgreicher Investor, kennt die Mechanismen der Finanz- und Kapitalmärkte und der Wirtschaft in- und auswendig. In seinem Buch räumt er mit zahlreichen Missverständnissen auf, die zentrale Fehlentwicklungen der letzten Jahre in Deutschland begleiten. - Wie könnte Deutschland zum Nutzen aller in Südeuropa und anderswo investieren, ohne einen einzigen Cent neues Geld auszugeben? - Wie lässt sich das Ungleichgewicht zwischen den Euro-Volkswirtschaften ausgleichen und die EZB auf ihr eigentliches Geschäft beschränken? - Wie der Fachkräftemangel beheben und der Migrationsdruck nach Europa verringern? - Wie das Problem steigender Mieten lösen? - Und was sollte man tun, wenn man daran zweifelt, dass das eigene Geld hierzulande nicht sicher angelegt werden kann, aufgrund all dieser Probleme? Erfrischend offen, direkt und allgemein verständlich antwortet Hans Albrecht auf diese Fragen.
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Seitenzahl: 438
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Hans Albrecht
So! Schaffen wir das
Neue Wege für einen klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft, mehr Wohnungen, die Herausforderungen der Migration und den Erhalt unseres VermögensMachbar, bezahlbar und nicht auf Kosten der nächsten Generation
Meiner Mutter zu ihrem 100. Geburtstag
Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Die Rechte für die Abbildungen im Buch liegen bei Hans Albrecht,
Ausnahme ist die Abbildung in Kapitel 14 (© Statistisches Bundesamt,
https://www.bib.bund.de/Permalink.html?id=1217744)
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timișoara
ISBN (Print): 978-3-451-39281-8
ISBN (EPUB): 978-3-451-82816-4
Einleitung
1. Kapitel: TARGET – das größte Sparbuch der Welt
2. Kapitel: So retten wir den Euro
3. Kapitel: So schaffen wir den Ausbruch aus der TARGET-Falle
4. Kapitel: So legen wir unser Geld relativ risikolos und gut verzinst an
5. Kapitel: So finanzieren wir mit TARGET-Guthaben Investitionen in die Zukunft Europas und Deutschlands
6. Kapitel: So steigern wir unsere europäische Solidarität zum Nulltarif
7. Kapitel: So könnten wir den Euro „reparieren“
8. Kapitel: So retten wir die deutschen Sparer – oder der deutsche Sparer sich selbst
9. Kapitel: So schaffen wir nach Corona ein neues Wirtschaftswunder für Europa
Rettung durch Schenken
Rettung durch „Mithaftung“
Rettung durch „Leihen“
Der vierte Weg: Rettung durch Beteiligung
10. Kapitel: So reparieren wir die Finanzmärkte: Ursachen und mögliche Therapien der Finanzmarktkrise
11. Kapitel: So lindern wir human das Migrationsproblem
Die Inhumanität der „Willkommenskultur“
Das Problem mit den Facharbeitern und der Demografie
12. Kapitel: So sichern wir unsere Renten und lösen unser Facharbeiterproblem zum Nulltarif
13. Kapitel: So retten wir das Klima
14. Kapitel: So schaffen wir bezahlbaren Wohnraum
15. Kapitel: Was tun? – So retten Sie sich selbst
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Über den Autor
Anmerkungen
Es gibt viel zu tun in Deutschland, in der Europäischen Union und auch bei unseren Nachbarn südlich und östlich von Europa. In Deutschland brummte zwar die Wirtschaft bis zur Coronakrise noch, aber kein Aufschwung währt ewig, und trotz der langen Reihe wirtschaftlich guter Jahre sind unsere Investitionen in die heimische Infrastruktur und unsere Zukunftsfähigkeit unzureichend. Die Staus auf unseren Autobahnen werden immer länger, unsere Brücken sind marode, und im Hinblick auf die digitale Infrastruktur und schnelles Internet für Stadt und Land müssen wir uns von ehemals armen Nachbarn vorführen lassen, was Zukunftsfähigkeit bedeutet. Hinsichtlich unserer Bildung besteht zwar Einigkeit, dass eine optimale Bildung die Voraussetzung für Chancengleichheit und Zukunftsfähigkeit ist, dennoch fehlt es auch hier allerorts an Investitionen. Und das sind nur einige der wichtigsten Mängel.
In den südlichen Mitgliedstaaten der EU türmten sich schon vor der Coronakrise die Schuldenberge, die Jugendarbeitslosigkeit verharrt dort in schwindelerregender Höhe, und bei den Nachbarn im Süden und Osten der EU sind sowohl die Sicherheitslage als auch die wirtschaftliche Situation derart miserabel, dass es sehr verständlich ist, wenn hier immer mehr Menschen von einem besseren Leben im reichen Norden Europas träumen.
Diese Themen möchte die Ampelkoalition nun angehen, und an Rezepten, diese Zustände zu verbessern, mangelt es nicht, nur leider erfordern alle diese Rezepte Geld, und dieses fehlt uns angeblich, obwohl unsere Wirtschaft bis vor Kurzem brummte wie nie. Und nun fehlt uns wegen der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg noch mehr Geld, das in der nahen Zukunft sicher durch Steuererhöhungen und alle möglichen anderen Belastungen der Sparer und Steuerzahler und natürlich über hohe Inflationsraten eingetrieben werden wird. Inflationsraten übrigens, die natürlich jetzt wohlfeil dem Ukrainekrieg angelastet werden, in Wirklichkeit aber aufgrund der Politik der EZB in den letzten Jahren auch ohne den Krieg über kurz oder lang unvermeidlich gewesen wären.
In diesem Büchlein zeige ich auf, dass dies alles nicht „alternativlos“ und die Meinung, es fehle an Geld, ziemlich weitgehend falsch ist, weil Deutschland Hunderte von Milliarden gespart hat, ohne sich dessen bewusst zu sein, und – anders als vielerorts angenommen – dieses Geld auch nutzen und zum Wohle unseres Landes, Europas und unserer Nachbarn investiv einsetzen kann. Bereits vor einigen Jahren wies der damalige Direktor des ifo Institutes, Professor Hans-Werner Sinn, darauf hin, dass die deutsche Volkswirtschaft einen Großteil ihrer Exporte in die EU „auf Kredit“ geliefert hat, weil sie dafür nicht mit Euros bezahlt wurde, über die sie frei verfügen kann, sondern mit Forderungen der Bundesbank gegen die EZB, über die Deutschland eben nicht frei verfügen kann. Und die kann es angeblich weder für Investitionen im Sinne Deutschlands oder Europas einsetzen noch gar zur Steigerung des Konsums der deutschen Bevölkerung nutzen. Versuche, dies zu ändern, wie etwa die Forderung, TARGET-Salden in Bonds der EZB zu tauschen, um diese handelbar und somit für Deutschland nutzbar zu machen, wurden als quasi unanständiges Ansinnen abgetan.
In diesem Büchlein wird dargelegt, dass dies ungerechtfertigt ist, weil diese TARGET-Salden die redlich verdiente Gegenleistung für deutsche Exportüberschüsse innerhalb Europas sind, über die Deutschland deshalb das Recht haben muss, frei verfügen zu können. Und dass dies auch – anders als weithin angenommen – recht einfach möglich ist, ohne hierzu um die Zustimmung unserer Schuldner betteln zu müssen. Durch sehr einfache Maßnahmen kann Deutschland mehr als 1000 Milliarden Investitionsmittel mobilisieren und zum Nutzen künftiger Generationen anlegen oder investiv zur Behebung der unzähligen Investitionsstaus in unserem Lande, zur Bekämpfung der Folgen der Coronakrise und des Ukrainekrieges, zur Steigerung der Produktivität und Reduktion der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa und zur effektiven Bekämpfung der Ursachen der Migrationswelle von Europas südlichen und östlichen Nachbarn einsetzen, ohne dass hierdurch der Staatshaushalt oder unsere Sparer und Steuerzahler belastet werden.
Um dies verständlich zu machen, werde ich im Folgenden zunächst darlegen, dass der Euro zwar in der Tat gut für Deutschland war, weil wir seit seiner Einführung unsere Exportüberschüsse innerhalb Europas noch erhöht und unsere Unternehmen dadurch Umsatz, Gewinn und Beschäftigung gesteigert haben. Dass aber leider aufgrund eines Konstruktionsfehlers des Euro – obwohl alle südeuropäischen Käufer ihre Rechnungen bei ihren deutschen Lieferanten vollständig bezahlt haben – Deutschland als Volkswirtschaft eben dennoch „auf Kredit“ geliefert hat und – anders als die Unternehmen, die die Waren verkauft haben – dafür eben nicht bezahlt wurde. Das mag zunächst verwirrend klingen, aber leider ist es tatsächlich so, dass die Individualperspektive der Unternehmen, die vollständig bezahlt wurden, und die kollektive Perspektive der Volkswirtschaft, die eben leider nicht bezahlt wurde, aufgrund von technischen Abläufen des Eurozahlungsverkehrs auseinanderlaufen, was eben genau der Grund dafür ist, dass hinsichtlich TARGET & Co. so viel Unverständnis und Verwirrung besteht. Im ersten Kapitel des Buches bemühe ich mich, hier allgemeinverständlich Licht ins Dunkel zu bringen.
Anschließend wird erläutert, warum dieser Konstruktionsfehler und die darauf beruhenden Missverständnisse den langfristigen Bestand des Euro, die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der Eurozone und damit letztendlich auch die Europäische Union gefährden. Nach all diesen „bad news“ wird im Anschluss beschrieben, wie man jedoch zum Glück aus der Not eine Tugend machen kann, weil es eben in der TARGET-Falle – anders als weithin angenommen – eine Hintertür gibt. Diese Hintertür lässt sich noch dazu glücklicherweise recht leicht öffnen, sodass die ungeheuren, auf diesen TARGET-Konten zwangsgesparten und eingefrorenen Mittel doch recht einfach aus dieser Falle befreit und für das deutsche, europäische und internationale Gemeinwohl genutzt werden können.
Aus bedauerlichem aktuellen Anlass habe ich anschließend einige Kapitel eingefügt, in denen erläutert wird, was die zuvor aufgezeigten Zusammenhänge für die europäischen Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Coronakrise bedeuten und wie sich die beschlossenen Hilfsmaßnamen in Europa (leider) auswirken werden.
Für diejenigen Leser, die gern die Buchungs- und Zahlungsflüsse der hier angesprochenen Themen genauer nachvollziehen möchten, befindet sich im Anhang ein Link zu einer detaillierten, aber leicht nachvollziehbaren Darstellung in T-Konten.1
In den verbleibenden Kapiteln des Buches schließlich wird versucht, mit einigen anderen Missverständnissen und Populismen aufzuräumen, die derzeit meines Erachtens zu drastischen politischen Fehlentscheidungen geführt haben und weiterhin führen werden. Ich versuche, allgemeinverständlich zu erklären, was die wahren Ursachen der jüngsten Finanzmarktkrisen sind, was in den Finanzmärkten im Argen liegt und wie man diese Probleme adressieren kann. Und was die Konsequenzen daraus sein werden, dass statt sinnvoller Korrekturen hier nur wirkungslose oder gar kontraproduktive, dafür aber populistisch gut verkaufbare Maßnahmen getroffen wurden und werden.
Ich bemühe mich weiterhin darzulegen, warum unsere „Willkommenskultur“ im Hinblick auf die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 keineswegs so human war, wie wir sie gemeint und empfunden haben. Dass wir uns im Gegenteil gegenüber vielen Menschen, die in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas weiter in wirtschaftlicher Not und großer Unsicherheit leben, keineswegs ausreichend engagieren, obwohl wir dies leicht und ohne wirtschaftliche Einbußen unsererseits tun könnten. Dass dies aber nicht geschehen kann, indem man einige wenige Glückliche aus Krisengebieten zu uns fliehen lässt, sondern nur dadurch, dass wir vor Ort helfen und die Produktivität in den Krisengebieten steigern, indem wir dort investieren und notfalls auch Produktivität dorthin abgeben. Dass also bei wegen „Facharbeitermangel“ verwaisten Maschinen nicht ein „Mann zur Maschine“ geholt werden sollte, sondern viel besser die „Maschine zum Mann“ abgegeben werden sollte.
Ebenso versuche ich zu erklären, warum das viel beklagte „Auseinandertreiben“ von Arm und Reich bei uns zwar real ist, aber eben nicht an den Machenschaften gieriger „Bankster“, „Miethaie“ oder Ähnlichem liegt, sondern auf Regulierungsversagen zurückzuführen ist und nicht durch Rückfall in alte Umverteilungsmechanismen, sondern nur durch Investitionen gelöst werden kann. Es wird dargelegt, warum wir trotz unserer demografischen Entwicklung und des viel beklagten „Facharbeitermangels“ eigentlich diesbezüglich gar kein Problem haben, wenn wir nur unser Blatt richtig ausspielen. Und vor dem Hintergrund der immer übleren Populismen, mit denen derzeit die Wohnraum- und Klimadebatte geführt werden, und der nie endenden Diskussionen über „gerechte“ Renten sollen auch drei Kapitel zu diesen Themen nicht fehlen. Im Kapitel zum Wohnraum wird dargelegt, dass unser Wohnraumproblem erstens eigentlich gar keines ist und zweitens viel effizienter und schneller durch eine Wohnraumverbrauchsabgabe gelöst werden kann als durch Mietpreisbremse oder -deckel oder gar Enteignungen oder staatliche Belegungsagenturen. In dem Kapitel zum Umweltschutz, das mir besonders am Herzen liegt, wird erklärt und vorgerechnet, warum nur ein wirklich konsequenter Zertifikatehandel das effiziente und schnelle Erreichen von konkreten Zielen im Umweltschutz ermöglicht, und im Kapitel zu Renten und Facharbeitermangel schließlich wird erklärt, warum z. B. eine Einkommensteuerbefreiung aller Arbeitseinkommen über 65 – bei fortbestehender Sozialversicherungspflicht! – nicht nur sehr viel schneller unser Facharbeiterproblem massiv reduzieren würde als alle anderen hierzu bisher vorgeschlagenen Maßnahmen, sondern darüber hinaus auch noch unsere Renten sehr viel sicherer machen würde.
Ich bin und bleibe Optimist. Aber ich verschließe die Augen nicht vor der Wirklichkeit, wie sie nun einmal ist. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben meinen Glauben daran erschüttert, dass die politisch Verantwortlichen die noch immer vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um zum Besseren umzusteuern. Darum entwerfe ich im Schlusskapitel ein Worst-Case-Szenario und lege dar, wie sich die Bürgerinnen und Bürger schützen können, um materiell nicht allzu sehr zu leiden, wenn die europäische Politik den Karren doch vor die Wand fahren wird.
Als Letztes gilt es noch anzumerken, dass dieses Büchlein nicht den Anspruch hat, eine wissenschaftliche Abhandlung zu sein, sondern lediglich einige wesentliche Probleme und Zusammenhänge allgemeinverständlich – also auch für den ökonomisch nicht vorgebildeten Laien begreifbar – darzulegen. Hierzu werden viele Sachverhalte vereinfacht dargestellt und mit allgemein verständlichen Beispielen anstatt durch komplizierte Formeln aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erläutert. Das bietet gewiss hier und da auch Anlass zur Kritik. An der grundsätzlichen Richtigkeit der Darstellung der Zusammenhänge ändert das aber nichts. Ebenso gibt es zu den vielen in diesem Büchlein adressierten Themen sicher eine Unmenge wissenschaftlicher und anderer Literatur. Ich habe diese – abgesehen von dem Buch „Die TARGET-Falle“ von Hans-Werner Sinn und den vielfältigen Einlassungen meines ehemaligen Kollegen Daniel Stelter weitestgehend nicht gelesen – man möge mir dies verzeihen. Ebenso möge man mir verzeihen, dass es sich bei meinen Fußnoten nicht um Quellenangaben im wissenschaftlichen Sinne handelt, sondern im Wesentlichen um Anmerkungen, die einzelne Punkte erläutern sollen, die im Text zu weit führen würden, aber dennoch relevant sind. Weiterhin möge man mir verzeihen, dass ich mich an manchen Stellen wiederhole. Dies liegt daran, dass ich glaube, dass viele Leser nur ausgewählte Themen interessieren, daher müssen gewisse Grundlagen in einzelnen Kapitel wiederholt werden, um sie auch einzeln verständlich zu halten. Gleiches gilt für die Zusammenfassungen, da ich vermute, dass viele Leser nur diese lesen werden. Und schließlich möge man mir verzeihen, dass manche Beispiele nicht mehr so aktuell sind. Das liegt daran, dass dieses Buch aus Artikeln, Aufsätzen und Diskussionsbeiträgen entstanden ist, die ich zu diesen Themen großteils schon vor mehreren Jahren verfasst und auf die ich hier zurückgegriffen habe, um all dies anlässlich des 100. Geburtstages meiner Mutter einmal zusammenzufassen. An dem Fortbestand der Gültigkeit aller hier verwandten Beispiele ändert dies aber (leider) nichts.
Statt auf umfangreiches Literaturstudium stützen sich meine Analysen und Hypothesen auf die Erfahrungen und Einsichten, die ich in meiner nunmehr fast 30-jährigen Tätigkeit als Finanzinvestor und in meiner langjährigen Tätigkeit als Vorsitzender von Global Bridges – einer deutschen Nichtregierungsorganisation zur Förderung der Völkerverständigung, der ich übrigens auch alle Einnahmen aus dem Verkauf dieses Buches spende – gewonnen habe. Diese Erfahrungen haben mich nicht nur die Finanzkrisen von 1997 und 2007 vorhersehen lassen, sondern auch die schon damals als unausweichlich erkennbaren Probleme mehrerer Banken wie z. B. der UBS und der Deutschen Bank. Ich habe seinerzeit meine Bedenken vorgebracht, lang bevor diese Probleme jeweils eintraten oder anderen Ortes vorhergesagt wurden. Damals hat mir das ebenso viel Kopfschütteln eingebracht, wie meine Thesen dies heute teilweise tun. Es würde mich sehr freuen, wenn diesmal Kritiker, die mich für überängstlich, eine Kassandra oder gar für spinnert halten, recht behielten und es in Wahrheit – Friede, Freude, Eierkuchen – keinen Anlass zur Sorge gäbe. Leider bin ich mir aber auch heute meiner Sache wieder genauso sicher wie damals! Darum kann ich angesichts der Gefahren für unser aller Ersparnisse und den sozialen Frieden und Zusammenhalt in Europa den politisch Verantwortlichen und meinen Mitbürgern nur – frei nach „Gorbi“ – zurufen: Wer jetzt nicht handelt, den bestraft das Leben!
Das große Missverständnis: Die Euroeinführung war „gut für Deutschland“, weil wir so viel mehr nach Europa exportiert haben – nur leider wurden wir als Volkswirtschaft bisher großteils dafür nicht bezahlt!
Deutschland wird gemeinhin als der „Hauptprofiteur des Euro“ dargestellt, da es nach Einführung des Euro seine Exportüberschüsse innerhalb der Eurozone nochmals massiv steigern konnte. Unsere Unternehmen haben ihren Umsatz und ihre Erträge gesteigert, und alle – wie es neudeutsch heißt – Stakeholder haben davon profitiert. Es wurden Arbeitsplätze geschaffen, Dividenden und Ausschüttungen erhöht und auch einiges investiert, kurzum, Deutschland ging es prächtig.
Eines aber ist merkwürdig: Wenn ein Land mehr exportiert, als es importiert, dann häuft es i. d. R. Forderungen gegen die Länder an, in die exportiert wurde. Wenn z. B. China mehr I-Pads nach Nordamerika liefert, als es Burger aus den USA kauft, dann häuft sich in China ein großer Berg „Zettel“2 an, und im Falle von Exportüberschüssen in die USA sind diese Zettel grün und man nennt sie Dollar.
Und die ganze Welt weiß in etwa, wie hoch dieser Haufen Zettel gerade ist und wer was damit macht, denn die Devisenreserven Chinas werden von der SAFE – der State Administration of Foreign Exchange der Chinesischen Nationalbank – verwaltet, die diese Zahlen auch gelegentlich veröffentlicht.
Da Deutschland ja so sehr vom Euro profitiert hat, weil es seine Exportüberschüsse innerhalb der EU seit Einführung des Euro so stark steigern konnte – wir waren zwar leider nur selten Europameister im Fußball, aber immer im Exportieren innerhalb der Eurozone –, müsste sich in Deutschland ja eigentlich auch ein solcher Berg von Zetteln angehäuft haben, es fragt sich nur wo. Ich habe in den vergangenen Jahren oft Politiker und auch viele Manager gefragt, wo denn dieser Zettelberg, den wir aufgrund unserer Exportüberschüsse doch ebenso haben müssten wie alle anderen Länder, die hohe Exportüberschüsse erzielen, denn nun sei. Und wie hoch er denn sei? Und welche Farbe denn die vielen Zettel haben bzw. wie sie heißen? Und wer über sie verfügen kann? Und wer eigentlich entscheidet, ob etwas und, falls ja, was mit ihnen unternommen wird?
Meistens habe ich als Antwort nur verwunderte Blicke bekommen, weil es doch klar sei, wo das Geld sei, auf den Konten der Exporteure natürlich, die doch für ihre Exporte bezahlt worden seien. Das Dilemma ist, dass diese Antwort natürlich richtig ist – aus der individuellen Perspektive der jeweiligen Exporteure. Nur klaffen hier eben Individual- und Kollektivperspektive auseinander, denn als Volkswirtschaft sind wir leider für unsere Exporte großteils nicht bezahlt worden, sondern haben – obwohl die Verkäufe tatsächlich sofort und vollständig bezahlt wurden – auf Kredit geliefert.
Das erscheint auf den ersten Blick widersinnig. Genau deshalb wurde und wird das Risiko (und die Chancen!) dieser gigantischen Kreditvergabe weithin nicht erkannt. Das Risiko hat vor einigen Jahren zum ersten Male Hans-Werner Sinn beschrieben, damals Direktor des ifo Institutes. Er hat dieses Risiko und sein Buch darüber „Die TARGET-Falle“3 genannt. Seine Studie hat die grundlegenden Zusammenhänge sehr präzis erklärt; aber seine Erkenntnisse hatten leider keine politischen Konsequenzen, und sie sind erst recht nicht Teil der wirtschaftlichen Allgemeinbildung geworden. Darum versuche ich im Folgenden, allgemeinverständlich noch mehr Licht in das Dunkel zu bringen, das in Sachen TARGET-Salden leider noch immer vorherrscht.
Betrachten wir zunächst den Handel zwischen zwei benachbarten Staaten, die regen Warenaustausch treiben, wo also Bürger eines jeden der beiden Staaten sich täglich gegenseitig Waren verkaufen. Wie würden Sie den Zahlungsverkehr zwischen diesen beiden Staaten gestalten? Für jeden einzelnen Handel jeweils einen Umschlag oder auch Kisten oder Koffer voller Geld in das andere Land schicken? Das würde eine riesige Menge von Transporten hin und her bedeuten, die zudem zum Großteil sinnlos wären, weil die Zahlungen sich ja weitgehend gegenseitig ausgleichen. Das Land A schickt z. B. 1 Million „Geld“ an das Land B für Käufe, die es dort getätigt hat, und umgekehrt schickt das Land B 1 Million an das Land A für Einkäufe, die Land B dort getätigt hat. Vielleicht begegnen sich dann sogar die Geldtransporter mit je 1 Million hin und 1 Million her an der Grenze und die Fahrer können sich bei ihrer eigentlich überflüssigen Tätigkeit fröhlich zuwinken.
Dass Derartiges keinen Sinn ergibt, wurde schon zu Zeiten der Cowboys und Indianer bemerkt, deshalb hat man früher in den USA nicht das Geld für jeden Kauf über Bundesstaatsgrenzen hin- und herkutschiert, sondern nur ab und zu den Saldo, der sich nach Aufrechnung der gegenseitigen Forderungen und Zahlungsverpflichtungen ergab, ausgeglichen. Man muss sich das vorstellen wie beim Skatspielen. Da werden ja i. d. R. auch nicht nach jedem Spiel die Pfennige hin- und hergeschoben, sondern stattdessen die Punkte aufgeschrieben und erst am Ende des Spiels „abgerechnet“ und dann der Saldo von den Verlierern an die Gewinner bezahlt. Und genauso wurde es seinerzeit in den USA gemacht. Die Banken haben sozusagen „aufgeschrieben“, was zwischen den Bundesstaaten hin- und hergekauft wurde, und ab und zu wurde abgerechnet und dann eine Kutsche voller Gold von den Staaten (bzw. Banken), die woanders mehr eingekauft hatten, als sie dorthin verkauft hatten – die also sozusagen ein Außenhandelsdefizit hatten –, an diejenigen geschickt, die Exportüberschüsse hatten.
Aufgrund der Probleme mit diesen Goldtransporten per Postkutsche, die zumindest in meiner Jugend noch Stoff für viele spannende Geschichten aus dem Wilden Westen waren, wurde das System nach Schaffung des amerikanischen Zentralbanksystems (Federal Reserve System, kurz Fed) mit seinen zwölf regionalen Feds geändert und kein Geld oder Gold mehr hin- und herkutschiert, sondern stattdessen Zahlungsverpflichtungen und Ansprüche auf sogenannten Interstate Settlement Accounts (ISA) der regionalen Feds festgehalten. Die sich auf diesen ISA-Konten ergebenden Salden wurden dann einmal jährlich durch Gold ausgeglichen, später auch durch Anleihen, die diejenigen mit negativen ISA-Salden an diejenigen mit Haben-Salden auf ihren ISA-Konten zahlen mussten. Inzwischen wurde auch dies nochmals vereinfacht, indem diese Konten periodisch anstatt durch Zahlungen durch die Verschiebung von Anteilen an einem settlement portfolio, einer Art gemeinsamem Schatz, der mit 6 Prozent verzinst wird, ausgeglichen werden. Wer bei einer Abrechnung zahlen muss, dessen Anteil an dem gemeinsamen Schatz sinkt, wer Geld erhalten soll, dessen Anteil an dem gemeinsamen Schatz steigt. Das war’s dann leider mit den Postkutschen und den spannenden Geschichten dazu, aber das Ganze wurde natürlich sehr viel praktikabler und die Welt zukunftsfähiger, denn jedem dürfte klar sein, dass die industrialisierte und globalisierte Welt, in der wir heute leben, nicht funktionieren würde, wenn ständig Geld oder Gold um die ganze Welt hin- und hertransportiert werden müsste.
Stattdessen wird eben seit Langem global angeschrieben und verrechnet. Was i. d. R. auch sehr gut funktioniert, sodass immer klar ist, wer wem was schuldet. Zwischen zwei Staaten mit unterschiedlichen Währungen kann man dies leicht an den sogenannten Devisenreserven erkennen, über die Länder mit Exportüberschüssen verfügen: Wenn z. B. ein chinesisches Unternehmen Waren in die USA verkauft, erhält es dafür Dollars. Damit kann es seine Löhne und andere Ausgaben in den USA bezahlen oder dort investieren oder das Geld auch an Amerikaner verleihen und, was übrig bleibt, nach Hause überweisen. In China kann es mit Dollars aber weder seine Mitarbeiter bezahlen, noch Rohmaterialien einkaufen oder Gewinne ausschütten. Um dies zu tun, muss es die verdienten Dollars bei der Peoples Bank of China in Yuan tauschen, bei der sich dann eben Dollars aus Exportüberschüssen anhäufen. Diese Devisenreserven werden von der SAFE – der State Administration of Foreign Exchange der Peoples Bank of China – verwaltet und teilweise in Anleihen der Länder investiert, aus denen diese Devisen stammen – Bunds, T’s4 usw., wodurch die Chinesische Nationalbank u. a. der größte Gläubiger der USA geworden ist. Zum Teil werden diese Devisenreserven aber auch im Interesse Chinas über diverse Staatsfonds im In- und Ausland investiert und damit U-Bahnen oder Autobahnen gebaut, Rohstoffquellen erworben, die Neue Seidenstraße finanziert usw. Die chinesische Zentralbank weiß also jederzeit sehr genau, wie hoch der Zettelberg ist, den die chinesische Volkswirtschaft durch ihre Exportüberschüsse angehäuft hat, wer über diese Zettel verfügt und was er damit macht. Und sie verdient ordentlich Geld daran, und China und auch seine Nachbarn und andere Staaten profitieren von diesen im In- und Ausland getätigten Investitionen, die nicht nur heutigen, sondern auch künftigen Generationen zugutekommen. China sichert so seine Zukunftsfähigkeit und zukünftigen Generationen eine bessere Ausgangsbasis.
Deutschland ist wie gesagt auch Exportmeister. Es hat diesbezüglich mehr Weltmeistertitel eingefahren als unsere Fußballnationalmannschaft und sogar noch viel mehr Europameistertitel als die Bayern deutsche Meisterschaften. Also müsste Deutschland doch eigentlich auch über einen ähnlich riesigen Zettelberg verfügen wie China. Das tut es aber nicht, und deshalb stellt sich die Frage, woran das liegt.
Zum einen liegt das daran, dass deutsche Unternehmen relativ viel im Ausland investieren, was dann ja, wie bereits erläutert, den Betrag reduziert, der nach Hause überwiesen werden kann. Zudem verleihen deutsche Banken relativ viele Devisen an Ausländer, was ebenfalls die Beträge reduziert, die zurücküberwiesen werden. Im Fachjargon wird hier davon gesprochen, dass die Kapitalbilanz (das, was im Ausland investiert oder an das Ausland verliehen wird) ganz oder teilweise einen Leistungsbilanzüberschuss (das, was mit Exportüberschüssen verdient wurde) ausgleicht.
Dennoch bleibt einiges über, was man bei Fremdwährungen – analog zu China – an den Devisenreserven der Deutschen Bundesbank erkennen kann. Hier handelt es sich aber um Dollars & Co., also um Währungen und Zahlungen von außerhalb des Euroraumes. Wo also ist der Zettelberg, den wir doch für unsere riesigen Exportüberschüsse ins Euroland – seit Einführung des Euro in Summe bald 2000 Milliarden Euro! – haben müssten?
Um den zu finden, muss man sich leider die Mühe machen zu verstehen, wie genau das System funktioniert, das wir heute innerhalb des Euroraumes statt der ursprünglich in den USA genutzten Postkutschen anwenden, um auszurechnen, wer wem was schuldet, und um etwaige Ungleichgewichte auszugleichen. Denn wir benutzen ja auch keine Postkutschen, und auch die Geldtransporter, die man ab und zu auf unseren Straßen sieht, fahren nicht hin und her, um Zahlungen zwischen Staaten der Eurozone abzuwickeln. Wenn sie das tun würden, hätten unsere Autobahnen und Grenzübergänge längst den Verkehrsinfarkt erlitten! Zum Glück aber tun sie das nicht, sondern sie sichern vor allem unsere inländische Bargeldversorgung an Geldautomaten und Bankschaltern. Die Zahlungsströme zwischen den Staaten der Eurozone hingegen werden bargeldlos abgewickelt. Es wird nichts hin- und hertransportiert, sondern – wie beim Skat oder wie zwischen den Bundesstaaten der USA – nur angeschrieben. Und zwar bei der EZB, die hier sozusagen die Rolle desjenigen innehat, der beim Skatspielen zum Anschreiben auserkoren wurde.
Ein konkretes Beispiel: Nehmen wir an, ein Grieche, nennen wir ihn Alexis, entscheidet sich, mit dem Geld, das er redlich mit dem Betrieb eines Ausflugdampfers verdient hat, einen Mercedes zu kaufen.5 Dazu überweist er von seinem Konto bei seiner Bank in Griechenland 50.000 Euro auf das Konto der Daimler AG in Stuttgart. Seine Bank führt diesen Auftrag aus. Am Ende hat Alexis das Auto und Daimler den Kaufpreis erhalten.
Die hier involvierten Banken nehmen für diese Überweisung aber keinen Koffer voller Euros und transportieren diesen zu Daimlers Bank nach Stuttgart, sondern erledigen dies bargeldlos per Anschreiben – wir leben ja schließlich nicht mehr in der Zeit der Postkutschen!
Wie läuft dies ab? Wie gesagt führt – ähnlich wie beim Skat – hier nicht jeder Spieler einen Zettel darüber, was er jedem anderen Spieler schuldet oder von diesem bekommt, sondern man hat sich sozusagen auf einen zentralen Aufschreiber geeinigt, eben die EZB. Konkret läuft dies wie folgt ab:
Alexis’ griechische Bank sagt der Griechischen Nationalbank: „Schreib mal bitte 50.000 Euro für mich an und schicke die weiter zu Daimler in Stuttgart.“ Das macht die Griechische Nationalbank und danach schuldet also Alexis’ Bank der Griechischen Nationalbank 50.000 Euro, weil sie bei dieser angeschrieben hat.
Die Griechische Nationalbank wiederum nimmt auch keinen Koffer und trägt das Geld zu Daimler, sondern lässt ebenfalls anschreiben. Sie sagt zur EZB: „Schreib mal 50.000 Euro für uns an, und schick diese 50.000 zu Daimler in Stuttgart.“ Die EZB macht das und danach schuldet also die Griechische Nationalbank der EZB 50.000 Euro. Diese Schuld wird als TARGET-Soll-Saldo der Griechischen Nationalbank gegenüber der EZB bezeichnet.
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Und so geht es munter weiter:
Die EZB nimmt ebenfalls keinen Koffer und trägt ihn zu Daimler, sondern bittet ihrerseits die Deutsche Bundesbank: „Bitte schreib mal eben 50.000 Euro für mich an, und schick das Geld zu Daimler bei der Deutschen Bundesbank in Stuttgart.“ Nach dieser Transaktion schuldet also die EZB der Bundesbank 50.000 Euro, weil die EZB diese bei der Bundesbank angeschrieben hat. Dies ist der berühmt-berüchtigte TARGET-Haben-Saldo der Bundesbank gegenüber der EZB.
Die Bundesbank wiederum nimmt – Sie ahnen es schon – auch keinen Koffer und trägt ihn zu Daimler, sondern sagt zu Daimlers Bank in Stuttgart: „Bitte schreibt mal 50.000 Euro gegen uns an, und schreibt diesen Betrag dem Konto gut, das Daimler bei euch hat.“ Nach diesem letzten Schritt der Überweisungskette hat also Daimlers Bank eine Forderung gegen die Bundesbank
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, Daimler „die Kohle am Konto“
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und Alexis bekommt seinen Mercedes. Sobald er den erhalten hat, ist das Geschäft abgeschlossen. Alexis hat sein Auto und Daimler den Kaufpreis dafür erhalten, weil Alexis diesen mit redlich verdientem Geld sofort wie vereinbart an Daimler überwiesen hat. Aus der Individualperspektive wurde hier NICHT auf Kredit geliefert! Und zwar weder aus Sicht von Daimler noch aus Sicht von Alexis!
Und genau das ist das Problem, denn aus Sicht der deutschen Volkswirtschaft sieht die Sache leider ganz anders aus:
Diese hat nämlich – weil die Griechische Nationalbank und die EZB jeweils nicht per Gold- oder Geldtransport, sondern per Anschreiben bezahlt haben – für diesen deutschen Export zunächst lediglich eine angeschriebene Forderung erhalten, und zwar genau das, was die EZB bei der Bundesbank hat anschreiben lassen: Ihren TARGET-Haben-Saldo.
Für eher buchhalterisch orientierte Leser sind die hier erläuterten Abläufe in T-Konten dargestellt, die sich über einen Link am Buchende abrufen lassen.9
Hieraus sollte klar werden, dass hier leider die Individualperspektive – Daimler wurde aus seiner Sicht vollständig bezahlt und Alexis hat redlich seinen Kaufpreis beglichen – und die Kollektivperspektive – die deutsche Volkswirtschaft hat bis zu diesem Zeitpunkt von der griechischen Volkswirtschaft nichts bekommen, sondern stattdessen nur eine Forderung gegen die EZB erhalten – auseinanderfallen. Anders als die Daimler AG, die Geld auf ihr Konto bekommen hat, über das sie frei verfügen kann, hat Deutschland als Volkswirtschaft nur eine Forderung der Bundesbank gegen die EZB erhalten, über die angeblich weder die Bundesbank noch die Bundesregierung frei verfügen können. Anders als der individuelle Verkäufer – in unserem Falle Daimler –, der Geld zur freien Verfügung bekommen hat, hat also die verkaufende Volkswirtschaft als Ganzes – in unserem Falle Deutschland – nur eine Gutschrift auf einem Konto bekommen, auf das sie aber leider keinen Zugriff hat, da dieses ja ein reines Verrechnungskonto ist. Während also der individuelle Verkäufer Daimler tatsächlich sein Geld bekommen hat, hat der kollektive Verkäufer Deutschland bis dahin sozusagen nur eine Gutschrift auf einem Sperrkonto erhalten, von dem es leider niemals etwas abheben kann und auf dem obendrein die Guthaben leider derzeit nicht nur nicht verzinst werden, sondern im Gegenteil nur durch Inflation täglich entwertet werden.
Einige deutsche Volkswirte10 veranlasst dies, zu behaupten, dass TARGET gar keine Forderung sei, weil man ja dafür nichts kaufen könne. Außerdem hätten diese Konten einen Barwert von null, da man davon ja niemals etwas abheben könne. Rein mathematisch wäre dies – wenn man tatsächlich dieses Geld nicht abheben könnte (dazu später mehr) – sogar richtig. Das aber ist ja gerade das Problem. Dass Deutschland einen Anspruch hat, irgendeine Gegenleistung für den gelieferten Mercedes zu bekommen, ist unstreitig.11 Deshalb muss es, solange es diesen Anspruch nicht einlöst, eine Forderung bekommen, die es aber dann auch einlösen können muss:
Klar sollte doch sein, dass es durchaus fair wäre, wenn Mercedes die von Alexis erhaltene Zahlung zur Finanzierung z. B. eines Showrooms in Athen oder zum Kauf eines Olivenhains zur Herstellung von biologischem Olivenöl für die Werkskantine nutzen würde, der dann auch Mercedes gehören würde. Die Zahlungen dafür würden auf gleichem Wege zurückfließen, auf dem sie von Alexis zu Mercedes gekommen sind, und damit auch die entstandenen Anschriften aufheben. Nun wäre das Geschäft auch aus der kollektiven Sicht der deutschen Volkswirtschaft abgeschlossen, denn Deutschland hätte für seine Leistung, den Mercedes, eine Gegenleistung aus Griechenland, den Showroom/Olivenhain, erhalten.12 Statt Mercedes könnten natürlich die Deutschen – als Individuen – einfach mehr in Südeuropa investieren: Firmen kaufen oder gründen, Immobilien kaufen oder bauen, Investmentfonds zeichnen oder auch einfach nur dort Urlaub machen. All dies würde TARGET-Salden abbauen, weil dann die deutsche Volkswirtschaft eine Gegenleistung für Alexis’ Mercedes erhalten hätte. Aber solange dies nicht der Fall ist, hat die deutsche Volkswirtschaft einen Anspruch auf eine Gegenleistung. Und genau diese Ansprüche sind es, die in den TARGET-(und Interbanken- usw.) Konten festgehalten werden, allerdings, da unsere Forderungen ja in Euro denominiert sind, und Euros nun mal Ansprüche auf Waren und Dienstleistungen aus der Eurozone verkörpern, gegen die Eurozone als Ganzes, obwohl sie in unserem Beispiel aus einem Leistungsbilanzüberschuss gegen Griechenland resultieren.13
Im Übrigen: Wenn es tatsächlich so wäre, dass TARGET keine Forderung ist und einen Barwert von null hat, dann wäre das Eurosystem falsch konstruiert, denn irgendwo muss der deutsche Anspruch auf Gegenleistung ja festgehalten werden. Darüber hinaus hielte natürlich dann auch die Bundesbank den Weltrekord in Bilanzfälschung, weil diese ja den bisher für Deutschland stets positiven TARGET-Saldo als Forderung im Anlagevermögen mit einem deutlich höheren Betrag ausweist als mit null.
Glücklicherweise liegen aber die hier erwähnten Volkswirte, die Derartiges behaupten, falsch, wie man aus Folgendem erkennen sollte: Solange Banken aus den Überschussländern die Abflüsse aus den Defizitländern refinanzieren, sprich in unserem Fall z. B. Daimlers Bank in Stuttgart der Bank von Alexis in Griechenland Geld leiht, um den Abfluss an Liquidität auszugleichen, den die Überweisung des Kaufpreises für Alexis’ Mercedes bei seiner Bank verursacht hat, werden die TARGET-Forderungen immer wieder abgebaut. Da nämlich diese Ausleihung ebenfalls auf bargeldlosem Wege, nur eben in umgekehrter Richtung, erfolgt, ist danach der TARGET-Saldo wieder auf null. Als Volkswirtschaft wurde Deutschland allerdings auch dann immer noch nicht bezahlt, denn statt der TARGET-Forderung der Bundesbank gegen die EZB hat ja nun Daimlers Bank in Stuttgart eine Forderung gegen die Bank von Alexis.14
Und daran erkennt man auch, dass TARGET sehr wohl einen Leistungsanspruch ausdrückt. Denn wie sonst könnte eine einfache Überweisung ins Euroausland den Haben-Saldo der Bundesbank auf ihrem TARGET-Verrechnungskonto, der laut Hellwig & Co. keine Forderung ist und einen Barwert von null hat, wieder in eine Forderung z. B. einer deutschen gegen eine griechische Bank mit VOLLEM Barwert verwandeln? Das wäre dann wirklich die wundersame Brotvermehrung, wenn man sozusagen aus einem angeblich gar nicht vorhandenen Anspruch durch eine Überweisung einen werthaltigen Anspruch machen könnte. Die Einlassungen von Hellwig, Schnabel & Co. sind leider genauso unlogisch, wie dies hier klingt.
Ein weiteres Argument von Hellwig-Schülern wie z. B. Isabel Schnabel15 ist, dass ja am Anfang, kurz nach der Euroeinführung, die Leistungsbilanzunterschiede am schnellsten gewachsen seien, ohne dass dabei TARGET-Salden entstanden seien, und dass diese sich erst aufgebaut hätten, als der Interbankenmarkt die TARGET-Salden nicht mehr ausgeglichen habe. Das stimmt. Und daraus schließt Isabel Schnabel, dass also das Ganze ein Problem des nicht mehr funktionierenden Interbankenmarktes sei und TARGET deshalb sozusagen dessen „Fieberthermometer“16.
Leider liegt Frau Schnabel hier falsch, denn es ist genau umgekehrt: Ja, der Interbankenmarkt hat eine ganze Zeit lang, wie oben dargelegt, Konsum- und Produktivitätsunterschiede in der Eurozone finanziert, und deshalb sind anfänglich trotz großer Leistungsbilanzunterschiede keine TARGET-Salden entstanden.
Falsch aber ist, dass dieser Ausgleich per Interbankenmarkt später weitgehend zum Erliegen kam, weil es ein Problem am Interbankenmarkt gegeben habe. In Wirklichkeit war es so, dass die Banken der Überschussländer bemerkt haben, dass die Banken der Defizitländer viel zu viel konsumtive Ausgaben finanziert hatten und dass sie deshalb auf faulen Krediten saßen, die zunehmend ihre Bonität beeinträchtigten. DESHALB haben dann die Banken der Überschussländer die Finanzierung des weiteren Aufbaus von Leistungsbilanzdefiziten verweigert. Genauso eben, wie ein Krämer seine Kunden nur bis zu einem bestimmten Punkt anschreiben lässt und nicht weiter.
Und damit ist es eben genau umgekehrt wie von Frau Schnabel behauptet: TARGET ist nicht das Fieberthermometer des Interbankenmarktes, sondern vielmehr das Fieberthermometer der Konsumungleichgewichte, das das wachsame Auge des Marktes uns via Kreditverweigerung im Interbankenmarkt zur Verfügung stellt.
Sobald die Banken der Überschussländer erkannt haben, dass die Defizitländer schon zu lang viel zu sehr über ihre Verhältnisse gelebt haben und daher für weitere Ausleihungen nicht mehr gut sind, leihen sie diesen halt nichts mehr über den Interbankenmarkt. Im zweiten Kapitel werde ich hierauf noch zurückkommen.
Wenn aber derartige Zahlungsrückflüsse nicht erfolgen, bleiben die TARGET-Salden natürlich bestehen, werden über die Zeit immer höher und beziffern, was unsere europäischen Freunde aus der Eurozone in Summe bei uns schon auf Kredit gekauft haben, den ihnen außer der Bundesbank eigentlich keine Bank der Welt mehr gewähren wollte (denn sonst hätten die Rückflüsse durch diese Kredite ja TARGET wieder auf null gebracht, dazu später mehr).
Anders ausgedrückt sind also die TARGET-Haben-Salden der Bundesrepublik sozusagen die größten Sparguthaben, die es auf dieser Welt je gegeben hat: Mit einer Höhe von zeitweilig – je nach Marktstimmung – über 1000 Milliarden machen unsere TARGET Salden gut 20 Prozent der gesamten deutschen Ersparnisse von ca. 5,7 Trilliarden aus, wenn man die Interbankenforderungen dazuzählt, sind es sogar knapp ein Drittel der gesamten deutschen Ersparnisse. Der Vergleich zu den gesamten Ausschüttungen aller im DAX notierten Unternehmen macht die Dimensionen noch besser verständlich: Von allen DAX-Unternehmen zusammen wurden zuletzt jährlich ca. 37 Milliarden an Dividenden ausgeschüttet. Unsere TARGET-Guthaben belaufen sich auf fast das 30-Fache, mit Interbankloans reden wir schon vom 50-Fachen! Das einzige Problem ist, dass sich diese Sparguthaben auf einem Sperrkonto befinden, das ziemlich unattraktiv ist. Oder würden Sie Geld auf ein Sparkonto einzahlen, von dem Sie Ihr Geld angeblich niemals wieder abheben können und wo es zudem keine Zinsen gibt?
Deutschland hat am meisten vom Euro profitiert, ist die weitverbreitete Meinung in Europa und auch bei uns. Und in gewisser Weise stimmt das auch, denn durch unsere ständigen hohen Exportüberschüsse innerhalb des Eurolandes haben unsere Unternehmen prächtig verdient.
Das Problem ist jedoch, dass hier die Individual- und die Kollektivperspektive, also die mikro- und die makroökonomische Sicht auseinanderfallen. Denn paradoxerweise hat – obwohl der individuelle Exporteur für seine Exporte bezahlt wurde – aufgrund der Mechanismen des Eurozahlungssystems, nach denen grenzüberschreitende Zahlungen nicht physisch, sondern ähnlich wie beim Skat per Anschreiben abgewickelt werden, Deutschland als Volkswirtschaft für seine Exporte zunächst nur Forderungen der Bundesbank gegen die EZB erhalten, unsere sogenannten TARGET-Guthaben. Normalerweise sollten diese gar nicht oder zumindest nicht lang bestehen, weil man nämlich davon ausging, dass, wenn ein Land nach solchen überweisungsbedingten Anschreibungen Schulden bei der EZB hat und ein anderes Land entsprechende Guthaben, dann die Banken des Landes, das ein Guthaben hat, denen des Schuldnerlandes Geld leihen und durch diesen Rückfluss eben die TARGET-Salden wieder verschwinden.
Mittlerweile ist allerdings in Europa das Problem entstanden, dass die Banken der Überschussländer die Banken der Defizitländer nicht mehr refinanzieren. Was natürlich dazu führt, dass sich unsere bei Bezahlung von Exporten aus Deutschland entstandenen TARGET-Haben-Salden nicht mehr durch Rücküberweisungen im Rahmen von Finanzierungen ausgleichen, sondern im Gegenteil über lange Zeit aufbauen und mittlerweile den Großteil der Bilanz der Bundesbank ausmachen. Mittlerweile sind im TARGET-Konto der Bundesbank bei der EZB schon um die 1000 Milliarden Euro verbucht, was unser TARGET-Konto bei der EZB zum mit Abstand größten (Zwangs-)Sparbuch der Welt macht.
Da TARGET-Konten aber als reine Verrechnungskonten im Rahmen des innereuropäischen Zahlungsverkehres konzipiert sind, ist Abheben davon nicht vorgesehen, sodass die TARGET-Konten zu einer Art Sperrkonto werden, auf dem das Geld, das wir redlich mit unseren Exporten verdient haben, sozusagen eingefroren wird.
Das Problem ist: Die Defizitländer lassen sehr viel mehr bei der EZB anschreiben, als sie eigentlich selbst ausgleichen könnten. Wenn die EZB die Salden ausgleichen und Zahlung von den Ländern mit TARGET-Soll-Salden verlangen wollte, dann wäre z. B. die griechische Nationalbank bankrott und mit ihr die griechischen Geschäftsbanken, die sich bei ihrer Nationalbank refinanzieren. Weil die EZB diesen Weg nicht gehen kann, ohne den Mitgliederbestand der Eurozone zu gefährden und eine Eurokrise auszulösen, lässt sie den TARGET-Ballon immer größer werden. Dadurch entstehen auch realwirtschaftliche Ungleichgewichte – die einen leben permanent über ihre Verhältnisse, die anderen pflegen ein exportlastiges Produktionsmodell, das innerstaatlich die Einkommensverhältnisse zugunsten der Exportindustrie und ihrer Nutznießer verzerrt und zu viel Kraft in den Export lenkt, die besser innerstaatlich investiert würde, z. B. in die marode heimische Infrastruktur.
Die europäische Krankheit: Ursachen, Prognose und mögliche Therapie.
Das Anschreiben auf TARGET-Konten ist zunächst nicht ganz so schlimm, wie es zum Ende des ersten Kapitels geklungen haben mag. Denn, wie bereits dargelegt, ist Anschreiben ja sinnvoll, andauerndes Hin- und Herschicken von Geld oder Gold würde in einer Welt mit derart riesigen Waren- und Zahlungsströmen, wie wir sie heute haben, gar nicht mehr funktionieren. Und im Falle von Ländern mit ausgeglichenen Waren- und Zahlungsströmen stehen derartigen Zahlungen ja auch solche in die Gegenrichtung gegenüber, wobei das Ganze sich im Idealfall weitgehend ausgleicht. Eben wie beim Skat, wo mal der eine gewinnt und mal der andere, sodass am Ende keineswegs die Summe aller Punkte bezahlt, sondern eben nur der Saldo, also das, was übrig bleibt, ausgeglichen werden muss.
Anders verhält es sich zwischen Staaten mit unausgeglichenen Waren- und Zahlungsströmen. Da sich in diesem Falle die Anschreibungen eben nicht ausgleichen, bleibt am Ende etwas übrig, was der Staat mit dem Export- und Zahlungsbilanzdefizit dem- oder denjenigen mit Überschüssen schuldet beziehungsweise in unserem Falle der EZB als zentraler Anschreibestelle, über die, wie beschrieben, alle Zahlungsströme laufen. Wenn also ein Staat ständig mehr bei anderen einkauft als diese bei ihm, baut er zumindest dann kontinuierlich Anschriften (TARGET-Soll-Salden) auf, die er der EZB schuldet, wenn diese Zahlungen nicht über Ausleihungen am Interbankenmarkt wieder ausgeglichen werden.
Während die Staaten, die mehr exportieren, als sie woanders einkaufen, ständig Gutschriften – TARGET-Haben-Salden gegenüber der EZB eben – anhäufen, wenn und soweit deren Banken das Leistungsbilanzdefizit der anderen Staaten nicht durch Ausleihungen am Interbankenmarkt ausgleichen, weil sie sich nicht das Risiko in die Bücher holen wollen, dass der Schuldner am Ende nicht zahlen kann.
Selbst das ist noch kein Problem – wenn diese Salden wenigstens irgendwann einmal ausgeglichen würden oder man sich für diese Salden wenigstens irgendwann irgendetwas kaufen könnte. Genauso wie es eben i. d. R. kein Problem ist, wenn ein Skatbruder sein Portemonnaie vergessen hat und am Ende des Abends seine Spielschulden und die Striche auf seinem Bierdeckel nicht bezahlen kann. Dann werden eben der Skatzettel und der Bierdeckel aufbewahrt bis zum nächsten oder übernächsten Treffen. Aber irgendwann werden Wirt und Skatbrüder dann doch auf Ausgleich der aufgelaufenen Schulden bestehen. Genauso, wie dies die US-Bundesstaaten schon seit den Zeiten der Postkutschen getan haben, was dann früher eben zu den nicht ungefährlichen Goldtransporten und heute zu den jährlichen Verrechnungen der bereits erwähnten ISA-Konten gegen das settlement portfolio geführt hat.
Leider wurde genau dieser Ausgleichsmechanismus bei der Konstruktion des Eurosystems vergessen, und das ist das eigentliche Problem des Euro. Es ist kaum zu glauben, aber leider wahr: Anders als der Gast in seiner Stammkneipe, der seine Bierdeckel zumindest periodisch bezahlen muss, können die Mitgliedstaaten des Eurosystems bei der EZB unbegrenzt anschreiben, ohne ihren Bierdeckel jemals abrechnen zu müssen! Glücklicherweise hat Deutschland aber die Möglichkeit, im Alleingang eine periodische Abrechnung des Bierdeckels, also einen periodischen Ausgleich der TARGET-Salden, nachzurüsten, ohne irgendjemanden hierzu um Erlaubnis bitten zu müssen und ohne dass dies Deutschland wirklich etwas kostet. Wie das geht, wird in Kapitel 7 erläutert.
Ein weiteres Problem ist, dass aufgrund der mittlerweile erfolgten vielen Aufweichungen von Sicherheitsanforderungen die Nationalbanken des Eurosystems bei der EZB und damit auch bei der Bundesbank praktisch unbegrenzt viel Geld leihen können, ohne diese überhaupt um Zustimmung bitten zu müssen. Wenn sie dies wollen sogar für Dinge, die keineswegs dem Geiste der EU entsprechen!
Nehmen wir wieder Alexis als Beispiel und nehmen wir an, dass es ihm irgendwann angesichts der finanziellen Lage seines Landes und seiner Bank zu Hause unheimlich wird. Er entschließt sich daher, doch lieber einen Teil seines redlich verdienten Geldes außer Landes zu bringen und es statt bei seiner griechischen Bank lieber z. B. bei der HVB in Bayern zu parken. Er überweist daher sein Guthaben von seinem griechischen Konto auf ein Konto, das er zum Zwecke seiner Kapitalflucht aus Griechenland in Deutschland eingerichtet hat.18 Das Geld wird dann wiederum nicht im Koffer, sondern auf dem gleichen bargeldlosen Weg nach München transportiert wie im ersten Beispiel der Kaufpreis seines Mercedes. Mit der Konsequenz, dass am Ende Alexis Geld bei der HVB in München auf dem Konto hat, diese Überweisung aber de facto durch Anschreiben der EZB bei der Bundesbank abgewickelt wurde. Mit anderen Worten: Die Bundesbank hat in diesem Falle per Anschrift im Rahmen der Zahlungsabwicklung der EZB Geld geliehen, mit dem diese die Kapitalflucht von Alexis finanziert hat.
Ganz sicher weder fair noch im Sinne des Erfinders und auch nicht im Sinne der europäischen Solidarität, aber daran kann die Bundesbank leider nichts ändern, weil sie die Anschriften der EZB bei ihr nicht ablehnen kann. Die Konsequenzen dieser Problematik sind im Volk leider nicht bekannt. Oder wussten Sie, dass vor der letzten „Griechenrettung“, bei der diesem Land noch mal mit über 80 Milliarden unter die Arme gegriffen wurde, „die Griechen“ über 50 Milliarden Euro außer Landes gebracht und der Solidarität mit ihren eigenen Landsleuten entzogen hatten und dass dies alles zu großen Teilen per Anschrift im Zahlungsverkehr von der Bundesbank finanziert wurde, ohne dass diese um Erlaubnis gefragt wurde oder etwas dagegen hätte tun können?
Was im Einzelfall des redlichen, besorgten Alexis nur zu verständlich ist, wächst sich in der Summe der Einzelfälle zu einem volkswirtschaftlichen und moralischen Problem aus, denn die Bundesbank häuft TARGET-Forderungen gegen die EZB an, für die sich kein Deutscher etwas kaufen kann. Während die Eigentümer der nach Deutschland exportierten griechischen Guthaben damit gut bei Kasse bleiben, ohne länger den Bankrott ihres Heimatlandes oder ihrer heimatlichen Bank fürchten zu müssen. Und natürlich kaufen sie sich von diesem Guthaben in Deutschland oft auch etwas, z. B. Immobilien in Berlin, was dann dort wieder die Preise treibt.
Mitarbeitern der EZB und vereinzelt auch der Bundesbank geht, wenn sie diese Zeilen lesen, mit Sicherheit das Messer in der Hosentasche auf, und sie entgegnen dann – im Einklang mit der bereits erwähnten Isabel Schnabel – Folgendes: Wir Normalsterblichen würden das nicht verstehen, das sei alles viel zu kompliziert. Normalerweise würden ja Kapitalbilanzströme negative TARGET-Salden ausgleichen, so wie sie das ja zunächst nach der Euroeinführung auch tatsächlich lang getan hätten, sodass die TARGET-Salden einige Jahre um null gependelt hätten. Die hohen TARGET-Salden, die wir nun seit einigen Jahren beobachten, seien daher nur eine Folge der Bankenkrise (die natürlich von gierigen Bankstern verursacht worden sei), weil diese sich nun gegenseitig nicht mehr trauen und daher diese TARGET-Salden nicht mehr über Ausleihungen am Interbankenmarkt oder andere Refinanzierungsmechanismen ausgleichen würden. Das Ganze sei also gewissermaßen nur „ein Fieberthermometer des Interbankenmarktes“ (wörtliches Zitat eines hochrangigen Mitarbeiters der Bundesbank). Im Übrigen seien TARGET-Konten ja keine Kreditkonten, sondern bloße Verrechnungskonten und alles, was sich darauf anhäuft, nur irgendwelchen technischen Abläufen geschuldet usw. usw. Alles für den Normalsterblichen zu schwer verständlich, deshalb ginge das alles das gemeine Volk doch eigentlich auch gar nichts an, und man solle sich da als Laie doch besser raushalten und den Experten vertrauen. Mit diesen oder ähnlichen Entgegnungen wurde ich immer abgewimmelt, als ich jahrelang versucht habe, das Thema mit unterschiedlichen, auch höchstrangigen Mitarbeitern der EZB, der Bundesbank oder auch unseres Wirtschafts- und Finanzministeriums zu diskutieren. Diese Entgegnungen sind jedoch leider nicht stichhaltig, sondern eigentlich nur Nebelkerzen, deshalb bemühe ich mich, diese Entgegnungen hier aufzuklären und zu entkräften, um so dem interessierten Laien das Mitdenken und Mitdiskutieren zu ermöglichen – auch wenn dies vielen der involvierten Technokraten sicher keine Freude bereitet.
Was die Zentralbanker mit dem Fieber des Interbankenmarktes meinen, ist, dass – wie bereits im ersten Kapitel erwähnt – normalerweise Geschäftsbanken durch Ausleihungen untereinander, sei es über den Interbankenmarkt oder sonstige Refinanzierungsmechanismen, die TARGET-Salden ausgleichen sollten, dass also die Zahlungsbilanzströme etwaige Ungleichheiten in der Handelsbilanz kompensieren sollten.19 In unserem Beispiel mit Alexis’ Mercedes würde also normalerweise nach der Bezahlung seine griechische Bank im Interbankenmarkt anrufen20 und sagen: „Hallo, hier XY-Bank in Griechenland, bei uns sind gerade 50.000 Liquidität abgeflossen.“ Und z. B. Daimlers Bank in Stuttgart, die auch zufällig in dem call ist, würde sagen: „Das trifft sich ja prima, denn bei uns sind gerade 50.000 Liquidität angekommen, die leihen wir euch gern zurück“ (zu Euribor plus XY-Marge).21 Aufgrund dieses Interbankenkredites schickt dann also Daimlers Bank in Stuttgart die 50.000 auf genau dem gleichen Wege zurück, auf dem das Geld ursprünglich zu ihr kam – per Anschreiben bei der EZB und den involvierten Zentralbanken – und alle auf dem Hinweg gemachten Anschreibungen bei der Bundesbank, der EZB und der Griechischen Nationalbank gleichen sich auf diesem identischen Rückweg aus. Die EZB schuldet dann der Bundesbank nichts mehr und die EZB hat keine Forderung mehr gegen die Griechische Nationalbank. Stattdessen hat dann allerdings am Ende dieses Zahlungsflusses Daimlers Bank in Stuttgart eine Forderung gegen Alexis’ Bank in Griechenland.
Die Bundesbank ist dann zufrieden, weil ihre Forderung gegen die EZB ja beglichen ist. Aus den Augen – aus dem Sinn – sagt der Volksmund, und genauso verhält sich leider die Bundesbank: Raus aus meiner Bilanz – alles gut!
Nur leider stimmt das eben nicht für unser Land, denn als Volkswirtschaft wurde Deutschland ja noch immer nicht bezahlt, es haben sich nur die Adressaten der Forderung geändert, statt Bundesbank gegen EZB nun eben Daimlers Bank in Stuttgart gegen Alexis’ Bank in Griechenland. Und was noch schlimmer ist: Auch das Risiko der Bundesbank hat sich nicht in dem Maße reduziert, wie es scheint, es wurde nur quasi unter den Tisch gekehrt und dort versteckt. Zwar ist die Forderung gegen die EZB nun aus der Bilanz, aus dem Sinn sollte sie aber keineswegs sein, denn wenn irgendetwas nicht rund läuft in Europa, dann wandern einige dieser Forderungen mir nichts, dir nichts zurück in die Bilanz der Bundesbank, und zwar, ohne dass diese irgendetwas dagegen tun könnte!
Um das zu verstehen, muss man wissen, dass Interbankenkredite i. d. R. nur sehr kurze Laufzeiten haben. Das meiste wird nur overnight, also für 24 Stunden verliehen, wenig für eine Woche und ein ganz klein bisschen vielleicht auch mal für einen Monat. Damit sind dann aber weit über 95 Prozent aller Interbankenkredite erfasst, länger laufende Finanzierungen erfolgen i. d. R. über Anleihen oder Kredite mit festen Laufzeiten.22 Und das bedeutet, dass, wenn es irgendwo mal brenzlig wird, die Banken, die am Interbankenmarkt Geld ausgeliehen haben, dieses größtenteils innerhalb von 24 Stunden oder einer Woche zurückfordern können. „We don’t roll – we call“, heißt das: Wir verlängern die Ausleihung heute nicht, bitte überweist uns unser Geld zurück. Und das tun die Schuldnerbanken – in unserem Falle Alexis’ Bank – dann wieder auf genau dem gleichen Wege, den seinerzeit Alexis’ Bezahlung für seinen Mercedes genommen hat – per Anschreiben der Zentralbanken bei der EZB –, mit der Folge, dass das Geld wieder als Forderung der Bundesbank gegen die EZB angeschrieben und als TARGET-Haben-Saldo bei der Bundesbank bilanziert wird.
Im Falle der diversen griechischen Krisen konnte man dies sehr gut beobachten: Als „alles wieder gut“ war in Europa, gingen die TARGET-Salden drastisch zurück, und im Gegenzug stiegen die Interbankenausleihungen an. Als es aber wieder zu kriseln begann, verloren die Banken sofort wieder das Vertrauen, forderten ihre nach Südeuropa getätigten Ausleihungen zurück, und die TARGET-Salden sprangen fast über Nacht wieder um Hunderte von Milliarden in die Höhe. Von der Bundesbank wird das, wie gesagt, als Problem im Interbankenmarkt gesehen, und die TARGET-Salden werden daher als das Fieberthermometer des Interbankenmarktes bezeichnet. Das ist aber leider völlig falsch, denn die Banken handeln hier sehr rational. Sie erkennen, dass ein Schuldner nicht mehr kreditwürdig ist, weil er schon zu viele Schulden aufgehäuft hat, und haben Zweifel, dass dessen habitueller Bürge Europa ihm noch mal die Hand unter den Hintern halten wird, und fordern deshalb ihr Geld zurück. Die Weigerung des Interbankenmarktes, weitere Exportüberschüsse Deutschlands zu finanzieren, ist keineswegs krank, sondern zeugt vielmehr von dem berühmten wachsamen Auge des Marktes, dem aufgefallen ist, dass die Käufer es sich nicht leisten können, noch mehr auf Kredit zu kaufen. Und die deshalb eben solche Kredite nicht mehr gewähren.
Die Bundesbank aber ist gezwungen, diesen alarmierenden Weckruf zu ignorieren, denn sie kann sich ja nicht dagegen wehren, dass im Wege der Rücküberweisung per Anschrift der EZB diese Schulden – die der gesamte Finanzmarkt für bad debt hält, und darum die Interbankenausleihungen kündigt – wieder als TARGET-Forderungen gegen die EZB in die Bilanz der Bundesbank zurückkehren, sodass die Bundesbank dann all diejenigen Kredite übernehmen muss, die der gesamte Finanzmarkt für schlecht hält. Dazu wird die Bundesbank nicht gefragt, und sie kann sich dagegen auch nicht wehren, weil die Entstehung der TARGET-Salden, wie dargelegt, eine Zwangsläufigkeit des innereuropäischen Zahlungssystems ist. Die Bundesbank wird so zur unfreiwilligen Bad Bank Europas, und ihre Euroausfallrisiken sind oft um Größenordnungen höher, als man das ihrer tagesaktuellen Bilanz entnehmen kann. Wenn die Bundesbank keine Zentralbank wäre, sondern eine normale Geschäftsbank, würde kein Wirtschaftsprüfer dieser Welt daher ihre Bilanz testieren, weil sie keine Drohverlustrückstellungen für die abenteuerlichen Risiken enthält, die sie wird tragen müssen, wenn es in Europa einmal ernst wird. Und dieses Risiko ist nicht klein, wir reden hier von einigen weiteren hundert Milliarden, in Summe sicher deutlich mehr als der jährliche Bundeshaushalt! Vorstände einer privaten Bank, die solche Risiken verschweigen und dafür keine Drohverlustrückstellungen bilden, würden übrigens im Ernstfall sowohl zivil- wie auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Ich hoffe, dass aus dieser notwendigerweise vereinfachenden Darstellung zwei Dinge klar werden: Erstens: Was wegen Interbankenausleihungen oder sonstigen Kreditgeschäften zwischen Geschäftsbanken aus der Bilanz der Bundesbank verschwunden ist, ist keineswegs auch vollständig aus deren Risiko verschwunden, und zweitens: Selbst wenn über Interbankenausleihungen die TARGET-Forderungen der Bundesbank reduziert werden, bedeutet dies nicht, das Deutschland als Volkswirtschaft für alle seine Exportüberschüsse bezahlt wurde.
Und weil die Interbankenforderungen und andere Finanzierungen und die TARGET-Forderungen der Bundesbank nicht in Summe gemessen und gemanagt werden, wissen wir gar nicht, wie viel Deutschland an welche Defizitländer im Euroland auf Kredit geliefert hat. Schlimmer noch: Es überwacht überhaupt niemand, wer denn hier wie viel bei wem auf Kredit gekauft hat. Und niemand fordert, dass die Summe der Anschreibungen irgendwann auch einmal bezahlt wird. Das Ganze ist wie eine Kneipe, die immer anschreiben lässt, aber niemals ihre Bierdeckel abrechnet. Der Einzige, der hier aufpasst, sind die Banken im Interbankenmarkt. Und wenn diese über die Reduktion ihrer Ausleihungen eigentlich sagen: „Moment mal, dieser Schuldner hat jetzt aber zu viel auf seinem Bierdeckel“, dann sagt die Bundesbank, dass die Geschäftsbanken, die Derartiges sagen, krank seien. Weil ja die TARGET-Salden eben das Fieberthermometer des Interbankenmarktes seien. Und die Bundesbank übernimmt es nolens volens, die Party per TARGET-Krediten weiter zu finanzieren, die niemand sonst mehr bereit ist zu bezahlen.
Das sollte klarmachen, dass es, wie bereits im ersten Kapitel erläutert, genau umgekehrt ist: Die TARGET-Salden zeigen nicht, dass der Interbankenmarkt krank ist, sondern der Interbankenmarkt zeigt über die TARGET-Salden, dass Euroland krank ist, weil einige Länder eben aus Sicht der Finanzmärkte unglaublich viel mehr konsumiert haben, als sie sich leisten können, und deshalb nun überschuldet sind. Die TARGET-Salden sind damit nicht das Fieberthermometer des Interbankenmarktes, sondern eher das Fieberthermometer der Eurozone bzw. der Ersatz für den Währungsverfall von Ländern mit dauernden Exportdefiziten/Zahlungsbilanzdefiziten, den es in einem einheitlichen Währungsraum nun mal nicht geben kann.