Soldat sein heisst auf Draht sein! - Rainer Lange - E-Book

Soldat sein heisst auf Draht sein! E-Book

Rainer Lange

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Beschreibung

Rainer Lange, Jahrgang 1949, hat von 1971 bis 1972 in einem Panzergrenadierbataillon in Norddeutschland gedient. Er war in dieser Zeit der ungekrönte Diszi-König (Diszi = Disziplinarstrafe) und hat in vorliegendem Buch seine haarsträubenden Erlebnisse zu Papier gebracht. Zusammen mit der Bild-Zeitung und seiner kleinen Tochter auf dem Arm ist er in die Kaserne einmarschiert und hat sie auch zum Dienst dorthin mitgenommen. Nach seiner Dienstzeit wurden aufgrund der Erlebnisse mit ihm wesentliche Teile der Wehrgesetze verschärft! Seine spätere Verweigerung, sowie ein Strafverfahren, das in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt hat, werden außerdem hierin beschrieben. Seine Äußerung, Soldaten seien potentielle Mörder, wurde allerorts diskutiert und sorgte für eine kritischere Haltung gegenüber der Bundeswehr. Hierdurch wurde ganz langsam ein neues Denken eingeläutet.

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Seitenzahl: 183

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Rainer Lange

Soldat sein

heißt auf Draht sein!

Der Autor gibt hier seine eigenen Erfahrungen und Ansichten wieder und erhebt dabei keinen Anspruch auf Absolutheit. Haftung für Schäden jeglicher Art, die sich aus einem falsch verstandenen Gebrauch der beschriebenen Verfahrensweisen ergeben könnten, kann nicht übernommen werden.

Größtenteils ist hier nach den alten Rechtschreibregeln verfahren worden.

Nur ganz wenige Details wurden von der neuen Rechtschreibung übernommen.

Wir sind zu der Meinung gekommen, dass nach dem ganzen Hin- und Her für uns inzwischen keine Regeln mehr Gültigkeit besitzen und wir im Einzelfall jeweils nach der Logik entscheiden.

ISBN 978-3-7392-6752-4

Copyright Rainer Lange, alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2014

2. Auflage 2015

D-24941 Flensburg

Tel.: 0461-940 333 6

e-mail: [email protected]

Internet: www.rainer-lange.org

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand, Norderstedt 

Foto vor Panzer: Bild-Zeitung, Peter Schewe

Cover und Umschlaggestaltung: Nikolaj Lange

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Musterung
Ich werd’ schon nicht hinmüssen!
Einberufung, was nun?
Fahnenflucht
Ordonanz
Hauptmann Kugelblitz
Der Spieß
Diszi König
Bild-Zeitung
Befehlsverweigerung
Im Knast
Im Krankenhaus
In der „Klapsmühle“
Im San-Bereich
Entlassung
... Jahre später
Strafverfahren

Vorwort

Wie lange noch?

Krieg ist ein Zustand,

bei dem Menschen aufeinander schießen,

die sich nicht kennen,

auf Befehl von Menschen,

die sich wohl kennen,

aber nicht aufeinander schießen.

George Bernhard Shaw

Nach einer solch’ langen Zeit habe ich es für notwendig angesehen, die Ansichten, die ich mir rund um meinen abgeleisteten Militärdienst und den Militarismus schlechthin zugelegt habe, wieder aus meinem Inneren hervorzukramen und sie dem interessierten Teil unserer Leserschaft zugänglich zu machen. Sie waren seit damals auch nie wieder so aktuell wie heute! Besorgte Insider sehen dies inzwischen auch so.

Was die Sache doch leider heute viel schwieriger und dadurch auch hinterhältiger macht, ist die Tatsache, dass der Feind auf vielen Ebenen agiert und nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist!

Früher dagegen hatten die „Guten“, bestehend aus frischen, jungen und von Idealen geprägten (langhaarigen) Menschen gegen eine verknöcherte, diskussionsunwillige und diktatorische (kurzhaarige) Front, die das „Böse“ symbolisierte, anzukämpfen.

Eine lehrreiche Zeit, die ich heute nicht missen möchte, und die uns damals ein Höchstmaß an Erfahrung beschert hat!

Wir, die Bürger, müssen heute und immerfort auf der Hut sein und rechtzeitig einen zu großen, sich abzeichnenden Rechtsruck und Nationalismus, verbunden mit übertriebenem Patriotismus entschieden und mit allen gebotenen Mitteln bekämpfen – und ihm entgegenwirken!

Ferner befinden wir uns in einem schleichenden Prozess, in dem versucht wird, uns der Menschen- und Freiheitsrechte zu berauben und ebenfalls schleichend, die Demokratie auszuhebeln, mit dem Ziel, sie endlich abzuschaffen.

Man will den Zeitgeist nutzen, und nimmt dazu den meist jungen und desinteressierten Menschen zuhilfe, der fast ausschließlich seine eigenen, egoistischen Interessen im Mittelpunkt stehen sieht. Und diese Interessen beziehen sich ebenfalls ausschließlich auf materielle Dinge!

Die Dummheit von Regierungen

sollte niemals unterschätzt werden.

Helmut Schmidt

Früher, wie gesagt, hatten wir lediglich den Osten, der unser Feindbild verkörperte, heute dagegen, sind es sehr viele Brennpunkte, die uns Sorgen bereiten.

Oft wurde sogar GOTT in ihre schmutzige Sache hineingezogen und ohne Rücksicht zu üben, hatte man zu allen Zeiten nicht nur die Waffen gesegnet. Jedoch wurde wohl ständig übersehen, dass es nur einen GOTT gab und gibt. Es können also niemals alle erhört werden! Schon rein rechnerisch hätte das nicht funktionieren können!

Es ehrt unsere Zeit,

dass sie genügend Mut aufbringt,

Angst vor dem Krieg zu haben

Albert Camus

Neben noch heute verwertbaren Lebensweisheiten, konnte man so manche goldene Regel in die neue Zeit hinüberretten:

Musterung

…um 10.oo Uhr haben Sie sich einzufinden…

Aha, nächste Woche Donnerstag also werde ich mich dann zur Musterung „einfinden“ und dort „erscheinen“ müssen, wie sie es ausdrückten.

Dies ereignete sich Ende der sechziger Jahre. Zu jener Zeit war bei den Behörden noch Strenge das oberste Gebot. Die vielen Wege, die man einschlagen konnte, mussten seinerzeit erst neu entdeckt werden.

Befreundete Individualisten, also Leute, die von der Norm, von den ausgelatschten Trampelpfaden abwichen, fragte ich, welche Möglichkeiten ich denn hätte, diese Zeitverschwendung, den Wehrdienst, zu umgehen.

Geh nicht immer auf dem vorgezeichneten Weg,

der nur dahin führt, wo andere bereits gegangen sind.

Alexander Graham Bell

Wenn auch in geringerer Anzahl, so muss man gestehen, dass es sie auch damals schon gab. Die „Freidenker“, die ihren eigenen, noch unsicheren Weg gesucht und dann beschritten haben. Nicht so wie heute, wo nur zuvor Gedachtes auch reihenweise „nachgeahmt“ wird. Nach der Devise: Es hat sich bereits als sicher erwiesen. So denken alle und kann getrost nachgeäfft werden, ohne dass man aneckt und einem etwas passiert!

Natürlich ist es auf diese Weise kein Abenteuer mehr, und der Pioniercharakter ist ebenfalls dahin. Die meisten Jugendlichen heute verabscheuen Risiken, da ihnen ja nicht von vornherein Sicherheit versprochen, oder besser garantiert werden kann.

Ich beobachtete bei mir zunehmend den Spaß, den etwas Neues auszuprobieren in mir auslöste! Fehlte dieser, war es doch bald wieder Routine und die Freude und die Spannung waren schnell dahin.

Fast flüsternd (aus Angst aufzufliegen) hat man mir übermittelt, ein todsicheres Mittel wäre, könnte man glaubhaft machen, homosexuell zu sein. Also dem Paragraph 175 anzugehören, wie man sich damals korrekt auszudrücken pflegte.

Das Wort „schwul“ dagegen gehörte zur Gassensprache und im normalen Sprachgebrauch waren derartige „Ferkeleien“ gar nicht zulässig. Dagegen stand natürlich die Tatsache, dass der §175, also das Schwulsein, damals noch unter Strafe stand und man sich nicht der Schmach aussetzen wollte, zu solch' „Straffälligen“ zu gehören.

So manche Schauergeschichten, wie „Farbenblindheit“ bekam ich als weitere Möglichkeit zur Befreiung vom Wehrdienst noch vorgeschlagen. Oder es wurde mir geraten, die Nacht durchzusaufen und dabei sehr viel zu rauchen. Bei derartigen Eskapaden könnte dann auch eine Herzkrankheit sichtbar werden.

Es kam schließlich der Tag der Musterung. Ich fand mich recht unbeteiligt dort ein, denn ich wusste ja, es würde ohnehin niemals dazu kommen, dass „die“ mich einziehen würden. Vorsichtshalber, um keine Risiken einzugehen, habe ich dann aber gleich zwei Nächte durchgemacht….

Ich ließ mich von einem „Untersuchungstisch“ zum nächsten „schieben“ und fühlte mich wie in eine andere, in eine Parallelwelt versetzt.

Die Männer in ihren weißen Kitteln ließen in mir ein Gefühl aufkommen, als sei ich soeben zum Tode verurteilt worden! Mit ernsten Mienen und bösen Blicken versuchte man mir, ohne ein Wort zu sagen, Angst einzujagen.

Man betastete auffällig intensiv meine Wirbelsäule, aber sprach mit keinem einzigen Wort zu mir, sodass ich auch nicht erfuhr, was genau an mir eigentlich zu bemängeln war!

Ich bekam schließlich am Ende der Musterung einen zugeklebten Brief in die Hand gedrückt, der ausschließlich für meinen Hausarzt bestimmt war. Ich durfte es also nicht wagen, diesen Brief, dieses heilige Dokument, zu öffnen – denn mich ging es ja nichts an!

Damals war ich noch in der Lehre, und danach traf ich mich immer mit Freunden am späten Nachmittag in einem Cafe.

Ich öffnete dort den Umschlag, indem ich mit einem Finger den Verschluss aufriss! So mache ich es übrigens heute noch, da ich hiermit unterbewusst wohl ausdrücke, keinen Respekt vor Dokumenten zu empfinden. 

Ein Raunen ging durch die Runde und nicht wenige empfanden doch einen zu großen Respekt vor der Obrigkeit, als solcherlei „Dreistigkeiten“ lautlos hinnehmen zu können.

Nun holte ich also das für meinen Hausarzt bestimmte Schreiben heraus und las es in unserer Runde laut vor.

Wohlgemerkt, es war für meinen Hausarzt bestimmt und nicht etwa für mich. Meiner Logik nach ging es hier jedoch ausschließlich um mich, und deshalb besaß ich auch die „Frechheit“, diesen Brief einfach zu öffnen!

Es kamen immer wieder Worte, wie „kleiner Scheuermann“ darin vor, sodass wir amüsiert darüber lachten. Niemand von uns konnte mit dem Begriff etwas anfangen.

Dieser kleine „Mann“ machte offenbar meiner Wirbelsäule irgendwie zu schaffen und ich wurde daraufhin für drei Monate zurückgestellt.

Im „Nu“ raste jedoch die Zeit vorbei und ich hatte mich wieder bei der Musterungskommission einzufinden. Jetzt schien es, als hätte der kleine „Scheuermann“ seine Arbeit eingestellt, denn ich war auf einmal voll tauglich.

Es rutschte mir das Herz in die Hose, denn mir wurde bewusst, dass ich sofort handeln musste!

Ich werd’ schon nicht hinmüssen!

Kurz zuvor habe ich von der Möglichkeit gehört, beim Technischen Hilfswerk eine 10-jährige Verpflichtung einzugehen. Man müsse lediglich einmal in der Woche von 18 bis 22 Uhr dort hin gehen und mit ihnen ein wenig „die Zeit totschlagen“. Dafür bräuchte man dann als Gegenleistung nicht zum Bund.

Dies schien mir eine akzeptable Möglichkeit zu sein, dem „Kriegspielen“ zu entkommen.

Es blieb mir für derartige Sperenzien ja auch gar keine Zeit, denn ich hatte gerade erst geheiratet und war außerdem dabei, mich selbständig zu machen.

Die Eheschließung war leider damals noch kein Grund für eine Freistellung. Die Ehe hatte das „Soldat sein“ höchstens zu unterstützen. Doch, man glaubt es nicht, auch in der Bevölkerung herrschte die Meinung vor, das Soldat sein hätte oberste Priorität im Staat und eine Freistellung oder gar die Fahnenflucht wäre das allerschlimmste denkbare Delikt.

Also ging ich kurzerhand zum Technischen Hilfswerk, verpflichtete mich und erhielt kurz darauf von der Bundeswehr die Bestätigung zur Freistellung!

Toll, dieser Schachzug wäre gelungen! Das löste bei mir Verzückung aus, denn diese verschlungenen Wege zu finden, bereitete mir außerordentlichen Spaß.

Schon nach kurzer Zeit zerplatzte jedoch diese Seifenblase wieder und ich war der Bundeswehr erneut schutzlos ausgeliefert.

Was war geschehen?

Meinen Traum vom Selbständig sein konnte ich schon nach einer kurzen Zeit in die Tat umsetzen. Es bedingte jedoch, dass ich öfter, als mir derzeit lieb war, im Süddeutschen Raum unterwegs sein musste! Ich bin zwar einige Male, wenn der Mittwoch nahte, nach Norddeutschland gefahren, doch auf die Dauer wurden mir diese Eskapaden zu aufwendig und zu kostspielig – zumal ich mit dem Geschäft gerade erst begann.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als die Jungs vom THW den Mittwochabend allein verbringen zu lassen. Ich entschuldigte mich zwar telefonisch einige Male und tischte irgendwelche Not-Lügengeschichten auf, doch auf die Dauer waren solche Kinderreien dann doch nicht mehr sehr glaubwürdig.

Als dies weitere 3 mal passierte, kündigte man mir die Freistellung und ich musste wieder mit einer Einberufung rechnen. Ich hatte allerdings gehofft, dass dies bei mir nicht der Fall sein würde und man mich, und damit auch meine Familie, verschonen würde! Zumindest ging ich davon aus, dass es nicht gar so schnell passieren würde.

Aber prompt stand der „Barras“ bei mir auf der Matte. Er wollte mir seine Macht kraft eines schnöden Stück Papiers, auf dem „Einberufungsbescheid“ zu lesen war, demonstrieren.

Doch ich hatte noch ein As im Ärmel, von dem ich mir in letzter Not einen realistischen Ausweg versprach:

Einige Jahre zuvor hatte mein Großvater, der einmal Landtagsabgeordneter in Hannover war, einem befreundeten oder gut bekannten Politerkollegen dazu verholfen, einen bestimmten politischen Weg zu gehen. Dieser Weg führte dazu, dass er seinerzeit Bundestagsabgeordneter und dies sogar im Verteidigungsausschuss werden konnte!

Zu diesem älteren Herrn führte mein Weg nun mit dem Ergebnis, dass ich ihm meine Geschichte erzählen durfte!

Er meinte, dass dies für ihn kein großes Problem sei, und ich solle mich ab sofort als freier Mann fühlen.

Ich war überglücklich!

Doch siehe da, als die Bundeswehr schon aus meinem Kopf verschwunden war, bekam ich einen eingeschriebenen Brief. Wieder von der Bundeswehr – wieder mit einer Einberufung. Wieder einen Einberufungsbescheid!

Sofort ratterte es erneut in meinem Kopf und ich ging in Windeseile sämtliche Möglichkeiten nochmals durch. Es durfte doch nicht Wirklichkeit werden, zum Bund gehen zu müssen und dort meine wertvolle Zeit zu verplempern.

Ich sah mich vor meinem geistigen Auge schon in Uniform als jemand, der die merkwürdigen Rituale des Soldatentums bereits angenommen hatte. Ich kommunizierte ebenfalls im Schreiton - doch da wachte ich – dem Himmel sei Dank - aus meinem unangenehmen Träumen wieder auf.

Das war wohl zu heftig für meine Vorstellung. Ich und Soldat sein! Das passte ungefähr so zusammen wie Feuer und Wasser. Nein – diese Vision will ich aller schnellstens wieder vertreiben. Und was sollte meine Familie, insbesondere meine Tochter einmal von mir denken?

Sie könnten mich doch bei solchen Entgleisungen nie wieder Ernst nehmen – und ich mich selbst am wenigsten! 

Nein, nein, das durfte nicht sein. Dann sollte jetzt eben ein Kampf beginnen – und zwar mein ganz persönlicher gegen die Bundeswehr!

Einberufung, was nun?

Die Welt stürzte über mich zusammen. Ich rief diesen Menschen, den Bundestagsabgeordneten, an und wollte wissen, was denn schief gelaufen war!

Er entgegnete mir, dass er sich dies ebenfalls nicht erklären könne, aber er sagte mit einem Mal im ernsten Ton, dass er nichts mehr für mich tun und auch nichts mehr von mir hören wolle.

Da wusste ich, dass der „Bund“ mich auf Biegen und Brechen haben wollte. In meiner Blauäugigkeit dachte ich, zunächst einmal zu der "Einheit" zu gehen und dann vor Ort „Klartext“ zu sprechen!

Jahre danach habe ich erfahren, dass es später einen Menschen gab, der in der Lage war, professionell zu helfen und Tipps verkaufte, wie man erfolgreich den Wehrdienst umgehen konnte.

Sein Name ist Peter Zikkenrott und er ist in Waldshut zuhause. Wie „Focus-Online“ schon vor Jahren berichtete, war er ein professioneller Simulanten-Berater und er brachte die Bundeswehr bereits immerhin um 6.000 Mann! Er erstellte sogar ein Persönlichkeitsprofil seines Idealkunden:

Dieser hatte „rote Haare, ist Bettnässer, Vollwaise und tablettenabhängig“.

Es wurde auch im Fernsehen über ihn berichtet, mit dem Titel: „Bettnässer bevorzugt“.

Seine Berufung, oder sein Geschäft war es, so vielen jungen Männern wie möglich den Wehrdienst zu ersparen. Dieser, so Zickenrott, würde uns alle kaputt machen!

Er hatte in seinem selbstverfassten „Anti-Wehrdienst-Report“ auf sich aufmerksam gemacht. Die >Dienstunwilligen< erfahren u.a., wie sie bei Bundeswehrärzten den größtmöglichen Erfolg erzielen würden.

Abstehende Ohren, ein kleines Glied, oder auch Pickel würden oft schon als Vorwand für eine so genannte >Neuro-Nummer< bei der Musterung genügen. Sie jammern, wegen dieser >körperlichen Mängel<, seien sie bereits in ihrer >schrecklichen Schulzeit< gemeinen Hänseleien ausgesetzt, ja sogar in Selbstmordversuche getrieben worden.

Solchen „Geschädigten“ blieb der Wehrdienst zumeist erspart.

Natürlich hat Peter Zickenrott nicht nur Freunde.

Vaterlandsverräter, anarchistische Drecksau, und vieles mehr, schimpften anonyme Anrufer. Jedoch beunruhigte Zickenrott das nicht weiter.

Er selbst hatte sich seiner eigenen Einberufung ebenfalls erfolgreich entzogen. Auf den Geschmack gekommen, half er Freunden und machte es anschließend professionell.

Die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen hatte zwar gegen ihn ermittelt, das Verfahren jedoch wegen Aussichtslosigkeit nach drei Wochen wieder eingestellt.

Trotzdem bin ich heute froh, dass es mir damals anfangs nicht gelungen war, freigestellt zu werden. Ich hätte nämlich sonst niemals erfahren dürfen, dass es unter erwachsenen Menschen so etwas gibt, was ich dort erleben durfte.

So setzte ich mich in den Zug und fuhr mal eben zu meiner, etwa 30 km entfernten Einheit. Ich hatte nichts weiter bei mir, als einen kleinen Rucksack. Ich ging ja ohnehin davon aus, nachdem ich meine Angelegenheit erklärt habe, schnell wieder zu Haus’ zu sein.

Dort am Bahnhof angekommen, konnte ich schon einige Soldaten entdecken, wie sie die Koffer anderer Ankömmlinge auf Bundeswehr-LKW’s hievten und sie dort verstauten.

Es war ein frustrierender, Angst aufkommender Anblick, der bei mir so etwas wie Ekel und Abscheu aufkommen ließ! Außerdem wurden die Gehörorgane aufs Äußerste beleidigt, denn es musste jedes noch so unbedeutende Wort bei ihnen ’rausgeschrien werden! Wurde sich erdreistet, etwas in normaler Lautstärke zu sagen und nicht etwa zu schreien, dann zählte dies praktisch nicht und galt als Gepiepse von Schwächlingen und „Schläfern“, wie sie es immer abfällig nannten. Es musste daraufhin noch einmal im schreienden Ton wiederholt werden.

Zuerst habe ich noch gedacht, sie hätten sich gestoßen oder sonst wie verletzt, bis mir klar wurde, dass es ihre Art zu kommunizieren war und dies der übliche Ton in der Armee ist.

In meinem letzten Leben muss ich wohl im ersten oder zweiten Weltkrieg sehr unangenehme Bekanntschaft mit denen gemacht haben. Wahrscheinlich bin ich gefoltert oder erschossen worden. Mich überkommt jedes Mal ein stark beklemmendes Gefühl, sobald ich auch nur etwas Uniformiertes sehe und dieses bedrohliche Geschrei anhören muss!

Sie fuhren uns Neuankömmlinge mit ihren LKW's zur Einheit. Mir kam sofort die „Erinnerung“, als würde ich im zweiten Weltkrieg zur Exekution gebracht werden. Ich war augenblicklich in diesem Film und es entwickelte sich sofort Wut und Beklemmung bei mir. Doch es war nicht einfach, diese Vorstellung länger zu ertragen und ich bemühte mich nach allen Kräften, schnell wieder ins sicherer gewordene „Hier und Jetzt“ zu gelangen.

Dort angekommen mussten wir uns alle im Flur eines BW(Bundeswehr)-Gebäudes aufstellen.

Hier baute sich der Spieß vor uns auf, die sogenannte „Mutter der Kompanie“, ausgestattet mit irgendwelchen Listen in der Hand. Er sprang aufgeregt, wie ein angestochenes Huhn, hin- und her und gab ständig irgendwelche Erniedrigungen von sich, natürlich im Schrei-Ton! Er machte dabei ein ganz wichtiges Gesicht und kam sich wahrscheinlich wie der Verteidigungsminister höchstpersönlich vor.

Er gab uns Verhaltensmaßregeln, dass heißt er befahl uns diese. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass versucht wurde, bei uns den freien Willen auszuschalten!

Er redete von Befehl und Gehorsam, von unserem Auftrag und sprach zu guter Letzt noch eine Warnung oder Drohung aus, indem er schrie:

…und ich warne Sie, meine Herren, kommen Sie mir nicht mit irgendwelchen Spitzfindigkeiten.

Sofort stellte sich bei mir der Gedanke ein:

Dann mach’ dich mal auf einiges gefasst! Mit mir wirst du noch dein blaues Wunder erleben – du Blödmann.

Doch sogleich verwarf ich diesen Gedanken wieder, denn mir war die plötzliche Eingebung doch etwas zu krass. Und ich war nicht unbedingt scharf darauf, dass die Zukunft auch tatsächlich diesen Verlauf einnehmen würde.

Dieses primitive Gehabe, das der Spieß von sich gab, sollte sicherlich den Zweck haben, „uns“ einzuschüchtern und vielleicht auch noch bei uns Respekt hervorrufen.

Bei mir hat es jedenfalls alles andere als das bewirkt. Mir war es höchst unangenehm für ihn, ja peinlich, und ich musste mich fragen, wo ich denn bloß gelandet sei!

Dieses Niveau verabscheute ich zutiefst und mied bisher immer diese von Komplexen und nicht mit einem Mindestmaß an Selbstbewusstsein ausgestatteten Menschen.

Auf diese Weise ging es den ganzen Nachmittag weiter. Wir bekamen unsere Klamotten, sei es Schlafanzug, Unterwäsche, Strümpfe, Ausgehuniformen, Kampfanzüge, Schuhe, Stiefel usw. usw…., also alles, was ein Soldatendasein so erfordert!

Dann mussten wir alle unsere Wehrpässe abgeben. Entsprechend meiner Gesinnung, die nicht unbedingt Bundeswehr gemäßen Maßstäben entsprach, habe ich die komplette vordere Umschlagsseite meines Wehrpasses bemalt. Ich hatte hierfür recht schöne, verschnörkelte Motive gewählt, die das „ernste Dokument“ etwas auflockerten.

Als ich dann an die Reihe kam, meinen Pass abzugeben, hat der Spieß zunächst gestutzt als er auf ihn blickte. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, doch dann wurde ihm langsam klar, was hier geschehen war!

Hier wurde sich erdreistet, ihre „Bibel“, Blasphemie gleichkommend, zu verunstalten. Noch immer nicht seine Fassung wiedergefunden, schrie er:

Wissen Sie, dass dies ein amtliches Dokument ist? Wie kommen Sie dazu, dies einfach zu bemalen?

Da dieser komische Haufen für mich noch neu war, habe ich gedacht, es sei besser, auf „etwas dümmlich und unbedarft“ zu machen:

Es muss wohl in Gedanken passiert sein, aber ich habe auch nicht gewusst, dass Sie dieses Heftchen so sehr verehren.

Wie bitte? Sie nennen einen Wehrpass >Heftchen<? Wie ist Ihr Name?

Lange!

Das heißt Panzergrenadier Lange, schrie er, merken Sie sich das gefälligst.

Er wartete eine Weile und sah mich ununterbrochen an, als würde er jeden Moment zum Sprung auf mich ansetzen!

Um Schlimmeres zu verhindern, sagte ich schnell ja!

Gereizt fuhr er mich wieder an: Das heißt >Jawoll, Herr Hauptfeld<, ist das klar? Wie heißt das?

Jawoll Herr Hauptfeld, presste ich mir diese kindische Wiederholung heraus, auch auf die Gefahr hin, dass mir dieses Spiel doch langsam zu blöd’ wurde!

Ich hab’ es nicht verstanden, Sie Leisetreter, reden Sie lauter, Mensch! Wie heißt das? Er schien langsam ungemütlich zu werden.

Und ich hoffte vorher noch, mit diesen Herren vernünftig über meine Entlassung reden zu können. Aber das schien doch nicht so recht funktionieren zu können.

Ich schrie mir jetzt fast die Kehle aus dem Hals. Ich tat dies allerdings das erste und auch das letzte Mal:

Jawoll Herr Hauptfeld!