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Ein paar Wochen ihrer Mutter auf dem Eselhof aushelfen, nebenbei ihren Grafikdesing-Auftrag abschließen - und dann so schnell wie möglich zurück ins schicke München. Das ist Annas Plan, als ihre Mutter sie bittet, sie auf ihrem chaotischen, kleinen Hof zu unterstützen.
Natürlich kommt alles ganz anders: Auf dem Hof hat Anna alle Hände voll zu tun - vor allem mit dem störrischen Esel Don Quijote. Ständig büxt er aus, mit Vorliebe in den gepflegten Garten des benachbarten Nobelhotels. Als Anna ihn mal wieder genau dort abholen muss, trifft sie auf den Hotelbesitzer Nico, der sich zu ihrer Überraschung als äußerst attraktiv und charmant entpuppt.
Doch die Interessen des unkonventionellen Hofs und des luxuriösen Hotels könnten unterschiedlicher nicht sein. Und so muss Anna nicht nur für die Esel kämpfen, die ihr inzwischen ans Herz gewachsen sind, sondern auch gegen die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch immer stärker flattern.
Dies ist der erste Band der neuen Reihe von Angelina Bach über einen kunterbunten Hof in Bayern, liebenswerte Esel und eine große Liebe.
Das Lesevergnügen geht weiter:
Band 2: Geheimnisse auf dem kleinen Eselhof. Februar 2026
Band 3: Hochzeitsglocken über dem kleinen Eselhof. Juni 2026
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ein paar Wochen ihrer Mutter auf dem Eselhof aushelfen, nebenbei ihren Grafikdesing-Auftrag abschließen – und dann so schnell wie möglich zurück ins schicke München. Das ist Annas Plan, als ihre Mutter sie bittet, sie auf ihrem chaotischen, kleinen Hof zu unterstützen.
Natürlich kommt alles ganz anders: Auf dem Hof hat Anna alle Hände voll zu tun – vor allem mit dem störrischen Esel Don Quijote. Ständig büxt er aus, mit Vorliebe in den gepflegten Garten des benachbarten Nobelhotels. Als Anna ihn mal wieder genau dort abholen muss, trifft sie auf den Hotelbesitzer Nico, der sich zu ihrer Überraschung als äußerst attraktiv und charmant entpuppt.
Doch die Interessen des unkonventionellen Hofs und des luxuriösen Hotels könnten unterschiedlicher nicht sein. Und so muss Anna nicht nur für die Esel kämpfen, die ihr inzwischen ans Herz gewachsen sind, sondern auch gegen die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch immer stärker flattern.
A N G E L I N A B A C H
Sommer
auf dem kleinen
Eselhof
»Lass, ich mach das schon …« Mit diesen Worten erhob sich Anna seufzend von dem großen Eichenesstisch, an den sie sich soeben gesetzt hatte. Sie griff nach der Jeansjacke, die über der Stuhllehne hing.
»Hast du eine Idee, wo ich anfangen soll, zu suchen?«, fragte sie.
Ihre Mutter Monika, die mit der Gesamtsituation unglücklich wirkte, zuckte die Achseln. »Er kann überall sein.« Sie sah an sich herunter bis zu dem Bein, das sie auf einem der Stühle, von denen keiner zum anderen passte, hochgelegt hatte. Es steckte in einem unförmigen skischuhartigen Gipsverband.
Annas Blick folgte dem ihrer Mutter. Für die quirlige Fünfundfünzigjährige war die Unbeweglichkeit, zu der sie verdammt worden war, schwer zu ertragen.
Mit mehr Enthusiasmus als sie tatsächlich verspürte, versicherte Anna ihr: »Er kann ja nicht weit sein. Ich finde ihn schon.«
»Wenn er nur nicht wieder zum Hotel rüber gelaufen ist …«
Anna verließ das Haus, wobei sie instinktiv den Kopf einzog. Die Türrahmen des Bauernhauses waren eindeutig nicht für heutige Menschen gemacht. Alles an dem alten Haus war nach Annas Empfinden zu eng und irgendwie bedrückend. Genauso wie der riesige Holzküchenherd, der gleichzeitig die einzige Wärmequelle im Winter war. Ihre Mutter hingegen fand das gemütlich.
Draußen blähte ein scharfer Wind Annas Kleidung auf und riss an ihren Haaren. Sie knöpfte die Jeansjacke zu und stellte den Kragen auf. Das Letzte, worauf sie jetzt Lust hatte, war den dämlichen Esel zu suchen. Trotzdem blieb ihr nichts anderes übrig.
Seufzend stapfte sie am Stall vorbei über den Kiesweg, der zur Straße hinunterführte. Wo mochte das Tier wieder sein? Während die anderen Esel bereits mit entspannt hängenden Ohren über den Heuraufen standen, trieb dieser eine sich wieder einmal draußen herum.
Erste Regentropfen trafen Anna im Gesicht.
Auch das noch. Bis sie den Ausreißer gefunden hatte, würde sie tropfnass sein. Anna beschleunigte ihren Schritt und trabte den Feldweg hinauf Richtung Wald.
Esel mochten ebenso keinen Regen, das hatte sie inzwischen über sie gelernt. Weil ihr Fell nicht wasserabweisend war, wie das von Schafen oder Pferden zum Beispiel. Ihnen fehlten irgendwelche Drüsen dafür.
Der ansteigende Weg brachte Anna ins Schnaufen. Es regnete inzwischen kontinuierlich. Auf dem hellblauen Jeansstoff bildeten sich dunkelblaue Flecken.
Alles, was Anna über Esel wusste, hatte sie nicht freiwillig gelernt. Sie musste sich diese Dinge jedoch aneignen, wenn sie ihrer Mutter zur Hand gehen wollte. Monika hatte sich nämlich bei einer ähnlichen Suche nach dem sturen Eselhengst die Außenbänder am Knöchel gerissen. Sie hatte operiert werden müssen und von dem Arzt gesagt bekommen, dass sie für längere Zeit ausfallen würde. Sie konnte weder den Hof noch sich selbst versorgen. Aus diesem Grund hatte Anna ihre Zelte in München abgebrochen und war zu ihrer Mutter ins tiefste Niederbayern in den Bayerischen Wald gefahren. Als Grafikdesignerin konnte sie auch eine Weile vom Küchentisch aus arbeiten. Vorausgesetzt, die Internetverbindung war einigermaßen stabil.
Unter den Bäumen war Anna zumindest etwas vom Regen geschützt. Als sie den Waldrand erreichte, verlangsamte sie ihre Schritte. »Don Quijote!«, rief sie so laut sie konnte. »Don Quijote! Wo bist du?«
Sie hätte besser ein paar Möhrenstücke einstecken sollen, oder irgendetwas anderes, womit sie den Esel nach Hause locken hätte können, wenn sie ihn fand.
Es war immer Don Quijote, der Ärger machte. Die anderen Esel ließen sich auf ihre Weide und danach anstandslos wieder zurück in den Stall treiben. Man konnte sie mit ein paar Möhren- oder Apfelstücken anlocken und schon ließen sie sich brav von Anna am Strick führen. Nur Don Quijote nicht. Don Quijote war auch der einzige unkastrierte Hengst in Monikas Herde und musste eigentlich von den Stuten getrennt gehalten werden. Auch das ignorierte er beizeiten, weshalb die Herde bereits ungeplant angewachsen war.
Anna durchquerte das kleine Waldstück, ohne auch nur die Spur eines Esels zu entdecken. Dahinter erstreckten sich Wiesen, die zu dem großen Hotelkomplex hin abfielen. Schon als sie mit ihrem Motorrad angekommen war, war Anna das moderne Gebäude ins Auge gestochen. Es dominierte die Senke, in der es lag, mit den Giebeln seines dreiseitigen Hauptgebäudes. Daneben gruppierten sich Anbauten und moderne Gebäudeteile mit begrünter Dachterrasse.
Von der Seite, von der Anna sich dem Hotelkomplex näherte, fiel dem Betrachter als Erstes der großzügige Parkplatz ins Auge. Eine Reihe teurer SUVs parkte vor dem Haupteingang. Die Fahrzeuge, mit denen die Gäste angereist kamen, ließen bereits Rückschlüsse darüber zu, welche Klientel hier abstieg.
Anna seufzte und lief über den Parkplatz. Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, dass sie patschnass nach Hause zurückkommen würde.
Viele Fenster des fünfstöckigen Gebäudes waren hell erleuchtet. Das Hotel kam ihr in dem Moment einladender vor als das alte Bauernhaus, das ihre Mutter bewohnte und das in einigen Pensionszimmern immer wieder Gäste beherbergte. Doch jetzt war nicht der richtige Augenblick, um das Luxushotel zu erkunden. Der abgängige Esel musste gefunden werden!
Früher oder später würde sie ohnehin dem Besitzer des Hotels zwangsweise über den Weg laufen, denn Anna wusste, dass ihre Mutter mit der Familie überkreuz lag. Unter anderem, weil Don Quijote sich gern den Hotelgarten und die Liegewiese als Ziel seiner Ausflüge aussuchte, was natürlich negativ auffiel.
In einem großen Bogen umrundete Anna die Gebäude und erreichte die Gartenseite der Anlage. Mehrere Pools und ein großer Schwimmteich lagen zwischen sorgfältig angelegten, gepflasterten Wegen – unterbrochen von Rasenstücken, die so weich und gleichmäßig aussahen, dass Anna versucht war, sich zu bücken, um festzustellen, ob es sich um echtes Gras handelte. Verstreut standen Liegen und Sitzplätze darauf – muschelförmige Sonnenbetten und großzügige Inseln, die auf einladenden Kissen für zwei Personen locker Platz boten. Im Augenblick glänzte alles nass und die Wasseroberfläche der Pools kräuselte sich von den darauf einschlagenden Regentropfen.
Weit und breit war kein Esel in Sicht.
Genervt stapfte Anna um den Schwimmteich herum. Es war alles ausgeklügelt angelegt worden. Sicherlich hatte hierauf ein ganzes Heer von Landschaftsgärtnern ihr Hirnschmalz verwendet.
Anna hatte nicht nur einen Blick für Formen und Gestaltung, sondern auch einen Sinn dafür. Immerhin verdiente sie als Grafikdesignerin ihr Geld damit, wenngleich sie ihre Entwürfe nur zweidimensional ausarbeitete und nicht in der Tiefe, wie es hier der Fall war.
Sie warf einen Blick zurück zum Hotelgebäude, das auch auf dieser Seite aus dem alten Haupthaus und deutlich moderneren Anbauten bestand. Die verschiedenen Bauabschnitte fügten sich harmonisch zu einem Ganzen zusammen. Die Architekten hatten hier ebenso gute Arbeit geleistet. Sehr geschmackvoll.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Erschrocken fuhr Anna herum. Sie hatte niemanden kommen hören. Im beständig plätschernden Regen hatte sie sich auf der Anlage allein gewähnt. Vor ihr stand jedoch ein junger Mann, dem der Regen das etwas längere Haupthaar an den Kopf geklatscht hatte. Sein vormals weißes Hemd war von der Nässe komplett durchweicht und klebte ihm wie nach einem Wet-Shirt-Contest am Oberkörper.
Anna registrierte nur am Rande, dass die darunter erahnbaren Muskeln sich durchaus sehen lassen konnten. Dann erst sah sie, dass der Mann nicht allein war. Er hatte die Hand in die Mähne des gesuchten Esels gekrallt. Don Quijote verstand die Aufregung, die er verursacht hatte, wie gewohnt nicht. Er blickte Anna aus großen treuen Augen an und senkte dann die Nase, um an den gleichmäßig gestutzten Grashalmen zu rupfen.
»Da bist du ja, du dummes Tier!«, entfuhr es Anna, bevor sie auf die Frage des jungen Mannes eingehen konnte.
Er sah zwischen dem Ausbrecher und ihr hin und her. »Gehören Sie zu dem Esel?«
Anna straffte den Rücken. »Nein. Also ja. In gewisser Weise schon.«
Er ließ die Mähne los und trat einen Schritt zurück. Anklagend sagte er: »Dann nehmen Sie das Vieh und sorgen Sie endlich dafür, dass es uns hier nicht mehr belästigt!«
Es war Anna zuwider, dass sie sich für den Ausreißer entschuldigen musste; eigentlich war sie derselben Ansicht. Es durfte nicht sein, dass der Esel ständig Reißaus nahm und die Leute gegen sich aufbrachte.
»Ich weiß, es tut mir leid«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Es muss doch wohl möglich sein, dass Sie den Esel so einsperren, dass er dortbleibt.« Er hatte offenbar nicht vor, sie so einfach davonkommen zu lassen.
»Es tut mir leid«, wiederholte Anna. In ihr stieg Ablehnung gegen den unbekannten Mann auf. Dann kam ihr erst der Gedanke, dass sie Halfter und Führstrick mitnehmen hätte sollen. Wie hatte sie sich sonst vorgestellt, dass sie Don Quijote durch das Waldstück zurück nach Hause bringen wollte?
Dem Unbekannten schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen, während sie alle drei im strömenden Regen standen. »Kommen Sie mit, ich gebe Ihnen ein Seil.«
Anna blieb nichts anderes übrig, als hinter ihm herzugehen. Wie er zuvor packte sie Don Quijote bei der Mähne und knurrte: »Hör auf zu fressen, du Untier! Komm mit.«
Don Quijote hob tatsächlich den Kopf und bewegte sich träge neben ihr her. Dass Esel keinen Regen mochten, schien er vergessen zu haben. Aus seinem grauen Fell troff das Wasser.
Sie gingen den gepflasterten Weg um den Schwimmteich herum und seitlich an den Anbauten vorbei. Nach einigen Schritten erreichten sie ein mit dem Schriftzug Privat gekennzeichnetes Tor. Der Mann öffnete es selbstverständlich und Anna sowie der Esel betraten den dahinterliegenden kleinen Innenhof. Zumindest standen sie jetzt unter dem Dachüberstand des Hauses halbwegs im Trockenen.
Hier befand sich neben den Mülltonnen für den Abfall des Hotelbetriebes auch der Zugang zu den Lagerräumen. Aus einem davon holte der Unbekannte ein langes Seil und reichte es Anna.
Diese stand skeptisch vor Don Quijote. Wie sollte sie das Seil am besten um den Esel binden, damit sie ihn führen konnte?
»Sie scheinen nicht allzu vertraut mit der Eselbetreuung zu sein«, stellte er milde amüsiert fest.
»Nein.«
»Ich habe mich überhaupt nicht vorgestellt«, fiel ihm auf. »Mein Name ist Nico, ich bin der Hotelchef.« Er streckte ihr die Hand entgegen.
»Anna«, sagte sie und schüttelte sie. Für einen Hotelchef kam er ihr reichlich jung vor. Er konnte höchstens ein paar Jahre älter sein als sie.
»Anna und wie weiter?«, wollte er wissen.
Sie zog die Augenbrauen zusammen. Sie hasste es, auf ihren vollen Namen angesprochen zu werden. Ihre exzentrische Mutter hatte ihr den klangvollen Doppelnamen Anaïs-Carleen verpasst. Anaïs bedeutete die Begnadete und Carleen die Unabhängige. Das mochte zwar alles nett gemeint gewesen sein, doch im täglichen Leben empfand Anna den Namen als zu sperrig und zu verrückt, als dass sie sich damit vorstellen hätte wollen. Irgendwann war sie dazu übergegangen, Anaïs in Anna abzuwandeln.
Außerdem sah sie ihrem Empfinden nach nicht aus wie eine Anaïs-Carleen. Dazu hätte es eine ins Olivbraune tendierende Haut gebraucht, mandelförmige Augen und dunkles, volles Haar. Sie aber war zu blass, hatte europäisch ovale Augen mit einer grün-blauen Iris und ihr Haar wollte sich nicht richtig zwischen blond und braun festlegen lassen. Keine exotische Schönheit also, der man einen so ungebräuchlichen Namen zugetraut hätte.
Sie hatte mit ihrer Antwort wohl zu lange gezögert. Nico fragte weiter: »Wohnen Sie drüben auf dem Hof bei Monika?«
Ihre Mutter war hier bekannt und aufgrund der Eskapaden des vorwitzigen Esels nicht unbedingt eine positive Referenz.
Anna nickte vage.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Er nahm ihr den Strick wieder aus der Hand und wickelte daraus ein notdürftiges Halfter um Don Quijotes Kopf. Es blieb noch genügend Strick übrig, um ihn daran zu führen.
»Sie machen das offenbar nicht zum ersten Mal«, stellte Anna fest.
»Es kommt immer wieder vor, dass der Esel sich zu uns herüber verirrt«, sagte Nico und es klang nicht mehr ganz so vorwurfsvoll. Er schien inzwischen verstanden zu haben, dass sie nicht direkt für den Esel verantwortlich war.
Kurz darauf betrachtete er sie eingehend von oben bis unten. Anna fand den Blick unverschämt. »Sie sind ja nass bis auf die Haut.«
»Sie auch«, erwiderte Anna schnippisch.
»Ja, aber ich wohne hier. Wollen Sie nicht mit hereinkommen? Eine Tasse Tee zum Aufwärmen?«
Gegen eine Tasse Tee hätte Anna nichts einzuwenden gehabt, doch sie warf einen Blick auf den Esel. »Und er bleibt hier?«
Nico musterte Don Quijote, als habe er ganz vergessen, dass er auch hier war.
»Ein anderes Mal gern«, sagte Anna daher und nahm den Strick des Esels aus Nicos Fingern. Sie verspürte keinerlei Lust darauf, jetzt wieder durch den Regen zu stapfen.
Nico hielt ihr das Tor auf. Don Quijote schien ebenso kein Bedürfnis danach zu haben. Anna musste gehörig an dem provisorischen Halfter zerren, damit das Tier sich in Bewegung setzte.
»Tschüss«, sagte sie unter Anstrengung.
»Wahrscheinlich bis bald«, erwiderte Nico mit Blick auf den Esel.
Dann führte Anna den Ausreißer über den Parkplatz zum Waldsaum hinüber, um möglichst schnell der unangenehmen Situation zu entkommen.
Der Tag auf dem Hof ihrer Mutter begann für Anna früher als in München. Der Wecker klingelte kurz nach Sonnenaufgang. Sie streckte sich in dem altertümlichen Bett, das eher einem gezimmerten Kasten ähnelte als einer Liegestatt. Noch darin sitzend zog sie die karierten Vorhänge an einem der kleinen Sprossenfenster auf.
Endlich hatte es aufgehört zu regnen.
Sie überblickte einen Teil der Weiden von ihrem einstweiligen Zimmer aus. Noch lagen sie verwaist da. Gleich nach dem ersten schnellen Kaffee würde Anna die Esel dort hinauslassen. Alle – bis auf diesen ewigen Ausreißer.
Inzwischen konnte Anna die Tiere sogar schon unterscheiden: Polly, Dixie, Tinkerbell, Lucie, Anton, Blondie, Rosie, Reserl und Traudl.
Und Don Quijote.
Anton war ein Pony-Muli und kastriert, alle anderen waren weiblich. Deshalb musste Don Quijote separiert werden.
Anna schwang die Beine aus dem Bett und tapste über die Holzdielen hinüber in das kleine Badezimmer. Sie bewohnte eines der Gästezimmer, das ihre Mutter normalerweise vermietete. Es barg einen brachialen Charme mit seinen alten, bemalten Holzmöbeln, dem Holzboden und den kitschigen Bildern an den Wänden. Den Geschmack von Anna traf es nicht. Ihre Wohnung in München war schlicht und geradlinig eingerichtet. Sie hielt es mit dem Bauhaus-Leitsatz Form follows function – die Dinge hatten in erster Linie praktisch zu sein. Außerdem hatte sie erst kürzlich das Buch der Aufräum-Queen Marie Kondo gelesen, die dafür plädierte, dass man nicht mehr als hundert Dinge besitzen sollte.
Wenn es nach Monika ginge, befanden sich diese hundert Dinge allein schon in der linken Küchenschublade. Es war unglaublich, was sie in ihrem Häuschen alles hortete.
Anna putzte sich die Zähne und kämmte ihre langen Haare zu einem strengen Dutt nach hinten. Auf Make-up verzichtete sie, davon würde nach der Stallarbeit sowieso nichts mehr übrig sein. Von den Klamotten, die sie in ihrem hastig gepackten Reisegepäck aus München mitgebracht hatte, trug sie hier so gut wie nichts. Es war nichts Passendes für den Stall und Hof darunter, also hatte sie sich von ihrer Mutter einige Sachen ausleihen müssen. In ihrem bisherigen Leben waren Mist und Dung keine einzukalkulierenden Unwägbarkeiten gewesen.
Anna besaß ein paar Jeans, aber im Berufsalltag trug sie eher Anzughosen, Bleistiftröcke und im Sommer das eine oder andere Kleid. Zum Glück hatten Mutter und Tochter eine relativ ähnliche Statur.
Sie knöpfte gerade ein altes Herrenhemd über einem Spaghettiträger-Oberteil zu und schlüpfte in eine alte Jeans. Dann lief sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, wobei sie jeweils zwei Stufen auf einmal nahm und am Ende drei übersprang.
Als sie die Wohnküche betrat, brannte bereits Feuer im Herd. Monika stand, auf ihre Krücken gestützt, an der Küchenzeile und säbelte mit einem großen Messer Brotscheiben vom Laib.
»Lass dir doch helfen«, schalt Anna sie und fragte sich gleichzeitig, wie oft sie diesen Satz in den letzten Tagen schon gesagt hatte.
»Irgendetwas muss ich doch auch tun«, erwiderte ihre Mutter frustriert. Dieser Satz war ebenso bereits mehrfach gefallen.
Anna nahm Butter und selbstgemachte Marmelade aus dem Kühlschrank und stellte alles auf den großen Esstisch. Die Brotscheiben hatte Monika in ein Körbchen gelegt. Auf den Krücken konnte sie es jedoch nicht mitnehmen, deshalb humpelte sie ohne zum Tisch.
Anna holte das Brot und trug es ihr hinterher. Dann füllte sie heißes Wasser aus dem Flötentopf in den Kaffeebereiter. Monika hatte das Kaffeepulver bereits hineingelöffelt. Anna brachte nur noch die Kanne mit dem Sud zum Frühstückstisch.
Zu Hause hatte sie einen Vollautomaten. Sie musste nur auf das Knöpfchen drücken, dann begann die Maschine zu mahlen und zu brühen – schwupps-di-wupps war der Cappuccino, Latte Macchiato oder Espresso genussfertig.
Während das Pulver im Kaffeebereiter noch zog, schnappte sich Anna eine Scheibe Vollkornbrot und bestrich sie dünn mit Butter. Hier aß sie mehr als zu Hause. Hoffentlich würde sich das nicht bald unangenehm am Hosenbund bemerkbar machen. Andererseits bewegte sie sich auf Monikas Hof unweigerlich mehr als in ihrem Büroalltag. Das Work-out konnte sie sich also wahrscheinlich getrost sparen.
»Hast du gut geschlafen?«, fragte ihre Mutter über den Frühstücktisch hinweg.
»Was?« Anna bemerkte, dass sie in Gedanken versunken gewesen war. »Ach so. Ja, danke. Ich muss mich nur an das Bett gewöhnen.«
»Du hast das Zimmer mit dem bequemsten Bett«, versicherte Monika. »Da hat schon der Kini drin genächtigt.«
Anna bestrich ihr Brot mit Erdbeermarmelade aus Monikas eigener Produktion. »Das glaube ich jetzt nicht.«
»Ja, nicht in diesem speziell. Aber solch ein Bett hatte König Ludwig in seinem Jagdhaus am Schachen. Weil er die Einfachheit schätzte.« Monika grinste breit. Neben einer Reihe von Lachfältchen zeigten sich auch zwei Grübchen in ihren Wangen.
»Von mir aus. Was steht heute alles an?« Anna musste die Arbeiten, die am Hof anfielen und die sie für ihre Mutter übernahm, mit ihren eigenen Aufgaben in Einklang bringen. Sie hatte sich nicht freigenommen, sondern arbeitete mobil, solange Monika ihre Hilfe brauchte.
»Zwei Gästezimmer müssten hergerichtet werden. Da kommen zwei Paare, die schon öfter bei mir waren. Sie sind nicht sehr anspruchsvoll«, schob sie gleich hinterher.
Anna nickte und ergänzte die Zimmervorbereitungen auf ihrer geistigen To-do-Liste.
»Wie geht es Dixie? Hast du schon nach ihr gesehen?«, wollte Monika wissen.
»Nein«, erwiderte Anna irritiert. »Ich bin gerade erst aufgestanden, wie kann ich da schon im Stall gewesen sein?«
Monika seufzte und hievte ihren geschienten, überdimensionalen Schuh auf einen Stuhl. Sie ließ ihre Zehen spielen, die vorne herauslugten. »So eine Eselgeburt ist eigentlich kein Hexenwerk. Das kriegt Mutter Natur schon hin. Aber für Dixie ist es das erste Mal, da schau ich immer gern doppelt nach ihr.«
Schwang da ein Hauch von Vorwurf mit? Hätte Anna da selbst draufkommen müssen?
Jetzt schnaubte sie. »Ich tue mein Bestes, Mama«, versicherte sie.
»Das weiß ich doch«, beeilte Monika sich zu erwidern. »Wenn dieser blöde Gips bloß nicht wäre …«
»Du sollst dich schonen. Deshalb der Gips. Dein Arzt weiß genau, dass du niemals stillhalten würdest, wenn er dir eine Chance gelassen hätte, zu laufen. Es kommt schon alles in Ordnung.«
Monika nickte wenig überzeugt.
»Das Hotel drüben …« Anna überlegte, wie sie die Sprache auf den jungen Mann bringen konnte, ohne sich vor ihrer Mutter gleich verdächtig zu machen. »Wem gehört das?«
»Der Erlenhof? Das ist kein Hotel, meine Liebe. Das ist ein Wellness-Resort und Spa!« Monika sprach die Worte aus, als gehörten sie zu einer seltsamen, unbekannten Sprache. Sie sagte Rässort und Schpa. »Seit der Junge das von seinen Eltern übernommen hat, weht ein anderer Wind, das sag ich dir.«
»Also kennst du die Betreiber?«
Monika stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Kennen wäre zu viel gesagt.«
»Was hast du gegen die Leute?« Anna drückte den Einsatz im Kaffeebereiter nach unten, damit der Kaffeesatz sich am Boden der Kanne sammelte. Dann goss sie sich und ihrer Mutter jeweils eine Tasse ein. In ihre kippte sie anschließend noch einen Schuss Milch.
»Nichts. Aber sie haben etwas gegen mich. Weil mein Way of Life nicht zu ihrem passt.« Monika streckte die Nase in die Luft und schüttelte ihre halblangen lockigen Haare nach hinten.
»Inwiefern?« Anna nippte an ihrem Getränk. Sie musste sich verkneifen, die Nase kraus zu ziehen. Der Kaffee schmeckte ihr auf diese Zubereitungsart einfach nicht.
Na, Hauptsache er macht wach.
»Kannst du glauben, dass dieser Schnösel von einem Sohn gesagt hat, mein Hof hier sei ein Schandfleck?«, empörte sich Monika.
Anna versteckte ihr Gesicht rasch wieder hinter der Kaffeetasse und tat so, als tränke sie einen großen Schluck, um zu verbergen, dass sie das für eine durchaus legitime Sichtweise hielt.
Mit Sicherheit mühte ihre Mutter sich redlich, aber der Hof war heruntergekommen. Und sie hatte weder das Händchen noch die Mittel, um ihn instand zu setzen. Es störte sie vermutlich nicht allzu sehr. Monika war eine Lebenskünstlerin. Schon immer gewesen. Sie machte sich nichts aus dem äußeren Schein. Der interessierte sie wenig, weder bei sich noch ihrer Umgebung.
Das Hotel hingegen, so viel hatte Anna bei ihrem kurzen Besuch am Vortag bei der Suche nach Don Quijote gesehen, war mit viel Fachwissen und auch sicherlich einer Menge Geld renoviert und erweitert worden.
»Das Bürschchen ist gerade einmal dreißig und hat in seinem Leben nichts geleistet, außer in die richtige Familie hineingeboren worden zu sein. Und dann will es mir ernsthaft erzählen, wie die Welt funktioniert?«
Anna bezweifelte, dass Nico zum Erfolg des Hotels nichts beigetragen hatte, aber das behielt sie für sich. Mit ihrer Mutter zu diskutieren, hatte ohnehin meist wenig Sinn. Wenn sie sich erst einmal eine Meinung gebildet hatte, ließ sie sich nur ungern durch Fakten oder Argumente davon abbringen.
»Besser, du hältst dich von diesem Luxusbunker fern«, schob Monika nach.
»Gern, sofern dein Esel dasselbe tut«, erwiderte Anna nüchtern. Ihr stand nicht der Sinn danach, dort zu Kreuze zu kriechen, weil das vierbeinige Trampeltier sich wieder auf Wanderschaft begeben hatte. Auch wenn sie bezweifelte, dass dieser Nico und seine Familie tatsächlich so kategorisch verachtenswert waren, wie ihre Mutter sie darstellte.
Anna leerte ihre Tasse und wollte gerade aufstehen, als Monika unvermittelt fragte: »Hast du eigentlich in letzter Zeit von deiner Schwester gehört?«
Die Kaffeetasse landete etwas unsanft wieder auf dem Tisch. »Halbschwester«, verbesserte sie automatisch. »Und nein, ich habe nichts von Leonie gehört.«
Ihre Mutter spielte am Henkel ihrer Tasse. »Ich mache mir Sorgen um sie.«
Anna verdrehte die Augen. »Ehrlich, Mama, wann hast du dir mal keine Sorgen um Leonie gemacht? Ich wünschte manchmal, du hättest dich nur halb so viel um mich gesorgt, wie um sie.«
»Um dich musste ich mir nie Sorgen machen, Liebes. Du warst immer so zielstrebig und fokussiert. Ganz anders als ich. Oder deine Schwester.«
Wie zur Bestätigung warf Anna einen Blick auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu checken. Wenn sie pünktlich zur Besprechung am Laptop sitzen wollte, musste sie in die Gänge kommen.
»Sie wird ihren Weg schon finden«, sagte sie leichthin. »Sie ist ja kein kleines Kind mehr.«
Monika nickte wenig überzeugt und hievte dann ihr Gipsbein vom Stuhl. Während sie ihre Krücken sortierte, begann Anna damit, den Tisch abzuräumen. Danach stand sie an der Spüle und hielt den Finger unter das laufende Wasser, bis es warm wurde.
Monika humpelte zu ihr. »Vergiss es, der Boiler spinnt schon wieder.« Sie nahm – auf einem Bein stehend – ihrer Tochter die leere Tasse aus der Hand und stellte sie zu einer Reihe anderer gebrauchter Geschirrteile auf die Anrichte.
»Ich wollte nach der Stallarbeit eigentlich duschen«, brummte Anna frustriert.
Ihre Mutter zuckte die Achseln. »Bist doch sowieso online im Büro. Sieht dich doch keiner.«
Anna stieß ein desillusioniertes Schnauben aus und verließ die Küche gen Stall. Inzwischen war sie mit den täglichen Verrichtungen schon einigermaßen vertraut. Sie begann damit, das Futter für die älteren Tiere einzuweichen. Weil die Zähne bei Traudl und Reserl schon so schlecht waren, bekamen sie Mash zu fressen. Das fertig gemischte Trockenfutter kam zum Einweichen in große Eimer. Es bestand aus Hafer, Weizen, Sojaschalen und Sonnenblumenkernmehl. Leinsamen und Minze waren zugesetzt.
Anna übergoss die gepressten Pellets mit Wasser und stellte die beiden Eimer zur Seite. Dann ging sie über den Hof zum Hühnerhaus. Sie öffnete von außen die Auslaufklappe und entließ das gackernde, flatternde Federvieh in die Freiheit. Dann schnappte sie sich den Korb und ging ins Innere des Hühnerstalls, um die frischen Eier einzusammeln. Anschließend befüllte sie die Legenester mit neuer Einstreu und schaufelte vom Legekorn etwas aus dem großen Plastikbehälter in einen kleinen Eimer. Dessen Inhalt verstreute sie danach im Hof, wo sich die Hühner sofort gierig darauf stürzten. Sie schubsten und pickten sich dabei gegenseitig, um den besten Platz zu ergattern. Anna sah ihnen ein bisschen zu, wie sie miteinander rangelten. Dann packte sie den Korb mit den Eiern und brachte ihn ins Haus.
Als Nächstes ging es ans Misten. Mit einer Schubkarre und Schaufel bewaffnet kehrte Anna zum Eselstall zurück. Zuerst nahm sie sich die großen Boxen vor, in denen die Esel zusammen oder einzeln untergebracht waren. Don Quijote und Dixie, die Eselin, die jeden Moment fohlen konnte, standen beide allein. Alle anderen Esel tummelten sich in der großen Box gemeinsam zu Anna nach vorne.
Don Quijote trat ungeduldig mit den Vorderhufen gegen die Trennwand. Er wollte nach draußen. Eingesperrt zu sein, war überhaupt nicht sein Ding.
Als Anna den Stall fertig hatte und die Heuraufen mit frischem Heu befüllt waren, trat sie zu Don Quijote in die Box. Der Esel beschnupperte neugierig ihre Hosentaschen, ob sie vielleicht Leckerli für ihn dabeihatte. Anna hatte bereits gelernt, dass der freche Esel kooperativer war, wenn er ein paar Leckerbissen bekam. Deshalb förderte sie Karottenstücke zutage und hielt ihm diese unter die Nase. Es kitzelte, als er mit seinen weichen Nüstern die Gemüsehappen aufnahm. Anna kraulte ihm inzwischen mit der freien Hand die Ohren.
»Na, dann wollen wir mal«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem Esel. Sie hatte ein Halfter und einen Führstrick um den Arm gelegt. Don Quijote ließ sich das Halfter bereitwillig anlegen und folgte ihr aus der Box. Doch bereits hinter der Stalltür zeigte sich wieder die sprichwörtliche Starrsinnigkeit des Esels. Anna wollte Richtung Weide gehen, Don Quijote hatte allerdings in der anderen Richtung ein Grasbüschel entdeckt und zog zu diesem.
Der Hof war irgendwann einmal mit großen, quadratischen Waschbetonplatten gepflastert gewesen. Inzwischen fehlten einzelne Platten oder sie waren zerbrochen. Aus den Ritzen wuchs Gras und anderes Unkraut. Die Löcher waren notdürftig mit Kies gefüllt worden. Trotzdem kam es einem Balanceakt über ein Minenfeld gleich, wenn man den Hof überqueren wollte.
»Du musst fokussiert bleiben und darfst keine Zweifel zeigen, sonst hast du schon verloren«, hatte Monika ihr vor Kurzem über Don Quijote gesagt.
Anna war sich sicher, dass sie keinen Moment lang gezweifelt hatte, ob sie zur Weide gehen wollte oder nicht. Aber das interessierte Don Quijote kein bisschen. Er zog vehement zu dem Grasbüschel und versenkte seine Nase darin. Anna hatte dem Zweihundert-Kilo-Tier nichts entgegenzusetzen. Sie zerrte an dem Strick mit dem Ergebnis, dass sie auf dem unwegsamen Untergrund abglitt und auf dem Hosenboden landete.
»Sei bestimmt und gib klare Kommandos«, hörte sie die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf widerhallen.
Anna rappelte sich auf, packte Don Quijotes Halfter und sagte mit Nachdruck: »Nein, jetzt nicht. Wir gehen auf die Weide!«
Widerwillig hob der Esel den Kopf und sah sie – wie sie fand – amüsiert aus großen braunen Augen an. Dann machte er zwei Schritte, nur um dort das nächste Grasbüschel abzurupfen.
»Willst du mich eigentlich verarschen?« Anna zerrte wieder an dem Strick. Endlich ließ Don Quijote sich erweichen und folgte ihr zur Koppel. Sie schob ihn hinter das Gatter und schloss es. Erst dann nahm sie ihm Halfter und Strick ab.
Der Esel trottete ein Stück über die Wiese und senkte dann erneut den Kopf, um zu fressen. Anna lehnte sich währenddessen gegen das Gatter und atmete tief durch.
Damit war ihre Arbeit für den Morgen jedoch noch längst nicht getan. Don Quijote bewohnte nicht nur ein eigenes Stallabteil, sondern hatte auch seine eigene Weide, die von der der übrigen Esel durch einen doppelten Zaun abgetrennt war. Nur so war der Hengst davon abzuhalten, sich zu den Stuten hinüberzustehlen.
Anna spannte einen mobilen Zaun auf, um den Tieren den Weg auf die Koppel zu weisen. Dann öffnete sie die große Box und scheuchte die Esel in den Korridor, den sie quer über den Hof abgesteckt hatte. Sie trotteten mehr oder weniger folgsam die bekannte Wegstrecke auf ihre angestammte Weide entlang. Anna musste nur hinterhergehen und ab und an das eine oder andere Tier anstupsen, damit es weiterging.
Nachdem sie alle Esel auf die Koppel gebracht hatte, hängte sie ihnen noch Heunetze auf. Durch diese mussten sich die Esel zwar etwas abmühen, um an das Heu zu kommen, doch das hatte gleich zwei Vorteile, wie Anna inzwischen wusste: Einerseits fraßen sie auf diese Weise weniger schnell, was der Verdauung der empfindlichen Tiere entgegenkam, zum anderen hielt es die Esel beschäftigt, da sie sonst schnell auf dumme Ideen kamen, wenn sie sich langweilten.
Alle Esel bis auf die hochträchtige Dixie waren draußen, also konnte sich Anna nun ungestört dem Ausmisten widmen. Inzwischen war sie verschwitzt wie nach einem Kardio-Workout. Das Fitness-Center konnte man sich hier getrost sparen.
Anfangs war es ihr schwergefallen, die Hinterlassenschaften auf die Schaufel zu kriegen und dann in die Schubkarre zu hieven. Sie ekelte sich vor den Häuflein Pferde-, nein: Eseläpfel und dem urindurchtränkten Streu. Aber es half nichts. Die Boxen und die Weiden mussten sauber gehalten werden.
Anna krempelte die Ärmel hoch und machte sich daran, den Mist aus den Boxen zu holen. Als sie fertig war, warf sie einen Blick auf ihre Handyuhr. Jetzt musste sie sich sputen, damit sie pünktlich zu ihrem ersten Meeting vor dem Rechner saß.
Sie packte die Griffe der Schubkarre und balancierte das volle Gefährt auf den Hof hinaus. Anna hatte allerdings vergessen, den mobilen Weidezaun wieder abzubauen. Mit einer Hand nestelte sie an der Aufhängung herum, während sie mit der anderen die Schubkarre stabilisierte. Die Schaufel, die sie obenauf gelegt hatte, geriet ins Rutschen. Anna versuchte dagegenzuhalten, dabei glitt ihr jedoch die Aufhängung des Zauns aus der Hand. Das Ende schlug zurück und traf sie im Gesicht. Dadurch verlor sie endgültig das Gleichgewicht. Unbeholfen taumelte sie gegen die Schubkarre, die Schaufel landete auf dem Boden und Anna stürzte mitsamt des Inhalts der Karre kopfüber.
»Scheiße!«, brüllte sie noch im Fallen. Mist und Streu hatten den Boden so rutschig gemacht, dass sie sich nicht einmal mit den Händen abfangen konnte. Mit dem Gesicht voran tauchte sie in die Eselkacke.
Alles war voller Mist. Ihre Hose, das alte Hemd, ihre Hände, das Gesicht, sogar in den Haaren hing ihr die benutzte Einstreu. Angewidert wischte sich Anna mit dem Handrücken über Mund und Nase, womit sie die Misere wahrscheinlich eher noch schlimmer machte.
»So eine Scheiße!«, schimpfte sie erneut.
Bei dem Versuch, aufzustehen, glitt sie wieder aus und plumpste zurück auf den Hintern, wo sie einfach sitzen blieb.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Tränen der Frustration traten ihr in die Augen. Jetzt musste sie alles wieder einsammeln, außerdem ausgiebig duschen und ihre Haare waschen. Dabei fiel ihr der kaputte Boiler wieder ein. Sie würde sich also mit kaltem Wasser duschen müssen. Und die Zeit bis zu ihrem ersten Termin wurde immer enger.
Fluchend rappelte sich Anna auf, packte mit ihren schmutzigen Händen den Stiel der Schaufel und begann damit, alles zum zweiten Mal in die Schubkarre zu schaufeln. Als sie den Inhalt der Karre endlich auf der Misthalde ausgekippt hatte, blieben ihr noch genau fünfzehn Minuten, bis sie gewaschen und vorbereitet in ihrem Online-Meeting sitzen sollte.
Mobiles Arbeiten klang immer besser als es in Wahrheit war. Ihr Arbeitsvertrag im Grafikdesign-Büro sah vor, dass sie jederzeit ins Homeoffice oder sonst wohin wechseln konnte, wenn ihre Aufgaben keine Präsenz erforderten. Viele ihrer Kollegen und Kolleginnen nahmen reichlich davon Gebrauch, arbeiteten mobil vom Café aus oder mit den Füßen im Gardasee. Sie hingegen konnte jetzt zusehen, wie sie mit kaltem Wasser den Stallgeruch und die Eselkacke abbekam, bevor sie sich an Monikas Küchentisch setzte und loslegte.
Immer noch vor sich hin schimpfend kehrte sie ins Haus zurück und schälte sich im Flur aus den Stallklamotten, die sie im hinter der Küche gelegenen Haushaltsraum in die Waschmaschine stopfte.
Nein, sie gab sich keiner Illusion hin – ihre Kleidung würde spätestens heute Nachmittag wieder ähnlich schmutzig und stinkig sein, trotzdem weigerte sie sich, dieselbe Jeans und dasselbe Oberteil noch einmal anzuziehen. Es war einfach zu eklig.
Nur mit Unterwäsche bekleidet lief sie die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Anna hoffte, dass sie nicht ausgerechnet jetzt Gästen begegnete. Beim Blick in den Spiegel kamen ihr weitere Flüche in den Sinn. Aus ihrem Dutt hatten sich Strähnen ihres langen blondbraunen Haares gelöst, die wirr abstanden und mit Stroh und Schmodder verschmiert waren. Sie zupfte den gröbsten Schmutz aus ihrer Frisur und legte dann auch die Unterwäsche ab, um sich zu duschen.
Das Wasser war erbärmlich kalt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie alles abgewaschen hatte und sich ihre Haare wieder geschmeidig anfühlten.
Bis Anna jedoch erneut angezogen und die Haare wieder trocken waren, hatte sie den Beginn ihres Meetings um eine knappe halbe Stunde verpasst. Hektisch lief sie die Treppe hinunter, griff sich ihr Notebook und stopfte sich die Kopfhörer ins Ohr.
Von Monika war keine Spur zu sehen.
Anna wählte sich in die Besprechung ein und lief dann noch einmal zur Küchenzeile hinüber, um sich den Rest des Kaffees vom Morgen in eine Tasse zu gießen. Auch er war kalt.
Am Spülbecken stapelte sich das ungewaschene Geschirr. Beim Blick auf die nächste Aufgabe, die für sie anstand, fielen ihr die beiden Zimmer wieder ein, die sie noch herrichten sollte.
Anna schnaubte wie ein unwilliger Esel, als sie sich vor den Bildschirm setzte.
»Na, was ist denn los bei dir? Ich dachte, du hast das höchste Leben da in der Provinz?«, fragte ihre Kollegin und Freundin Meike sogleich.
Anna hatte ihr Mikrofon nicht stumm geschaltet. Alle hatten ihr Seufzen gehört und schauten erwartungsvoll aus dem Laptop heraus.
Peinlich berührt winkte Anna in die Kamera. »Hi, ihr alle. Entschuldigt bitte meine Verspätung, aber hier ist die Hölle los.«
»Wir sind hier auch mega busy«, würgte der Agenturchef jede weitere Schilderung ab. »Deshalb schlage ich vor, dass wir uns jetzt ein paar Zielen committen und dann gehen wir non-stop in den Flow! Meike, bringst du Anna bitte hinterher up-to-date? Time is money. Jürgen, wie ist der Stand beim Joghurt-Auftrag? Kriegst du die Deadline hin? Wenn du help brauchst, kann Karo dich supporten. Richtig, Karo? Wir brauchen einen catchy Slogan – und ich will nicht wieder Kühe sehen! Kühe sind out. Ich brauche Lifestyle, Sexyness. Ich muss ein Feeling dabei kriegen, nicht nur vergorene Milch. Okay? Okay.« Er schien überhaupt keine Pausen zum Atemschöpfen machen zu müssen. Sein ganzer Monolog ergoss sich wie eben noch die kalte Dusche über Anna und ihre Kollegen.
»Und wer pampert mir eigentlich die neue Crew von Sunday-Sundae? Da stehen die Chinesen dahinter. China is the market! Den Auftrag brauchen wir definitely, sonst können wir die Quartalszahlen vergessen. Ich brauche ein Brainstorming asap und ein Team, das creative ist. Und das alles fast, fast, fast!« Er unterbrach seinen Redefluss dann doch und schaute auffordernd in die Kamera. Niemand fühlte sich angesprochen. Das Gute an Videokonferenzen war, dass man keinen direkten Augenkontakt hatte.
Annas Chef war ein etwas in die Jahre gekommener Selfmade-Man, was er stets betonte. Die Agentur hatte er zusammen mit einem Partner Anfang der 2000er gegründet. Er kleidete sich eine Spur zu jugendlich, färbte sich die Haare dunkel, um jede noch so kleine graue Strähne zu übertünchen, und hielt es für einen Ausdruck seiner Weltmännlichkeit, dass er keinen Satz ohne mindestens drei Anglizismen fertigbrachte.
»Ich erwarte schon ein bisschen mehr Passion und Ambition an dieser Stelle! It’s a big campaign! Wer sich jetzt committet, sahnt hinterher den Fame ab. Also?«
Gerade dachte Anna noch, dass dieser Kelch an ihr vorübergehen möchte. Normalerweise hätte sie sich um den Auftrag der Chinesen wahrscheinlich gerissen. Es war eine wirklich spannende Kampagne, und sie hatte lange keine großen Sachen mehr gehabt. In letzter Zeit waren ihr häufig Standardaufträge zugefallen, die wenig Kreativität erforderten und kaum die Möglichkeit boten, sich hervorzutun. Aber besonders in ihrer derzeitigen Lage war so eine zusätzliche Belastung das Letzte, was sie gebrauchen konnte.
Anna hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, da hörte sie ihren Boss bereits ihren Namen sagen. »Anna, ich will, dass du das übernimmst. Du bist der Project Manager, Karo kann dir zuarbeiten und Meike übernimmt die Communication. Go!«
»Das ist gerade jetzt ganz schlech…«, versuchte Anna zaghaft, die Katastrophe abzuwenden, doch er unterbrach sie.
»No, no, no! Komm mir nicht mit Ausreden. Das ist Big Business!«
»Ich bin die nächsten Wochen bei meiner Mutter. Ich hatte dir gesagt, dass …«, warf Anna erneut ein, kam aber wieder nicht bis zum Schluss ihres Satzes.
»I said no, girl. Ich weiß, dass du busy bist mit deiner Mutter und allem.« Er machte eine theatralische Wink-Bewegung mit der rechten Hand. »Aber du hast ja jede Menge Inspiration da, wo du jetzt bist. Das ist gut. Das hilft dir out of the box zu denken! Success is what you make of it. Also, kann ich mich auf dich verlassen? Ich verlasse mich auf dich.«
Anna wusste nicht, was sie noch dagegen sagen sollte. Sie hatte sich so eine Chance gewünscht! Endlich wieder einmal einen großen Auftrag. Ein beträchtliches Budget und eine richtig kreative Aufgabe. Aber doch nicht jetzt! Wie sollte sie von diesem abgelegenen Ort aus, mitten in der tiefsten niederbayerischen Provinz, eine so große Kampagne entwerfen? Sie würde dafür nach München fahren müssen, um die Auftraggeber zu treffen und die Details abzustimmen.
Gut, das war vielleicht das Wenigste. Mit ihrer Maschine war sie schnell über die Autobahn in der Landeshauptstadt. Trotzdem, sie konnte doch nicht ständig weg von hier!
Während in ihrem Kopf fieberhaft die Gedanken flatterten und schon die To-do-Liste mit all den Aufgaben, die auf sie zukommen würden, aufploppten, sprach ihr Chef schon weiter. Er verteilte noch ein paar andere Aufträge und ließ sich von laufenden Projekten Bericht erstatten. Dann war das Meeting beendet.
»Karo, Meike – könnt ihr noch kurz bleiben?«, bat Anna am Schluss.
Nach und nach klinkten sich die übrigen Teilnehmenden aus dem virtuellen Raum aus. Schließlich waren nur noch sie drei da.
»Klasse, dass wir den Auftrag übertragen bekommen haben!«, freute sich Meike. »Das wird ein großes Ding! Ich hab da voll Bock drauf.«
Anna konnte ihre Euphorie verstehen, teilte sie allerdings nur bedingt. »Ja, wenn ich jetzt in München wäre … kein Problem. Aber so …« Sie seufzte.
»Wie geht’s deiner Mutter denn?«, wollte Karo wissen.