Sommerglück in Cornwall - Marcia Willett - E-Book
SONDERANGEBOT

Sommerglück in Cornwall E-Book

Marcia Willett

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das gemütliche Schieferhaus an der Küste Cornwalls ist die Heimat von Hugo und Jamie, zwei Brüdern in den besten Jahren. Dort leben sie als Patchworkfamilie mit weiteren Bewohnern in friedlicher Harmonie zusammen. Bis Hugo eines Tages eine junge Frau im Dorfcafé entdeckt, die ihn an die schöne, lebensfrohe Emily erinnert, die damals nach einer Liaison mit Jamie spurlos verschwand. Als kurz darauf Emily vor der Tür steht, ist es Zeit, wohlgehütete Geheimnisse zu lüften - mit ungeahnten Folgen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 418

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Zweiter Teil

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Dritter Teil

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Vierter Teil

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Über das Buch

Das gemütliche Schieferhaus an der Küste Cornwalls ist die Heimat von Hugo und Jamie, zwei Brüdern in den besten Jahren. Dort leben sie als Patchworkfamilie mit weiteren Bewohnern in friedlicher Harmonie zusammen. Bis Hugo eines Tages eine junge Frau im Dorfcafé entdeckt, die ihn an die schöne, lebensfrohe Emily erinnert, die damals nach einer Liaison mit Jamie spurlos verschwand. Als kurz darauf Emily vor der Tür steht, ist es Zeit, wohlgehütete Geheimnisse zu lüften – mit ungeahnten Folgen …

Über die Autorin

Marcia Willett, in Somerset geboren, studierte und unterrichtete klassischen Tanz, bevor sie ihr Talent für das Schreiben entdeckte. Ihre Bücher erscheinen in 18 Ländern. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Devon, dem Schauplatz vieler ihre Romane.

Besuchen Sie die Website der Autorin: www.marciawillett.co.uk

Marcia Willett

Sommerglück in Cornwall

Roman

Aus dem Englischen von Barbara Röhl

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2018 by Marcia WillettTitel der englischen Originalausgabe: »Homecomings«Originalverlag: Bantam Press an imprint of Transworld Publishers

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, KölnTitelillustration: © Sandra Cunningham/Trevillion Images; © Flora Press/Mina Hesse; © natu; Udovichenko; Hennadii; veerapong takonok; mambo6435; Simon Bratt/ShutterstockUmschlaggestaltung: Kirstin OsenaueBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-9491-7

luebbe.delesejury.de

Für Rick

Erster Teil

Kapitel 1

Hugo Houghton eilt über das abschüssige Kopfsteinpflaster der Straße, die steil zum Hafen hinunterführt. Sein Mantel flattert ihm um die langen Beine, und er hält die Tüte mit Einkäufen, die er auf dem Arm trägt, so behutsam fest wie ein Baby. Er bleibt stehen, um die wenigen Boote zu betrachten, die noch von der einst blühenden Fischfangflotte übrig sind und heute Tagesausflüge aufs Meer für die Touristen anbieten. Dann biegt er an der Hafenmauer ab und geht auf das hohe, alte, aus Schiefer und Granit erbaute Haus zu, das sich am Ende einer Reihe von Fischerhütten erhebt.

Er verlagert seine Einkäufe auf einen Arm, schließt die Tür aus massiver Eiche auf und tritt in einen langen, mit Steinplatten ausgelegten Gang mit einer Reihe von Türen auf beiden Seiten, der quer durch das Erdgeschoss bis in die Küche auf der Rückseite des Hauses führt. Er taucht in die Wärme und den Frieden des großen Raumes ein, stellt die Tüte auf den Tisch in der Mitte und lächelt dem knochigen, breitschultrigen und weißhaarigen alten Mann zu, der in einem hölzernen Schaukelstuhl am AGA-Herd sitzt. »Alles gut, Onkel Ned?«, fragt er.

Die Hunde klettern aus ihrem gemeinsamen Korb, laufen eilig auf Hugo zu und wedeln auf die einladende und doch zögerliche Art, die Retrievern eigen ist, erfüllt von dem Wunsch, ihre Liebe zu zeigen, und doch voller Angst, zurückgewiesen zu werden.

Hugo bückt sich, um sie zu streicheln, und kann mit ihnen mitfühlen; diese Empfindung ist den größten Teil seines Erwachsenenlebens ein Problem für ihn gewesen. »Gute Jungs«, sagt er zu ihnen. »Brave Burschen.«

Hugo beginnt seinen Einkauf auszupacken, zieht seinen Mantel aus, reicht Ned die Zeitung und erzählt ihm von den Freunden, die er im Dorfladen getroffen hat. Er hält inne, um auf die kleine gepflasterte Fläche hinauszusehen, wo jetzt, Anfang Mai, die Sonne schräg einfällt und über hölzerne Pflanzkübel mit Tulpen und Glockenblumen gleitet. Dieser sonnige Hof ist vor dem Nordwestwind geschützt, und Hugo hofft, Ned heute überreden zu können, sich mit seinem Morgenkaffee nach draußen zu setzen. Das Problem ist nicht, dass sein Onkel launisch wäre, sondern eher, dass er immer noch etwas zu sagen haben will. Er muss zeigen, dass er trotz seiner Gebrechlichkeit und körperlichen Schwäche immer noch jemand ist, mit dem man rechnen muss. Nach einer langen und erfolgreichen Karriere bei der Marine – und obwohl er schon über zwanzig Jahre im Ruhestand ist – kann Ned Respekt einfordern, wenn er will.

Um seine Absicht zu signalisieren, öffnet Hugo die Tür, die auf den kleinen Hof führt. Sofort unternehmen die Hunde einen Vorstoß in die Freiheit, ringen darum, wer als Erster draußen ist, und schießen dann die steile Steintreppe hinauf, die in den auf der Klippe hinter dem Haus liegenden kleinen Garten führt. Hugo tritt einen Moment nach draußen und hält das Gesicht in den warmen Sonnenschein. Dann geht er wieder hinein und sucht sich einen Lappen, um die Tropfen, die der Regen der letzten Nacht zurückgelassen hat, von dem schmiedeeisernen Tisch und den Stühlen zu wischen.

Ned schüttelt seine Zeitung aus wie einen Schlachtruf, als Hugo wieder hereinkommt, den Kessel auf die Herdplatte schiebt und dem Älteren zulächelt. »Kaffee im Freien?«, schlägt er vorsichtig vor. »Es ist warm draußen.«

Ned runzelt die Stirn, und dann legt er unerwartet die Times zusammen und steht auf. Der große, schlanke Mann nimmt seinen Stock und geht vorsichtig – und ein ganz klein wenig wacklig – über den mit Steinplatten belegten Boden auf die Tür zu. Hugo sieht zu und hält sich zum Eingreifen bereit, tut aber, als machte er sich keine Gedanken. Ned hasst es, wenn man Aufhebens um ihn macht, doch seit er kürzlich eine Hüftprothese bekommen hat, ist er etwas weniger sicher, und Hugo graut es bei dem Gedanken, sein Onkel könnte stürzen.

Ned lässt sich auf einen der Stühle sinken, und Hugo atmet erleichtert auf und gießt den Kaffee auf. Er ist so glücklich hier, wo er sich um Ned kümmert und unterschiedliche Menschen bei ihnen wohnen: Freunde oder Verwandte, die ein wenig Liebe und Zuwendung brauchen, etwas Ruhe und einen Neuanfang, bevor sie wieder in die kalte Welt außerhalb dieser schützenden Granitmauern hinausgehen. Er ist Mitte fünfzig und bereut nicht, dass er das Angebot, in den Vorruhestand zu treten, angenommen und London verlassen hat, nachdem er als Sendeleiter bei der BBC gearbeitet hatte. Bei der BBC war es hektischer geworden, Großraumbüros und Schreibtische ohne Namensschilder. Es war gut, Terminpläne und die Routine hinter sich zu lassen und hierherzukommen: an den Ort, an dem er schon so viele glückliche Urlaube verbracht hat. Es ist, als könnte er so einen Teil der Güte zurückgeben, die seine Tante Margaret ihm in seiner Kindheit und während seiner schwierigen Teenagerjahre erwiesen hat. Nach ihrem Tod vor fast zwei Jahren war deutlich geworden, dass Ned nicht mehr allein leben konnte, und Hugo wusste, dass es dem alten Knaben das Herz brechen würde, das Haus verlassen zu müssen, das seit mehreren Generationen im Besitz der Familie Tremayne ist. Natürlich war Rose da. Rose Pengelly putzt für sie, seit sie ein junges Mädchen war, und Hugo hat einen besonderen Platz in seinem Herzen für sie. Aber es wäre zu viel von Rose verlangt gewesen, auch noch diese Verantwortung zu übernehmen. Außerdem ist es so schön, gebraucht zu werden, die fürsorgliche Seite seines Wesens auszuleben.

Hugo stapelt die Utensilien für den Kaffee auf ein Tablett und trägt es hinaus auf den Hof. Die Hunde sind von ihrem Ausflug zurück, haben sich rechts und links von Ned niedergelassen und drücken die Schnauzen an seine Knie, als verstünden sie, dass ihre Gegenwart ihm Trost schenkt. Sanft streichelt er ihre glatten Köpfe. Hugo sieht, dass Ned die Augen geschlossen hat, um sich gegen die Sonne zu schützen, und in ihrer Wärme leise lächelt. Behutsam stellt er das Tablett auf den Tisch und greift nach der Kaffeekanne.

Obwohl er die Augen geschlossen hat, sieht Ned Hugo deutlich vor sich. Er stellt sich seine starke, breitschultrige Gestalt vor, seinen ungebärdigen dunklen Lockenschopf, der von reichlich Grau durchzogen ist, und Hugos blauviolette Augen. Er sieht seiner Tante Margaret sehr ähnlich. Als ihre jüngere Schwester, Hugos Mutter, an Krebs starb, als Hugo noch ein kleines Kind war, da hat Margaret ihn geliebt und für ihn gesorgt, soweit sie als Marineehefrau, die selbst einen kleinen Jungen hatte, dazu in der Lage war, während Hugos Vater als Anwalt in London arbeitete.

Dieses Haus, das damals Neds Eltern gehörte, war seine Zuflucht gewesen; alle reisten hierher, um Landurlaube und Schulferien zu verbringen oder die Wartezeit auf die nächste Dienstwohnung für verheiratete Offiziere zu überbrücken. Es war ihr Zuhause. Und hierher waren Margaret und er auch gekommen, als er für längere Zeit freigestellt wurde, nachdem ihr Sohn im Falklandkrieg gefallen war. Dreiundzwanzig war Jack da gewesen.

Wie eigenartig, denkt Ned, der immer noch die Augen geschlossen hält, um die Sonne abzuwehren, dass der Schmerz noch fast fünfunddreißig Jahre nach diesem Verlust so scharf ist. So muss sich ein Amputierter fühlen, der in seinem verlorenen Körperglied immer noch Phantomschmerzen empfindet.

Ned schlägt die Augen auf und lächelt Hugo zu, der bei ihm steht. Ned weiß, warum Hugos Beziehungen zu Frauen niemals lange überleben: Er ist zu freundlich, zu großzügig, zu rücksichtsvoll.

Ned schätzt sich glücklich: Seine Ehe war gut, mehrere Frauen haben ihn geliebt, und sein Sohn hat zu ihm aufgesehen. Und jetzt hat er Hugo, der ihn unterstützt, seit er begonnen hat, sich gebrechlich und einsam zu fühlen. Er mag Hugos Londoner Freunde – Mitglieder seines Kamerateams, Regieassistenten, Ex-Freundinnen –, die übers Wochenende herkommen, während sie auf Arbeitssuche sind oder wenn ihre Beziehung oder Ehe in die Brüche gegangen ist. Er kann auch ihre gelegentlichen Untermieter gut leiden, die hier einziehen, während sie nach einer längerfristigen Unterkunft suchen. Alle fühlen sich zu Hugo hingezogen, zu seiner Herzlichkeit und hilfsbereiten Art, und er unterstützt sie, wo er kann, und hilft ihnen, wieder gesund zu werden. Es ist gut, ein Teil davon zu sein, und Ned weiß, wie glücklich er sich schätzen kann. Er trinkt den heißen, starken Kaffee, der weder durch Zucker noch Milch verfälscht ist.

»Ich dachte, wir könnten eine Ausfahrt machen«, erklärt Hugo gerade, »durch die Wälder und hinauf aufs Moor. Die wilden Kirschbäume sehen wunderbar aus, und die Glockenblumen beginnen zu blühen.«

»Fünfzigmal Frühling«, zitiert Ned, »reicht nicht aus, um der Blüten Pracht zu sehen. / Um die Kirschen wie mit Schnee bestäubt zu schauen, will ich in die Wälder gehen.«

Hugo wirft ihm ein Grinsen zu. »Stark«, meint er. »Sehr stark. Wir essen im Chough zu Mittag, und die Hunde können sich auf dem Hochmoor Auslauf verschaffen.«

Ned erwidert sein Grinsen – Hugo hält nichts von Lyrik, nimmt es aber gelassen hin, wenn Ned plötzlich der Drang überkommt, etwas zu deklamieren –, schlägt sich den Housman aus dem Kopf und denkt vergnügt an den Tag, der vor ihm liegt. Diese Frühlingstage, die von der Verheißung zukünftiger Wonnen erfüllt sind, sind ihm eine Freude; zu sehen, wie sich Knospen öffnen und helle, knittrige Blütenblätter freigeben; eine Amsel, die auf ihren zerbrechlichen Eiern sitzt, oder die Erleichterung, den unverwechselbaren Ruf des Kuckucks zu hören und zu sehen, wie die erste Schwalbe herabschießt. All das ist der Beweis dafür, dass die Schöpfung noch im Gang ist.

Ein Rufton unterbricht seinen Tagtraum, und er sieht zu, wie Hugo sein Smartphone aus der Tasche zieht, um die eingegangene Nachricht zu lesen.

»Von Prune«, sagt er. »Sie ist zum Abendessen eingeladen und sagt, wir sollen nicht auf sie warten.«

»Schreibt sie, von wem?«, fragt Ned.

Bei der jungen Prune fühlt er sich in loco parentis, obwohl sie mit ihren einundzwanzig Jahren durchaus alt genug ist, um auf sich selbst aufzupassen. Trotzdem verdient sie als ihre Untermieterin ihren Schutz, und das hat er auch ihren Eltern versprochen, als sie aus Suffolk angereist sind, um zu sehen, wo ihre Tochter wohnen würde, während sie als Hilfsgärtnerin auf dem Anwesen am Dorfrand arbeitet, das vom National Trust, der Behörde für Natur- und Denkmalpflege, betrieben wird. Die Behörde hat dort kürzlich ein kleines Café eröffnet, und Prune ist als Lehrling in das Team aufgenommen worden, das dafür verantwortlich ist, das Gemüse für die Besucher anzubauen. Die Behörde hat Prune auch das Haus am Hafen als Unterkunft empfohlen.

»Sie und der Rest des Teams gehen mit dem Ehepaar aus, das sie beim Aufbau des Cafés beraten hat«, antwortet Hugo. »Es ist ihr letzter Abend, und deswegen haben sie alle nach Padstow eingeladen, um Fish and Chips zu essen.«

»Klingt lustig«, bemerkt Ned. »Wenn das so ist, essen wir uns im Pub ordentlich satt, dann brauchen wir heute Abend nicht mehr viel.«

»Ich heiße Prunella«, hat sie ihnen erklärt, als sie sich bei ihnen vorgestellt hat. Eingerahmt von den Hunden saß sie am Küchentisch. »Aber seit ich klein war, habe ich das Gärtnern geliebt, und daher war es eigentlich unvermeidlich, dass der Spitzname ›Prune‹ hängen geblieben ist – Sie wissen schon, wie ›Hecken schneiden‹.«

Sie war ein schmales Mädchen und nicht besonders groß, mit langem, feinem blonden Haar, das sie aus dem kleinen, hübschen, breiten Gesicht frisiert trug, und Hugo lächelte ihr zu.

»Ich hoffe, die Übermacht an männlichen Wesen hier schüchtert Sie nicht ein«, sagte er.

Sie lachte und tätschelte die Hunde. »Ich habe drei große Brüder«, gab sie zurück. »Da habe ich in dieser Beziehung alles schon erlebt. Also, habe ich bestanden?«

Hugo sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu Ned.

»Mit fliegenden Fahnen«, erklärte dieser.

Inzwischen gehört sie zur Familie, und keiner von ihnen hat es bereut.

Während Hugo und Ned entspannt zusammensitzen, Kaffee trinken, Pläne für den Garten schmieden und die Sonne genießen, haben die Hunde die Schnauzen auf die Pfoten gelegt, warten aber mit wachem Blick und gespitzten Ohren auf jeglichen Hinweis auf einen Spaziergang. Daher sind sie, als Hugo seinen Stuhl zurückschiebt, aufsteht und anfängt, die Kaffeebecher einzusammeln, sofort auf den Beinen, laufen geschäftig vor ihm her in die Küche und sind zu allem bereit.

Sie fahren aus dem Dorf hinaus und hügelaufwärts, vorbei an hohen Granitwänden und in das bewaldete Land am Rand des Moors. Eschen, Weißdorn und Erlen beginnen auszuschlagen, und unterhalb ihrer zarten Knospen scheint das verschwommene Blau der Glockenblumen den wolkenlosen Himmel widerzuspiegeln.

Ned fährt sein Fenster herunter, und Hugo bremst den Wagen ab, sodass sie den Duft tief einatmen können. Zwischen moosbewachsenen Felsen wachsen junge Farnwedel, die wie fest geballte Fäustchen wirken, und erheben sich über den Steinen wie Fragezeichen. Hugo hört die zwei Töne, aus denen der Ruf des Kuckucks besteht – C und As –, und er lächelt Ned voll geteilter Freude zu.

Sie passieren kleine, von gelb blühenden Ginsterhecken umgebene Felder, auf denen in geselligen Gruppen Kühe stehen; ihre Schwänze zucken, während sie wichtige Themen durchzukauen scheinen. Das Auto poltert über das Viehgitter, und dann sind sie oben auf dem offenen Moor, und die Hunde rangeln und kläffen einander aufgeregt an. Hugo hält auf dem trockenen, kurzen Gras an, steigt aus und öffnet die Heckklappe, damit die Hunde herausspringen und davonrennen können, um eine Herde gescheckter Ponys auseinanderzutreiben. Der Wind ist kalt. Er beugt sich in den Wagen und greift nach seiner Jacke. Da er weiß, dass Ned im Schutz des warmen Autos bleiben wird, streift er sich die winddichte Jacke über und eilt den Hunden nach.

Ned sieht ihnen nach; Brioc läuft wie üblich voran, und der ältere Mortimer folgt ihm langsamer. Wie oft haben Margaret und er hier die Hunde laufen lassen, und wie hat sie diesen Teil des Moors geliebt, diesen leuchtend weißen, ganz von Rhododendren umgebenen Kirchturm unten im Tal und, in Richtung Meer, diesen goldenen Schimmer am Rand der Welt. Instinktiv schlingt Ned die Arme um den Körper, als müsste er sich beherrschen – oder als umschlänge er Margaret, die seine Umarmung erwidert. Er ist sich nicht sicher, was von beidem, doch kurz darauf seufzt er angesichts seiner Torheit und setzt sich bequemer hin, um auf Hugos Rückkehr zu warten.

In der kleinen Bar des Chough ist viel los, aber der Ecktisch am Kamin ist frei, und der Wirt, der weiß, wie launisch das Wetter Anfang Mai sein kann, hat das Holzfeuer brennen lassen. Hinter der Theke wippt Ben, ein großer, gut aussehender junger Mann, der kaum dem Teenageralter entwachsen ist, lautlos zur Hintergrundmusik: Gregory Porter mit Hey Laura. Lautlos singt er den Text mit, und sein Blick wirkt träumerisch. Ein Schwarm Neuankömmlinge reißt ihn aus seiner Versunkenheit, und er eilt herbei, um sie zu bedienen. Ned beobachtet ihn mitfühlend und versucht, sich daran zu erinnern, wie er selbst in diesem Alter war. Unerprobt, voller Hoffnung. Ben kennt die immer häufigeren Erinnerungen an die Vergangenheit nicht, diese Art, innerlich Anekdoten durchzublättern wie ein abgeschabtes altes Kartenspiel.

»Was ist schlimmer?«, hat Hugo ihn einmal gefragt. »Unterlassungssünden oder wirklich begangene Sünden?«

»Unterlassungssünden«, hat Ned sofort und instinktiv geantwortet.

Hugo runzelte die Stirn und dachte darüber nach. »Wahrscheinlich hat du recht«, meinte er schließlich, »aber es gibt auch schrecklich viel, was ich bereue. Gelegenheiten, bei denen ich furchtbar ins Fettnäpfchen getreten bin und mich zum Narren gemacht habe.«

»Sei dankbar, wenn das deine schlimmsten Sünden sind«, gab Ned zurück und dachte an eine seiner eigenen, die er während einer kurzen Versetzung nach Norfolk, Virginia, mit einer sehr schönen Frau begangen hatte. Dort war er im Kommandobunker der atlantischen U-Boot-Flotte an der Leitung einer NATO-Übung beteiligt gewesen.

Jetzt blickt er sich in der Bar um. Ein Mann ist gerade hereingekommen und wird von einem anderen begrüßt, der an der Theke steht und sich einen Drink bestellt. Die beiden umarmen einander. Ned gewöhnt sich langsam an den Anblick von Umarmungen unter Männern. Heutzutage fallen sich alle um den Hals: Rugbyspieler, Tennisspieler, Fernsehmoderatoren. Er sieht an ihnen vorbei und erhascht einen Blick auf eine junge Frau an dem am weitesten entfernten Tisch, der mit Kaffeetassen und Kinderbechern aus Plastik übersät ist. Sie kommt Ned bekannt vor, obwohl er sie nicht einordnen kann. Die junge Frau unterhält sich angeregt mit ihren zwei etwa gleichaltrigen Begleiterinnen, während sich neben ihnen mehrere kleine Kinder mit Malbüchern beschäftigen. Er runzelt die Stirn und versucht, darauf zu kommen, woher er dieses lebhafte Gesicht kennt, doch die Erinnerung entzieht sich ihm.

Hugo ist mit zwei Halblitergläsern Bier zurück. Jetzt verstellen die beiden Männer an der Bar Ned den Blick, sonst würde er Hugo vielleicht fragen, ob er die junge Frau kennt. Unterdessen bringt Ben die Speisekarten und macht sie auf die Tafel mit den Tagesgerichten aufmerksam.

»Obwohl Sie ja wahrscheinlich das Übliche nehmen, oder?«, meint er und lächelt Ned zu.

Ned erwidert sein Lächeln und fühlt sich gerührt, dass Ben sich daran erinnert. Wie bewegend die aufrichtige Freundlichkeit der jungen Leute im Vergleich zu ihrem gedankenlosen Mitleid ist! Er pflichtet Ben bei und bestellt die Meeresfrüchteplatte, weil der junge Mann sich darüber freut, und Ben strahlt und sieht dann Hugo an, der die Speisekarte studiert. Er bestellt Wildbratwurst und setzt sich neben Ned.

»Ich hatte vor, Dossie eine SMS zu schicken«, erklärt er. »Unsere Notvorräte werden knapp.«

Ned schätzt Dossie Pardoe sehr. Sie ist früh verwitwet, etwa in Hugos Alter und betreibt in ihrem Haus in St. Endellion ein kleines Unternehmen namens »Futter für den Froster«. Sie beliefert Ferienhäuser auf der ganzen Halbinsel mit frisch gekochten Mahlzeiten und bietet Catering für Partys, Kinderfeste und kleine Veranstaltungen an. Sie mögen Dossie beide sehr gern und helfen ihr, über den kurz zurückliegenden Tod ihrer Eltern hinwegzukommen. Ihr verwitweter Sohn Clem hat gerade wieder geheiratet – noch eine Veränderung, obwohl Ned weiß, dass Dossie sich für ihren Sohn und ihren Enkel Jakey freut.

»Clem und der kleine Jakey fehlen ihr wirklich viel stärker, als sie zugibt«, sagt Hugo gerade. »Ich weiß, dass sie Tilly liebt, aber es ist trotzdem bestimmt nicht einfach, wenn man zurückstecken muss, nachdem man zehn Jahre für die beiden da war, und plötzlich wieder Schwiegermutter sein muss. Die drei haben so fest zusammengehalten.«

»Lade sie doch für heute Abend zum Essen ein«, schlägt Ned spontan vor. Er fühlt mit Dossie, die gerade eine schwere Zeit durchmacht, und bewundert ihren Mut und ihre Tapferkeit. »Wir können dabei über das Aufstocken unserer Vorräte reden.«

Hugo zieht die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, wir essen hier zu Mittag, damit wir uns nicht mit einem Abendessen abzugeben brauchen?«

»Ach, mach schon«, gibt der Ältere ungeduldig zurück. »Schick ihr eine SMS.«

Hugo zuckt fröhlich mit den Schultern und zieht sein Telefon hervor, und Ned lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Die Gruppe aus Müttern und Kindern bricht auf. Sie laufen umeinander, die Erwachsenen rufen Anweisungen, und ein kleiner Junge, der es kaum erwarten kann, nach draußen zu kommen, drängt sich zwischen den anderen nach vorn. Ned betrachtet das kleine, entschlossene Gesicht, das schwarze Haar und die dunkelbraunen Augen und hat einmal mehr den deutlichen Eindruck, dass er ihn kennt. Wieder sieht er sich nach der Frau um, die ihm vorhin aufgefallen ist und die jetzt eilig versucht, den Jungen einzuholen, und ihm nachruft, er solle auf sie warten.

Ned beugt sich vor, um Hugos Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken, doch bevor er etwas sagen kann, ist die ganze Truppe schon aus dem Chough gestürzt, und es ist zu spät.

Kapitel 2

Dossie zieht die Tür hinter sich zu und steht dann da und lauscht in die Stille hinein. Kein Pa ruft aus seinem Arbeitszimmer und fragt, wie ihr Tag war; keine Mo schiebt in der Küche den Wasserkessel auf den AGA-Herd, um sie mit einer Tasse Tee oder Kaffee zu begrüßen; kein Wolfie kommt in die Diele geschlittert und heißt sie bellend willkommen; kein Jonno kämpft sich schwanzwedelnd aus seinem Korb hoch. Dieses überwältigende Gefühl von Abwesenheit, wenn sie nach Hause kommt, ist das Allerschwerste. Jetzt ist niemand da, dem sie von ihrem Tag erzählen kann, von ihren kleinen Erfolgen oder Frustrationen. Nachdem Pa an seinem zweiten Schlaganfall gestorben war und dann während des letzten Jahrs von Mos Krankheit, war das Geschäft der Frühstückspension, die sie noch so tapfer betrieben hatten, nach und nach zurückgegangen. Dossies eigene Firma floriert zwar weiter, doch sie kämpft täglich mit dem Gefühl, dass ihr Leben sinnlos ist.

Dossie war wieder zu Mo und Pa gezogen, nachdem ihr Mann Mike bei einem Motorradrennen ums Leben gekommen war und sie mit ihrem kleinen Sohn Clem allein gelassen hatte. Sie hatten sich um ihn gekümmert, während sie Mittags- oder Abendeinladungen organisierte, zu besonderen Gelegenheiten in anderer Leute Küchen kochte und sich schließlich ihre Firma aufbaute. Mo und Pa hatten auf der ganzen Halbinsel Kontakte und Bekannte, die gern bereit waren, die junge, verwitwete Tochter ihrer beiden alten Freunde zu unterstützen. Und Jahre später konnte Dossie sich revanchieren, indem sie ihnen half, ihre ziemlich exzentrische Frühstückspension weiterzubetreiben, als sie älter und weniger belastbar wurden. Sie vermisst die Gäste, die im Lauf der Jahre zu Freunden wurden und ihre Hunde und, als die Jahre vergingen, gelegentlich auch ihre Enkelkinder mitbrachten. Und als wäre das alles nicht genug, fehlt Dossie der vertraute tägliche Kontakt zu Clem und ihrem Enkelsohn Jakey.

Sie durchquert die Diele, geht in die Küche und reißt instinktiv den Blick von den leeren Hundekörben los. Als Clems junge Frau bei der Geburt ihres Babys starb, war es beinahe, als wiederholte sich die Geschichte auf boshafte Art. Als Jakey vier war, beschloss Clem, London zu verlassen und nach Cornwall zurückzukehren, und einmal mehr scharte sich die Familie zusammen, um die beiden zu unterstützen, während Clem seiner Berufung folgte, dem Theologiestudium, und zum Priester geweiht wurde. Jetzt, sechs Jahre später, ist er der Seelsorger der anglikanischen Ordensgemeinschaft in dem wunderschönen alten Einkehrhaus Chi-Meur, das ungefähr dreißig Kilometer weiter an der Küste liegt.

In dieser Zeit hatte Dossie sich daran gewöhnt, ständig zum Babysitten auf Abruf bereitzustehen, im Notfall Essen zu liefern und einfach kostbare Zeit mit ihrem Sohn und ihrem Enkel zu verbringen. Sie war so glücklich, als Tilly in ihr Leben trat, die hübsche, witzige und kluge Tilly, die sich auf Chi-Meur um die gesamte IT kümmert und Clems – und Jakeys – Leben um eine ganz neue Dimension bereicherte. Sie leben in dem Cottage am Ende der Einfahrt nach Chi-Meur, und die drei sind zusammen mit einem Retriever namens Bells eine glückliche kleine Familie. Obwohl sie in engem Kontakt zu ihr stehen, weiß Dossie, dass sie sich jetzt zurückhalten muss. Sie muss taktvoll sein und ihnen Freiraum lassen.

Merkwürdig, dass sie jedes Mal, wenn sie nach Hause kommt, dieses Gefühl von Trostlosigkeit überfällt. Es kostet sie enorme Mühe, sich eine Mahlzeit zuzubereiten, sich dann ordentlich an dem Tisch zu setzen und ganz allein zu essen. Nahrung ist die Quelle des Lebens; sie sollte geteilt und zelebriert werden. Mo und Pa waren ausgezeichnete Gastgeber und hatten ihren Gästen nicht nur gutes Essen geboten, sondern eine herzliche, fröhliche Atmosphäre, um es zu genießen und sich wie etwas Besonderes zu fühlen. Nachdem sie durch Pas Job als Bergwerksingenieur bei Rio Tinto Zinc jahrelang die Welt bereist hatten, konnten sie nicht einfach in Rente gehen und ein ruhiges Leben führen, und durch ihre Pensionsgäste hatten sie eine Aufgabe. Dieses schöne, elegante georgianische Haus mit seinen geschmackvollen Schiebefenstern und perfekten Proportionen bot die ideale Umgebung für das Unternehmen, und Dossie kann sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben.

Als sie den Kühlschrank öffnet und trostlos seinen Inhalt betrachtet, kommt mit einem »Ping« eine SMS herein, und Dossie schließt die Tür und zieht ihr Telefon aus der Handtasche. Sie sieht, dass die Nachricht von Hugo stammt, und ein tiefes Gefühl von Wärme, Erleichterung und sogar Dankbarkeit steigt in ihr auf. Sie hat Hugo und Ned so lieb gewonnen, die in ihrem großen, alten Haus am Hafen des kleinen Fischerdorfs in der Nähe von Polzeath leben. Sie haben sie in ihre Welt aufgenommen, die fast so exzentrisch ist wie die von Mo und Pa. Dossie liest die SMS und kommt sich töricht vor, weil sie fast in Tränen ausbricht.

Komm zum Abendessen. Wir brauchen dich. Xx

Aber sie weint nicht; stattdessen lacht sie und tippt eine Antwort:

Ihr meint, dass eure Gefriertruhe leer ist. Ich verstehe die Andeutung schon. Xx

Sie einigt sich mit Hugo auf eine Uhrzeit und tritt wieder an den Kühlschrank. Merkwürdigerweise hat diese kurze Kommunikation ihre Laune verbessert und ihr Mut zum Weitermachen geschenkt.

»Du brauchst wieder einen Hund, Dossie«, hat Hugo nach Wolfies Tod gemeint. »Ich weiß, es war schwierig, als Mo krank war und du versucht hast, alles gleichzeitig zu schaffen, aber jetzt ist das anders.«

Sie vermutete, dass er fast noch mehr gesagt hätte. »Außerdem brauchst du dir jetzt keine Sorgen mehr um Clem und Jakey zu machen.« Doch er beherrschte sich. Oder sie war einfach nur überempfindlich. Es ist schwer, nicht mehr diejenige zu sein, an die sich Jakey und Clem wenden, wenn sie ein Problem oder etwas zu feiern haben.

»Reiß dich zusammen«, murmelt sie und nimmt die Zutaten für ein Sandwich aus dem Kühlschrank. »Besorg dir ein Leben. Schaff dir einen Hund an.«

Unterdessen wird sie sich einen besonderen Nachtisch überlegen, den sie als ihren Beitrag zum Abendessen mitnehmen kann; sie hat etwas, auf das sie sich freuen kann, und der schwierige Moment ist vorüber.

Später, als sie auf der Strecke zwischen St. Endellion und Polzeath unterwegs ist, denkt Dossie darüber nach, wie es wäre, wieder einen Hund zu haben. Ob sie versuchen soll, einen Welpen großzuziehen, oder lieber einen Hund aus dem Tierheim holen. Beides würde fast mit Sicherheit Probleme mit sich bringen, und doch wäre es so schön, wieder einen Gefährten zu haben. Als sie nach Westen, in Richtung Polzeath, abbiegt, drängt sich ihr allerdings ein anderes Problem auf: Soll sie das Haus verkaufen oder nicht? Es ist nicht einfach, wenn Adam anruft und sie fragt, ob sie schon darüber nachgedacht hat, das Court auf den Markt zu bringen. Ihr Bruder Adam arbeitet für eine große Londoner Immobilienagentur, die darauf spezialisiert ist, Objekte auf dem Land zu verkaufen.

»Diese Jahreszeit ist perfekt, um zu verkaufen«, hat er während ihres letzten Gesprächs erklärt. »Für dich allein ist das Haus zu groß, Doss. Der Unterhalt wird ein Heidengeld kosten.«

Seit Mos Tod gibt sich Dossie große Mühe, wieder eine Beziehung zu ihrem Bruder aufzubauen.

»Da hast du ja abgeräumt, Doss«, sagte er nach dem Begräbnis ihres Vaters trostlos zu ihr. »Pa hat mich, kurz bevor er starb, noch gewarnt und gesagt, er würde dir das Court hinterlassen, weil du so viel für die beiden getan hast, doch ich habe nicht wirklich geglaubt, dass er das tun würde. Ich meine, verdient hast du es ja.«

Sie verriet Adam nicht, dass sie Pa angefleht hatte, sein Testament zu ändern, aber ihr Vater war unerbittlich gewesen.

»Wir haben Adam von Zeit zu Zeit ausgeholfen«, erklärte Pa. »Es ist nicht unsere Schuld, dass seine Ehe gescheitert ist und er die Hälfte von allem verloren hat. Du hast es Mo und mir ermöglicht, im Alter in unserem Zuhause zu bleiben, Dossie, unser Geschäft zu führen und uns mit unseren Freunden zu umgeben. Ohne dich hätten wir das nicht geschafft, und wir hatten so viel Spaß. Abgesehen von der Zeit, in der du mit Mike zusammen warst, ist dieses Haus schon den größten Teil deines Lebens dein Heim. Vergiss das nicht.«

Seit Pas Tod hat sich Adam verändert. Langsam wurde er weniger abweisend, und es war leichter, mit ihm zusammen zu sein, als wäre eine Herausforderung, eine Erwartung, von ihm genommen geworden. Als müsste er nichts mehr beweisen. Und noch später, wenn er sie während Mos Krankheit besuchte, kam es zu einer Art Versöhnung, und endlich konnten beide Seiten einander akzeptieren. Dossie kann sich vorstellen, was für ein Schlag es für Adam gewesen ist, enterbt zu werden, doch sie hofft, dass sie diesen Groll vielleicht lindern kann. Sie weiß allerdings, dass er recht damit hat, das Court verkaufen zu wollen. Aber wie würde sie das ertragen, und wohin sollte sie sich dann wenden?

Am Steuer, auf allen Seiten umgeben von dem kühlen blauen und unendlich wirkenden Himmel, wie er in der Nähe des Meeres aussieht, überkommt sie ein Panikgefühl. Sie fühlt sich an die Einsamkeit jener Jahre nach Mikes Tod erinnert. Wie hat er die Geschwindigkeit geliebt! Motorräder, Formel 1, Speedboote. Er ist so viele Risiken eingegangen, dass sein tragisches Ende wenig erstaunlich war. Doch obwohl sie damals zutiefst unglücklich gewesen war, hatte sie den kleinen Clem gehabt. Er war der Grund, aus dem sie weitermachte, überlebte und sich ein Zuhause und ein Leben aufbaute – und das wurde zu einem Muster. Bis jetzt.

Sie fährt in das Dorf hinunter, passiert den Hafen und parkt ihren kleinen Wagen auf dem Stück Asphalt neben Neds Volvo. Als sie hinausklettert, hebt ihre Stimmung sich langsam. Ganz abgesehen davon, dass Hugo und Ned ihr so gute Freunde geworden sind, würde ihr Stolz auch nicht zulassen, vor ihnen zu jammern und zu klagen und ein langes Gesicht zu ziehen. Sie öffnet die Heckklappe, greift nach dem Korb, in dem das Dessert steht, und holt tief Luft. Die dicke Haustür ist wie immer nicht abgeschlossen, und sie stößt einen Ruf aus, als sie in den langen Flur tritt. Jemand antwortet, dann kläffen Hunde, und sie lächelt belustigt, glücklich und eine Spur traurig über die altvertraute Reaktion darauf, dass jemand nach Hause kommt.

Kapitel 3

»Brotpudding mit Butter«, sagt Hugo beifällig. »Du kennst unsere Schwächen, Dossie.«

Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Das bezweifle ich ganz stark.« Sie verdreht die Augen und zwinkert Hugo zu. »Ich wette, Ned hat alle möglichen Geheimnisse, die er für sich behält.«

Ned kann sich eines Lächelns nicht erwehren. Er mag es, wie Dossie unverbindlich mit ihm flirtet und ihn aufzieht. Es gibt ihm das Gefühl, wieder jung, vital und lebendig zu sein. Und er hat wirklich Geheimnisse, die zu verraten er nicht vorhat – und das dazugehörige schlechte Gewissen.

»Und was ist mit mir?«, verlangt Hugo zu wissen und löffelt den Brotauflauf auf Teller. »Mit meinen Geheimnissen?«

Dossie holt Gabeln und Löffel und setzt sich wieder an den Tisch. »Ich glaube, dein Geheimnis ist, dass du ein frustrierter Konzertpianist bist.«

Ned sieht interessiert zu, wie eine Vielzahl von Emotionen über Hugos Miene huscht: Verblüffung, ein leichtes Stirnrunzeln und ein wegwerfendes Herabziehen der Mundwinkel.

»Da könntest du recht haben«, räumt er ein. »Wie kommst du darauf?«

Dossie sieht ihn nachdenklich an. »Ich glaube, es liegt daran, wie sich dein Gesicht verändert, bevor du zu spielen anfängst. Dann wirkst du distanziert. Es ist, als stündest du kurz davor, in eine andere Welt einzutreten, die du dieser hier eigentlich vorziehst.«

Dossies Scharfblick bestürzt Ned ein wenig. Es gab eine Zeit während Hugos letzten Schuljahren, da hatte er gehofft, Hugo würde sein Klavierspiel zum Beruf machen. Es war traurig, dass Hugos Vater das Talent seines Sohns nie erkannt oder ernst genommen hatte. Wäre seine Mutter noch am Leben gewesen, wäre vielleicht alles anders gekommen.

»Jedenfalls«, sagt Dossie gerade, »besteht die Bezahlung für den Nachtisch darin, dass du nach dem Essen für uns spielst. Und frag mich nicht, was. Du weißt genau, wie unwissend ich bin, und du tust das nur, um mich vorzuführen.«

Jetzt lacht Hugo. »Okay. Aber du musst es auch annehmen und lernen. Vielleicht spiele ich etwas von Debussy für dich.«

»Toll«, sagt Dossie, die manchmal redet wie ihr Enkelsohn Jakey. »Wird es mir gefallen?«

»Es wird freudvoll sein«, erklärt Hugo feierlich.

Ned sieht amüsiert zu, wie sie in Gelächter ausbrechen. Das tun sie gern: Zeilen aus Fernsehsendungen oder Filmen zitieren, die sie anscheinend beide kennen.

Wie wundervoll es wäre, denkt er, wenn sie sich verlieben würden.

Die beiden wären so ein schönes Paar: Hugo mit seinen dunklen Locken, der so freundlich und warmherzig ist, und die aschblonde, überaus witzige und sehr vitale Dossie. Sie sind beide großzügig, lebenstüchtig und fürsorglich.

Aber das war schon immer mein Problem, überlegt Ned selbstironisch. Ich habe mich stets viel zu leicht verliebt. War zu romantisch. Zu leicht zu beeindrucken. Wie schrecklich, äußerlich so alt und trotzdem innerlich noch so jung zu sein! Er denkt an das Gedicht von John Donne.

Ich weiß, ich bin zwiefach närrisch,denn ich liebe, und ich gesteh es ein …

Doch er weiß, dass Hugo nicht diese Art von Narr ist, und Ned spürt, dass Hugo sich vielleicht sehr zu Dossie hingezogen fühlt. Aber die beiden haben diesen flüchtigen, magischen Moment, in dem sie sich hätten verlieben können, schon verpasst. Ihre Freundschaft ist ungezwungen und unkompliziert, und Ned ist so dankbar dafür, ein Teil davon zu sein, dass er ganz einfach zufrieden seinen süßen Auflauf genießt und sich darauf freut, Hugo spielen zu hören.

Hugo löffelt Sahne und geht im Kopf durch, was er Dossie vorspielen könnte. Er fühlt sich wohl in seiner Rolle als Entertainer und Musiker, obwohl er argwöhnt, dass sie nicht ganz so unwissend ist, wie sie behauptet.

»Also, was magst du?«, hat er sie bei einer früheren Gelegenheit gefragt. »Was für Musik hörst du im Auto? Oder hörst du Radio?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich höre gern Musik. Im Moment mag ich Jamie Cullum, Nina Simone … du weißt schon.« Sie lächelte ihm zu. »Jazz und dergleichen.«

Voll gespielter Missbilligung schnalzt er mit der Zunge. »Mein Cousin Jamie liebt dieses Zeug«, erklärt er ihr.

Als er jetzt den Nachtisch aufgegessen hat und seinen Teller beiseiteschiebt, fällt Hugo ein, dass er auch ziemlich dankbar dafür sein kann, dass Jamie nicht da ist, um für Dossie zu spielen. Jazzklavier ist Jamies besondere Begabung. Die Geschichte seines Lebens: Sein Cousin war ihm immer voraus; ein Jahr älter, größer, mehr Ausstrahlung. Er leitete den Chor, in dem sie beide an der Schule der Kathedrale von Wells gesungen haben. Als sie Teenager wurden, war Jamie immer derjenige, der das Mädchen bekam; und als wäre das nicht genug gewesen, wurde er Pilot bei der Royal Airforce. Sie ziehen einander auf, sie verspotten sich, gehen sich auf die Nerven, und dennoch besteht zwischen ihnen ein unzerreißbares Band aus Liebe und Vertrauen, das sie vor langer Zeit als kleine Jungen im Internat geschmiedet haben.

Hugo runzelt die Stirn. Er kann sich noch an die Einsamkeit und Angst in diesen schrecklichen ersten Wochen in der Schule erinnern. Seine Mutter war erst kürzlich verstorben; und sein Vater, der Anwalt, war beschäftigt und distanziert. Jamie hat ihn gerettet; sein großer, kluger, beliebter Cousin, der ihn beschützte, mitzog und in seiner musikalischen Leidenschaft bestärkte. Nur wenige Menschen begriffen, wie viel harte Arbeit, Professionalität, Hingabe und Kameradschaft ein Chorknabe aufbringen muss.

Hugo schiebt seine Erinnerungen beiseite und greift nach dem Notizblock, der immer auf dem Küchentisch liegt. »Also«, sagt er, »um welche wundervollen Mahlzeiten sollen wir Dossie dieses Mal bitten?«

Ned macht Vorschläge und beobachtet Dossie, die Brioc streichelt. Der Hund lehnt den Kopf an ihre Knie, und sie beugt sich über ihn, glättet sein Fell und murmelt zärtliche Worte. Ned nimmt ihre Sehnsucht und Einsamkeit wahr und wünscht, er könnte ihr helfen. Daran, wie viel Aufhebens sie um Mort und Brioc macht, wird deutlich, wie sehr ihr ein eigener Hund fehlt.

»Vielleicht«, schlägt er vor, »solltest du Brioc mit nach Hause nehmen. Sozusagen als Leihgabe.«

Sie hebt den Kopf, um ihm ein Lächeln zu schenken, obwohl es nicht so ausfällt wie immer, und zieht eine leise, sehnsüchtige Grimasse. »So eine Art Leihhund, meinst du? Was für eine fantastische Idee! Aber er würde euch alle zu sehr vermissen. Und er würde euch fehlen.«

»Wir hätten ja noch Mort«, sagt Ned. »Nicht wahr, Mort?«

Mortimer, der ausgestreckt unter dem Tisch liegt, schlägt mit dem Schwanz auf den Boden.

»Führ mich bloß nicht in Versuchung«, warnt Dossie, »sonst nehme ich dich noch beim Wort.«

»Wahrscheinlich würde er die Abwechslung genießen«, meint Hugo, der immer noch seine Liste aufstellt. »Durch die ganze Grafschaft fahren. Jede Menge netter Menschen treffen. Wunderbares Futter. Nummer eins bei Dossie sein. Das klingt doch wunderbar, oder?«

»Klingt, als hättest du selbst Spaß daran«, sagt Ned listig, und alle brechen in Gelächter aus. »Na, wenn du mein Angebot nicht annimmst, Dossie, muss ich wohl einen neuen Feldzug starten. Die Kampagne ›Wir suchen einen Hund für Dossie‹.«

»Glaubt nicht, ich hätte nicht darüber nachgedacht«, gibt sie zurück. »Aber so einfach ist das nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit einem Welpen fertigwürde, und Hunde aus dem Tierheim bringen alle möglichen Probleme mit. Ganz abgesehen davon, dass man so ein Tier lieb gewinnt und irgendwann den ganzen Schmerz über seinen Verlust wieder durchmacht.«

Ned hört die Gefühle in ihrer Stimme schwingen, und Hugo blickt mitfühlend auf. Dossie beugt den Kopf über Brioc, und die beiden Männer wechseln einen Blick.

»Zeit für deinen Auftritt«, erklärt Ned leichthin. »Bist du mit der Einkaufsliste für Dossie fertig?«

Hugo nickt. »Alles erledigt. Dann kommt. Ich werde Mozarts Fantasie in d-Moll spielen, und wenn ihr laut genug applaudiert, dürft ihr nachher Kaffee trinken.«

Während Dossie den beiden nach oben in den Salon folgt, wo der kleine Flügel steht, schickt sie ein kleines Dankgebet für die Freundschaft dieser beiden Männer zum Himmel. Ihre Zuneigung und Freundlichkeit, das Lachen und der Austausch mit ihnen wirken wie ein Schutzschild gegen ihre Einsamkeit und ihre Verlustgefühle. Sie hat gute Freundinnen, Janna und die Nonnen im Einkehrhaus; sie hat Clem und Tilly und Jakey, aber diese beiden Männer sind für sie etwas Besonderes. Sie sind zu einer ganz speziellen Zeit in ihr Leben getreten, und sie weiß, dass sie ihnen genauso wichtig ist wie umgekehrt.

Der Raum, der die ganze Breite des Hauses einnimmt, liegt nach Westen, und die Aussicht geht über den Hafen hinweg und zum Meer in Richtung The Mouls. Als die Sonne unter den Horizont sinkt, ist es, als nähme die See ihr Licht auf, finge Feuer und ginge in lodernden Flammen auf. Mit vor der Brust verschränkten Armen steht Dossie am Fenster und betrachtet den Sonnenuntergang, während Ned sich in einem Sessel niederlässt und Hugo auf dem Klavierschemel herumrutscht, bis er bequem sitzt. Als er mit den langen, langsamen Arpeggien beginnt, die die düstere Atmosphäre der Ouvertüre bestimmen, wird es in Dossie ganz still. Sie weiß nicht, welches Stück er spielt, obwohl sie die schwermütige kleine Melodie wiedererkennt, die auf die Ouvertüre folgt, doch die wechselhaften Stimmungsumschwünge in der Musik spiegeln ihren eigenen Gemütszustand wider. Seit Mos und Pas Tod und Clems Heirat mit Tilly scheint sie auf einer emotionalen Achterbahn zu leben; Tränen, Freude, Trauer, Lachen lösen einander in schneller Folge ab. Als Hugo zu der fröhlichen kleinen Schlusspassage übergeht, verschlagen ihr der Musikgenuss und die Freude über den Sonnenuntergang den Atem.

Hugo spielt mit einem theatralischen Schnörkel die letzten Akkorde, und da dreht sie sich um und applaudiert ihm zusammen mit Ned begeistert. Er grinst ihr zu, bleibt aber sitzen. Einen Moment lang zögert er und schlägt den Blick nieder, dann legt er erneut die Hände auf die Tasten. Er beginnt eine langsame, stetige Einführung zu spielen, aus der sich eine so köstliche Melodie entwickelt, dass Dossie das Gefühl hat, eine Faust drücke ihr das Herz zusammen. Sie bekommt kaum Luft. Die Musik ist so wunderschön, dass es fast unerträglich ist. Als sie ihn ansieht, nimmt sie den Gesichtsausdruck wahr, von dem sie vorhin gesprochen hat: außerordentliche Konzentration und ein vollkommenes Eintauchen in die Musik und eine andere Welt. Mit der linken Hand wiederholt er die Melodie, während er mit der rechten eine flirrende Begleitung spielt. Selbstbewusst bewegen sich seine breiten Hände über die Tastatur, er hat die Augen geschlossen und strahlt etwas so besonders Eindrucksvolles, Erotisches aus, dass sie – nur diesen Moment lang – beinahe meint, sie könnte sich in diesen anderen, distanzierten und selbstsicheren Hugo verlieben. Aufgewühlt von ihren Gefühlen wendet sie sich wieder zum Fenster. Und jetzt verändert sich die Musik. Der Komponist bringt etwas zum Ausdruck, das sich nicht in Worte fassen lässt. Die Melodie kehrt ausgeschmückt, intensiv und stärker zurück, erreicht einen Höhepunkt und sinkt dann zu einer traurigen, resignierten kleinen Aussage herab, die zweimal wiederholt wird. Dann schließt Hugo das Stück mit einem letzten, strahlend hohen Akkord und nimmt die Hände vom Klavier.

Es wird still.

»War das die Widmung?«, fragt Ned schließlich. Er räuspert sich, um die Rührung in seiner Stimme zu überspielen. »Ich wusste gar nicht, dass du die Liszt-Bearbeitung spielen kannst. Ich bin beeindruckt.«

Hugo murmelt wegwerfend, er entspreche nicht wirklich dem Standard und habe nicht vor, öffentlich zu spielen. Dossie starrt weiter aus dem Fenster und versucht, ihre Gefühle und ihre Verwirrung zu beherrschen und nicht in Tränen auszubrechen.

Mit einem Mal fällt die Haustür mit einem Knall ins Schloss, die Hunde bellen, und Hugo steht vom Klavier auf. Die Anspannung beginnt sich zu lösen, und endlich dreht Dossie sich um und sieht ihn an.

»Das war … cool.« Sie weiß, dass Hugo sich nicht von diesem absichtlich gewählten albernen Wort täuschen lässt und sieht, wie bewegt sie ist. Leicht verlegen, aber erfreut nickt er. Ned nimmt ihre Stimmung wahr und wirft ihr einen nervösen Blick zu. Sie nickt, als wollte sie sagen: »Alles in Ordnung, mir geht es gut«, und er gibt ein leichtes Nicken zurück.

»Lasst uns den Kaffee trinken«, sagt er. »Prune ist nach Hause gekommen.«

Kapitel 4

Prune kniet nieder, um sich von Brioc zur Begrüßung begeistert ablecken zu lassen, während Mort sie mit dem Kopf anstößt und freudig jault.

»Ein guter Tag im Treibhaus?«, erkundigt sich Hugo. »Lecker gegessen in Padstow?«, und Prune schenkt ihm ein strahlendes Lächeln.

Sie ist glücklich und möchte am liebsten tanzen und singen: Das Leben ist schön. Prune möchte nicht allzu genau analysieren, wie viel davon damit zu tun hat, dass Ben nach seiner Mittagsschicht im Chough unerwartet in den Gärten aufgetaucht ist, dass er in den Treibhäusern nach ihr gesucht und sie für das Wochenende zu einem Gig in einem Pub in Wadebridge eingeladen hat. Sie mag ihn wirklich gern – seine Bereitschaft zu lachen und zu scherzen, seine Direktheit und sein schnelles Entgegenkommen –, aber sie will nicht übereifrig wirken. Sie kennt ihn erst seit ein paar Wochen und hat diesen Fehler schon früher gemacht.

»Wir haben dir Brotpudding aufbewahrt«, erklärt Dossie und folgt Hugo mit Ned im Schlepptau in die Küche. »Doch wahrscheinlich willst du keinen, wenn du dich mit Fish and Chips vollgestopft hast.«

Prune umarmt sie. Sie hat Dossie so lieb gewonnen, die hier zum Inventar zu gehören scheint und eine so alterslose Ausstrahlung hat, dass sie ihr vorkommt wie eine gleichaltrige Freundin. Prune schätzt sich wirklich glücklich, nach ihrem zweijährigen Kurs am Bicton College für Gartenbau den Job bei der Naturschutzbehörde ergattert zu haben und dem kleinen Team anzugehören, das die Lebensmittel anbaut, die später im Café verarbeitet werden. Sie sind alle jung, aufgeregt und begeistert von ihrer Aufgabe. Aber dann ist es auch wieder gut, hierher zurückzukommen und mit Hugo und Ned zu chillen – und mit Dossie, wenn sie da ist.

»Es war wirklich gut«, sagt sie. »Sie hatten Livemusik, und die Band war toll. Ich bin echt satt, aber wehe, jemand isst mir meinen Brotpudding weg. Ich hebe ihn mir für morgen auf.«

»Merkt euch das«, sagt Dossie warnend zu Ned und Hugo.

»Wir würden uns nie mit Prune anlegen«, gibt Hugo zurück. »Dazu kann sie viel zu gut mit der Gartenschere umgehen!«

Prune schneidet ihm eine Grimasse und fragt sich – nur ganz kurz –, wie es wäre, Ben mit herzubringen und ihn dieser merkwürdigen Truppe vorzustellen; und ob er sich von ihnen eingeschüchtert fühlen würde, obwohl sie sich nicht vorstellen kann, dass Ben sich so leicht beeindrucken lässt.

»Ist das nicht ein wenig so, als lebtest du mit deinem Vater und deinem Großvater zusammen?«, hat er wissen wollen, als sie ihm die Konstellation schilderte.

Sie dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. So sind die beiden nicht. Hugo hat Dokus für die BBC produziert und ist wirklich cool. Und Ned hat diesen richtig treffenden Sinn für Humor. Sie sind einfach … na ja, Leute. Weißt du, was? Letztendlich hat das Alter nicht viel damit zu tun.«

Ben nickte. »Klingt lustig«, meinte er.

Trotzdem kann Prune sich nicht wirklich überwinden, ihn herzubringen. Noch nicht. Sie muss ihn besser kennenlernen und sich ihm gegenüber selbstsicherer fühlen.

Hugo brüht Kaffee auf, aber er weiß, dass Prune so spät am Tag keinen mehr trinkt. Er grinst ihr zu.

»Einen schönen Sauerampferaufguss?«, fragt er. »Brennnessel? Löwenzahnwurzel?«

Es ist ganz so, als hätte man seine großen Brüder um sich, die einen triezen, und sie deutet einen Boxhieb gegen ihn an.

»Wenigstens werde ich heute Nacht gut schlafen«, gibt sie zurück und nimmt das Kästchen mit ihren Kräutertees aus dem Küchenschrank. »Ist ja, als lebte man wieder in einer Studenten-WG, mit diesem vielen Kaffee spätabends und dem ganzen Alkohol.«

»Na, wenn das kein Kompliment ist!«, bemerkt Ned.

Alle setzen sich um den Küchentisch, und Prune spürt, wie Brioc sich behaglich neben ihre Füße sinken lässt. Sie lächelt, seufzt vor Vergnügen und gestattet sich, sich glücklich und kurz vor dem Verlieben zu fühlen. Hugos Telefon verkündet mit einem »Ping« den Eingang einer SMS, und er zieht es aus der Tasche.

»Jamie«, erklärt er. »Fragt, ob er uns besuchen kann. Er hofft, bald herunterzukommen.«

»Natürlich kann er herkommen«, sagte Ned ungeduldig. »Er weiß, dass er hier immer willkommen ist. Das hier ist sein Zuhause. Wie geht’s ihm?«

Während Hugo eine Antwort tippt, beobachtet Prune die beiden Männer. Sie kennt Jamie noch nicht, obwohl Hugo von ihm erzählt hat: dass sie zusammen im Internat und an der Uni waren, dass Jamie nach seiner abgeschlossenen Flugausbildung auf die Luftwaffenbasis Lyneham kam und bald darauf geheiratet hat, die Ehe aber ein paar Jahre später zerbrach. So, wie Hugo redet, ist klar, dass Jamie für ihn so etwas wie ein Held ist, was sie ziemlich süß findet. Sie freut sich darauf, ihn kennenzulernen und zu sehen, wie Hugo und er sich zusammen benehmen. Obwohl die beiden über fünfzig sind, kann sie sich vorstellen, dass sie sich so ähnlich verhalten werden wie ihre Brüder, einander hänseln, beleidigen und Insiderwitze und Ausdrücke gebrauchen, die bis auf ihre Kindheit zurückgehen.

»Nicht so gut«, erklärt Hugo zur Antwort auf Neds Frage. »Anscheinend keine Veränderung.«

»Ist er krank?«, erkundigt sich Dossie besorgt.

Prune weiß, dass Dossie Jamie auch noch nicht kennt, aber spürt, dass er Hugo und Ned wichtig ist.

Hugo zögert, als müsste er entscheiden, wie viel oder wenig er preisgibt. »Er hatte diese Schwindelanfälle«, erklärt er schließlich. »Angefangen hat es mit einer Erkältung … und dann dieser furchtbare Schwindel. So stark, dass er tatsächlich umgefallen ist. Er hat gesagt, er habe geglaubt, einen Schlaganfall zu haben. In dieser ersten Woche ist er dreimal gestürzt. Natürlich bekam er Flugverbot. Piloten neigen zu Erkältungen und Innenohr-Infekten, aber niemand konnte feststellen, was der Grund ist. Er ist seit über einem Jahr nicht mehr geflogen.«

»Wie schrecklich«, murmelt Dossie schockiert. »Muss grauenvoll für ihn sein.«

»Es ist verdammt verheerend«, versetzt Ned ziemlich heftig. »Du bist Pilot, und in der nächsten Minute hast du deinen letzten Flug hinter dir, ohne es auch nur zu ahnen. Absolut elend.« Er schüttelt den Kopf, fast, als hätte er Schmerzen, als könnte er nicht glauben, wie grausam das Leben ist.

Prune beobachtet ihn, und ihr fällt ein, dass Jamie der Sohn von Neds verstorbenem Bruder ist und Neds eigener Sohn im Falklandkrieg auf der RFA Sir Galahad gefallen ist. Jamie muss ihm etwas Besonderes bedeuten. Sie fängt Dossies Blick auf, und sie teilen wortlos ihre Sorge und Hilflosigkeit. Beide wissen sie nicht, was sie sagen sollen.

»Jedenfalls«, sagt Hugo und versucht, einen fröhlicheren Ton anzuschlagen, »kommt er uns bald besuchen. Also alles gut.«

»Wenn das so ist«, erklärt Dossie, die schnell den positiven Umschwung in Hugos Stimme registriert hat, »sehe ich besser zu, dass euer Tiefkühlschrank gefüllt wird. Gib mir diese Liste, Hugo, und ich sehe, was ich tun kann. Was für Desserts isst Jamie denn gern?«

»Warmen Kuchen mit Karamellsauce«, erklärt Ned sofort, und Prune fühlt sich merkwürdig gerührt, weil Ned sich an so etwas erinnert.

Sie nippt an ihrem Pfefferminztee, während Dossie Hugo über die Schulter sieht und die Liste studiert. Ned schlägt Ergänzungen vor, und Hugo notiert sie. Prunes Aufmerksamkeit schweift ab; sie fragt sich, was sie anziehen soll, wenn sie mit Ben in den Pub geht. Unmerklich verbessert sich ihre Laune.

Kapitel 5