Sommerküsse in Sevilla - Sigrun Dahmer - E-Book
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Sommerküsse in Sevilla E-Book

Sigrun Dahmer

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Beschreibung

Wird Mia an die alten Zeiten anknüpfen können oder spielt das Schicksal gegen sie?
Ein herzerwärmender Liebesroman, der für Sommergefühle sorgt

Mias Leben ist völlig festgefahren. Gefangen in einem Job als Flirt-Coach, träumt sie sich immer öfter zurück nach Spanien, wo sie nach dem Studium ein Jahr voller Abenteuer verbrachte und ihre große – aber kurze – Liebe fand. Das Jobangebot einer Boulevardzeitung genügt daher, um Mia zurück nach Sevilla zu locken. Dort möchte sie nicht nur den Zauber ihres Auslandsjahres noch einmal erleben, sondern auch Rafa finden, der noch immer einen Teil ihres Herzens besitzt. In Sevilla angekommen, muss Mia aber feststellen, dass sich einiges in der traumhaften Stadt verändert hat. Auch ihre neue Arbeit birgt mehr Herausforderungen als erwartet, denn es gibt da diesen genauso arroganten wie attraktiven Kollegen, der ihr ständig in die Quere kommt …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Liebe, Mia, Sevilla.

Erste Leser:innenstimmen
„Erfrischende Urlaubslektüre!“
„Mir ist Mia sofort ans Herz gewachsen und ich habe sie sehr gerne bei ihrem Neuanfang in Spanien begleitet.“
„Romantische Story, unterhaltsam und humorvoll geschrieben – klare Empfehlung!“
„Ein schöner Liebesroman, liest sich leicht und hat trotzdem Tiefgang.“

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Seitenzahl: 348

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Über dieses E-Book

Mias Leben ist völlig festgefahren. Gefangen in einem Job als Flirt-Coach, träumt sie sich immer öfter zurück nach Spanien, wo sie nach dem Studium ein Jahr voller Abenteuer verbrachte und ihre große – aber kurze – Liebe fand. Das Jobangebot einer Boulevardzeitung genügt daher, um Mia zurück nach Sevilla zu locken. Dort möchte sie nicht nur den Zauber ihres Auslandsjahres noch einmal erleben, sondern auch Rafa finden, der noch immer einen Teil ihres Herzens besitzt. In Sevilla angekommen, muss Mia aber feststellen, dass sich einiges in der traumhaften Stadt verändert hat. Auch ihre neue Arbeit birgt mehr Herausforderungen als erwartet, denn es gibt da diesen genauso arroganten wie attraktiven Kollegen, der ihr ständig in die Quere kommt …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Liebe, Mia, Sevilla.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe August 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-545-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-555-3

Copyright © 2016, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2016 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Liebe, Mia, Sevilla (ISBN: 978-3-96087-056-2).

Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Maridav, © Charcompix, © aPhoenix, © Chansom Pantip, © pixel creator, © Juan Pedro Pena, © Irina Anashkevich Lektorat: Daniela Höhne

E-Book-Version 05.07.2023, 13:07:34.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Sommerküsse in Sevilla

Kapitel 1

F wie Feiertage

Das Zitat des Tages:

„Besonders an Feiertagen, wie z. B. zu Weihnachten, am Geburtstag, aber auch an persönlichen Jahrestagen, droht Ihren Klienten emotionale Absturzgefahr.“

(Ratgeber für angewandte Psychologie, S. 15f)

Geburtstage konnte ich noch nie ausstehen. Erst recht nicht, wenn sie mitten in der Woche lagen. Mein 27. Geburtstag fiel auf einen Mittwoch – mittiger ging’s nicht. Da ich wusste, dass ich nach der Leitung meines Workshops „Flirten für Großstädter“ zu nichts mehr zu gebrauchen sein würde, hatte ich meinen feierwütigen Freunden schon lange im Voraus zu verstehen gegeben, dass sie sich jegliche Hoffnung auf eine wilde B-Party zu Ehren meines Wiegenfestes abschminken konnten. Für mich gab es einfach nichts zu feiern, weder im engsten Freundeskreis unterhalb der Woche, noch aufgemotzt im großen Rahmen am Wochenende. Mit meiner sorgfältig geplanten Vermeidungsstrategie hätte ich auch fast Erfolg gehabt.

Leider nur beinah, denn meiner besten Freundin Sophia konnte ich damit nicht kommen. Sophia arbeitete als Lehrerin und ließ einem Schwänzen prinzipiell nicht durchgehen. Sie war dabei nicht nur hartnäckig konsequent, sondern zudem auch noch überaus gerissen. So bestand ihr Geburtstagsgeschenk darin, mich zusammen mit ihrem, vor einem Vierteljahr frisch geehelichten Gatten, dem Langweiler Lukas, zum Essen auszuführen. Im vollen Bewusstsein, dass ich diesen flotten Dreier mit Sophia und ihrem Lebenspartner – das Wort „Ehemann“ ging mir immer noch nicht über die Lippen – anders nicht würde durchstehen können, hatte ich am Dienstag schnell noch einige Piccoloflaschen Sekt auf Vorrat gekauft.

Am Mittwochabend leerte ich allein zu Hause vorsorglich schon die ersten beiden als Vorspeise. Trinktechnisch etwas aus der Übung, hatte ich die Nebenwirkung des Alkohols auf mich vergessen: Das Wummern in meinem Hirn nahm minütlich zu, die Kopfschmerzen wurden stärker und zu allem Überfluss fingen auch noch meine Synapsen zu piepen an. Es dauerte peinlich lange, bis ich begriff, dass mein angebliches Gehirngewitter in Wirklichkeit nichts anderes als das Läuten meiner Klingelanlage war. Ich schleppte mich zur Wohnungstür und öffnete sie vorsichtig einen Spaltbreit.

„Mia, bist du taub? Wir klingeln schon seit einer Viertelstunde. Komm, Liebling.“

 Sophia schob erst Lukas in mein Apartment, bevor sie es dann selbst betrat und die Tür leise hinter sich schloss. Lukas machte ein entschuldigendes Zeichen und wurde mir dadurch für einen Augenblick fast schon sympathisch. Ihm schien der Überfall seiner Frau ähnlich unangenehm zu sein wie mir. Als Sophia vor mir stand, starrte sie mich erschrocken an.

„Mia, was hast du mit deinem Haar gemacht?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ein kleines Geburtstagsgeschenk an mich selbst.“ Ich imitierte den typischen Tonfall von Werbeclips: „Directions, die Coloration, die Sie nur beim Frisör Ihres Vertrauens erhalten.“

„Du hast so schöne lange Haare, aber warum färbst du sie dir ausgerechnet pink?“

„Midlife-Crisis“, witzelte ich.

„Nee, Süße, geht gar nicht! Und überhaupt, wie siehst du aus? Die ,La Bodega‘ ist ein besseres Restaurant, du solltest dich dementsprechend schon etwas stylen.“

Der vorwurfsvolle Unterton war unüberhörbar. Sophia selbst nahm ihn anscheinend ebenfalls wahr, denn als sie fortfuhr, gab sie ihrer Stimme einen deutlich wärmeren Klang.

„Komm, die Zeit nehmen wir uns. Zieh dich ruhig noch einmal um!“

Sophias freundlich-verbindliches Timbre gefiel mir jedoch noch weniger. Aber, was sollte ich tun? Meine beiden Gäste ließen mir sowieso keine Wahl. Mit großer Selbstverständlichkeit hatten Lukas und Sophia sich mittlerweile einen Platz auf meinem Sofa im Wohnzimmer freigeräumt. Anschließend machten sie sich dort in demonstrativer Wartehaltung breit.

Ich floh in mein Schlafzimmer.

Kaum stand ich vor dem Kleiderschrank, schien das Kopfkissen meinen brummenden Schädel verführerisch zu sich zu rufen. Wie gerne hätte ich mein müdes, pink umrahmtes Haupt auf meinem Bett auskuriert! Doch das ließ Sophia bestimmt nicht zu. Richtig.

 Wie zu erwarten, enterte sie weniger als gefühlte zwei Minuten später mein Schlafzimmer. Furiengleich bugsierte sie Lukas und mich erst auf den Hausflur hinaus und nach kurzer Autofahrt in das teure spanische Feinkostrestaurant ,La Bodega‘ hinein. Auch dort hatte meine Freundin alles unter Kontrolle: Sie bestellte für uns drei ein mehrgängiges, vermutlich sehr kostspieliges Menü, erzählte geistreiche Anekdoten über die Schule im Allgemeinen und ihre Referendare im Besonderen, präsentierte sich als aufmerksame, charmante Gastgeberin, kurz, sie gab ihr Bestes, den Abend schön für mich zu gestalten. Doch leider entfalteten ihre gutgemeinten Bemühungen nicht so richtig die gewünschte Wirkung. Ich fühlte mich zunehmend unwohl, litt dabei aber gleichzeitig an Gewissensbissen Sophia gegenüber. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich die Vorboten des Eklats bereits im Vorfeld erahnen können. Aber irgendwie hatte mich Sophia komplett überrollt und dadurch meine innere Alarmanlage ausgeschaltet. Später machte sie Lukas Vorwürfe. Aber ich fand, dass er unschuldig an unserem Streit war. Der arme Kerl hatte beim Dessert einfach nur das Thema angesprochen, das mich sowieso die ganze Zeit beschäftigte. Sein einziger Fehler, wenn überhaupt, bestand höchstens darin, dass er nicht mitbekommen hatte, wie zartfühlend meine Freundin meine ganz persönlichen Killing Fields zu umschiffen versuchte.

„Und, Mia, wenn du jetzt eine Bilanz deines bisherigen Lebens ziehen müsstest: wie fühlst du dich mit siebenundzwanzig?“

„Lukas, nicht doch. Entschuldige bitte, Mia.“

Ich konnte nicht anders und trompetete trotzig die unglückselige Antwort heraus, die den gesamten Abend torpedierte: „Ich fühle mich nicht gut. Ehrlich gesagt geht’s mir beschissen. In meinem Leben ist alles schiefgelaufen. In jeglicher Hinsicht. Hat doch alles nichts gebracht.“

Stille. Treffer versenkt.

Lukas legte das Besteck zur Seite und schaute mich halb ungläubig, halb ängstlich an. Ich sah ihm an, dass es sein Weltbild erschütterte, das eine Psychologin mit abgeschlossenem Studium so depressives Zeug von sich gab. Sophia gabelte stoisch weiter. Nur ihre senkrechte Falte mitten auf der Stirn verriet sie. Plötzlich kam ich mir jämmerlich vor. König Alkohol hatte meine Selbstkontrolle vor die Hunde gehen lassen.

„Aber … doch, doch, insgesamt ist es eigentlich schon ganz okay“, ruderte ich ungeschickt zurück, versuchte, den Fehler wieder gutzumachen. Lahmes Manöver gegenüber einer langjährigen Studienfreundin. Nein, das traf es nicht so ganz. Sophia war viel mehr gewesen als eine alte Bekannte. Damals an der Uni waren wir sogar so dicke miteinander, dass es uns nur im Doppelpack gab. Was unsere Kommilitonen dazu veranlasste, uns die siamesischen Zwillinge zu nennen. Mit einem Mal wurde mir ganz wehmütig zumute. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem Sophia und ich uns kennengelernt hatten. In der Uni-Mensa. Noch genauer: Beim Warten auf den Schlag vegetarischer Bolognese in der Bio-Schlange. Wir befanden uns damals beide bereits im Hauptstudium. Einem total chaotischen Hauptstudium, denn es war die Zeit diverser Hochschulreformen und wechselnder Prüfungsordnungen. Sophia und ich hatten uns gegenseitig dabei unterstützt, dennoch die jeweils richtigen Creditpoints und Seminarscheine zusammenzukriegen, ohne bei der Zuordnung wahnsinnig zu werden. Der Kampf gegen bürokratische Windmühlen hatte uns vor allem in der Examensphase zusammengeschweißt.

Aber jetzt saßen wir hier, dinierten zu dritt in diesem Edelschuppen und schwiegen uns dabei vorwurfsvoll an. Die ganze Szene hatte etwas von einem absurden Theaterstück. Ich blickte immer wieder möglichst unauffällig zu meiner eleganten Freundin, meiner früheren Vertrauten, und musste mir eingestehen, dass sie mir ziemlich fremd geworden war. Keine Ahnung, wann genau es passiert war, doch wir hatten uns nach dem Studium wohl auseinandergelebt. Sobald der Druck von außen nachgelassen hatte, drifteten wir innerlich auseinander. Vermutlich lag es an unserem unterschiedlichen Charakter. Während ich noch nie so richtig gewusst hatte, wo ich eigentlich hinwollte, hatte Sophia ihr Leben schon von Anfang an fest im Griff gehabt. In jeglicher Hinsicht, sowohl beruflich als auch privat. Nur zu gut erinnerte ich mich an die Hochzeit, die sie und Lukas vor drei Monaten wahnsinnig aufwändig gefeiert hatten. Dass sie heiraten wollten, überraschte niemanden. Als Beamte auf Lebenszeit am selben Gymnasium tätig, saßen beide fest im Sattel. Ein fürchterliches Fest, sehr pompös mit Familie und Kollegen, und als eine Art abschreckendes Beispiel waren auch noch die paar übrig gebliebenen Single-Freunde eingeladen. Trotz des grässlich steifen Ambientes kamen mir beim Überziehen des Ringes dennoch fast die Tränen. Ich hatte das gemacht, was ich immer tat, wenn es mir zu sentimental wurde: Ich suchte einen Anlass, um zu lachen. Den hatte ich schnell gefunden, denn ich fand es überaus spaßig mitanzusehen, wie ungeschickt Lukas mit aller Gewalt den Trauring über Sophias Fingerknöchel quetschte. Ich sah dem Gesicht der Braut an, dass es ihr richtiggehend wehtat. Das wäre doch einmal eine Schlagzeile für die Bild gewesen: ,Trauring verursacht Knöchelbruch: So machen Sie den Juwelier haftbar‘. Ich grinste, doch als Sophia Lukas, sobald der Ring saß, glücklich küsste, drohten meine Augen schon wieder überzuschwappen. Energisch wischte ich mit Tempos dagegen an, während ich gleichzeitig „Apfelsinen“ murmelte, um meinen Sinn für Humor zu beschwören. Meine Strategie hatte zum Glück auch ein zweites Mal funktioniert. Die Tränen versiegten, das rettende Wort hatte mir ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Was wir als bessere Hälfte bezeichneten, nannte man im Spanischen mi media naranja: meine halbe Orange. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich damals dachte: Da stehen nun meine beiden Apfelsinen vor dem Schreibtisch des Standesbeamten und unterschreiben den Knastvertrag für die Obstkiste.

Während meiner ausschweifenden Tagträumereien hatte Lukas sich allmählich wieder gefangen. „Warum bist du denn unzufrieden?“ Seine Frage beamte mich aus der Vergangenheit hinaus und ließ mich recht unsanft wieder im Restaurant landen.

Was konnte ich zu meiner Verteidigung sagen? Ich war müde, traurig und sentimental. Und so antwortete ich das Erstbeste, was mir in den Kopf kam.

„Dieses Restaurant hier hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit einer spanischen Bodega!“

Sophia hob eine Augenbraue, Lukas wartete irritiert auf eine Erklärung.

„Warum?“, fragte er mich, als ich schwieg. Sophia rollte mit den Augen und führte ihr Glas Rotwein zum Mund. War mir egal. Ich legte los.

„So spießig akkurat, proper und … tot“, maulte ich, während ich aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie Sophia schluckte. Doch ich war nicht zu bremsen.

„In Sevilla sitzen alle an langen Gruppentischen, teilen sich das Essen, man schwätzt miteinander und tanzt …“

Lukas murmelte etwas von Glorifizierung, aber Sophia ignorierte seinen Kommentar und schaute mich dafür so böse an, dass ich mich nicht traute, fortzufahren.

„Willst du damit sagen, dass du dich in unserer Gesellschaft unwohl fühlst?“ Huch. Sophia explodierte wie das Silvesterfeuerwerk auf den Rheinbrücken. „Weißt du, wie lange im Voraus ich unsere Plätze habe reservieren müssen?“

Plötzlich überkam mich ein schlechtes Gewissen. Sie hatte recht, ich würde mich selbst nicht gern zur Freundin haben wollen.

Ich dachte an meinen roteingebundenen Praxisratgeber für angewandte Psychologie oben rechts auf dem Bücherregal. Nun ja, seit geraumer Zeit irgendwo unter meinem Bett. Mit diesem Buch hatte es eine ganz besondere Bewandtnis: Seit Spanien kämpfte ich jeden Morgen gegen meine Unlust aufzustehen an. Ich hatte schon so einiges ausprobiert, um meinen inneren Schweinehund an die Kette zu legen. Als am erfolgreichsten hatte sich dabei letztlich ein kleines Spiel erwiesen. Es handelte sich um eine Methode, mit der ich mir eine Art persönliches Tageshoroskop selbst erfand. Noch im Bett tastete ich mit geschlossenen Augen voller Schlafsand nach meiner dicken roten Psycho-Bibel aus Studientagen und schlug sie auf einer x-beliebigen Seite auf. Und meistens eignete sich die so gefundene Überschrift zum Spruch des Tages.

 Echt verblüffend. Ich würde mal sagen, die Trefferquote konnte es locker mit der von chinesischen Glückskeks-Botschaften aufnehmen. Mindestens! Im Grunde genommen lag mir abergläubisches Denken nicht. Bei meinem Morgenritual ging es eher darum, dass der Zweck die Mittel heiligte: Meine Neugier herauszufinden, was der zufallsgenerierte Text mit dem Tag, der vor mir lag, zu tun hatte, trieb mich recht zuverlässig aus den Federn. Das war’s auch schon. Mission erfüllt. Auch an meinem Geburtstagsmorgen hatte ich mich auf dieses Spielchen eingelassen und war passenderweise bei „F wie Feiertage“ gelandet. Das kam mir erst ein wenig unheimlich vor. Warnung vor dem Absturz an Geburtstagen. Aber das Zitat des Tages hatte sich leider auch diesmal wieder als zutreffend erwiesen. Ertappt. Obwohl ich studierte Psychologin war und es eigentlich besser wissen sollte, benahm ich mich an meinem Geburtstag genauso vorhersehbar undankbar und unausstehlich wie meine Klienten. Ärgerlich versuchte ich meinem Kopf zu befehlen, das lästige Pochen zu unterlassen. Ich wandte mich dem Gastgeberpaar zu, nahm meine geballte Willenskraft zusammen und versuchte zu retten, was von diesem Katastrophenabend übrig blieb.

„Quatsch“, hörte ich mein Über-Ich versöhnlich lachen. „Alles in Ordnung.“ Ich fand, dass meine Stimme sich fürchterlich unecht anhörte, viel zu laut und poltrig, aber das schien außer mir niemanden zu stören. Ganz im Gegenteil. Lukas und Sophia stimmten sofort gemeinsam in meine künstliche Fröhlichkeit mit ein. Sophia nahm den alten Gesprächsfaden nonchalant, wie es so ihre Art war, wieder auf.

„Süße, das, was du eben von dem Flirt-Workshop erzählt hast, klingt wirklich gut. Ich würde dich da diesbezüglich gerne um einen Gefallen bitten.“

„Natürlich“, beeilte ich mich zu sagen. „Ich stehe wirklich in eurer Schuld. Ihr habt euch so viel Mühe heute Abend gegeben. Vielen Dank. Ich kann das wirklich wertschätzen.“

Sophia warf mir ihre Serviette entgegen und grinste. „Du musst nicht zu Kreuze kriechen. Es reicht, wenn du meine Referendarin Ana morgen mal in deinem Trainingskurs hospitieren lässt. Nur für einen Tag. Das würde ihr wirklich guttun. Weißt du, sie tut sich so schwer, Augenkontakt zu den Schülerinnen und Schülern aufzunehmen und laut und deutlich zu sprechen.“

Oh nein, auch das noch. Das war eine harte Strafe! Doch bevor ich Einspruch erheben konnte, zog Lukas die Aufmerksamkeit auf sich, indem er aufstand.

„Ihr entschuldigt mich. Bin gleich wieder zurück.“

Sophia ertränkte ihn mit einer Unmenge süßer kleiner Küsschen, gerade so, als bräche er zu einer Polarexpedition mit ungewissem Ausgang auf.

Ich überlegte derweil fieberhaft, wie ich die schüchterne Referendarin wieder loswerden könnte. In besagtem Flirtkurs fühlte ich mich auch ohne Zaungäste schon total unwohl. An die Stelle als Fachbereichsleiterin Psychologie bei der Kölner Bildungsakademie war ich durch Sophia gekommen. Neben der Organisation und Administration gehörte es zu meinen Aufgaben, verschiedene Kurse und Workshops abzuhalten. Diese Woche hatte ich den überaus beliebten, stets überlaufenen Workshop ,Flirten für Großstädter‘ übernommen. Mein absoluter Hasskurs. Ich als Balztipps gebende Singletrainerin, die, so der Flyer, ,Kölner fit für die Liebe‘ macht. So was schafften nur die Kölner, den Bock zum Gärtner zu machen. Na ja, aber es hörte sich schlimmer an, als es war. Der theoretische Hintergrund des Kursprogramms war an und für sich gar nicht so blöd. Das Selbstbild der Kursteilnehmer mit der Fremdwahrnehmung abgleichen, in Rollenspielen den Erstkontakt einüben, Ängste ab- und Selbstbewusstsein aufbauen.

Während Sophia noch immer an Lukas herumknutschte, kam mir der Gedanke, dass meine Freundin eigentlich die perfekte Single-Trainerin abgeben würde: Charmant und selbstbewusst wie sie war, würde ihr das Flirttraining leicht von der Hand gehen. Aber dafür, typisch Deutschland, fehlte ihr meine Fakultas in Psychologie. Für mich hingegen war trotz meines theoretischen Wissens jede einzelne Kurssekunde eine Tortur. Weder verfügte ich über Sophias Strahle-Power, noch vertrat ich ihren Pragmatismus.

Wow, mittlerweile hatte Sweet Angelina ihren Darling Brad doch tatsächlich zum Klo gehen lassen. Ich holte tief Luft, stellte meine Beine fest auf den Boden und packte meine verbale Leuchtpistole aus.

„Sophia, glaubst du wirklich, deine Referendarin kann ein selbstbewusstes Auftreten an einem Tag durch Hospitieren lernen?“ Meine Freundin ließ meine Suggestivfrage an ihrem Credo zerschellen.

„Aber natürlich. Der Guten fehlt einfach nur das Werkzeug. Da sehe ich keinen Unterschied, ob in der Liebe oder im Beruf, man benötigt lediglich ein bisschen technisches Know-how, ein wenig Übung und auf in die Schlacht!“

Im Eifer ihrer Ausführungen spritzten, ohne dass sie es merkte, ein paar Tropfen Rotwein über den Rand ihres Glases hinaus und landeten schließlich plakativ auf ihrer weißen Seidenbluse. Ich machte meinen Mund auf und wieder zu. Dann hielt ich nach ihrem Gatten Ausschau.

„Dein Glück, dass Lukas nicht hier ist. Er scheint mir um einiges romantischer veranlagt zu sein als du.“

Ich kannte ihr Credo in- und auswendig. Wir hatten schon so oft darüber diskutiert. In Kurzfassung besagte es, dass sich eine Frau nicht nur in jeden Mann verlieben, sondern auch ausnahmslos alle rumkriegen konnte, solange sie wusste, welche Knöpfe sie zu drücken hatte. Ich sah das vollkommen anders. Entweder es funkte sofort zwischen mir und einem Typen, was zugegeben bisher eher selten vorgekommen war, oder wir hätten als Paar ohnehin keine Chance. Meiner Meinung nach konnte man da auch nichts herbeizaubern, egal, wie brillant die inneren Werte strahlten oder wie ausgebufft die Flirttechnik war. Wenn bei einem von beiden so gar nichts lief, war’s das, doch wenn es funkte, dann verschlang mich die Leidenschaft mit Haut und Haaren. In diesem Fall hielt ich es mit Bizet: „Prends garde a toi!“ So war es zumindest bei Rafa und mir abgelaufen. Wir standen sofort aufeinander und selbst jetzt, acht Jahre später, dachte ich immer noch täglich an ihn. Auch, oder vielleicht auch gerade deswegen, weil wir uns durch ein Unglück aus den Augen verloren hatten. Jedenfalls gingen meine Lippen bei der Erinnerung an Rafas braungelocktes Haar und sein John-Travolta-Grübchen am Kinn, das so gar nicht zu seinem sonst eher kantigen Gesicht passen wollte, immer noch automatisch in ein Lächeln über.

Lukas kam zurück, wir tranken noch einen finalen Espresso und dann setzte mich das, ähm, Ehepaar zu Hause ab. Natürlich vergaß Sophia nicht, mich zum Abschied an den Besuch der rehhaften Referendarin zu erinnern.

Als ich endlich wieder alleine war, zündete ich mir, während ich meinen Laptop hochfuhr, die letzte Zigarette des Tages an. Beim Abstauben meines Glimmstängels erlitt ich einen weiteren Anfall von Weltschmerz. Ich schaffte ein wenig Ordnung in meinem Kühlschrank, indem ich die letzten beiden Piccoloflaschen leertrank und hatte plötzlich eine poetische Vision, bei der ich mich wie Charles Bukowski höchstpersönlich fühlte. Im Grunde genommen feierte ich mit meinem Geburtstag meinen Verfall. Geburtstag gleich Verfall. Ich hielt diese bahnbrechende Einsicht mit krakligen Edding-Buchstaben auf dem Sektetikett fest. Dann machte ich mich bettfertig.

Als ich auf dem Weg ins Bad war, plingte mein Laptop, offensichtlich war eine E-Mail für mich angekommen. Vielleicht sogar aus Spanien. Ein völlig unlogischer Gedanke, ermahnte ich mich, schließlich kannte Rafa meine deutsche Mail-Adresse überhaupt nicht. Dennoch hetzte ich voller Erwartungen vom Bad zum Monitor. Tatsächlich: Geburtstagswünsche aus Sevilla. Natürlich nicht von Rafa, aber von Lynn. Ich fuhr meinen Laptop wieder herunter und schwang mich ins Bett.

Oh, Lynn, du Treue!, dachte ich gerührt kurz vor dem Einschlafen. Ich hatte mit Sicherheit nicht gerade unkomplizierte Freundinnen, aber sowohl Lynn als auch Sophia hielten zu mir. Ich legte mich auf die Seite. Meine Augen wurden schwer. Morgen würde ich Lynn antworten. An Tag zwei meines neuen Lebensjahres. Donnerstag. Und was für einer: Flirtgymnastik am Neumarkt. Um neun Uhr. Plus Referendarin. Schöne Scheiße.

Kapitel 2

S wie schüchtern

Das Zitat des Tages:

„Vor allem beim Erstkontakt mit Ihrem Klienten ist es wichtig, ihn so schnell wie möglich zu Wort kommen zu lassen und darauf zu bestehen, dass er seine Gefühle selbst formuliert.“

(Ratgeber für angewandte Psychologie, S. 75)

Sophias Referendarin wartete bereits draußen auf dem Parkplatz des Bildungsinstitutes auf mich. Zu blöd, ich hätte mir gerne noch einen Kaffee und einen kleinen Frühstückssnack in der Bäckerei gekauft, bevor es losging. Dieses misslungene Geburtstagsessen mit Sophia und dem lahmen Lukas steckte mir noch immer in den Knochen. Doch aus meinem kleinen, dringend benötigten, schön zuckrigem Koffein-Push würde nichts werden. Viel zu unhöflich. Ich bekam glatt ein wenig Mitleid mit Sophias Schützling, als ich mir so ansah, wie nervös sie vor dem Haupteingang auf und ab lief. Jung, konservativ gekleidet, unscheinbar. Ich dachte an meine moralische Verpflichtung Sophia gegenüber, fühlte mich wie Doktor Faustus, der diesen unglücksseligen Pakt mit Mephisto eingegangen war, und gab mir einen Ruck.

„Guten Morgen. Sie warten sicherlich bereits auf mich. Fichtner, Mia Fichtner.“

„Ja, Sophia, also Frau Lehmberger hat mich geschickt.“

Schlaffer Händedruck, leise Stimme. Keine Namensnennung.

„Entschuldigung, wie war Ihr Name noch?“

„Ana. Ana López.“

Ich starrte sie an. Mein Verhalten war überaus unprofessionell. Von wegen Stigmatisierung und so, aber ich konnte einfach nicht anders.

„Oh, Ihr Name hört sich in meinen Ohren spanisch an.“

Es war das erste Mal, dass sie mir in die Augen blickte. Ihre Stimme klang deutlich kraftvoller als bei unserer Begrüßung.

„Das stimmt, meine Familie kommt von dort, aber ich bin hier geboren und aufgewachsen.“

Gastarbeiterkind zweiter Generation, ratterte es in meinem Kopf. Spanien. Ich brauchte keinen Kaffee mehr, um wach zu werden. Während wir die Treppen hochstiegen, fragte ich mich, ob Sophia mir Ana mit Absicht geschickt hatte. Zuzutrauen wäre es ihr. Andererseits duzte Sophia sich an der Schule prinzipiell sofort mit allen. Nein, nein es war gemein, Sophia unter Generalverdacht zu stellen. Sie war sicherlich unschuldig. Da Ana akzentfrei Deutsch sprach und der Vorname neutral war, hatte Sophia diesmal mit ziemlicher Sicherheit entgegen ihrer Vorliebe ausnahmsweise einmal keine pädagogischen Hintergedanken gehegt.

Die anderen Kursteilnehmer saßen bereits im Stuhlkreis. Wie auch die drei Tage zuvor, begannen wir – nach einer kurzen Vorstellungsrunde für Ana – den Workshop mit einem Stimmungs-Blitzlicht. Im nächsten Schritt zeigte ich per Beamer einen Ausschnitt aus Casablanca. Zusammen analysierten wir die Körpersprache von Humphrey und der Bergman. Anschließend bildete ich durch Spielkarten zufällige gemischtgeschlechtliche Zweierteams, die in Partnerarbeit die Filmszene nachspielen sollten. Mit Ana als Volontärin kam es genau auf. Ich selbst hätte mich eher aus dem Fenster gestürzt, als mich vor allen zum Affen zu machen, aber ich musste zugeben, dass diese kleinen improvisierten Rollenspiele den Teilnehmern tatsächlich halfen. Auf der Bühne waren sie so nervös wie im wirklichen Leben. Ich filmte sie und, wenn sie ihr Verhalten selbst sahen, waren sie meist völlig von ihrer Außenwirkung überrascht. Beim zweiten Durchlauf konnten sie sich schon besser einschätzen, hatten ihr Benehmen bereits in der von ihnen gewünschten Richtung verändert und kamen meist wesentlich besser rüber. An diesem Vormittag in etwa hatte Alexander gelernt, dass er sich bei einem Date so verhielt, als würde er Verhandlungen bei einem Geschäftsessen führen. Ein Verhalten, das ihm selbst gar nicht bewusst gewesen war. Apropos Essen. Mein Magen knurrte peinlich laut. Klar, der Bäckereibesuch war ja weggefallen. Ich zählte die Minuten und endlich war der Vormittagsblock abgefackelt.

 Ich nahm Ana ins Schlepptau. Mittlerweile duzte ich sie genauso wie alle anderen Kursteilnehmer auch. Das diente zum einen der Vertrauensbildung, zum anderen mochte ich meine Klienten tatsächlich, sie konnten nichts dafür, dass ich diesen Kurs halten musste. Außerdem beabsichtigte ich, dass die Gruppe auch untereinander Kontakte aufbaute. Hungrig eilten Ana und ich die drei Etagen hinunter. Unten angekommen, bogen wir zweimal links ab und schon betraten wir mein Stammrestaurant, den chinesischen Schnellimbiss ,Shanghai‘. Selbstbedienung inklusive. Natürlich hätte ich auch zur Kantine gehen können, aber mir gefiel die Snack-Bar-Anonymität. Je weniger förmlich, umso besser. Sophias schüchterne Freundin taute mit jeder Minute mehr auf und zeigte sich richtiggehend begeistert von dem Flirtseminar.

„Vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast. Es ist echt toll!“

 Ich biss genüsslich ein Stück von der ganz besonders kross frittierten Frühlingsrolle, lecker double-fried, ab. Endlich essen. Blutzucker und Cholesterin schossen in die Höhe, meiner Laune ging es wieder besser. Ich könnte durchaus noch ein wenig mehr positives Feedback vertragen. Nicht gerade unauffällig machte ich schamlos einen auf fishing for compliments.

„Echt? Mein Seminar hat dir bis jetzt also gut gefallen?“

„Klar. Es ist wirklich beeindruckend. Ich hätte nicht erwartet, dass ich von den anderen als unsicher wahrgenommen werden würde. Doch als ich mich dann selbst sah, wusste ich, dass ich unbedingt selbstbewusster auftreten muss!“

Ich lächelte ihr mit fettigen Lippen aufmunternd zu.

„Das ist dir bereits toll gelungen. Im zweiten Anlauf hast du bereits viel deutlicher gesprochen und wirktest gleich viel präsenter.“

Die Referendarin sah mich voller Stolz an.

„Danke, ich fühlte mich auch besser. Dein Tipp, auf eine aufrechte Körperhaltung zu achten, hat mir sofort geholfen.“

Ich würzte noch etwas nach, ein bräunliches Pulver, das auf dem Tisch stand, vermutlich Glutamat in Reinform, und machte mich dann hungrig über den Eierreis mit Erbsen her.

„Du bist wirklich eine verdammt gute Psychologin.“

Ich verschluckte mich, hustete und griff automatisch zu meiner Cola. Gerade wollte ich ihr nach dem Motto „gut, dass wenigstens du das so siehst“ widersprechen. Doch das wäre völlig unprofessionell und als Rollenmodell komplett unbrauchbar gewesen. Ana bemerkte zum Glück nichts von meinen inneren Zweifeln und setzte ihre Fragerei unbefangen fort.

„Hast du auch hier in Köln studiert?“

„Ja, mit dem Schwerpunkt pädagogische Psychologie. Zwar habe ich auch ein Praktikum als Streetworkerin gemacht, doch dabei ist mir klargeworden, dass Community-Psychologie nicht so mein Ding ist. Na ja, und so bin ich hier an der Kölner Bildungsakademie gelandet.“

Meine erste Stelle in Probezeit, die Ende Januar, also in zwei Wochen, ablief. Wenn ich doch nur wüsste, ob ich den Vertrag verlängern sollte. Eigentlich gefiel mir diese Richtung auch nicht, zu viel Administration und ein für mein Empfinden zum Teil fragwürdig zeitgeistiges Kursangebot. Aber immerhin hatte ich keine finanziellen Sorgen mehr. Ich beschloss, das Thema zu wechseln.

„Und deine Eltern kommen aus Spanien?“

„Ja, aus Granada, dann hat mein Vater hier im Kölner Norden bei Ford Arbeit gefunden. Mittlerweile sind sie aber wieder zurückgegangen.“

„Nach Andalusien?“

Ich schaute auf die Uhr. Wir hatten noch Zeit.

„Nein. Meine Eltern wohnen jetzt in Katalonien, aber mein Bruder ist zurück nach Sevilla gezogen. Er arbeitet da bei der Zeitung.“

Sevilla!

Rafa!

„Cool. Ich kenne Sevilla. Nach dem Abi habe ich dort als Au-pair gejobbt. Eine tolle Stadt.“

„Así que hablas español?“

„Un poquito, ist aber schon ziemlich eingerostet. Sollen wir uns noch einen Nachtisch gönnen? Etwas Süßes? Die Bananen mit Honig sind hier fenomenal.“

Ich bemühte mich um eine spanische Aussprache, doch Ana war mit den Gedanken woanders. Sie nickte mir zu und tippte etwas in ihr Handy.

„Für mich auch.“

Als ich mit den beiden Tellern zurück an unseren Tisch kann, schob sie mir ihr Display hin. Doch mich konnte nichts von meiner warmen honigtriefenden Nervennahrung abhalten. Immerhin hatte ich noch vier lange Nachmittagsstunden vor mir. Diese einwöchigen Workshops gingen echt ans Eingemachte.

„Probier mal“, nuschelte ich glücklich mit vollem Mund. „Ist wirklich gut.“

„Schau mal“, erwiderte Ana unbeirrt. „Die letzte Mail von meinem Bruder.“

Ich wollte gar nicht schauen. Was gingen mich die Familienverhältnisse von Sophias Referendarin an? Ich wollte sie lieber ein wenig auf professioneller Distanz halten. So schüchtern schien die Kleine dann doch wirklich nicht zu sein!

„Ich glaube, wir sollten mal zahlen.“

„Lies doch mal! Wirklich witzig, dass ich gerade heute eine Psychologin kennenlerne.“

Okay, dann tat ich ihr eben den Gefallen. In vier Stunden würde sie sowieso für immer aus meinem Leben verschwinden. Als Erstes las ich die Anrede: „Hola guapa“. Mir gefiel die spanische Sitte, sich sofort mit einem Kompliment zu begrüßen. Die hatten es einfach drauf, die Iberer. Dann kam etwas über die Zeitung, jemand war krank, enferma, hieß doch krank? Und zum Schluss das Kürzel bs, das kannte ich noch gut. Stand für besos, Küsse. Ach ja …

„Ja, sehr schön. Dann lass uns mal gehen.“

„Wäre das denn nichts für dich? Ich meine, du bist Psychologin und sprichst Spanisch.“

„Was?“

Ich hatte das Geld schon wie immer auf den Tisch gelegt, meinen Mantel angezogen und war gedanklich bereits lange durch die Tür. Ana tippelte hinter mir her.

„Einzuspringen für Gonzalos unbefristet krankgeschriebene Kollegin und Artikel für die Psychoseite der ,Los Toros de Sevilla‘ zu schreiben.“

„Was?“

Weder Ana noch ich waren beim Nachmittagsunterricht bei der Sache. Sie ging immer wieder vor die Tür, um mit ihrem Bruder zu simsen. Erst fragte sie ihn an, ob noch Bedarf wäre, dann schwärmte sie von mir und pries mich an wie das neuste Gimmick von Apple. Später schlug sie vor, dass ich ihm meine Bewerbung per Mail senden könnte. Ihr Bruder sprach dann wohl mit irgendwem Wichtigen vom Blatt. Die Chefredakteurin bestand auf spanischen Themen und einer Recherche vor Ort. Der langen Rede kurzer Sinn: Als mein Seminar um siebzehn Uhr zu Ende war, schlug mir Ana beherzt vor, am Ende des Monats nach Sevilla zu fahren und dort als Aushilfe Psychoartikel für die Tageszeitung ihres Bruders zu verfassen.

„Nein“, schrie Sophia abends in den Hörer.

„Aber in zwei Wochen läuft meine Probezeit am Bildungsinstitut doch sowieso aus. Du weißt, dass ich das Flirtseminar fürchterlich finde. So etwas wollte ich nie machen. Ich finde, der Zeitpunkt auszusteigen, ist doch gar nicht mal so schlecht gewählt. Ein wenig Abstand gewinnen. In Sevilla in Ruhe überlegen, wie alles weitergehen soll.“

„Absolut unseriös. Das machst du auf keinen Fall!“

Im Hintergrund hörte ich Lukas’ zustimmendes Gemurmel. Vermutlich hatte sie mich auf laut gestellt. Wie bei so vielen anderen Pärchen war für sie Privatsphäre zu einem Fremdwort mutiert. Dann hatte ich das Gefühl, dass Sophia versuchte, den Hörer mit irgendetwas abzudecken, denn an meinem Ohr begann es ausgesprochen ungesund zu rascheln. Ich hielt das Telefon auf Abstand, befürchtete schon, einen Stromschlag zu bekommen. Dann hörte ich, wie Sophia mit verschwörerischer Stimme etwas Unverständliches nuschelte. Ich musste mich sehr konzentrieren, um sie zu verstehen.

„Du weißt doch, dass Sevilla nichts für dich ist. Da wirst du doch sofort rückfällig.“

Als ob ich ein Drogenproblem hätte. Meine Freundin hatte sie doch nicht mehr alle. Sophias Beschwörung bestätigte mich jedoch nur in meinem Beschluss.

Ein paar Wochen später, Ende Januar, war es endlich soweit. Die pinken Haare waren erst der Anfang gewesen. Jetzt machte ich mir selbst noch ein weitaus größeres, zugegebenermaßen etwas verspätetes Geburtstagsgeschenk: Weniger als einen Monat nach meinem 27. Geburtstag saß ich im Flieger nach Andalusien.

Schüchtern war gestern.

Kapitel 3

C wie Cross-Culture-Psychologie

Das Zitat des Tages:

„Cross-Culture-Psychologie beschäftigt sich mit Auswanderung und Immigration. Die erste Phase in einem fremden Land ist die sogenannte Honeymoon-Etappe, bei der alles euphorisch idealisiert wahrgenommen wird.“

(Ratgeber für angewandte Psychologie, S. 6)

„Mia, Mia, hier bin ich!“

Lynn winkte erst, dann kam sie auf mich zugerannt. Sie sah toll aus. Hatte sich die Haare lang wachsen lassen und sich in einen modischen Kurzmantel geworfen. Stand ihr gut. Sie schien sich aufrichtig über unser Wiedersehen zu freuen, denn ihr Gesicht strahlte heller als die Kölner Altstadt bei Nacht. Schon damals hatte mich ihre Wärme und Offenheit für sie eingenommen. Sie sah noch immer wie früher aus, vielleicht etwas eleganter, damenhafter. Ich schlang meine Arme um sie, drückte sie an mich und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Ihr schien es ähnlich zu ergehen und so blieben wir eine Zeit lang einfach mitten im Weg stehen und hielten einander fest, als ob wir zwei Verschollene wären, die sich entgegen aller Prognosen doch noch wiedergefunden hätten. Irgendwann löste sich Lynn grinsend von mir und deutete zwei Wangenküsschen an. Wie hatte ich dieses zärtliche spanische Begrüßungsritual mit den am Ohr gehauchten Küssen nur vergessen können?

„Seit wann hast du denn pinke Haare?“, fragte sie neugierig, während sie mir mein Handgepäck abnahm, um es selbst zu schultern.

„Finde ich ganz schön mutig, ein echtes Statement“, ergänzte sie anerkennend.

Ich zog meinen Koffer hinter mir her, der vor lauter Enthusiasmus, endlich wieder auf Tour zu sein, so unkontrolliert hüpfte, dass er um ein Haar in Lynns Hacken geknallt wäre. Zum Glück bekam sie das nicht mit, da sie mit ihrem Handy beschäftigt war.

„Moment.“ Ich wechselte die Hand, sodass er notfalls meine eigenen Füße lädieren würde.

„Ich dachte, ich würde in meinem grauen Leben versumpfen und da habe ich mich selbst durch den pinken Schopf wieder herausgezogen.“

„Noch immer eine Pippi Langstrumpf; meine Kölner Freundin macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Ich glaube, wir werden viel Spaß zusammen haben. Schau, da hinten steht mein Auto.“

Wir verließen Sevillas klimatisierten modernen Flughafen und wurden sofort von noch etwas kühlen, aber schon durchaus frühlingshaften Temperaturen eingelullt.

„In Köln haben wir Schneematsch, frieren und wagen uns nicht vor die Tür und hier …“

„Achtzehn Grad im Durchschnitt.“

„Frühling! Und das Ende Januar.“ Ich war euphorisch, fühlte mich wie befreit. Zurück in meinem echten Leben.

„Also, in ein paar Monaten wirst du dir die deutsche Kälte herbeiwünschen.“

Wir hatten ihren blauen Seat erreicht. Lynn zückte erneut ihr Handy, scrollte ein wenig herum, steckte es dann wieder weg und öffnete endlich den Kofferraum. Ich verstaute mein Gepäck und dann fuhren wir die etwas mehr als zwanzig Kilometer zur andalusischen Hauptstadt.

„Und“, fragte ich sie, während ich mich anschnallte, „hast du manchmal Heimweh?“

Für einen Augenblick schwieg sie, suchte einen anderen Radiosender und starrte auf die Straße.

„Manchmal schon. Aber ich glaube, es ist eher so eine Art Wunschdenken. Immer, wenn ich meine Ferien in Deutschland verbringe, sehne ich mich wieder nach Spanien zurück.“

Ich nickte und schaute aus dem Fenster. Wir fuhren durch ein hässliches Gewerbegebiet, vorbei an ziemlich heruntergekommenen Gewächshäusern, welche die Landschaft mit weißen Plastikfolien zu verhüllen trachteten. Das wäre sicherlich etwas für diesen Verhüllungskünstler. Wie hieß der noch gleich? Richtig: Christo. Ich überlegte, was wohl unter dem Meer aus Plastik angebaut wurde.

Fresas, fiel mir das spanische Wort für Erdbeeren plötzlich wieder ein.

Allmählich wurde der Verkehr dichter, wir näherten uns unserem Ziel. Ich versuchte, den Radiosprecher zu verstehen, doch es gelang mir nicht. Ich hatte schon bei der Ankunft unerwartete Schwierigkeiten gehabt, meine Mitreisenden im Flughafenbus zu verstehen und brauchte auch jetzt erschreckend lang, um mich an die paar spanischen Wörter zu erinnern, die auf den Verkehrsschildern immer wieder benutzt wurden. Acht Jahre waren eine lange Zeit. Der Moderator im Radio knallte uns seine Sätze im Turbo-Tempo um die Ohren. Ich tröstete mich damit, dass der Sender nicht gut eingestellt war. Als wir vor einer roten Ampel hielten, nutzte Lynn die Zeit, um die Nachrichten auf ihrem Handy abzurufen. Ihr Gesicht sah enttäuscht aus. Hinter uns hupte ein Autofahrer. Schuldbewusst ließ Lynn es wieder in ihrer Jackentasche verschwinden und gab Gas.

„Sevilla gefällt mir nach wie vor. Es ist die spanischste aller Städte für mich“, erklärte Lynn, bemüht, das Gespräch wieder in Schwung zu bringen.

„Aber …“, ich hörte ihrem Tonfall an, dass sie versuchte, noch etwas anderes mitzuteilen.

„Oh Mann, Mia, ich bin so happy, dass du wieder da bist.“ Sie lachte und legte ihre Hand auf mein Knie.

„Dir kann man nichts vormachen. Du kennst mich noch immer.“

Ich wartete. Mittlerweile passierten wir leerstehende Häuser, die nicht zu Ende gebaut worden waren. Sie strahlten etwas Gespenstisches aus.

„Ich bin jetzt auch oft in Madrid“, setzte Lynn vorsichtig an, ohne sich überwinden zu können, mir ihr kleines Geheimnis zu offenbaren.

„Ach ja?“

„Mhm.“

„Wie heißt er denn, der fesche Madrileño, auf dessen Anruf du wartest?“

Lynn lachte und gab meinem Bein einen kleinen Klaps.

„Und da schwärmen die Spanier immer von der höflichen Diskretion der Deutschen.“

Obwohl ich neugierig war, ließ ich das Thema ruhen.

„Lynn, täusche ich mich, oder ist Sevilla wirklich so heruntergekommen, wie es den Anschein hat?“

Ich presste meine heiße Stirn gegen die kühle Fensterscheibe der Beifahrertür und war schockiert. Ich erkannte Sevilla nicht mehr wieder. Alles war hässlich, verdreckt, heruntergekommen. Müll, Graffitis, verlassene Bauruinen, Bettler an den Straßenecken.

„Ja, die Krise hat uns alle nicht kalt gelassen.“

In diesem Moment fuhren wir an der Plaza de España vorbei. Die im Halbkreis angeordneten Gebäude grüßten mich majestätisch und versöhnten mich. Zumindest diese Architektur hatte sich im Laufe der Jahre nicht verändert, sondern hielt weiterhin loyal zu mir. Die Schönheit der Anlage regte meine Phantasie an und umgarnte mich so verführerisch wie Don Giovanni, der für mich genauso zu Sevilla gehörte wie Rossinis Figaro.

Lynn bog in die Avenida de la República Argentina ein und mein Hochgefühl meldete sich wieder zurück, als wir den mächtigen Arm des Guadalquivir-Flusses überquerten. Die Sonne blendete und Erinnerungsfetzen brachen sich kaleidoskopisch in meinem Hirn.

„Ich wohne jetzt im Stadtteil Triana, der wird dir gefallen. Er ist nicht so touristisch wie Santa Cruz, sondern viel authentischer. Du wirst sehen.“

Lynn gefiel sich offensichtlich in der Rolle der Reiseführerin: „Die kleine Vorstadt war früher erst der Anlaufpunkt für Seefahrer, dann verkam es zu einem Industrieviertel. Doch mittlerweile hat es sich ganz schön gemausert. Aber die Mieten sind immer noch erschwinglich geblieben. Zum Glück. Viele Kunsthandwerker haben sich hier angesiedelt. Schau, da vorne ist schon die erste Töpferei!“

Ich blickte in die Richtung, in die sie gezeigt hatte, aber es war schon zu spät. Statt der Töpferei machte ich jedoch gleich zwei Flamencoschuppen aus. Auch nicht schlecht. Währenddessen erläuterte Lynn das weitere Programm.

„Auf jeden Fall werden wir gleich, wenn du dich etwas frisch gemacht hast, eine Runde Tapas essen gehen.“

„Ir de tapeo heißt das doch, oder?“

„Genau. Ich kenne da eine tolle Taberna direkt am Ufer von Triana. Von dort hat man einen wunderschönen Blick auf die andere Seite des Flusses.“

„Oh, Mann, Lynn, ich bin dir so dankbar. Wie schön, dass wir wieder zusammen sind. Und danke, dass ich erst einmal bei dir wohnen darf. Ich werde mich so schnell wie möglich nach einer eigenen Bleibe umsehen.“

„Jaja, immer langsam. Komm erst einmal richtig an!“

Kurz darauf parkte Lynn den Seat in der Calle Pelay. Weiße Häuser und von Blumen gesäumte Gässchen. Ich lächelte glücklich. Das Viertel war, wie Lynn schon angedeutet hatte, urig und wunderschön. Ich fühlte mich sofort wohl. Köln war bereits ganz weit weg.

Nachdem wir Tapas in zwei Bars zu uns genommen hatten, war ich so erschöpft, dass ich Lynn bat, nach Hause zurückzukehren. Sie schien mir etwas enttäuscht zu sein, dass ich so früh schlapp machte, hatte aber Verständnis für mich. Schließlich sollte ich mich morgen in der Redaktion der ,Toros de Sevilla‘ präsentieren. Als ob ich jemals etwas mit Zeitung am Hut gehabt hatte. Aber ja doch. In der Grundschule ließ mich meine Deutschlehrerin einmal die Witzseite für unsere Schülerzeitung gestalten.

Kapitel 4

A wie Arbeitspsychologie

Das Zitat des Tages:

„Der beste Tipp, den Sie Ihren Klienten geben können ist, ungefähr eine Woche vor Arbeitsbeginn auf einer Bank gegenüber dem neuen Arbeitsplatz Stellung zu beziehen und die Menschen, die dort ein- und ausgehen gründlich zu beobachten. Dadurch erfahren sie viel über so wichtige Bereiche wie Dresscode und Tagesablauf ihrer zukünftigen Arbeitsstelle.“

(Ratgeber für angewandte Psychologie, S. 4)

„Lynn“, schrie ich. „Was trägt man hier denn so? Ich habe keine Ahnung, was ich zum ersten Termin bei der Zeitung anziehen soll!“

„Woher soll ich das wissen?“, tönte es aus der Küche. Hmmm, ich roch bereits den Kaffee. „Kenne mich nur mit spanischen Gerichten und Hauptstadtmännern aus.“

Ich erinnerte mich nur vage an Lynns Liebesgeständnis gestern Abend. Nach einigen Gläsern Rotwein hatte sie mir ein wenig von ihrer Affäre mit José, einem verheirateten Staatsanwalt in Madrid erzählt. Ihren Schilderungen entnahm ich, dass ihre Beziehung sich imposanter anhörte, als sie war. Im Grunde genommen schien sie mir ziemlich unter dem Status der verleugneten Zweitfrau zu leiden. Konnte ich gut verstehen. So eine selbstzerfleischende Dreiecksbeziehung wäre auch für mich nichts. Meiner Meinung nach waren wir Menschen nicht bedürfnisfrei genug, um sicherzustellen, dass in so einer Ménage-à-trois alle Beteiligten ihr gerechtes Stück vom Kuchen abbekämen.

Lynn kam mit einem Becher dampfenden Milchkaffee in der Hand auf mich zu.

„Ich hoffe, du trinkst ihn noch immer so widerlich süß wie früher“, grinste sie verschwörerisch. „Ich habe den Zucker nämlich bereits für dich versenkt.“

Ich lachte. „Klar, unter drei Würfeln pro Tasse geht es nicht.“

Plötzlich legte sich meine Unruhe. Es rührte mich, dass Lynn sich noch immer an meine kleinen Spleens erinnerte.

„Also“, überlegte sie, „Rock und Absätze. Hast du so etwas dabei?“

Ich war sportlich schlank, Lynn designerdünn. Ein Kleidertausch war ausgeschlossen.

„Hm.

Ich öffnete seufzend den Deckel meines Koffers, damit wir dessen unordentlichen Inhalt zwischen den Hartschalen gemeinsam inspizieren konnten.

Sie nickte anerkennend. „Sogar ein weißes Blüschen.“

„Ich könnte kotzen. Lynn, ich mag mich nicht verkleiden.“ Trotzig setzte ich noch einen drauf: „Will da nicht hin.“

„Komm, komm, meine kleine pasota. Spanier mögen strebsame blonde Deutsche. Die Redaktion wird dich auf Händen tragen, wirst schon sehen.“

Die arbeitswütige Deutsche kam dann ganz undeutsch zu spät. Ich hatte mich verlaufen. Erst zehn Minuten nach Terminbeginn drückte ich die Klingel so fest, als wäre es der Knopf einer Zeitmaschine und könnte meine Verspätung rückgängig machen. Ich war gerade dabei, mir eine Entschuldigung auf Spanisch zurechtzulegen, als jemand die Haustür aufriss.

„Sind Sie Mia aus Deutschland? Was soll das? Ich wollte gerade gehen.“

Mir verschlug es die Sprache. Meine Lippen versuchten, mich zu retten, indem sie gracias murmelten. Mein schöner spanischer Entschuldigungsmonolog für die Katz.

„Wieso gracias? Sie meinen wohl perdón! Sprechen Sie überhaupt spanisch? Sonst können Sie gleich wieder gehen.“

„Doch, natürlich. Ich meine: Sí, señor!“