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Ostseewind und Herzgeflüster
Marie liebt ihr unaufgeregtes Leben auf der schönen Ostseeinsel Fehmarn: Sie arbeitet im Immobilienbüro ihres Onkels, wohnt mit ihrer besten Freundin in einer WG und leitet die Theatergruppe. Nur die beginnende Beziehung zu Tierarzt Jörn könnte für Maries Geschmack mehr Pep vertragen.
Hätte sie das mal nicht zu laut gedacht.
Denn Aufregung tritt schon bald in Form von Ben auf: Schauspieler, sehr attraktiv und zu Besuch auf der Insel, um das Haus seiner verstorbenen Oma zu verkaufen. Marie soll sich um die Abwicklung kümmern, und dann bietet Ben auch noch an, die vakante Stelle in der Theatergruppe zu besetzen. Er bringt mit seiner charmanten Art Maries Gefühlswelt gehörig durcheinander und als wäre das nicht genug, kommt heraus, dass die beiden ein schicksalhaftes Ereignis aus der Vergangenheit verbindet ...
Warm wie ein Sommerabend, prickelnd wie Sonnenstrahlen und erfrischend wie ein Kaltgetränk - das ist die neue Ostsee-Liebesroman-Reihe von Kira Hof.
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Seitenzahl: 444
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Marie liebt ihr unaufgeregtes Leben auf der schönen Ostseeinsel Fehmarn: Sie arbeitet im Immobilienbüro ihres Onkels, wohnt mit ihrer besten Freundin in einer WG und leitet die Theatergruppe. Nur die beginnende Beziehung zu Tierarzt Jörn könnte für Maries Geschmack mehr Pep vertragen.
Hätte sie das mal nicht zu laut gedacht.
Denn Aufregung tritt schon bald in Form von Ben auf: Schauspieler, sehr attraktiv und zu Besuch auf der Insel, um das Haus seiner verstorbenen Oma zu verkaufen. Marie soll sich um die Abwicklung kümmern, und dann bietet Ben auch noch an, die vakante Stelle in der Theatergruppe zu besetzen. Er bringt mit seiner charmanten Art Maries Gefühlswelt gehörig durcheinander und als wäre das nicht genug, kommt heraus, dass die beiden ein schicksalhaftes Ereignis aus der Vergangenheit verbindet ...
Kira Hof
Sommernachtsküsse auf Fehmarn
»Was hast du getan? Du kannst ihn doch nicht einfach mit deinem Stock k. o. schlagen.«
»Aber er stand günstig.«
»Jolanta!«
»Was? Glaubst du, meine Kekse verschenke ich grundlos? Immerhin hat er jemanden ermordet.«
»Das wissen wir nicht.«
»Bald schon. Lass mich mal machen.«
Für einen Moment herrschte Stille. Dann erfüllte ein Flüstern den Raum.
»Oh Mist, entschuldigt. Ich habe schon wieder meinen Einsatz verpasst.«
Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Ein paar andere aus unserer Theatergruppe sahen das allerdings etwas kritischer und tuschelten. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Wir hatten nur noch vier Wochen bis zur Premiere, und die Anspannung stieg.
Hilde schüttelte unglücklich den Kopf. Sie war stets ein wenig schusselig, wenn es um ihren Text ging. Aber für ihr Alter äußerst ehrgeizig und eine Seele von Mensch. Und ein bisschen Oma-Ersatz, seit ich keine eigene mehr hatte. Ich strich ihr liebevoll über den Arm.
»Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen, und ich hole stattdessen eine Runde Fischbrötchen bei Fietje«, schlug ich vor, um dem drohenden Stimmungsumschwung entgegenzuwirken.
Niemand widersprach, und Hilde lächelte versöhnlich. Wahrscheinlich würde sie mich und Franzi aus Dankbarkeit die komplette nächste Woche mit Selbstgebackenem verwöhnen. Automatisch strich ich mit der flachen Hand über meinen Bauch, wo sich der Speck leicht über den Bund der Hose drückte. Ich stieß einen leichten Seufzer aus. Egal, verzichten kam für mich trotzdem nicht infrage. Es gab Schlimmeres, als nicht die perfekte Bikinifigur zu besitzen. Zumindest redete ich mir das regelmäßig ein, wenn ich den Versuchungen mal wieder nicht hatte widerstehen können.
Im Anschluss an die kleine Zwischenmahlzeit stoben alle friedlich auseinander. Ich schloss den Gemeindesaal ab und schwang mich auf meinen Elektroroller. Die Theatergruppe war wirklich ein bunt gemischter Haufen. Hilde mit fast achtzig war die Älteste, ihr folgte Elke mit siebenundsechzig. Die beiden hatten schon in Theatergruppen gespielt, da war ich nicht mal ein entfernter Gedanke gewesen.
Ina war für das Bühnenbild verantwortlich. Kerstin für die Auswahl der Kleidung und das Make-up. Außerdem hatte sie die Idee für das Stück. Ich hatte ihr nur bei der Ausarbeitung geholfen. Leider war sie erkrankt und konnte uns dieses Jahr nur sporadisch unterstützen. Joost und Martin waren Vater und Sohn und sozusagen die letzten Mohikaner unter uns Frauen.
Na ja, fast. Holger gab es auch noch, aber den hatten wir am liebsten, wenn er hinter der Bühne und nicht auf ihr herumwerkelte. Und Hauke zählte nicht. Er war der Ehemann von Kerstin und übernahm an den Abenden unserer Aufführung die Aufgabe der Moderation. Sonst war er eher selten anzutreffen. Dann gab es noch Wiebke, unser Küken. Ich vermutete, sie machte mit, um in Martins Nähe zu sein. Das bereitete mir ein wenig Bauchschmerzen. Ein Liebesdrama kurz vor der Premiere wäre eine Katastrophe. Doch bisher schien Martin ziemlich immun gegen Wiebkes Flirtversuche.
Ich seufzte innerlich. Es hatte vor zwei Jahren geklappt, es würde wieder klappen. Ich musste nur fest daran glauben und hoffen, dass uns weder gebrochene Herzen dazwischenfunkten, noch, dass Hildes Gedächtnis sie nicht gänzlich im Stich ließ. Vier Wochen. Bis dahin würden wir eben üben. Da Hilde unsere Vermieterin war und Franzi und ich mit ihr im selben Haus wohnten, konnten wir zusätzlich und in Ruhe gemeinsam den Text lernen. Und die anderen beiden behielt ich im Auge, mehr konnte ich nicht tun.
Es war Anfang Juli. Wie üblich für die See ging ein leichter Wind. Die Sonne schien und lockte Touristen und Einheimische gleichermaßen auf die Straßen des hübschen Städtchens. Das Kopfsteinpflaster glänzte, in den Blumenkübeln und –kästen leuchteten Blüten in allen Farben des Regenbogens und über ihnen wölbte sich der tiefblaue Himmel, an dem die Möwen kreischend ihre Kreise zogen.
Ich drosselte die Geschwindigkeit, um die Atmosphäre in mich aufzusaugen. Doch nicht nur dieser perfekte Sommertag ließ mich zufrieden lächeln. Ich fühlte mich ausgeglichen. Im Job lief es blendend, mit meiner besten Freundin Franzi hatte ich die tollste Mitbewohnerin der Welt, und nach einer gefühlten Ewigkeit schien auch in der Liebe der Stein endlich wieder ins Rollen zu kommen. Nicht zu vergessen, meine Eltern. Sie waren gesund, und in ihre Gesichter war eine Leichtigkeit zurückgekehrt, an die ich nicht mehr geglaubt hatte. So konnte es ewig weitergehen. Laut wollte ich den Wunsch lieber nicht aussprechen. Nicht, dass ich abergläubisch war, aber ich wollte trotzdem keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich lenken. Schweigen und genießen lautete hier wohl die Devise.
Genießen wollte ich vor allem die Nähe von Jörn. Wo wir wieder beim Thema Liebe wären. In zwei Stunden waren wir zum Essen verabredet, bei meinem Lieblingsitaliener.
Jörn war Tierarzt und hatte hier in Burg auf Fehmarn seine eigene Praxis. Ich hatte nicht gewusst, wer er war, bis unsere Wege sich dank eines Schwans kreuzten, der seine Hilfe benötigte.
Meine Eltern betrieben im Ort eine kleine Pension, falls man es überhaupt so nennen konnte. Vor ein paar Jahren hatten sie sich ihren Traum erfüllt und die kleine Villa gekauft, von der meine Mutter schwärmte, seit ich denken konnte. Das Erdgeschoss bewohnten sie selbst. Nur ein Raum diente als Frühstücksraum. Er grenzte direkt an die private Küche. In der oberen Etage gab es zwei Ferienwohnungen. Eine kleine für zwei und eine etwas größere für bis zu vier Personen.
Die Villa stand umrahmt von Bäumen am Rand des Ortskerns. Hinter dem Haus befand sich ein großer Garten, der von meinen Eltern liebevoll gepflegt wurde und vor allem zu dieser Jahreszeit Insekten ein zauberhaft buntes Paradies aus Blüten bot. Im vorderen Bereich trennte ein Park den Bereich bis zur Straße. Mitten darin befand sich ein Teich, den unter anderem besagter Schwan zu seinem Zuhause erkoren hatte.
Mir war aufgefallen, dass er humpelte. Also erzählte ich meinen Eltern davon und die riefen den Tierarzt. Eine halbe Stunde später stand Jörn vor mir. Und noch eine halbe Stunde später war der Schwan versorgt und ich hatte ein Date. Das Leben konnte so einfach sein.
Dank meiner neuen knallroten elektrischen Vespa war ich in wenigen Minuten beim Haus meiner Eltern angelangt. Ich fuhr am Teich vorbei, dessen Wasseroberfläche sich vom Wind kräuselte, und parkte neben einem fremden Auto mit Münchner Kennzeichen. Anfangs fand ich es merkwürdig, im Hausflur auf Menschen zu treffen, die ich nicht kannte. Inzwischen war es merkwürdig, wenn außer meinen Eltern niemand dort wohnte.
Ich zupfte meine Ponyfransen in Position, was bei der stärker werdenden Brise keinen sonderlichen Effekt hatte, und klingelte einmal lang und zweimal kurz. Mein Morsezeichen für ,Hallo, ich bin es, Marie'. Zwar besaß ich einen Haustürschlüssel, mochte den jedoch nicht benutzen, wenn Feriengäste eingemietet waren, die mich nicht kannten.
Nach einem kurzen Augenblick des Wartens öffnete mir meine Mutter und empfing mich mit einem breiten Lächeln. Es gab eine Zeit, da hätte ich nicht gedacht, sie je wieder lächeln zu sehen. Umso glücklicher machte mich dieses Bild jedes Mal.
»Hallo, Schatz, ich habe heute gar nicht mehr mit dir gerechnet. Ist die Probe schon beendet?«
»Ja, wir haben früher Schluss gemacht. Hilde hat ein paarmal ihren Einsatz verpasst. Du weißt, wie direkt der ein oder andere sein kann. Also habe ich sie mit Fischbrötchen bestochen und nach Hause geschickt.«
Meine Mutter grinste. »Verhandeln kannst du.«
»Ich lerne bei den Besten.«
Das Immobilienbüro, für das ich arbeitete, gehörte dem Bruder meiner Mutter, Rolf Marquart, und dessen Frau Imke Lanz. Schon als Kind fand ich die Vorstellung aufregend, Häuser zu kaufen und wieder zu verkaufen. Dabei zusehen zu dürfen, wie Wohnungen entstehen. Die Geschichten dahinter kennenzulernen. Mein Berufswunsch stand daher immer fest, und ich bereute es nicht.
»Lang bleiben kann ich nicht. Nachher treffe ich mich noch mit Jörn. Aber ich wollte euch schnell den Honig vorbeibringen, den Hauke mir in die Hand gedrückt hat. Schöne Grüße und guten Appetit soll ich ausrichten.« Ich reichte die beiden Gläser meiner Mutter.
»Ach, hervorragend. Den kann ich unserem Gast morgen früh gleich auf den Tisch stellen. Ist mir immer lieber als der aus dem Supermarkt.«
»Nur ein Gast?«, fragte ich nach.
»Ja, ein einzelner junger Mann. Dein Alter vielleicht. War wohl als Kind öfter hier und gönnt sich eine Auszeit vom Job.« Sie zuckte mit den Schultern.
Im Gegensatz zu mir war meine Mutter nicht neugierig auf die Geschichten, die ihre Gäste mitbrachten. Sie trat ihnen stets mit Herzlichkeit und höflicher Zurückhaltung entgegen. Nicht, dass ich aufdringlich wäre. Um Himmels willen. Aber eben neugierig. Und bei einzelnen jungen Männern erst recht. Doch das musste warten. Ich betrat kurz das Wohnzimmer, um auch meinem Vater Hallo zu sagen, und machte mich dann auf den Heimweg.
Während ich unter der Dusche stand, wurde die Tür zum Badezimmer aufgestoßen und Franzi rief mir ein lautes »Bin da.« zu. In ein Badetuch gehüllt setzte ich mich auf einen der zwei Barhocker, die in unserer winzigen Küche Platz fanden. Ich beobachtete meine beste Freundin, wie sie verschiedene Zutaten auf dem Tisch ausbreitete, um sie dann zu einem Turm zu stapeln. Mit einem genüsslichen Seufzer biss sie in ihr Sandwich.
»Hunger?«, fragte ich amüsiert.
»Nur ein bisschen.« Sie lachte und ihre blauen Augen funkelten.
Diese Augen waren übrigens so ziemlich der einzige Unterschied zwischen uns. Meine waren eine Mischung aus allen Farben. Nicht erst ein Mal hatte man uns für Zwillinge gehalten. Wir hatten mit unsren knapp einen Meter siebzig die gleiche Körpergröße, auch die Figur glich sich. Was ziemlich praktisch war, wenn man im eigenen Kleiderschrank nichts zum Anziehen fand. Zu Schulzeiten hatten sogar unsere Haare exakt die gleiche Länge. Inzwischen trug ich einen blonden Kurzhaarschnitt. Franzi würde eher töten, als ihre blonde Mähne abzuschneiden.
»Bist du heute nicht verabredet?«
»Ja, Jörn sollte in fünfundvierzig Minuten hier sein.« Ich schnappte mir eine Gurkenscheibe und steckte sie mir in den Mund. »Wir gehen zu Giovanni.«
»Mmh, da bekomm ich gleich noch mehr Hunger.«
»Dich nehme ich das nächste Mal mit.«
»Schon gut, ich gönn dir dein Date. Apropos Date.« Franzi streckte den Zeigefinger in die Luft. »Was hältst du von einem Hund, als Haustier meine ich.«
»Was hat das mit Jörn zu tun?«
»Eigentlich nichts. Ich wollte schon immer einen Hund und dein Tierarzt hat mich daran erinnert. Also?«
Ich blähte die Wangen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen. »Puh, gute Frage. Keine Ahnung. Ein Hund?«
»Okay, egal. Denk drüber nach und jetzt husch, husch ins Bad. Oder wollt ihr das Essengehen überspringen?«
Lachend stand ich auf. »Keine Chance.«
Pünktlich um neunzehn Uhr stand Jörn in unserer Wohnung. Er begrüßte Franzi und mich gleichermaßen mit einer Umarmung. Anerkennend betrachtete ich ihn. Seine langen Beine steckten in einer grauen Jeans, dazu trug er ein marineblaues Hemd. Seine dunklen Haare hatte er mit etwas Gel gestylt. Jörn erinnerte mich ein bisschen an den Fernsehmoderator Thore Schölermann, nur ohne Bart.
Ich hängte mir die Handtasche um. »Von mir aus können wir starten.«
»Dann los. Tschüss, Franzi. War schön, dich zu sehen.« Jörn hob die Hand zum Gruß.
»Viel Spaß euch beiden.«
Der Wind hatte wieder ein wenig nachgelassen und es war herrlich warm, als wir uns zu Fuß auf den Weg zur Pizzeria machten. Während die Möwen kreischend über unsere Köpfe hinwegflogen, brachten wir uns gegenseitig auf den neusten Stand. Noch immer erzählend setzten wir uns im Außenbereich an einen Tisch.
»Deine Nerven möchte ich haben.« Jörn schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, was besser ist. Ein wilder Haufen Schauspielwütiger oder ein bissiger Hund?«
»Den Hund kann ich mit einer Spritze ruhigstellen, aber dein wilder Haufen nutzt dir schlafend wohl nichts.«
Ich lachte laut auf. »Ja, das wäre eher kontraproduktiv. Ich habe andere Methoden.« Verschwörerisch beugte ich mich Jörn über den Tisch hinweg entgegen. »Süßes, am besten selbst gebacken. Damit krieg ich sie jedes Mal«, flüsterte ich augenzwinkernd. »Verrat es keinem.«
»Indianerehrenwort, das bleibt unser Geheimnis.«
»Ciao Bella«, kam es plötzlich vom Eingang her.
Ich wandte den Kopf und winkte Giovanni zu, der nun auf unseren Tisch zukam.
»Giovanni, hallo.«
Der Besitzer der Pizzeria war ein kleiner Italiener mit vollem Haar, kugelrundem Bauch und dem typischen Charme eines Südländers. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, um dem weiblichen Geschlecht ein Lächeln zu entlocken. Sein Herz gehörte allerdings seinen vierjährigen Zwillingen und seiner bezaubernden Frau. Camilla war der eigentliche gute Geist des Restaurants.
»Marie, wunderschöne Marie. Ich habe dich vermisst.« Sein Blick wanderte zu Jörn, dann legte er sich die Hand aufs Herz. »Scusa! Mein Mundwerk. Keine Angst, ich bin glücklich verheiratet.« Giovanni zwinkerte mir zu. »Was möchtet ihr trinken?«
Ich schaute grinsend hinter Giovanni her, als er mit unseren Getränkewünschen im Inneren des Gebäudes verschwand.
»Er ist ein Unikat.«
»Das würde ich spontan unterschreiben. Aber recht hat er ja.«
Natürlich war mir sofort klar, worauf Jörn anspielte. Verlegen kräuselte ich die Nase. »Danke, lieb von dir.«
Etwas überfordert mit dem unverhofften Kompliment, vertiefte ich mich in den Inhalt der Speisekarte, obwohl ich mich längst entschieden hatte. Sollte ich mich nicht eigentlich über seine Worte freuen? Stattdessen sorgten sie für ein merkwürdiges Gefühl im Magen. Vielleicht war ich nur überrumpelt. Es war erst unsere dritte Verabredung. Ich atmete tief durch und richtete meinen Blick wieder auf Jörn, der von meinem inneren Zwiegespräch zum Glück nichts mitbekam.
Während des Essens verebbte das Grummeln meines Magens. Doch nur der Hunger? Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken und genoss unsere Verabredung wieder ungehemmt.
Es war nach Mitternacht, als wir den Heimweg antraten. In der Ferne bellte ein Hund. Mir kam Franzis Frage in den Sinn.
»Du bist doch Tierarzt.«
»Soweit ich weiß.« Jörns Augen funkelten im Schein der Straßenlaterne amüsiert.
»Das war keine Frage«, lachte ich und gab ihm einen leichten Schups. »Ich würde gern von dir wissen, wie du dazu stehst, wenn sich jemand einen Hund anschafft, der Vollzeit arbeitet?«
Jörn antwortete nicht gleich. »Wenn das bedeutet, dass der Hund den gesamten Tag allein in Haus oder Wohnung ist, bin ich definitiv dagegen. Dann sollte sich derjenige Fische kaufen oder so. Warum fragst du, willst du einen?«
»Nein, nicht wirklich. Franzi hat mich gefragt, was ich davon halte. Wir könnten uns abwechseln und in der Mittagspause mit ihm Gassi gehen, aber richtige Lust verspüre ich bei dieser Vorstellung nicht.«
»Ihr solltet euch auf jeden Fall einig sein und nichts überstürzen.«
Ich nickte stumm. Ob ich Franzi alternativ den Tipp mit den Fischen geben konnte, ohne meinen Kopf zu verlieren? Sie hatte ziemlich euphorisch gewirkt.
»Du wirst doch wohl meine Aussage nicht als Vorwand nutzen, um Franzi den Hund auszureden?«
»Quatsch, wo kämen wir da hin?«, meinte ich unschuldig.
Uns gegenseitig neckend liefen wir weiter, bis wir vor dem kleinen weiß verputzten Zweifamilienhaus angekommen waren. In Hildes Wohnung war das Licht bereits erloschen. Dafür drang aus dem gekippten Fenster, hinter dem sich das Wohnzimmer von Franzi und mir befand, Musik.
»Helene Fischer? Um die Uhrzeit?«
Grinsend klärte ich ihn auf. »Franzi hat Helene-Fischer-Verbot, wenn ich da bin. Sie nutzt die Gunst der Stunde.«
»Bekomme ich Minuspunkte, wenn ich mich als Fan oute?«
»Kein Scherz?«
Jörn schüttelte zurückhaltend den Kopf. Er sah dabei wirklich niedlich aus. Wie ein kleiner Junge, der seiner Mama den gemachten Unsinn beichtet.
Ich lachte auf. »Bisher habe ich noch niemanden für seinen Musikgeschmack aus meinem Leben verbannt.«
»Jetzt schlafe ich eindeutig ruhiger. Gute Nacht, Marie.«
»Gute Nacht, und danke für den schönen Abend.«
Wir lächelten uns an, und bevor es unangenehm werden konnte, winkte Jörn zum Abschied und lief die Straße in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren.
Ich sah ihm noch einen Moment nach, schloss dann leise die Haustür auf und lief die Treppe zu Franzi und Helene nach oben.
Grummelnd wehrte ich mich gegen das Wachwerden. Mit angezogenen Beinen kuschelte ich mich tief in meine Decke und vergrub die Finger fest im Stoff, als könnte ich den Schlaf auf diese Weise festhalten. Die Nacht war kurz gewesen. Franzi und ich hatten lange gequatscht. Und die zwei Gläser Rotwein verursachten ein leichtes Ziehen hinter meiner rechten Schläfe.
Mit geschlossenen Augen fischte ich auf dem Nachtspint neben mir nach meinem Handy und schielte mit einem Auge auf das Display. Neun Uhr achtunddreißig. Für einen Samstagmorgen eigentlich eine Uhrzeit mit der Option liegenzubleiben, vor allem, wenn man das Gefühl hatte, Backsteine statt Wimpern zu besitzen. Dumm nur, dass heute eine Probe auf dem Plan stand, ich mich vorher mit Ina wegen des Bühnenbildes treffen wollte und Franzi versprochen hatte, den Einkauf zu erledigen. Schwimmen gehen wollte ich auch, das schob ich schon seit Wochen vor mir her. Ich musste mich also spurten. Das kalte Wasser würde mir bestimmt guttun, obwohl ich im Moment wenig Lust verspürte. Nein, keine Ausreden, Marie. Mit einem tiefen Seufzer schälte ich mich aus der Decke und stand auf.
Ich schnappte mir eine Banane für unterwegs und trank am offenen Kühlschrank einen Schluck Milch direkt aus der Verpackung. Schnell und leise, damit Franzi mich nicht dabei erwischte. Dann griff ich nach Einkaufszettel, Portemonnaie, Schlüssel und ein bisschen widerwillig nach meinem Rucksack mit Handtuch und Wechselsachen und verließ die Wohnung. Dank Franzis schwarzem Smart brauchte ich keine zehn Minuten zum Südstrand. Der Parkplatz war um diese Uhrzeit noch recht leer. Das würde sich allerdings schnell ändern. Das Wetter war herrlich und lud zu einem perfekten Strandtag ein.
Den Badeanzug hatte ich zu Hause schon druntergezogen. Ich zog mich also aus, stopfte Shorts und Shirt in den Rucksack, den ich in Sichtweite in den Sand stellte und watete durch die leichten Brandungswellen Schritt für Schritt tiefer in die Ostsee. Schnell war ich bis zu den Schultern nass und tauchte ins sechzehn oder siebzehn Grad kalte Wasser ein. Nach einigen kräftigen Schwimmzügen gewöhnte sich mein Körper an die Temperatur, und ich genoss die morgendliche Erfrischung. Normalerweise gönnte ich mir im Anschluss einen Augenblick Ruhe. Manchmal hatte man den Strand fast für sich allein. Man konnte die Gedanken schweifen lassen oder sich genau diesen intensiv widmen. Heute war weder für das eine noch das andere Zeit. Ich beeilte mich mit Umziehen und lief zurück zum Auto.
Als ich mit vollbepackten Tüten vom Einkauf wiederkam, stieß ich im Hausflur fast mit Franzi zusammen. Wie angewurzelt stand sie da.
»Mit wem redet Hilde denn so lautstark? Klingt wie ein Streit, aber ich höre sonst niemanden.« Franzis Stirn war in Falten gelegt.
Ich stellte die Einkaufstasche ab und lauschte nun ebenfalls. Viel verstand ich von hier draußen nicht, doch das Wenige kam mir bekannt vor. Lachend schaute ich meine beste Freundin an.
»Sie übt.«
Franzi klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Klar, ich Dussel, da hätte ich selbst drauf kommen können. Wie süß.«
»Hilde hatte gestern einen Texthänger, das hat sie geärgert.«
»Verstehe. Ich gehe laufen. Sehen wir uns später?«
Auf der Mitte der Treppe drehte ich mich zu ihr um. »Um eins treffe ich mich mit Ina, im Anschluss ist Probe. Aber danach dachte ich an Pizza und Wein auf der Couch, vor dem Fernseher.«
»Ich bin dabei. Bis dann.«
»Tschüss.«
Zurück in der Wohnung verstaute ich die Lebensmittel in den Schränken. Im Bad stylte ich meine inzwischen getrockneten Haare und legte etwas Make-up auf. Mit einem Glas O-Saft und einer Banane gönnte ich mir eine kurze Pause und surfte ein wenig durchs Internet. Dann war es auch schon Zeit für mein Treffen mit Ina. Im Hausflur hörte ich Hildes energische Stimme. Zwar freute ich mich, wie ernst sie ihre Rolle nahm und fest entschlossen schien, einen erneuten Texthänger zu vermeiden, aber hauptsächlich sollte es uns allen Spaß machen.
Nach einem kurzen Blick auf die Uhr, entschied ich mich zu klopfen. Hinter der Tür wurde es still, gefolgt von einem Ruf.
»Einen Moment.«
Kurz darauf erschien Hilde. Sie wirkte tatsächlich erschöpft. »Marie, wie schön. Komm doch rein.« Sie führte mich ins Wohnzimmer, in dem mich jedes Mal das Gefühl überkam, in der Zeit zurückgereist zu sein. Farben, Muster, Ornamente. Alles im Stil der 60er Jahre. Hinter der dunklen Teakholzwohnwand prangte eine senfgelbe Tapete mit Rautenmuster. Gegenüberliegend stand mittig ein Sofa, sowie seitlich je ein Schalensitz in flaschengrün. Einzig der Flachbildfernseher auf dem zur Wohnwand passenden Sideboard erinnerte daran, im 21. Jahrhundert zu leben.
Mein Blick fiel auf das auf dem Tisch liegende Skript. Als ich wieder aufschaute, seufzte Hilde.
»Es ist immer dieselbe gottverdammte Stelle«, fluchte sie und brachte mich damit zum Schmunzeln.
»Mach dich nicht verrückt. Vier Wochen sind eine lange Zeit. Wir schaffen das.« Ich strich ihr aufmunternd über den Arm. »Dafür sind die Proben da.«
»Ich bin bloß immer so nervös auf der Bühne.«
Für ihre neunundsiebzig hatte Hilde das Augenrollen noch ziemlich gut drauf. Aus meinem Grinsen wurde ein Lachen. »Wenn du magst, gehen wir den Text hier zu Hause zusätzlich durch.«
»Das würdest du tun, Liebes?«
»Natürlich. Wenn es dir hilft, bin ich für dich da.«
Hilde kam auf mich zu, sie war einen ganzen Kopf kleiner als ich, und rahmte mein Gesicht mit ihren Händen ein. »Du bist ein Engel, Marie. Deine Eltern können stolz sein, eine so wunderbare Tochter zu haben. Das ist gut, sie mussten in ihrem Leben schon genug Leid erfahren.«
Dank jahrelanger Übung gelang es mir, den Kloß im Hals hinunterzuschlucken. »Ich gebe mein Bestes. Deshalb muss ich auch los. Ich treffe mich mit Ina wegen des Bühnenbildes.«
»Oh, wie aufregend. Dann husch, husch. Und für die privaten Probestunden lasse ich mir etwas einfallen.«
»Schon gut, wir sehen uns nachher.« Ich winkte kurz und schloss die Tür hinter mir.
»Hallo, Ina, ich bin spät dran, sorry.«
Im Gemeindesaal stand Ina mit einem Zollstock bewaffnet auf der Bühne.
»Kein Ding. Habe grad erst angefangen. Zuerst musste ich eine Diskussion mit meinem Kind ausfechten.«
»Wer hat gewonnen?«
»Ich, aber es war ein harter Kampf.«
Ina war Kunstlehrerin an der hiesigen Grundschule. Sie war einundvierzig und alleinerziehende Mutter eines dreizehnjährigen Sohnes.
»In dem Alter glauben sie tatsächlich, sich nur über irgendwelche teuren Marken identifizieren zu können. Zweihundert Euro für Turnschuhe, die, wenn wir Glück haben, ein halbes Jahr passen. Und davon am besten gleich zwei Paar. Tsss.«
»Das ist wirklich viel Geld.«
»Stimmt, trotzdem bin ich die doofe Mama, die nichts erlaubt.« Ina zuckte mit den Schultern und grinste. »Zumindest kann ich nicht abstreiten, dass er das Fluchen von mir gelernt hat.«
»Ach, komm.« Ich legte den Kopf schräg.
»Noch habe ich Zeit fürs Bühnenbild. Die panische Ina lauert aber schon.«
»Dann lass uns dafür sorgen, dass die andere Ina keinen Grund hat, ihr Nickerchen zu beenden. Wie ist denn der aktuelle Stand?«
Bis die Ersten zur Probe eintrudelten, hatten Ina und ich weitere Details besprochen und waren guter Dinge, das Theaterstück perfekt in Szene setzen zu können. Gut gelaunt und voller Tatendrang verabschiedete sie sich. Fast pünktlich waren alle anderen da, und wir konnten starten. Hilde wirkte nervös, daher entschied ich, nicht gleich mit dem für sie schwierigen Teil zu beginnen.
»Martin, Wiebke, lasst uns mit der Szene starten, nachdem Christoph dank Jolanta zu Boden gegangen ist.«
»Wollen wir die Szene vom letzten Mal nicht wiederholen? Die war noch ziemlich chaotisch«, mischte sich Holger ein.
»Ich würde das Stück gern einmal komplett durchgehen, damit wir sehen können, wo wir stehen und wo es eventuell hakt.«
Lächelnd hielt ich Holgers grimmigem Blick stand. Er war bisher bei jedem Theaterstück dabei gewesen. Wir brauchten ihn, er kümmerte sich um die Technik. Allerdings war er ein ziemlicher Querulant und konnte einen mit seinen Ansichten und unzähligen Diskussionen in den Wahnsinn treiben.
»Wie du willst«, bekam ich zu hören. Holger verschwand hinter der Bühne und alle atmeten einmal durch.
»Also gut, Leute. Packen wir es an.«
Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, waren zwei Stunden vergangen. Erschöpft klatschte ich in die Hände, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
»Schluss für heute. Das war echt super. Ihr habt euch das Wochenende jetzt redlich verdient. Wir sehen uns am Mittwoch. Neunzehn Uhr.«
Gemeinsam mit Hilde machte ich mich auf den Weg nach Hause. Die Müdigkeit, die ich seit dem Morgen tapfer verdrängt hatte, kroch in meine Glieder und ließ mich herzhaft gähnen.
»Entschuldige.«
»Wofür? Nach einem anstrengenden Tag darf man ganz offiziell müde sein. Oder lag es eher an der kurzen Nacht?« Hilde kicherte wie ein junges Mädchen.
Überhaupt wirkte sie frisch und vergnügt. Das silbergraue Haar glänzte mit ihren Augen um die Wette. Ihr Gang war energiegeladen. Ob es mit der reibungslosen Probe zu tun hatte, die hinter ihr lag? Ohne mich loben zu wollen, war die Idee nicht die schlechteste gewesen, die verkorkste Szene vom letzten Mal nicht zu wiederholen. Mit neuem Mut würde auch dort der Text bald problemlos sitzen.
»Was willst du nur andeuten?«, fragte ich belustigt. »Jörn hat mich, ganz der Gentleman, um Mitternacht nach Hause gebracht und ist dann gegangen.«
»Ein Mann muss nicht anwesend sein, um einem den Schlaf zu rauben.«
»Hilde, Hilde, ich lerne ganz neue Seiten an dir kennen.«
Wieder dieses aufgeweckte Kichern. »Das ist das Gute am Altern, es hindert einen nicht daran zu träumen.«
Ich hakte mich bei ihr unter. »Das hast du schön gesagt.«
»Liebe ist schön. Ich erinnere mich gern daran. Mein Franz war wunderbar. Aber ein paar Frösche musste ich vor ihm küssen.«
»Das gehört wohl dazu.«
»Ja, und hat durchaus seinen Reiz.« Hilde tätschelte meine Hand.
Schmunzelnd lief ich neben ihr her, während die Sonne das Städtchen in goldenen Schein tauchte, und fragte mich, ob Jörn nur ein Frosch bleiben oder sich in meinen Prinzen verwandeln würde? Das Potenzial dazu hatte er. Ich wartete nur noch auf das Peng und darauf, dass er, umhüllt von einer Wolke aus Glitzerstaub, mein Herz für immer eroberte.
Im Hausflur verabschiedete ich mich mit einer Umarmung von Hilde. Danach konnte ich es kaum erwarten, meine Couch zu begrüßen. Ich holte mir einen Schokopudding mit Sahnehaube aus dem Kühlschrank, ließ mich im Wohnzimmer nieder und schaltete das Berieselungsprogramm im Fernseher ein. Schnell fielen mir die Augen zu. Ich träumte von Fröschen und von Jörn, der zwar einen Kopf hatte, aber einen Froschkörper. Und so oft ich ihn auch küsste, es passierte nichts, er verwandelte sich nicht. Lautes Gequake setzte ein. Plötzlich hörte ich meinen Namen heraus. »Marie, Marie.«
Ich schreckte auf und fand mich auf der Couch wieder. Dort, wo sich meine Füße befanden, stand Franzi und grinste amüsiert.
»Mit wem hast du denn gekämpft?«
Noch verwirrt von meinem Traum, rieb ich mir mit den Händen übers Gesicht. »Mit niemandem. Ich habe Frösche geküsst.«
Als wäre Verwirrtheit ansteckend, sah Franzi mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Frösche?«
»Egal, war nur ein Traum.«
Ich setzte mich auf und trank einen Schluck. Trotz meines Nickerchens fühlte ich mich erschlagener denn je. Nur mein Magen war aktiv, der knurrte laut. Es roch aber auch plötzlich extrem köstlich hier. Erst jetzt fiel mir auf, dass Franzi eine Auflaufform vor sich trug.
»Was ist da drin?«
»Nudelauflauf. Von Hilde. Liebe Grüße und Dankeschön soll ich ausrichten.«
Genüsslich sog ich den Duft ein. »Mmh lecker. Lass uns in der Küche weiter quatschen.«
Dort, jeder auf einem Hocker und mit einer großen Portion Auflauf vor der Nase, erzählte ich Franzi von der letzten Theaterprobe und, weil sie keine Ruhe ließ, vom Grund meines Froschtraumes.
»Mach dich nicht verrückt. Mal abgesehen davon, dass ich an Liebe auf den ersten Blick nicht glaube, denke ich, Gefühle sollten sich langsam entwickeln. Umso tiefer gehen sie am Ende. In Filmen geht das bloß immer so schnell, weil die nur zwei Stunden Sendezeit haben.«
»Das ist ein Argument.«
Nicht mehr gänzlich müde, mit vollem Magen und einem Glas Wein sah ich die Sache mit Jörn tatsächlich entspannter. Franzi hatte recht, es war gut, es langsam angehen zu lassen, statt nach dem großen Gefühlsfeuerwerk mit der grauen Realität konfrontiert zu werden.
Ich ließ das Wasser aus der Spüle. Mit dem Lappen wischte ich über die Theke und schob die bunt gefüllte Obstschale zurück auf ihren Platz. Die Küche war recht überschaubar, aber mit der apfelgrünen Tapete, den weißen Möbeln und Franzis Liebe zu bunten Blumen war sie mit mein liebster Raum der Wohnung. Hier hielt ich, im Gegensatz zu meinem Zimmer, penibel Ordnung. Zufrieden löschte ich das Licht und gesellte mich zu Franzi vor den Fernseher.
Ich erwachte vom Rauschen des Windes. Der Wetterbericht hatte für heute verstärkt kräftige Böen vorhergesagt. Genau richtig für einen Sonntag, an dem, bis auf das Mittagessen bei meinen Eltern, nichts auf dem Plan stand. Jörn war zu seinen Eltern aufs Festland gefahren und würde erst am Abend zurück sein. Wir hatten uns später zum Telefonieren verabredet.
Eine Weile lag ich nur da, lauschte dem Wind und sah zu, wie die Blätter an den Bäumen von ihm umhergewirbelt wurden. Noch hielten sie dagegen, blieben hartnäckig mit den Ästen verbunden. Schon in wenigen Monaten würden sie in bunten Farben zu Boden segeln. Aber noch war es nicht so weit, und bis dahin lag einiges an Arbeit vor mir. Ich dachte an das Theaterstück. Automatisch ging ich die Liste im Kopf durch. Bis jetzt war ich ruhig, die Hektik würde kommen, da war ich mir sicher. Umso mehr genoss ich diesen faulen Tag.
Weil kein Regen gemeldet worden war, nahm ich den E-Roller bis zum Haus meiner Eltern. Mein Blick fiel auf den schwarzen Wagen, der auf dem Kies parkte. Ich dachte an den einzelnen jungen Mann, dem er gehörte, und sofort war meine Neugier zurück. Ob ich ihn zu Gesicht bekommen würde, bevor er abreiste? Das musste ich wohl dem Zufall überlassen.
Nachdem mein Vater geöffnet hatte, betrat ich den gemütlichen Flur, der mich stets eher an ein englisches Cottage erinnerte als an eine Villa an der Ostsee. Die Tapete mit zierlichem Blumenmuster, kleine Schränkchen im Vintage-Stil, die Deko in zartem Rosa. Meine Mutter hatte schon immer Talent, was die Raumgestaltung betraf.
Ich steckte meinen Kopf zur Küchentür herein und winkte ihr zu. Sie mochte es nicht, wenn man beim Kochen wie eine Katze um sie herumschlich. Diese Angewohnheit akzeptierte ich nur zu gern. Denn ich aß lieber statt zu kochen. Ich nutzte die Zeit und setzte mich zu meinem Vater auf die Terrasse. Die natürliche grüne Mauer aus Büschen und Bäumen, die uns umgab, schützte vor dem Wind, der weiter aufgefrischt hatte.
»Hast du Durst? Ich hole dir was«, begann mein Vater das Gespräch.
»Nein, danke. Lass mal, ich trinke nachher zum Essen.« Ich lehnte mich in dem Flechtstuhl zurück. »Kommen heute noch neue Gäste für die große Wohnung?«
»Ja, sie haben sich für den Spätnachmittag angemeldet. Ein Ehepaar, soweit ich weiß.«
»Und die andere Wohnung ist auch belegt, wie Mama erzählt hat. Eine Woche oder länger?«
»Puh, Schatz. Du weißt doch, um die Dinge kümmert sich deine Mutter. Aber ich meine mich zu erinnern, dass sie von vier oder sogar fünf Wochen gesprochen hat.« Während er das sagte, hatte er die Augen geschlossen. Seine Finger umschlossen eine Flasche alkoholfreies Bier, die er gegen sein wohlgeformtes Bäuchlein lehnte.
Ein wärmendes Gefühl erfüllte mein Herz. »Wow, das ist lang für jemanden, der allein hier ist.«
»Wenn man sich erholen möchte, reicht eine Woche nicht.«
»Richtig, aber trotzdem ..., egal, geht mich nichts an.« Solange er was auch immer im Haus meiner Eltern machte und für Einnahmen sorgte, freute ich mich. Außer er war ein gesuchter Killer, dann nicht. »Macht er zufällig einen unheimlichen Eindruck?«
»Marie.« Paps lehnte sich vor.
»Schon gut, ich halte meine Klappe. Ihr könnt auf euch aufpassen, ich weiß.«
»Ich will bloß nicht, dass du erneut gedanklich in einen Strudel abgleitest, der nicht gut für dich ist.«
Vor ein paar Jahren war es mir tatsächlich nicht gut gegangen. Ich hatte Panikattacken und Angst, meine Eltern zu verlieren. Ständige Anrufe, ständiges Nachfragen. Die Vorstellung, dass die beiden fremde Leute beherbergten, hatte mich fast in den Wahnsinn getrieben. Weil das kein Dauerzustand werden sollte, bin ich zu einer Gesprächstherapie gegangen. Mir war schon vorher klar gewesen, dass diese Verlustängste mit dem Tod meiner Schwester zu tun haben mussten. Das Reden hatte mir tatsächlich geholfen und mir die Panik hinsichtlich meiner Eltern zum Glück genommen. Mein Kommentar eben war als Scherz gemeint gewesen. Jetzt war klar, wie tief diese Zeit auch in meinen Eltern verankert war.
»Ich weiß«, wiederholte ich meine letzten Worte. »Es geht mir gut. Ich bin neugierig, mehr nicht, versprochen.«
»Nachvollziehbar.« Sein Lächeln war zurück. »Wie geht's dem Tierarzt?«
Meine Mundwinkel zogen sich ebenfalls auseinander. »Jörn geht es gut.«
Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. Fieberhaft suchte ich nach Worten, die Jörns und meine Beziehung näher beschrieben. Ich fand keine. Also seufzte ich nur und schwieg.
Zum Glück kam meine Mutter in diesem Moment und rief uns zum Essen. Der Tisch war liebevoll gedeckt. Im Hintergrund lief das Radio. Für einen kurzen Augenblick hatte sich vor die Leichtigkeit des Sonntags ein Schleier gezogen. Nicht lange genug, um Spuren zu hinterlassen. Der Bratenduft und die gute Laune meiner Mutter waren wie die Sonne, die mit ihrer Kraft den Nebel vertrieb.
Völlig übersättigt rieb ich mir eine halbe Stunde später den Bauch und musste lachen, weil mein Vater im gleichen Moment eine ähnliche Position einnahm.
»Wenn ich nicht platzen würde, könnte ich immer weiter essen«, meinte er schlicht.
»Also kein Nachtisch heute?«, fragte meine Mutter gespielt enttäuscht.
»Für eine winzige Portion ist möglicherweise noch Platz.«
Die beiden schauten sich voller Zuneigung an. Ich konnte die Liebe in ihren Augen sehen, ich konnte sie spüren. So war es richtig, so musste es sein. Genauso wollte ich es für mich. Ich dachte an Jörn. Mir kam der Traum mit dem Frosch wieder in den Sinn, doch ich schüttelte ihn schnell ab. Ihn sich mit menschlichem Körper vorzustellen, vorzugsweise nackt, machte eindeutig mehr Spaß als mit grünen Froschschenkeln.
»Warum grinst du?«, wollte meine Mutter wissen.
»Hab ich das?«, meinte ich unschuldig. »Muss an deinem leckeren Essen liegen.«
»Du kannst dir und Franzi gern den Rest mitnehmen.«
Sie hatte den Satz nicht ganz beendet, da war sie schon dabei, das Essen in verschiedene Plastikbehälter zu verteilen und mit bunten Deckeln zu verschließen.
»Allmählich wird es voll in unserem Kühlschrank.« Kurz erzählte ich von Hilde, den Proben und dem daraus resultierenden Nudelauflauf.
»Sie sollte stolz sein, dass sie sich in dem hohen Alter auf eine Theaterbühne traut.« Nickend pflichteten mein Vater und ich den Worten meiner Mutter bei.
Nach einer Verschnaufpause gab es den angekündigten Nachtisch. Ich fragte mich ernsthaft, ob mein Roller mit den gefühlt zweihundert Extrakilos überhaupt noch zugelassen war. Für einen Moment ärgerte ich mich, mal wieder nicht konsequent gewesen zu sein. Von allem eine Portion weniger hätte es auch getan. Tja, dafür war es zu spät. Beim nächsten Mal. Vielleicht.
Ich schulterte einen Rucksack meiner Mutter, in den sie das Essen gepackt hatte, und drückte beide zum Abschied.
»Noch einen schönen Sonntag. Grüß Franzi von uns.«
»Mach ich.«
»Und Jörn«, fügte mein Vater hinzu.
»Und Jörn«, wiederholte ich.
Er neckte mich zu gern. Es war seine Art, mir zu zeigen, dass er sich für mich freute. Trotzdem kassierte er von seiner Frau einen Klaps auf den Hinterkopf. Ich warf ihnen eine Kusshand zu und lief durch den schmalen Flur zur Haustür. In dem Augenblick, als ich die Tür öffnete, fiel eine andere mit Schwung ins Schloss. Automatisch drehte ich mich um. Mein Blick wanderte die Treppe nach oben. Jemand kam die Stufen hinunter.
Seine Beine steckten in verwaschenen Bluejeans. Dazu trug er weiße Sneakers und ein schlichtes graues Shirt. Er hatte lockiges, fast schwarzes Haar. Markante männliche Züge. Einen Dreitagebart. Definitiv gut aussehend, anders konnte ich ihn nicht beschreiben. Sein Aftershave wehte zu mir heran, und ich verschluckte mich förmlich an meinem Hallo. Aus dunklen Augen traf mich ein intensiver Blick. Plötzlich flackerte so etwas wie Unsicherheit darin auf. Er hielt inne, musterte mich jedoch ungeniert weiter. Ich ignorierte das feine Kribbeln, dessen Epizentrum in meinem Bauch zu liegen schien und sich von dort unkontrolliert ausbreitete.
»Hallo«, versuchte ich es ein weiteres Mal mit einer Begrüßung und hielt ihm die Haustür auf.
Als wäre meine Stimme ein Weckruf, löste er sich aus seiner Starre und kam die letzten Stufen lässig nach unten. Er war einen ganzen Kopf größer als ich.
»Hi, danke. Ich habe dich hoffentlich nicht erschreckt, aber die Tür ist schneller zugeflogen als beabsichtigt.«
»Nein, hast du nicht. Schätze, es gab Durchzug. Irgendwo ist sicher ein Fenster gekippt.«
»Schuldig im Sinne der Anklage.« Er zog einen Mundwinkel nach oben.
»Ich werde es bei einer Verwarnung belassen.«
»Vielen Dank, sehr großzügig.«
»So bin ich.« Ich lächelte ihn an und das Kribbeln verstärkte sich. Irritiert wandte ich mich ab trat nun doch als Erste über die Türschwelle nach draußen. Unvermittelt traf mich eine Windböe, und ich machte einen Schritt zur Seite, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Skeptisch schaute ich auf die Vespa.
»Deine?«, hörte ich den Fremden fragen.
»Ja.«
»Schick, aber bei dem Wetter nicht ungefährlich.«
»Ich habe es nicht weit.«
»Auch auf kurzen Strecken passieren Unfälle. Interesse an einem Fahrdienst?« Er zeigte auf seinen Wagen.
Sollte ich das Angebot annehmen? Es wäre definitiv sicherer. Allerdings wusste ich, bis auf die Tatsache, dass er bei meinen Eltern eine Wohnung gemietet hatte, nichts über ihn. Und schließlich bekam man schon als Kind eingetrichtert, nicht zu Fremden ins Auto zu steigen.
Er bemerkte meine Unentschlossenheit. »Wie wäre es, wenn du drinnen Bescheid gibst?«
Die Idee war gut. Dann hatte die Polizei einen ersten Anhaltspunkt, wen sie nach meinem mysteriösen Verschwinden zuerst befragen sollte.
Bevor ich weitere Gedanken sammeln konnte, ging die Haustür auf und mein Vater erschien. Sein sorgenvoller Blick wanderte zu meinem Roller.
»Gott sei Dank, du bist noch nicht weg. Marie, bei dem Sturm kannst du mit dem Ding nicht fahren.« Wie zur Untermalung seiner Worte fegte eine weitere Böe über uns hinweg.
»Ich weiß, hatte ich auch nicht vor«, log ich.
»Ich hatte ihr gerade angeboten, sie zu fahren, Herr Kirchner«, wiederholte der Fremde sein Angebot.
»Schon gut, ich laufe die paar Meter.«
»Das ist sehr nett. Dann muss ich das Auto nicht extra aus der Garage holen. Wir machen es wieder gut.«
»Ich bin gern behilflich.«
Hallo? Hörte mir niemand zu? »Schön, dass ihr für mich entscheidet, aber wie gesagt, ich laufe.«
»Sei nicht albern, nimm das Angebot an.«
Ich schaute zwischen den beiden Männern hin und her und verdrehte die Augen. »Na gut, dann los.« Ich wollte mich nicht wie ein störrisches Kind aufführen. Wahrscheinlich hatte ich diesen Moment durch meine Neugier heraufbeschworen. Da war es wohl sinnvoll, ihn zu nutzen.
Mein Vater wirkte jedenfalls zufrieden, als ich die Tür des schwarzen Audis öffnete und in den glatten Ledersitz rutschte. Der typische Neuwagenduft stieg mir in die Nase. Die Armaturen glänzten, auf den Fußmatten hatte sich nicht das kleinste Sandkorn verirrt.
»Schickes Auto«, bemerkte ich, nachdem mein persönlicher Chauffeur ebenfalls Platz genommen hatte. »Ziemlich neu.«
»Zwei Wochen alt, ja.«
Auf Knopfdruck startete der Motor mit einem leisen Surren.
»Ein Elektroauto, wie vorbildlich.«
»Man tut, was man kann.« Er grinste. »Ich bin übrigens Ben.«
»Hallo Ben, ich bin Marie. Danke fürs Fahren.«
Ben wendete den Wagen und bog auf die Straße Richtung Innenstadt.
»Bleib auf der Hauptstraße. Weiter vorn macht sie einen Knick nach links und wird zur Einbahnstraße. Der folgen wir«, gab ich ihm Anweisungen.
»Alles klar.«
»Machst du allein Urlaub?«, fragte ich.
»Ja, war ziemlich stressig in letzter Zeit.«
»Du hast ein Münchner Kennzeichen. Lange Fahrt, um sich zu erholen.«
»Ich fahre gern Auto.«
Okay, da gab aber jemand ziemlich schwammige Antworten. Wollte anscheinend nicht drüber reden. Ich nahm es ihm nicht übel. Schließlich war ich für ihn genauso fremd wie er für mich.
»Sind das deine Eltern, die mir ein Dach über dem Kopf bieten?«, fragte er nun mich und wechselte geschickt das Thema.
»Ja, das Haus haben sie vor sechs Jahren gekauft. Gewollt hat es meine Mutter, seit ich denken kann.«
»Schön, wenn sich Träume erfüllen. Sie wirken jedenfalls sehr glücklich.« Als ich nicht gleich reagierte, hakte er nach. »Sind sie doch, oder?«
»Was, glücklich? Ja, sind sie.« Nachdenklich betrachtete ich Bens Profil. Aus seinen Zügen war Anspannung zu lesen. Andererseits guckte er beim Autofahren vielleicht immer so. »Da vorn bitte geradeaus.« Ich lotste ihn durch die Straßen des Wohngebiets bis vor Hildes Haus. »Hier wohne ich. Noch mal danke.«
»Jederzeit wieder.«
Wir lächelten uns an. Die Intensität, mit der er mich fixierte, jagte mir einen Schauer den Rücken hoch. Ich könnte mir einreden, die Ursache dafür hätte einen negativen Ursprung. Wir waren allein, ich kannte ihn nicht, kannte seine Gedanken nicht. Aber ich wusste es besser. Nichts davon fühlte sich schlecht an, im Gegenteil.
Ich räusperte mich und öffnete die Wagentür. »Man sieht sich. Falls nicht, hoffe ich, der Plan mit der Erholung geht auf.«
»Danke.«
Die Stille, die im Auto geherrscht hatte, wurde vom Tosen des Windes abgelöst. Ich hob die Hand zum Gruß, als Ben davonfuhr. Aufgewühlt rührte ich mich nicht vom Fleck. Als würde der Sturm auch in meinem Inneren toben und alles durcheinanderwirbeln. Neben mir knackste ein Ast. Verdammt, was stand ich hier herum? Eilig verschwand ich im Haus.
»Hey, hast du ein Gespenst gesehen?« Kaum hatte mich Franzi entdeckt, beäugte sie mich misstrauisch.
»Quatsch, wie kommst du darauf? Ich habe mich höchstens dezent überfressen.« Das war nicht mal gelogen. »Für dich ist trotzdem was übrig geblieben.« Ich wedelte leicht mit einem der Behälter, den ich aus dem Rucksack gezogen hatte.
Franzi klatschte begeistert in die Hände. »Na, da passt es ja perfekt, dass ich uns schon eine hübsche Liebesschnulze rausgesucht habe.«
»Guter Plan, zu mehr bin ich heute nicht mehr in der Lage.«
Während Franzi sich das Essen aufwärmte, machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich. Mit einem zufriedenen Seufzer gesellte sie sich zu mir und startete den Film. Die Geschichte verlief genau so, wie man es von einer guten Schnulze erwartete: Mädchen trifft Jungen, beide verlieben sich, es gibt Schwierigkeiten, Geheimnisse, Enttäuschungen, aber am Ende wartet die große Liebe mit ihrem Happy End.
Vielleicht war es klischeehaft, doch die Grundidee dahinter funktionierte seit Jahrzehnten, und der Erfolg gab den Machern recht. Jeder mit Sinn für Romantik, war es auch nur ein Hauch, kannte diese Sehnsucht nach den großen Gefühlen. Die Hoffnung, den einen Menschen zu treffen, der die Welt bunter werden, das Herz höherschlagen ließ, der einem den Kopf verdrehte und dem Wort Glück eine neue Dimension verlieh.
Ich konnte nicht verhindern, mein eigenes Leben einem Vergleich zu unterziehen. Mir war bewusst, dass Film und Realität selten übereinstimmten. Es brauchte auch kein Feuerwerk an Emotionen. Mir reichte eine kleine Kerze, deren Licht einen wärmte und die Augen zum Funkeln brachte.
In Jörns Nähe fühlte ich mich definitiv wohl. Ich mochte sein ruhiges Wesen und seine Art von Humor. Auch optisch hatte er einiges zu bieten. Daher freute ich mich über das aufgeregte Flattern meines Magens, als das Handy wie verabredet am Abend klingelte und Jörns Name angezeigt wurde.
»Wie war dein Wochenende?«, fragte er nach einer kurzen Begrüßung.
»Gestern ziemlich turbulent, heute war ich dafür ausgesprochen faul.«
Ich erzählte ein wenig von den beiden Tagen. Anschließend verriet mir Jörn mehr über sein Wochenende.
»Seid ihr denn in Sachen Hund weitergekommen?«
»Franzi hat das Thema zum Glück nicht mehr angesprochen, und ich werde das auch nicht tun.«
»Ach so, okay.«
»Das klingt, als wolltest du was loswerden.«
Jörn druckste ein wenig rum. »Na ja, weißt du ...«
In dem Moment hörte ich im Hintergrund ein Fiepen.
»Was war das?«, fragte ich alarmiert.
»Möglicherweise war das ein Hund.«
»Möglicherweise?«, ich lachte auf. »Spuck schon aus, was geht hier vor?«
»Die Nachbarn meiner Eltern haben den kleinen Kerl gefunden. Wahrscheinlich wurde er absichtlich ausgesetzt, weil kein Nachwuchs gewollt war. Keine Ahnung. Seine beiden Geschwister haben es leider nicht geschafft. Sie haben es nicht übers Herz gebracht, ihn ins Tierheim zu geben. Aber die Frau ist erkrankt, und jetzt schaffen sie es nicht, sich um ihn zu kümmern.«
»Und du konntest nicht Nein sagen«, stellte ich fest.
»Warte, ich schick dir ein Foto.«
Seufzend wartete ich auf den Eingang der Nachricht. Nur Sekunden später blickten mich zwei dunkle Knopfaugen drollig an.
»Es ist eine französische Bulldogge, ein Mädchen. Total verschmust«, berichtete Jörn enthusiastisch.
»Also bist du ab sofort stolzer Hundebesitzer?«
»Jain. Ich hatte gehofft, wir könnten uns das Sorgerecht sozusagen teilen.«
»Du bietest uns einen halben Hund an?« Mein Grinsen wurde stetig breiter. Jörn war so süß, wie er mir den Hund schmackhaft machen wollte.
»Irgendwie schon. Ich dachte nur, Franzi möchte einen, du nicht unbedingt. Ich bin allein und arbeite viel, das wäre unfair. Zusammen würden wir ein super Team abgeben. Denk drüber nach, rede mit Franzi. Suma und ich freuen uns übrigens über Besuch.« Ich spürte das Lächeln hinter den Worten.
»Suma also. Wenn ich Franzi davon erzähle, steht sie in einer halben Stunde vor deiner Tür.«
»Kommst du mit?«
»Ich muss verrückt sein.«
»Bis gleich.«
Kopfschüttelnd legte ich auf. Was war da gerade geschehen? Wie konnte ich über solch einen Deal überhaupt nachdenken? Hoffnung, dass Franzi ablehnen würde, machte ich mir keine. Mich in mein Schicksal fügend klopfte ich an der Zimmertür meiner Freundin und berichtete ihr von dem eben geführten Gespräch. Das letzte Mal hatte ich Franzi so strahlen sehen, als Robbie Williams sie auf einem seiner Konzerte auf die Bühne geholt und einen feuchten Schmatzer auf die Wange gegeben hatte. Der hatte den Dackelblick auch ziemlich gut drauf, wie ich fand. Und für eine Nacht würde ich ihn sogar mit nach Hause nehmen. Aber ein echter Hund?
Ich blieb skeptisch, selbst, nachdem Suma uns eine halbe Stunde später herzzerreißend goldig begrüßte. Franzi hatte sie schon nach einer Nanosekunde um den Finger gewickelt. Aus der Nummer kam ich nicht mehr raus, so viel stand fest.
»Oh Jörn, die Maus ist aus Zucker«, schwärmte Franzi.
Jörn schaute zu mir, zuckte dabei unschuldig mit den Schultern. »Ja, man kann sie nur lieb haben.«
»Die Idee, uns die Verantwortung für die Kleine zu teilen, finde ich großartig. Ich drucke dir am besten meinen Schichtplan für den restlichen Monat aus, dann kannst du schauen, wie es am besten passt. Hast du schon Spielzeug besorgt? Ich gucke gleich morgen, ob ich was Tolles für dich finde, Suma.«
Franzis überschäumende Freude konnte ich nur sprachlos beobachten. Klar, Suma war niedlich. Das glänzende braune Fell, die kleinen Fledermausohren und das knautschige Gesicht ließen mich nicht kalt. Ihr Start ins Leben war zudem nicht schön verlaufen. Wenn es danach ginge, hätten wir zu Hause längst einen Zoo. Mein Problem lag woanders. Ich liebte meine Unabhängigkeit. Die Vorstellung, mich an ein Tier zu binden, behagte mir nicht. Es war gut so wie es war. Ich hatte meine Wohnung, einen festen Job, konnte meine Freizeit gestalten, wie es mir lieb war. Selbst mit drei Leuten mussten Absprachen getroffen werden. Als wollte mich Suma vom Gegenteil überzeugen, kam sie zappelnd auf mich zu und hüpfte an mir hoch.
»Sie möchte auf den Arm genommen werden«, kommentierte Jörn das Verhalten.
Von Franzi kam ein verzücktes: »Ooooh, sie mag dich. Wie goldig.«
»Dann komm her, du Zwerg.«
Mit Suma auf dem Arm setzte ich mich auf die Couch. Sofort rollte sich das Fellknäul auf meinem Schoß zusammen.
So leise wie möglich holte Jörn drei Gläser und eine Flasche Wasser. Er setzte sich zu mir und streichelte sanft über das weiche Fell. Unsere Finger berührten sich. Ich spürte die Wärme seiner Haut und stellte mir vor, wie seine Hände meinen Körper erkundeten. Sein Blick ließ den Verdacht zu, dass er Ähnliches dachte. Wir grinsten uns wissend an.
»Kennt ihr das, wenn man Gedanken hören kann?«, fragte Franzi und unterbrach damit den intimen Moment zwischen uns.
»Was hörst du denn?«, wollte ich wissen.
»Nichts, was für kleine Welpenohren bestimmt wäre.« Sie zwinkerte und stand auf. »Zeigst du mir deine Wohnung?«, wendete sie sich an Jörn.
Er nickte und erhob sich ebenfalls. Die Wohnung lag direkt über der Praxis. Große Fenster ließen viel Licht in die Räume. Jörn hatte die Wand zwischen Wohnzimmer und Küche herausgerissen. Der Boden war mit Fliesen in Holzoptik ausgelegt. Eine breite Wohnlandschaft aus rotem Stoff und ein riesiger Flachbildfernseher an der Wand dominierten den Raum. Die Front der Küchenzeile glänzte ebenfalls in tiefem Rot. Für einen Mann bot er überdurchschnittlich vielen Pflanzen ein Zuhause. Alles wirkte gepflegt und liebevoll eingerichtet. Man konnte spüren, dass sich hier jemand wohlfühlte.
Da Suma beschlossen hatte, nicht wieder aufzuwachen, legte ich sie vorsichtig in ihr Körbchen. Bald darauf verabschiedeten wir uns. Zur Eingewöhnung sollte die Kleine auf jeden Fall bei Jörn bleiben, um bei ihr nicht unnötigen Stress zu verursachen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn Franzi für diesen Zeitraum bei Jörn eingezogen wäre. Dafür versprach sie, jeden Tag zu Besuch zu kommen.
»Bist du sauer?«, wollte Jörn wissen.
Ich stand auf der Schwelle zur Wohnung, Franzi war schon die Treppe nach unten gegangen.
»Nein, überhaupt nicht.« Er nickte stumm, schien nicht überzeugt. Ich versuchte, meine Empfindungen in Worte zu fassen. »Das kam alles ziemlich überraschend. Ich kann noch nicht sagen, ob es mir gefällt. Suma ist niedlich, aber ich bin nicht der Hundetyp. Es ist eine Menge Verantwortung und Zeit, die man in ein Tier investieren muss.«
»Dessen bin ich mir bewusst. Ich habe nicht groß nachgedacht, als ich sie mitgenommen habe. Wenn Suma älter ist, kann sie mit mir zur Arbeit kommen. Bis dahin benötige ich ein klitzekleines bisschen Unterstützung.«
Ich stellte fest, dass nicht nur Robbie Williams den Dackelblick draufhatte. So wie er dastand, war Jörn echt ziemlich niedlich. Ohne Anstrengung zogen sich meine Mundwinkel auseinander. Mit der Hand strich ich über seine Schulter.
»Du hast Franzi mit dem Vorschlag einen riesigen Gefallen getan. Ein halber Hund. Ich denke, das ist ein Kompromiss, mit dem ich leben kann. Gute Nacht, Jörn.«
»Gute Nacht.«
Sein Blick wanderte von meinen Augen zu meinem Mund und wieder hinauf. Er trat einen Schritt auf mich zu und zog mich unvermittelt in seine Arme. Zum ersten Mal trafen unsere Lippen aufeinander. Es war ein zärtlicher Kuss, sanft, ohne zu viel zu wollen. Kaum, dass ich wusste, wie mir geschah, entfernte sich Jörn.
»Franzi wartet«, meinte er mit belegter Stimme.
»Ja.« Mehr brachte ich nicht hervor und verließ das Haus.
»Na, hast du den Ausgang nicht gefunden?«, witzelte Franzi, während sie den Motor startete.
Ich streckte ihr die Zunge raus. »Es gab Wichtiges zu besprechen.«
»Also habt ihr euch endlich geküsst?« Sie stieß einen kurzen Jubelschrei aus. »Wurde aber auch Zeit.«
Die Titelmelodie der Gummibärenbande weckte mich an einem sonnigen Montagmorgen. Der gestrige Sturm war zu einer sanften Brise abgeflaut. Ich streckte mich ausgiebig und rieb mir über die übermüdeten Augen. Jörns Kuss hatte mich aufgeputscht wie schwarzer Kaffee. An Schlaf war nicht zu denken gewesen. Wir, Jörn und ich, waren in den vergangenen Wochen zielstrebig darauf zugelaufen. Mehr oder weniger. Er mehr, ich weniger. Meine zwischenzeitliche Unsicherheit ließ sich nicht leugnen. Doch das war Vergangenheit. Der Kuss hatte definitiv Potenzial, wiederholt zu werden. Am besten gleich heute. Fürs Erste musste eine kurze Nachricht reichen. Ich schickte Jörn einen Kuss Emoji und wünschte ihm einen Guten Morgen, nahm mir aber vor, ihm in meiner Mittagspause einen Besuch abzustatten.
Erschöpft, aber hoch motiviert und gut gelaunt – Jörn hatte mit einem Kuss Emoji geantwortet –, machte ich mich eine Stunde später auf den Weg zur Arbeit. Da die Vespa bei meinen Eltern stand, nahm ich Hildes altes Fahrrad, das für Notfälle in der Garage untergebracht war. Sie selbst fuhr schon lange nicht mehr. Ab und an benutzte es Franzi. Wegen des Schichtdienstes nahm sie allerdings lieber das Auto.
Zu dieser frühen Uhrzeit schlief das Städtchen noch. Nur wenige Autos rollten über das Kopfsteinpflaster. Vereinzelt liefen Passanten über den Marktplatz. Kaufhaus und Souvenirladen, Eisdiele und Restaurant, Kino und Museum. Überall waren die Türen geschlossen, die Rollläden unten. Nur beim Bäcker war schon was los.