Sophienlust 334 – Familienroman - Elisabeth Swoboda - E-Book

Sophienlust 334 – Familienroman E-Book

Elisabeth Swoboda

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Beschreibung

Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren: Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. "Wisst ihr schon das Neueste?" Mit dieser wichtigtuerischen Frage, die durchblicken ließ, dass er etwas erfahren hatte, was den anderen noch unbekannt war, platzte Henrik von Schoenecker in den Aufenthaltsraum des Kinderheims Sophienlust. Die dort anwesenden Kinder saßen mit teils missmutigen, teils gelangweilten Mienen herum. Nicht einmal Henrik, der wie ein frischer Wirbelwind in den Raum gestürzt war, vermochte sie aus ihrer Lethargie aufzurütteln. "Was kann es denn schon Neues geben", murmelte Pünktchen, die diesen Spitznamen den lustigen Sommersprossen auf ihrer Nase verdankte, gelangweilt. "Seit Tagen ist nichts Interessantes passiert. Es regnet pausenlos, und wir sind hier eingeschlossen. Ich komme bald um vor Langeweile." "Warum unternehmt ihr nichts? Seit wann seid ihr so empfindlich, dass euch das bisschen Regen stört?" "Du bist gut, Henrik! Das bisschen Regen! Man kann keinen Schritt vor die Haustür gehen, ohne im Morast zu versinken!", rief Vicky Langenbach aus. Sie warf ihren Kopf zurück, dass ihre langen kastanienbraunen Haare nur so flogen. "Du übertreibst, Vicky. Ich bin gerade von Gut Schoeneich herübergekommen. Zu Fuß", betonte Henrik.

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Sophienlust – 334 –

Der heimliche Gast

Wie Harald seinen Bruder nach Sophienlust schmuggelte...

Elisabeth Swoboda

»Wisst ihr schon das Neueste?« Mit dieser wichtigtuerischen Frage, die durchblicken ließ, dass er etwas erfahren hatte, was den anderen noch unbekannt war, platzte Henrik von Schoenecker in den Aufenthaltsraum des Kinderheims Sophienlust. Die dort anwesenden Kinder saßen mit teils missmutigen, teils gelangweilten Mienen herum. Nicht einmal Henrik, der wie ein frischer Wirbelwind in den Raum gestürzt war, vermochte sie aus ihrer Lethargie aufzurütteln.

»Was kann es denn schon Neues geben«, murmelte Pünktchen, die diesen Spitznamen den lustigen Sommersprossen auf ihrer Nase verdankte, gelangweilt. »Seit Tagen ist nichts Interessantes passiert. Es regnet pausenlos, und wir sind hier eingeschlossen. Ich komme bald um vor Langeweile.«

»Warum unternehmt ihr nichts? Seit wann seid ihr so empfindlich, dass euch das bisschen Regen stört?«

»Du bist gut, Henrik! Das bisschen Regen! Man kann keinen Schritt vor die Haustür gehen, ohne im Morast zu versinken!«, rief Vicky Langenbach aus. Sie warf ihren Kopf zurück, dass ihre langen kastanienbraunen Haare nur so flogen.

»Du übertreibst, Vicky. Ich bin gerade von Gut Schoeneich herübergekommen. Zu Fuß«, betonte Henrik. »Es war richtig lustig. Ich hatte natürlich Gummistiefel und meinen Regenmantel an. Ha, es war ein Riesenspaß, durch die Pfützen zu platschen. Wollt ihr euch nicht doch zu einem Spaziergang aufraffen?«

»Nein, danke«, lehnte Pünktchen diese Anregung rundherum ab. »Wo steckt Nick? Ist er nicht mit dir gekommen?« Diese Frage galt Dominik von Wellentin-Schoenecker, Henriks älterem Halbbruder. Nick war der eigentliche Besitzer von Sophienlust und bei seinen Schützlingen sehr beliebt. Er hielt sich fast mehr im Kinderheim als auf dem benachbarten Gut Schoeneich auf. Doch seit zwei Tagen war er ebenso wie Henrik nicht in Sophienlust gewesen.

»Nein, Nick ist zu Hause geblieben«, antwortete Henrik. »Er brütet über einigen alten Büchern, die er in der Bibliothek aufgestöbert hat. Ich habe ihn aufgefordert, mit mir Tischtennis zu spielen, aber er war von den Büchern nicht wegzulocken. Da dachte ich, ich könnte einmal nachschauen, was ihr so treibt.«

»Na, das siehst du ja jetzt. Wir treiben gar nichts«, seufzte Angelika Langenbach, Vickys blonde Schwester.

»Ihr seid eine fade Gesellschaft!«, rügte Henrik. »Ihr seid einundzwanzig Kinder, und keinem von euch fällt etwas ein.«

»Daran ist nur dieser unaufhörliche Regen schuld«, meinte Pünktchen. »Der lähmt einen direkt. Laut Wettervorhersage sollen weitere Niederschläge folgen. Und das ausgerechnet jetzt in den Ferien …!«

»Wo wir den ganzen Tag über im Waldsee baden oder Ausflüge machen könnten«, stimmte Fabian Schöller in Pünktchens Klage ein.

»Dabei sind die großen Ferien bald zu Ende. Im Herbst kann es dann meinetwegen regnen, so viel es will. Aber jetzt sollte die Sonne scheinen«, seufzte Vicky.

»Hört doch auf mit eurem Gejammer!«, rief Henrik und hielt sich die Ohren zu.

»Henrik hat recht«, sagte Fabian. »Anstatt zu jammern, sollten wir überlegen, wie wir trotz des schlechten Wetters die letzten Ferientage ausnützen könnten.«

»Es sind mehr als bloß ein paar Tage. Wir haben noch über zwei Wochen Ferien«, korrigierte Pünktchen.

»Glaubst du, es wird die ganze Zeit über regnen?«, fragte Angelika mit banger Stimme.

»Fängst du schon wieder damit an?«, knurrte Henrik und hob seine Hände neuerlich in Ohrenhöhe.

»Halt, Henrik, du brauchst dir nicht die Ohren zuzuhalten«, rief Pünktchen lachend. »Wir sagen kein Wort mehr über das Wetter. Was war das übrigens für eine Neuigkeit, die du uns vorhin angekündigt hast?«

»Ach ja! Euer Gejammer hat mich so durcheinandergebracht, dass ich die Sache beinahe vergessen hätte. In Andreas Tierheim gibt es einen Neuzugang. Das heißt – es sind zwei. Andrea hat zwei … Nein, ich sage es euch nicht. Ihr müsst raten. Ratet, was Andrea bekommen hat.«

»Zwei Kätzchen«, piepste Heidi, das jüngste Kind im Kinderheim Sophienlust.

»Falsch geraten«, sagte Henrik und bemühte sich, ein möglichst geheimnisvolles Gesicht zu machen.

»Ein Kätzchen und einen Hund!«, rief Angelika.

»Wiederum falsch.«

»Zwei Papageien?«

»Nein, nein, nein«, krähte Henrik und tanzte ausgelassen vor den Kindern herum.

»Es müssen ziemlich ausgefallene Tiere sein, weil Henrik gar so ein Aufhebens von ihnen macht«, mutmaßte Irmela Groote, ein hochaufgeschossenes hübsches Mädchen mit langen blonden Haaren.

»Worum geht es eigentlich?«, erkundigte sich ein ungefähr elfjähriger Junge, der sich bisher schweigsam verhalten hatte. »Ich habe nicht begriffen, wovon Henrik spricht. Wer ist diese Andrea, und warum ist so wichtig, was für Tiere sie hat?«

»O Harald, entschuldige, dass dir niemand die Zusammenhänge erklärt hat«, gab Irmela leise zurück. »Du bist ja erst so kurz bei uns und weißt nicht Bescheid. Andrea von Lehn ist Henriks Halbschwester. Sie ist mit einem Tierarzt verheiratet und wohnt in Bachenau, dem Nachbarort von Wildmoos. Neben der Praxis betreiben sie und ihr Mann ein Tierheim. Manchmal bringen die Leute recht seltene Tiere zu Waldi & Co. So heißt das Tierheim nämlich. Zur Zeit lebt sogar ein junger Schimpanse dort.«

Weitere Erklärungen konnte Irmela nicht geben, denn es hatte sich mittlerweile ein solches Geschrei erhoben, dass Irmela ihr eigenes Wort nicht mehr verstand. Die verschiedensten Tierarten wurden genannt, aber Henrik stand da und schüttelte jedes Mal den Kopf.

»Du hältst uns zum Besten!«, beschuldigte Pünktchen den Jungen. »Wir haben so ziemlich alle Tiere genannt, die es gibt.«

»Nein, habt ihr nicht«, widersprach Henrik ihr grinsend.

»Na warte, ich hole jetzt mein Biologiebuch.«

»Nein, bleib da«, bat Henrik das Mädchen. »Ich sage es euch. Andrea hat zwei Ponys in ihrem Tierheim aufgenommen.«

»Ponys? Daraus musstest du so ein Geheimnis machen? Seit wann sind Ponys ausgefallene, seltene Tiere?«

»Ich habe nie behauptet, dass es sich um seltene Tiere handelt«, rechtfertigte sich Henrik.

»Aber ich habe dich gefragt, ob es sich um Pferde handelt!«, rief Fabian, begreiflicherweise erzürnt. »Du hast jedoch den Kopf geschüttelt.«

»Ponys und Pferde sind ja auch nicht dasselbe«, behauptete Henrik. »Fallt nicht über mich her – freut euch lieber über die Ponys. Andrea hat mir aufgetragen, euch auszurichten, dass sie euch alle für Sonntag einlädt. Dann dürft ihr auf den beiden Ponys reiten. Das eine ist weiß, das andere schwarz. Das schwarze heißt Moppel, das weiße Zottel. Beide sind sehr lieb und zutraulich. Freut ihr euch auf Sonntag? Seid ihr jetzt besser aufgelegt, nachdem ich euch von Moppel und Zottel erzählt habe?«

Der Großteil der Kinder nickte mit leuchtenden Augen. Lediglich Vicky wandte ein: »Die beiden Ponys werden sicher scheu sein, wenn sie so viele Kinder auf einmal sehen.«

»O nein, sie sind Kinder gewöhnt«, erklärte Henrik. »Sie haben früher zwei Jungen aus Rimstein gehört, die mit ihren Eltern nach Südamerika übersiedelt sind. Weil sie die Ponys nicht mitnehmen konnten, wurden die Tiere zu Waldi & Co. gebracht. Die beiden Jungen hatten oft Freunde zu Besuch, die auf den Ponys geritten sind. Für Moppel und Zottel ist es daher nichts Neues, wenn sich viele Kinder um sie drängen.«

»Werden Moppel und Zottel lange im Tierheim bleiben?«, erkundigte sich Fabian.

»Vermutlich«, erwiderte Henrik. »Andrea sucht natürlich einen guten Platz für die beiden. Sie möchte sie beisammen lassen, aber Hans-Joachim meint, dass das nicht so einfach sein wird.«

»Wer ist Hans-Joachim?« Harald wandte sich mit dieser Frage leise an Irmela.

»Dr. Hans-Joachim von Lehn ist Andreas Mann und somit Henriks Schwager«, erklärte das Mädchen.

»Was flüstert ihr da hinten?«, fragte Henrik misstrauisch. »Redet ihr über mich?«

»Aber nein«, beschwichtigte Irmela den Buben. »Ich habe Harald bloß erklärt, wer Hans-Joachim ist.«

»Richtig, Harald, du kennst ja meine Schwester, Hans-Joachim und das Tierheim noch nicht. Na, du wirst am Sonntag staunen. Ich werde dich überall herumführen und dir alles zeigen«, setzte er ein wenig großspurig hinzu.

»Es tut mir leid, aber ich kann am Sonntag nicht mit euch kommen«, versetzte Harald ruhig. Er war ein hübscher, wenn auch etwas blasser Junge mit einem dichten braunen Haarschopf, intelligenten grauen Augen und blendend weißen Zähnen.

»Wieso kannst du nicht mitkommen? Bei Andrea von Lehn geht es stets sehr lustig zu. Du musst sie, ihren kleinen Sohn Peterle und das Tierheim unbedingt kennen lernen«, sagte Pünktchen.

»Ich würde ja wirklich gern mitkommen«, bekannte Harald, »aber es geht nicht. Die Sonntage verbringe ich stets bei meiner Mutter und bei meinem Bruder. Sigurd wartet jedes Mal schon auf mich.«

Harald Neuhauser stieß einen tiefen Seufzer aus, der Henriks Neugier weckte. Henrik wusste ebenso wie die Kinder in Sophienlust lediglich, dass Haralds Eltern geschieden waren und dass die Scheidung der Eltern auch eine Trennung der beiden Brüder mit sich gebracht hatte. Der neunjährige Sigurd lebte seitdem bei seiner Mutter, der elfjährige Harald war dem Vater zugesprochen worden. Die Scheidung lag nun schon über ein Jahr zurück, aber Harald hatte sich noch immer nicht damit abgefunden. Sein Alltag war seither eher freudlos verlaufen. Ohne seinen jüngeren Bruder machte ihm nichts richtig Spaß. Nicht einmal den Aufenthalt in Sophienlust vermochte er ungetrübt zu genießen. Immer wieder musste er daran denken, um wie viel lustiger alles wäre, wenn Sigurd dabei sein könnte.

»Du machst so ein trauriges Gesicht, Harald«, sagte Henrik. »Ist dein Bruder etwa krank?«

»Nein, das nicht, aber … Früher, als wir noch ständig beisammen waren, da war alles viel lustiger. Jetzt ist Sigurd allein und ich bin allein.«

»Du bist nicht allein, du hast ja uns!«, rief Vicky spontan aus.

»Ja, schon. Aber ich kann nur ein paar Wochen bei euch in Sophienlust bleiben, so lange, bis Vati von seiner Geschäftsreise aus England zurückkommt. Dann muss ich wieder nach Hause.«

Dem Tonfall des Jungen war unschwer zu entnehmen gewesen, dass ihn diese Aussicht nicht freute. Keiner seiner jugendlichen Zuhörer wunderte sich darüber. Es gab unter ihnen etliche, die ebenfalls aus gescheiterten Ehen stammten und daher nachfühlen konnten, wie ihm zumute war. Und der Rest der Kinder war durch Spiel- und Schulkameraden mit Haralds Problem vertraut.

»Dein Vater hat wahrscheinlich eine Freundin, die du nicht ausstehen kannst«, stellte Angelika altklug fest.

»Ja. Woher weißt du das?«, fragte Harald überrascht. »Ich habe Alma doch noch nicht ein einziges Mal erwähnt.«

»Ach, es ist schon öfters vorgekommen, dass sich Kinder über die Freundinnen ihrer Väter beklagt haben«, erwiderte Angelika. »Meist versuchen die Freundinnen, die Kinder aus dem Haus zu ekeln, damit sie den Vater für sich allein haben.«

»Ha, aber es ist manchmal auch geglückt, die Freundin aus dem Haus zu ekeln«, warf Henrik lautstark ein. »Könntest du das nicht bei dieser Alma versuchen? Wie ist sie?«

»Widerlich«, erklärte Harald aus tiefster Seele.

»Wir müssen einen Schlachtplan entwerfen, wie du sie am besten loswirst.« Henrik war Feuer und Flamme. »Regt sie sich über Kleinigkeiten leicht auf? Ist sie zimperlich? Hat sie Angst vor Spinnen und Regenwürmern?«

Harald winkte ab. »Mit so einfachen Mitteln lässt Alma sich bestimmt nicht vertreiben. Es wäre natürlich ein Genuss, ihr ein Knäuel Regenwürmer ins Bett zu legen oder ihr heimlich eine tote Spinne oder Fliege in die Suppe zu praktizieren, aber solche Streiche würden mir nichts einbringen. Höchstens einen Wirbel mit meinem Vati. Vati ist nämlich ganz begeistert von Alma. Wenn sie sich über mich beschwert, gibt er immer ihr recht und schimpft mit mir. Ich soll ihr gehorchen. Dabei ist sie erst zweiundzwanzig und schrecklich dumm und verlogen. Aber das merkt Vati leider nicht.«

»Ist sie hübsch?«, fragte Henrik.

»Ja, freilich ist Alma hübsch. Sie ist auch immer freundlich zu Vati und tanzt um ihn herum, wenn er am Abend nach Hause kommt. Vorher sitzt sie stundenlang vor dem Spiegel und frisiert ihre hellblonden Haare und klebt sich falsche Wimpern rund um die Augen. Wenn ich ihr dabei zuschaue, fährt sie mich an und sagt, dass ich gefälligst verschwinden soll. Wenn ich mit ihr allein bin, ist es kaum auszuhalten. Deshalb wollte ich auch während Vatis Geschäftsreise nicht bei ihr bleiben, obwohl sie so getan hat, als ob ich bei ihr gut aufgehoben wäre. Sie hat sogar die Beleidigte gespielt, als Vati mich zu euch brachte. In Wirklichkeit ist sie sicher froh, dass sie jetzt eine Zeit lang ungestört ist. Sie hat es ja bloß auf Vatis Geld abgesehen«, schloss Harald bitter.

»Ist dein Vati sehr reich?«, wollte Henrik wissen.

»Sehr reich nicht gerade, aber wir haben ein schönes Haus und einen großen Garten. So groß wie der Park rund um Sophienlust ist unser Garten aber nicht«, schränkte Harald ein, »nur größer als die Gärten unserer Nachbarn. Wir haben einen Swimmingpool und eine Sauna, viel Rasen, eine Menge Bäume und Sträucher und ein Zierbecken mit Goldfischen drin.«

»Das klingt ja großartig«, meinte ein kleiner Junge, der in einer Zimmer-Küche-Wohnung aufgewachsen war, ehrfürchtig.

Harald zuckte mit den Schultern. »Seit Alma sich überall breitmacht, gefällt es mir weder im Haus noch im Garten«, erklärte er. »Sie mischt sich in absolut alles ein und will alles ummodeln.«

»Du musst sie wegekeln«, beharrte Henrik.

»Das gelingt mir nie«, seufzte Harald. »Mit kindischen Streichen habe ich bei Alma kein Glück. Vor allem, weil sie Vati auf ihrer Seite hat.«

»Vielleicht fällt uns ein, wie man deinem Vater die Augen öffnen könnte«, regte Henrik an. »Du musst ihm einen Beweis dafür liefern, dass seine Freundin es bloß auf sein Geld abgesehen hat. Vielleicht versöhnt er sich dann wieder mit deiner Mutti, und ihr kommt alle wieder zusammen.«

Mit dieser optimistischen Prognose erntete Henrik lediglich ein Kopfschütteln vonseiten Harald Neuhausers. »Es nützt nichts, wenn Vati und Alma sich zerstreiten«, sagte er leise. »Mutti hat nämlich inzwischen ebenfalls einen Freund. Der ist beinahe noch widerlicher als Alma.«

»Oh, da hast du aber wirklich Pech mit deinen Eltern«, meinte Pünktchen mitfühlend.

»Für Sigi ist es schlimmer als für mich«, berichtete Harald. »Deshalb muss ich Sonntag unbedingt zu ihm und ihm ein bisschen den Rücken stärken, Es tut mir leid, dass ich nicht zu deiner Schwester mitkommen kann, Henrik.«

»Ich werde sie bitten, dich ein anderes Mal einzuladen. Dann darfst du stundenlang auf Zottel oder auf Moppel reiten«, versprach Henrik.

*

Am Samstag trat glücklicherweise eine Wetterbesserung ein, und am Sonntag war es dann sogar strahlend schön. Die Kinder von Sophienlust sprachen von nichts anderem mehr als von dem bevorstehenden Besuch bei Andrea von Lehn. Die meisten waren zwar schon oft geritten, wenn nicht auf einem Pferd oder Pony, so zumindest auf dem Esel Fridolin. Dennoch freuten sie sich auf die Bekanntschaft mit den beiden Ponys bei Tante Andrea. Und für einige von den Kleinsten bedeutete die Aussicht auf einen Ponyritt eine wahre Sensation. Fast wurde Harald Neuhauser von Neid erfasst, aber er blieb fest dabei, den Sonntag bei seiner Mutter und seinem Bruder verbringen zu wollen.

Bis zur Bushaltestelle hatten Harald und die Kinder den gleichen Weg. Dann trennten sie sich. Harald stieg in einen Bus nach Maibach ein, und die übrigen Kinder zogen fröhlich weiter in Richtung Bachenau.

Die Kreisstadt Maibach war eine Kleinstadt, verhältnismäßig ruhig und von Grünland umgeben. Aber es gab auch hier bessere Wohngegenden und weniger gute. Das Haus von Haralds Vater befand sich in einem vornehmen Villenviertel, die Wohnung, die die Mutter nach der Scheidung bezogen hatte, lag hingegen in einer von Lärm durchfluteten Durchgangsstraße.

Es war Sigi, der auf Haralds Läuten die Tür öffnete. Der Junge war ein genaues Ebenbild seines Bruders, allerdings um einige Zentimeter kleiner als Harald.

»Hei, Sigi!«, begrüßte der größere Junge den kleineren.

»Komm herein! Mutti hat das Essen noch nicht fertig, weil sie wieder einmal Onkel Meinhards Extrawünsche erfüllen will. Bist du schon sehr hungrig?«

»Überhaupt nicht. Ich habe in Sophienlust zu Mittag gegessen. Esst ihr neuerdings immer so spät?«

»Manchmal spät, manchmal gar nicht. Mutti hetzt sich ständig ab, wird aber trotzdem nie mit der Arbeit fertig.«

Während Harald hinter Sigurd durch das lange, schlauchartige Vorzimmer lief, rümpfte er unwillkürlich die Nase. In den leckeren Duft des Schweinebratens mengte sich ein anderer, eher unangenehmer Geruch.

Sigurd riss die Küchentür auf, und Harald trat ein. Etwas linkisch begrüßte er seine Mutter. Irgendwie war sie ihm fremd geworden. Sie schien sich nach der Scheidung auf eine kaum fassbare Weise nicht nur äußerlich, sondern auch charakterlich verändert zu haben.

»Harald! Du bist schon da!«, rief Ursula Neuhauser aus. »Wie spät ist es denn?«

»Gleich drei«, erwiderte Sigurd.

»Was? So spät schon? Das Essen sollte längst auf dem Tisch stehen. Meinhard wird bereits ungeduldig darauf warten.«

»Ach, der liegt doch noch im Bett und schläft«, meinte Sigurd verächtlich.

»Na ja, er war gestern lange auf. Wie geht es dir, Harald? Was gibt es Neues?«

»Ich wohne jetzt in Sophienlust. Das ist ein Kinderheim in Wildmoos. Es gefällt mir dort sehr gut«, berichtete Harald.

»Du wohnst in einem Heim? Dein Vater hat dich also in ein Heim abgeschoben«, äußerte Ursula grollend. Sie war eine hübsche Frau, mittelgroß und schlank, mit wohlgeformten Beinen und anmutigen Bewegungen. Sie war dreißig, wirkte allerdings im Moment etwas älter. Daran war der sorgenvolle Ausdruck, der in ihren großen blauen Augen lag, schuld. Sie hatte die gleiche Haarfarbe wir ihre Söhne. Ihre Haare waren dicht, kurz geschnitten und leicht gelockt.

»Vati hat mich nicht abgeschoben.« Harald sah sich zu dieser Richtigstellung veranlasst. »Wenn er von seiner Geschäftsreise zurückkommt, nimmt er mich wieder zu sich.«

»Ach so, Ingmar ist geschäftlich unterwegs. Ich hätte ebenfalls die Möglichkeit zu verreisen – nach Rom. Meine Chefin würde mich zu verschiedenen Modeschauen mitnehmen. Das wäre sicher interessant.«

»Dann fahre doch, Mutti«, sagte Harald.

»Ah – ich weiß nicht. Ich muss ja für Sigi sorgen.«

»Du kannst ruhig fahren!«, unterbrach Sigurd seine Mutter. »Ich kann allein hierbleiben. Ich wärme mir ja auch sonst immer das Essen auf, wenn ich von der Schule nach Hause komme, und ich wasche sogar nachher das Geschirr. Fahre nur nach Rom, Mutti, und nimm …, nimm auch Onkel Meinhard mit. Ich bin gern allein!«

»Aber, Sigi, was redest du da für Unsinn?«, entgegnete Ursula hastig, während sie den Braten aus dem Backrohr holte. »Meinhard kann ich nicht mitnehmen. Es soll ja keine Vergnügungs-, sondern eine Geschäftsreise werden. Und allein würde ich dich niemals zurücklassen, das hat nicht einmal euer Vater mit Harald getan, obwohl ich eigentlich der Ansicht bin, dass diese Person – Alma Gerold – sich während Ingmars Abwesenheit um Harald hätte kümmern können.«

»Ich wollte das nicht, lieber bin ich in Sophienlust«, warf Harald ein.

»Könnte ich nicht auch nach Sophienlust gehen?«, schlug Sigurd vor.