Er darf sein Kind nicht sehen - Karina Kaiser - E-Book

Er darf sein Kind nicht sehen E-Book

Karina Kaiser

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. »Du brauchst mich wirklich nicht hinzubringen und auch nicht abzuholen. Ich bin doch schon neun und finde allein nach Hause.« Hanno Wenzel schaute seine Großmutter entrüstet an und fügte dann noch hinzu: »Alle anderen gehen auch allein.« »Was alle anderen machen, geht uns nichts an«, kam es in scharfem Ton zurück. »Ich bringe dich hin und hole dich auch wieder ab und damit basta. Hast du das verstanden?« »Ja, Oma.« Der Junge gab es auf, die Frau umstimmen zu wollen. Wenn er nämlich noch lange ungezogen war, die Oma nannte sein Verhalten jedenfalls so, wenn er also anderer Meinung war als sie, dann durfte er wahrscheinlich gar nicht zur Geburtstagsfeier von seinem Schulfreund gehen. Es war also besser, den Mund zu halten. Dann war die Oma wieder lieb und zufrieden. Tief enttäuscht lief er in sein Zimmer. Kurt Wenzel hatte sich nicht in die Debatte zwischen Oma und Enkel eingemischt, das tat er nur selten. Er war ja meist auf der Arbeit und hatte bei der Erziehung seines Enkelsohnes ohnehin kaum etwas zu sagen. Eigentlich war die Helga eine gute und vor allem fürsorgliche Frau, sie übertrieb diese Fürsorge nur manchmal. Was war denn schon dabei, wenn der Junge allein zu der Geburtstagsfeier seines besten Freundes ging? Bis zum Haus der Familie Richter waren nur etwa zweihundert Meter zurückzulegen. Das war nun wirklich nicht weit. »Ich finde, dass Hanno inzwischen alt genug ist, um allein irgendwohin zu gehen«

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Sophienlust - Die nächste Generation – 36 –

Er darf sein Kind nicht sehen

Warum der kleine Hanno ohne Vater aufwachsen sollte...

Karina Kaiser

»Du brauchst mich wirklich nicht hinzubringen und auch nicht abzuholen. Ich bin doch schon neun und finde allein nach Hause.« Hanno Wenzel schaute seine Großmutter entrüstet an und fügte dann noch hinzu: »Alle anderen gehen auch allein.«

»Was alle anderen machen, geht uns nichts an«, kam es in scharfem Ton zurück. »Ich bringe dich hin und hole dich auch wieder ab und damit basta. Hast du das verstanden?«

»Ja, Oma.« Der Junge gab es auf, die Frau umstimmen zu wollen. Wenn er nämlich noch lange ungezogen war, die Oma nannte sein Verhalten jedenfalls so, wenn er also anderer Meinung war als sie, dann durfte er wahrscheinlich gar nicht zur Geburtstagsfeier von seinem Schulfreund gehen. Es war also besser, den Mund zu halten. Dann war die Oma wieder lieb und zufrieden. Tief enttäuscht lief er in sein Zimmer.

Kurt Wenzel hatte sich nicht in die Debatte zwischen Oma und Enkel eingemischt, das tat er nur selten. Er war ja meist auf der Arbeit und hatte bei der Erziehung seines Enkelsohnes ohnehin kaum etwas zu sagen. Eigentlich war die Helga eine gute und vor allem fürsorgliche Frau, sie übertrieb diese Fürsorge nur manchmal. Was war denn schon dabei, wenn der Junge allein zu der Geburtstagsfeier seines besten Freundes ging? Bis zum Haus der Familie Richter waren nur etwa zweihundert Meter zurückzulegen. Das war nun wirklich nicht weit.

»Ich finde, dass Hanno inzwischen alt genug ist, um allein irgendwohin zu gehen«, meinte er auf seine bedächtige Art, während er weiterhin damit beschäftigt war, Kartoffeln für das Mittagessen zu schälen. »Du entwickelst dich noch zur Superglucke. Er kann übrigens auch mit dem Bus zur Schule fahren, so wie die anderen Kinder auch.«

»Und wenn etwas passiert? Denk an seine Mutter.«

»Das war etwas ganz anderes«, erwiderte er aufmüpfig. »Melanie ist beim Surfen verunglückt.«

»Ja, und warum?« Helga Wenzel wartete auf die Antwort ihres Mannes. Und als diese ausblieb, rief sie ungehalten: »Weil sie nicht aufgepasst hat, weil sie dauernd an diesen Oliver – diesen Hallodri - gedacht hat. Sie hat sich gegrämt, weil er sie so mir nichts, dir nichts verlassen und mit dem Kind sitzen gelassen hat. Und nur er ist schuld daran, dass sie gestorben ist. Da kannst du sagen, was du willst.«

»Ja, ja, du hast ja recht«, grummelte er, stand auf und beförderte die Kartoffelschalen in den Bio-Mülleimer. »Ich gehe jetzt und mähe den Rasen. Du kannst ja in der Zwischenzeit versuchen, dich wieder mit unserem Enkel zu versöhnen.«

Er übersah ihre zornige Miene und gab Fersengeld. Wenn seine Angetraute in dieser gereizten Stimmung war, dann war es mit ihr kaum zum Aushalten. Dann war es besser zu gehen.

Hanno hatte sich inzwischen auf sein Bett gelegt und schaute verdrossen an die Zimmerdecke. Die Oma war heute mal wieder besonders streng. Nichts durfte er allein machen, nichts! Dauernd passte sie auf ihn auf. Und das würde sie wahrscheinlich auch noch tun, wenn er erwachsen war. Sie würde ihn nachher auch zu der Geburtstagsfeier von Maxim begleiten und am Abend wieder abholen, genauso, als wenn er noch in den Kindergarten ginge. Und warum das alles? Weil er keine Mutti mehr hatte und einen Papa auch nicht. Die Mutti war gestorben, als er noch ein ganz kleiner Junge gewesen war. Und der Papa? Den kannte er gar nicht. Aber die Großeltern sprachen nicht gut von ihm. Ein Luftikus und Hallodri sollte er sein, einer, der nichts ernst nahm, nur herumlungerte und nicht zur Arbeit ging.

»Der treibt sich irgendwo herum und denkt überhaupt nicht an sein Kind«, sagte der Opa oft, und die Oma setzte dann giftig hinzu:

»Nur gut, dass der Kleine uns hat. Der elende Kerl hätte ihn bestimmt in ein Kinderheim gegeben.«

Kinderheim? Hanno stellte sich darunter ein hohes Gebäude mit vergitterten Fenstern vor. So etwas hatte er schon mal im Fernsehen gesehen. Schlimm war es dort, ganz schlimm. Dann blieb er schon lieber bei den Großeltern, auch wenn deren Haus nur klein und er wenig Platz zum Spielen und Toben hatte. Aber es gab immer ein leckeres Mittagessen, er bekam auch ab und zu Eis, Schokolade und Gummibärchen – und Hilfe bei den Hausaufgaben.

Er durfte nur nicht laut sein und seine Freunde nicht mit nach Hause bringen. Das war zu anstrengend für die Großeltern. Na ja, sie waren eben schon recht alt und brauchten ihre Ruhe.

In diesem Augenblick kam die Oma ins Zimmer, setzte sich zu ihm und sagte: »Du kannst dich gleich nach dem Essen umziehen.«

»Was soll ich denn anziehen?«

»Die neue Jeanshose und das blau-weiß karierte Hemd. Und wasche dich ordentlich und putze deine Schuhe. Das Geschenk für deinen Freund habe ich schon eingepackt.« Helga Wenzel strich ihrem einzigen Enkel flüchtig über das blonde, etwas wellige Haar, stand auf und sagte noch: »Wir gehen dann um 14 Uhr los.«

»Ja, Oma.«

Hanno verzichtete darauf, seine Großmutter noch einmal zu bitten, ihn allein zur Familie Richter gehen zu lassen. Sie konnte recht böse sein, wenn er seinen eigenen Willen durchsetzen wollte. Also war es besser, still zu sein und sich auf einen Nachmittag mit Maxim und den anderen Kindern zu freuen.

*

Oliver Brandis saß an diesem Abend in seiner erst vor Kurzem bezogenen Wohnung und nippte an einem Glas Weißwein. Er war recht zufrieden mit sich, denn er hatte in seinem Leben alles erreicht, was er sich schon als Schuljunge vorgenommen hatte. Er war Augenarzt geworden und hatte mehr als zehn Jahre in Kamerun gearbeitet, wo er vielen armen Menschen durch seine Arbeit zu einer besseren Lebensqualität verholfen hatte. Für seine Träume hatte er auf vieles verzichtet, auf so manchen Urlaub und auch auf eine feste Beziehung. Seine Liebe zu einem Mädchen hatte er aufgegeben. Manchmal dachte er noch an sie, an Melanie Wenzel, das Mädchen mit den langen weizenblonden Haaren, mit dem er einen Sommer lang zusammen gewesen war. Sicher war sie längst verheiratet, hatte Kinder und dachte überhaupt nicht mehr an ihn, der sie schließlich ohne eine Erklärung und von heute auf morgen verlassen hatte.

Inzwischen hatte er die Praxis seiner Mutter übernommen, so wie sie es schon lange gewollt hatte, damit sie sich endlich zur Ruhe setzen konnte.

Verstehen konnte er das schon, sie ging auf die Siebzig zu und vertraute ihrem eigenen Können nicht mehr so recht. Nun wäre er dran, hatte sie oft gesagt. Er sollte da weitermachen, wo sie aufgehört hatte, und sollte sich Frau und Kinder anschaffen.

Frau und Kinder? Wie stellte sie sich denn das vor? Er hatte doch nie Zeit. Und eine Frau, wie er sie brauchte, gab es wahrscheinlich gar nicht.

Melanie Wenzel kam ihm wieder in den Sinn. Damals hatte sie noch bei ihren Eltern gewohnt, in einem Dorf in der Nähe von Maibach.

Ich sollte mal hinfahren, überlegte er. Natürlich nicht zu den Wenzels.

Melanies Eltern hatten ihn schon damals stets und ständig mit schiefen Blicken gemustert. Einen Mann, der noch studierte und somit noch kein Einkommen hatte, konnten sie als Freund ihrer einzigen Tochter nicht akzeptieren.

Melanie hatte anders gedacht, aber sie hatte ihn nicht halten können. Er war gegangen und hatte diese Entscheidung nicht bereut, hatte sich für die Ärmsten dieser Welt eingesetzt und darüber oft sein eigenes Leben vernachlässigt. Nein, zu den Wenzels fuhr er nicht. Er würde aber so bald als möglich seinen Freund Jonas besuchen, mit dem er immer noch losen Kontakt hatte und der inzwischen in Maibach bei einem Pflegedienst arbeitete. Und bei der Gelegenheit würde er vielleicht doch bei Melanies Eltern auftauchen. Die wohnten sicher noch im gleichen Dorf. Da würde es leicht sein, mal ganz zufällig vorbeizuschauen und nachzufragen …

*

Die Gelegenheit, mit dem Freund zu sprechen, ergab sich schon eine Woche später. Ohne vorherige Anmeldung stand Jonas Bellmann an einem ganz gewöhnlichen Dienstagabend vor seiner Wohnungstür, bedachte ihn mit einem vergnügten Lächeln und erklärte: »Na, da staunst du, nicht wahr?«

»Ja, aber komm doch rein. Wie hast du mich überhaupt gefunden?«

»Ich habe deine Eltern angerufen, und die haben mir gesagt, dass du die Praxis übernommen hättest.«

Der Krankenpfleger schlenderte an ihm vorbei und nahm dann nach einer entsprechenden Aufforderung im Wohnzimmer Platz. Praktischerweise befanden sich die Behandlungsräume direkt neben der Wohnung.

»Ich nehme an, du willst jetzt in Deutschland bleiben«, begann Jonas, nachdem Oliver für Getränke gesorgt hatte.

»So ist es, Mama und Papa sind nicht mehr die Jüngsten und werden mich früher oder später brauchen. Und irgendwann möchte ich auch eine Familie haben. Dafür war ja bis jetzt überhaupt keine Zeit.«

»Manchmal kommt die Familie auch beinahe von allein, so wie bei mir.« Jonas lachte und erzählte dann dem Freund von seiner Eva, die ein kleines Mädchen mit in die Ehe gebracht hatte.

»Dann bist du also schnell zum Papa geworden«, ergänzte Oliver schmunzelnd, sah dann nachdenklich vor sich hin und fügte schließlich hinzu: »Vielleicht wäre ich auch längst Vater, wenn ich bei Melanie geblieben wäre.«

Sein Freund musterte ihn einige Augenblicke und meinte dann: »Hm, ja, du weißt anscheinend gar nicht …«

»Was weiß ich nicht?«, fragte Oliver irritiert.

»Na ja, Melanie lebt schon lange nicht mehr, ist beim Surfen verunglückt. Da war ihr Kind noch nicht einmal zwei Jahre alt.«

»Ach …« Mehr brachte Oliver nicht heraus. Dann war es eine Weile still.

Jonas unterbrach diese Stille schließlich und fragte: »Haben deine Eltern dir denn nichts gesagt?«

»Nein, sie haben wahrscheinlich auch kaum etwas gewusst und sich auch nicht dafür interessiert. War Melanie verheiratet?«

»Nicht, dass ich wüsste. Ich weiß nur, dass ihre Eltern den Jungen aufziehen.«

»Wie alt ist… das Kind denn?« Olivers Stimme klang dünn und fremd.

Jonas zuckte mit den Schultern und antwortete: »Weiß ich nicht genau, acht oder neun. Meinst du etwa, es könnte deines sein?«

»Ich weiß es nicht, aber unmöglich wäre es nicht.«

»Ach, das glaube ich nicht.« Jonas winkte ab und meinte dann in beruhigendem Tonfall: »Man hätte dich doch benachrichtigt.«

»Wie denn und wo denn?«

»Na, über deine Eltern.«

»Stimmt. Aber Melanies Eltern konnten mich nicht leiden. Sie könnten mir den Jungen verschwiegen haben, oder vielleicht wollte Melanie das auch so. Sie wird sehr enttäuscht gewesen sein. Ich habe sie ja verlassen.«

»Die feine englische Art war das wirklich nicht.«

»Nein, aber daran habe ich damals nicht gedacht. Ich wollte nur Erfahrungen sammeln und beweisen, dass ich etwas kann, und wollte helfen, die Not in diesem Land zu lindern.« Oliver trank den Rest seines Weines in einem Zug aus, vergrub dann sein Gesicht in den Händen und murmelte: »Dass es so kommt, wollte ich nicht.«

Sein Freund sagte nichts dazu. Es gab auch nichts zu sagen.

Sie saßen an diesem Abend noch lange beieinander, Melanie Wenzel und ihr Kind wurden jedoch nicht mehr erwähnt.

Schlafen konnte Oliver in dieser Nacht allerdings nur schlecht. Immer wieder hatte er Melanie vor Augen und wusste jetzt, dass sie heimlich geweint und sich gegrämt hatte. Jetzt war es jedoch zu spät, um alles wiedergutzumachen.

Ich hätte ihr schreiben und alles erklären sollen, warf er sich vor, während er sich unruhig im Bett hin und her wälzte. Aber er hatte gedacht, es wäre besser, wenn sie ihn bald vergessen würde. Vielleicht hatte sie das ja auch. Vielleicht hatte es schon bald einen anderen Mann gegeben. Vielleicht war der der Vater des Kindes.Vielleicht war der Junge aber auch sein Kind. Er musste wissen, ob es so war. Er würde daher so bald als möglich zu Melanies Eltern fahren, jetzt erst recht. Aber würden die ihm die Wahrheit sagen?

*

Urlaub musste sein! Sie mussten auch mal ausspannen, allerdings ohne Hanno. Dieser aufgeweckte und quicklebendige Junge, der mit seinen vielen Fragen und kuriosen Einfällen mitunter ein rechter Plagegeist war, brauchte während dieser Zeit einen Ort, wo er sich austoben konnte. Opa Kurt und Oma Helga brachten ihn deshalb seit Jahren für drei Wochen nach Sophienlust. In den Sommerferien war dort meist ein Platz zu haben. In diesem Jahr selbstverständlich auch. Dass auch Sophienlust ein Kinderheim war, das für Hanno ja ein heimliches Schreckgespenst darstellte, war ihm dabei gar nicht bewusst. Sophienlust war Sophienlust – ein Ort, an dem er unbeschwert toben und fröhlich sein konnte.

Hanno freute sich außerordentlich auf seine Freunde, mit denen er spielen, Sport treiben und Spaß haben konnte. Dann vermisste er seine Großeltern so gut wie gar nicht. In Sophienlust waren Ferien noch wie Ferien sein sollten, spannend und abenteuerlich und manchmal auch laut.

Die Köchin Magda hatte er besonders ins Herz geschlossen. Sie kannte seine Vorliebe für Schokoladenpudding und hatte für ihn immer eine Extraportion übrig.

Und während die Großeltern bereits die Koffer für eine Kreuzfahrt packten, um die nordischen Länder ein wenig kennen zu lernen, konnte Hanno es kaum erwarten, nach Sophienlust zu kommen.

Ja, die Vorfreude war groß. Eifrig verstaute der Junge an diesem Nachmittag sein Lieblingsspielzeug in seinen Rucksack und lauschte anschließend einem Hörbuch. Und von diesem war er so gefesselt, dass er das Klingeln an der Haustür nicht vernahm. Er sah auch den Mann nicht, den seine Oma an der Tür abfertigen wollte.

»Sie – Sie – kommen mir nicht ins Haus«, zischte Helga Wenzel Oliver Brandis mit nur mühsam unterdrückter Wut zu. »Melanie lebt nicht mehr, und daran sind nur Sie schuld.«

»Man hat mir gesagt, dass es ein Unfall war.«

»Ja, und weshalb?«

Oliver Brandis musste nach dieser verbalen Attacke tief Luft holen, bevor er überhaupt ein Wort der Erwiderung fand.

»Ich habe Melanie doch nichts getan«, begann er, wurde aber sofort unterbrochen:

»Sie haben ihr nichts getan?«, schrie Helga Wenzel. »Ja, so kann man das natürlich auch nennen, wenn man sich herausreden will und ein so ein verantwortungsloser Kerl ist wie Sie. Sie haben sie im Stich und mit einem Kind sitzen lassen. Ist das etwa - nichts?

»Ich habe von dem Kind doch nichts gewusst und habe erst jetzt erfahren, dass sie eines hatte«, verteidigte er sich. »Sie hätte sich auch melden können.«

»Wo denn?«, kam es spöttisch zurück.

»Sie hätte meine Eltern fragen können.«

»Nachdem Sie unsere Tochter bei Nacht und Nebel verlassen haben, sollte sie Ihnen wohl auch noch nachlaufen, ja? Sie hätten hierbleiben, ordentlich arbeiten und für Frau und Kind sorgen sollen. Das wäre Ihre Pflicht gewesen. Aber von Pflichten halten Sie ja nichts.«