Space Troopers - Collector's Pack - P. E. Jones - E-Book
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Space Troopers - Collector's Pack E-Book

P. E. Jones

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Beschreibung

Collector's Pack mit den ersten sechs Folgen der erfolgreichen E-Book-Serie!

Das Jahr 2134: Die Erde steht vor dem Untergang - und mit ihr die gesamte Menschheit. Hunger und Armut, Kriminalität, Gewalt und Terror beherrschen den Alltag. Die einzige Rettung der Menschheit scheint in der Kolonisierung neuer Welten zu bestehen.

Die Space Troopers, Kämpfer einer speziell ausgebildeten militärischen Einheit, sollen die Kolonisten beschützen. Doch im Kassiopeia-Sektor wartet ein fremder Feind, dessen Brutalität die Menschheit kaum etwas entgegenzusetzen hat ...

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Seitenzahl: 808

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Inhalt

Cover

Über die Serie

Über die Autorin

Titel

Impressum

Hell’s Kitchen

Krieger

Die Brut

Die Rückkehr

Die Falle

Die letzte Kolonie

Über die Serie

Das Jahr 2134: Die Erde steht vor dem Untergang – und mit ihr die gesamte Menschheit. Hunger und Armut, Kriminalität, Gewalt und Terror beherrschen den Alltag. Die einzige Rettung der Menschheit scheint in der Kolonisierung neuer Welten zu bestehen. Die Space Troopers, Kämpfer einer speziell ausgebildeten militärischen Einheit, sollen die Kolonisten beschützen. Doch im Kassiopeia-Sektor wartet ein fremder Feind, dessen Brutalität die Menschheit kaum etwas entgegenzusetzen hat.

Die Serie Space Troopers ist packende und actionreiche Military Science Fiction. Im Kampf gegen die Aliens entscheidet sich das Schicksal der gesamten Menschheit.

Über die Autorin

P. E. Jones ist das Pseudonym einer deutschen SF-Autorin. Sie wurde 1964 geboren, lebt und arbeitet in der Pfalz. Seit ihrer Kindheit faszinieren sie vor allem Science-Fiction- und Fantasy-Stoffe. Sie ist ein begeisterter Trekkie und besucht die verschiedensten Universen regelmäßig in Rollenspielen.

Folgen 1-6

beBEYOND

Oktober 2014

Digitale Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Autor: P. E. Jones

Projektmanagement: Stephan Trinius

Lektorat: Dr. Arno Hoven

Titelgestaltung: Illustration Arndt Drechsler basierend auf Quellen von Fotolia und Canstock

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-0590-6

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Folge 1

HELL’S KITCHEN

Prolog

Zuerst war es nur ein Punkt im Weltall. Ein neuer Stern, der sich zu den anderen gesellte. Doch dann erkannte die Station im Orbit um die Kolonie Kassiopeia 1.3, dass es sich um ein Schiff handelte. Ein großes Schiff. Ein unbekanntes Schiff.

Noch während der Senat der Kolonie überlegte, wie er reagieren sollte, explodierte die Station der Space Troopers. Ein einziger Schuss des fremden Schiffes hatte genügt, um all jene zu töten, die den Schutz der Kolonie gewährleisten sollten. Der Blick auf das Schiff der Angreifer war das Letzte, was die Station ins All sandte. Danach zogen ihre Bruchstücke wie Sternschnuppen eine gleißende Bahn am Himmel des Planeten. Als glühendes Metall fielen sie zu Boden und schlugen Schneisen der Verwüstung.

Die herabstürzenden Trümmer waren kaum zu unterscheiden von den Geschossen, die kurz darauf die Kolonie zerpflügten, sie zerstörten – und den Menschen den Tod brachten. Bälle aus Glut regneten hernieder, wurden zu albtraumartigen Wesen, gegen die jede Waffe der Kolonisten versagte. Sie hinterließen ein Chaos aus zerborstenen Gebäuden, verbrannten Körperteilen und schmutzig-roten Blutlachen.

Die fremden Eroberer kannten weder Gnade noch Erbarmen. Alles was blieb, waren Furcht und Entsetzen und Schreie, die als letzter Hilferuf an die Erde gesandt wurden.

1. Kapitel

Es gab wenig, was John Flanagan aus der Fassung bringen konnte. Doch die Schreie – die letzten Lebenszeichen der Kolonisten im Kassiopeia-Sektor – jagten ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Noch nie hatte er Menschen so schreien hören. Namenloses Entsetzen lag darin, kreatürliche Angst und die Gewissheit, dass in den nächsten Augenblicken das eigene Leben auf eine furchtbare Weise enden würde. Sie dauerten nicht lange, diese verzweifelten Schreie; doch die Stille, die ihnen folgte, war umso schrecklicher.

John hörte sie in allen Sendern. Jede Reklame- und Nachrichtentafel der Stadt übertrug sie. Wie ein ständig wiederkehrendes Echo hallten sie an diesem Tag durch die Straßenschluchten. Als wollten sie ihn verfolgen. Natürlich war das Unsinn, aber vielleicht lag der Grund für dieses Gefühl schlicht darin, dass es genügend Leute gab, die ein Motiv hatten, ihn zu verfolgen. Weil er ihnen etwas schuldete, ihnen auf die Füße getreten war, sie verraten hatte – oder einfach nur deshalb, weil er ihnen im Weg war.

Trotzdem blieb er stehen, als er die Todesschreie erneut vernahm. Damit niemand ihn erkannte, zog er sich den dreckigen Parka etwas enger um die Schultern. Sein Blick glitt zur anderen Straßenseite und fiel auf die Bilder, die dort auf einer Videotafel gezeigt wurden.

Über dem allgegenwärtigen Laufband mit den aktuellen Ozon- und Abgaswerten, die wie gewöhnlich rot leuchteten, war ein Ausschnitt des Weltraums zu sehen. Wie John dem eingeblendeten Schriftzug entnehmen konnte, handelte sich um den Kassiopeia-Sektor mit der Kolonie auf dem dritten Planeten sowie einer Raumstation der Space Troopers. Unwillkürlich blinzelte John, um etwas Ungewöhnliches in dem Bild zu finden, das mit den Schreien zu tun hatte, die er schon so oft hatte hören müssen.

Da! Zwischen den Sternen war plötzlich ein blaues Blinken zu sehen!

John rieb sich die Augen. Im nächsten Moment wurde aus dem Blinken ein Blitz, der sich zur Raumstation hin bewegte. Dann zeigte die Nachrichtentafel wieder den Sprecher von News Today.

Was redete der Idiot da? Atmosphärische Störungen? Das war ein Schiff gewesen. Ein Schiff, das aus dem Nirgendwo aufgetaucht war und so plötzlich auf die Raumstation gefeuert hatte, dass die Space Troopers nicht einmal reagieren konnten. War die Regierung wirklich so blöde, oder wollten die alle Welt für dumm verkaufen? Falsche Frage. Weshalb wollte die Regierung alle Welt für dumm verkaufen?

Die Antwort auf diese Frage konnte John sich denken. Es war immer das Gleiche: Die da oben hatten mal wieder irgendwas verbockt und wollten es vor der Öffentlichkeit geheim halten.

Erneut gellten die Schreie aus den Lautsprechern der Nachrichtentafel. John schüttelte sich. Was auch immer dort geschehen war und dazu geführt hatte, dass es keine Verbindung zur Kolonie mehr gab – es musste schrecklich gewesen sein.

Eine vertraute Gestalt auf der anderen Straßenseite veranlasste John, sich die Kapuze seines Parkas tiefer ins Gesicht zu ziehen und die Atemmaske ein wenig höher zu schieben, damit er nicht erkannt wurde. Langsam ging er weiter und spähte zu dem Mann hinüber, ohne den Kopf zu wenden. Es war eindeutig Said.

Zufällig war der Kerl garantiert nicht hier. Entweder wollte Said alte Schulden eintreiben oder, schlimmer noch, ihn zu Aziz schleppen, damit er Rechenschaft darüber ablegte, weshalb er nach dem letzten Deal das Geld nicht abgeliefert hatte. Dass der Deal geplatzt war, weil plötzlich Bullen aufgekreuzt waren, würde Aziz sicherlich nicht als Entschuldigung gelten lassen. Wahrscheinlicher war, dass es Saids Boss dazu animierte, ihm das geschuldete Geld samt Zinsen und Zinseszinsen aus dem Leib zu prügeln.

Zeit, zu verschwinden. Wieder einmal.

Es dunkelte bereits. Frierend drückte John sich gegen die Hauswand der kleinen Gasse. Sein Magen knurrte, und durch die Atemmaske drang der Geruch von Müll, Dreck und Pisse. Der Gestank kam von einigen Müllcontainern, die nur wenige Meter entfernt standen. Der Abfall in ihnen quoll über, und auch um die Behälter herum lag der Unrat. Ein gewohntes Bild, da die Müllabfuhr schon seit Jahren hoffnungslos überlastet war.

Das zerfallene Haus, in dem er die letzten paar Wochen übernachtet hatte, war einem Schild mit der Aufschrift »Hier entsteht ein neues Einkaufszentrum für Sie« und einem Bagger gewichen. Missmutig starrte er auf den Schutthaufen, der den Platz markierte, wo sich gestern noch sein Bett befunden hatte. Oder, genauer gesagt, die Matratze, auf der er geschlafen hatte.

Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Alarmiert schaute er sich um und erspähte in der Gasse den Schatten eines Menschen, der in einem Hauseingang verschwand. Hatte Said, die Ratte, ihn etwa doch entdeckt und war ihm gefolgt?

Automatisch duckte John sich hinter die Müllcontainer und taxierte rasch alle möglichen Fluchtwege. Rechts war die Straße leer – bis auf den Unrat, ein paar Mülltonnen und einige abgestellte Gleiter, die wegen der aktuellen Abgaswerte derzeit nicht benutzt werden durften. Links war eine Kneipe. Nein, irgendein erleuchtetes Geschäft, was auch immer, vor dem sich tatsächlich ein paar Leute drängten. Ihm gegenüber waren die Baustelle, ein Bagger, Schutt und weitere verlassene Gebäude, die in den nächsten Tagen wohl ebenfalls dem Bagger weichen würden.

Waren das Schritte? Erneut spähte er in die Gasse hinein. Jetzt sah er sie: zwei Männer, die sich im Schatten der Mauern seinem Versteck näherten.

Eng an die Wand gepresst kroch John nach rechts um die Häuserecke. Die wenigen Mülltonnen und Gleiter als Deckung nutzend, rannte er die Straße entlang. Nach wenigen Sekunden wechselte er im Schutz eines langsam vorbeifahrenden Lastengleiters die Straßenseite, hechtete hinter einen Schutthaufen und lugte vorsichtig über dessen Rand.

Ein Mann stand am Ende der Gasse und sah sich suchend um. Ein zweiter gesellte sich zu ihm. Nach einem kurzen Wortwechsel zeigte der erste nach rechts und dann nach links. Sie teilten sich auf. Und taten damit genau das, was John sich erhofft hatte.

Vorsichtig schob er sich zurück. Mit nur einem Gegner wurde er locker fertig.

Saids Helfer hatte er in kürzester Zeit ausschalten können. Said selbst war nicht wieder aufgetaucht.

Johns Magen schmerzte inzwischen vor Hunger. Zudem hatte Regen eingesetzt, was nicht dazu beitrug, seine Laune zu heben. Der leichte Schwefelgeruch, der durch die Atemmaske drang, sagte ihm, dass der Niederschlag zu allem Überfluss sauer war. Keine gute Idee, weiter hier im Freien durch die Schutthalden zu kriechen.

Johns Blick fiel auf ein verfallenes Gebäude. Im Innern der Ruine, war es kalt und klamm. Der Regen schlug durch die halb zerfallene Wand der gegenüberliegenden Seite. In das Plätschern mischten sich plötzlich leise Stimmen.

Alarmiert drückte John sich tiefer in die Schatten und lauschte angestrengt. Doch das war nicht Said. Die gehetzte Stimme gehörte einer Frau.

»Hören Sie! Ich weiß nicht, was ich tun soll! Die bringen mich um. Die haben Richard umgebracht. Ich -«

»Beruhigen Sie sich!«, fiel ihr eine männliche Stimme ins Wort. »Ich bin nicht alleine hier. Und sobald wir die Sache auf Sendung gebracht haben, kann Ihnen nichts mehr geschehen. Haben Sie die Beweise mitgebracht?«

Ein Rascheln. »Nicht alles. Ein paar Aufzeichnungen und …« Schritte ertönten. »Oh, mein Gott!«

»Ich bin’s nur, Clarice. Da draußen bewegt sich etwas. Wir sollten gehen. Schnell!«

»Zach? Wieso …«

»Komm schon! Und Sie sollten auch verschwinden, Mister.«

John hörte Schritte, die rasch näher kamen. Instinktiv drückte er sich hinter einen Haufen aus Schutt. Doch die Schritte passierten sein Versteck und entfernten sich in die Richtung, aus der auch die Stimmen kamen. Wenig später wurden die Schritte überdeckt von dem Prasseln von Steinen. Ein Geröllhaufen geriet ins Rutschen. Die Frau schrie auf – der Rest ging unter in dem Peitschen von Schüssen.

Die sich anschließende Stille war ohrenbetäubend.

»Sind sie tot?«

»Keine Ahnung.« Das war Saids Stimme. John hätte sie aus tausenden wiedererkannt.

»Dann schau nach!« Der herrische Tonfall klang ebenfalls vertraut: Aziz.

Leise wie ein Schatten kroch John aus seinem Versteck, huschte zur halb zerbrochenen Wand und lugte vorsichtig über den Mauerrest. Er konnte mindestens fünf oder sechs Männer erkennen, die im prasselnden Regen über die Schutthalden kletterten.

Leise trat John von der Maueröffnung zurück. Der Eingang, den er benutzt hatte, war von den Männern deutlich einsehbar. Vielleicht konnte er im Nachbarraum, der durch eine Türöffnung in der Wand gekennzeichnet wurde, einen besseren Weg nach draußen finden.

Doch ein Blick sagte ihm, dass der andere Raum nicht mehr existierte, er war nur noch ein stumpfer Zahn in einem ruinierten Gebiss. Hier gab es kaum Deckung für ihn.

Noch während er durch die Türöffnung schielte, hörte er hinter sich näher kommende Schritte. Mit einem stummen Fluch warf sich John in den Dreck. Hastig robbte er ein Stück weit über Steine, sprang auf und hechtete hinter einen Haufen in Deckung. Er landete auf einem Körper.

An seinen Finger spürte er klebrige Feuchtigkeit. Im schummrigen Licht der Straßenlaternen entdeckte er das Blut an seiner Hand.

Ein Keuchen.

Der Kerl lebte noch.

Voller Panik presste John dem Mann die Hand auf den Mund. Die blutigen Finger des anderen drängten etwas in seine Hände. Es fühlte sich wie eine Mappe aus Leder an. Ohne zu wissen, weshalb, griff John danach und steckte sie unter das Kapuzenshirt, das er unter dem Parka trug.

Im nächsten Moment waren die Schritte nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Entschlossen sprang er auf, rammte dem Verfolger seine Faust in den Magen und floh in die Nacht.

John rannte, bis seine Muskeln protestierten. Der saure Regen brannte in seinen Augen. Wenn er nicht bald einen Unterschlupf fand, drohte er zu erblinden. Auch seine Lunge würde Schäden davontragen, wenn er sich zu lange im Regen aufhielt. Die billige Atemmaske konnte den giftigen Dämpfen des Regens nicht auf Dauer standhalten. Er spürte schon ein Kratzen im Hals. Sich darüber aufzuregen lohnte nicht. Niemand wurde hier auf der Straße alt. Aber zum blinden Abschaum zu gehören, der durch die Gosse kroch, war die Hölle. Da zog er es vor, tot zu sein.

Ein Schuss krachte hinter ihm. Sirenengeheul antwortete.

Halb blind rannte John weiter. Ein heller Fleck zog ihn an, lenkte ihn. Er lief darauf zu, denn wo es Licht gab, waren Leute. Und seine Verfolger würden ihn bestimmt nicht vor Augenzeugen erschießen wollen.

Das Sirenengeheul kam näher. Licht blendete John. In vollem Lauf prallte er mit einem Mann zusammen.

»Pass doch auf, du Idiot!«, brüllte der andere.

Johns Faust war schon unterwegs und landete in der Nierengegend seines Gegenübers.

»Da!«, rief jemand.

Ein Stoß mit dem Ellbogen, ein hochgerissenes Knie und eine saubere Gerade verschafften John den Platz, der erforderlich war, um sich innerhalb eines Augenblicks durch die Menschenmenge vor dem erleuchteten Gebäude zu drängen. Er wollte schon weiterlaufen, als er zwei Swat-Leute entdeckte, die auf ihn zugingen. Auf dem Absatz drehte John sich um und stürzte in die einzige Fluchtrichtung, die ihm geblieben war – hinein in das erleuchtete Gebäude.

Es war, als würde das Licht seine Augen verbrennen. Wie durch einen Schleier sah er zwei Schreibtische, an denen jeweils eine Person in Uniform saß. An der Wand dahinter hing die Flagge der Vereinten Nationen, und vor den Tischen drängte sich ein Menschenpulk. Als Letztes entdeckte er die Tür mit der Aufschrift »WC«. Er stürmte hindurch, ohne sich umzudrehen.

Erst in dem kleinen, engen Korridor dahinter erlaubte er sich, Atem zu schöpfen. Seine Augen brannten, als hätte er Säure hineinbekommen. Vage konnte er am Ende des Korridors eine Tür ausmachen, die vermutlich ein Hinterausgang war. Davor befand sich im Gang eine weitere Tür, auf der das bekannte »Herren«-Symbol prangte. Fluchend stieß er sie auf und taumelte in die Toilette.

Die Augen fest zusammengekniffen, tastete er sich zum Waschbecken, hielt seine Hände unter den Hahn und kostete das Wasser. Erst als er sauberes Wasser schmeckte, erlaubte er sich, erleichtert durchzuatmen. Mit beiden Händen schöpfte er Wasser in Gesicht und Augen, bis das Brennen endlich nachließ.

Das Gesicht, das ihn aus dem Spiegel über dem Waschbecken anstarrte, war hohlwangig und schmutzig. Die hellen graublauen Augen waren gerötet. Er zog die Nase hoch, strich mit den nassen Fingern die widerspenstigen, rotblonden Haare aus seinem Gesicht und wischte sich den Dreck von Kinn und Wangen.

Als er sich die Hände an seinem Kapuzenshirt abtrocknete, spürte er die Mappe, die er eingesteckt hatte. Einen Herzschlag lang zögerte er, ehe er sie herauszog und öffnete. Papiere. Eine Menge Papiere. Voller Blut. Wer schrieb so viel Zeug? Eine ID-Karte – von einem Zacharias McClusky. Hieß so der Tote, der ihm die Mappe zugesteckt hatte? Und ein Datenchip. Waren die Leute dafür getötet worden?

Und wenn schon. Er hatte nichts damit zu tun. Gar nichts. Sein Blick fiel auf den Mülleimer. John zögerte.

Verdammt! Wurde er jetzt etwa sentimental? Wenn Aziz die Frau und die beiden Männer dafür hatte töten lassen, würde er auch jeden anderen umbringen, der die Mappe an sich nahm. Andererseits: Wenn Aziz dafür tötete, mussten die Sachen etwas wert sein.

Doch zumindest die Mappe musste weg; sie war zu auffällig. Entschlossen klaubte er das blutgetränkte Papier zusammen, schob es zurück unter sein Shirt, steckte die ID-Karte in seinen Parka und den Chip in seine Socke. Die Mappe warf er durchs Fenster. Gerade rechtzeitig, bevor die Tür aufging und ein Kerl in der Uniform der Space Troopers hereinkam.

»Also, wenn du dich noch melden willst, solltest du dich beeilen«, sagte der Mann und marschierte zum Urinal.

Melden? Das war der Witz des Jahrhunderts.

Er war ausgerechnet in einem Rekrutierungsbüro der Armee gelandet.

Ohne dem Uniformierten eine Antwort zu geben, stieß John die Toilettentür auf und strebte dem Hinterausgang zu. Schon beim Näherkommen sah er das Blaulicht eines Polizeifahrzeugs durch die Ritzen der Tür. Verdammt! Abrupt blieb er stehen.

»Kalte Füße bekommen, was?« Der Kerl in Uniform grinste. »Wärst nicht der Erste.«

John biss die Zähne aufeinander und stopfte die Hände in die Taschen seines Parkas, damit der Soldat nicht sah, wie er die Fäuste ballte. Ohne den anderen eines Wortes zu würdigen, stapfte er auf ihn zu, rempelte den um einen halben Kopf größeren Mann gezielt mit der Schulter an und stieß die Tür zum Rekrutierungsbüro auf.

Eine Schar von jungen Männern schaute ihn an, als warteten sie nur auf ihn.

John wagte einen Blick nach draußen, wo die blauen Lichter diverser Einsatzfahrzeuge durch die vom Regen blinden Scheiben blinkten. Die klobigen Umrisse eines Truppentransporters stachen dazwischen hervor.

»Letzte Chance, Hasenfuß. Wir schließen jetzt.« Der Vorzeigesoldat mit dem Grinsen war direkt hinter ihm in das Rekrutierungsbüro getreten.

Die jungen Männer machten dem Mann respektvoll Platz, damit er zu dem freien Schreibtisch gehen konnte, an dem laut Namensschild Lieutenant Gallagher arbeitete. Aber Gallagher setzte sich nicht auf seinen Stuhl, sondern griff nur nach dem Schreibpad, das dort lag, und sah auf. John glaubte Geringschätzung in seinem Blick zu erkennen. Am anderen Schreibtisch hatte eine Rothaarige, deren perfekte Rundungen durch die Uniform sogar noch unterstrichen wurden, ihre Sachen bereits in eine Aktentasche gepackt und sah den Lieutenant fragend an.

Hinter ihnen an der Wand flackerte neben der Flagge ein Hologramm, das einen Trooper im Einsatz zeigte. Dreckig, das Gewehr im Anschlag. Unter dem Bild des Soldaten stand ein kurzer Text. Einschreibebedingungen, buchstabierte John mit einiger Mühe. Alter: mindestens 21 Jahre. Schulabschluss. Keine Vorstrafen. Fast hätte er gelacht. Er konnte maximal eine der Bedingungen erfüllen.

Seine Finger stießen auf die ID-Karte in der Tasche seines Parkas.

Eine der schattenhaften Gestalten im blauen Licht vor dem Rekrutierungsbüro kam auf die Tür zu.

Wortlos legte John dem Offizier die ID-Karte auf den Schreibtisch.

Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus, als er danach griff.

In diesem Augenblick ging die Tür auf. Der faulige Schwefelgeruch des Regens schlug ins Zimmer. »Seid ihr bald fertig?« Der Mann des Swat-Teams klang missmutig. »Wir haben hier in der Nähe eine Schießerei mit ’ner Menge Toter.«

»Ein Letzter noch.«

Mit einem gereizten Brummen verließ der Polizist das Gebäude.

»Ihre Blutprobe.«

John blinzelte.

Gallagher bot ihm ein kleines Messer an.

Erst jetzt bemerkte John das kleine Gerät von der Größe einer Männerhand, das auf dem Tisch lag. Ein DNA-Sequenzierer. Fast hätte er geflucht.

Grinsend griff John nach dem Messer und stach sich damit in die Zeigefingerkuppe seiner linken Hand. Als habe der Schmerz ihn erschreckt, ließ er es im nächsten Augenblick fallen. Mit einem »’tschuldigung!« bückte er sich, sodass niemand sehen konnte, wie er von dem blutgetränkten Papier unter seinem Shirt einen kleinen Fetzen abriss. Mit dem Messer in der Hand erhob er sich wieder und warf es auf den Schreibtisch. Die Ablenkung nutzte er, um den blutigen Papierfetzen, den er zwischen den Fingern versteckt hielt, auf das Eingabefeld des DNA-Sequenzierers zu pressen.

Ein Piepen kam aus dem Gerät.

Als Dank schenkte ihm die Rothaarige ein Lächeln.

»Herzlich Willkommen bei den Space Troopers, Zacharias McClusky«, sagte der Lieutenant.

2. Kapitel

»Mirek. Mirek Kowalski.« Der junge Mann, der neben John im Truppentransporter saß, bot ihm die Hand an.

Er war groß, schlank, mit dunklen Haaren, freundlich blickenden, braunen Augen und besaß ein gewinnendes Lächeln. Außerdem war der Typ viel zu sauber und adrett gekleidet, um in diesen dunklen, muffigen Stahlkasten zu passen.

John reagierte nicht auf die ausgestreckte Hand, sondern starrte auf die Stahlwand ihnen gegenüber. Weder wollte er Konversation betreiben, noch brauchte er Freunde – und auf keinen Fall hatte er vor, lange zu bleiben.

Wo würde der Truppentransporter sie hinbringen? Der nächste Stützpunkt lag in einer anderen Stadt. Das war ein Flug von mehreren Stunden – wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch.

Johns Magen zog sich allein bei dem Gedanken vor Hunger schmerzhaft zusammen.

»Hier.« Die Hand, die John so demonstrativ ignoriert hatte, hielt ihm einen Schokoriegel vor die Nase.

Kurz zögerte er. Zugreifen hieß eingestehen, dass er schwach war. Der Augenblick verstrich.

Mirek zuckte mit den Schultern, riss die Hülle des Riegels auf und biss hinein. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er die Schokolade gegessen.

Allein der Anblick genügte, um John körperliche Schmerzen zu verursachen. Dennoch schaffte er es, genauso stoisch wie zuvor die Wand gegenüber zu fixieren.

»Glaubt ihr, die schiffen uns heute noch ein?« Der Sprecher war Asiate und so nervös wie eine Jungfrau vor dem ersten Mal.

John stutzte. Einschiffen? Wenn das stimmte, war der Raumhafen die letzte Gelegenheit, um sich abzusetzen.

Ohne eine Antwort abzuwarten, kramte der Asiate ein Pad aus der Tasche. Musik ertönte, wurde aber nach wenigen Augenblicken von der Stimme eines Nachrichtensprechers unterbrochen.

»Hey, da kommt etwas über die Schießerei in den Nachrichten!«, rief der Asiate und sprang auf.

»Setz dich und halt die Klappe«, knurrte der große Blonde mit dem Stiernacken. Mit einem Schlag zwischen die Schulterblätter wollte er den Asiaten zurück auf seinen Platz stoßen. Doch durch ein Schlingern des Transporters verlor er das Gleichgewicht, prallte mit dem Bein gegen Johns Oberschenkel und kippte mit dem Oberkörper zur Seite.

Instinktiv riss John den Ellbogen hoch, und ließ den Blonden mit der Nase dagegen krachen. Blut spritzte. Der Blonde heulte auf und wollte sich auf John stürzen. Im nächsten Augenblick fiel er jedoch der Länge nach auf den Bauch, weil John ihm die Beine weggetreten hatte. Als er keuchend vor Wut den Kopf hob, sah John ihn nur an.

»Okay, lasst es gut sein«, mischte Mirek sich in den Streit ein.

Langsam und mit den rollenden Augen eines wütenden Stiers setzte der Blonde sich wieder hin.

Der Asiate warf John einen verblüfften Blick zu. »Danke.«

Wortlos schnappte John sich dessen Pad und stellte den Ton lauter. Er bekam gerade noch das Ende des Beitrags über die Schießerei mit, in dem von einem Bandenkrieg gesprochen wurde. Das war lächerlich. Wem wollten sie das erzählen?

»Hey!«, beschwerte sich der Asiate und versuchte halbherzig, das Pad wieder an sich zu nehmen.

Ohne große Mühe wischte John seine Finger beiseite, während der Nachrichtensprecher die Namen der Opfer vorlas. Clarice Sheldon. Frau von Richard Sheldon. Beide waren Mitglieder des Erkundungsteams gewesen, das vor einigen Jahren den Kassiopeia-Sektor kartografiert hatte. Noch ein Toter. Ein Reporter des Claredon? Sowie drei nicht näher genannte Bandenmitglieder. Kein Wort über John Flanagan oder Zacharias McClusky.

Als der Nachrichtensprecher das Thema wechselte, gab John das Pad zurück. Bevor der Asiate auf einen Musikkanal wechselte, konnte John noch hören, dass die Regierung ein Kriegsschiff in den Kassiopeia-Sektor geschickt hatte, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Der Truppentransporter hielt bereits nach einer knappen Stunde. Also waren sie im Raumhafen, schlussfolgerte John.

Die Schiebetür öffnete sich mit einem Zischen. »Alles aussteigen«, verkündete eine Stimme.

Während die anderen Insassen noch nach ihren Taschen griffen, drängte John sich vor und sprang neben dem grauhaarigen Uniformierten, der die Tür geöffnet hatte, vom Transporter herunter.

»Hierbleiben«, sagte der Mann. »Wir wechseln in Kürze auf die Washington. Also halten Sie sich bereit.«

Eine große, kahle Halle breitete sich vor John aus. Verschiedene Gruppen von jungen Männern und auch Frauen hielten sich darin auf, die meisten in Uniform, einige wenige in Zivil.

»Da kommt neues Frischfleisch!«, rief einer der Uniformierten lachend und zeigte auf John und die anderen, die hinter ihm aus dem Transporter kletterten.

»Hey!« John baute sich vor Gallagher auf.

Der Lieutenant stand jetzt neben dem Uniformierten, der die Tür geöffnet hatte. Dieser war älter als Gallagher und hatte fast ständig ein kleines, schiefes Lächeln im Gesicht.

»Ich muss mal«, verkündete John.

»Sir!«

John unterdrückte ein Seufzen. »Ich muss mal, Sir.«

»Da drüben.« Gallagher deutete quer durch die Halle auf eine Tür. »Und beeilen Sie sich!«

Und ob er sich beeilen würde! Doch als er sich umdrehte, stellte sich der Grauhaarige vor ihm hin und hielt ihn am Oberarm fest.

Reflexartig schüttelte John die Hand ab.

»Sie haben etwas vergessen, Rekrut.«

»Wüsste nicht, was.«

»Sir.«

John biss die Zähne zusammen. »Ja, Sir.«

Der Grauhaarige lächelte, gab den Weg jedoch nicht frei. »Ich warte, Rekrut.«

Was denn noch? »Ja, Sir?«

»Danke, Sir?«

»Danke, Sir«, knurrte John.

Der Grauhaarige versperrte ihm immer noch den Weg. »Ja, Sir. Danke, Sir.« Wieder das Lächeln, das anscheinend signalisieren sollte, dass er es nur gut mit den Rekruten meinte.

John atmete tief durch. In wenigen Minuten würde er den Kerl los sein. Sofern er es schaffte, sich zusammenzureißen. »Ja, Sir. Danke, Sir.«

John wartete gar nicht erst ab, dass der Mann beiseitetrat, sondern umrundete ihn und joggte mit geballten Fäusten auf die Tür zu.

»Frischfleisch auf vier Uhr!«, johlte einer der Uniformierten.

»Na, hast du die Hosen voll?«, fragte ein anderer.

»Hosenscheißer!«

Pfiffe ertönten, mischten sich mit Gelächter, während die Gruppen, auf die John zulief, ihm Platz machten und quasi Spalier bildeten.

Seine Fäuste waren so fest geballt, dass sich die Fingernägel schmerzhaft in sein Fleisch gruben. Die Tür zum Korridor hinter sich zuschlagen zu können, glich einer Befreiung. Mit einem zornigen Schrei trat John dagegen. Der Nächste, der ihn auslachte, würde seine Faust zu spüren bekommen.

Nein, zu gefährlich; er musste sich darauf konzentrieren, hier irgendwie rauszukommen. Bevor er mit diesen verdammten Kommissköpfen auf einem verdammten Kriegsschiff zu einem wildfremden Planeten verfrachtet wurde.

Ein Blatt Papier rutschte aus seinem Shirt, flatterte auf den Boden. Weitere folgten. Mit einem Fluch klaubte er sie auf. Sein Blick fiel auf einen Namen. Sheldon. Langsam folgten seine Finger den Buchstaben. Das Wort war lang. Ex… Explota… Nein, Explorationsteam. Explorationsteam Kass… Kassiop… Kassiopeia-System. Das stand oben auf jeder Seite. Was bedeutete das überhaupt – »Exploration«? Wie er den Seitenzahlen entnehmen konnte, waren die Blätter nicht mehr in der richtigen Reihenfolge. Keine Chance, auf die Schnelle den Anfang zu finden.

John fluchte noch einmal. Sein Blick fiel auf ein fett gedrucktes Wort, das ihm genauso fremd war wie die Seitenüberschrift. Ex… Exter… Extratestr… Extraterrestrische Be…drohung. Was war das für ein Mist? Er musste dieses Zeug loswerden. Die Toilette schien dafür eine gute Option. Andererseits konnte man nie wissen. Möglicherweise waren diese Papiere sehr wichtig und für ihn pures Gold wert.

Die Schließfächer gegenüber der Tür zu den Toiletten sprangen ihm ins Auge. Dass er kein Geld bei sich hatte, um sie ordnungsgemäß nutzen zu können, war unerheblich. Er öffnete das erste Schließfach und legte die Papiere hinein, dann zögerte er einen Augenblick, bevor er auch den Chip aus seiner Socke hineinlegte und die Tür zudrückte. Er musste nur wenige Sekunden mit seinem Stück Draht im Schloss herumstochern, bis er das leise Klicken hörte und den Schlüssel abziehen konnte.

In diesem Augenblick wurde die Tür zur Halle aufgestoßen. »Mitkommen«, rief Gallagher, »es geht los!«

Reflexartig ging John seine Fluchtmöglichkeiten durch. Hinter Gallagher befand sich die Halle mit den Soldaten. Würde ein verdammt harter Spurt werden zwischen all den Kommissköpfen hindurch. Am anderen Ende des Korridors befand sich nur eine kahle Mauer. Blieb nur die Tür zur Toilette hinter ihm. Wenn er Glück hatte, gab es dort Fenster, durch die er fliehen konnte.

John drehte sich auf dem Absatz um und warf sich gegen die Toilettentür. Krachend sprang sie auf und schlug gegen die Wand. Ein kurzer Blick genügte, und John wurde klar, dass er leider Pech hatte. Keine Fenster!

In der Tür machte John kehrt, wo Gallagher auf ihn traf. Er nutzte all seine Frustration, um dem Offizier seine Faust in den Magen zu hämmern, und rannte an ihm vorbei in den Korridor. Ohne sich noch einmal nach Gallagher umzuschauen, stürmte John auf die Tür zur Halle zu und preschte hindurch.

Pfiffe empfingen ihn.

Verdutzt schaute John sich um. Die Gruppen hatten sich umsortiert. Die Leute standen nun in langen Schlangen vor den Türen, die zum Landefeld führten. Die Türen in die Freiheit waren am anderen Ende der Halle. Hinter all den Wartenden, die ihn allesamt anzustarren schienen.

»Das Frischfleisch hat sich in die Hosen gemacht!«, rief einer höhnisch. Finger zeigten auf ihn.

John spurtete los – ein Rempler hier, ein Fausthieb dort.

»Haltet ihn!«, brüllte eine Stimme hinter ihm.

Mehrere Soldaten rannten auf ihn zu und stürzten sich auf ihn. Plötzlich war ihm alles egal. Die Welt war rot. Und er schlug blindlings um sich. Jetzt hatte er nur noch eines im Sinn: seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. So viele wie möglich zu Boden zu schicken, bevor sie ihn niederringen konnten. Blut wollte er auf den Gesichtern der anderen sehen, wenn er schon sein eigenes an den Lippen schmecken musste.

Er lag erst still, als seine Wange auf den kalten Steinboden gedrückt wurde und das Gewicht auf seinem Rücken so erdrückend war, dass er kaum noch Luft bekam.

»Hören Sie mich, Rekrut?« Die Stimme war schneidend scharf.

Ein paar Sekunden lang keuchte John atemlos, dann fletschte er die Zähne.

»Hören Sie mich, Rekrut?« Stahlharte Finger umklammerten seinen Nacken.

»Ja … Sir«, knurrte John.

»Aufstehen!« Die Hände ließen ihn los.

Er rang immer noch nach Atem, als er sich langsam aufrichtete.

Ein Pulk von Uniformierten umringte ihn. Einige von ihnen hatten blutige Gesichter, stellte John nicht ohne Genugtuung fest. Ihm gegenüber stand breitbeinig der grauhaarige Soldat. Gallagher neben ihm hielt die Hand unter seine blutende Nase.

John spuckte Blut, wischte Haare und Schweiß aus seinem Gesicht und hob den Kopf, die Beine eben so weit auseinandergestellt wie sein Gegenüber.

Das Schweigen zog sich in die Länge.

»War das ein Versuch zu desertieren, Rekrut?«

Johns Kiefermuskeln verkrampften sich, so fest biss er die Zähne aufeinander. Wie hatte Gallagher ihn in dem Rekrutierungsbüro genannt? Hasenfuß. Er hatte das Grinsen noch deutlich vor Augen. »Ich habe keine Angst … Sir.«

»Sie haben einen Offizier geschlagen, Rekrut.«

John warf einen Blick auf Gallagher. »Ein Versehen, Sir. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Mit schmalen Lippen und stechendem Blick fixierte ihn der Grauhaarige. Gunnery Sergeant Hartfield konnte John auf seinem Namensschild lesen. »Es wird nicht wieder vorkommen, weil ich Sie sonst das nächste Mal zwischen meinen Fingern zerquetschen werde, Rekrut.«

Am liebsten hätte John Gift und Galle gespuckt oder diesem Großkotz sein Knie zwischen die Beine gerammt. Dass so etwas nicht dazu beitragen würde, seine Situation zu verbessern, war der einzige Grund, der ihn davon abhielt.

»Haben Sie mich verstanden, Rekrut?«

»Ja, Sir.«

»Name!«

»McClusky.«

»Ihr Name!« Hartfield schrie so laut, dass John unwillkürlich zusammenzuckte. Spucke traf sein Gesicht.

»Zacharias McClusky, Sir.«

»Zurück zu Ihrer Truppe, McClusky. Zwei Wochen Bau. Und danken Sie dem lieben Gott dafür, dass Sie neu sind.«

Nach diesen Worten trat Hartfield zur Seite, um John den Weg freizugeben. Doch bevor er gehen konnte, kam ein Hüne mit ergrauten Schläfen zu ihnen.

Der Mann trug deutlich mehr Lametta auf der Brust als die anderen Uniformierten in der Halle. »Ärger?«, fragte er in Hartfields Richtung.

Der Gunnery Sergeant salutierte. »Nein, Sir.«

Der Mann mit den grauen Schläfen nickte nur. Sein Blick streifte John, dann schritt er wieder fort.

Eine Hand legte sich auf Johns Schulter. Sie gehörte Gallagher, registrierte John gerade noch rechtzeitig, bevor er sie abzuschütteln versuchte.

»Das war Colonel Forsman. Sie scheinen ein Talent zu haben, sich unbeliebt zu machen, McClusky.«

Die Hand dirigierte ihn zurück zu den anderen Rekruten aus seinem Transporter – an die Spitze der Reihe direkt vor die Tür, die hinaus aufs Landefeld führte.

Johns Blick irrte zurück zu der doppelflügeligen Tür, die in die Freiheit führte. Genauso gut hätte er sich durch ein Minenfeld und vier Footballteams hindurchmogeln können.

Gallagher schien seine Gedanken zu erraten, denn sein Griff um Johns Schulter wurde eine Spur fester. »Vergessen Siés!«

Die Tür vor ihm ging auf. Ein kräftiger Stoß in den Rücken ließ John nach draußen stolpern. Auf die Landefähre mit den heulende Triebwerken zu, die ihm Wind und sauren Regen ins Gesicht bliesen.

Alle Auswege schienen versperrt. Ein zorniger Schrei verließ seine Kehle. Er wollte sich umdrehen. Doch da stand Mirek neben ihm, packte ihn am Arm und zerrte ihn mit sich.

»Komm!« Der Wind riss Mirek das Wort von den Lippen.

John versuchte, sich loszureißen. Auf der anderen Seite von ihm tauchte der Asiate auf und lächelte ihn nervös an, bis der breitschultrige Blonde ihm von hinten einen Schubs gab. Der Blick dieses Kerls war so herablassend und abschätzig, dass John ihn am liebsten erwürgt hätte.

»Komm!«, schrie Mirek ein weiteres Mal, schüttelte ihn und zerrte ihn weiter mit sich.

Taumelnd ging John ein paar Schritte neben ihm her.

Und dann wurde ihm klar, dass es aus war. Es gab kein Zurück mehr.

Als er das begriff, gab er endlich nach und rannte neben Mirek auf die offene Luke der Landefähre zu. Das Tosen der Triebwerke machte ihn nahezu taub, je näher er kam. Dunkelheit und der Geruch nach Öl, Schweiß und Metall, vermischt mit dem fauligen Gestank des sauren Regens, umgaben ihn. Der Boden unter seinen Füßen vibrierte, als er die Fähre betrat. Dann schloss sich die Luke, sperrte den Regen und den Lärm der Triebwerke aus. Nur ein fernes Heulen blieb.

Eine Hand zerrte ihn mit sich, bis seine Kniekehlen einen Sitz berührten. Kaum hatte er Platz genommen, drückte jemand einen Bügel auf seine Brust und Schultern herunter. Sekunden später ließ ihn ein Ziehen in seinem Magen wissen, dass sie abgehoben hatten.

Erstes Intermezzo

»Sir!« Hartfield stand stramm – so stramm, wie er es sich von seinen Rekruten wünschte –, bis Colonel Forsman ihm mit einem Nicken bedeutete, dass er bequem stehen konnte.

»Nein«, sagte Forsman nur. Sein Blick war schon wieder auf ein Schreiben gerichtet, das vor ihm auf seinem Schreibtisch lag.

Hartfields Blick glitt kurz durch den Raum, der hier auf der Washington Forsmans Büro darstellte und so karg war wie Äußerungen des Mannes, der hier arbeitete.

»Sir, mit Verlaub. Aber er ist so weit. Es wäre nicht fair, ihn weiter hinzuhalten.«

»Sprechen Sie nicht von Fairness.«

»Wir schulden es ihm, Sir.«

Nun sah Forsman doch auf. »Es war von Anfang an eine schlechte Idee.«

»Eine schlechte Idee, Sir. Oder doch schlechtes Material?«

Forsman lachte kurz. »Touché!«

Hartfield straffte sich. »Ich bin mir durchaus bewusst, aus welchen Gründen das Genprogramm zur Verbesserung menschlicher Eigenschaften ins Leben gerufen wurde: Es sollte nicht nur dem Ziel dienen, bessere Soldaten zu schaffen, sondern außerdem unliebsame Subjekte von der Straße entfernen. Aber auch wenn wir viele Verluste hatten – Gen IX ist stabil. Er hat sein bisheriges Leben aufgegeben, um den Space Troopers dienen zu können, Sir. Es ist unsere Pflicht …«

Eine unwirsche Handbewegung ließ Hartfield verstummen. »Lassen Sie das!« Die Worte klangen scharf. »Die Männer, die Teil des Programms wurden, waren abgeurteilte Terroristen. Sie hatten den Tod unzähliger Zivilisten verschuldet und wären anderenfalls in die Todeszelle gewandert.« Forsman schüttelte den Kopf. »Oh nein, Gunnery Sergeant. Sie irren sich. Wir schulden diesen Männern rein gar nichts. Sie schulden uns etwas – und zwar ihr Leben.«

»Er hat sich geändert, Sir.«

Forsmans hellgraue Augen musterten Hartfield so lange, bis diesem der Kragen zu eng wurde. »Wollen Sie die Hand für ihn ins Feuer legen, Gunnery Sergeant Hartfield?«

Schweißperlen bildeten sich auf Hartfields Stirn. Er hätte sich denken können, dass es darauf hinauslief. »Wir brauchen neue Optionen, Sir. Auf der Erde genügt ein Funke, um das Fass zum Explodieren zu bringen. Die Kolonisierung muss vorangetrieben werden – unter dem Schutz der Space Troopers. Sonst geht die ganze Menschheit den Bach hinunter. Die Erde kann schon lange nicht mehr alle ernähren. Die Dschihadkrieger haben schon einmal versucht, sich mit Gewalt zu nehmen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht, und dabei Europa und Afrika unter ihre Knute gebracht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder zuschlagen. Wir können nur zusehen, dass wir sie uns vom Hals schaffen. Entweder, indem wir von der Erde verschwinden, oder, indem wir sie von der Erde vertreiben. Und nun gibt es zu allem Überfluss noch einen neuen Feind da draußen, von dem wir nichts wissen, außer dass er sehr wahrscheinlich eine unserer Kolonien in Schutt und Asche gelegt hat. Wir müssen -«

»Sie können gehen, Hartfield«, fiel Forsman ihm ins Wort und wandte sich wieder dem Schreiben auf seinem Tisch zu.

Sekundenlang starrte Hartfield auf den Colonel hinab, bis er sich endlich straffte und salutierte. »Aye, Sir. Danke, Sir.«

3. Kapitel

Die Pritsche in der Arrestzelle war weicher als die Matratze, auf der John die letzten Jahre geschlafen hatte. Außerdem war es hier einigermaßen warm und trocken; er hatte seine Ruhe, und er bekam regelmäßig etwas zu essen. Besser hätte er es eigentlich gar nicht treffen können. Nur die Luft schmeckte abgestanden, nach Öl, Schweiß und Metall, wie alles an Bord des Raumschiffes.

Die zwei Wochen vergingen schneller, als John für möglich gehalten hätte. Und so blickte er ein wenig überrascht auf, als der dunkelhaarige Offizier, der ihn »angeworben« hatte, plötzlich vor dem Gitter auftauchte.

»Aufstehen!«, befahl Gallagher. »Wir sind am Ziel.«

»Und wo ist das?«

Gallagher lachte kurz auf. »Das werden Sie noch früh genug merken.«

Das Gitter öffnete sich quietschend. Angesichts der beiden Wachen, die Gallagher begleiteten, schien Widerstand zwecklos. Wie es überhaupt sinnlos war, sich zur Wehr zu setzen – auf einem Raumschiff voller Space Troopers.

Also folgte er Gallagher durch die metallenen Korridore in einen Raum, wo ein gelangweilter Soldat ihm die Haare scherte und ihn rasierte. Im Nachbarraum überreichte ein anderer Soldat ihm eine Uniform, die er sofort anziehen musste, und diverse andere Kleidungsstücke sowie einen Seesack, in dem er alles aufbewahren konnte. Das, was John getragen hatte, wurde mit seinem Namen versehen und in einen Beutel gesteckt. Er schaffte es gerade noch, unauffällig den Schließfachschlüssel aus seiner alten Socke hervorzuholen und in die neue zu stecken, ehe Gallagher ihn weiter durch die Gänge führte. Wenig später fand sich John mit seinem Kleidersack in einer Landungsfähre unter lauter fremden Gesichtern wieder, die sie allesamt nach unten brachte.

Als die Luke sich öffnete, schlug ihm ein fremdartiger Geruch entgegen. Nach Staub, einem unbekannten Gewürz und Hitze. Verwirrt folgte John den anderen Rekruten nach draußen, wo die herabbrennenden Strahlen einer fremden Sonne ihn blendeten.

»In Reih und Glied! Und willkommen auf Hell’s Kitchen, Rekruten!«

Weder wusste John, wo die Reihe war, noch wo er sich dort einreihen sollte. Die Hitze war erdrückend, insbesondere nach zwei Wochen ohne körperliche Betätigung in einem gut klimatisierten Raum.

Ein Schlag gegen seinen Hinterkopf trieb ihn nach vorn. Noch ein Schlag. In seinem Kopf klickte es. Er ließ den Seesack mit seiner Kleidung fallen und wollte sich umdrehen, die Faust schon geballt, da traf ihn ein Hieb am Kinn und fällte ihn.

Er schmeckte Staub und Blut. Hustete und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Der nächste Schlag traf ihn im Genick und schickte ihn erneut zu Boden.

»Aufstehen!«, brüllte eine bekannte Stimme.

Doch er bekam keine Gelegenheit dazu. Ein neuerlicher Hieb ließ ihn wieder Dreck fressen.

»Ich sagte: Aufstehen!«

Hartfield. Ohne Zweifel.

John spuckte Blut und machte einen neuerlichen Versuch, sich aufzurappeln. Endlich kam er taumelnd auf die Füße. Ein Stock stieß gegen seine Brust.

»Ihr Aufzug lässt zu wünschen übrig, McClusky.« Der Stock riss sein Hemd aus der Hose und wies dann auf seinen Seesack. »Aufheben!«

Er wusste, der Stock würde in seinem Genick landen, wenn er sich bückte, um dem Befehl nachzukommen. Ein Machtspiel also. Um ihn zu erniedrigen. Damit ihm ein für alle Mal klar wurde, wer hier das Sagen hatte. Und er hatte keine andere Wahl, als sich mit der Rolle des Verlierers abzufinden.

»Aufheben!«

Langsam und im Bewusstsein des Schlages, der ihn nun treffen würde, kam John der Aufforderung nach. Äußerlich gelassen, steckte er den Hieb ein, während er seinen Seesack aufhob. Dann steckte er das Hemd wieder in die Hose, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und nahm Haltung an. »Aye, Sir.«

In Hartfields Miene spiegelte sich ein Hauch Verwunderung. »Mir scheint, Sie haben dazugelernt, McClusky.«

Im Bemühen, seine Gefühle – all die Ohnmacht und Wut – nicht zu verraten, erwiderte John den Blick.

»Ich habe Sie etwas gefragt, McClusky. Haben Sie etwas dazugelernt?«

»Wenn das Ihre Meinung ist … Sir.«

Statt einer Antwort schlug Hartfield ihm mit dem Stock ins Gesicht. »Alle wegtreten!«, bellte er. »Außer McClusky!« Dann ging er fort.

Dieses Mal schluckte John das Blut hinunter, das sich in seinem Mund sammelte. Denn er ahnte, dass es lange dauern würde, bis er aus der prallen Sonne herauskam und etwas trinken konnte.

Am ganzen Leib zitternd, kam er zu sich. Der Boden unter ihm war hart und staubig. Er fror wie selten zuvor in seinem Leben.

»Haben Sie etwas dazugelernt, McClusky?« Hartfield beugte sich über ihn.

John hustete und rang nach Atem. »Ja, Sir.« Die Worte schmerzten, so ausgedörrt war seine Kehle.

»Und was?« Hartfields Gesicht war im Dunkel der Nacht kaum zu erkennen.

»Dass …« Wieder ein Husten, das John unwillkürlich ein Stöhnen entlockte. »… Dass Sie am längeren Hebel sitzen, Sir.«

Ein amüsiertes Lachen kam aus Hartfields Mund. »War das eine kluge Antwort?«

»Nein, Sir.« Immer noch zitternd, kämpfte sich John in eine sitzende Position hoch.

»Ihnen ist klar, dass ich Sie die ganze Nacht hier im Freien lassen kann, wenn mir Ihre Antwort nicht gefällt?«

»Ja, Sir.«

»Ich kann Sie hier draußen liegen lassen, bis Sie krepieren.«

»Ich weiß, Sir.«

Ein leises Schnauben antwortete, ehe Hartfield sich mit einem Ruck aufrichtete. »Stehen Sie auf, wenn ich mit Ihnen rede, McClusky.«

Mit kraftlosen Bewegungen kam John der Aufforderung nach. Er schwankte vor Erschöpfung.

»Sie haben nicht versucht zu desertieren, weil Sie kalte Füße bekommen haben.«

John schwieg.

Hartfield drehte ihm plötzlich den Rücken zu, als müsse er nachdenken. Bis er sich John ebenso überraschend wieder zuwandte. »Vor wem sind Sie auf der Flucht?«

»Vor niemandem.« Johns Stimme war nur ein Krächzen.

»Hören Sie, McClusky, wir wissen beide, dass Sie lügen. Und je eher ich die Wahrheit erfahre, umso besser für Sie. Ich frage Sie ein letztes Mal: Vor wem sind Sie auf der Flucht? Und denken Sie gut nach, bevor Sie antworten. Denn die Nacht hier ist verdammt kalt und lang. Und der Tag morgen umso heißer.«

»Wer hat die Kolonie auf Kassiopeia angegriffen, Sir?«

Keine Antwort. Das Schweigen wurde lastend.

»Sir …«

Hartfield zeigte auf ein flaches Gebäude. »Quartier 27b. Appell morgen um sechs Uhr. Wegtreten, Soldat.«

Das Gebäude entpuppte sich als riesiger Container. Mit kleinen, torkelnden Schritten folgte John einfach dem Licht, das aus den Türen drang. Sein Seesack schien tonnenschwer zu sein. Stickige Wärme und der Geruch ungewaschener, verschwitzter Leiber empfing ihn. Wie durch Watte drangen Gesprächsfetzen an seine Ohren. Sie endeten, als er sich näherte.

Mühsam versuchte John die Buchstaben und Zahlen auf den Schildern neben den Türen zu entziffern. Ein Schwanken, die Welt drehte sich um ihn herum.

Im letzten Augenblick schaffte er es, sich an einem Türrahmen festzuhalten. Stand da 27b oder 27c? Er beugte sich vor; seine Stirn stieß fast gegen das Schild.

b. Eindeutig.

Er wollte die Tür aufstoßen, stolperte, fiel und hielt sich an der Türklinke fest, sodass er samt Tür in den Raum hineintaumelte. Der Kleidersack fiel aus seiner Hand.

Fünf Augenpaare starrten ihn an. Drei seiner neuen Mitbewohner erkannte er von der Reise her wieder: der Asiate, der Blonde mit dem Stiernacken und Mirek. Außerdem waren noch eine Frau und ein Farbiger im Raum.

Johns Blick wurde geradezu magisch von den Flaschen angezogen, die auf dem Tisch mitten im Raum standen. Mit weichen Knien torkelte er darauf zu, griff sich die erste und trank sie auf einen Zug leer. Es war Bier, ein wenig abgestanden und für seinen Geschmack zu bitter. Dennoch fühlte sich das Nass in seiner Kehle fantastisch an, als wäre es das Beste, was er je getrunken hatte. Er leerte eine zweite Flasche, ließ sie anschließend einfach fallen und wankte auf das Etagenbett hinter der Tür zu, das als letztes einzusehen war, wenn jemand den Raum betrat.

»Hey, Blödmann! Das ist meins«, beschwerte sich der Blonde.

Ohne einen Kommentar zog sich John ins obere Stockbett, ließ die Schuhe schlicht auf den Boden neben seinen Seesack fallen und schloss die Augen.

»Ich sagte, das ist mein Bett.« Eine Hand zerrte an seinem Bein.

Eine andere Hand berührte ihn sanft. »Lass ihn in Ruhe, Phil. Er ist total fertig.«

Mirek. Natürlich. Der barmherzige Samariter höchstpersönlich.

Es war Johns letzter Gedanke, ehe die Müdigkeit ihn besiegte. Er erwachte, weil jemand ihn schüttelte.

»Aufwachen. Verdammt! Aufwachen! Noch fünf Minuten.«

»Ich habe doch gleich gesagt, dass es sinnlos ist.«

Ein Stöhnen kam aus Johns Kehle.

»Aufwachen!« Wieder das Rütteln.

»Was soll das?«

»Das wirkt bestimmt besser.«

»Aber …«

Ein Schwall kalten Wassers ergoss sich über Johns Kopf. Lachen ertönte. John schnappte nach Luft. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Zu schnell. Die Welt um ihn herum drehte sich. Kam ihm entgegen. Er kippte zur Seite. Ein Krachen. Ein dumpfer Schmerz, und er fand sich am Boden wieder.

»Idiot!«, schrie jemand.

So laut und nah, dass John glaubte, sein Kopf müsse platzen. Im nächsten Moment übermannte ihn die Übelkeit – zu plötzlich, um sich ihrer zu erwehren. Würgend übergab er sich dort, wo er gerade lag. Er zitterte am ganzen Körper.

»Komm hoch.« Jemand packte ihn unter den Achseln, zog ihn in eine sitzende Position und lehnte ihn gegen das Bett.

Johns Sicht klarte sich. Mirek hockte ihm gegenüber und bot ihm ein Glas Wasser an.

»Du hast noch zwei Minuten.«

Verwirrt griff John nach dem Wasser. Zwei Minuten? Wofür?

»Langsam«, mahnte Mirek. Zu jemandem hinter sich fügte er hinzu: »Er hat einen Sonnenstich. Eigentlich sollte er einen Tag im Bett verbringen.«

Eine Frau lachte verächtlich. »Glaubst du, das kümmert hier jemanden?«

»Mach Platz!« Ein breiter Körper drängte sich an Mirek vorbei nach draußen auf den Korridor.

Ein Mann folgte ihm. Dann eilte der Asiate hinterher.

»Und jetzt?«, fragte die Frau mit einem Seufzen.

»Verschwindet«, stöhnte John und stieß Mirek von sich weg. Das leere Glas zerschellte irgendwo im Raum. »Verschwindet«, wiederholte er ächzend. Weder hatte er um Mitleid gebettelt, noch brauchte er Hilfe.

Von draußen erklang die morgendliche Fanfare.

»Wie du willst«, sagte die Frau.

Weshalb musste hier eigentlich jeder brüllen?

Jede Silbe, die Hartfield ihm entgegenschrie, traf John mit der Wucht eines Schmiedehammers. Sein Kopf schmerzte, als würde er zerspringen. Seine Kehle und jeder Quadratzentimeter seines Körpers, der der Sonne ausgesetzt war, brannten wie Chilipaste, und seine Beine waren weich wie Gummi.

»… zu spät …«, drang an seine Ohren. Als ob er das nicht wüsste.

»… Aufzug …« Klar. Und was hätte er statt der nassen Kleider anziehen sollen, in denen er geschlafen hatte? Diejenigen aus dem Seesack, auf den er gekotzt hatte?

»… Waffe …« Aha. Er hatte nicht einmal gewusst, dass er eine besaß, geschweige denn, wo sie sich befand.

»… Zimmer …« Sollte er etwa seine Kotze wegwischen, die Scherben aufsammeln, seine Sachen waschen und das Bettzeug zum Trocknen aufhängen?

Nicht mit ihm.

Es war erstaunlich leicht, die Worte einfach an sich vorbeirauschen zu lassen, als gingen sie ihn nichts an. Insbesondere in diesem Schwebezustand, in dem sich sein Bewusstsein befand, und mit diesen mörderischen Kopfschmerzen.

Wieder ein Brüllen. Ein Gewehr wurde gegen seine Brust gestoßen. Ganz automatisch griff er danach. Ein Stoß in den Rücken machte ihm begreiflich, dass er mit den anderen Rekruten losmarschieren sollte.

Mühsam setzte er sich in Bewegung. Bei jedem Schritt schienen sich glühende Nadeln durch seine Schädeldecke zu bohren. Und das Gewicht der Waffe in seinen Händen machte das Gehen nicht leichter.

Jemand begann zu singen.

John wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Das Morgengrauen, das die Hitze bislang von ihnen ferngehalten hatte, verschwand bald. Die fremde Sonne stieg wie ein brennendes Auge hoch zum Firmament – und verwandelte in kurzer Zeit die Luft und jeden Atemzug in flüssiges Blei.

Dass er sich in einem Hindernisparcours befand, begriff John erst, als er über den Stacheldraht stolperte. Der Schweiß lief über seine Stirn und brannte in seinen Augen. Blinzelnd sah er dem Asiaten zu, wie der sich, von einem Bein aufs andere hüpfend, durch die Stacheldrahtwellen kämpfte.

John folgte ihm. Ahmte instinktiv dessen Bewegungen nach in der schlichten Hoffnung, dass der Junge das Richtige tat.

Von weit her drang Hartfields Gebrüll an seine Ohren. Und wenn schon. Der schrie schon den ganzen Tag.

Ein anderes Hindernis. Dieses Mal hüpfte das Schlitzauge nicht, sondern robbte unter den Drähten hindurch. Die Waffe auf den Unterarmen vor sich herschiebend, tat John es ihm gleich.

Die nächste Überraschung war eine enorm lange, robuste Leiter, die in etwa zwei Metern Höhe über einer Grube lag, die mit braunem, nach Jauche und Schlimmerem stinkendem Schlamm gefüllt war. Der Asiate machte einen heroischen Versuch, sich an den Sprossen hinüberzuhangeln, während das Gewehr gegen seine Brust schlug. In der Mitte verließen ihn die Kräfte.

John war an der Reihe. Schon bald protestierte seine Schultermuskulatur, und die Kopfschmerzen nahmen eine neue Qualität an. Aber loslassen hieß aufgeben. Und das war keine Option. Dennoch war er überrascht, als er schließlich die letzte Sprosse erreichte. Seine Beine gaben nach, als er losließ und auf allen vieren landete.

»Weiter, ihr Waschlappen!«, rief eine Stimme. »Und ihr wollt Männer sein?«

Die Worte weckten Johns Zorn, stachelten ihn an und halfen ihm dabei, sofort aufzustehen. Im Laufschritt ging es zum nächsten Hindernis. Der Asiate blieb hinter John zurück. Stattdessen tauchte Blondie vor ihm auf. Sekunden später versuchte der Kerl, mit einem Sprung die Oberkante einer Holzwand zu erreichen: Doch er klatschte nur mit Armen und Beinen gegen das Hindernis und fiel wie ein Sack voller Steine zu Boden.

Normalerweise hätte John über die Wand gelacht. An diesem Tag aber war sie eine echte Herausforderung für ihn. Aber Herausforderungen waren dazu da, sie zu bewältigen. Deshalb liebte John sie. In vollem Lauf sprang er an der Wand hoch, ignorierte sowohl Blondies Protest, weil er ihn angeblich behinderte, als auch seine stechenden Kopfschmerzen, packte mit den Fingern die Oberkante und zog sich mit einem einzigen Ruck hoch. Der Rest war ein Kinderspiel.

Eine weitere Grube mit stinkendem Schlamm wartete, über die John sich an einem Seil hinüberschwingen musste. Er sauste an Mirek vorbei, der das Tau zu früh losgelassen hatte. Ein Fehler, den viele machten.

Als Letztes kam ein Balken, an dem die Frau hing. Mit wenigen Schritten balancierte John zur anderen Seite hinüber, eilte zum Ausgangspunkt zurück und wartete keuchend, bis die anderen Rekruten eintrafen.

Hartfield ging an ihren Reihen auf und ab und musterte sie. In Johns Nase drang der Gestank nach Jauche, der von den vielen Rekruten stammte, die im Schlamm gelandet waren.

»Was seid ihr eigentlich!«, schrie Hartfield. »Troopers oder Sesselfurzer? Wer morgen wieder im Schlamm landet, ist eine Woche auf halber Ration. Alle wegtreten und säubern. In einer halben Stunde antreten zum Schießen. Zimmer 27b hiergeblieben.«

Hie und da war verhaltenes Stöhnen unter den Rekruten zu hören, als sie sich in Bewegung setzten. Die meisten Gesichter waren dreckig, gerötet von der Sonne und schweißüberströmt. Doch trotz ihrer Erschöpfung hatten die Soldaten es eilig, zu ihren Quartieren zu kommen.

John konnte das nur zu gut verstehen. Er wäre ihnen gerne in den Schatten der Unterkünfte gefolgt, statt weiter in der brütenden Sonne stehen zu müssen. Seinen fünf Zimmerkameraden ging es sicherlich nicht anders.

Hartfield musterte sie. »27b, eure Stube sieht aus wie ein Sauhaufen. Fünf Extrarunden als Strafe. Und wenn das noch einmal passiert, verdoppele ich. Verstanden?«

»Sir, ich protestiere. Ich habe nichts -«

Blondie wurde rüde von Hartfield unterbrochen. »Maul halten, Reno! Zehn Liegestütze. Sofort!«

Der Gescholtene warf John einen Blick zu, als wollte er ihn erwürgen, ehe er sich zu Boden warf und zehnmal die Erde küsste.

So machte man sich also Freunde.

»Los, los, los!«, brüllte Hartfield, kaum dass Reno wieder stand. »Worauf wartet ihr, ihr faulen Säcke! Fünf Runden! Und wehe, ihr seid nicht fertig, bevor es Abend wird.«

4. Kapitel

»Ich bring dich um! Ich bring dich um!« Reno warf sein Marschgepäck und die Waffe von sich, kaum dass sich die Tür zu ihrer Stube hinter ihnen geschlossen hatte. Im nächsten Moment stürzte er sich auf John.

Doch John wich einfach zur Seite, ließ den Angreifer wie einen wütenden Kampfstier ins Leere laufen und trat ihm die Beine weg. Reno krachte wie ein Stein zu Boden.

Mit einem Schrei kam Blondie wieder auf die Füße und rannte mit gesenktem Kopf auf John zu.

Der griff nach dem Kopf seines Gegners, unterschätzte jedoch dessen Kraft. Die schiere Wucht des Angriffs hob John von den Füßen. Er stürzte rücklings, Reno krachte auf ihn, ein Ellbogen landete in seinen Rippen. Instinktiv trat er den Gegner von sich, wälzte sich zur Seite. Eine Hand riss ihn herum. Ducken. Eine Faust streifte sein Kinn. John schmeckte Blut. Blocken. Finte. Ein unfeiner Tritt in Renos Weichteile, und John schaffte es, Renos nächsten Angriff so umzulenken, dass er den großen Blonden mit auf dem Rücken gedrehten Arm auf den Boden nageln konnte. Blut tropfte aus seiner Lippe auf Renos Nacken.

»Okay«, keuchte John. »Versuch das noch einmal, und ich brech dir den Arm.«

Renos Gesicht war verzerrt vor Wut und Schmerz.

»Hast du mich verstanden, Dumpfschädel?«, fauchte John.

Reno versuchte verzweifelt, sich aus Johns Griff zu befreien. Vergeblich.

»Hast du mich verstanden?« John verdrehte den Arm noch ein wenig mehr.

»Ja, verdammt!«, schrie Reno.

John ließ ihn los und stand auf. »Will sich noch jemand beschweren?«, fragte er in die Runde.

Keiner rührte sich.

Den Blick auf Reno gerichtet, bückte John sich, um sein Gepäck und die Waffe aufzuheben. Anschließend ging er in den Waschraum und atmete tief durch.

Niemand folgte ihm.

Eine willkommene Gelegenheit, um in der Umkleide den Schließfachschlüssel unter dem Innenleder seines linken Stiefels zu verstecken.

John fluchte. Seine Uniform starrte vor Dreck und Schweiß, und der Seesack mit seiner übrigen Kleidung stank zum Gotterbarmen. Er stand nass und mit nichts außer einem Handtuch um die Hüften in ihrem Quartier und kam sich vor wie ein Idiot.

Wenigstens hatte jemand die Kotze weggewischt und die Scherben aufgehoben, während er geduscht hatte.

Ein Räuspern ertönte hinter ihm.

John drehte sich so schnell um, als habe ihn etwas gebissen. »Was?«, fuhr er Mirek an.

»Die Kleiderkammer ist im Gebäude gegenüber. Soll ich …«

»Nein.« John schlüpfte in seine Stiefel, warf sich den Seesack über die Schulter und stopfte die verdreckte Uniform unter den Arm. Als er einen Schritt zur Tür hin machte, versperrte Mirek ihm den Weg.

»Hör mir erst zu«, bat Mirek und hob beschwichtigend die Hände. »Wenn du so das Quartier verlässt, kriegen wir alle einen Rüffel. Also tu uns einen Gefallen und lass mich das machen.«

»Da könntest du genauso gut versuchen, einem Hornochsen das Fliegen beizubringen«, mischte sich Blondie ein.

»Halt den Mund, Mann. Oder bist du scharf auf fünf Extrarunden?« Das war der Farbige.

»Ich nicht.« Reno nickte in Johns Richtung. »Aber der da.«

John ignorierte die Bemerkung und betrachtete zum ersten Mal das Gesicht des Farbigen genauer. Es kam ihm vertraut vor. Als habe er es schon einmal gesehen. Oft gesehen sogar. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. »Kommst dir wohl besonders schlau vor, nur weil du diesem Footballstar ähnlich siehst.«

Der Farbige lachte. »Hey, Mann! Ich bin der Footballstar, Alter.«

»Und ich bin der Kaiser von China.« Nach den Worten versuchte John, Mirek beiseitezuschieben.

Doch hinter ihm standen nun Reno und die junge Frau. »Er ist es wirklich – Harlan Westcott«, sagte sie. »Wir haben eine Berühmtheit in der Truppe.«

»Hooray!«, rief Reno.

»Hooray«, antworteten die anderen außer John.

»Seine Autogramme kann er behalten«, entgegnete er kühl.

»Gib Mirek endlich deine Sachen«, forderte die Frau ihn auf. »Und halt den Ball flach. Niemand hier hat Lust, wegen dir Extrarunden zu laufen. Und du musst dich nicht einmal dafür bedanken. Mirek tut das nämlich für die Truppe. Und nicht für dich.« Sie streckte die Hand aus.

Eine Erinnerung tauchte in Johns Kopf auf: ein Gesicht, dreck- und ölverschmiert in einer Garage. Es war haften geblieben, weil es so ungewöhnlich war. Eine gutaussehende junge Frau mit südländischem Teint, die Fahrzeuge reparierte. »Ich kenne dich.«

»Soll das etwa eine Anmache sein? Viel zu primitiv, um zu funktionieren.« Sie grinste. »Aber ich überleg es mir vielleicht, wenn du mir noch dein Handtuch gibst.«

Harlan hob die Finger zum Victoryzeichen. »Oh, yeah, Baby! Schnapp ihn dir!«

»Leck mich«, sagte John und warf ihr den stinkenden Sack und die dreckigen Kleider vor die Füße.

Was war nun schon wieder?

Hartfield hatte sie antreten lassen. Nun schritt er an ihrer kleinen Reihe auf und ab, als suchte er etwas. Wie ein Bluthund, der einer Fährte folgte.

Die frühe Morgensonne blendete John. Er trug eine frische Uniform, war sauber, hatte Gewehr und Marschgepäck. Wie alle aus seiner Truppe. Und auch das Quartier war aufgeräumt. Was gab es jetzt noch auszusetzen?

Ein Schatten fiel auf Johns Gesicht. Er blinzelte. Hartfield war vor ihm stehen geblieben und musterte ihn. »McClusky, was ist mit Ihrer Lippe passiert?«

»Keine Ahnung, Sir. Muss in der Dusche ausgerutscht sein.«

Hartfield ging weiter, kehrte am Ende der Reihe wieder um und blieb in der Mitte vor ihnen stehen. »Es wurde eine Prügelei gemeldet. In Ihrem Quartier. Ich dulde keine Prügeleien in meinem Squad.« Eine Pause entstand.

Daher wehte also der Wind.

»Wer daran beteiligt war, soll vortreten!«

John fixierte den Horizont hinter Hartfield, der unter der zunehmenden Hitze zu flirren begann, so als schmelze er.

»McClusky, wollen Sie mir immer noch weismachen, Sie seien in der Dusche ausgerutscht?«

Ein Blinzeln, und John richtete den Blick auf Hartfield. »Ja, Sir.«

Der Asiate gluckste und unterdrückte ein Kichern.

»Han-Sung, zehn Liegestützen!«

Hartfields Miene wurde finster, während er John musterte. Das Keuchen des Asiaten, der sich zehn Liegestützen abquälte, schien er gar nicht wahrzunehmen.

»Mit wem haben Sie sich geprügelt, McClusky?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Sir.«

»Dann will ich Ihrem Gedächtnis etwas auf die Sprünge helfen, McClusky. Nehmen Sie Haltung an, wenn ich mit Ihnen rede, Mann!«

John straffte sich. Was jetzt? Fünf Extrarunden oder …

»Wegtreten!«, blaffte Hartfield die anderen an, machte kehrt und blieb vor John stehen. »Sie nicht. Sie können erst gehen, wenn Sie mir den Namen des Rekruten nennen, der Ihnen die dicke Lippe verpasst hat.«

»Aye, Sir.« Das würde ein langer, heißer Tag werden.

Die Sonne war ein brennendes Auge, das ihn zornig anblickte. Sie steckte den Horizont in Brand, schmolz ihn und machte Asche aus Johns Gedanken, die vom leichten Wind auseinandergerissen und davongeweht wurden.

Weshalb stand er überhaupt hier? Hatte er nicht bereits gestern oder vorgestern stundenlang hier gestanden?

Die Haut seines Gesichts brannte. Schweiß lief in Strömen über sein Gesicht und seine Brust. Aber das zornige Auge am Himmel kannte kein Erbarmen.

Er hörte Stimmen, sah wie durch einen Schleier die Gestalten anderer Rekruten, die an ihm vorbei den Unterkünften zustrebten. Sie schienen Abstand zu halten, als hätten sie Angst, ihm zu nahe zu kommen. Waren Strafen etwa ansteckend?

Wenig später traten sie neben ihm an. Hartfields Stimme bellte irgendwelche Befehle. Dann ließen sie ihn wieder allein.

Schritte näherten sich. »Ist Ihnen der Name eingefallen, McClusky?«

»Keine Ahnung … wovon Sie sprechen, Sir.« Die Worte schmerzten in Johns trockener Kehle.

»Glauben Sie, irgendein anderer hier würde das für Sie tun?«

John schwieg. Wie er immer geschwiegen hatte, wenn die Bullen etwas von ihm wissen wollten. Möglicherweise war das ja nur eine dumme Angewohnheit. Antrainiert in den Jahren auf der Straße, wo er niemandem trauen konnte und jedes Anzeichen von Nachgeben nur Schwäche war.

Weshalb er schwieg oder für wen, war dabei völlig unerheblich. Es war seine Natur. Er begriff dies nun – in einem Moment völliger Klarheit –, und er begriff außerdem, dass er sich nicht dagegen wehren konnte.

Die Zeit schmolz. Und das zornige Auge wachte über ihm, stanzte Löcher in sein Denken, sodass er sich wunderte, wohin die Zeit verschwunden war, als Hartfield ihn wieder ansprach.

»Warum stehen Sie hier, McClusky? Wollen Sie zum Helden werden? Der andere sitzt da drinnen und isst und trinkt; er lacht Sie wahrscheinlich gerade aus. Er kann duschen und sich in ein Bett legen. Glauben Sie wirklich, dass er es wert ist, dass Sie für ihn schweigen?«

Philippe Reno? Garantiert nicht. Trotzdem hätte John sich eher die Zunge abgebissen, als seinen Namen zu nennen.

Stellen Sie mir ein Bier kalt, hätte er gerne geantwortet, aber seine Zunge klebte am Gaumen, und nur ein Krächzen kam aus seinem Mund.

»Haben Sie etwas gesagt?«

Statt eine Antwort zu geben, starrte John ihn nur an. Seine Augen tränten, dennoch schaffte er es, nicht zu blinzeln.

Hartfield schüttelte den Kopf und ging fort.