9,99 €
Eine neue und eine alte Liebe im Licht des spanischen Sommers
Als Sofie Wohnung und Job verliert, braucht sie erst einmal eine Auszeit. Gemeinsam mit ihrem Bruder und seiner Freundin reist sie in die alte Heimat ihres Großvaters, in den malerischen Ort Cielente im Osten Spaniens. Doch ihre Hoffnung auf Ruhe wird enttäuscht: Die trubelige Dorfgemeinschaft steckt mitten in der Orangenernte. Gleichzeitig wird das alljährlich stattfindende »Fest der Liebe« vorbereitet. Da fehlt nur noch Andrés, der attraktive Verwalter einer Plantage, und um Sofies Seelenfrieden ist es endgültig geschehen. Während sich zwischen den beiden erste zarte Gefühle entwickeln, wird Sofie von der Vergangenheit ihres Großvaters eingeholt: Ihn verbindet mit dem Dorf nicht nur eine verlorene Liebe, sondern auch ein gut gehütetes Geheimnis ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 646
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Buch
Als Sofie Wohnung und Job verliert, ist es Zeit für einen Neustart. Gemeinsam mit ihrem Bruder und seiner Freundin reist sie in die alte Heimat ihres spanischen Großvaters Nando, in den Ort Cielente. Doch ihre Hoffnung auf Ruhe wird enttäuscht: Die trubelige Dorfgemeinschaft steckt mitten in der Orangenernte. Gleichzeitig wird das alljährlich stattfindende Fest der Liebe vorbereitet, und zwischen Sofie und dem Plantagenverwalter Andrés entwickeln sich schon bald erste zarte Gefühle. Aber die Liebe hat Cielente schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt, als die Statue der Heiligen Isabel verschwand – wenn man der Legende glaubt, die man sich hier erzählt. Opa Nando weigert sich, über seine Heimat zu reden und Licht ins Dunkel zu bringen. Kann Sofie den Fluch auf eigene Faust brechen und ihr Glück finden?
Die Autorin
Hannah Luis studierte Skandinavistik, Publizistik und Sozialanthropologie in Bochum und Kopenhagen. Nach verschiedenen Stationen in Australien, England und der Schweiz kehrte sie nach Deutschland zurück. Heute lebt und schreibt sie in Essen, aber es zieht sie noch immer regelmäßig in die Ferne. Sie liebt es, Rezepte aus anderen Ländern mitzubringen und zu Hause auszuprobieren.
Lieferbare Titel
Bretonischer Zitronenzauber
Der Duft von Tee und Winter
Das Leuchten von Lavendel
Toskanische Mandelträume
Spanische Orangenküsse
Hannah Luis
Spanische
Orangenküsse
Roman
Wilhelm Heyne VerlagMünchen
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Auszug aus dem Gedicht siehe hier stammt aus Federico García Lorca. Die Gedichte. Spanisch – Deutsch. Hg. im Auftrag der Heinrich Enrique Beck-Stiftung, Basel, von Ernst Rudin und José Manuel López. 2008.
Trotz intensiver Recherche konnte der Verlag nicht alle Rechtegeber ermitteln. Bitte wenden Sie sich gegebenenfalls an den Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.
Originalausgabe 05/2025
© 2025 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich
Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Tamara Rapp
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München,
unter Verwendung von © FinePic®
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-32663-0V001
www.heyne.de
1
Wäre ihr Postbote ein hämischer König gewesen, hätte der Wind seinen perfekten Statthalter abgegeben.
Sofie wollte nach dem Umschlag greifen – der wieder mal nur mit einer Ecke in ihren Briefkasten geschoben worden war und träge gegen das Metall schlug –, als ihn eine Böe erwischte und durch die Luft wirbelte, bis er auf der Straße liegen blieb.
»Nein, nein, nein!« Sie rannte ihm hinterher, musste aber auf eine Lücke im Verkehr warten. In der Zwischenzeit beobachtete sie, wie der Umschlag zweimal durch die Fahrzeuge aufgewirbelt und einmal überfahren wurde. Endlich war die Straße frei. Sofie sprang vor, bekam eine Kante zu fassen und zog sich schnell wieder zurück, als ein Motorrad um die Ecke schoss. Seufzend betrachtete sie die Spuren auf dem zerknitterten Weiß. Zum Glück hatte es seit Tagen nicht geregnet, und sie war gerade rechtzeitig aus dem Haus gekommen, um den Brief zu retten.
Jetzt musste sie sich beeilen, wenn sie pünktlich bei ihrem Termin sein und sich vorher noch ein letztes Mal mit Fabian absprechen wollte, damit sie bei ihrer Präsentation ein in allen Punkten einheitliches Bild ablieferten. Schnell warf sie einen Blick auf die Rückseite des Briefs – er stammte von Frau Maldewiky, ihrer Vermieterin, sicher eine Information zur Nebenkostenabrechnung –, stopfte ihn in ihre Handtasche im Fahrradkorb und stieg auf. Sie musste dringend mit dem Postboten reden. Herr Semmer war neu im Viertel, stand aber kurz vor der Rente und sah nicht ein, warum er sich mehr anstrengen sollte als nötig. Zumindest waren das seine Worte gewesen, als Frau Mertens aus dem Erdgeschoss ihn vor drei Wochen darauf angesprochen hatte, dass die Post in den Kasten gehörte »und nicht irgendwie darauf oder daran wie eine Fahne, wir sind hier doch nicht in der Kunstgalerie!« Sofie wollte gar nicht darüber nachdenken, was der Wind noch alles aus ihren Briefkästen gepflückt und über die Dächer von Osnabrück getragen hatte.
Kurz darauf radelte sie die Süntelstraße entlang, am Hasefriedhof vorbei. Normalerweise machte sie einen Schlenker durch den Bürgerpark, um vor der Arbeit die Ruhe zwischen Grün und altem Baumbestand zu genießen. Ihr gefiel die Vorstellung, dass dieses über hundert Jahre alte Fleckchen sich seit seiner Entstehung kaum verändert hatte. Doch heute hatte sie dafür keine Ruhe und wählte den kürzesten Weg. Als das Gelände anstieg, stellte sie sich in die Pedale, überquerte kurz darauf die Hansastraße und bremste wenige Minuten später vor dem Gebäude, in dem sich ihre Firma befand.
Der April zeigte sich bereits seit Tagen freundlich, aber vormittags war es noch frisch, und Sofie war froh, ihren roten Kurzmantel zur Röhrenjeans gewählt zu haben. Sie strich sich mit den Händen über die Haare, deren Spitzen bereits die Schultern berührten, zumindest wenn sie sie glatt trug, so wie heute.
Von Fabian war nichts zu sehen. Sofie warf einen Blick auf die Uhr – noch blieb etwas Zeit –, schob ihr Rad zu den Ständern neben dem Gebäude und schloss es ab. Zunächst wartete sie am Eingang und grüßte Kollegen, die nach und nach eintrudelten, aber dann lief sie an der Straße auf und ab, eine Hand fest um den Träger ihrer Tasche geschlossen. Normalerweise wurde sie vor wichtigen Ereignissen erst dann nervös, wenn es richtig ernst wurde. Ihre Oma Anneliese behauptete steif und fest, dass es Sofie im Blut lag, sich stets auf neue Menschen und Situationen einzustellen, da bereits ihre Urgroßeltern Obst und Gemüse auf Märkten verkauft hatten, so wie Oma und Opa Nando nach ihnen. Die beiden hatten im Laufe der Jahre genug gespart, um einen kleinen Laden eröffnen zu können. Auch Sofies Eltern waren in der Branche geblieben, nur hatten sie ihr Sortiment in Richtung Feinkost erweitert.
»Wir hatten nie Zeit, um vor einem Verkaufsgespräch nervös zu sein«, sagte Sofies Opa gern. »Hätte ja auch nichts gebracht.«
Mit Letzterem hatte er vermutlich recht, aber allmählich wurde sie doch unruhig.
Noch fünf Minuten. Sie hasste es, zu spät zu kommen, vor allem da sie sich noch mit Fabian abstimmen musste. Heute stellten sie Karsten, einem ihrer beiden Chefs bei GenioTeam, ihr Konzept für neue Prozesse im Personalmanagement vor. In den vergangenen Wochen hatten Sofie und Fabian Workshops besucht, Bücher gewälzt und an einem Businessplan gefeilt.
Sie hatte bereits während ihres Studiums des Human Resource Managements als Personalerin gearbeitet, ehe sie vor vier Jahren zu GenioTeam gewechselt war, einer Firma für Personalmanagement und -vermittlung. Fabian war ein alter Bekannter von Karsten und hatte eine beratende Stabsstelle inne. Niemand wusste genau, was er tat, aber er saß in allen wichtigen Meetings, und ihr Chef hielt große Stücke auf ihn.
Auf der letzten Weihnachtsfeier waren sie ins Gespräch gekommen, und Fabian hatte ihr erzählt, dass er ebenfalls eine Weile als Personalmanager tätig, aber nicht immer glücklich mit den Vorgehensweisen gewesen war. Er hielt viele Bewerbungsprozesse für veraltet und glaubte, dass die interne Struktur, vor allem bei schnell wachsenden Firmen, auf besondere Weise unterstützt werden sollte.
Sofie war ganz seiner Meinung. Seitdem sie zu GenioTeam gestoßen war, hatte sich die Belegschaft mehr als verdoppelt, und oft wusste der eine Bereich nicht, was der andere tat. Da waren Probleme vorprogrammiert.
Dem ersten Gespräch mit Fabian waren weitere gefolgt, und da sie ähnliche Vorstellungen von der idealen Personalbetreuung hatten, war vor einem Jahr die Idee entstanden, sich mit der Personalberatung für andere Firmen zu befassen und das als neuen Geschäftszweig von GenioTeam zu etablieren. Karsten und Mirjam, die beiden Köpfe der Firma, waren noch immer im Start-up-Fieber und aufgeschlossen für Ideen, zumal sie gute Zahlen schrieben und sich Experimente leisten konnten.
Noch vier Minuten. Wo bleibst du nur?
Sie zog ihr Handy heraus, wählte Fabians Nummer, hielt es ans Ohr und zählte mit. Sechs, sieben, acht. Elf. Fünfzehn. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie das Display und beendete den Anruf. Ob er im Verkehr feststeckte? Aber dann würde er doch die Freisprechanlage nutzen und rangehen? Sie schob das Handy zurück in die Tasche ihres Mantels. Ihre Hand zuckte, als es im selben Moment vibrierte und kein Sekundenbruchteil später der Klingelton ertönte.
Sofie nahm den Anruf an, ohne hinzusehen. »Wo steckst du? Der Termin ist in drei Minuten!«
»Ich stehe vor dem Arco«, sagte eine vergnügte Stimme. »Das ist ein Restaurant direkt am Douro mit einem schrulligen Inhaber, aber es gibt großartiges Frühstück, und außerdem hat man einen tollen Blick auf die Häuser drüben auf der anderen Seite. So viele Farben! Und deshalb, Schwesterherz, schaffe ich es nicht zu unserem Termin, von dem ich übrigens gar nichts wusste.«
»Simon!« Sofie verdrehte die Augen, musste aber grinsen. »Warum bist du schon wach? Ist es in Portugal nicht eine Stunde früher als hier?« Sie spähte ein weiteres Mal auf die Uhr, dann die Straße entlang. Noch eine Minute. Es half alles nichts, sie würde reingehen und Karsten sagen müssen, dass es eine Verzögerung gab. Hoffentlich war nichts passiert!
Ihr Bruder gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen Gähnen und Brummen rangierte. »Jepp, aber was tut man nicht alles für die Frau seines Lebens, nicht wahr?«
Pünktlichkeit wäre wenigstens schon maletwas.
»Du, tut mir leid, aber ich hab einen Termin, und zwar jetzt, ich ruf dich zurück. Sag mir nur schnell, von welchen Frauen du redest.«
»Frau, Singular. Ich habe Tereza kennengelernt, und ab sofort wird es keine andere mehr geben.«
Das waren ja ganz neue Töne! Simon hatte zwar schon einige Beziehungen hinter sich und keine Probleme, Frauen zu treffen, aber bislang war die Richtige nicht dabei gewesen – weshalb er sich auf diesem Feld eine gewisse Rastlosigkeit bewahrt hatte. Simons Fluch lag darin, allzu schnell Charme, Witz oder einem hübschen Gesicht zu verfallen, nur um dann festzustellen, dass er und die aktuelle Dame seines Herzens nicht zusammenpassten.
Sofie konnte sich kaum vorstellen, dass sich das ausgerechnet auf der Europareise geändert haben sollte, zu der er vor zwei Monaten mit seinen Freunden Ben und Lukas aufgebrochen war. »Okay, das erzählst du mir später genauer.« Sie entdeckte Karsten, der ihr vom Eingang des Gebäudes aus zuwinkte. »Ich muss los. Wünsch mir Glück!«
»Ich wünsch dir alles Glück der Welt, Sof.« Damit legte er auf.
Sofie eilte die Treppen zum Haupteingang hinauf, während Sorgen in ihrem Hinterkopf pochten. War Fabian wirklich etwas zugestoßen?
In jedem Fall wirkte ihr Chef, als wüsste er mehr als sie.
»Hallo, guten Morgen.«
Man sah Karsten Schiermeier nicht an, dass er ein mittlerweile erfolgreiches Unternehmen leitete. Wenn keine Kundentermine anstanden, kleidete er sich meist in Jeans und Freizeithemd, so wie jetzt. Dazu kamen die verstrubbelten blonden Haare und die Tatsache, dass er mit seinen achtunddreißig gerade einmal zehn Jahre älter war als Sofie. Mit seiner aufrechten Haltung strahlte er die Entschlossenheit und Überzeugungskraft aus, die er auf seinem Posten brauchte.
»Guten Morgen, Sofie.« Er nickte in Richtung Eingang. »Gehen wir.«
Sie blickte sich um. »Ich warte auf Fabian. Keine Ahnung, was da los ist.«
Karsten schüttelte knapp den Kopf. »Da ist alles in Ordnung.« Ja, er wusste definitiv mehr als sie. Bloß – warum rückte er dann nicht mit der Sprache heraus?
»Es geht ihm gut?«, fragte sie sicherheitshalber nach und betrat das Gebäude, als er ihr die Tür aufhielt. Marmorboden und hohe Wände sorgten dafür, dass sich die Geräuschkulisse schlagartig veränderte. Vom Eingangsbereich war ein Teil der oberen Ebenen einsehbar, trotzdem hielt sich die Lautstärke in Grenzen.
Sie nahmen die Treppen, und Karsten machte in der Kaffeeküche halt. »Für dich auch einen?«
»Ja bitte.« Sofie betrachtete die Büros mit ihren Glastüren und das noch verhaltene Treiben auf den Fluren. Alles war so vertraut, fühlte sich aber trotzdem seltsam an, schließlich hatte sie ihren Posten in der Personalabteilung aufgegeben, um etwas Neues auf die Beine zu stellen. Es war ihr schwergefallen, ihre Abteilung zu verlassen, vor allem, da Elke ihr den Posten der stellvertretenden Personalleitung in Aussicht gestellt hatte. Sie fühlte sich hier wohl und war froh über den lockeren Umgang miteinander, der schnell dafür gesorgt hat, dass man auch mal nach Feierabend zusammen in der Altstadt etwas trinken ging.
Das Surren der Kaffeemaschine verstummte, und Karsten reichte ihr einen Becher, um dann seinen zu füllen.
»Na, du Abtrünnige?« Elke trat zu ihnen in die kleine Küche, lehnte sich an die Wand und strich sich eine ihrer Locken hinters Ohr.
Sofie verzog das Gesicht. »Nenn mich nicht so, sonst bekomme ich ein schlechtes Gewissen.«
Elke musste lachen. »Quatsch, brauchst du nicht. Ich hätte dich zwar gern weiter an meiner Seite gehabt, aber du gehst uns ja nicht verloren.«
Sofie atmete insgeheim auf. Es war gut zu wissen, dass die ehemalige Vorgesetzte ihr die Entscheidung nicht nachtrug. »Und bei euch geht’s nun los?« Elke nickte in Karstens Richtung.
Der gab Milch in seinen Kaffee und wirkte dabei, als wäre er nicht ganz wach. Ungewöhnlich für ihn.
Sofie sah zur Treppe, noch immer in der Hoffnung, dass Fabian auftauchte. »Eigentlich schon, nur Fabian fehlt noch.« Zum ersten Mal meldete sich ein seltsames Gefühl in ihrem Bauch. Ein Ziehen, wenn auch sehr dezent.
Elke hob die Brauen. »Warum machst du es der armen Sofie so schwer, Karsten? Segne den neuen Bereich ab, und fertig ist die Sache! Du bist doch sonst nicht zimperlich.«
Er schenkte ihr ein Grinsen, ehe er die Milch wegstellte und dabei den Inhalt des Kühlschranks inspizierte. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, er schindet Zeit.
Elke legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Viel Glück.« Sie schnappte sich einen Apfel und machte sich auf den Weg in ihr Büro.
Sofie nippte an ihrem Kaffee und wartete.
Karsten rührte noch einige Sekunden in seiner Tasse herum, legte den Löffel in die Spülmaschine und nickte ihr zu. »Gehen wir.«
Na endlich. Sie folgte ihm. Allzu lange würde sie jetzt nicht mehr auf Aufklärung warten müssen.
Karsten ließ ihr den Vortritt in sein Büro und schloss die Tür hinter ihnen. Auch das war ungewöhnlich. Er umrundete seinen Schreibtisch, der vor Papieren und Kabeln nur so überquoll. »Bitte, Sofie, setz dich.« Er deutete auf die beiden hellen geschwungenen Stühle, während er sich in seinen Ledersessel fallen ließ, der so groß war, dass er mühelos jeden verschluckte. Karsten aber saß kerzengerade. »Du fragst dich sicher, was mit Fabian ist«, sagte er, klickte etwas auf einem Laptop an und las, ehe er seine ungeteilte Aufmerksamkeit endlich Sofie schenkte. »Er kommt heute nicht her, aber er hat mir gestern Abend euren Businessplan mit den gewünschten Aktualisierungen geschickt.«
Sofie stutzte. Warum hatte Fabian das getan, ohne es mit ihr abzusprechen? Darum waren sie doch heute hier: um Karsten zu zeigen, dass sie einen Weg gefunden hatten, all seine Wünsche mit ihren Vorschlägen zu vereinen. »Okay …«
Er hob die Hand mit einer Geste, die ihr bedeutete, dass er noch nicht fertig war. »Du weißt, ich war vorher schon interessiert, und ich bin es noch immer. Der neue Bereich passt perfekt zu uns als moderne Firma und Great Place to Work.« Stolz klang in seinen Worten mit. GenioTeam hatte das begehrte Zertifikat im vergangenen Jahr erhalten, und seitdem prangte es gerahmt neben dem Empfang im Erdgeschoss. Karsten musterte sie, nicht als wartete er auf eine Antwort, sondern als suchte er etwas in ihrem Gesicht.
Sofies Finger zuckten. Vielleicht war ja ihr Make-up verschmiert. »Genau das ist auch der Ansatz des neuen Beraterteams. Weil es ja nicht nur darum geht, veraltete Bewerbungsprozesse zu analysieren und durch Coaching zu modernisieren, sondern maßgeschneidert für jedes Unternehmen eine individuelle …« Sie brach erstaunt ab, als er erneut die Hand hob.
»Ich weiß, Sofie«, sagte er leise. »Ich habe mich mit allem sehr vertraut gemacht, und ich bin wie gesagt nach wie vor ein Befürworter der Idee.« Noch ein Blick auf den Laptop. »Daher tut es mir wirklich sehr leid, dass ich schlechte Nachrichten habe.«
Ein heißer Stich fuhr ihr in den Magen, aber sie schaffte es, äußerlich ruhig zu bleiben. »Dann raus damit.« In Gedanken überschlug sie die Eventualitäten. Vielleicht wollte er die Realisierung aus Budgetgründen nach hinten schieben – auch wenn sie das gewundert hätte. Aber gut, im Extremfall würde sie eben einige Wochen oder maximal zwei, drei Monate keinen Job haben; das konnte sie überbrücken. Oder hatte etwa Fabian einen Rückzieher gemacht? Das hätte zumindest erklärt, warum er Karsten gestern gemailt hatte und heute nicht aufgetaucht war. Allerdings schätzte sie ihn nicht als so unkollegial ein, sie darüber im Dunkeln zu lassen.
Aber wenn doch … Ihre Gedanken hasteten weiter. Würde sie das Projekt allein stemmen können? Aber das würde eine deutliche Verzögerung bedeuten.
Karsten stand auf, lehnte sich gegen die Fensterbank und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir stellen den Bereich wie besprochen auf, allerdings wird ihn keiner von euch beiden leiten.«
Moment, was? Sofie versuchte, das Gehörte einzuordnen. Wollte Karsten das etwa selbst übernehmen? Dazu hatte er doch überhaupt keine Zeit – und es war auch nicht sein Fachgebiet. »Ich gebe zu, damit habe ich nicht gerechnet. Wen hast du im Auge?«
»Einen alten Bekannten. Klaas und ich haben zusammen studiert und eine Weile in derselben Firma gearbeitet, ehe er in die Staaten gegangen ist, als Berater und Projektmanager. Seit vorletztem Jahr ist er zurück. Und er wird das Projekt übernehmen, er hat sich von Anfang an mit den Plänen vertraut gemacht.« Er löste die Arme. »Aber mehr als einen Mitarbeiter sieht er nicht, und ich bin da seiner Meinung.«
Das war sie auch, immerhin hatte sie genau das im Businessplan vermerkt. »Ich verstehe«, sagte sie tonlos.
Das tat sie wirklich, auch wenn sie es noch nicht wahrhaben wollte. Eigentlich war es ganz einfach: Wenn dieser Klaas mit Karsten zusammen studiert hatte, standen die Chancen gut, dass auch Fabian kein Fremder für ihn war.
Ihr Chef nickte. »Klaas kennt Fabian fast ebenso lange wie mich, und er möchte das Ganze gemeinsam mit ihm stemmen.«
Da war sie, die Wahrheit, in einem einzigen simplen Satz, ohne Entschuldigung oder andere freundliche Ausschmückungen, um sie leichter verdaulich zu machen.
»Das bedeutet also, ich bin raus. Korrekt?« Sofies Stimme war eine Nuance kühler geworden.
Er breitete die Arme aus. »In diesem Punkt ja, tut mir leid. Aber solche Dinge ergeben sich einfach.«
Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt. Die Atmosphäre bei GenioTeam war locker, kollegial, alle duzten sich, und wenn es Probleme gab, redete man einfach miteinander. Sie hatte sich so wohl gefühlt, dass sie vergessen hatte, was es überall gab, wo Menschen aufeinandertrafen: Konkurrenz, Neid und manchmal sogar Intrigen, um den eigenen Platz im Gefüge zu behaupten. Sie war schlicht zu gutgläubig gewesen.
»Das kommt überraschend, und es ist verdammt ärgerlich.« Jetzt gab es keinen Grund mehr, sich zurückzunehmen. »Du weißt, dass ich die Stelle als Elkes Stellvertreterin ausgeschlagen und bereits gekündigt habe? Und dass sie schon neu besetzt ist?«
»Natürlich, die ganze Sache hat mir ziemliches Kopfzerbrechen bereitet.«
Wenn dem so wäre, hättest du nicht alles diesem Klaas in den Hintern geschoben, wasichüber Monate hinweg zusammengetragen habe!
Am liebsten hätte sie ihm genau das ins Gesicht geschleudert. »Und was heißt das jetzt für mich? Ich habe Pech gehabt?«
Damit hatte er offenbar nicht gerechnet. Normalerweise legte sie großen Wert auf Sachlichkeit, selbst in schwierigen Gesprächen. Aber sie war auch noch nie von jemandem, dem sie vertraute, so hereingelegt worden. »Tut mir leid, Sofie, ich habe euch nie eine hundertprozentige Zusage gegeben, sondern lediglich eine Chance.«
Das wurde ja immer besser! Eine Chance? Er hatte ihnen versprochen, dass er sie als Team auf jeden Fall einbinden würde! Das Einzige, was noch nicht genau festgestanden hatte, waren der Feinschliff gewesen, die genaue Ausrichtung und der Umfang des neuen Bereichs.
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, sagte Sofie leise. »Aber so, wie unser Gespräch bisher verlaufen ist, gibt es dazu nicht mehr viel zu sagen.« Sie stand auf, nahm ihre Tasche und wandte sich zum Gehen.
Denn so sah es aus – sie waren geschiedene Leute. GenioTeam und sie, das war Geschichte. Äußerlich blieb sie absolut ruhig, während in ihrem Inneren ein Strudel aus Benommenheit, Fassungslosigkeit und Ärger Fahrt aufnahm.
»Sofie, warte«, sagte Karsten, als sie die Tür öffnete. »Wir finden schon einen Platz für dich. Du sollst ja nicht auf der Straße stehen. Kari sucht eine Assistentin, soweit ich weiß. Zwar nur Teilzeit, aber das wäre doch fürs Erste eine gute Lösung.«
Warum war ihr nie aufgefallen, wie gönnerhaft er klingen konnte? »Kari sucht eine studentische Hilfskraft«, erwiderte sie. »Und daran hab ich kein Interesse.«
Auf den Fluren herrschte die übliche Geschäftigkeit. Die meisten Kollegen aus anderen Abteilungen wussten nichts von Sofies Kündigung oder dem neuen Projekt, das nun nicht mehr ihres war, und grüßten freundlich. Für sie war das ein Tag wie jeder andere auch.
Sofie hingegen wollte nur noch eines: raus, so schnell wie möglich.
Erst als sie durch die Tür trat und die Sonne auf ihr Gesicht fiel, atmete sie durch. Noch immer konnte sie nicht glauben, was gerade passiert war. Fabian und Karsten hatten sie mit voller Absicht ins Messer laufen lassen. Die Idee, dem Kumpel aus alten Zeiten den Job anzubieten, war sicher nicht von heute auf morgen entstanden.
Sie ging zu ihrem Fahrrad, die Schritte so energisch, dass es bis in die Oberschenkel zog. Ehe sie das Schloss öffnete, nahm sie ihr Handy und schrieb Fabian eine Nachricht.
Feigling.
Die beiden Haken wurden fast augenblicklich blau; er hatte es also gelesen. Sofie wartete noch einige Minuten, aber Fabian schrieb nicht zurück.
2
Obwohl es absurd war, hatte Sofie ein schlechtes Gewissen, weil sie um kurz nach zehn in ihrer Küche hockte und den dritten Kaffee an diesem Morgen trank. Sie fühlte sich leer – und hatte noch immer nichts von Fabian gehört. Die Vorstellung, wie er mit anderen ihr Herzensprojekt in die Tat umsetzte, raubte ihr die Energie, um sich Gedanken über ihre Situation zu machen oder gar neue Pläne zu fassen.
Sie schob den Becher von einer Hand in die andere, fuhr mit einem Finger die Maserung des Tisches nach und sah aus dem Fenster. Sonnenstrahlen trafen die Pflanzen davor und ließen eine ganze Palette an Grüntönen aufleuchten, schafften es aber nicht, sich an ihnen vorbeizuschmuggeln. Daneben stand ein Glas mit Orangenmarmelade, das sie für ihre beste Freundin Nadja reserviert hatte. Das Rezept mit einem Schuss Orangenlikör hatte sie von Opa Nando und kochte jedes Jahr einen ganzen Schwung davon. Nadja liebte die Marmelade besonders und hatte neulich erwähnt, dass ihr Vorrat sich dem Ende zuneigte.
»Du wirst doch nicht so herzlos sein und mich in den Supermarkt schicken, um dort industriell hergestellten Nachschub zu kaufen, der durch irgendwelche Schläuche gelaufen und von Roboterarmen einsortiert worden ist?«, hatte sie gefragt und sich theatralisch einen Handrücken gegen die Stirn gepresst. Sie war nicht die beste Schauspielerin, brachte Sofie aber stets zum Lachen – und zudem hatte sie recht. Wenn man sich erst mal an den selbst gemachten fruchtigen Aufstrich gewöhnt hatte, schmeckte alles andere künstlich.
Sie schnipste gegen das Glas, seufzte und fragte sich zum wiederholten Mal, was sie tun sollte. An einem normalen freien Tag hätte sie sich nach dem Frühstück um ihren Balkon gekümmert und anschließend im Laden ihrer Eltern vorbeigesehen.
Schon als kleines Mädchen hatte sie es geliebt, an der Theke zu stehen und das sich je nach Saison verändernde Sortiment von Feinkost Lenau zu begutachten. Oder sie hatte hinten im Aufenthaltsraum gespielt, manchmal zusammen mit Simon, während sich ihre Eltern um die Kunden kümmerten.
Einmal, noch ehe sie in die Schule gekommen war, hatte sie sich in den Kopf gesetzt, die Welt zu erkunden. Also hatte sie ihren Proviant – zwei Orangen, eine Pampelmuse, eine Handvoll Nüsse und ihren kleinen Bruder – auf eine Decke gepackt und sie unter Aufbietung all ihrer Kräfte aus der Hintertür gezerrt. Obst und Nüsse waren davongerollt, noch ehe sie die Straße erreicht hatte, wo sie von einer amüsierten Stammkundin gestoppt worden war.
Je älter sie wurde, desto mehr Einblick in das Geschäft bekam sie, lernte, welche Kriterien beim Einkauf eine Rolle spielten, und fühlte sich mit all dem rundherum wohl. Sie liebte das gemütliche Holzinterieur mit den von Hand beschriebenen Schiefertafeln, die Düfte und Aromen, die ihr so vertraut waren, und vor allem die Spezialitäten aus anderen Ländern. Die spanische Sektion war besonders ausgefeilt.
»Ich kann ja schlecht einen spanischen Vater haben und weder Serrano noch Chorizo oder Roncal anbieten«, sagte ihre Mutter stets. »Er würde mir das Kassenbuch um die Ohren hauen.«
Was Opa Nando natürlich niemals tun würde. Aber manchmal ließ er sich im Feinkostladen blicken, beäugte das Sortiment und verriet durch das Heben oder Senken einer Augenbraue oder allerhöchstens einen knurrigen Kommentar, ob er zufrieden war oder nicht.
Er und Oma Anneliese hatten einen Obstladen geführt, nachdem ihre Eltern – Sofies Urgroßeltern – ihr Leben lang auf Märkten in der Region verkauft hatten. Opa Nando hatte seinen Enkelkindern schon früh eingebläut, dass die spanischen Zitrusfrüchte die besten waren, besonders die aus seiner Heimat, der Region um Valencia, und sie niemals – unter keinen Umständen –, Orangen oder Zitronen aus anderen Ländern kaufen durften.
Ein schwaches Lächeln stahl sich auf Sofies Gesicht. Sie erinnerte sich, wie er ihr einmal zwei Orangen unter die Nase gehalten hatte. »Riechst du das? Die da – Wasser, Wachs, Ende. Aber die hier, das ist eine Barberina und damit eine der besten Orangen der ganzen Welt. Die Sorte wird um deinen Geburtstag im Mai herum geerntet, allerdings werden auch viele Orangen im Winter gepflückt.« Damit hatte er sie zum Strahlen gebracht, weil sie geglaubt hatte, dass man im fernen Spanien extra abwartete, um die Ernte gemeinsam mit dem Geburtstag eines kleinen Mädchens zu feiern. Bis heute erinnerte sie sich an den Duft, der intensiv und süß gewesen war, und an das saftige Fruchtfleisch.
Lebensmittel und die Freude an kulinarischen Genüssen lagen ihrer Familie im Blut. Sie und Simon waren nach drei Generationen die Ersten, die beruflich einen anderen Weg eingeschlagen hatten – auch wenn Sofie es liebte, in ihrer Freizeit zu kochen und zu backen.
Sie leerte ihre Kaffeetasse und betrachtete die gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand. Sie zeigte ihre Großeltern in jungen Jahren. Sie standen in ihrem Laden, hoch aufgerichtet und stolz, umgeben von Körben voller Obst und Gemüse. Auf der Theke hinter ihnen befanden sich eine riesige Waage und eine Kasse mit einem Hebel an der Seite. Die alten Geräte lagerten heute im Keller ihrer Eltern.
»Ihr hättet euch nicht unterkriegen lassen, oder?«
Beide antworteten mit ernstem Blick, wobei Oma Anneliese ein wenig schüchtern wirkte. Sie hatte erst im Laufe ihrer Ehe mehr Selbstbewusstsein entwickelt und betonte stets, dass sie das ohne Opa Nando niemals geschafft hätte. Daher war es für alle eine Überraschung gewesen, als sie verkündete, sie würde sich von ihm trennen, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte. Zu Sofies Erleichterung waren die beiden Freunde geblieben, telefonierten regelmäßig miteinander und lieferten sich bei Familientreffen noch immer dieselben alten liebevollen Kabbeleien.
Sofie atmete tief durch. Sie würde sich ein Beispiel an ihrer Familie nehmen und weitermachen. Eine Lenau oder eine Montejo – der Mädchenname ihrer Mutter – warf die Flinte nicht ins Korn! Mit etwas Engagement würde sie einen neuen Job finden – sobald sie überwunden hatte, dass Fabian und Karsten sie quasi aus der Firma gedrängt hatten.
Zuerst würde sie im Feinkostladen vorbeifahren, ihre Eltern auf den neuesten Stand bringen und etwas aushelfen, um sich abzulenken und nicht tatenlos herumzusitzen.
Sie griff nach ihrer Handtasche, als ihr Blick auf etwas Weißes fiel, das daraus hervorlugte: der Umschlag, den sie heute Morgen von der Straße gerettet hatte. Durch die Ereignisse bei GenioTeam hatte sie ihn vollkommen vergessen.
Sie zog ihn heraus und öffnete ihn. Es handelte sich doch nicht um die Aufstellung der Nebenkosten, die Frau Maldewiky ihr üblicherweise schickte, sondern um einige Zeilen samt Unterschrift. Vielleicht stand eine Mieterhöhung an? Das käme ihr gerade jetzt mehr als ungelegen.
Wenige Sekunden später ließ Sofie die Hand sinken. Keine Mieterhöhung, sondern eine Kündigung wegen Eigenbedarf; Frau Maldewikys Tochter würde nach einigen Jahren aus München zurück in ihre Heimatstadt ziehen – und zwar bereits in drei Monaten. Was, wie ihre Vermieterin ihr mitteilte, die reguläre Kündigungsfrist wäre, da Sofie erst seit vier Jahren hier wohnte.
Sie stöhnte leise auf, trat ans Fenster und starrte auf die vorbeifahrenden Autos und eine Frau, die mit zwei kleinen Mädchen an den Händen vorbeispazierte. Wie sagte ihre Oma immer?
Wenn es kommt, dann richtig dicke.
Damit hatte sie eindeutig recht. Osnabrück hatte heute entschieden, es ihr schwer zu machen.
Das Handy riss sie aus ihren Gedanken, mit dem Folksong, den Simon vor Jahren für sich einprogrammiert hatte. Sofie verzog das Gesicht und überlegte, ob sie seiner guten Laune gewachsen war, entschied sich dann aber dafür. Schlimmer konnte es nicht kommen, und ihr kleiner Bruder würde sie vielleicht sogar aufheitern.
»Und, noch immer in Porto?«, fragte sie statt einer Begrüßung.
Lachen antwortete ihr. Simon klang so glücklich! Er war noch nie jemand gewesen, der Trübsal blies, aber so hatte sie ihn selten gehört. Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass er ihr von dieser Frau erzählen wollte, die er unterwegs kennengelernt hatte. Tereza.
»Noch sind wir das«, sagte er geheimnisvoll. »Aber wir packen gerade. Wir haben uns nämlich entschieden, heute nach Spanien aufzubrechen.«
»Oha.« Dass ihr Bruder und seine Freunde noch vor dem Mittag weiterzogen, war ungewöhnlich. Die drei hatten sich eine Auszeit von mehreren Monaten genommen, um sich durch einen Teil Europas treiben zu lassen und dabei jede Art von Hektik zu vermeiden. »Wessen Idee war das? Deine? Oder stammt sie von Ben und Lukas?«
Simon gab einen Laut von sich, der an einen Hundewelpen erinnerte. »Die beiden bleiben noch in Portugal.«
Sofie stutzte. »Was ist los, habt ihr euch gestritten?« Sie hörte selbst, wie unpassend das klang, als wäre Simon ein kleiner Junge und keine fünfundzwanzig.
»I wo«, sagte er. »Die zwei haben einfach noch Lust auf Porto. Aber Tereza hat mich überredet weiterzuziehen. Rat mal, wohin!« Natürlich ließ er ihr keine Zeit für eine Antwort. »Wir fahren nach Valencia! Genauer gesagt nach Cielente.«
Das kam unerwartet. »Was, in Opas Dorf?«
»Ja. Tereza kann nicht verstehen, dass wir Wurzeln in Spanien haben und dort niemanden kennen. Oder dass wir die Gegend noch nie besucht haben, in der Opa Nando zu Hause war.«
Sofie schielte zu dem Foto an der Wand. »Das liegt womöglich daran, dass er keine Verbindungen mehr in seine alte Heimat hat. Er hat sich ein Leben hier in Deutschland aufgebaut.« Opa Nando redete nur selten über seine Jugend in Cielente und betonte stets, dass dieser Abschnitt seines Lebens vorbei war. Er hatte weder Familie in Spanien noch alte Freunde.
»Ja, aber bist du nicht neugierig? Willst du nicht irgendwann sehen, wo er aufgewachsen ist?«
Sofie starrte kurz auf ihr Handy, ehe sie es wieder an ihr Ohr presste. »Darf ich dich dran erinnern, dass ich dir diese Frage im Laufe deines noch jungen Lebens mehrmals gestellt und zur Antwort immer nur ein Schulterzucken bekommen habe?« Sie hatte sich als kleines Mädchen und später als Jugendliche oft gefragt, wie Opa Nando aufgewachsen war – und vor allem, wie die Orangenplantagen aussahen, von denen er so gerne erzählte. Es musste ein traumhafter Anblick sein. Simon hingegen hatte sich nie großartig dafür interessiert, dafür war sein Leben zu voll gewesen mit Freunden, Terminen und seinem Grafikdesign-Studium.
»Natürlich bin ich neugierig«, fügte sie hinzu und lächelte. »Aber mehr auf die Erklärung, wie es kommt, dass du einer Frau, die du gerade erst kennengelernt hast, quer durch Europa folgst.«
Simon gab erneut diesen Welpenlaut von sich, und es lag so eine Hochstimmung darin, dass Sofie sie spüren konnte. »Sie ist einfach die Richtige, Sof! Ich weiß es. Schon allein der Abend, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind … es war magisch.«
Okay, das war bemerkenswert. Simon arbeitete zwar als Designer für Computerspiele, verwendete Wörter wie magisch jedoch im Grunde nie, wenn es um sein Privatleben ging.
»Und Tereza hat vollkommen recht, Große – wir sollten unsere Wurzeln erkunden, um mehr über uns selbst rauszufinden.«
Dem konnte sie nicht widersprechen. »Und ich stimme ihr da zu. Es überrascht mich nur, so was von dir zu hören, das ist alles. Aber ich freu mich für dich.« Wenn es in ihrem Leben schon nicht glatt lief, dann sollte zumindest bei ihrem kleinen Bruder alles klappen. Simon hatte es verdient. »Aber rufst du deshalb an? Um mir von Tereza vorzuschwärmen?«
»Auch. Und weil ich dich um einen Gefallen bitten will.«
»Schieß los.«
»Irgendwo in meinen Kartons müssen meine alten Alben sein. Kannst du bitte nachsehen und ein paar Bilder ablichten? Tereza würde so gern wissen, wie ich als Kind ausgesehen habe.«
»Simon!« Sofie verdrehte die Augen. »Weißt du eigentlich, wie viele Kartons das sind?«
Ihr Bruder und Lukas hatten ihre gemeinsame Wohnung aufgelöst, ehe sie zu ihrer Reise aufgebrochen waren, und da Sofies Keller riesig war, hatte sie ihm angeboten, seine Sachen bei sich unterzubringen. Bis auf die sperrigen Möbelstücke wie das Sofa oder das Bett – die er letztlich verkauft hatte – passte das auch wunderbar, allerdings stapelten sich die Kartons bis zur Decke.
»Ich weiß, aber … bitte, bitte?« Er wusste genau, dass sie ihm kaum etwas abschlagen konnte. »Die Alben müssten in den kleineren orangefarbenen sein. Die findest du sicher schnell.«
Sie ließ ihn ganze drei Sekunden zappeln. »Also gut.«
»Du bist die Beste! Und jetzt erzählst du mir, was passiert ist.« Auch das war typisch Simon. Er merkte oft, wenn etwas nicht stimmte, und sprach sie dann darauf an, wenn sie nicht damit rechnete und bereits glaubte, dass ihre Unterhaltung beendet sei.
Da der Versuch, es vor ihm zu verheimlichen, sowieso nichts bringen würde, berichtete sie ihm alles – von der gescheiterten Präsentation bis zu der Tatsache, dass sie in spätestens drei Monaten eine neue Wohnung brauchte.
Simon sagte genau das Richtige. Zunächst ließ er sich über Fabian aus und bedachte ihn mit Bezeichnungen, die er in der Gegenwart ihrer Eltern niemals hätte fallen lassen. Danach bekam Karsten sein Fett weg, ehe Simon zu der Schlussfolgerung gelangte, dass alles seinen Sinn hatte und ihr diese Dinge nicht ohne Grund passiert waren. Für seine Verhältnisse klang das ungeheuer weise. »Du wirst was Neues finden, Sof, da mach ich mir überhaupt keine Sorgen.«
Das musste der Einfluss dieser Tereza sein.
»Ja, ich denke auch. Es kommt nur alles auf einmal – das ist ganz schön viel.«
»Zur Not lagerst du unsere Sachen in irgendeinem Container ein und ziehst zu Mama und Papa. Nur übergangsweise. Oder aber …« Sein Schweigen klang geheimnisvoll.
»Oder aber was?«
»Oder du nimmst dir auch eine Auszeit, setzt dich in den Flieger und triffst uns Spanien.« Kurze Pause. »Das ist überhaupt die Idee! Ich habe das nur so dahingesagt, aber wenn ich darüber nachdenke … das wäre ideal! Wir könnten zusammen Cielente entdecken und sehen, wo Opa aufgewachsen ist. Und du würdest Tereza kennenlernen! Na los, sag, dass du zumindest darüber nachdenkst.«
»Simon, das ist jetzt der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um ...«
»Ich denke, es ist der beste. Was kann dir denn passieren? Es wäre ja nicht so, als würdest du hier Urlaub machen.«
»Sondern?« Sie grinste, als er nicht sofort antwortete. Trotz allem hatte er es geschafft, ihre Laune zu heben. Draußen schien noch immer die Sonne, und allmählich hatten sich die Strahlen auch in ihre Küche vorgetastet.
»Na ja, du beschäftigst dich damit, neue Energie zu sammeln und über deine Zukunft nachzudenken. Du bist aus dem Trott raus und bekommst einen frischen Blick. Dazu beugst du einem Burn-out vor.«
»Den ich nicht haben werde.«
»Eben, weil du vorbeugst. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass du endlich mal Opas Heimat besuchst. Vielleicht will er ja sogar mit.«
Sicher nicht. Sie hatte Opa Nando früher oft gefragt, ob er nicht mal wieder nach Spanien reisen wollte, und er hatte stets mit unbewegtem Gesicht geantwortet, dass kein Interesse bestünde. »Das bezweifle ich.«
»Egal, du tust es ja auch für dich. Komm schon, das wäre großartig! Ich bin sicher, dass du dich mit Tereza wunderbar verstehen wirst. Denk drüber nach, ja? Wir würden ein paar Tage in Cielente bleiben, vielleicht sogar einige Wochen – wenn wir uns einen Job auf einer Farm suchen. Nur vorübergehend, um die Reisekasse wieder aufzustocken.«
Schlagartig wurde sie hellhörig. »Was ist mit deinen Ersparnissen?« Hatte er sich so sehr verrechnet, was die Kosten betraf? Oder war er überfallen worden? Hatten Lukas und Ben ihn zu irgendwelchen Glücksspielen überredet, bei denen er all sein Geld verloren hatte? Normalerweise spielte Simon nicht, es sei denn, es hatte mit seiner Arbeit zu tun und er musste ein Produkt kennenlernen, aber man wusste ja nie, was passierte, wenn drei Freunde unterwegs waren. Sollte er dringend Geld benötigen, hatte sie zwar noch Rücklagen, die sie ihm leihen konnte, aber in Anbetracht der ungewissen kommenden Monate …
»Nichts, alles in Ordnung«, sagte Simon so gelassen, dass ihre Aufregung verpuffte. »Tereza hat mich lediglich davon überzeugt, dass die Reise authentischer ist, wenn wir vor Ort Geld verdienen. So sind wir näher am Leben der Leute und bekommen viel mehr mit.«
»So, so.« Diese Tereza schien wirklich Einfluss auf Simon zu haben. Allmählich war sie ernsthaft gespannt auf diese Frau, die ihrem Bruder dermaßen den Kopf verdreht hatte.
Im Hintergrund rief jemand etwas, und Simon räusperte sich. »Also Sof, gib dir einen Ruck. Eine bessere Gelegenheit findest du nicht mehr, um dir eine Auszeit zu gönnen. Und ich verspreche, dafür zu sorgen, dass du diese Idioten von GenioTeam ganz schnell vergisst.«
Sofie trat zurück ans Fenster und musterte ihr Spiegelbild. Selbst der schwache Schemen ließ ihre Zweifel erahnen. »Ich weiß deine brüderliche Unterstützung zu schätzen. Aber es ist wirklich keine gute Idee.«
»Es ist eine super Idee«, keuchte Nadja und wuchtete mit vollem Körpereinsatz einen Karton zur Seite, um den dahinterstehenden zu öffnen und einen Blick hineinzuwerfen. Ihr heller Zopf schwang von einer Seite auf die andere. »Kabel und Computerkram«, sagte sie und klappte den Deckel wieder zu. »Simon hat gar nicht so unrecht. Manchmal hilft ein gewisser Abstand dabei, wichtige Entscheidungen zu treffen. Und du, meine Liebe«, sie beugte sich vor, um etwas aus Sofies Haaren zu zupfen, »hast gerade viel zu entscheiden, denn du bist frei und ungebunden. Kein Job, kein Partner, bald keine Wohnung mehr. Du kannst also tun und lassen, was du willst. Sogar nach Australien ziehen, wenn dir danach ist, auch wenn ich dich dann sehr vermissen würde. Vor allem hätte ich Angst um dich wegen all der giftigen Tiere. Wie überleben Australier eigentlich länger als zwei Wochen in ihrem Land?«
Sofie richtete sich auf und streckte den Rücken, der vom Räumen und Heben allmählich schmerzte. »Wenn du gerade versuchst, mich aufzuheitern, hättest du das kein Job, kein Partner und keine Wohnung weglassen sollen.«
Nadja winkte ab. »Ach, komm schon. Sonst findest du doch auch das Positive in allem. Denk an meinen Laden, der hat sich anfangs auch eher geschleppt.«
Nadja war Inhaberin eines süßen kleinen Secondhandgeschäfts, dessen Angebot auf Kinder ausgerichtet war. Als sie es vor einigen Jahren übernommen hatte, war es nur mäßig gelaufen, aber Nadja war über die Runden gekommen und zufrieden gewesen.
Sofie hatte das nicht genügt, und sie hatte einen Ideenkreis ins Leben gerufen, bestehend aus Freunden, die sich des Projekts Pepper Peas annahm. Daraufhin hatten sie den Laden renoviert, in hellen, freundlichen Farben gestrichen und einen Onlineshop auf die Beine gestellt. Außerdem fanden regelmäßig Veranstaltungen wie Lesungen von Kinderbuchautoren oder Mitmachtheater für die Kleinen statt. Nadjas Einkünfte hatten sich deutlich erhöht, sogar so sehr, dass sie mittlerweile zwei Aushilfen in Teilzeit beschäftigte.
Sie hatten sich kennengelernt, kurz nachdem Sofie für ihr Studium nach Osnabrück gezogen war. Nadja hatte in einem Reformhaus gejobbt, sie waren ins Plaudern gekommen und hatten sich so gut verstanden, dass sie Nummern austauschten und Freundinnen wurden.
Nur wenige Minuten nach dem Telefonat mit Simon hatte Nadja angerufen und gefragt, wann sie mit einer Flasche Prosecco vorbeikommen sollte, um Sofies neue Position bei GenioTeam zu feiern. Als sie hörte, was geschehen war, hatte sie die Organisation für das anstehende Kinderfest zur Seite gelegt und war sofort losgefahren. »Anna steht im Laden, ich habe so lange Zeit, wie du möchtest.«
Also hatte Sofie entschieden, die Plauderei mit der Suche nach Simons Fotos zu verbinden – und da Nadja den Prosecco trotzdem mitgebracht hatte, perlte er jetzt in Gläsern auf einem Karton vor sich hin.
Sofie griff nach ihrem und nahm einen Schluck. »Ich könnte hier unten schon mal ausmisten, wenn ich ohnehin bald ausziehen muss. Ist dir das positiv genug?«
»Spinnerin!« Nadja warf einen von Simons Jonglierbällen und verfehlte Sofies Kopf um mehrere Handbreit. »Außerdem, bei all den Argumenten hat dein Bruder eines vergessen: Spanien. Valencia.« Sie riss die Augen auf und starrte ihre Freundin an, als würde sie ihr eine Idee per Gedankenübertragung in den Kopf pflanzen wollen. »Mensch, Sofie, du hast doch immer gesagt, dass es dort die besten Orangen der Welt gibt. Da kannst du so viel kochen und backen, wie du willst! Und mehr Orangenrezepte mitbringen … wobei Opa Nandos Marmelade schon ziemlich unschlagbar ist.« Sie legte einen Zeigefinger an ihr Kinn. »Ein Problem gibt es allerdings: Wenn du weg bist, weiß ich nicht, wem ich all meine Äpfel bringen soll.«
Nadja wohnte in einem alten Haus mit drei sehr ertragreichen Apfelbäumen und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, den Großteil ihrer Ernte Sofie zu überlassen, die das Obst einkochte oder anderweitig nutzte. Das hatte sie von Oma Anneliese, die großen Wert darauf legte, nichts zu verschwenden.
Sofie schob einen alten Monitor zur Seite. »Selbst wenn ich fahren sollte, wäre ich zum Herbst wieder zurück, und dann gibt es Apfelkuchen, Gelee und Chutney.«
»Aha! Du denkst also zumindest darüber nach.« Nadja hob das Glas, prostete ihr zu und nippte daran.
»Das hab ich nicht gesagt.« Sofie hielt inne. »Wobei ich Simons Ideen nicht mehr für ganz so abwegig halte. Zumindest werde ich wohl meine Eltern fragen, ob ich zur Not bei ihnen wohnen kann, bis ich was Schönes gefunden habe. Ich will schließlich nicht die erstbeste Wohnung nehmen müssen.«
Nadja lächelte. »Das ist die richtige Einstellung – abgesehen davon, dass du auch bei mir unterkommen könntest. Denk einfach in Ruhe drüber nach, dann wirst du sehen, dass dein Bruder recht hat. Und vielleicht sollte es ja auch einfach so sein.«
»Was, dass ich bei GenioTeam rausgedrängt werde?«
»Ja!« Nadja wölbte die Augenbrauen zu zwei goldenen Bögen. »Das Schicksal hat entschieden, dass es der falsche Platz für dich ist und du weiterziehen musst, um woanders Menschen mit deinen Obstkreationen zu begeistern. Vielleicht schließt sich ja sogar ein Kreis, wenn du dorthin fährst, wo ein Teil deiner Wurzeln liegt. Außerdem bist du, seit ich dich kenne, auf der Überholspur unterwegs. Du brauchst mal eine Pause, um durchzuatmen, und so eine Reise wäre die ideale Verbindung von beidem: zur Ruhe kommen und was Neues erleben. Oder was Altes ausgraben?« Sie runzelte nachdenklich die Stirn.
Sofie fuhr sich mit einer Hand über die Wange. »Du klingst schon wie mein Bruder. Woher habt ihr das so plötzlich? Seit wann glaubt ihr an solche Sachen? Steht der Mond anders zur Erde als sonst?«
Nadja winkte ab. »Ich habe gestern beim Physiotherapeuten in der Astrowoche geblättert, weil es neben der nur die Apothekenzeitung gab. Aber da könnte doch was dran sein, oder?«
»Falls ja, finde ich das Schicksal etwas rigoros. Es hätte mir doch erst mal einen Schuss vor den Bug verpassen können, anstatt gleich das ganze Schiff zu versenken.«
»Es weiß einfach, dass du dir ein neues bauen wirst«, orakelte Nadja, wandte sich dem nächsten Karton zu und öffnete ihn.
»Den brauchst du nicht zu durchsuchen, der gehört mir«, sagte Sofie und deutete auf ihren Namen, den sie säuberlich mit Edding auf eine Seite geschrieben hatte.
Aber Nadja hatte schon hineingesehen und runzelte die Stirn. »Was ist denn das?« Sie hob etwas in die Höhe, das Sofie erst auf den zweiten Blick erkannte.
»Ach, du meine Güte! Die Princesa hab ich ja vollkommen vergessen.«
»Die Princesa?« Skeptisch drehte Nadja die Holzfigur, um ihr ins Gesicht zu sehen. Sie war so lang wie ihr Arm und stellte eine Frau in einem bodenlangen weißen Gewand dar, unter dem nackte Zehen hervorblitzten. Die Kapuze war halb über ihr gescheiteltes dunkles Haar gezogen. Sie hielt den Blick gesenkt und hatte die Hände vor der Brust zusammengelegt, auf der ein großes rotes Herz prangte. »Ich bin nicht sicher, ob ich sie hübsch, unheimlich oder unglaublich kitschig finde. Welche Prinzessin soll das denn sein?«
»Gar keine.« Sofie winkte ab. »Ich hab die Figur als Kind von meinem Opa bekommen und war damals davon überzeugt, dass sie eine Prinzessin ist. Früher stand sie in meinem Kinderzimmer. Danach, in meiner Wohnung, wollte ich sie nie aufstellen, aber ich habe mich auch nicht davon trennen können. Opa hat ja keinen Kontakt mehr zu seiner alten Heimat, aber die Figur stammt tatsächlich aus Spanien und ist eine Art Erinnerungsstück.«
»Zum Spielen ganz schön unpraktisch.« Nadja schwankte zwischen Skepsis und Belustigung. Man sah dem Holz sein Alter an, und an manchen Stellen war die Farbe rissig oder abgeblättert. Nur das Rot auf der Brust strahlte mit unverminderter Eindringlichkeit, als wollte es verkünden, dass alles gut werden würde, wenn man nur auf sein Herz hörte.
Auf einmal fielen Sofie die Geschichten wieder ein, die Opa Nando ihr erzählt hatte. Es waren jene seltenen Momente gewesen, in denen er ihr einen Einblick in seine Vergangenheit gewährte – und damit kleine Kostbarkeiten.
Die Princesa hatte in ihrem Leben anderen Menschen viel Gutes getan. Sofie erinnerte sich nicht mehr an alles, wusste aber noch, dass sie einen kranken Mann geheiratet und durch ihre Liebe geheilt hatte, und ein andermal hatte Opa Nando ihr erzählt, dass sie sich um all die Waisenkinder gekümmert hatte, die niemand bei sich aufnehmen wollte.
Sie nahm Nadja die Figur ab, betrachtete sie eingehend und legte sie zurück in den Karton. »Machen wir weiter, und dann gehen wir nach oben und essen was. Ich habe allmählich Hunger.« Sie schloss den Karton und fragte sich, ob so etwas wie Schicksal nicht doch existierte – und ob Nadja die Princesa womöglich deshalb gefunden hatte.
Denn irgendwie hatten sie und Simon recht. Wenn es eine Möglichkeit gab, sich neu zu orientieren oder endlich etwas anzupacken, das in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen war – so wie einfach mal länger Urlaub zu machen –, dann war jetzt die beste Zeit dafür. Und es reizte sie schon, zu sehen, wo Opa Nando aufgewachsen war. Es stimmte, die Frage war in den vergangenen Jahren nicht sehr präsent gewesen, da ihr Opa selbst sie immer abgeblockt hatte. Sofie war damit aufgewachsen, dass Cielente keine Bedeutung hatte – warum, darüber hatte sie nicht weiter nachgedacht.
Sie beäugte den Karton, öffnete ihn einer Eingebung folgend noch einmal, zückte ihr Handy und schoss ein Foto.
Womöglich spielte das Schicksal in ihrem Leben ja doch eine winzige Rolle.
3
»Kind!« Oma Anneliese stand an der Spüle und drehte sich um, als Sofie die Küche betrat. »Ich habe die Klingel gar nicht gehört.« Sie legte das Spültuch weg, trocknete sich die Hände an der Schürze ab und umarmte ihre Enkelin.
Sofies Oma reichte ihr bis zu den Schultern, machte ihre Zierlichkeit aber durch Energie wett. Sie hatte wie so oft rote Wangen, und im Ofen ging soeben ein Kuchen für das Familientreffen auf. Es roch herrlich, nach süßem Teig mit einer fruchtigen Note.
Am liebsten wäre Sofie in der Küche geblieben, um mit ihrer Oma zu plaudern oder ihr zur Hand zu gehen. Hier hatte sie sich schon immer am wohlsten gefühlt – Wärme, Duft und Gemütlichkeit ließen alle Sorgen zumindest vorübergehend verschwinden. Bereits als Kind war sie in die Küche geflüchtet, wenn sie sich beim Spielen das Knie aufgeschlagen hatte. Ihre Oma hatte ein Pflaster draufgeklebt, sie in den Arm genommen und ihr erklärt, dass alles wieder gut würde, weil nichts von Dauer war. Danach hatte sie ihr etwas Süßes auf einen Teller gelegt – ein Stück Kuchen, einige Kekse oder ein Brot mit frischem Gelee –, ihr ein Glas Milch eingeschenkt und sich zu ihr gesetzt. Die Magie hatte gewirkt, und nach kürzester Zeit war der Kummer jedes Mal verschwunden.
»Herbert hat mich reingelassen«, sagte Sofie, stellte die Jutetasche auf einen Stuhl und nahm die Schüssel heraus. Vor neun Jahren war Oma Anneliese mit ihrem Lebensgefährten zusammengezogen und wohnte in einem hübschen kleinen Haus in Bersenbrück, eine Dreiviertelstunde nördlich von Osnabrück. Anfangs war Annelieses neuer Lebensabschnitt seltsam gewesen für die Lenaus, besonders für Sofie und Simon, aber mittlerweile konnte sie es sich nicht mehr anders vorstellen. Herbert gehörte zur Familie. »Ich habe Fruchtgelee mit Prosecco zum Nachtisch mitgebracht. Nadja war neulich da, wollte mit mir feiern und hatte zwei Flaschen im Gepäck. Aber da es nichts zu feiern gab, haben wir uns auf eine halbe beschränkt.«
Oma Anneliese legte ihr eine Hand auf den Arm. »Deine Mutter hat mir erzählt, was passiert ist. Wie unverschämt von deinen Kollegen. Haben die denn keine Ehre im Leib? Eine Zusage ist eine Zusage, auch wenn sie mündlich erfolgt.« Die ohnehin roten Wangen verdunkelten sich, und die Augen hinter der Brille blitzten.
Vor vier Tagen hätte Sofie ihr unumwunden zugestimmt, aber mittlerweile war ihre Wut abgeklungen. Natürlich fand sie noch immer, dass Karsten und Fabian – von dem sie bis heute keinen Ton gehört hatte – sich ihr gegenüber falsch verhalten hatten, aber ihre Grübeleien drehten sich immer seltener um die Firma. Dafür hatten sich Simons Vorschlag und Nadjas Begeisterung darüber mehr und mehr in ihrem Kopf festgesetzt. Die Idee einer Auszeit erschien ihr plötzlich gar nicht mehr so abwegig.
Bei GenioTeam hatte sie ihren restlichen Urlaub genommen und Karsten per E-Mail gebeten, sie für die Zeit bis zum Ablauf ihres Arbeitsvertrags freizustellen. Er hatte ihr unverzüglich geantwortet, dass das kein Problem sei, und sie gebeten, noch einmal vorbeizusehen, damit sie über mögliche Alternativen reden konnten. Zweimal hatte er betont, dass er sie als Mitarbeiterin keinesfalls verlieren wollte.
Als sie die Zeilen las, hatte sie nichts gespürt, weder Freude noch Erleichterung, sondern es als Tatsache abgespeichert, so wie eine Information, die sie nicht persönlich betraf. Daher hatte sie sich bedankt und ihm mitgeteilt, dass sie auf ihn zukommen, aber erst andere Angelegenheiten klären würde.
»Ach, Oma«, sagte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich hab mich auch geärgert. Es war ja zum großen Teil meine Idee, die nun von jemand anderem umgesetzt wird, und ich war so begeistert davon, dass ich den Kollegen zu sehr vertraut habe. Aber mittlerweile …« Sie zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, der Ärger ist weg. Simon hat vorgeschlagen, dass ich mir eine Auszeit nehme und ihn in Spanien treffe, und ich denke, das werde ich tun.«
»Das ist eine wunderbare Idee!« Von einer Sekunde auf die andere verschwand die Empörung aus Oma Annelieses Gesicht.
Sofie war verblüfft. »Echt? Ich hätte gedacht, du findest es besser, wenn ich mir erst was Neues suche.«
»Sofie.« Ihre Oma ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Da mache ich mir doch überhaupt keine Gedanken. Du bist immer so zielstrebig.« Sie lächelte. »Manchmal zu sehr. So war ich auch eine lange Zeit, immer hatte die Arbeit Vorrang, und ich habe Dinge aufgeschoben, die ich unbedingt erleben oder ausprobieren wollte. Aber ich hatte Glück und habe deinen Opa kennengelernt, der mir gezeigt hat, dass man zwar hart arbeiten kann, aber auch mal eine Pause einlegen muss. Mit Zeit nur für sich selbst.«
Sofie wurde ganz warm ums Herz, wie immer, wenn ihre Großeltern trotz der Trennung so übereinander redeten. Gedankenverloren zog sie die Schüssel näher heran und schob sie auf dem Tisch hin und her. »Gut, dass du Opa erwähnst, über ihn wollte ich nämlich mit dir reden.« Ihre Oma verengte die Augen, als wüsste sie bereits, worum es ging. »Simon hat da diese Frau im Urlaub kennengelernt, und sie hat ihn quasi dazu bewegt, sich mit seinen spanischen Wurzeln zu befassen. Daher hat er vorgeschlagen, dass wir uns in Valencia treffen und von dort in Opas Dorf fahren.«
Ihre Oma gab ein »Hm« von sich, aber in ihren Augen blitzte Interesse auf.
Sofie zog eine Grimasse. »Du kennst Opa. Er hat nie viel erzählt über Cielente, und wenn wir ihn früher ausfragen wollten, hat er das Thema meist als uninteressant abgetan. Irgendwann haben wir dann nicht mehr darüber geredet. Selbst Mama nicht. Wir wissen nur, dass er keine Familie mehr dort hat und in den Sechzigern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen ist. Ich würde sagen, das ist nicht gerade viel.«
»Und jetzt hat dein Bruder dir diesen Floh ins Ohr gesetzt, und du möchtest das Thema nach all den Jahren noch mal aufrollen?«
»Ja, aber ich weiß, dass Opa allerhöchstens kurz von den spanischen Orangen schwärmen und dann sofort wieder dichtmachen würde. Hat er dir denn nie mehr aus seinem Leben vor Deutschland erzählt?«
Oma Anneliese schmunzelte. »Ach, Kind. Nach all den Jahren fragst du das nun?«
Sofie schob die Schüssel zurück. »Na ja, ich hab lange nicht daran gedacht, weil immer so viel los war in meinem Leben. Aber jetzt …« Sie zuckte die Schultern.
»Dein Opa war zu mir nicht anders als zu euch. Er hat das meiste aus der Zeit vor 1965 für sich behalten. Weil er damit abschließen wollte, hat er gesagt – nur um immer wieder vom Obst seiner Heimat zu schwärmen und zu betonen, dass es viel besser schmeckt als das hier in Deutschland.« Sie lachte laut auf. »Ich erinnere mich genau, wie er am Marktstand meiner Eltern verkündet hat, unseren Zitrusfrüchten würde es an Aroma mangeln. Ihre Gesichter werde ich nie vergessen! Als er eines Tages wieder von den spanischen Orangen anfing, habe ich ihm dann gesagt, dass er nicht immer an die Vergangenheit denken, sondern in der Gegenwart leben soll.«
»Raffiniert.« Sofie stimmte in das Lachen mit ein.
Ihre Oma zwinkerte. »Ich habe lediglich seine Worte wiederholt. Also nein, ich weiß kaum mehr als ihr alle, meine Kleine. Nur, dass sein Abschied von Cielente kein guter war. Das hat er zwar nie zugegeben, aber ich habe es ihm angemerkt, und es muss ja einen Grund haben, warum er einfach so gegangen ist. Warum es danach keine Kontakte durch Briefe oder mal einen Besuch gab. Ja, seine Eltern waren damals bereits tot, aber man hat ja auch sonst Menschen, die einem lieb und teuer sind und die einen halten, dort, wo man lebt. Ich weiß nur, dass Fernando nicht wohlhabend war. Genauer gesagt hatte er keinen Pfennig in der Tasche, als er in Deutschland ankam.«
Sofie versuchte sich vorzustellen, wie es damals für Opa Nando gewesen sein musste, in ein völlig fremdes Land zu gehen, dessen Sprache er nicht kannte, mit dem Versprechen auf Arbeit sowie einem Anwerbeabkommen zwischen der alten und der neuen Heimat als einziger Perspektive. Zu jener Zeit fehlten Arbeitskräfte – wie schon in den Fünfzigerjahren, dem Jahrzehnt des Wirtschaftswunders nach der ungewissen Kriegszeit. Da unzählige Männer als Soldaten gefallen und so nicht mehr genug Leute auf dem inländischen Markt zu finden waren, schloss die Bundesrepublik zunächst ein Abkommen mit Italien und 1960 dann auch mit Spanien.
Sicher war es nicht leicht gewesen – die Ungewissheit, die Sprachbarriere, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Mentalitäten, die neue Umgebung … und ganz sicher auch das Heimweh. Oder hatte Opa Nando nie darunter gelitten? Hatte er sein sonniges Spanien nie vermisst? Vielleicht begab man sich ja gar nicht erst auf so ein Abenteuer, wenn zu Hause viele Möglichkeiten auf einen warteten? Nach all den Jahren wünschte sie sich plötzlich mehr denn je Antworten auf all diese Fragen. Vielleicht weil ihre eigene Zukunft zum ersten Mal unsicher war – auch wenn sich das natürlich nicht mit der Situation von damals vergleichen ließ. Ihre Oma hatte recht: Es musste einen wichtigen Grund für Opa Nandos Entscheidung gegeben haben, seiner Heimat derart radikal den Rücken zu kehren.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, zog sie ihr Handy aus der Tasche und rief das Foto auf, das sie von der Statue der Princesa geschossen hatte. »Sieh mal. Erinnerst du dich an die Figur? Opa hat sie mir geschenkt, als ich klein war.«
Ihre Oma nahm das Handy und hielt es sich nah vor die Brille. »Aber natürlich, das war neben seiner Kleidung und den Papieren das Einzige, was er mitgebracht hat damals. Sie stand lange ganz hinten in unserem Schrank. Eines Tages habe ich sie abgestaubt und auf einem Beistelltischchen platziert, um ihm eine Freude zu machen, aber er war alles andere als begeistert und wollte sie nicht mal ansehen. Kurz darauf war sie weg, und dann habe ich erfahren, dass er sie dir geschenkt hat.«
»Was hab ich ihr geschenkt?«, dröhnte eine tiefe Stimme von der Tür zu ihnen herüber. Fernando Montejos Akzent hatte sich im Laufe der Jahrzehnte abgeschwächt, besaß aber noch immer diese ausdrucksvolle Energie, die Sofie so mochte.
Sie drehte sich um: Ihr Opa wirkte entspannt und für seine Verhältnisse gut gelaunt, und das Fernglas in seiner Hand verriet ihr auch den Grund. »Hey! Hast du wieder Vögel beobachtet?« Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn.
Er drückte sie an sich, lange, wie sie es liebte, ehe er ihr zweimal auf den Rücken klopfte und sie von sich schob. Er war stets darauf bedacht, sich seine Gefühle nicht zu sehr anmerken zu lassen – insbesondere, wenn viele Menschen zugegen waren. »Natürlich. Anneliese und Herbert haben hier eine hervorragende Populationsdichte, nur leider absolut kein Interesse daran.«
»Trotzdem haben wir wegen dir überall am Haus Futterstellen angebracht«, sagte Sofies Oma zuckersüß. »Damit du dich unterhalten fühlst, wenn du zu Besuch bist.«
Er brummte etwas, doch sein Gesichtsausdruck wurde bereits weicher.
»Opa«, sagte Sofie und streckte ihm das Handy entgegen. »Sieh mal, was ich im Keller gefunden habe. Die Princesa. Weißt du noch? Also, sie ist vermutlich keine Prinzessin, aber …« Sie verstummte, als er die Stirn so sehr in Falten legte, dass die Augen beinahe unter den dichten Brauen verschwanden.
»Ich dachte, das Ding gäbe es längst nicht mehr.«
Sofie wechselte einen Blick mit ihrer Oma, die über die Reaktion nicht erstaunt schien. »Natürlich habe ich sie noch, du hast sie mir schließlich geschenkt. Erinnerst du dich, woher du sie genau hast? Ich meine, sie muss dir doch was bedeutet haben, wenn du sie mit hierher …«
Er schnitt ihr mit einer energischen Geste das Wort ab. »Sie hat keinen besonderen Wert. Ich war schlicht und einfach ein sentimentaler Idiot. Frag deine Oma.«
»Das stimmt«, sagte Anneliese mit todernster Miene. »Mir fallen mindestens drei Tage während unserer Ehe ein, an denen er mir Blumen gebracht hat.«
»Weil du es lieber mochtest, wenn ich für dich gekocht habe.«
»Das stimmt natürlich«, sagte sie und berührte flüchtig seinen Arm. Manche Gesten waren auch nach der Trennung geblieben. »Aber warum erzählst du deiner Enkelin nicht ein bisschen mehr? Sie und Simon überlegen nämlich, gemeinsam nach Spanien zu reisen.«
Ein todernster Blick traf Sofie.
Sie gab sich arglos. »Simon hat sich vorgenommen, Cielente zu besuchen, und mich gefragt, ob ich mitkommen möchte.«
»Wozu?« Opa Nandos Stimme war auf einmal so schneidend, dass sie zusammenzuckte. »Wozu wollt ihr in einer Vergangenheit wühlen, die nicht mehr existiert? Ihr habt beide ein eigenes Leben! Oder ist das so uninteressant, dass ihr eure Nasen in fremde Angelegenheiten stecken müsst?«
Sofie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie erinnerte sich nicht, dass ihr Großvater sie schon einmal so angefahren hatte.
Oma Anneliese trat zwischen die beiden. »Haben die Streitereien der Meisen um ein paar Körner da draußen dermaßen auf dich abgefärbt, dass du dich so im Tonfall vergreifst?« Ihre Stimme war ruhig, ihr Blick allerdings ein eindeutiger Befehl.
Er presste die Lippen aufeinander und atmete durch die Nase aus. »Du weißt doch, dass die alten Geschichten vorbei sind, Sofie. Ich verstehe nicht, warum du nach so vielen Jahren wieder davon anfängst.« Er drückte sie noch einmal, nur kurz, aber deutlich sanfter als zuvor. »Also, Liese. Bekomm ich hier nichts mehr zu essen, weil ich nur dein Ex-Mann bin?«
Sofie schmunzelte, als ihre Oma das Spültuch nahm, um damit besagten Ex-Mann aus der Küche zu scheuchen.
»Mamá! Mamá!« Das Mädchen auf dem Arm seiner Mutter deutete so aufgeregt nach vorn, dass seine kleine Hand im Gedränge auf Sofies Wange traf. Erschrocken hielt es inne und starrte sie aus großen Augen an.
Sofie schenkte ihm ein Lächeln. »No pasó nada.« Nichts passiert.
Das Kind antwortete mit einem entzückenden Lückengrinsen, griff nach den Haaren der Mutter und stopfte sie sich in den Mund, was einen Schwall spanischer Sätze zur Folge hatte.